Mein Herz will so viel mehr

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Celestes Herz schlägt schneller, sobald sie nur Rafael Sanguardos Nähe spürt. Seit das schöne Model dem heißblütigen Selfmade-Millionär auf einer Modenschau begegnet ist, hat er diese beunruhigende Wirkung auf sie. Am besten sollte sie sofort jeglichen Kontakt abbrechen, bevor sie seinem gefährlichen Charme restlos erliegt! Doch je mehr die Vernunft ihr rät wegzulaufen, um so mehr sehnt Celestes verräterischer Körper sich nach Rafaels Zärtlichkeiten. Auch wenn sie fürchten muss, dass er sie eiskalt fallenlässt, wenn er erst die Wahrheit über ihre Vergangenheit erfährt …


  • Erscheinungstag 12.05.2015
  • Bandnummer 2179
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701666
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Celeste stand auf dem oberen Treppenabsatz der langen Marmortreppe und sah in die große Halle hinunter. Die Gäste dort unten in Abendgala standen zusammen bei Champagner und Kanapees, die Modelkolleginnen in den Abendkleidern warteten darauf, dass die Modenschau für Wohltätigkeitszwecke beginnen würde. Celeste war erst spät auf dem imposanten Anwesen in Oxfordshire angekommen, hatte kurzfristig die Gelegenheit ergriffen, London den Rücken zu kehren – und vor allem Karl Reiner.

Allein wenn sie an ihn dachte, verfinsterten sich ihre Züge. Als sie den Vertrag mit „Reiner Visage“ als das „Blonde Gesicht“ für die Pflegeserie der verschiedenen Hauttypen unterschrieben hatte, war ihr bewusst gewesen, dass Karl Reiner die Beziehungen zu seinen Models gern und häufig über das Professionelle hinaus führte. Doch da er zu dem Zeitpunkt mit einem anderen „Gesicht“, Monique Silva, liiert gewesen war, hatte Celeste den lukrativen Vertrag nicht ausschlagen wollen.

Selbst nach Jahren im Modelbusiness war ein gutes und regelmäßiges Einkommen noch immer nicht selbstverständlich.

So etwas wie leicht verdientes Geld gab es nicht. Gerade sie sollte das wissen.

Doch dann war Karl die andere Frau leid geworden und hatte seine Aufmerksamkeit auf Celeste gerichtet, überzeugt, sie wäre ebenso willig wie Monique. Nun, so sicher Karl Reiner sich auch sein mochte … er würde nicht bekommen, was er von ihr wollte. Er war sogar an diesem Abend von New York nach London geflogen, um sie zu überreden, den Vertrag zu verlängern – und den Preis zu zahlen, der dafür anfiel.

Sie hatte nicht vor, die Zusammenarbeit fortzusetzen. Sicher, die Gage war gut, aber heutzutage bestand ihr vorrangiges Ziel nicht mehr darin, auf jede erdenkliche Art Geld zu verdienen.

Ein kalter Schauer lief ihr über die Haut. Heute nicht mehr …

Ihre Absage hatte Karl nicht akzeptiert, sondern von ihr verlangt, sich mit ihm zum Dinner zu treffen. Und um ihm auszuweichen, war sie spontan noch zu dem Anwesen gefahren, um an der Modenschau teilzunehmen.

Wenn sie daran dachte, was Karl Reiner von ihr verlangte … Es weckte alte Erinnerungen … hässliche, beklemmende Erinnerungen.

Nur mit Anstrengung verdrängte Celeste diese Gedanken. Schon vor Langem hatte sie damit abgeschlossen, hatte den Preis bezahlt, um damit umzugehen. Zahlte ihn noch immer und würde ihn immer zahlen. Eine Alternative gab es nicht und würde es niemals geben. Die düsteren Erinnerungen hielten sie auf ewig in ihren Klauen.

Schon seit Jahren konzentrierte sie sich nur auf ihre Karriere, und daran würde sie sich halten. Mit Hingabe und harter Arbeit.

Allein. Wie immer.

Selbstverachtung ergriff von ihr Besitz. Einst hatte sie sich damit regelrecht zerfleischt. Sie nahm sich zusammen. Sie würde sich nicht davon herunterziehen lassen. Sie war heute hier, um einen Job zu erledigen. Einen, wie sie ihn schon Hunderte Male absolviert hatte.

