Meine süße Sommerfee

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Zärtliche Stunden verbringt die zierliche Kit mit dem britischen Diplomaten Sir Philip Hardesty in ihrem romantischen Strandhaus auf Coral Cove. Doch wie kann es nur sein, dass Philip ein glühender Liebhaber ist - und sich wenige Momente später wieder ganz kühl und beherrscht gibt? Enttäuscht fliegt Kit zurück nach London. Jetzt bleiben ihr nur bittersüße Erinnerungen …


  • Erscheinungstag 16.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757571
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Man hatte den Engländer unterschätzt. Das wurde allen am Sonderkommando Beteiligten bereits in den ersten vierundzwanzig Stunden klar. Mochte der Mann mit dem dichten schwarzen Haar auch wie ein umschwärmter Hollywoodstar aussehen, so bewegte er sich doch geschmeidig wie eine Raubkatze und war hart im Nehmen.

Als bekannt geworden war, dass an der Dschungelexpedition ein Bürokrat aus New York teilnehmen würde, der außerdem noch zur britischen Aristokratie gehörte, wäre es im Team beinahe zur Meuterei gekommen.

„Sir Philip Hardesty?“, hatte Texas Joe fassungslos gefragt, und Spanner hatte gemurrt: „Ich werde keinen hochnäsigen Schreiberling mit ‚Sirʻ anreden!“

Da Spanner ebenfalls Engländer war, galt er in dieser Frage als besonders kompetent, und so beschlossen seine Kameraden, sich nach ihm zu richten. Als Philip Hardesty dann zu ihnen stieß, genügte den Männern ein Blick auf seine gepflegten Hände, den funkelnagelneuen Rucksack und die sündhaft teuren Stiefel, um sich in ihrem Vorurteil gegen ihn vollauf bestätigt zu finden.

Zur Überraschung aller, legte er jedoch keinen Wert auf seinen Titel. Er schonte auch seine Hände nicht, und beim Waten durch den Fluss hielten seine Stiefel das Wasser besser ab als die der anderen Männer.

Vor allem aber bewies er während des tagelangen Gewaltmarsches durch den Dschungel eine bewundernswerte Zähigkeit. Nichts schien ihm etwas auszumachen. Weder das abscheulich riechende Insektenschutzmittel noch die unerträglich hohe Luftfeuchtigkeit oder die von den bedrohlichen Schreien wilder Tiere erfüllten Nächte.

Obwohl er kein spezielles Ausdauertraining wie alle anderen absolviert hatte, war er auf seine ruhige Art ebenso stark wie sie und ertrug alle Strapazen klaglos. Er besaß eine beachtliche körperliche Kondition, und wenn er in den kurzen Ruhepausen den voll bepackten Rucksack absetzte, konnte man sehen, wie breit und muskulös seine Schultern waren.

Captain Soames, der die Truppe anführte, war anfänglich wenig begeistert gewesen, bei dieser riskanten Mission von einem Zivilisten begleitet zu werden. Immerhin handelte es sich ja nicht nur um einen abenteuerlichen Ausflug in den Urwald, sondern um ein Treffen mit sogenannten Freiheitskämpfern, deren Absichten keineswegs völlig klar waren.

Mittlerweile hatte der Captain seine Vorbehalte gegen Philip Hardesty längst zurückgenommen. Der Mann verstand ja sogar, Feuer zu machen und es ordnungsgemäß wieder zu löschen.

„Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?“, fragte der Captain den Engländer, als sie an diesem Abend alle gemeinsam um das Lagerfeuer saßen.

Am nächsten Tag würden sie das Camp der Rebellen erreichen. Was sie dort erwartete, wusste keiner der sechs Männer, die sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet hatten. Rafek, der Rebellenführer, hatte den Kontakt aufgenommen und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Doch vielleicht wollte er sie nur in eine Falle locken.

„Alte Familientradition“, beantwortete Philip Hardesty die Frage des Captains.

