Mein stolzer Andalusier

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Andalusien: ein Meer von Farben und Licht und eine Hazienda mit einem Hauch von Tausendundeiner Nacht - aber Arabel nimmt den Zauber des Landes kaum wahr. Bang folgt sie dem Mann, der vorgibt, mit ihr verheiratet zu sein: Don Cortez de la Dura. Doch sie hat keine Wahl. Seit einem Unfall ist die Erinnerung an ihre Ehe wie ausgelöscht. Sie weiß nur: Die Bitterkeit in den Augen ihres stolzen fremden Mannes, der harte Zug um seinen sinnlichen Mund berühren ihr Herz auf eine merkwürdige Weise. Und lassen sie ahnen, dass ihr Weg ins Glück lang und dornig werden wird …


  • Erscheinungstag 18.02.2009
  • Bandnummer 1779
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953141
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Zuerst kamen die großen cremeweißen Kamelien. Die junge Frau im Krankenbett registrierte verschwommen, wie schön sie aussahen, aber es war ihr gleichgültig, wer die Blumen geschickt oder vielleicht persönlich vorbeigebracht hatte.

Am Tag darauf erhielt sie einen Korb mit saftigen dunkelblauen Weintrauben, auf deren glänzender Schale sich das Sonnenlicht brach. Dann wurde eine mit Seide bezogene Bonbonniere abgegeben, die mit einer dunkelroten Schleife verziert war. Diesmal fühlte sich die Patientin kräftig genug, um nach der kleinen gedruckten Karte zu greifen, die an der Schleife befestigt war.

San Devilla.

Die junge Frau formte die Worte mit den Lippen nach, doch sie ergaben keinen Sinn für sie. War es der Name eines Hauses? Wohnte sie selber dort, oder gehörte es einem Freund? Dann musste es sich um den freundlichen Menschen handeln, der ihr die Blumen, das Obst und die erlesenen Pralinen geschickt hatte.

Eine Schwester kam herein, und die junge Frau bot ihr an, von dem Konfekt zu kosten. „Sie sind zu liebenswürdig, Señora.“ Die Schwester betrachtete die köstlichen Süßigkeiten mit leuchtenden Augen. „Man traut sich kaum, etwas davon zu nehmen, und andererseits ist es unmöglich zu widerstehen.“

Die Patientin musterte die Schwester, sie bemerkte die dunklen Augen und das schwarze Haar unter dem weißen Häubchen. „Wo bin ich?“, fragte sie zum ersten Mal. „Und … wer bin ich?“

„Sie befinden sich in einem Krankenhaus in Córdoba.“ Die Schwester lächelte und wählte eine Praline mit rosa Zuckerguss, die sie anmutig und mit sichtlichem Genuss verzehrte.

„Córdoba?“

„Die Stadt in Südspanien, Señora. Erinnern Sie sich nicht?“

„Kein bisschen.“ Die junge Frau hob ihre linke Hand, konnte aber keinen Ring entdecken. „Warum nennen Sie mich Señora? Bin ich verheiratet?“

„Allerdings“, versicherte die Schwester. „Betrachten Sie Ihre andere Hand.“ Als sie merkte, wie schwach ihre Patientin noch war, trat sie ans Bett, hob die schlanke Rechte an und hielt sie in den Sonnenstrahl, der durch einen Spalt der Jalousie hereinfiel. Die junge Frau erkannte einen schimmernden Goldreif mit einem tiefblauen Edelstein.

Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Ihr Herz begann zu hämmern, und das Atmen wurde ihr schwer. Sie starrte auf den Ring, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass ihre Augen genauso blau und leuchtend waren wie der kostbare Saphir, der ihn zierte. Ebenso wenig war sie sich ihrer fein geschnittenen Gesichtszüge, ihrer vollen Lippen und ihres langen blonden Haars bewusst, in das das Sonnenlicht goldene Reflexe zauberte. Ihre beinahe durchscheinende Blässe verlieh ihren Zügen einen ganz eigenen Reiz.