Und doch, als sie ihr Kleid raffte, um die Treppe hinunterzusteigen, hatte sie das Gefühl, dass heute etwas anders war. Als stünde sie an einer Grenze und wäre dabei, ihre vertraute Welt zu verlassen und eine neue zu betreten.

Das leere Champagnerglas locker zwischen den langen Fingern, sah Rafael Sanguardo sich in dem opulent vergoldeten Barocksaal um. Eigentlich amüsant, dass er heute hier Gast war, noch dazu als einer der Sponsoren der Veranstaltung. Die Ausbeutung Lateinamerikas hatte die Prachtbauten des achtzehnten Jahrhunderts überhaupt erst ermöglicht – auch durch die Arbeit seiner péon – Vorfahren, die sich als Handlanger verdingen mussten, wenngleich unter spanischen Herren, nicht britischen.

Doch das Glücksrad der Geschichte hatte sich weitergedreht. Im globalen Dorf des einundzwanzigsten Jahrhunderts waren es die erfolgreichen Unternehmer, die den Reichtum der Welt kontrollierten. Und zu dieser Gruppe gehörte auch Rafael Sanguardo.

Dank Intelligenz, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen hatte er sich innerhalb zwölf kurzer Jahre erst als verwaister Teenager ein Stipendium für eine der renommiertesten amerikanischen Universitäten gesichert und sich dann als extrem profitabel arbeitender Geschäftsmann in den verschiedensten Branchen etabliert.

Mittlerweile könnte er ohne Probleme in einem Palast wie diesem hier residieren, doch das entsprach nicht seinem Geschmack. Er wollte frei sein, mietete lieber Wohnungen in London und New York oder kam in Hotels unter, wenn er geschäftlich unterwegs war. Sich niederzulassen stand nicht auf seiner Agenda.

Nicht mehr.

Dafür hatte Madeline gesorgt.

Ihre letzten Worte schossen ihm in den Kopf. Spöttisch, wütend, verächtlich.

Mein Gott, Rafe, was bist du doch für ein Puritaner.

Er schüttelte den Gedanken ab. Madeline war Geschichte, sie gehörte nicht mehr zu seinem Leben. Für sie hatte immer nur eines gezählt: Geld.

Rafael presste die Lippen zusammen. Jetzt besaß Madeline so viel Geld, wie sie immer angestrebt hatte, aber das war auch alles, was sie ihr Eigen nennen konnte. Einst hatte sie mehr gewollt. Seine Züge verhärteten sich. Einst hatte sie ihn gewollt und alles, was zwischen ihnen existiert hatte.

Die Affäre zwischen ihnen war stürmisch gewesen. Sie galten als Traumpaar – er der dunkle Latino-Multimillionär, sie die rothaarige britische Schönheit, die mit ihrem Geschäftssinn genauso reich geworden war wie der Mann an ihrer Seite. Wo immer sie zusammen auftauchten, sorgten sie für Aufsehen.

Und dann war es schlagartig vorbei gewesen. Er hatte sie hinausgeworfen, und sie hatte nur gelacht. Noch heute konnte er dieses wütende, abfällige Lachen hören. Doch es besaß keine Macht mehr über ihn. Wenn er an Madeline dachte, war er nur noch angeekelt – von ihrem lasziven Gehabe, ihrer Einstellung, ihrem Ehrgeiz, ihren Werten. Von allem.

Einer der Kellner kam mit einem vollen Tablett und blieb vor ihm stehen, holte ihn in die Gegenwart zurück. Mit einem knappen Nicken stellte Rafael sein Glas ab. Als er sich wieder umdrehte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit.

Nicht etwas, sondern jemand.

Eine Frau kam die Treppe herunter. Die Aura, die sie umgab, ließ ihn genauer hinsehen, und er registrierte jede Einzelheit an ihr.

Porzellanene Schönheit. Das blonde Haar zu einem Chignon aufgesteckt, der den zarten Hals noch betonte. Ihr Gesicht im Profil. Ein perfektes Profil. Genauso perfekt wie ihr schlanker Körper. Ein cremefarbenes Kleid, eine Schulter frei, schmiegte sich um feste, hohe Brüste und eine schmale Taille, um an ellenlangen Beinen herab bis auf den Boden zu fallen.

Sie muss eines von den Models sein, schoss es ihm durch den Kopf. Ihre Größe, ihre Haltung, das Haute-Couture-Kleid, alles ließ diesen Schluss zu. Am Fuß der Treppe mischte sie sich unter die Menge, er verlor sie aus den Augen, obwohl er sich aufrichtete und nach ihr suchte.