„Klingt sehr britisch“, stellte der australische Captain trocken fest. „So lange gibt es die Vereinten Nationen doch noch gar nicht.“

Philip Hardesty lächelte. „Die Hardestys haben sich schon lange vor Gründung der UN als Vermittler betätigt. Wir tun das seit Jahrhunderten.“ Er hatte ein unerwartet anziehendes Lächeln. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr freundlich reserviert und unerschütterlich wie bisher, sondern gab einem das Gefühl, einen Blick in sein Innerstes werfen zu dürfen.

Obwohl der hart gesottene Captain den Trick durchschaute, vermochte auch er sich der Wirkung dieses wunderbaren Lächelns nicht zu entziehen. „Sie sind sicher verdammt gut in diesem Job“, meinte er.

„Das sollte jeder in seinem Beruf sein.“

„Allerdings“, stimmt der Captain ihm zu. „Und was sagt Ihre Familie dazu?“

Es folgte eine winzige Pause.

„Ich habe keine. Vorfahren ja, aber keine Familie.“

„Oh.“ Der Captain klang aufrichtig überrascht.

„Familie zu haben heißt, sich für jemanden zu entscheiden.“ Das Lächeln war aus Philip Hardestys Gesicht verschwunden. „Das kann ich nicht.“

Dem Captain war die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, unangenehm. Bei solchen gefährlichen Expeditionen kam es öfter vor, dass Männer sich zu persönlichen Geständnissen hinreißen ließen, die sie später bereuten.

Doch davon konnte bei Philip Hardesty keine Rede sein.

„Als Vermittler darf ich keine eigenen Ziele verfolgen“, erklärte er sachlich. „Meine Aufgabe ist es, allen gerecht zu werden und niemanden zu bevorzugen.“

„Aber das gilt doch nicht für Ihr Privatleben“, wandte der Captain bestürzt ein.

„In gewisser Weise schon“, erwiderte Philip Hardesty kühl und auch ein wenig müde. „Ich kann nicht zwei verschiedene Leben führen.“

Nun verstehe ich, weshalb ihn diese Rebellen, die wir morgen treffen, als Vermittler bei den geheimen Friedensverhandlungen gewünscht haben, dachte der Captain. „Und deshalb verzichten Sie auf eine Familie? Bringen Sie da ihrem Beruf nicht ein zu großes Opfer?“

Philip Hardesty zuckte mit den Schultern. „Familientradition“, sagte er lakonisch.

Der Captain zögerte. Da sich die anderen Männer jedoch bereits schlafen gelegt hatten oder Wache schoben, konnte er sich nicht enthalten, neugierig zu fragen: „Fühlen Sie sich da nicht manchmal einsam?“

Philip Hardesty hielt die Hände über das Feuer, obwohl die Nacht keineswegs kalt war. „Einsam?“, wiederholte er. „Das bin ich immer.“

Fünf Tage später beantwortete Captain Soames auf dem Luftwaffenstützpunkt in Pelanang die Fragen der Reporter.

Ja, die Expedition sei nicht ungefährlich gewesen, aber alle Teilnehmer seien wohlbehalten zurückgekommen. Ja, es habe sich um ein bisher noch unerforschtes Gebiet gehandelt, und man habe eine Vielzahl unbekannter Pflanzenarten mitgebracht.

„Ich habe gehört, dass der UN-Vermittler Sir Philip Hardesty mit Ihrer Gruppe unterwegs gewesen sei“, sagte ein für mehrere europäische Zeitungen schreibender lokaler Reporter. „Möchten Sie dazu einen Kommentar abgeben?“

„Aber sicher“, antwortete Captain Soames mit einem breiten Lächeln. „Es war eine große Ehre für uns.“

Als er später mit demselben Reporter noch ein Glas Bier unter Palmen trank, meinte er: „Sie wollen mehr über den Engländer wissen? Nun, im Vertrauen gesagt, der Kerl ist für mich ein Phänomen. Wenn jemand diese Verrückten dazu bringen kann, Frieden zu schließen, dann er.“

„Aber was für ein Mensch ist er?“, hakte der Reporter nach.