Der Blick der jungen Frau hing wie gebannt an dem Trauring, dann verzogen sich ihre Lippen wie in plötzlichem Schmerz, so als habe etwas Unerträgliches den Nebel in ihrem Bewusstsein durchdrungen. Wie von selbst schloss sich ihre Hand zur Faust, so fest, dass die Knöchel weiß unter der zarten Haut hervortraten.

„Warum trage ich den Ring an der rechten Hand?“ Es schien die Patientin nicht zu wundern, dass sie praktische Dinge wahrnahm, obwohl ihr alle persönlichen Erinnerungen fehlten.

„Ihr Mann ist Spanier, Señora. Es ist so Sitte in diesem Land.“

„Ich verstehe. Aus welchem Land stamme ich?“

„Soweit man uns informiert hat, aus den Vereinigten Staaten. Aus Boston, Señora.“ „Dann bin ich Amerikanerin. Wissen Sie zufällig auch, wie ich heiße?“

Ein mitleidiger Ausdruck erschien in den dunklen Augen der Schwester. Es ging ihr nah, wie rührend die Kranke um Auskunft über sich selbst bat. „Sie heißen Arabel, Señora. Ein hübscher Name, nicht wahr?“

„Arabel.“ Die junge Frau sprach den Namen zögernd nach, als hoffte sie, er würde ihr schlagartig die Erinnerung zurückbringen. „Und weiter?“

„Sie sind Señora Ildefonso de la Dura.“ Die Stimme der Schwester verriet deutlich ihre Hochachtung.

Arabel ließ den Namen auf sich wirken, aber er sagte ihr absolut nichts. Der ehrerbietige Ton der Schwester war ihr nicht entgangen, und sie griff krampfhaft nach der Bettdecke, um nicht laut herauszuschreien, dass das alles nicht stimmen konnte … dass sie nie und nimmer die Frau eines unbekannten Spaniers war. Sie hatte das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein. Alles, was sie ausmachte, schien aus ihrem Gedächtnis gelöscht, und womöglich würde sie schon morgen einem Mann begegnen, der so streng und einschüchternd war, wie sein Name vermuten ließ. Einem Fremden, der sie als seine rechtmäßige Ehefrau betrachtete.

„Ich … ich finde mich nicht mehr zurecht“, flüsterte sie und sah sich genauer in dem Krankenzimmer um. „Wie komme ich hierher? Was ist mir zugestoßen? Habe ich einen Unfall gehabt?“

„Mit all diesen Dingen sollen Sie sich vorläufig nicht beschäftigen, Señora“, erwiderte die Schwester. „Ich werde es Ihnen jetzt ein bisschen bequemer …“

„Nein!“ Arabel machte eine abwehrende Handbewegung. „Sie weichen mir aus, und ich will wissen, was mit mir los ist. Warum kann ich mich an nichts erinnern … nicht einmal an meinen Namen oder das Gesicht meines Ehemanns? Was ist mit mir geschehen?“

„Regen Sie sich bitte nicht auf, Señora.“ Die Schwester begann nervös zu werden. „Das ist nicht gut für Sie und wird die Heilung …“

„Heilung wovon?“, wollte Arabel wissen. Ihre blauen Augen waren ängstlich auf die Schwester gerichtet. „Ich verlange Auskunft.“

„Sie leiden an Gedächtnisverlust infolge einer Gehirnerschütterung“, antwortete die Schwester widerstrebend. „Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Sie sind noch sehr geschwächt, aber sobald Sie sich genug erholt haben, wird der Doktor Ihnen alles erklären. Bis dahin müssen Sie Körper und Geist schonen, dann sind Sie bald wieder gesund.“

