Mein Herz ist frei

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Camilla ist froh nach ihrer unglücklichen Ehe nur noch für ihren kleinen Adoptivsohn da sein zu können. Ihre feste Überzeugung, dass die Liebe kein Thema mehr für sie ist, wird schon bei der ersten Begegnung mit dem faszinierenden Bauunternehmer Michael D'Alessandro tief erschüttert. Er verhält sich ganz anders als die Männer der High-Society, die Camilla Michaels maskuline Ausstrahlung versetzt sie in tiefe Unruhe: Moralische Prinzipien, die ihr ganzes Leben prägten, werden außer Kraft gesetzt! Camilla ist entschlossen, Michael zu verführen...


  • Erscheinungstag 14.12.2012
  • Bandnummer 1541
  • ISBN / Artikelnummer 9783864947537
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Ursprünglich hatte Mike das Kind nur beobachten wollen. Aus der Ferne. Um sich zu vergewissern, dass es dem Jungen gut ging. Danach würde er seine Exfrau, die im Sterben lag, ein letztes Mal besuchen und sie beruhigen, was das Wohlergehen ihres gemeinsamen Sohnes betraf. Anschließend wollte er den ersten Flug von San Francisco nach Vancouver nehmen, ohne irgendjemandem zu erzählen, dass seine Frau vor vier Jahren ein Kind von ihm empfangen hatte. Er hatte sich vorgenommen, das alles zu vergessen.

Dies war ihm als die anständigste Lösung erschienen. Die Menschlichste. Denn es war wahrhaftig schon genug Schaden angerichtet worden. Er hatte kein Recht, sich nach so langer Zeit einzumischen und alles noch schlimmer zu machen.

Aber das war gewesen, bevor er das Kind gesehen hatte. Ehe er das ansteckende Lachen des Jungen gehört oder sein schwarzes Haar gesehen hatte, das seinem so ähnelte. Oder beobachtet hatte, wie der Kleine auf kräftigen, sonnengebräunten Beinchen quer durch den Park zum Karussell gelaufen war.

Danach reichte es ihm nicht mehr, seinen Sohn zu sehen. Nun wollte er ihn berühren, mit ihm sprechen, ihm zuhören. Jetzt hätte er gern alles über die dreieinhalb Jahre seit der Geburt des Jungen erfahren, von dessen Zeugung er nicht einmal gewusst hatte. All die kleinen Dinge: was er gern aß, was sein Lieblingsspielzeug war, ob er Musik mochte. Oder Modellbaueisenbahnen. Ob er Fußball spielen, Inlineskates fahren oder schwimmen konnte.

Einige Meter neben der Stelle, von der aus Mike zusah, stand die ‘Mutter’ des Kleinen und winkte diesem zu, während er auf einem bemalten Holzpferd vorbeiritt.

“Halt dich gut fest”, rief sie ihm mit glockenheller Stimme zu.

Halt dich gut fest! Für Mike enthielten die Worte bittere Ironie. Wenn er und Kay einander gut festgehalten hätten, würde er jetzt nicht hier stehen und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie er möglichst unverfänglich ein Gespräch beginnen konnte.

Er spürte bereits, wie ihn die Menschen misstrauisch beobachteten und sich fragten, wer der Fremde war. In einer so kleinen und wohlhabenden Stadt wie dieser fiel ein Mann in Jeans in der Menge ebenso auf wie sein gemieteter Mittelklassewagen unter all den Limousinen auf dem schattigen Parkplatz.

Als das Karussell hielt, befand sich der Junge auf der gegenüberliegenden Seite an der Stelle, die von seiner Mutter am weitesten entfernt war. Sie stand auf Zehenspitzen. Der Rock ihres leichten Sommerkleids bauschte sich im Wind.

Sie winkte, damit der Junge sie bemerkte. “Hier, Jeremy!”

Jeremy? Es gab schlimmere Namen. Aber er, Mike, hätte einen anderen ausgesucht. Ein Junge brauchte einen Namen, der gut zu ihm passte, wenn er ein erwachsener Mann war. Der Kraft und Männlichkeit vermittelte. Wie ‘Michael’. Und einen Nachnamen, der etwas über seine Vorfahren aussagte. Wie ‘D’Alessandro’.

Jeremy rutschte von dem Karussellpferd und lief schnell auf seine Mutter zu. Er stolperte und fiel ihm direkt vor die Füße. Ohne nachzudenken, bückte Mike sich und hob ihn wieder hoch.

