Mein französischer Geliebter

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Es ist ein Spiel mit dem Feuer, wenn die Designerin Alicia Holt das Angebot des charmanten französischen Bankiers Jean-Marc Brissac annimmt: Sie soll auf seinem Schloss eine Feier ausrichten. Denn Jean-Marc weckt in ihr wildes Begehren, obwohl sie bereits vergeben ist...


  • Erscheinungstag 09.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774905
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die stahlblaue Limousine glitt im Sonnenlicht über die Auffahrt. Köpfe drehten sich. Eine Traube von Reportern bewegte sich ruhig auf den Wagen zu – höflich, aber entschlossen, einen Schnappschuss zu machen. Die Unterhaltung auf der Gartenparty steigerte sich zu einem aufgeregten Summen, und als die Limousine zum Halten kam, schwiegen alle, hielten reglos ihre Champagnergläser und schauten über den kunstvoll gestalteten Garten dorthin.

Jean-Marc Brissac, der Letzte der Großen Französischen Liebhaber, war eingetroffen.

Er stieg aus der Limousine. Sein schwarzes Haar wehte leicht in der warmen Brise. Die Lider seiner stahlgrauen Augen waren gesenkt und sein sinnlicher Mund eine schmale, kompromisslose Linie, als die Reporter sich auf ihn zu bewegten. Er schritt mit einem kühlen Nicken an ihnen vorbei, während die Blitzlichter zuckten.

Alicia hob ihren Kopf. Sie konnte diese Art von Mann nicht ertragen. Er war Multimillionär, Tycoon und Playboy. Sein Gang strahlte Arroganz aus, und sein blaugrauer Anzug saß perfekt an seinem kräftigen, muskulösen Körper.

Er schaute sie an, als ob er ihren Blick spürte, und eine Sekunde später fuhr er sich mit starker Hand durch sein schwarzes Haar, wobei er sie abschätzend musterte.

Alicia wandte sich mit kühlem Gesicht ab. Sie war sich ihres Aussehens bewusst. Ihr rotes Seidenkleid betonte ihre schlanken Kurven sinnlich, unterstrich ihre südländische, glutvolle Schönheit. Innerlich aber empfand Alicia Verachtung gegenüber denjenigen, die auf äußere Schönheit achteten. Erfolg war das einzig Erstrebenswerte in ihrem Leben.

„Ich kann ihn nicht ansehen“, flüsterte Lindy neben ihr und wich stolpernd zurück.

Alicia runzelte die Stirn. Sorge um ihre junge Nichte füllte ihre großen dunklen Augen. Alicia setzte ihren Drink ab und folgte ihr durch die geöffnete zweiflügelige Tür in den geräumigen Salon mit den blassgelben Wänden und dem eleganten Kronleuchter.

„Lindy?“ Alicia musterte den gesenkten Kopf des Mädchens.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“

Lindy hielt den Atem an und drehte sich überrascht zu Alicia um. Tränen brannten in ihren dunklen Augen. Sie sah so jung aus, und ihr pinkfarbenes Kleid unterstrich ihre Verwundbarkeit. Alicias Herz ging vor Liebe über.

„Lindy“, sagte sie zärtlich, „sag mir, was los ist.“

Lindys Mund zitterte. „Wozu? Du würdest es nie verstehen.“

„Wirklich nicht?“, sagte Alicia. „Ich bin zwar zehn Jahre älter als du, aber ich kann mich nur zu gut daran erinnern, wie es ist, ein Teenager zu sein.“

„Ich … ich sollte nicht darüber reden!“ Lindy wischte mit zitternder Hand eine Träne fort und strich sich ihr weiches dunkles Haar aus den Augen. „Ich fühle mich ihm gegenüber so treulos.“

„Wem?“, fragte Alicia besorgt.

