Mein Engel der Weihnacht

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Zum Fest der Liebe werden Grace und Sebastian ihre Verlobung bekannt geben, glaubt Lady Adelaide verzweifelt. Denn Sebastian ist der Mann, den sie liebt - und Grace ihre jüngere Schwester! Aber Weihnachten ist nicht umsonst die Zeit der kleinen und großen Wunder ...


  • Erscheinungstag 13.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513340
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

MacPherson und Tochter, Buchhändler

Covent Garden, London

23. Dezember 1890, drei Uhr dreißig nachmittags

„Ich reise nach Paris, um Kunst zu studieren“, verkündete Lady Adelaide Kendall den beiden Freundinnen, mit denen sie dicht am knisternden Kaminfeuer der Buchhandlung saß und Tee trank. „In fünf Tagen ist es so weit, und ich werde mehrere Monate fort sein.“

Adelaides Schutzengel Rose zuckte entsetzt zusammen. Bis zu diesem Moment hatte sie zufrieden auf einem der Regale gesessen. „Habt ihr das gehört?“, fragte sie die beiden Engelsnovizinnen, die neben ihr schwebten. „Meine Addie verlässt England – noch dazu für einige Monate!“ Rose zog die Stirn kraus, und eine tiefe Falte bildete sich zwischen ihren Brauen. Sie rang die Hände so heftig, dass glitzernder rosa Funkenregen durch die Luft wirbelte. „Wie kann ich hoffen, die sowieso schon unmögliche Aufgabe zu erfüllen, sie mit ihrer einzig wahren Liebe zu vereinen, wenn sie sich nicht einmal im selben Land aufhalten? Oh, du meine Güte!“

„Das erschwert die Sache wirklich ein bisschen“, stimmte Engel Periwinkle voller Mitgefühl zu. „Und ich hielt meinen Auftrag mit Claire schon für schwierig“, fügte sie hinzu und deutete mit dem Kopf auf ihren Schützling mit dem rotbraunen Haar, „aber dein Problem …“

„Ist unmöglich zu lösen“, jammerte Rose. „Ich ertrage ein weiteres Jahrhundert als Novizin einfach nicht mehr! Und genau das steht mir bevor, wenn ich das Liebespaar nicht vor Neujahr vereine. Wieder keine Flügel! Ich bin zu alt und zu müde für so ein grausames Schicksal!“

„Du wärst nicht so alt und müde, wenn du bei deinen früheren Versuchen, sie zusammenzuführen, nicht versagt hättest“, hob Engelnovizin Fern auf ihre unverblümte Art hervor. „Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass du dich irrst bei der Frage, wer denn nun Addies wahre Liebe ist.“

Rose fuhr empört auf, und wieder flog der rosafarbene Glitzerstaub. „Sehr viel mehr Erfolg hast du auch nicht aufzuweisen. Deine Fiona ist auch noch nicht mit ihrer großen Liebe verbunden. Und ich irre mich ganz gewiss nicht!“ Trotzdem erfasste sie eine gewisse Unruhe. Könnte sie sich doch getäuscht haben? Ach, wenn ihre Kräfte es ihr nur erlauben würden, menschliche Gefühle zu beeinflussen. Leider war das nicht möglich.

„Ich irre mich nicht“, wiederholte sie. Wenn sie es nur oft genug sagte und ganz fest daran glaubte, würde es sicher auch wahr sein. „Ich bin seit Jahren bei Addie. Ich kenne ihr Herz. Ich weiß, wen sie liebt.“

„Das bedeutet aber nicht, dass er ihre Liebe erwidert“, meinte Fern rundheraus.

Alles in Rose sträubte sich gegen diese fürchterliche Möglichkeit. Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Brille bis zur Nasenspitze rutschte. „Er muss ihre Gefühle einfach erwidern.“ Und zwar schnell. Die Aussicht auf ein weiteres Jahrhundert ohne Flügel ließ Rose schaudern. Ein solcher Ausgang der Dinge wäre unerträglich. Langsam wuchs die Verzweiflung in ihr, und sie wies auf Addie, die gerade im Begriff war, Zucker in die Teetasse zu löffeln. „Seht sie euch doch an. Sie ist schön, gebildet, geistreich und charmant. Noch dazu freundlich und liebevoll. Und stammt aus sehr guter Familie. Welcher Idiot würde sich denn nicht in sie verlieben?“

„Die Männchen der menschlichen Spezies sind berüchtigt dafür, sich sehr idiotisch zu benehmen, wenn es um Frauen geht“, sagte Periwinkle weise, obwohl sie sehr viel kürzere Zeit Engelnovizin war als die anderen beiden.