Der Kleine hatte Grasflecken an den Knien und im Gesicht noch einen Anflug von Babygrübchen. Er war ein kräftiger kleiner Kerl. Seine dunkelbraunen Augen erinnerten Mike an Kay.

Und plötzlich überkamen ihn unbeschreibliche Empfindungen, ein Gefühl des Verlusts, das so stark war, dass er die Luft anhalten musste, um den Schmerz ertragen zu können. Dieser Junge, der jetzt erschreckt von ihm wegstrebte, war sein eigen Fleisch und Blut! Er hätte ihn so gern beruhigt, ihn an sich gedrückt und ihm zugeflüstert: Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, mein Sohn. Ich bin doch dein Vater.

Stattdessen sagte er leise: “Hallo, Kleiner”, und verstummte dann verlegen, weil er bei diesem Kind darauf achten musste, was er sagte. Bei den vierjährigen Zwillingen, seinen Neffen, fehlten ihm nie die Worte.

Ein Schatten fiel auf das Kind.

“Komm, Jeremy.” Ihre Stimme klang leicht beunruhigt, allerdings immer noch melodiös. Die Frau zog den Kleinen an sich, und Mike sah, dass sie schmale Hände mit langen, schlanken Fingern hatte. Die ovalen Fingernägel waren hellpink lackiert.

Er hob den Kopf und begegnete dem misstrauischen Blick silbrig blauer Augen, die von langen, dichten Wimpern gesäumt waren. Dann richtete er sich auf, trat einen Schritt zurück und bemerkte locker: “Er hat einen ziemlichen Sturz gebaut, aber ich glaube nicht, dass er sich verletzt hat.”

Sie war zu wohlerzogen, um ihm zu sagen, dass er sich die Bemerkung sparen und gefälligst die Finger von ihrem Kind lassen sollte, doch ihr kühler Tonfall sagte alles. “Ich bin sicher, dass ihm nichts passiert ist. Vielen Dank für Ihre Mühe. Jeremy, bedank dich bei dem Herrn dafür, dass er so freundlich war, dir zu helfen.”

“Vielen Dank”, wiederholte Jeremy brav. Jetzt, da er sich am Bein seiner Mutter festhalten konnte, musterte er ihn offen und neugierig, wie jeder normale Dreijährige es getan hätte.

Mike hätte ihm gern durch das dichte schwarze Haar gestrichen, aber das kam nicht infrage. Sie beobachtete ihn viel zu aufmerksam. Ihr Mutterinstinkt war offenbar stark ausgeprägt.

Deshalb hakte er die Daumen in die Gesäßtaschen seiner Jeans und rang sich ein Lächeln ab, das, wie er hoffte, nicht allzu künstlich wirkte. “Gern geschehen, Kleiner.”

“Dann …” Die Mutter nahm das Kind an die Hand und wandte sich zum Gehen. “Wir müssen weiter. Nochmals vielen Dank.”

“Keine Ursache.”

Er sah ihnen nach. Sie hielt sich gerade, während der Junge begeistert und unbefangen neben ihr herhüpfte.

Das war’s, du hast erledigt, weswegen du hergekommen bist, dachte Mike. Dein Sohn ist gut gekleidet, wohlgenährt und gut erzogen. Seine Mutter vergöttert ihn offensichtlich. Überbring Kay die Nachricht, halte dich an deinen Plan, und vergiss diesen Nachmittag.

“Daraus wird nichts”, sagte er leise vor sich hin, während er den beiden nachsah. Sie standen in der Schlange am Büffet unter der gestreiften Markise an.

Die Szene war perfekt. So perfekt, dass es ein Gemälde hätte sein können. Schade nur, dass sie die Erinnerung an das Krankenzimmer im ‘St. Mary’s Hospital’ in San Francisco und an Kays ausgemergeltes, von der Krankheit gezeichnetes Gesicht nicht auslöschen konnte.

Ihr Leiden war durch ihre Sorgen noch verschlimmert worden. “Ich habe ihn weggegeben”, hatte Kay geflüstert. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt und nervös mit den Händen über die dünne Bettdecke gestrichen. “Eine Schwangerschaft, als ich gerade neu anfing … und ich hatte so ehrgeizige Pläne. Ich stand kurz davor, meinen Traum zu verwirklichen. Ja, ich konnte den Erfolg praktisch schon riechen. Ich hätte nicht noch ein Baby aufziehen können, Mike. Nicht zu dem Zeitpunkt.”