Arabel starrte die Schwester an. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Wenn Sie mir keine Auskunft geben wollen, verlange ich, dass Sie den Doktor holen“, erklärte sie. „Ich muss wissen, was mit mir los ist, Schwester, sonst werde ich verrückt!“

„Wie Sie meinen, Señora.“ Die Schwester wirkte verunsichert. „Ich werde nachsehen, ob Doktor Guardano abkömmlich ist. Liegen Sie bis dahin möglichst still, damit Ihr Puls sich wieder beruhigt.“

Die Tür schloss sich hinter der Schwester, und Arabel blieb allein zurück. Sie hielt die Bettdecke immer noch krampfhaft fest, der kostbare blaue Stein an ihrer Hand funkelte im Licht des einsamen Sonnenstrahls. Er war also reich – dieser Spanier, dieses gesichtslose Phantom, dessen Frau sie angeblich war. Er konnte das Einzelzimmer bezahlen, in dem sie lag, und anscheinend lag ihm so viel an ihr, dass er ihr Blumen, Früchte und Konfekt zukommen ließ.

Sie hätte sich beschützt und aufgehoben fühlen sollen, stattdessen verspürte sie eine entsetzliche Beklommenheit, wenn sie nur an ihn dachte. Sie hatte nicht die blasseste Vorstellung von ihm, aber alles in ihr reagierte mit instinktiver Abwehr.

Wie war es dazu gekommen, dass sie als Amerikanerin einen Spanier geheiratet hatte? Sie schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern, doch der Nebel in ihrem Hirn wollte sich nicht lichten. Ihre Vergangenheit lag hinter einem undurchdringlichen Schleier verborgen. Sie hatte eine Gehirnerschütterung erlitten … Etwa infolge eines heftigen Schlags auf den Kopf? Es war frustrierend, dass sie normal denken, sich jedoch an nichts Persönliches erinnern konnte – auch nicht an den Mann, dessen Ring sie trug.

Sie war fast wieder eingeschlafen, als sich die Tür öffnete und ein schlanker dunkelhaariger Mann im weißen Kittel hereinkam.

„Ich bin Dr. Guardano“, stellte er sich vor. Dann trat er an das Bett, nahm ihre Hand und fühlte ihr den Puls. Dabei sah er ihr aufmerksam ins Gesicht, und sie bemerkte, dass er leicht die Brauen zusammenzog.

„Sie haben sich aufgeregt“, meinte er kopfschüttelnd.

„Das schadet Ihnen und macht Sie unnötig müde.“

„Es schadet mir mehr, wenn man mich über meinen … Unfall im Unklaren lässt“, entgegnete Arabel. „Der Ring an meiner Hand beweist, dass ich kein Kind mehr bin. Ich erwarte, dass man mir die Wahrheit sagt.“

Dr. Guardano setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass man bei Ihnen nicht von einem gewöhnlichen Unfall sprechen kann, wie er etwa auf der Straße oder im Haushalt vorkommt. Verstehen Sie mich?“

„Sie meinen, jemand hat mir einen Schlag gegen den Kopf verpasst?“

„Eine kluge Schlussfolgerung. Ich wusste schon immer, dass Amerikanerinnen gut erzogen sind und die Welt mit wachen Augen betrachten. Ja, Señora … unglücklicherweise war genau das die Ursache Ihrer Gehirnerschütterung, in deren Folge Sie Ihr Gedächtnis verloren haben. Kein sehr angenehmer Zustand, aber er wird vorübergehen, wenn wir uns Zeit lassen und wenn Sie mithelfen. Vor allem dürfen Sie sich zu nichts zwingen. Das Gehirn ist ein äußerst empfindliches Organ.“

„Wer hat mir die Verletzung beigebracht?“ Arabels Stimme klang leise und angespannt. „Geben Sie mir wenigstens diesen Hinweis.“

„Es wäre mir lieber, Señor Hidalgo würde Ihnen alles erklären.“

„Wer?“ Arabel sah den Arzt mit großen Augen an.