„Claire und Fiona werden ihr die Reise doch gewiss ausreden“, überlegte Rose hoffnungsvoll. „Sie können unmöglich mehrere Monate auf ihre Leseabende verzichten, nicht wahr?“

„Wenn du mit deinem ständigen Geplapper aufhören würdest, könnten wir hören, was sie sagen“, fuhr Fern ihr schroff ins Wort.

„Ich habe bisher nicht von meinen Reiseplänen gesprochen, da ich nicht sicher war, ob ich rechtzeitig alle Vorbereitungen treffen würde“, hörten sie Addie ihren Freundinnen erklären. Rose hielt den Atem an. „Meine Tante Margaret hilft mir bei den Einzelheiten. Ich erhielt gerade, bevor ich herkam, einen Brief von ihr, in dem sie bestätigt, das alles geregelt ist.“

„Du wirst uns fehlen“, bemerkte Fiona McPherson, Besitzerin der gemütlichen Buchhandlung, in der die Frauen sich vor zwei Jahren begegnet waren. Die Liebe zum Lesen hatte sie zusammengeführt und, unabhängig von ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellungen, in einer engen Freundschaft miteinander verbunden.

Addie lächelte. „Ihr mir auch. Unsere monatlichen Begegnungen bedeuten mir sehr viel. Aber ich freue mich darauf, das Studium der Kunst zu vertiefen.“

„Ich habe mich immer danach gesehnt, auf Reisen zu gehen“, sagte Claire Halliday mit einem wehmütigen Seufzer. „Wird deine Schwester dich begleiten?“ Sie legte die ledergebundene Ausgabe von Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“, den Gegenstand ihrer heutigen Diskussion, beiseite.

Addie schüttelte den Kopf, und eine kastanienbraune Locke, die ihr immer wieder hartnäckig in die Stirn fiel, ließ sich auch jetzt nicht bändigen. „Nein. Grace wird in den nächsten Monaten mit ihren eigenen Plänen beschäftigt sein.“

Claires Miene hellte sich auf. „Hat Lord Channing um ihre Hand angehalten?“

„Noch nicht. Doch nun, da die Trauerzeit um seine Mutter offiziell vorbei ist, wird Sebastian gewiss während der Weihnachtszeit um Grace anhalten.“

Rose stieß einen spitzen Schrei aus. „Lieber Himmel, habt ihr das gehört?“, rief sie. „Ich hatte ganz vergessen, dass Sebastians Trauerzeit zu Ende geht. Und nun wird Addies einzige wahre Liebe sich mit ihrer Schwester verloben! Wie kann ich das verhindern, bevor Addie nach Paris abreist? Du liebe Güte, was für eine Katastrophe epischen Ausmaßes!“

„Das ist wirklich ein ziemliches Durcheinander“, stimmte Fern zu.

„Es hat noch nie einen unfähigeren Schutzengel gegeben als mich“, jammerte Rose. „Wie oft habe ich schon versucht, Adelaide und Sebastian zusammenzubringen? Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, so oft war es! Und jetzt bleibt mir kaum noch Zeit.“

Sie schwebte aufgeregt hin und her, wobei sie einen Wirbelwind rosafarbener Funken verursachte. Ihr Blick fiel auf Addies Ausgabe der „Weihnachtsgeschichte“. Rose hielt inne. Die Damen hatten das Buch wegen seines Themas gewählt, und die Geschichte hatte Addie tief bewegt – Addie, gefangen in der Gegenwart und hin und her gerissen zwischen ihrer Liebe für Sebastian und ihrer völligen Hingabe an ihre Schwester. Sie würde nie etwas tun, das Grace verletzen könnte. Nicht einmal im Traum würde sie daran denken, Graces Glück aufs Spiel zu setzen – Rose allerdings hatte da weniger Skrupel. Ein Besuch von einem Geist der gegenwärtigen Weihnacht, in diesem Fall wohl eher Engel, könnte doch gewiss alles in Ordnung bringen. Oder?

Rose war nicht sicher, allerdings verzweifelt genug, um wirklich nichts unversucht zu lassen, wenn sie nur Addie mit ihrer wahren Liebe vereinen – und sich selbst vor einem weiteren Jahrhundert ohne Flügel bewahren könnte.

1. KAPITEL

Drei Uhr fünfundvierzig nachmittags.