Aber ich hätte mich um das Baby gekümmert, dachte er bitter. Der Moment mit Jeremy hatte es ihm gezeigt. Er konnte genauso wenig weggehen und den Jungen vergessen, wie ein Verhungernder die angebotene Nahrung verweigern würde.

“Wer ist denn dein heimlicher Bewunderer, Camilla?”, fragte Frances Knowlton amüsiert.

“Ich habe keine Ahnung, von wem du sprichst”, antwortete Camilla kühl. Dass sie gleichzeitig tief errötete, strafte ihre Worte Lügen.

“Ach, tu nicht so. Du redest doch mit mir.”

Sie hätte sich denken müssen, dass sie Frances, mit der sie bereits seit dem Kindergarten befreundet war, nichts vormachen konnte.

“Wenn du von dem Mann an dem Tisch dort drüben sprichst, den habe ich vorhin zufällig beim Karussell getroffen. Er hat Jeremy geholfen.” Camilla vermied es, zu seinem Tisch hinüberzusehen, obwohl sie den Unbekannten liebend gern mit Blicken verschlungen hätte.

“Was ohne Weiteres erklärt, warum du knallrot wirst und nicht mehr weißt, wo du hinschauen sollst, kaum dass ich ihn erwähnt habe. Ich muss sagen, ich kann’s dir nicht verübeln.” Fran, die nie viel auf Benimmregeln gab, schob ihre Sonnenbrille nach unten und musterte den Fremden unverhohlen. Dann tätschelte sie Adam, ihrem Mann, unter dem Tisch das Knie. “Wenn ich nicht bereits mit dem attraktivsten Mann der Welt verheiratet wäre, würde ich mir diesen blauäugigen Supermann sichern, ehe ihn mir eine andere wegschnappt. Dich eingeschlossen, Camilla.”

Er hatte wirklich fantastische Augen, wie Camilla zugeben musste. Sie waren nicht blaugrau wie ihre, sondern leuchtend blau. Genau in diesem Moment sah er sie an, und sie spürte förmlich seine Energie.

“Ist es nicht eine Schande, dass der arme Mann ganz allein hier ist, genau wie du?”, bemerkte Fran und stand auf. “Ich denke, in einer Kleinstadt ist es ist eine Frage der Gastfreundschaft, etwas dagegen zu tun.”

Camilla spürte, wie sie errötete. “Bitte nicht, Fran. Erstens bin ich nicht allein, Jeremy ist doch da. Und außerdem …”

Sie hätte sich die Worte sparen können. Fran stand bereits zwei Tische weiter und sprach den Fremden an. Er reagierte mit einem strahlenden Lächeln. Einen Moment später kam er, seinen Teller in der Hand, zu ihnen herüber. Verlegen senkte Camilla den Blick.

Fran setzte sich neben ihren Mann, sodass dem Fremden nur der Platz neben Camilla blieb.

Adam beugte sich vor und flüsterte ihr zu: “Am besten machst du gute Miene zum bösen Spiel. Gleich stellt sie euch einander vor.”

So erfuhr Camilla, dass er D’Alessandro hieß, geschäftlich unterwegs war und zwischendurch einige Tage Urlaub machte. Er lebte nördlich der Landesgrenze in Vancouver, besaß eine Baufirma und interessierte sich hauptsächlich für die Errichtung von Wohnhäusern. Die kalifornische Bauweise war in Kanada sehr beliebt, und er reiste umher, um Angebote von Architekten für eine ganze Siedlung einzuholen.

Er hatte Calder zufällig entdeckt und fand es sehr schön. Als er hörte, dass Adam Architekt und Spezialist für den Bau von erdbebensicheren Häusern war, freute er sich.

Auf Frans nicht sehr subtile Fragen antwortete er offen und charmant. Ob er verheiratet wäre? Nein, nicht mehr. Ob er allein reiste? Ja. Ob er auf der Durchreise wäre oder eine Weile bleiben wäre? Er wäre flexibel, denn da er sein eigener Chef war, konnte er tun und lassen, was er wollte.