„Ihr Ehemann, Señora.“ Ein besorgter Ausdruck erschien auf Dr. Guardanos Gesicht. „Können Sie sich nicht an ihn erinnern?“

„Nein.“ Ein Zittern überlief Arabel. „Es ist, als würden Sie von einem Fremden sprechen. Ich fühle mich schrecklich … als befände ich mich allein im Weltall.“

„Kein schlechter Vergleich, Señora.“ Der Doktor drückte Arabels Hand. „Sie verdanken ihm Ihr Leben, auch wenn Sie sich nicht an die Umstände erinnern können.“

„Mein Leben?“ Arabel fühlte einen schmerzhaften Druck im Magen. „Welche Heldentat hat er denn vollbracht?“

Dr. Guardano runzelte die Stirn. Er fand es Besorgnis erregend, dass Arabel auf den einzigen Menschen, der ihr hätte wichtig sein müssen, mit ängstlicher Abwehr reagierte. Sie schien geradezu vor ihm zurückzuschrecken.

„Einiges kann ich Ihnen mitteilen, Señora“, lenkte er ein. „Sie wurden in Venezuela verhaftet, weil Sie zwei Studenten Zuflucht gewährten, die für einen Brandanschlag auf eine Ölraffinerie verantwortlich waren. Sie versteckten sie in Ihrem Apartment, aber eine Nachbarin hatte die beiden gesehen und meldete ihre Beobachtung der Polizei. Ihre Wohnung wurde durchsucht, man verhaftete die Brandstifter und anschließend Sie. Anscheinend kam es dabei zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Sie den Schlag auf den Kopf erhielten. Die Angelegenheit kam Señor Ildefonso de la Dura zu Ohren, und mithilfe seiner inoffiziellen Verbindungen wurde Ihre Freilassung erwirkt, sonst würden Sie heute noch in einer Zelle hilflos dahindämmern. Kluge Männer halten sich aus der Politik heraus, aber der Señor Hidalgo war mutig genug, sich Ihretwegen einzumischen. Er heiratete Sie und konnte Sie als seine Frau außer Landes bringen.“

Arabel hatte dem Bericht gespannt zugehört, doch nichts ergab einen Sinn für sie. Südamerikanische Brandstifter, brutale Polizisten, die Rettungsaktion eines unbekannten Spaniers … was hatte das alles mit ihr zu tun? Aber Dr. Guardanos tiefernstes Gesicht bewies ihr, dass er die Wahrheit sprach und ihr kein Schauermärchen erzählte.

„Ich kann mich beim besten Willen nicht an den Mann erinnern“, beteuerte sie. „Außerdem wundert es mich, dass er sich mit einer Frau belastete, die dumm genug war, zwei Brandstifter zu decken. Die ganze Geschichte ist nicht wirklich plausibel, Doktor, nicht wahr?“

„Auf den ersten Blick vielleicht nicht“, gab er zu, „zumal Sie immer noch unter Schock stehen und geistig verwirrt sind. Später, wenn Ihnen nach und nach die Einzelheiten einfallen …“

„Warum kann ich mich nicht einmal an das Gesicht meines Retters erinnern?“, unterbrach Arabel ihn unglücklich. „Wenn er mich nach dem Schlag auf den Kopf geheiratet hat, müsste ich ihn doch kennen … auch wenn alles, was vorher geschah, im Dunkel liegt.“

„Der entscheidende Zusammenbruch erfolgte erst während des Flugs nach Spanien“, erklärte Dr. Guardano. „Sie wurden direkt vom Flugplatz in einem Krankenwagen zu uns gebracht. Sie waren bewusstlos und blieben es für mehrere Stunden. Als Sie wieder zu sich kamen, gaben wir Ihnen Sedativa, um die nötige Ruhe zu gewährleisten. Darum haben Sie die letzten Tage in einer Art milder Betäubung verbracht. Ich hätte diesen Zustand gern noch aufrechterhalten, aber wie es scheint, ist Ihre Neugier inzwischen so groß …“ Er lächelte beruhigend. „Die Erinnerung wird zurückkommen, Señora. Mit der Zeit.“