Der Captain stellte sein Glas ab und sah plötzlich sehr ernst aus. „Er ist der einsamste Mensch, den ich jemals getroffen habe.“

1. KAPITEL

„Ein zufriedener Kunde mehr“, sagte Mrs. Ludwig und reichte Kit Romaine den Umschlag mit der Gehaltsabrechnung. „Er war voll des Lobes für Sie und lässt Sie nur ungern gehen.“

„Das ist sehr freundlich von ihm.“ Kit schob das Kuvert ungeöffnet in die Manteltasche.

Nicht zu fassen, wie wenig diesem Mädchen Geld bedeutet, dachte Mrs. Ludwig missbilligend. „Kommen Sie nie in Versuchung?“

„Mich fest anstellen zu lassen?“ Kit schüttelte den Kopf. „Ich bin lieber unabhängig.“ Sie hatte lange genug gebraucht, um herauszufinden, dass sie frei und ungebunden sein wollte.

„Mit dieser Einstellung sind Sie natürlich die ideale Arbeitskraft für eine Zeitarbeitsfirma wie die unsere. Doch sollten Sie nicht auch an Ihre Zukunft denken?“

„Für mich ist es die ideale Lebensform“, sagte Kit entschieden. Erst nach einigen bitteren Erfahrungen war sie zu dieser Erkenntnis gelangt.

Mrs. Ludwig gab es auf, das junge Mädchen vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sie warf einen Blick auf ihre Terminliste.

„Für nächste Woche hätte ich den kompletten Frühjahrsputz eines Hauses in Pimlico. Die Eigentümer sind alte Kunden, die nach dem Auszug der bisherigen Mieter das Haus selbst bewohnen wollen. Jedoch erst, wenn alles sauber ist. Sie hätten also das Haus ganz für sich. Oder Sie übernehmen eine Urlaubsvertretung in der Buchhandlung Henderson. Man hat ausdrücklich Sie verlangt. Und dann könnte ich Ihnen noch einen Job bei den Bryants anbieten.“

Mrs. Ludwig zögerte, ehe sie hinzufügte: „Ach nein, das ist nichts für Sie, da Sie sich um deren kleine Tochter kümmern müssten.“ Fragend blickte sie das junge Mädchen an. Die Bryants waren gute Kunden, und sie hätte Ihnen gern eine Spitzenkraft wie Kit Romaine vermittelt.

Doch diese schüttelte heftig den Kopf. Kit Romaine wollte mit Kindern nichts zu tun haben.

Von dieser Einschränkung einmal abgesehen, war Kit Romaine jedoch eine geradezu ideale Mitarbeiterin für Mrs. Ludwig, die für ihre Agentur mit dem Slogan warb: „Wir haben für jedes Problem eine Lösung!“ Das junge Mädchen war im Haushalt ebenso perfekt wie am Computer und bewahrte auch in schwierigen Situationen die Ruhe. Außerdem war Kit ausgesprochen hübsch und bewegte sich mit so viel Grazie, dass sich die Leute auf der Straße nach ihr umdrehten. Ein Kunde hatte mit ihr sogar einen Werbespot für das Fernsehen drehen wollen, doch Kit hatte trotz eines üppigen Honorarangebots lachend abgelehnt.

Bei dem Gedanken daran seufzte Mrs. Ludwig unwillkürlich auf.

„Nicht die Bryants“, sagte Kit nun. „Ich übernehme lieber den Frühjahrsputz. Da kann ich mich voll auf mein Bildungsprogramm konzentrieren.“

Mrs. Ludwig lachte. „Womit befassen Sie sich zurzeit?“

„Mit Kriegslyrik.“

„Das klingt ja sehr martialisch.“

„Ist es aber nicht. Ich finde, es gehört zur Allgemeinbildung, mehr darüber zu wissen.“ Kit war eine begeisterte Autodidaktin. Wann immer es sich mit ihrer Arbeit vereinbaren ließ, wie beispielsweise beim Saubermachen, legte sie eine Kassette in ihren Walkman und bildete sich weiter.