Er spürte einen Anflug von Frustration, weil er sie nicht mehr sehen konnte. Dann stutzte er plötzlich, als ihm etwas klar wurde.

Seit er die Verbindung zu Madeline abgebrochen hatte, war das die erste Frau, die seine Aufmerksamkeit erregte. Oh, natürlich hatte es genügend Frauen gegeben, die sich um seine Aufmerksamkeit bemüht hatten, aber keine einzige von ihnen hatte sein Interesse wecken können.

Warum dann diese hier?

Eine müßige Frage, die er sich sofort selbst beantwortete: weil sie das genaue Gegenteil von Madeline ist.

Madelines auffällige Schönheit und ihr Egoismus hatten verlangt, dass jeder sie zur Kenntnis nahm. Die hellhäutige Schönheit dagegen schien so kühl zu sein, wie Madeline feurig gewesen war. Aber es gab noch weitere Unterschiede.

Madeline hätte aus dem Treppenherabsteigen einen dramatischen Auftritt gemacht. Hätte erwartet, dass alle sie bewunderten, beneideten, begehrten. Die Blondine war die Treppe still und leise wie ein Geist herabgeschwebt, als wäre sie nicht von dieser Welt, als wollte sie nicht gesehen werden. Seltsam für ein Model. Wenn sie denn eines war.

Er konnte es kaum abwarten, ihr erneut zu begegnen. Er würde sich auf seinen Platz setzen, und dann würde er es schon herausfinden.

Eines wusste er mit Bestimmtheit: Wer immer die blonde Schönheit war, er wollte sie kennenlernen. Seine dunklen Augen funkelten auf. Endlich hatte er eine Frau erblickt, die sein Interesse weckte, und das wollte er näher ergründen. Würde es den persönlichen Kontakt überdauern? Oder würde es trotz ihres faszinierenden Aussehens erlöschen, sobald er mehr über sie erfuhr?

Würde sie sich als ebenso makelbehaftet erweisen wie Madeline?

Musik spielte auf – Vivaldi, passend zum Ambiente. Die Models flanierten über den in der Mitte des großen Salons aufgebauten Laufsteg.

Zunächst präsentierten sie die Outfits, die sie getragen hatten, als sie sich in der Menge aufhielten. Celeste war froh darüber. Dieses Kleid hätte sie auch für sich gewählt, wäre sie als Gast hier. Schmeichelnd, ohne mehr freizugeben als eine bloße Schulter, und in den Pastellfarben, die sie bevorzugte. Eine Kollegin hatte einmal bemerkt, dass sie es wohl lieben musste, mit dem Hintergrund zu verschmelzen und nicht aufzufallen. Celeste hatte nur matt gelächelt. Aber die Frau hatte recht.

Dezent, unaufdringlich, diskret – das waren die Attribute, auf die sie bei Mode achtete. Und noch eine Beschreibung traf es: bescheiden.

Tiefe Ausschnitte und knappe Röcke waren nichts für sie. Selbst beim Schwimmen bevorzugte sie den einteiligen Badeanzug.

Und während sie jetzt über den Catwalk lief, schwand auch die Unruhe, die sie dort oben auf der Treppe verspürt hatte. Jahre der Erfahrung hatten diesen genauestens choreografierten Gang zu ihrer zweiten Natur werden lassen. Mit würdevoller Haltung schritt sie bis zum Ende, blieb kurz stehen, bevor sie sich umdrehen würde …

… und erstarrte.

Dunkle Augen, umrahmt von langen, dichten Wimpern, die sie fokussierten. Ein glatt rasiertes Gesicht mit markanten Zügen. Ein sinnlicher Mund, ein entschlossenes Kinn. Nachtschwarzes Haar.

Das alles nahm sie innerhalb weniger Augenblicke wahr. Dann wurde ihr schlagartig klar, dass sie sich bewegen musste. Sie ging über den Laufsteg zurück in die geschäftige Umkleide, um wenige Minuten später in einer scharlachroten Abendrobe erneut aufzutreten. Und auf dem ganzen Weg über den Laufsteg war sie sich des Mannes dort unten im Saal bewusst, fragte sich, ob er sie beobachtete.