„Mit der Zeit?“, wiederholte Arabel. „In einer Woche? Einem Monat? Oder vielleicht in einem Jahr? Mein ganzes Leben ist wie ausgelöscht. Ich weiß nicht einmal, warum ich in Venezuela gearbeitet habe.“

„Vermutlich, weil Sie gut bezahlt wurden.“ Wieder lächelte der Doktor. „Amerikanische Frauen bleiben nicht brav zu Hause. Sie möchten die Welt kennenlernen … und Sie sind keine Ausnahme. Es war unüberlegt von Ihnen, sich mit diesen Studenten einzulassen, aber dafür sind Sie jetzt mit einem bedeutenden Mann verheiratet.“

„Wie … bedeutend?“, fragte Arabel mit banger Vorahnung. „Ist er alt und gebrechlich?“

Dr. Guardano sah sie einen Moment verblüfft an und musste dann lachen. „Señor Ildefonso de la Dura ist keineswegs ein alter Mann, Señora. Dass er Ihnen zu Hilfe kam, als Sie im Gefängnis waren, beweist, dass er Sie schon vorher kannte, und das ist kein Wunder, wenn ich das sagen darf. Mit Ihrem hellen Teint und dem blonden Haar gehören Sie zu den Frauen, die in südlichen Ländern auffallen.“

„Bin ich blond?“ Die Auskunft schien Arabel zu erstaunen. Mit gerunzelter Stirn tastete sie nach ihrem Zopf und betrachtete ihn. „Ja, tatsächlich. Es ist furchtbar, sich selbst und die Familie, aus der man stammt, nicht mehr zu kennen, Doktor. Warum haben meine Verwandten mir nicht geholfen? Warum musste es ein Fremder tun?“

„Sie dürfen sich nicht mit solchen Fragen quälen“, warnte der Doktor. „Je mehr Sie nach Antworten suchen, umso weniger werden Sie welche finden.“ Er nahm einen Handspiegel aus dem Nachtschränkchen und reichte ihn ihr. „Betrachten Sie sich genau, Señora. Sie werden bestimmt nicht enttäuscht sein.“

Arabel nahm den Spiegel und hielt ihn so, dass sie ihr Haar und ihr Gesicht darin erkennen konnte. Sie sah tiefblaue Augen, die tausend Fragen stellten, einen Mund, der vor Nervosität leise bebte, und hohe Jochbeine mit leicht eingefallenen Wangen darunter. Es war ein interessantes Gesicht. Es war ihres, und es hatte einen unbekannten Spanier bezaubert – einen Mann, den sie nach Meinung des Doktors gekannt hatte, bevor sie verhaftet und verletzt worden war und während des Flugs hierher ihr Gedächtnis verloren hatte.

Plötzlich erfasste sie eine entsetzliche Müdigkeit. Dr. Guardano bemerkte es, nahm ihr den Spiegel ab und empfahl ihr, sich hinzulegen. „Die Schwester wird Ihnen ein Beruhigungsmittel bringen“, sagte er leise. „Schlaf ist jetzt die beste Medizin für Sie.“

„Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen …“

Der Arzt betrachtete sie verwundert. „Wie bitte, Señora?“

„Ich habe wohl etwas zitiert“, murmelte Arabel. „Ob das ein gutes Zeichen ist, Doktor? Werde ich beim Aufwachen feststellen, dass sich der Nebel verzogen hat?“

„Das ist gut möglich, Señora, aber knüpfen Sie nicht zu viele Erwartungen an ein literarisches Zitat. Das Gedächtnis muss langsam zurückkehren, damit Sie wieder ganz gesund werden.“

„Dann bin ich nicht verrückt?“

„Was für eine abwegige Vermutung, Señora!“

Arabel lächelte schwach. „Sie sind sehr freundlich, Doktor. Ob … er es auch ist?“

„Ein Spanier, der eine junge Frau hat, ist immer freundlich“, versicherte Dr. Guardano.