Lindy biss sich auf die Lippe. Ihr Blick wanderte zur Tür. Dann zurück zu Alicia. Eine Pause entstand. Dann sagte sie heiser: „Jean-Marc Brissac.“

Alicias Augen weiteten sich überrascht. Unwillkürlich blickte sie über ihre Schulter, um zu sehen, ob Brissac in Hörweite war. Wie mochte Lindy die Bekanntschaft eines so wohlhabenden und mächtigen Mannes gemacht haben? Dies war eine sehr exklusive Party. Ein Modeereignis ersten Ranges, an dem Berühmtheiten teilnahmen, superreiche Prominente. Doch das war Alicias Welt, nicht die von Lindy. Lindy war nur durch Alicias Einladung hier, und Alicia wusste, dass ihre junge Nichte sonst nicht mit solchen Leuten verkehrte. Ganz gewiss nicht mit französischen Multimillionären wie Brissac.

„Ich wusste gar nicht, dass du ihn kennst, Lindy“, sagte sie.

Lindy seufzte. „Du weißt doch, dass ich im Mai in Paris war.“

„Zu einem Italienischkurs“, nickte Alicia stirnrunzelnd.

„Also, ich habe mich mit Dominique Dussort angefreundet“, sagte Lindy rasch. „Das ist sein Patenkind. Nach dem Sprachkurs wurden wir beide nach Château Brissac eingeladen.“

„Und Brissac war auch da?“, fragte Alicia vorsichtig.

„Zuerst nicht“, fuhr Lindy fort. „Da war nur das Personal. Dominique und ich hatten das ganze Anwesen für uns allein. Dann kam Jean-Marc …“ Ihre Lippen zitterten, als sie seinen Namen mit einem schmachtenden Seufzer aussprach. „Und er hatte seine Freundin dabei.“

Seine Geliebte, meinst du, dachte Alicia grimmig.

„Isabelle Janvier“, sagte Lindy. Ihre Augen verdunkelten sich eifersüchtig, als sie den Namen des berühmten französischen Filmstars nannte. „Sie war wunderschön und so kultiviert. Aber sie hatten einen Streit, und dann reiste Isabelle einfach ab. Am nächsten Morgen fiel Dominique vom Pferd. Sie erlitt eine Kopfverletzung und musste für ein paar Tage ins Krankenhaus.“

„Und du warst mit Jean-Marc Brissac allein“, sagte Alicia.

„Ja.“ Lindy errötete leicht. „Oh, Alicia, er sagte, ich könnte so lange auf dem Château bleiben, wie ich wolle, und ich ging zu Bett und freute mich darüber. Aber ich konnte nicht schlafen, und als ich um zwei Uhr morgens nach unten ging, war er auch noch wach.“

„Er hat mit dir geflirtet“, sagte Alicia knapp.

„O nein, zuerst nicht“, sagte Lindy rasch. „Weißt du, er hatte getrunken. Er saß allein da und hörte ganz laut Wagner, und er sah so toll aus!“, fuhr Lindy fort. „Er schaute so traurig, und er hatte seine Krawatte gelockert. Und in der Hand hielt er ein Whiskyglas … Und ich wusste, dass ich seinen Schmerz lindern konnte. Ich wusste, ich könnte ihm helfen. Deshalb ging ich zu ihm und hab’ mich auf die Lehne seines Sessels gesetzt …“

„Was hattest du an?“, fragte Alicia scharf.

„Ich … ja, ich hatte mein Nachthemd an.“

Alicias Augen funkelten wütend. Sie versuchte ihre Erregung nicht zu zeigen, als sie leise sagte: „Sprich weiter.“

„Ich saß da auf der Lehne, und er schaute mich einfach stumm an. Ich sagte ihm, er solle wegen Isabelle nicht so traurig sein und dass ich ihn für den attraktivsten Mann überhaupt hielte, den ich je gesehen hätte. Und dass ich ihn auf der Stelle geheiratet hätte, wenn Isabelle nicht gewesen wäre.“ Sie errötete und fügte heiser hinzu: „Dann habe ich sein Haar gestreichelt, und er fing an mich zu küssen …“

Hatte er das wirklich? dachte Alicia, weiß vor Wut.