Als Model wurde sie eigentlich immer beobachtet. Auch wenn ihr das nicht gefiel, so ließ sie sich davon nie aus dem Gleichgewicht bringen. Warum also sollte dieser Mann eine solche Wirkung auf sie haben? Was war anders an ihm?

Bevor sie das Ende des Laufstegs erreichte, wappnete sie sich für den durchdringenden dunklen Blick – der dann nicht erfolgte. Kurz sah sie in seine Richtung und stellte fest, dass die ganze Aufmerksamkeit des Mannes seinem Mobiltelefon galt. Die Beine lang ausgestreckt, tippte er eine Textnachricht in sein Handy. Für sie, Celeste, hatte er keinen Blick übrig.

Die Anspannung fiel von ihr ab. Schwungvoll drehte sie sich um und ging Richtung Umkleide zurück. Tja, so kann man sich täuschen, dachte sie selbstironisch.

Hätte sie sich noch einmal umgesehen, wäre sie zu einem anderen Urteil gekommen.

Rafael hatte den Blick von seinem Handy gehoben und sah ihrer Gestalt nach, bis sie hinter der Bühne verschwand. Und als er sich wieder seinem Handy widmete, musste er feststellen, dass seine E-Mails ihn nicht im Geringsten interessierten.

Die Show war vorbei, der Applaus verklungen, und die Gäste strömten ans Büfett. Rafael erhob sich. Die Models würden sich jetzt wieder unter die Menge mischen, und er wollte sie finden – wollte nicht riskieren, dass ihm ein anderer, der von der hellhäutigen Schönheit ebenso fasziniert wäre wie er, zuvorkam.

Doch während er den Blick über die Menge in dem vollen Speisesaal schweifen ließ, musste er feststellen, dass sie nicht da war. Die anderen Models schon, aber nicht die eine Frau, die er sehen wollte. Er runzelte die Stirn. Wo konnte sie sein? Er ging zurück in den Salon, wo die Handwerker bereits den Laufsteg abbauten. Auch hier keine Spur von ihr.

An der Seite des Raumes stand eine Tür offen, die auf eine große Terrasse hinausführte. Als Rafael sie betrat, sah er am anderen Ende eine Gestalt, eine Frau. Ihr helles Kleid schimmerte im schwachen Licht. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte in den samtschwarzen Himmel hinauf.

Im Licht der Sterne blitzten Rafaels Augen auf, als er auf die Gestalt zuging.

Ehrfurchtsvoll staunend betrachtete Celeste den Himmel. Was für eine wunderbare Sternennacht! In London sah man die Sterne selten, doch hier auf dem Land funkelten und glitzerten sie wie Diamanten. Die Milchstraße in ihrer ganzen Pracht war deutlich auszumachen. So unglaublich weit entfernt …

Früher einmal hatte sie sich vorgestellt, wie es sein müsste, dort oben zu schweben, die Erde und alles hinter sich zu lassen …

„Die Chinesen halten die Milchstraße für die Quelle des Gelben Flusses.“

Celeste wirbelte herum, als die Stimme erklang. Die Terrasse war kaum beleuchtet, aber Celeste brauchte auch kein Licht, um zu wissen, wer hinter sie getreten war – der Mann, der sie auf dem Laufsteg so intensiv beobachtet hatte. Der Mann, der sich in ihr Bewusstsein gedrängt hatte wie kein anderer zuvor.

Sein Gesicht konnte sie nicht wirklich erkennen, nahm nur seine Größe wahr, seine lässige Eleganz, als er auf sie zukam. Hörte seine tiefe Stimme und spürte, wie ihr Körper darauf reagierte, wie Empfindungen in ihr geweckt wurden, die sie nicht zulassen wollte!

„Sie erzählen sich auch eine Legende“, fuhr er fort. „Zwei Liebende wurden von den Eltern getrennt und an gegenüberliegende Enden der Milchstraße, des galaktischen Flusses, verbannt. Sie sehen wir heute als Sterne, die einander auf immer anschauen, doch niemals zueinanderfinden können.“

Während er sprach, beobachtete er sie. Registrierte ihre steife Haltung, ihre angespannten Gesichtszüge. Sie machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment die Flucht ergreifen. Was ungewöhnlich war. Seiner Erfahrung nach begrüßten Frauen sein Interesse.

Madeline hatte es auf jeden Fall getan.

Sie ist nicht Madeline.

Und genau das suche ich auch, rief er sich in Erinnerung. Das genaue Gegenteil. Deshalb wollte er das Misstrauen, das unverkennbar war, unbedingt zerstreuen.

