Meine Königin der Nacht

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Chrissies Affäre mit dem feurigen Jaul von Marwan ist überwältigend! Aber dann verschwindet der Sohn eines Scheichs spurlos und lässt sie allein in England zurück. Zwei Jahre vergehen – wie soll Chrissie ihn vergessen, wenn sie in die süßen Gesichter ihrer Zwillinge blickt?


  • Erscheinungstag 05.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513890
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

König Jaul hatte nach dem Tod seines Vaters Lut erst kürzlich den Thron des Scheichtums Marwan im Arabischen Golf bestiegen. Nachdenklich betrachtete er die Wedel der Dattelpalmen im Innenhof, die sich vor seinem Bürofenster sanft in der leichten Brise wiegten. Eine dunkelhaarige Schönheit spielte dort mit ihrer Nichte und ihrem Neffen. Zaliha war nicht nur bildhübsch, gebildet, sanftmütig und elegant, sondern stammte auch aus gutem Haus. Beste Voraussetzungen für die Rolle der Königin an seiner Seite. Eigentlich hätte er ihr schon längst einen Heiratsantrag machen sollen. Die Menschen im durch Erdöl reich gewordenen Marwan waren sehr konservativ. Von ihrem König wurde verlangt, dass er eine Ehefrau an seiner Seite hatte und schleunigst für Nachwuchs sorgte, damit die Thronfolge gesichert war. Da Jaul keine Geschwister hatte, lag diese Bürde ganz allein auf seinen Schultern.

Seit Wochen wurde in den Gazetten darüber spekuliert, wen er zu seiner Königin machen würde. Kaum tauchte er mit einer Frau in der Öffentlichkeit auf, brodelte die Gerüchteküche.

Frustriert presste Jaul die sinnlichen Lippen zusammen. Das wilde Leben lag hinter ihm, seit er die Herrschaft über das Scheichtum übernommen hatte. Insgeheim wusste er auch nur zu gut, warum er Zaliha noch nicht um ihre Hand gebeten hatte. Nicht allein deswegen, weil es zwischen ihnen überhaupt nicht knisterte. Obwohl gerade das vielleicht ein Grund gewesen wäre, sie zu heiraten, denn wilde, ungezügelte Leidenschaft hatte schließlich fast zu seinem Untergang geführt.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Bandar, der Rechtsberater der Königsfamilie, betrat das Arbeitszimmer.

„Entschuldigung, ich bin etwas zu früh“, sagte der kleine Mann mit der Halbglatze ernst, als er sich höflich verneigte.

Jaul bot ihm einen Stuhl an und lehnte sich abwartend zurück. Wahrscheinlich musste er wieder einen Vortrag über das Verfassungsrecht über sich ergehen lassen.

„Es geht um eine sehr delikate Angelegenheit“, erklärte Bandar, dem die Sache sichtlich unangenehm war.

Das klingt ominös, dachte Jaul gespannt. „Wir können über alles sprechen. Schießen Sie los, Bandar!“ Aufmunternd lächelte er dem Anwalt zu.

„Vor achtzehn Monaten habe ich diese Angelegenheit bereits mit meinem Vorgänger Yusuf erörtert. Er hat mir strikt untersagt, sie je wieder zu erwähnen.“

Yusuf war Luts Rechtsberater gewesen und hatte sich nach dem Tod des alten Herrschers in den Ruhestand verabschiedet. Bandar hatte daraufhin den Posten übernommen. Forschend musterte Jaul sein Gegenüber. Welches Geheimnis des alten Königs würde ihm wohl gleich zu Ohren kommen? Delikate Angelegenheit? Nun, gleich wusste er mehr.