„Ich bin auf seinen Schoß gerutscht“, sagte Lindy leise, „und dann hat er mich plötzlich bei den Schultern gefasst und sagte: Geh sofort wieder ins Bett! Ich war verletzt und wollte protestieren, aber er fuhr mich auf einmal an und stieß mich von seinem Schoß und schrie, ich sollte sofort den Raum verlassen.“

Alicia atmete ein wenig ruhiger. „Und das war alles …?“

„Nein.“ Lindy schüttelte ihren hübschen Kopf. „Am nächsten Morgen muss er wohl ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt haben. Er sagte mir, er würde mich wegschicken, wenn das wieder passierte. Ich brach in Tränen aus. Und da hat er wohl Mitleid mit mir gehabt, weil er mich umarmte und mich tröstete und mich fragte, ob ich mit ihm zu Abend essen wolle.“

„Und du hast Ja gesagt“, murmelte Alicia verkniffen lächelnd.

„Natürlich habe ich Ja gesagt!“, antwortete Lindy hitzig. „Ich war inzwischen doch so in ihn verliebt! Alicia, du weißt ja gar nicht, wie er ist! Ihn nur so Tag für Tag zu beobachten, seine vielen Stimmungen …“

„Und was geschah nach dem Abendessen?“, fragte Alicia.

„Ja, da fing alles an.“ Lindy hob überrascht die Brauen. „In den folgenden Tagen haben wir viel Zeit miteinander verbracht. Wir haben jeden Abend in einem teuren Restaurant diniert, sind nach dem Frühstück weggefahren und haben lange Spaziergänge auf seinem Anwesen gemacht. Wir haben Händchen gehalten, haben geredet und uns geküsst …“ Schmerz leuchtete in ihren Augen. „Wir waren wie ein Liebespaar, nur dass wir das in Wirklichkeit nicht waren, glaube ich.“

„Glaubst du?“, fragte Alicia scharf.

„Ich weiß es“, räumte Lindy schnell ein. „Ich weiß, dass wir kein Liebespaar waren. Aber, Alicia, ich war so sehr in ihn verliebt!“

„Und das hat er ausgenutzt!“

„Nein! So etwas würde er nie tun! Ich glaube noch immer, dass er für mich etwas empfunden hat! Nur … er hat nicht genug empfunden!“

„Wie endete es, Lindy?“, fragte Alicia behutsam. Sie litt mit ihrer Nichte, in deren Augen sie den Schmerz der Ablehnung sah.

„Furchtbar. Weißt du, Isabelle Janvier kam zurück, um alles wiedergutzumachen. Jean-Marc ließ mich fallen und ging mit ihr aus. Ich war so verletzt und wütend, dass ich ihm eine große Szene und Vorwürfe gemacht habe …“

„Er hat natürlich alles abgestritten!“, sagte Alicia mit kalter Verachtung.

„Ja.“ Lindy nickte kläglich. „Er sagte mir auch, ich müsse sofort gehen. Er hat sogar meine Eltern angerufen, um ihnen zu sagen, dass ich heimkäme. Ich bin wie eine Leiche nach Hause geflogen und dachte nur: Wie konnte er mir das antun?“ Also rücksichtslos, dachte Alicia. Diesen Typ kannte sie. Sie hatte mit jemandem, der so ähnlich war, zu tun gehabt, als sie in Lindys Alter war. Und sie erinnerte sich an den Schmerz, den sie selbst damals erlitten hatte.

Sich mit siebzehn in einen kultivierten, wichtigen und sexuell attraktiven Mann zu verlieben, war, als liefe man in einen langen stählernen Dorn und würde sich selbst pfählen.

Der Satz „Wie konnte er mir das antun?“, war ihr nur zu vertraut. Genauso hatte Alicia auf die brutale Handlung eines Mannes reagiert, der sich ähnlich verhalten hatte. Sie erinnerte sich voller Wut dabei an Tony Ratchet.