„Es ist faszinierend, nicht wahr?“ Er achtete auf einen leichten Konversationston. „Wenn man sich die Entfernungen vorstellt. Und unsere Galaxie ist nur eine in Aber- und Abermillionen. Manche bezeichnen wir als Sterne, dabei sind sie selbst Galaxien. Andromeda ist uns am nächsten. Es müsste irgendwo dort sein …“ Er sah suchend in den Himmel.

„Dort.“ Celeste zeigte nach oben. „Zwischen Pegasus und Kassiopeia. Galaxie M31. Aber es ist nicht die nächste zu uns, sondern nur generell zur Milchstraße. Irgendwann in ein paar Billionen Jahren wird sie mit der Milchstraße verschmelzen und dann eine gigantische Ellipse bilden.“ Still schalt sie sich, dass sie über Galaxien und Sternenbilder plapperte, aber außer einer Flucht erschien ihr das am sichersten.

Obwohl sie sich alles andere als sicher fühlte.

Rafael folgte ihrem Blick, sah sie dann lächelnd an. „Sie wissen viel über Sterne.“

„Ich mag sie“, erwiderte sie knapp. „Sie sind weit weg.“ Warum habe ich das jetzt gesagt? Wieso stehe ich hier und unterhalte mich mit ihm?

Und warum fuhr ihr seine tiefe, samtene Stimme bis ins Mark?

„Und das ist positiv?“, fragte er.

„Ja.“ Ihr wurde klar, wie seltsam sich das anhören musste.

Er konnte mitverfolgen, wie sie sich zusammennahm. Sie raffte ihr Kleid, als würde sie damit die Situation wieder unter Kontrolle – und zum Abschluss bringen wollen.

Auf so etwas ließ Celeste sich grundsätzlich nicht ein. Allerdings hatte sie noch nie Vergleichbares erlebt. Was es umso wichtiger machte, dass sie aus der Nähe dieses Mannes verschwand. „Entschuldigen Sie mich“, sagte sie, „ich muss wieder hinein.“

Ihre Stimme hatte sich auch geändert. Knapp, fast brüsk.

„Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.“

„Nein, danke“, lehnte sie entschieden ab und wandte sich um.

Er sah ihr nach. In der einen Sekunde von den Sternen geschwärmt, in der nächsten ihm einen Korb gegeben.

Nein, sie war ganz sicher nicht wie Madeline.

Mit hämmerndem Puls eilte Celeste durch den Salon. Hatte sie tatsächlich da draußen mit dem Mann gestanden und sich über Astronomie unterhalten? Aus zwei Gründen war sie auf die Terrasse gegangen: erstens, um sich die sternenklare Nacht anzusehen, und zweitens, um sich so lange wie möglich nicht unter die Menschen mischen zu müssen. Denn beim Dinner würde sie den Mann unweigerlich wiedersehen.

Den Mann, der sie gesucht hatte.

Das war offensichtlich gewesen. Niemand fing ein Gespräch über ferne Galaxien mit einer Frau an, ohne ein Ziel damit zu verfolgen. Oh Gott! Hatte er etwa geglaubt, sie wäre absichtlich auf die Terrasse gegangen, als eine Art Aufforderung?

Wie auch immer – es war gleichgültig. Sie würde ihn meiden, bis sie sich unauffällig zurückziehen konnte. In Oxford hatte sie ein Hotelzimmer für sich gebucht. Dort würde sie eine Weile bleiben, weit weg von London und Karl Reiner.

Sie wollte nicht an Karl denken, er war ihr zuwider. Auch nicht an den Mann, der mit einem Blick ihr Herz zum Rasen bringen konnte.

Der sie anzog …

Nein! Es war unerheblich, ob sie sich von ihm angezogen fühlte oder nicht. Es würde niemals bedeutsam werden. Konnte es nicht.

Meine Vergangenheit hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Nichts wird das je ändern.

Sie erreichte den Speisesaal, doch bevor sie ihn betrat, atmete sie noch einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Vor einem der Büfetttische stand eine ihrer Kolleginnen, Zoe, die zwei Salatblätter und eine hauchdünne Scheibe Hähnchenbrust auf ihren Teller legte. Celeste ging zu ihr.