„Nur heraus damit, Bandar! Wenn Sie als mein Rechtsberater es für erforderlich halten, mich einzuweihen, dann muss es ja etwas Wichtiges sein.“

„Das ist es, Hoheit.“ Bandar atmete tief durch. „Vor zwei Jahren haben Sie eine junge Engländerin geheiratet. Diese Tatsache ist zwar nicht allgemein bekannt, doch wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen.“

Jaul hatte es die Sprache verschlagen. Nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte, konterte er: „Es war keine offizielle Eheschließung und zudem ungültig, weil sie ohne Zustimmung meines Vaters erfolgte.“

„Sie irren, Hoheit. Die Eheschließung ist rechtsgültig erfolgt. Ihr Vater hätte es allerdings gern anders gesehen“, führte Bandar aus. „Yusuf hatte nicht den Mut, ihm die Wahrheit zu sagen.“

Jaul war bleich geworden. In seinen dunklen Augen spiegelte sich Verblüffung. „Ich bin tatsächlich verheiratet?“

„Allerdings. Laut Verfassung des Scheichtums Marwan darf der Kronprinz allein bestimmen, wen er zur Frau nimmt“, bestätigte Bandar. „Sie waren zum Zeitpunkt der Eheschließung mit Ihren sechsundzwanzig Jahren auch kein unmündiger Teenager mehr“, gab der Anwalt zu bedenken. „Da Sie sich nicht um eine Scheidung bemüht haben, sind Sie noch verheiratet.“

Die Anspannung unter dem weißen Gewand war Jaul anzumerken. Diese Nachricht durchkreuzte natürlich seine Heiratspläne. Unglaublich, aber er war tatsächlich schon verheiratet! Zwei Monate hatte er damals mit seiner Braut zusammengelebt, bevor ihre Wege sich trennten.

„Ich habe mich nicht um eine Scheidung bemüht, weil mir versichert wurde, dass die Eheschließung ungültig war“, erklärte er.

„Das war leider eine Fehlinformation.“ Bedauernd zuckte Bandar die Schultern. „Um wieder ein freier Mann zu sein, muss die Scheidung nach britischem und marwanischem Recht ausgesprochen werden.“

Nachdenklich blickte Jaul aus dem Fenster. Im Innenhof spielte Zaliha noch immer mit den Kindern. Doch diese fröhliche Szene nahm er nicht wahr. Seine Gedanken kreisten um die Vergangenheit. „Ich hatte ja keine Ahnung“, sagte er ausdruckslos. „Man hätte mich schon vor Monaten in Kenntnis setzen müssen.“

„Wie ich bereits ausführte, untersagte Yusuf mir, darüber zu sprechen. Was sollte ich tun? Er war mein Vorgesetzter.“ Bedauernd senkte Bandar den Kopf.

„Seitdem sind drei Monate vergangen“, entgegnete der König ungehalten.

„Ich bin untröstlich, Hoheit. Aber es hat leider so lange gedauert, bis ich mich selbst von der Faktenlage überzeugt hatte. Weder Sie noch Ihre Frau haben die Scheidung eingereicht. Somit sind Sie noch rechtmäßig verheiratet.“

„Bitte nennen Sie sie nicht so“, bat er leise.

„Wäre es Ihnen lieber, sie als Königin zu bezeichnen?“, fragte Bandar taktlos. „Denn genau das ist Chrissie Whitaker. Auch wenn ihr das höchstwahrscheinlich nicht bekannt ist. Die Frau des Königs von Marwan ist unweigerlich die Königin des Scheichtums“, setzte er hinzu, um keinen Zweifel am rechtlichen Status der Engländerin aufkommen zu lassen.

Unwillkürlich ballte Jaul die Hände zu Fäusten. Er hatte einen schwerwiegenden Fehler begangen. Der rächte sich jetzt – ausgerechnet jetzt! Er war auf eine Frau hereingefallen, die es nur auf sein Geld abgesehen und ihn verlassen hatte, kaum dass eine ansehnliche Summe auf ihrem Konto eingegangen war.