„Ganz wie Sie meinen“, sagte Mrs. Ludwig leicht gelangweilt. Ihr ging es darum, möglichst viel Geld zu verdienen, alles andere war zweitrangig. „Wenn Ihnen so viel daran liegt, übernehmen Sie eben diesen Frühjahrsputz in Pimlico. Die Schlüssel gebe ich Ihnen am Montag.“

„Gut.“ Kit stand auf. „Dann bis Montag.“

„Schönes Wochenende“, wünschte ihr Mrs. Ludwig zerstreut, da sie mit ihren Gedanken bereits bei einem anderen Auftrag war.

Kit fuhr mit der U-Bahn nach Hause, die an diesem nassen Wintertag brechend voll war. Die feuchten Mäntel der Leute verbreiteten einen muffigen Geruch im Abteil, was jedoch niemanden zu stören schien. Die Leute waren gut gelaunt, weil Freitag war und die meisten etwas vorhatten.

Außer mir, dachte Kit, als sie an der Station Notting Hill ausstieg. Sie beneidete die anderen nicht, sondern freute sich auf ihr gemütliches Zuhause.

Auch in ihrem Leben hatte es einmal eine Zeit gegeben, wo sie jeden Abend unterwegs gewesen war. Sie hatte alles getan, um in ihrer Clique anerkannt zu werden, und ihr Studium sträflich vernachlässigt. Schließlich war sie dann durch die Prüfung gefallen, hatte ihr Selbstvertrauen verloren und war auch noch krank geworden.

Zum Glück hatte sie diese schlimmste Phase ihres Lebens nun überwunden. Statt auszugehen, würde sie sich heute Abend im Radio eine Oper anhören. Sie hatte es schon mit Klavierkonzerten versucht, sich aber dafür nicht so recht begeistern können.

Es gibt noch so viel zu lernen, dachte sie, als sie nun beschwingt die breite Treppe des stuckverzierten weißen Hauses hinauflief und die Eingangstür aufschloss. Von außen sah das Gebäude sehr vornehm und elegant aus, doch drinnen herrschte eine merkwürdige Atmosphäre. Heute roch es nach Räucherstäbchen, vermischt mit dem Duft von Zitrusfrüchten und Zimt. Offenbar braute ihre Vermieterin einen Punsch.

Durch Vermittlung ihres Schwagers, dessen exzentrischer Tante das Haus gehörte, hatte Kit die Wohnung im Souterrain bekommen. Tatiana war eine ehemalige Balletttänzerin und etwas chaotisch. Sie hatte eine Vorliebe für Räucherstäbchen und feierte jedes Wochenende rauschende Partys.

Auf Zehenspitzen schlich Kit an der Wohnungstür ihrer Vermieterin vorbei, um einer Einladung zu entgehen.

Tatiana missbilligte die zurückgezogene Lebensweise ihrer Mieterin ganz entschieden. „Anscheinend verlässt du das Haus nur, um schwimmen oder arbeiten zu gehen“, hatte sie heute Morgen ironisch festgestellt, als sie sich in der Eingangshalle begegnet waren.

„Ich nehme auch Fahrstunden“, verteidigte Kit sich.

Tatiana rümpfte verächtlich die Nase. „Statt an eine Maschine, solltest du deine Hände mal an einen Mann legen!“

„Habe ich getan“, entgegnete Kit schnippisch.