Er fand sogar Zeit, sich mit Jeremy zu beschäftigen, und hatte sofort einen Draht zu dem Kleinen. Man merkte, dass er den Umgang mit Kleinkindern gewohnt war. Jeremy reagierte begeistert, lachte sein ansteckendes Lachen und zählte mit dem ganzen Stolz eines Dreijährigen all seine Errungenschaften auf.

“Ich kann schon schwimmen”, verkündete er. “Und ich hab einen Fußball, und gestern war ich beim Friseur.”

Michael D’Alessandro hörte es sich aufmerksam und interessiert an. Camilla war beunruhigt. Und fasziniert von seinem strahlenden Lächeln, dem hypnotisierenden Blick und seiner warmen, verführerischen Stimme.

Verführerisch? Wie kam sie denn darauf? Hatte sie einen Sonnenstich? Sex und romantische Beziehungen hatte sie doch vollständig gestrichen. Ihre Liebe gehörte ausschließlich Jeremy, seit Todd sie und das Kind verlassen hatte.

“Was ist denn das für ein Picknick am Wochenende? Oder trifft sich Calder jedes Wochenende zum gemeinsamen Krebsessen?”

Fran trat ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass der Mann mit der verführerischen Stimme sie endlich direkt angesprochen hatte. Verwirrt senkte Camilla den Blick und betrachtete seine Hände.

Er besaß die Hände eines Arbeiters, groß, kräftig und braun gebrannt. Als konnte er zupacken und seinen Mann stehen. Er trug ein weißes T-Shirt und verwaschene Jeans. Kein Vergleich mit Todd, der in der Sonne krebsrot wurde und glaubte, Muskeln passten nur zu Männern, die nichts im Kopf hatten.

“Erzähl Michael vom Frauenhaus, Camilla”, forderte Fran sie auf.

“Ein Frauenhaus?” Er drehte sich etwas zur Seite, um Camilla ins Gesicht sehen zu können, und berührte dabei ihren Arm.

Sie fand es schon beunruhigend genug, dass sein Blick auf ihr ruhte. Dass er sie obendrein berührte, brachte sie vollends durcheinander.

“Ich …” Sie verstummte. Dann versuchte sie es noch einmal. “Wir … Also, wir sind eine Gruppe, die … Wir haben uns gedacht, dass das Projekt unterstützungswürdig ist.”

“Sie ist viel zu bescheiden”, mischte sich Fran ein. “Camilla sucht als Vorsitzende des Spendenkomitees neue Sponsoren. Eigentlich hat sie das Ganze ins Rollen gebracht, und wir haben es ihr zu verdanken, dass das Projekt so erfolgreich ist.”

Camilla schluckte und schwor sich, Fran bei der nächsten Gelegenheit zu erwürgen.

“Tatsächlich?” Fältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln, als er ihr ein umwerfendes Lächeln schenkte. “Ich hätte nicht gedacht, dass in einer Stadt wie Calder Bedarf für ein Frauenhaus besteht.”

“Es befindet sich auch nicht in Calder, sondern in San Francisco”, sagte Camilla.

“Ach so.” Er senkte kurz den Blick und wirkte einen Moment lang traurig. Für einen Mann hatte er geradezu lächerlich lange Wimpern. Und ganz gerade Augenbrauen, die ebenso schwarz waren wie sein Haar, dem ein Haarschnitt gut getan hätte.

Um ihn nicht länger so neugierig anzusehen, wandte sich Camilla Jeremy zu, der links von ihr saß. Sie war erleichtert, dass die Unterhaltung offenbar im Sande verlief.

Doch Fran wusste das zu verhindern. “Wenn Sie das Projekt unterstützen möchten, kaufen Sie eine Eintrittskarte für unseren diesjährigen Wohltätigkeitsball am kommenden Samstag”, forderte sie ihn auf. “Sie werden sich sicher gut unterhalten. Eine erstklassige Cateringfirma wird für das leibliche Wohl sorgen, es gibt Livemusik zum Tanzen und eine Tombola mit tollen Preisen. Und das Beste ist – Sie können die gesamten Kosten von der Steuer absetzen.”

“Nicht Mr. D’Alessandro”, warf Camilla schnell ein. “Er wohnt ja nicht in den USA. Außerdem bezweifle ich, dass er eine Veranstaltung besuchen möchte, bei der er niemanden kennt.”

“Sie kenne ich immerhin.” Michael D’Alessandro lächelte ihr strahlend zu. “Vielleicht nicht sehr lange, aber gut genug, dass ich Sie gern besser kennenlernen würde.”