Alicia strich ihrer Nichte das Haar aus dem Gesicht und sagte: „Gräme dich nicht zu sehr darüber, Kleine. Männer wie Brissac sind alle gleich. Sie nehmen sich, was sie wollen, und sind schrecklich charmant dabei. Aber wenn du erst einmal deinen Zweck erfüllt hast …“, ihre Augen wurden ganz dunkel vor Zorn, „… werden sie immer rücksichtslos.“

„Ja.“ Lindy schaute zu ihr auf, ihr Mund bebte. „Genauso empfand ich es! Als ob er mich aufgespießt und hinausgeworfen hätte. Er war rücksichtslos. Und so brutal …“

Alicias Herz verkrampfte sich vor Mitgefühl und Zorn. Sie hatte das Bedürfnis, ihre junge Nichte zu beschützen. Lindy war Susannahs Tochter – und Susannah war die Einzige, die Alicia von ihrer Familie geblieben war.

Alicia hatte kein leichtes Leben gehabt. Ihre Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie siebzehn gewesen war. Und zu jener Zeit hatte sie ihre Erfahrung mit Tony gemacht, der genau der gleiche Typ wie Jean-Marc Brissac war.

Natürlich hatte ihre Schwester Susannah ihr helfen wollen, doch Alicia war immer unabhängig und stolz gewesen. Während sie sich von dem doppelten Schock erholte, hatte sie sich eine weitere Charaktereigenschaft angeeignet: Ehrgeiz.

Liebe war etwas für Narren, und Alicia war entschlossen, nie wieder eine Närrin zu sein.

„Armes Baby“, sagte sie und streichelte Lindys Haar.

„Bitte nenn mich nicht so!“, sagte Lindy hitzig und entzog sich ihr.

Alicia ließ ihre Hand fallen. „Entschuldige …“

Lindy senkte schuldbewusst ihren Kopf. „Ich fühle mich eben nicht mehr wie ein Baby, Tante Alicia. Ich bin fast achtzehn. Und ich bin in den Letzten der Großen Französischen Liebhaber verliebt!“ Sie hob ihren Kopf mit einem Stolz, der Alicia zusammenzucken ließ. „Er liebt mich vielleicht nicht, aber ich liebe ihn wie eine Frau, und das macht mich zur Frau. Auch wenn er brutal zu mir war – er hat mich das erste Mal Liebe kosten lassen, und ich bin stolz darauf, dass er es war.“

Alicia war entsetzt, und sie sagte: „Lindy, mach es dir nicht noch schwerer! Du solltest Verachtung für ihn empfinden, nicht Liebe!“

„Tja, wenn ich so reagierte“, sagte Lindy leidenschaftlich, „dann würde ich wie du enden, oder? Zu schön zum Anfassen und zu kalt zum Heiraten, weil dir deine Karriere wichtiger ist als Liebe, Ehe und Kinder.“

Ein betroffenes Schweigen setzte ein. Alicia starrte zutiefst verletzt ihre Nichte an. Nicht, dass sie die Wahrheit ihrer Worte geleugnet hätte: Sie hatte ihr Leben bewusst so geplant und hatte nicht die Absicht, sich dafür zu entschuldigen.

„Lindy“, sagte Alicia langsam, bemüht, sich nicht verletzt zu fühlen, „vergiss nicht, dass ich mit David Balham verlobt bin. Ich will ihn heiraten.“

„Aber du liebst ihn nicht!“, sagte Lindy hitzig. „Das sieht doch jeder!“

„Ich liebe David“, erwiderte Alicia, durch Lindys Attacke aus dem Konzept gebracht. „Er ist nett, einfühlsam und lässt mich so leben, wie ich es will. Wir werden sehr glücklich sein, wenn wir heiraten. Wir brauchen nicht die große Leidenschaft füreinander – uns verbindet Freundschaft.“

„Aber sehnst du dich nicht danach, verliebt zu sein?“, fragte Lindy heiser. „Den Kopf zu verlieren? So viel zu empfinden, dass du nachts nicht schlafen kannst? Krank vor Liebe zu sein? Dass dein Herz dauernd schnell schlägt …“

„Nein“, sagte Alicia, entsetzt von dem bloßen Gedanken. „Lieber würde ich sterben, als die Kontrolle zu verlieren.“

Lindys Blick wanderte an ihr vorbei. Sie hielt den Atem an und schaute durch die Doppeltür über ihre Schulter.