Addie stellte ihre Teetasse sorgfältig auf die Untertasse zurück, insgeheim erleichtert, dass kein Zittern ihren inneren Aufruhr verriet. Auf keinen Fall durften Fiona und Claire auch nur ahnen, wie zutiefst unglücklich sie in Wirklichkeit war. Gerade hatte sie ihnen eröffnet, dass sie nach Paris reisen wollte, und nun wurde es Zeit, das Gespräch wieder auf Mr. Dickens’ Geschichte zu bringen. Nur noch ein kleines Weilchen musste sie die höfliche Konversation aufrechterhalten, dann würde sie die ganze lange Zugfahrt bis zum Landsitz ihrer Familie im verschlafenen Dörflein Buntingford in East Hertfordshire nutzen können, um ihre Gedanken zu sammeln – und keine Fröhlichkeit mehr vorzuspielen brauchen, die sie ganz und gar nicht empfand. „Meine Lieblingsfigur in der Geschichte ist …“

„Glaubst du, die Verlobung zwischen Grace und Lord Channing wird morgen beim Heiligabendfest deiner Familie bekannt gegeben?“, fiel Claire ihr allerdings interessiert ins Wort.

Sosehr es Addie zuwider war, über die Verlobung ihrer Schwester zu sprechen, rührte sie doch die Freude in den Augen ihrer Freundin. Weihnachten war für Claire immer eine schwierige Zeit, da ihr Verlobter eine Woche vor ihrer Hochzeit, also Weihnachten vor genau vier Jahren, auf tragische Weise ums Leben gekommen war.

„Sehr wahrscheinlich.“ Addies Stimme brach, und sie räusperte sich hastig. „Und nun, da ich euch meine Neuigkeiten mitgeteilt habe, wollen wir uns wieder der Geschichte zuwenden, ja? Ich halte Mr. Dickens’ Verwendung der Geister für äußerst geschickt. Damit veranschaulicht er …“

„Aber was ist mit Evan?“, unterbrach Fiona sie.

Addie hatte gewusst, dass sie bald jemand auf Sebastians jüngeren Bruder ansprechen würde, und auch, dass dieser Jemand Fiona sein würde. Einerseits empfand sie großes Mitgefühl für ihre Freundin, die ihren Vater verloren hatte und nun die schwere Bürde der Verantwortung für ihren Lebensunterhalt ganz allein tragen musste. Andererseits beneidete Addie sie um ihre Unabhängigkeit und Offenheit. Fiona würde sich niemals in einer so unhaltbaren Situation wiederfinden. Im Gegensatz zu ihr selbst hätte Fiona schon vor Jahren ihren Gefühlen Luft gemacht. Leider hatte Addie sich nie dazu durchringen können, und nun war es zu spät. Wie mochte es sich anfühlen, genau das auszusprechen, was man empfand? Addie wusste es nicht, und sie würde es wohl auch nie erfahren. Sollte sie jemals verraten, was in ihrem Herzen vor sich ging … Ein Schauder durchlief sie bei dem Gedanken daran, dass sie ausgerechnet die Menschen, die sie am meisten liebte, zutiefst damit verletzen könnte.

„Addie? Hörst du mir überhaupt zu?“ Fionas Worte rissen sie aus ihren Gedanken. „Was ist mit Evan?“

„Was meinst du?“

Fiona machte eine ungeduldige Handbewegung. „Er muss doch unglücklich darüber sein, dass du gleich mehrere Monate lang in Paris bleiben willst.“

„Ich habe es ihm noch nicht gesagt. Doch ich bin sicher, er wird sich für mich freuen. Was die Geister der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht angeht …“

„Da das Trauerjahr für seine Familie jetzt vorüber ist, wird Evan sicher bei der Weihnachtsfeier verkünden, dass er gedenkt, dir den Hof zu machen“, fuhr Fiona fort.

Claire lächelte. „Ja. Es wäre das vollkommene Weihnachtsfest.“

Um nicht sofort antworten zu müssen, nippte Addie an ihrem Tee. Gewiss, ihre Familie wäre entzückt, sollte Sebastians jüngerer Bruder ein Interesse für sie bekunden. Tatsächlich erhofften sich so ziemlich alle eine solche Entwicklung. „Nein“, sagte sie zögernd. „Zwar liebe ich Evan sehr, aber mehr wie einen Bruder, nicht wie einen zukünftigen Gatten. Und die Vorbereitungen für eine Hochzeit sollten doch erst einmal genügen.“ Sie lächelte und fügte entschlossen hinzu: „Nun zu Mr. Dickens’ Geschichte …“

„Und was für eine wundervolle Hochzeit das werden wird“, schwärmte Claire.