Tröstliche Worte, dachte sie. Doch deswegen mussten sie nicht wahr sein. Ein Arzt hatte die Pflicht, seine Patienten zu beruhigen, aber sie war verheiratet und konnte sich nicht einmal daran erinnern, Braut gewesen zu sein.

Ein Gefühl der Trostlosigkeit und Verlassenheit überkam Arabel, und sie nahm das angekündigte Beruhigungsmittel dankbar ein. Nach wenigen Minuten begann alles zu verschwimmen, dann fiel sie in tiefen, traumlosen Schlaf. Ihre rechte Hand lag ausgestreckt auf der Bettdecke. Wenn ein Sonnenstrahl darüber hinwegglitt, blitzte der Saphir auf.

Am nächsten Tag durfte Arabel ein Bad nehmen. Anschließend brachte die Schwester ihr ein frisches seidenes Nachthemd und bürstete ihr das Haar, bis es seidig glänzend über ihre Schultern fiel. Dann schüttelte sie die Kissen auf und steckte sie hinter ihrem Rücken fest, damit sie bequem sitzen konnte. Es ist wohl überflüssig zu fragen, ob sich ein Besucher angemeldet hat, dachte Arabel. Alle Anzeichen sprachen dafür.

„Fertig.“ Die Schwester stand neben dem Bett und lächelte zufrieden. „Wie jung Sie aussehen … wie ein kleines Mädchen, das besonders artig war und jetzt seine Belohnung erhält.“

„Mit der Belohnung meinen Sie meinen … Ehemann, nicht wahr?“ Arabel wunderte sich, dass sie so ruhig sprechen konnte, obwohl sie innerlich bis zum Zerreißen gespannt war. Sie hätte flehentlich darum bitten mögen, sie nicht mit dem Fremden, der sie als seine Ehefrau betrachtete, allein zu lassen. Das alles konnte nur eine Verschwörung sein. Wenn man verheiratet war und seinen Mann liebte, verlor man ihn nicht so vollständig aus dem Gedächtnis!

Arabels Blick blieb an den wunderschönen rosa Nelken hängen, die vor einer Stunde abgegeben worden waren. Darunter lag ein Päckchen, das sie bisher nicht geöffnet hatte.

„Soll ich das Geschenk auspacken?“, fragte die Schwester. „Sicher sind Sie neugierig, was Ihr Mann Ihnen geschickt hat.“

„Eigentlich nicht.“ Arabel brauchte sich zu dem kühlen Ton nicht zu zwingen. Sie empfand nur Furcht und Abneigung gegen den Fremden, der über ihr Schicksal bestimmte und sie von denen, die sich vielleicht um sie sorgten, fernhielt. Womöglich verschwieg er ihnen sogar absichtlich, dass sie mit Amnesie in einem südspanischen Krankenhaus lag.

Alle Blumen und Geschenke waren von ihm gekommen. Als Arabel gefragt hatte, ob sich irgendjemand telefonisch nach ihr erkundigt habe, war die Antwort Nein gewesen. Man schien es für richtig und ausreichend zu halten, dass sich dieser unbekannte Spanier, der sich als ihr Ehemann ausgab, um sie kümmerte.