Stirnrunzelnd drehte Alicia sich um und sah dort den widerlichen Jean-Marc Brissac stehen, der sie unter halb gesenkten Lidern mit stahlgrauen Augen beobachtete. Er stand sehr selbstsicher in der Tür, die Hände tief in den Taschen seines blaugrauen Anzuges vergraben.

Ein sardonisches Lächeln spielte um seinen Mund. Abschätzend glitt sein Blick über ihren Körper und ließ ihren Puls schneller schlagen.

„Hallo, Lindy.“ Seine Stimme war tief, rauchig und kehlig. „Willst du mich deiner Freundin nicht vorstellen? Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“ Er trat einen Schritt vor. „Mademoiselle …?“Alicia ignorierte ihn, wandte sich wieder ihrer Nichte zu und sagte: „Hilfst du mir, David zu suchen? Ich glaube, ich sollte gehen.“

„Ich …“, stammelte Lindy und starrte den französischen Multimillionär an. „Ich sollte dich Monsieur Brissac vorstellen.“ Errötend trat sie einen Schritt vor. „Jean-Marc, das ist meine Tante – Alicia Holt.“

Enchanté, Mademoiselle Holt“, sagte Jean-Marc langsam. Seine grauen Augen wurden schmal, und er runzelte die Stirn. „Verzeihen Sie, aber kennen wir uns nicht?“

„Nein“, sagte Alicia eisig. „Komm, Lindy.“ Sie fasste Lindy am Arm, entschlossen, sie nicht diesem rücksichtslosen Kerl zu überlassen.

Lindy schüttelte ihre Hand ab. „Ich muss mit Jean-Marc allein sprechen!“, sagte sie.

Jean-Marc Brissac runzelte die Stirn. Sein Blick wurde hart, während er sie musterte, doch er versuchte nicht, sie aufzuhalten, obwohl er wissen musste, dass sie sich nur zum Narren machen würde, wenn sie blieb.

Alicia blickte ihn voller Abneigung an. „Also gut“, sagte sie. „Ich werde draußen auf dich warten.“

Als sie auf Jean-Marc Brissac zuging und seinen Blick abschätzend bemerkte, spürte Alicia wieder diese unerklärliche Wut in sich aufsteigen. Angewidert verzog sie ihren roten Mund.

Der heiße Sommersonnenschein wärmte ihre nackten Schultern, als sie in den Garten hinaustrat. Männer warfen ihr im Vorbeigehen bewundernde Blicke zu, doch sie ignorierte sie. Ihre einzige Sorge war, wie sie Lindy vor dem Wolf retten konnte.

Sie sah David, der Champagner trank und ein Lachssandwich aß. Er lehnte, mit grauem Anzug bekleidet, an einer Wand, genoss den Sonnenschein und den Anblick all dieser reichen, gut aussehenden Gäste, schaute sich mit einem Lächeln um und freute sich offensichtlich über diese exklusive Gesellschaft.

„Liebling!“ Seine blauen Augen leuchteten, als er sie sah. „Wie läuft es? Hast du viele Geschäfte gemacht? Millionen-Dollar-Verträge geschlossen?“

Alicia ergriff seine Hand. „David, ich muss dich um einen Gefallen bitten. Ich möchte, dass du Lindy von Jean-Marc Brissac wegholst. Er ist allein mit ihr im Salon, und ich glaube …“

„Möchtest du geschäftlich mit ihm reden?“ David biss in sein Sandwich.

„Nein“, sagte Alicia grimmig. „Das ist persönlich. Lindy ist in ihn hoffnungslos verknallt, und ich habe Angst, sie mit ihm allein zu lassen.“

„Du verhätschelst dieses Mädchen“, sagte David. „Das ist mir schon mehrfach aufgefallen. Du küsst sie und nennst sie Baby – das ist mehr, als du mir gibst!“ Er lächelte, und seine blauen Augen wirkten belustigt. „Siehst du in ihr ein Ersatzkind, Alicia?“

Alicia erbleichte und sagte heiser: „Wenn du mir nicht hilfst, dann werde ich mich eben selbst darum kümmern müssen!“ Sie wandte sich ab und ging.