„So?“ Tatiana sah sie wie eine alte, weise Schildkröte an. „Wann denn?“

Sowohl verärgert als auch amüsiert über die alte Dame, schüttelte Kit den Kopf. „Wieso glaubst du, mich ständig kontrollieren zu müssen? Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“

Da Tatiana keineswegs gekränkt zu sein schien, sondern sogar sehr zufrieden wirkte, schöpfte Kit Verdacht. „Hat dich etwa Lisa auf mich angesetzt?“

„Das musste sie nicht.“ Wieder rümpfte Tatiana die Nase. „Es ist doch nicht normal, dass ein Mädchen in deinem Alter abends nur weggeht, um irgendwelche Kurse zu besuchen. Du solltest mehr Spaß am Leben haben.“

„Mich mit Männern verabreden, meinst du wohl?“ Kit seufzte.

„Spaß haben“, verbesserte Tatiana sie. „Vor allem, wenn man aussieht wie du.“

Bei den letzten Worten war Kit zusammengezuckt.

Tatiana ließ sich davon nicht erweichen. „Langes blondes Haar und grüne Augen“, fuhr sie unerbittlich fort, „dazu die Grazie einer Tänzerin. Du könntest eine atemberaubende Schönheit sein, wenn du nicht in unförmigen Sackkleidern herumlaufen, und wenn du ab und zu mal ausgehen würdest.“

„Ich gehe, wohin ich will“, erwiderte Kit bestimmt. „Und ich ziehe an, was ich will. Wenn dir das nicht passt, kann ich jederzeit ausziehen.“

Tatiana war auf die Herausforderung nicht eingegangen, sondern hatte nur beschwichtigend die Hände gehoben und sich, etwas auf Russisch murmelnd, in ihre Wohnung zurückgezogen.

Unwillkürlich musste Kit lächeln, als sie jetzt daran dachte. Es gelang ihr nur selten, bei einem Wortgefecht mit ihrer Vermieterin nicht den Kürzeren zu ziehen. Um ein erneutes Zusammentreffen zu vermeiden, schlich sie lautlos die Treppe hinunter zu ihrer Wohnung. Als sie die Tür aufschloss, hörte sie das Telefon klingeln. Sie beeilte sich abzuheben, ehe Tatiana etwas mitbekam.

„Hallo? Kit?“

„Lisa?“, fragte Kit ungläubig. Nichts hatte sie weniger erwartet, als von ihrer Schwester zu hören, die sich zurzeit mit ihrem Mann, einem Zoologen, in einem tropischen Urlaubsparadies vom Winter erholte. „Ich dachte, du würdest unter Palmen am Meer faulenzen und hättest Besseres zu tun, als mich anzurufen“, scherzte sie, erkundigte sich dann aber besorgt: „Ist mit Nikolai alles in Ordnung?“

„Keine Ahnung. Ich sehe ihn ja kaum.“ Obwohl Lisas Stimme weit entfernt klang, war ihr gereizter Unterton nicht zu überhören.

„Oh.“ Kit fühlte sich etwas hilflos.

„Er hat mir zwar gesagt, dass in unserem Hotel eine Tagung einheimischer Naturschützer stattfinden würde, aber ich dachte, er würde nur das eine oder andere Gespräch führen. Stattdessen verbringt er jedoch seine ganze Zeit mit diesen Leuten und will nun auch noch einen Vortrag halten.“

An Lisas Ton konnte Kit unschwer erkennen, dass ihre Schwester vor Wut kochte.

„Und außer den Konferenzteilnehmern wohnt zurzeit niemand in diesem verdammten Hotel. Überhaupt frage ich mich, wie man in einer Gegend, die an ein Krisengebiet grenzt, ein Luxushotel bauen kann?“

„Krisengebiet?“, wiederholte Kit entsetzt.

„Na ja, im Moment, ist alles ruhig“, erklärte Lisa ungeduldig, „sonst würde man keine Konferenzen abhalten. Trotzdem ist es der letzte Ort, um Urlaub zu machen.“

Kit blickte durch das Fenster in den Garten. Es regnete in Strömen. „Offenbar hast du vergessen, wie das Wetter zu dieser Jahreszeit in London ist. Bei dir scheint wenigstens die Sonne.“

„Dann komm doch auch hierher“, meinte Lisa.