„Lassen Sie mich das Päckchen öffnen“, drängte die Schwester. „Ihr Mann könnte sonst annehmen, dass Sie seine Güte nicht zu schätzen wissen.“

„Was ich jedenfalls überhaupt nicht schätze, ist, dass er meine Verwandten und Freunde über meinen Zustand völlig im Unklaren lässt“, bestätigte Arabel bitter. „Mit den Blumen und Geschenken will er bestimmt nur sein Gewissen beruhigen.“

Die Schwester sah sie erst entsetzt und dann missbilligend an. „Seien Sie versichert, dass Ihr Mann ein Gentleman ist, Señora“, sagte sie streng. „Er ist muy distinguido … sehr vornehm, und er würde nie etwas Unehrenhaftes tun.“

„Ich bezweifle nicht, dass er sich perfekt verbeugen und blumige Komplimente machen kann“, erwiderte Arabel. „Meine Angehörigen in Amerika hat er allerdings nicht über mein Schicksal benachrichtigt. Gehen alle spanischen Ehemänner so eigenmächtig vor? Verliert eine Frau ihre Familie, wenn sie einen spanischen Grande heiratet?“

„Vielleicht haben Sie in Amerika gar niemanden, der Ihnen nahe steht und den man benachrichtigen könnte“, wandte die Schwester ein. „Es ist ungerecht, Ihren Mann so zu verdächtigen … zumal Sie geistig immer noch verwirrt sind.“

Arabel biss sich auf die Lippe. Vielleicht hatte die Schwester recht, doch das änderte nichts an ihrem Gefühl der Verlassenheit und ihrem Widerstreben, dem Mann zu begegnen, dem sie so hilflos ausgeliefert war. Lag sie nicht wie eine Gefangene in diesem Krankenhausbett? Zugegeben, man sorgte vorbildlich für sie, aber war das Grund genug, dass alle in Ehrfurcht erstarrten, sobald auch nur der Name Ildefonso de la Dura fiel?

„Also gut“, gab sie nach. „Meinetwegen können Sie das Päckchen öffnen, wenn Ihnen so viel daran liegt.“

Die Schwester lächelte erleichtert, wickelte das Geschenk aus und hielt staunend den Atem an. In einem Kästchen aus Schildpatt lagen ein juwelenbesetzter Schmuckkamm, wie ihn Spanierinnen im Haar trugen, und ein weißer Spitzenfächer, der mit einem goldenen Blütenzweig bemalt war. Beide Stücke waren ausgesucht schön, aber Arabel presste die Hände zusammen und verweigerte jede Berührung.

„Ist der nicht reizend?“ Die Schwester klappte den Fächer auf, schwenkte ihn mit einer gekonnten Drehung des Handgelenks und hielt ihn dann so vor ihr Gesicht, dass nur noch die dunklen Augen zu sehen waren.

„Sie können ihn gern behalten“, sagte Arabel. „Weil Sie so nett zu mir waren.“

„O nein!“ Erschrocken klappte die Schwester den Fächer zu und legte ihn in das Kästchen zurück. „Er ist ein Geschenk Ihres Mannes, und der Señor Hidalgo wäre sehr zornig, wenn Sie ihn weiterverschenken würden. Es handelt sich vermutlich um ein Familienerbstück, das Sie in Ehren halten müssen.“

„Aber Sie sind Spanierin, und der Fächer passt zu Ihnen. Sie sollten sich auch den Kamm nehmen, wenn Sie Freude daran haben.“

„Nein.“ Die Schwester trat eilig vom Bett fort, ihre Miene zeigte eine Mischung aus Unverständnis und Nachsicht mit der verstörten Patientin. Jemanden wie Arabel hatte sie bislang nicht kennengelernt. Wie konnten einer Frau die teuren und kostbaren Geschenke ihres Ehemanns so gleichgültig sein? „Ich lasse Sie jetzt allein, Señora, mich rufen andere Pflichten. Kann ich Ihnen noch etwas bringen, bevor ich gehe?“

„Wie wäre es mit meiner Kleidung und meiner Handtasche?“, fragte Arabel ironisch. „Ich würde am liebsten von hier verschwinden … bevor er kommt und sich das Netz noch dichter um mich zusammenzieht. Ich fühle mich wie ein gefangener Vogel, Schwester, begreifen Sie das nicht? Ich möchte mich befreien, aber Sie tun alles, um mich diesem Mann auszuliefern.“