David folgte ihr. „Es gibt doch keinen Anlass dafür, dass du dich wie eine Löwin auf sie stürzt, die ihr Junges beschützen will!“

„Glaubst du, ich würde zulassen, dass er sie wieder verführt?“

„Wieder!“ Davids Augen wurden groß. „Liebling, heißt das, dass er sie bereits …“

„Nein“, funkelte Alicia. „Aber …“ Sie erzählte kurz, was Lindy ihr berichtet hatte.

„Ach, Alicia!“ David runzelte die Stirn. „Es ist doch klar, was da passiert ist! Er war nett zu ihr, und sie hat eine Riesenliebesaffäre daraus gemacht! Das gibts doch ständig.“

„Aber nicht mit meiner Nichte!“, erwiderte sie. „Und ganz sicher nicht mit dem Letzten der Großen Französischen Liebhaber.“

David schüttelte den Kopf. „Schau mal – der Mann hat doch so viele Frauen, dass er gar nicht weiß, was er damit anfangen soll. Ihm gehört die halbe Finanzwelt. Er lädt Staatsoberhäupter auf sein Château ein. Letztes Jahr hätte er fast eine arabische Prinzessin geheiratet. Was, in Gottes Namen, soll er denn an einem Kind wie Lindy finden?“

„Er hatte Langeweile“, sagte Alicia ängstlich. „Und sie war gerade da. Das fand er an ihr, David. Und ich möchte verhindern, dass das wieder geschieht.“ Für weitere Erklärungen blieb keine Zeit, und so ging sie mit pochendem Herzen wieder in den Salon.

Doch Lindy war allein dort, in Tränen aufgelöst.

„Ist alles …?“ David kam zu Alicia geeilt, blieb neben ihr im Türrahmen stehen, schaute sich um und schnalzte mit der Zunge. „Ach … arme kleine Lindy!“ Er ging zu ihr, nahm sie in die Arme und zog sie an sich.

Alicia drehte sich um und hielt im Garten nach Jean-Marc Ausschau. Sie brauchte nicht lange zu suchen.

Er überragte alle anderen Männer, und seine selbstbewusste und arrogante Haltung vermittelte eine maskuline Autorität von gewaltiger Kraft.

Seine Macht über Frauen war legendär. Sein Einfluss in der Finanzwelt war ungeheuer. Seine Macht als Mann spiegelte sich in jeder Furche seines hart geschnittenen, schönen Gesichts und seinen stahlgrauen Augen wider.

Alicia spürte plötzlich einen so heftigen Drang, diese Macht zu brechen, dieses gewaltige Ego zu beugen und etwas von dieser Selbstsicherheit zu zerschlagen, dass sie sichtlich zu zittern begann.

Er spürte das und warf ihr einen scharfen Blick zu. Alicia erwiderte diesen Blick und sah, dass sich seine Augenbrauen hoben.

David trat zu ihr in den Türeingang. „Liebling, die arme Lindy ist …“

„Lass das!“, sagte Alicia heiser und entzog sich seiner Umarmung. „Hol den Wagen! Ich will hier weg!“

„Liebling, ich weiß, dass du erregt bist.“ David berührte ihre blasse Wange. „Aber Lindy wird sich bestimmt wieder fangen. Wie wir alle.“

„Ich will gehen“, sagte Alicia, denn natürlich wusste sie, dass das nicht wahr war. Wir werden uns nicht wieder fangen, dachte sie, während sie Jean-Marc Brissac anschaute.

Manche Menschen fangen sich nie wieder. Manche sind einfach zu verwundbar.

2. KAPITEL

In der folgenden Woche fühlte sie sich zerschlagen. Alicia, die normalerweise kühl und effektiv arbeitete, stellte fest, dass sie wütend die Entwürfe auf dem Schreibtisch anstarrte und an das rücksichtslose Gesicht von Jean-Marc Brissac dachte, an die kalte Art, wie er die arme Lindy fallen gelassen hatte, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte. Die Tage zogen sich hin, und sie versuchte vergeblich, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und ihren üblichen Rhythmus wiederzufinden. Am Freitag war sie mit ihren Terminen weit im Rückstand.