Fran ergriff die Gelegenheit sofort beim Schopf. “Ist es nicht erstaunlich, wie sich die Dinge manchmal ganz von selbst erledigen? Vor knapp einer Stunde hat mir Camilla erzählt, dass sie noch keinen Begleiter für den Abend hat. Sie würden ihr einen doppelten Gefallen tun, wenn Sie nicht nur eine Eintrittskarte kaufen, sondern sie außerdem begleiten würden.”

“Also wirklich, Fran!” Camilla warf ihrer Freundin einen wütenden Blick zu. “Du brauchst mir keinen Mann zu verschaffen, und ich bin sicher, dass Mr. D’Alessandro sich nicht gern so erpressen lässt. Also Schluss jetzt mit dem Thema.”

“Ich fühle mich nicht erpresst”, widersprach er. “Ich bin nur überrascht, weil ich dachte, dass Ihr Mann Sie begleitet.”

“Ich habe keinen Mann. Wir sind seit zwei Jahren geschieden.”

Einen Moment lang wirkte er sprachlos. Sie verstand nicht ganz, warum. Viele Menschen ließen sich scheiden. Was war daran so erstaunlich?

Doch er fing sich schnell wieder. “In dem Fall wäre es mir eine Ehre, wenn ich Ihr Begleiter sein dürfte.”

“Das kann ich nicht annehmen. Sie machen schließlich Urlaub und haben wahrscheinlich am Samstag schon etwas anderes vor.”

“Nein, zufällig nicht. Jedenfalls nicht am Abend. Aber vielleicht befürchten Sie, dass ich Ihnen beim Tanzen auf die Füße trete …”

“Darum geht’s nicht.”

“Worum dann?” Er sah sie fragend an.

“Um alles!” Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie so aufgebracht war. “Selbst wenn ich außer Acht lasse, dass wir uns kaum kennen, muss ich zugeben, dass ich seit über zehn Jahren nicht zur Singleszene gehöre.”

“Vielleicht wird es Zeit, dass Sie sich wieder an die Vorstellung gewöhnen”, antwortete er ernst.

Noch vor wenigen Minuten hätte sie das strikt von sich gewiesen. Aber seine Stimme klang so warm, und er sah sie so freundlich und verständnisvoll an, dass sie plötzlich dachte: Warum eigentlich nicht?

“Ja, vielleicht”, stimmte sie ihm zu. “Okay also. Sofern Sie nächste Woche noch in Calder sind und Ihre Meinung nicht geändert haben, freue ich mich, wenn Sie mich begleiten.”

Schließlich würden sie nicht allein dort sein. Falls sie überhaupt kein Gesprächsthema fanden, gab es noch Fran und Adam und ihre Eltern, mit denen sie sich unterhalten konnte.

Michael D’Alessandro betrachtete sie forschend. “Sie können mit mir rechnen, Camilla”, sagte er. “Ich werde da sein.”

Camilla hatte nicht erwartet, ihn vor dem Ball noch einmal zu sehen, doch schon zwei Tage später traf sie ihn wieder. Sie saß gerade mit Jeremy an einem Tisch vor Dolly’s Café und trank einen Cappuccino, als Michael D’Alessandro vorbeischlenderte.

Er blieb kurz stehen, um sie zu begrüßen. “Jeremy ist ein wirklich netter Junge, Camilla”, bemerkte er dann. “Sie sind sicher sehr stolz auf ihn.”

“Ja, das bin ich.” Plötzlich kam ihr die kurze Antwort unhöflich vor. Deshalb fragte sie: “Möchten Sie sich vielleicht zu uns setzen?”

“Ich wünschte, ich könnte.” Sein Bedauern schien ehrlich. “Aber ich treffe mich in wenigen Minuten mit Adam und zwei seiner Kollegen.”

Etwas später am selben Tag begegneten sie sich im Delikatessengeschäft. “Ich dachte, ich stelle mir etwas zusammen und esse unten am Fluss zu Mittag”, erklärte Michael D’Alessandro. “Es soll dort eine Badestelle geben, die an einem Tag wie heute einen Besuch wert ist.” Als er sah, wie Jeremys Augen bei seinen Worten aufleuchteten, fügte er hinzu: “Vielleicht kann ich Sie überreden mitzukommen?”