„Ich kann verstehen, dass Ihr Vater die Heirat nicht gutgeheißen hat, aber jetzt …“

„Er hatte recht“, fuhr Jaul dazwischen. „Die Frau ist es nicht wert, meine Ehefrau zu sein. Als Königin ist sie völlig ungeeignet“, erklärte er harsch – in seinem Stolz verletzt. „Ich habe einen Fehler gemacht, Bandar. Das ist mir schon lange klar“, gab er widerstrebend zu.

„Jugendsünden können einen das ganze Leben lang verfolgen“, gab Bandar – wenig hilfreich – zu bedenken. Wie auch immer, er war froh, es mit Jaul zu tun zu haben und nicht mit dessen Vater. Der hätte den Überbringer schlechter Neuigkeiten längst aus dem Palast gejagt. Der junge König reagierte da viel ziviler und gelassener.

Jaul hatte gar nicht hingehört. Seine Gedanken kreisten erneut um die Vergangenheit. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf: Chrissie, die bildhübsche langbeinige junge Frau, die ihm den Rücken kehrte und mit wehender silberblonder Mähne aus seinem Leben verschwand. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass sie ihn ständig hatte stehen lassen. Das gehörte zu ihrer Strategie. Sie hatte ihn eine halbe Ewigkeit zappeln lassen. Für Jaul war das eine völlig neue Erfahrung gewesen, denn bisher waren die Frauen nur zu willig gewesen, sich mit ihm einzulassen. Zwei lange Jahre hatte es gedauert, bevor er Chrissie endlich so weit hatte. Natürlich nicht ohne Jawort vorm Traualtar!

Während der zwei Jahre ohne Sex war Chrissie für ihn immer attraktiver geworden, bis er schließlich meinte, es ohne sie nicht mehr aushalten zu können. Er war wie besessen davon gewesen, sie zu besitzen, dass er schließlich nur noch eine Möglichkeit sah, ans Ziel zu kommen: Er musste das Objekt seiner Begierde heiraten. Schon bald nach der Hochzeit hatte er diesen Schritt bitter bereut. Chrissie und er hatten sich heftig gestritten, als er Oxford ohne sie verließ, um nach Marwan zurückzukehren. Seit dem Tag hatte er sie nie wieder gesehen.

Das Schicksal hatte es anders gewollt. Nach einem schweren Unfall hatte Jaul lange im Koma gelegen. Der König war kaum von seiner Seite gewichen. Das sorgenzerfurchte Gesicht seines Vaters war Jauls erste Erinnerung gewesen, als er schließlich aus dem Koma erwacht war. Lut hatte keine guten Nachrichten für ihn. Chrissie weigerte sich, ihn im Krankenhaus zu besuchen. Außerdem war die Ehe mit ihr ungültig, und Chrissie hatte eine Abfindung erhalten, um zu vergessen, dass Jaul je mit ihr zusammen gewesen war.

König Lut hatte eine ansehnliche Summe für ihr Schweigen gezahlt. Chrissie hatte finanziell ausgesorgt.

Während seiner Rekonvaleszenz im Krankenhaus hatte Jaul immer wieder geträumt, er würde Chrissie entführen. Unvorstellbar, wie er nun zugeben musste. Frustriert sah er vor sich hin. Wie dumm, wie naiv er gewesen war. Chrissie hatte es nur auf sein Geld abgesehen. Sobald sein Vater ihr eine hohe Abfindung gezahlt hatte, war der Prinz aus dem Morgenland vergessen. Diese Tatsache hatte nicht gerade zur Beschleunigung des Heilungsprozesses beigetragen.