Ihr Büro lag in Kensington. Mit siebzehn hatte sie das Haus von ihrem Vater geerbt und sofort gewusst, dass aus der kleinen Maßschneiderei für Männerhemden eine weitaus profitablere Damenmoden-Boutique zu machen sei.

Alicia war schon immer künstlerisch veranlagt gewesen. Als sie ihre Familie und den Glauben, lieben zu können, verloren hatte, machte sie ihre Neigung zu ihrem Beruf und wurde Modedesignerin. Es gelang ihr schnell, von einer Boutique-Besitzerin zu einer führenden Modemacherin zu avancieren. Im vergangenen Jahr, gerade fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sie den begehrten Preis des Vielversprechendsten Nachwuchstalentes für Europäische Mode gewonnen.

Der Preis stand in ihrem Büro auf dem schwarzen Art-déco-Kaminsims. Darüber hing ein Foto, auf dem sie bei der Preisverleihung zu sehen war, den ihr Allie Makrett, die europäische Topdesignerin überreichte.

Am Freitagnachmittag starrte sie auf den Preis und das Foto und erinnerte sich an Lindys Worte: „Zu schön zum Anfassen, zu kalt zum Heiraten, weil du Karriere statt Liebe, Ehe und Kinder willst.“

Alicia erschauerte. Das schwarz-weiß gewürfelte Nicole-Farhi-Minikleid, das sie trug, war in der neuen Vogue vorgestellt worden, und sie sah umwerfend schön darin aus. Zu schön zum Anfassen …?

Als David um sechs kam, um sie abzuholen, sagte er: „Alles in Ordnung, Liebling? Du wirkst ziemlich beschäftigt.“

„Ein schwerer Tag.“ Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und runzelte die Stirn. „David – findest du, ich sei zu schön zum Anfassen?“

Er lachte und ließ den Motor an. „Sicher nicht! Warum fragst du?“

Ihre Lider flatterten. „Es ist etwas, was Lindy zu mir sagte.“ Sie konnte plötzlich das unbefriedigende Gefühl nicht mehr unterdrücken, das sie die ganze Woche verfolgt hatte. „Liebling – ich muss raus aus dieser Stadt.“

Er grinste. „Ist das eine Einladung für ein unschickliches Wochenende?“

„Sei nicht albern“, sagte sie und hob die Brauen.

„Warum ist das albern?“ Er seufzte schwer. „Wir sind schließlich verlobt und wollen heiraten, Alicia.“

„Und wir werden bis zur Hochzeit platonisch leben“, erwiderte Alicia heftig. „Ich dachte, das sei so abgemacht. Ich glaubte, du würdest das verstehen.“

„Das tue ich ja, aber …“ Er seufzte. „Ich bin manchmal einfach frustriert, Liebling. Ich habe das Gefühl, als könnte ich deine Zurückhaltung nicht brechen, ganz gleich, was ich tue.“

„Meine Zurückhaltung …?“, forschte sie.

Er nahm ihre Hand und küsste sie. „Deine kühle Schönheit, Liebling, ist wirklich beeindruckend.“

Sie starrte ihn an. „Aber du hast mich gefragt, ob ich dich heirate, und ich habe Ja gesagt. Wieso sagst du so etwas?“

Er zuckte die Schultern, während er fortfuhr: „Ich glaube, ich verstehe dich. Ich glaube zu wissen, warum du so unnahbar bist. Du bist sehr ehrgeizig, und du kannst dir nichts leisten, was dich an deinen Plänen hindert. Liebe ganz gewiss nicht.“

Entsetzt wechselte Alicia das Thema, weil sie die Unterhaltung aus Angst davor nicht fortsetzen wollte, dass er noch Schlimmeres sagen würde.