“Leider nein”, antwortete Camilla. “Wir haben in einer Stunde unseren halbjährlichen Kontrolltermin beim Zahnarzt.”

Am Dienstagnachmittag hielt er an der Tankstelle am Highway direkt an der Zapfsäule hinter ihr. “Ich bin auf dem Weg nach San Francisco”, teilte er ihr mit. “Besser, ich tanke hier, als im Tunnel oder auf der Brücke über der San Francisco Bay ohne Sprit liegen zu bleiben.”

Wenn es nicht so absurd gewesen wäre, hätte sie geglaubt, er würde es absichtlich so einrichten, dass ihre Wege sich immer wieder kreuzten. Allerdings schien er sich nach seiner kurzen Erklärung viel mehr für Jeremy zu interessieren als für sie. Er machte Witze darüber, dass Jeremy ihr Navigator vom Rücksitz aus wäre, und Ähnliches mehr.

Wie zuvor blühte Jeremy schnell auf. Ohne besonderen Grund erklärte er stolz: “Ich hab schon viele Zähne!”, und riss den Mund weit auf, um sie ihm vorzuführen.

Michael D’Alessandro lächelte breit, und Camilla spürte verärgert, wie ihr Herz heftig zu pochen anfing.

“Ganz klar hast du welche”, sagte er zu dem Kleinen. “Ich wette, dein Zahnarzt hat dir einen Orden verliehen, weil du sie so gut gepflegt hast.” Dann sah er Camilla an. “Ich muss mich auf den Weg machen.”

“Ja.” Sie schenkte ihm ein kühles Lächeln. “Bis Samstag also, falls wir uns vorher nicht mehr begegnen.”

“Wir sehen uns vermutlich übermorgen. Bei den Knowltons. Sie haben mich zum Abendessen eingeladen und angedeutet, dass Sie ebenfalls kommen werden.”

“Tatsächlich? Wir treffen uns meistens donnerstags, aber ich wusste nicht, dass Fran Sie dazu eingeladen hat.”

“Ich glaube, sie hat Mitleid mit mir, weil ich allein unterwegs bin, und nimmt mich ein bisschen unter ihre Fittiche.”

Camilla vermutete, dass Fran noch andere Absichten hegte, wollte ihn jedoch nicht auf dumme Gedanken bringen, indem sie es ihm erzählte.

Fran verteilte den Rest Chardonnay auf die beiden Gläser, streifte ihre Pumps ab und ließ sich in den Sessel neben Camilla fallen. “Na? War der Abend so schrecklich, wie du befürchtet hattest?”

“Schrecklich?” Camilla nippte nachdenklich an ihrem Wein. “Ich würde eher sagen, nutzlos. Wozu machst du dir die Mühe, eine Bekanntschaft mit einem Mann zu kultivieren, der sich nur auf der Durchreise befindet? Es wäre etwas anderes, wenn er nach Calder ziehen wollte.”

“Weil er ein netter Mensch ist. Außerdem sieht es so aus, als würden er und Adam geschäftlich miteinander zu tun bekommen, und als Adams Frau ist es meine Pflicht, seine Geschäftsfreunde zu bewirten.”

“Aber was sollte ich dabei?”

Fran, die gewöhnlich eher direkt als taktvoll war, brauchte lange, bis sie sich zu einer Antwort entschloss. “Wann hast du das letzte Mal etwas im Leben aufregend gefunden, Camilla?”

“Ich brauche keine Aufregung. Davon hatte ich genug, als ich noch versucht habe, meine Ehe zu retten. Heute bin ich mit einem friedlichen und ereignislosen Leben bestens bedient.”

“Dafür bist du viel zu jung und zu schön.”

“Ich bin dreißig, Fran.”

“Genau! Und die meiste Zeit redest und benimmst du dich, als würdest du auf die neunzig zugehen.” Fran beugte sich vor. “Aber heute Abend bist du richtig lebendig geworden. Dein alter Schwung war wieder da. Und wir wissen beide, warum.”

“Wenn du damit andeuten willst, Michael D’Alessandro wäre der Grund …”

“Ja, natürlich. Er hat mit dir geflirtet – wie ein echter Gentleman, wenn ich das anfügen darf –, und er hat erreicht, dass du beinah so tief errötet bist wie in diesem Moment.”

“Du liebe Güte, ich habe nicht geflirtet!”