„Ich muss wissen, was Sie in dieser Angelegenheit unternehmen wollen.“ Bandar riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich habe eine renommierte Anwaltskanzlei in London beauftragt, die Scheidung einzureichen. Man versicherte mir, nach der langen Trennungszeit wäre das eine reine Formsache. Soll ich die Kanzlei anweisen, Chrissie Whitaker zu kontaktieren, Hoheit?“

„Nein!“ Blitzschnell wandte Jaul sich um, maß den Rechtsberater mit kühlem Blick. „Offensichtlich ist ihr nicht bewusst, dass wir noch Mann und Frau sind. Ihr das mitzuteilen, obliegt mir.“

Verwundert runzelte Bandar die Stirn. „Aber Hoheit …“

„Ich bin ihr das schuldig. Schließlich hat mein Vater sie in die Irre geführt, als er behauptete, die Eheschließung wäre nicht rechtmäßig gewesen. Chrissie fährt sehr leicht aus der Haut. Es wäre besser, wenn ich die Scheidungspapiere persönlich übergebe.“

„Ja, das kann ich nachvollziehen.“ Bandar nickte zustimmend. „Eine sehr diplomatische und diskrete Vorgehensweise“, lobte er.

„Genau.“ Ein Schauer der Erregung lief Jaul bei der Vorstellung über den Rücken, Chrissie schon bald wiederzusehen. Und das, obwohl er inzwischen wusste, dass es ihr immer nur um sein Geld gegangen war. Vielleicht musste er sie einfach nur noch ein einziges Mal sehen, um sich davon zu überzeugen, dass er sie nicht mehr begehrte. Zumal er inzwischen reifer geworden war und sich nicht mehr von seinen Hormonen überrumpeln ließ. Daran hatte er in den vergangenen zwei Jahren sorgfältig gearbeitet. Nie wieder würde er sich wegen einer Frau zum Narren machen! Die Erfahrung mit Chrissie hatte ihm eine Lektion erteilt, die er sein Leben lang nicht mehr vergessen würde.

Also gut, dachte er mürrisch, dann werde ich diese unselige Geschichte jetzt zum Abschluss bringen und die Scheidung von Chrissie verlangen.

Ob das zivilisiert über die Bühne gehen würde, war eine andere Frage.

Beladen mit Geschenken und Karten stieß Chrissie die Eingangstür der Grundschule auf und überquerte den Parkplatz. Die Arbeit mit den Vorschulkindern hatte ihr viel Freude bereitet.

„Darf ich helfen?“, fragte Danny, ein junger Lehrer, der in der ersten Klasse unterrichtete, und eilte beflissen herbei.

Dankbar überließ sie ihm die Last und öffnete den Kofferraum ihres kleinen Wagens.

„Du musst ja sehr beliebt bei deinen Schülern sein“, sagte er lachend.

„Wieso? Hast du keine Geschenke bekommen?“

„Doch, Wein und Aftershave“, antwortete er amüsiert, während er ihre Geschenke im Kofferraum verstaute. „In diesem Nobelviertel Londons gleicht der letzte Schultag dem Hauptgewinn in einem Glücksspiel“, witzelte er.

Chrissies türkisblaue Augen glitzerten humorvoll. „Ja, es ist wirklich völlig überzogen, was die Eltern hier veranstalten. Sie geben Unsummen für Geschenke aus.“

Danny drückte den Kofferraumdeckel zu und lehnte sich an den Wagen. „Und? Was hast du dir für den Rest des Sommers vorgenommen?“, fragte er interessiert.

„Ich besuche meine Schwester.“

„Sie lebt in Italien und ist mit einem Milliardär verheiratet, oder?“

„Genau.“ Ungeduldig wedelte Chrissie mit dem Autoschlüssel und hoffte, Danny würde die Geste verstehen.

Der verzog das Gesicht. „Sehr aufregend ist es wohl nicht gerade, seine Schwester zu besuchen“, vermutete er. „Hast du keine Lust, mal was anderes zu machen?“

Chrissie zwang sich zu einem Lächeln. Vor zwei Jahren hatte sie ‚mal was anderes‘ gemacht. Unter den Folgen litt sie noch immer. Inzwischen war sie wieder vernünftig geworden. Auch das gestörte Verhältnis zu ihrer Schwester war wieder fast normal. Es tat ihr unendlich leid, Lizzie so hintergangen zu haben. Sie hing sehr an ihrer geliebten Schwester. Noch immer hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil Lizzie sich selbst die Schuld daran gegeben hatte, dass Chrissies Leben derart aus den Fugen geraten war.