„Nun, Liebling“, sagte sie mit leichtem Lächeln, „in dem Fall ist ein kleiner Urlaub wohl nicht verkehrt.“

Er lachte. „Das ist nun wirklich eine Einladung für ein unanständiges Wochenende.“

„Nein, David, keineswegs“, sagte sie voller Zuneigung, wobei sie seine Hand tätschelte. „Aber es ist eine Einladung für Romantik.“

„Klingt gut!“, lachte David. „Wohin sollen wir fahren?“

„Nach Paris“, sagte Alicia sofort und erkannte plötzlich, dass sie die ganze Zeit dort gewesen sein wollte. Sie fragte sich, warum, fand aber keine Antwort. Es war einfach ein tiefes Sehnen nach der Stadt der Liebenden …

Am nächsten Tag flogen sie nach Paris. Sie trafen am Nachmittag ein und zogen in das Paris Ritz, diesem eleganten Palast am Place Vendôme, an dem die Legende Cartier ebenso weiterlebte wie die Geister von Hemingway, Fitzgerald und Coco Chanel. Sie hatten getrennte Zimmer, und Alicia blieb ungerührt, als sie an der Rezeption ihre Amex-Goldcard vorlegte und beide Schlüssel in Empfang nahm.

„Wir treffen uns in einer Stunde auf einen Drink in der Bar“, sagte sie zu David. „Ich möchte erst auspacken und ein Bad nehmen.“

David folgte ihr zum Lift. „Ich würde lieber in meiner Suite einen Drink mit dir nehmen. Das ist doch sicher der Sinn dieser Reise? Viel Luxus und ein bisschen Romantik …“

Alicia drückte auf den Fahrstuhlknopf. „Liebling, du weißt genau, dass es gefährlich wäre, wenn wir uns zusammen in einer Suite aufhielten, und es wäre unschicklich.“

„Romantische Wochenenden“, sagte David stirnrunzelnd, „sollten gefährlich und unschicklich sein.“

„Aber nicht bei mir!“ Alicia schaute ihn düster an und stieg in den Lift.

David hielt sie am Handgelenk fest und zog sie zurück. „Alicia, um Himmels willen! Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich dich unter diesen Umständen nicht anrühre.“

Alicia erschauerte von Kopf bis Fuß, hatte Angst davor, dass er in dem luxuriösen Foyer eine Szene machen würde. „David, bitte!“

„Nein!“, sagte er leise, aber entschlossen. „Ich lasse dich nicht gehen! Nur wenn ich in deine Suite kommen darf!“

Alicia atmete ruhig ein. Ihr Gesicht war gerötet. Sie war sich wohl bewusst, dass die Leute schauten und lauschten. David wusste genau, dass sie Szenen in der Öffentlichkeit hasste.

„Also gut“, sagte sie seufzend, „komm in einer Stunde auf mein Zimmer.“ Sie nannte ihm ihre Zimmernummer.

Sie machte auf ihren makellosen Charles-Jourdan-Absätzen kehrt, trat wieder in den Lift und fuhr, verärgert über sein Verhalten, in die siebte Etage. Wer hätte gedacht, dass David im Stande war, eine Szene zu machen? Er war sonst immer so sensibel und verständnisvoll gewesen.

Als sie in den kühlen, ruhigen Luxus ihrer Suite trat, warf sie ihren Schlüssel auf die Chaiselongue und ging ins Bad, um die Wasserhähne aufzudrehen. Die Toilettenartikel waren wie in einer exklusiven Parfümerie in einem Korb arrangiert. Alicia goss Designerschaumbad in das rauschende Wasser und musterte gleichgültig die teure Seife.

Der Gepäckträger brachte ihren Louis-Vuitton-Koffer. Alicia öffnete ihn, packte ihn aus, legte dann ihre Kleidung ab und begab sich nackt ins Badezimmer.

David würde frühestens in vierzig Minuten kommen. Sie ließ sich in das duftende Wasser sinken, schloss die Augen und dachte darüber nach, warum sie hierhergekommen war.

Autor

Sarah Holland
Sarah Holland kann auf einen beeindruckenden Werdegang zurückblicken, ihr wurde das kreative Talent offenbar schon in die Wiege gelegt: Als Tochter eines erfolgreichen Journalisten und einer Bestsellerautorin romantischer Romane kam sie früh mit dem Schreiben in Kontakt. Als Jugendliche zog sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern von London...
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