„Jetzt sag schon“, erkundigte Zoe sich neugierig, als sie ihr dürftiges Mahl zusammen einnahmen, „was gedenkst du wegen dieses Typen zu tun, der die ganze Zeit seine Augen nicht von dir abwenden konnte? Hat er schon die Initiative ergriffen?“

Celeste verkrampfte sich. „Nein“, log sie.

„Schade.“ Zoe seufzte. „Also, ich würde mich sofort darauf einlassen. Aussehen und Geld! Rafael Sanguardo, Lateinamerikaner, milliardenschwerer Investor. War mal eine ganze Zeit mit Madeline Walters zusammen, dem glamourösen Rotschopf, eine der zehn reichsten Frauen der Welt. Sie ist inzwischen in den Staaten, um noch mehr Geld zu scheffeln. Aber natürlich“, Zoe warf einen lauernden Blick zu Celeste, „momentan hat Karl Reiner dich ja auserwählt, nicht wahr? Jetzt, da er mit Monique fertig ist. Also, wenn ich die Wahl hätte … ich wüsste, für wen ich mich entscheide – für Mr Groß, Dunkel und Attraktiv. Grabsch-Karl würde bei mir kein Bein auf den Boden bekommen.“ Zoe sah sich um. „Ich werde mich ein wenig unters Volk mischen. Viele lohnende Kontakte sind hier. Und lohnende Typen. Außerdem ist es die reinste Folter, direkt neben dem Büfett zu stehen und nichts essen zu dürfen.“ Damit zog sie weiter und ließ Celeste mit den eigenen Gedanken zurück.

Rafael Sanguardo … Den Namen hatte Celeste noch nie gehört, aber so, wie Zoe über ihn gesprochen hatte, stand er wohl auf der Liste der reichen Junggesellen, die unter den Models kursierte. Doch was sollte sie das interessieren …?

„Darf ich Ihnen etwas vom Büfett aussuchen?“

Die tiefe Stimme mit dem leichten Akzent war ihr inzwischen vertraut. Aber Celeste wollte sie eigentlich nicht hören.

Automatisch wuchs ihre Anspannung, als sie sich zu ihm umdrehte. Nicht nur, weil er der eine Mensch war, dem sie aus dem Weg zu gehen versuchte, sondern vor allem deshalb, weil sie ihn jetzt zum ersten Mal richtig und im hellen Licht sah. Ja, er war genau so, wie Zoe ihn beschrieben hatte – groß, dunkel und sehr attraktiv. Nicht der typische Playboy-Look, sondern männlich-markant. Es waren jedoch seine Augen, die ihr den Atem raubten und sie gefangen hielten.

Warum das so war, verstand Celeste nicht. Sie wusste nur, dass sie es nicht zulassen durfte. Männer starrten sie ständig an, und sie war völlig immun dagegen. Sie musste das hier aufhalten, musste sich zusammennehmen und den Blick dieses Mannes meiden, ganz gleich, wie attraktiv er in dem maßgeschneiderten Smoking sein mochte.

Er hatte sie wieder angesprochen, und seine samtene Stimme stellte unwillkommene Dinge mit ihr an. Was hatte er überhaupt gesagt? Sie sollte eine unverbindliche Antwort geben und gehen. Richtig, er hatte gefragt, ob er ihr etwas vom Büfett holen könne.

„Danke, aber ich habe schon etwas“, brachte sie hervor.

Eine Augenbraue hob sich über diesen unglaublich dunklen Augen, die wirkten, als wären sie aus uraltem Vulkangestein gehauen. Basalt, dachte Celeste, oder Obsidian …

„Davon würde ja nicht einmal ein Spatz satt werden“, murmelte er. Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Zumindest sehen Sie nicht so halb verhungert aus wie die meisten Models.“

Sein Missfallen über die extreme Schlankheit von Models war nicht zu überhören. „Models müssen dünn sein“, verteidigte sie ihre Berufssparte spitz. Ausgelöst hatte diese scharfe Bemerkung jedoch weniger seine Kritik an den Kolleginnen als vielmehr die Art, wie er sie angesehen und welche Wirkung das auf sie gehabt hatte.

„Es ist eine Schande, dass Frauen in der westlichen Welt nur aufgrund des Modediktats Menschen nachahmen, die keinen Zugang zu Nahrung haben“, erwiderte er.

Sie zwang sich, ehrlich zu antworten. „Natürlich haben Sie recht.“

Dann beging sie den Fehler und sah ihm für einen Moment erneut in die Augen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde sie in einem weiten Ozean ertrinken. Nur mit großer Anstrengung konnte sie den Blick losreißen und musste feststellen, dass sie tatsächlich zitterte.