„Lizzie liebt dich. Sie möchte, dass du glücklich bist“, hatte Cesare mal erklärt. Cesare war Lizzies Mann und hatte hinzugefügt: „Vertrau ihr endlich die ganze Geschichte an. Dann wird sie sich nicht mehr so übergangen fühlen.“

Aber Chrissie hatte niemandem die ganze tragische Geschichte anvertraut. Ein einziger schlimmer Fehler, für den sie noch immer die Zeche zahlte! Sie musste allein damit klarkommen. Wenn sie mit der Geschichte hausieren ginge, würde man schnell an ihrem Verstand zweifeln.

„Ich verbringe den Sommer in Cornwall“, erzählte Danny und lächelte hoffnungsvoll.

Chrissie wandte den Blick ab. Seit Monaten erzählte Danny von seinen Plänen, zum Surfen nach Cornwall zu fahren. Inzwischen wusste das gesamte Kollegium Bescheid. „Dann viel Spaß.“ Energisch schob sie sich an ihm vorbei und öffnete die Fahrertür.

Danny umschloss ihre Hand. „Ich hätte noch mehr Spaß, wenn du mitkommen würdest, Chrissie. Komm, sag ja!“ Bittend schaute er sie an.

Ärgerlich riss sie sich los. „Tut mir leid, ich habe bereits andere Pläne.“

„Ich wüsste zu gern, welcher Typ dich so desillusioniert hat“, sagte er enttäuscht, wich zurück und schob die Hände in die Hosentaschen. „Schade, dass du nun alle Männer über einen Kamm scherst. Du hast ja keine Ahnung, was dir dadurch entgeht.“

Schweigend setzte Chrissie sich ans Steuer und zog die Tür zu. Was wusste Danny denn schon von ihrem Leben? Sie hatte immer davon geträumt, ihren Doktor zu machen und die Karriereleiter zu erklimmen. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Chrissie musste Verantwortung übernehmen, war nicht mehr frei und ungebunden, konnte nicht mehr tun und lassen, was sie wollte. Am schlimmsten für sie war jedoch, dass sie auf Lizzies Großzügigkeit angewiesen war. Und alles nur, weil sie eine einzige Fehlentscheidung getroffen hatte!

Lange bevor sie Jaul kennengelernt hatte, hatte ihre Mutter ihr und Lizzie eine kleine griechische Insel hinterlassen. Cesare hatte sie ihnen für ein kleines Vermögen abgekauft. Das alles war über die Bühne gegangen, bevor Chrissie schwanger geworden war und Zwillinge erwartete. Sonst wäre sie niemals auf die Idee gekommen, das Geld fest anzulegen. Nun lag es in einem Treuhandfonds, an den sie erst an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag herankam. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn sie hatte befürchtet, die Verschwendungssucht ihrer Mutter Francesca geerbt zu haben. Der hatte sie einen Riegel vorschieben wollen. Später würde sie sicher vernünftig mit dem Geld umgehen – so ihre Theorie damals.

Inzwischen war Chrissie vierundzwanzig Jahre alt und bereute die Vorsichtsmaßnahme. Sie hätte das Geld gut gebrauchen können. Wenigstens wäre sie finanziell unabhängig gewesen. Nun musste sie jedoch selbst Geld verdienen und sich das Kindermädchen für die Zwillinge mit Lizzie teilen, die inzwischen auch zwei Kinder hatte. Allein hätte sie Sallys Gehalt nicht aufbringen können. Andererseits war es richtig gewesen, Cesares Ratschlag zu befolgen, ein Haus zu kaufen, bevor sie das restliche Geld fest anlegte. Wenigstens musste sie nun keine Miete zahlen.