“Okay, du hast dich ihm nicht in die Arme geworfen, aber ich habe genau mitbekommen, wie du ihn angesehen hast.”

“Er war mein Bridgepartner. Ich wollte ihn davor warnen, zu viel zu riskieren.”

“Ich verstehe”, sagte Fran amüsiert. “Und ich nehme an, als du ihn beim Essen praktisch mit Blicken verschlungen hast, wolltest du ihn nur vor Raupen im Salat warnen.”

Camilla stellte ihr Weinglas mit mehr Schwung ab, als ihm gut tat. “Heute Abend habe ich keine Lust auf diese Diskussion. Ich fahre nach Hause.”

“Dass ich einige Wahrheiten ausspreche, die du lieber nicht hören würdest, ist kein Grund, deinen Ärger an meinem guten Kristallgläsern auszulassen”, bemerkte Fran ruhig. “Außerdem verstehe ich nicht, warum du dich so aufregst. Es ist doch nichts dabei, dass du einen Mann attraktiv findest. Nirgendwo steht geschrieben, dass eine geschiedene Frau sich völlig vom anderen Geschlecht abwenden und leben soll wie eine Nonne.”

“Ich kenne den Mann, um den es geht, gar nicht. Wie oft soll ich dir das noch sagen, bis du es endlich kapierst, Fran?”

“Die meisten Beziehungen zwischen Erwachsenen haben einmal so angefangen, meine Liebe. Worauf es ankommt, ist doch, wie es dann weitergeht.”

“Michael D’Alessandro wird nicht lange genug hier sein, damit ich ihn kennenlernen kann. Zumindest nicht für eine tiefere Beziehung.”

“Dann vergiss die tiefere Beziehung, und gönn dir ein Abenteuer. Es wird Zeit, dass du wieder etwas erlebst, und die Gelegenheit bietet sich geradezu an. Nimm das Leben zur Abwechslung mal leicht, und amüsier dich ein bisschen. Vielleicht findest du Geschmack daran.”

Frans Vorschlag ging Camilla auf der kurzen Fahrt nach Hause nicht aus dem Sinn. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich beschwingt und zum Kichern aufgelegt wie als junges Mädchen. Und das lag gewiss nicht an den zweieinhalb Gläsern Wein, die sie im Lauf des Abends getrunken hatte. Vielleicht war sie wirklich reif für ein Abenteuer? Dann hatte es auch seine Vorteile, wenn sie mit einem Mann experimentierte, der nur auf der Durchreise war. Wenn das Ganze ein Reinfall wurde, würde sie ihm wenigstens nicht ständig begegnen und an die Episode erinnert werden.

Während sie die Alarmanlage anstellte, Nori, Jeremys japanisches Kindermädchen, zu Bett schickte und ein letztes Mal nach Jeremy sah, spielte sie im Geiste mit den Möglichkeiten. Mit Michael D’Alessandro zu der Wohltätigkeitsveranstaltung zu gehen schien ihr gar keine so schlechte Idee mehr zu sein.

Kays Zustand hatte sich bis Freitag dramatisch verschlechtert. Die Chemotherapie hatte nicht angeschlagen, und die Bestrahlungen wirkten auch nicht.

“Wie lange geben Sie ihr noch?”, fragte Michael die Schwester, ehe er das Krankenhaus wieder verließ.

“Schwer zu sagen. Vielleicht Tage, eventuell noch einige Wochen.”

“Gibt es wirklich nichts, was Sie noch für sie tun können?”

“Wir machen es ihr so leicht wie möglich, Mr. D’Alessandro. Wenn sie früher zum Arzt gegangen wäre und die Therapie eher eingesetzt hätte …”

Michael fühlte sich so hilflos, dass er wütend wurde. “Warum, zum Teufel, hat sie denn so lange gewartet? Sie war doch krankenversichert.”

Die Schwester zuckte die Schultern. “Vielleicht hatte sie Angst vor der Diagnose. Das geht vielen Patienten so. Als diese dann endlich kam, war es zu spät.”

Zu spät in mehr als einer Hinsicht!

Kurz bevor er Kays Zimmer verlassen hatte, hatte sie ihn gebeten: “Mike, ich würde so gern mein Baby sehen … nur für einen Moment. Kannst du das nicht möglich machen? Bitte!”

Autor

Catherine Spencer
<p>Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills &amp; Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte den...
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