„Tut mir leid, das war unnötig harsch“, entschuldigte er sich. „Aber es ist schade, dass Sie nicht einige dieser wirklich schmackhaften Häppchen probieren.“ Mit einer Geste schloss er das gesamte Büfett ein.

Celeste begutachtete die Platten und Schüsseln. „Ja, das sieht alles sehr köstlich aus“, gestand sie ihm zu. „Aber ich darf nicht.“

„Sind Sie nicht versucht?“

Humor schwang in seiner Stimme mit, und das stellte noch Schlimmeres mit Celeste an, vor allem, da in seinen Augen eindeutig zu lesen war, dass er sich mit der „Versuchung“ nicht nur auf das Essen bezog.

Entschlossen schüttelte sie den Kopf. Höchste Zeit, das hier abzubrechen. „Nein“, sagte sie höflich, aber entschieden, und stellte ihren leeren Teller ab. Sie sah ihn an, zwang sich, nicht jede Reaktion zu unterdrücken. „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte“, sagte sie distanziert, „aber ich muss mich sehen lassen. Ich bin hier, um das Kleid zu präsentieren.“

Sie lächelte unverbindlich, ohne ihm jedoch in die Augen zu sehen, drehte sich um und ging mit hoch erhobenem Kopf davon.

Das war das zweite Mal, dass sie ihn einfach stehen ließ.

Wieso läuft sie vor mir weg?

Das war die vorherrschende Frage in Rafaels Kopf. Und gleichzeitig wurde ihm etwas klar: In den beiden leider viel zu kurzen Kontakten mit ihr war sein Interesse nicht etwa erloschen, sondern hatte sich nur noch gesteigert.

Etwas an ihr zieht mich unwiderstehlich an. Es ist mächtig, überwältigend …

Was immer es war, es ließ seinen Puls schneller schlagen und löste etwas in seinem tiefsten Innern aus. Vielleicht war es die Art, wie sie elegant den Kopf neigte. Oder ihre alabasterhelle Haut. Oder ihr feines, perfekt geschnittenes Gesicht. Oder ihre klaren graublauen Augen …

In ihrem Blick, so kurz und flüchtig er auch gewesen war, hatte Rafael ablesen können, dass ihre Beharrlichkeit, ihm aus dem Weg zu gehen, nicht daher stammte, weil sie ihn abstoßend fand.

Ihr ergeht es genauso wie mir! Davon bin ich überzeugt! Das abrupte Verharren, das unmerkliche Nach-Luft-Schnappen, Blicke, die sich für Sekundenbruchteile ineinander verhaken. Ja, das alles beweist, dass sie auf mich reagiert.

Nein, sie war nicht immun gegen ihn. Aber warum zog sie sich dann von ihm zurück? Etwa, weil sie bereits mit jemandem zusammen war? Er musste es unbedingt herausfinden. Dabei kannte er nicht einmal ihren Namen.

Es dürfte keine Schwierigkeit sein, alles zu erfahren, was er wissen wollte. Sie war Model und bei einer Agentur unter Vertrag. Die Informationen über sie lagen alle vor.

Rafaels Gedanken überschlugen sich. Er würde sie umwerben und für sich gewinnen. Schon jetzt konnte er vor sich sehen, wie er sie in seine Arme zog, sie sacht an sich presste und sanft den Mund auf ihre bebenden Lippen drückte. Sie würde süßer schmecken als Honig, er würde ihre festen Brüste an seinem Oberkörper fühlen, weich und nachgiebig würde sie sich an ihn schmiegen …

Es reichte ihm nicht, sich das vorzustellen, er wollte es wirklich erfahren. Der Macht ihrer reinen Schönheit konnte er sich nicht entziehen.

2. KAPITEL

„Du willst eine höhere Gage herausschlagen, das ist es, oder?“, sagte Karl Reiner schneidend.

Celeste ließ sich keine Reaktion anmerken. Karl Reiner hatte ihre Anwesenheit bei dem Galadinner des Hochglanzmodemagazins verlangt, das darauf hoffte, weiterhin ein großes Stück des „Werbekuchens“ von „Reiner Visage“ abzubekommen. Und da Celeste ja noch immer – wenn auch nicht mehr lange – unter Vertrag stand, hatte sie erscheinen müssen.

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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