Nach kurzer Fahrt parkte sie den Wagen vorm Haus, nahm die Geschenke aus dem Kofferraum und schloss die Haustür auf. Sally stürzte aus der Küche herbei, um Chrissie zu helfen. „Wie wär’s mit einer Tasse Tee?“, fragte die kurvige Brünette fröhlich.

„Ja, gern. Bist du heute Abend gar nicht verabredet?“, fragte Chrissie neckend. Normalerweise machte Sally sich sofort nach Chrissies Eintreffen auf den Weg zu Lizzies Villa, wo sie ein kleines Apartment bewohnte. Dort machte sie sich schick und ging aus.

„Nein, heute bleibe ich mal zu Hause. Ich muss mein Konto schonen.“ Sally verzog das Gesicht.

Chrissie lachte und schlenderte ins Wohnzimmer. Die Zwillinge saßen auf dem Teppich und spielten mit Plastikbauklötzen. Blauschwarze Locken umrahmten die rosigen Gesichter mit den fast schwarzen Kulleraugen. Tarif quietsche vor Freude, als er seine Mutter bemerkte, ließ den Bauklotz fallen und krabbelte blitzschnell auf sie zu. Soraya lachte und streckte Chrissie die Ärmchen entgegen.

„Hallo, meine kleinen Lieblinge“, sagte Chrissie zärtlich zur Begrüßung, ging in die Knie und nahm erst Tarif, dann Soraya auf den Arm.

„Mum, Mum“, brabbelte Soraya und streichelte ihrer Mutter die Wange. Tarif zog seine Mutter an den Haaren, schmiegte sich an sie und gab ihr einen herzhaften Schmatz auf die andere Wange.

Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. Die Sorgen und Ärgernisse des Tages waren vergessen. Seit ihrer Geburt hatte sie die Zwillinge fest ins Herz geschlossen. Anfangs hatte sie Angst gehabt, völlig überfordert zu sein. Aber Lizzie hatte sie zu sich in die Villa geholt und ihr alles gezeigt, was eine junge Mutter wissen musste.

„Du schaffst das schon“, hatte sie ihrer Schwester versichert. „Alle Mütter müssen da durch.“

Chrissie hatte schnell gelernt, worauf es ankam. Eins traf sie jedoch völlig unvorbereitet: die tiefe, überwältigende Liebe zu ihren Kindern. Während der Schwangerschaft war davon nichts zu spüren gewesen, denn Chrissie war so wütend auf Jaul gewesen, weil er sie geschwängert und dann verlassen hatte. Die Vorstellung, die Kinder allein großzuziehen, hatte sie fast in Panik versetzt. Doch sobald die Zwillinge auf der Welt waren, hatte sie nur noch Augen für sie gehabt, und seither sorgte sie dafür, dass es ihnen an nichts fehlte.

„Wir waren heute Nachmittag im Park“, berichtete Sally. „Tarif hat ein fürchterliches Theater gemacht, als ich ihn von der Schaukel geholt habe. So wütend habe ich ihn noch nie erlebt.“

„Ja, er kann ein richtiges kleines Biest sein, wenn ihm etwas nicht passt“, gab Chrissie zu. „Soraya steht ihm übrigens in nichts nach, was das betrifft“, fügte sie dann hinzu. „Sie probieren aus, wie weit sie gehen können“, erklärte sie. Wie ihr Vater, fügte sie lautlos hinzu. Jaul tauchte vor ihrem geistigen Auge auf: langes blauschwarzes Haar, breite Schultern, schwarze Augen, die wütend funkelten. Und unglaublich sexy …

Chrissie wurde es heiß bei dem Gedanken. Schnell schob sie ihn beiseite und rief sich ins Gedächtnis zurück, wie stur, impulsiv und unberechenbar Jaul sein konnte.