Die Schwester schüttelte nur den Kopf. Die Amerikanerin war nicht ganz bei sich, darum musste man behutsam mit ihr umgehen. „Essen Sie von Ihren Weintrauben, Señora“, schlug sie vor. „Bald kommt der Señor Hidalgo, und dann wird alles gut.“

Sie verließ den Raum, und Arabel sah ihr mit zusammengepressten Lippen nach. Es machte sie wütend, dass alle so ehrfürchtig von dem Unbekannten sprachen, in dem sie nur ihren Peiniger sah. Kamm und Fächer waren von erlesener Schönheit, wie auch die anderen Geschenke, doch nichts gehörte wirklich ihr. Nicht einmal das seidene Nachthemd mit echter spanischer Spitze.

Seufzend lehnte sie sich in die Kissen zurück. Sie saß in einer Falle, aus der es im Augenblick kein Entkommen gab. Sie musste die Ankunft des Fremden abwarten. Vielleicht würde sich bei seinem Anblick alles klären, aber die Angst vor ihm würde bleiben.

Woher kam diese Angst, wo ihr doch jeder versicherte, dass sie Grund hatte, dem Señor Hidalgo dankbar zu sein? Er war zu ihrer Rettung geeilt, hatte seinen Einfluss geltend gemacht, um sie aus den Fängen der Geheimpolizei zu befreien … Alles gut und schön, aber wie war sie überhaupt in die Gesellschaft politischer Rebellen geraten?

War alles eine Lüge, um besser Druck auf sie ausüben zu können? Doch warum sollte der Spanier eine solche Geschichte erfinden? Welchen Grund konnte es dafür geben? Er hatte sich für sie verwendet, und der Ring an ihrer Hand war sorgfältig ausgewählt worden. Nicht nur passte er wie angegossen, das Blau des Saphirs harmonierte auch perfekt mit der Farbe ihrer Augen. Alles wies darauf hin, dass sie tatsächlich Señora Ildefonso de la Dura war, obwohl sie sich wie ein verwirrtes kleines Mädchen fühlte, das vom Leben einer Ehefrau nicht das Geringste wusste.

Dr. Guardano behauptete, der Spanier habe sie geheiratet, um sie aus Venezuela herauszuschaffen. Durfte sie daraus schließen, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand und sie nach Amerika zurückkehren konnte, sobald ihre Gesundheit es erlaubte? Ihre innere Anspannung begann nachzulassen. Ja, so musste es sein. Señor Ildefonso de la Dura kam her, um ihr mitzuteilen, dass die Heirat nur ein Vorwand gewesen war – ein Mittel zum Zweck. Jetzt, wo sie sich in Spanien befand und nicht mehr wegen Unterstützung von Rebellen bestraft werden konnte, würde sie binnen Kurzem ihre völlige Freiheit zurückerhalten.

Arabel atmete auf und lächelte zaghaft. Aber es war ein flüchtiges Lächeln, das schnell wieder verschwand, als ein Sonnenstrahl die Facetten des Saphirs traf und ihn zu funkelndem Leben erweckte.

Der Edelstein blitzte und schimmerte, als wolle er sie verspotten, doch Arabel war inzwischen klar genug, um sich nicht mehr einreden zu müssen, er sei eine Imitation – so unecht wie das Eheversprechen, das sie gegeben hatte, ohne sich daran zu erinnern.

Autor

Violet Winspear
Violet Winspear wurde am 28.04.1928 in England geboren. 1961 veröffentliche sie ihren ersten Roman „Lucifer`s Angel“ bei Mills & Boon. Sie beschreibt ihre Helden so: Sie sind hager und muskulös, Außenseiter, bitter und hartherzig, wild, zynisch und Single. Natürlich sind sie auch reich. Aber vor allem haben sie eine große...
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