Addie unterdrückte einen Seufzer und wappnete sich für die Unterhaltung, die sie ganz offensichtlich nicht verhindern konnte und die ihr auch während des Weihnachtsfests gewiss nicht erspart bleiben würde. Nur noch fünf Tage blieben bis zu ihrer Abreise nach Paris. Sie würde sie durchstehen. Schließlich verbarg sie seit Jahren ihre innersten Gefühle – was waren da weitere fünf Tage? Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es wird das Ereignis der Saison.“

„Grace und Lord Channing. Auf jeden Fall werden sie das schönste Paar im gesamten Königreich sein“, bemerkte Fiona.

Addie nickte, brachte aber kein Wort hervor. Auch wenn sie allein einen Raum betraten, gelang es ihrer wunderschönen Schwester und dem umwerfend attraktiven Viscount immer, jedermanns Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gemeinsam würden sie einen ganzen Ballsaal voller Menschen in Staunen versetzen. Addie schluckte mühsam und sagte dann leise: „Sie werden sehr glücklich werden.“

Und so soll es auch sein, fügte sie innerlich hinzu. Grace und Sebastian waren füreinander bestimmt. Ihre Familien hatten vor Jahren inoffiziell eine Verbindung zwischen ihnen gutgeheißen. Schon damals war allen klar gewesen, dass sie das vollkommene Paar abgeben würden. Und seit Grace vor zwei Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden war, hatte man allgemein mit der Bekanntgabe der Verlobung gerechnet. Nur der plötzliche Tod von Sebastians Mutter hatte das Unvermeidliche hinausgezögert. Doch nun war das Trauerjahr um. Nichts stand der ungeduldig erwarteten Verlobung mehr im Wege, die jeden in Entzücken versetzen würde.

Jeden – außer mir, dachte Addie traurig.

„Ihre Kinder werden sicher genauso schön sein“, sagte Fiona und riss Addie aus ihren Gedanken. Sie sprach im selben wehmütigen, fast neidischen Ton, den die meisten Menschen anschlugen, wenn sie von Grace und Sebastian sprachen.

„Ja, gewiss.“ Addie stellte sich eine Schar von Miniaturausgaben von Grace und Sebastian vor. „Ich kann es kaum erwarten, Tante zu werden.“

„Du wirst eine wunderbare Tante abgeben.“ Claire beugte sich vor und tätschelte Addie die Hand. „Und eines Tages eine wundervolle Mutter.“

Natürlich sollten ihre Worte ein Kompliment sein, doch für Addie waren sie wie ein Dolchstich mitten ins Herz. „Danke“, brachte sie mühsam hervor. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren brauchte sie vielleicht noch nicht ganz die Hoffnung auf einen Gatten aufzugeben, doch ihr war klar, dass sie ihr Dasein als eine alte Jungfer fristen würde.

Gelächter auf der Straße vor der Buchhandlung zog Addies Aufmerksamkeit auf sich. Durch das Fenster konnte sie die Kutschen sehen, die vorüberratterten. Die vielen Fußgänger hatten sich mit dicken Mänteln, Mützen und Schals gegen die Kälte und den heftigen Wind vermummt. Gedämpfte Stimmen, das Klappern der Pferdehufe, das Knarren der Wagenräder und sogar der entfernte Gesang der Weihnachtssänger drangen bis zu ihnen in die wundervoll warme Buchhandlung. Ein zufrieden lächelndes Paar ging am Fenster vorbei, die Arme voller Geschenke. Heftiger Neid durchfuhr Addie. Wie wunderschön musste es sein, den Menschen, den man liebte, für sich gewinnen zu können.

„Vorbereitungen für eine Hochzeit“, sagte Claire leise. „Wie romantisch. Vielleicht erlebt ihr beide diese Weihnachten ja auch eine Liebesgeschichte.“

Autor

Jacquie D´Alessandro
Jacquie D'Alessandro wuchs in Long Island auf und verliebte sich schon in jungen Jahren in Liebesromane. Sie träumte immer davon, von einem schneidigen Schurken auf einem lebhaften Hengst entführt zu werden. Als jedoch Joe, ihr zukünftiger Ehemann, zum erste Mal auftauchte, hatte sein Erscheinungsbild nur wenig mit ihren Träumen zu...
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