„Alles in Ordnung?“ Besorgt nahm Sally ihr die Zwillinge ab. „Du wirkst plötzlich so erschöpft.“

„Nein, alles gut.“ Chrissie errötete verlegen, rappelte sich auf und verschwand in der Küche, um Teewasser aufzusetzen. Die Erinnerungen an Jaul überwältigten sie manchmal völlig überraschend. Sie konnte nichts dagegen tun. Dann genügte ein Wort, ein vertrauter Duft, ein Song, schon wurde sie in die Vergangenheit katapultiert. Es tat so weh, an ihn zu denken …

Wahrscheinlich wäre sie längst über ihn hinweg, wenn sie ihn nicht so sehr geliebt hätte. Für die Zwillinge war es natürlich besser, dass sie ihren Vater geliebt hatte, auch wenn diese Liebe nur von kurzer Dauer gewesen war und er sie nur benutzt, belogen und wahrscheinlich auch betrogen hatte. Als absolute Krönung hatte sein Vater ihr dann noch eine Abfindung angeboten und sie über das Playboyleben seines Sohnes aufgeklärt. Dabei hatte Jaul ihr bei der Hochzeit ewige Liebe und Treue geschworen. Offensichtlich bildete er sich ein, mit Geld aus dieser Nummer wieder herauszukommen.

Ewige Liebe und Treue – ein Witz! Schon nach wenigen Wochen hatte Jaul angefangen, sich zu langweilen. Damit hatte Chrissie nun wirklich nicht gerechnet. Seine Großzügigkeit ging ihr allerdings bald auf die Nerven. Seine extravaganten Geschenke hielt sie für maßlos übertrieben. Das hatte sie ihm auch gesagt. Doch Jaul hatte argumentiert, dass man von ihm erwarte, großzügige Geschenke zu machen.

„Alles Angabe“, hatte Chrissie irgendwann gekontert, was ihr einen empörten Blick eingebracht hatte.

„Ich bin kein Angeber!“

Das hatte er auch gar nicht nötig. Sein fantastisches Aussehen zog sowieso alle Blicke an. Sein eleganter Sportwagen war auch nicht zu verachten. Außerdem erregte Jaul Aufsehen, weil er stets von Leibwächtern umringt war und ein Luxusleben führte.

Chrissie reichte Sally einen Becher Tee. Die Zwillinge spielten wieder friedlich auf dem Wohnzimmerteppich.

„Ihr Lieblingsspielzeug ist bereits eingepackt und im Kofferraum meines Autos“, erzählte Sally. „Darum brauchst du dich nicht mehr zu kümmern.“

Chrissie lächelte. „Danke, Sally. Aber wir sind ja so oft in der Villa, dass ich die Sachen schon im Schlaf zusammenpacken kann. Ich freue mich sehr auf Lizzie und die Kinder.“

„Max and Giana werden ganz schön überrascht sein, wie schnell die Zwillinge inzwischen krabbeln können“, vermutete Sally. „Giana wird das gar nicht gefallen.“

Chrissie lachte. Ja, ihre energische kleine Nichte, die Tarif und Soraya wie Puppen behandelte, würde sich umstellen müssen. Die Zwillinge würden sich jetzt auch für das Spielzeug ihrer Cousine interessieren, statt einfach nur mit großen Augen um sich zu schauen.

Schließlich verabschiedete Sally sich, Chrissie fütterte die Zwillinge und steckte sie in die Badewanne, bevor sie die beiden schlafen legte. Während sie die Gutenachtgeschichte vorlas, überlegte sie, ob sie nach den Sommerferien wohl einen neuen Job finden würde. Die Stelle als Vorschullehrerin war befristet gewesen. Nach den Ferien kehrte die Stelleninhaberin aus der Elternzeit zurück. Die Sorge um einen neuen Job raubte ihr den Schlaf, sodass sie am nächsten Morgen noch ganz benommen war, als sie aufstehen musste, um die Zwillinge zu füttern, anzuziehen und anschließend wieder in die Bettchen zu legen, in der Hoffnung, sie wären dann frisch und munter, wenn sie in der Villa eintrafen.

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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