„Soll das ein Scherz sein?“

„Keineswegs. Komm und leiste mir Gesellschaft.“

„Das ist doch Unsinn, Lisa. Ich spiele nicht gern das fünfte Rad am Wagen.“

„Diese Gefahr besteht nicht.“ Lisas Lachen klang bitter. „Ich sehe so gut wie nichts von Nikolai. Das ist ja das Problem. Es gibt hier niemanden, mit dem ich reden oder etwas unternehmen könnte.“

„He, so schlimm wird es schon nicht sein.“ Kit klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, zog die Schuhe aus und stellte das elektrische Kaminfeuer an. „Kein grauer Himmel, kein Matsch und statt kahler Bäume saftiges Grün. Genieß doch einfach, dass du faul in der Sonne am Strand liegen kannst.“

Lisa antwortete nicht.

Was, um Himmels willen, ist nur geschehen? fragte sich Kit bestürzt. Ihre Schwester und Nikolai hatten es doch kaum mehr erwarten können, dem nasskalten englischen Winter zu entfliehen. Lisa hatte vor Weihnachten einen mysteriösen Virus aufgeschnappt. Sie war noch immer gesundheitlich angeschlagen und sonderbar empfindlich gewesen, was völlig atypisch für sie war. Deshalb hatten sie und ihr Mann sich auf den gemeinsamen Urlaub besonders gefreut. Nun waren die beiden gerade einmal vier Tage weg, und schon hörte Lisa sich an, als würde sie ihren Mann hassen.

„Wie auch immer“, fuhr Kit fort, da ihre Schwester noch immer schwieg, „ein Urlaub in den Tropen übersteigt bei Weitem mein Budget.“

„Meines nicht. Ich lade dich ein.“

Zweifellos verdiente Lisa als Leiterin des Londoner Büros einer internationalen Investmentgesellschaft in einer Woche mehr Geld als Kit in einem Jahr. Doch das stand hier nicht zur Debatte.

„Du hast mich sowieso jahrelang unterstützt, Lisa. Ich bin froh, endlich allein für mich aufkommen zu können.“

„Aber du kannst es dir nicht leisten, hierher zu fliegen, und ich … ich brauche dich.“ Lisa sprach so leise, dass Kit sie kaum verstand. „Ich benötige dringend deine Unterstützung.“

Noch nie in ihrem Leben hatte Lisa sie je um Hilfe gebeten. Kit war nun ernstlich besorgt.

„Komm und leiste mir Gesellschaft, Kit.“ Es klang geradezu flehentlich. „Ich fühle mich so schrecklich allein.“

Kit war zu geschockt, um etwas sagen zu können.

„Ich habe für Sonntag einen Flug auf deinen Namen gebucht und bezahlt. Alles andere bleibt dir überlassen.“ Ohne sich zu verabschieden, legte Lisa auf.

Innerlich völlig aufgewühlt, ging Kit im Zimmer auf und ab. Was war zwischen Lisa und Nikolai vorgefallen? Bisher hatten beide noch nie ernsthaft Streit miteinander gehabt, obwohl ihre Herkunft nicht unterschiedlicher hätte sein können. Nikolai entstammte einer alten Adelsfamilie, die Romaine-Schwestern hingegen waren am Rande der Gesellschaft aufgewachsen, wie Lisa sich auszudrücken pflegte. Sie hatte ihren Studienabschluss und die steile berufliche Karriere aus eigener Kraft geschafft und ihre Herkunft nie als Makel empfunden. Genauso wenig wie Graf Nikolai Ivanov, der, soweit Kit es beurteilen konnte, jetzt noch ebenso verliebt in seine temperamentvolle Frau war wie am Tag der Hochzeit.

Vorhin am Telefon hatte Lisa jedoch keineswegs wie eine sich von ihrem Mann geliebt wissende Frau geklungen. Das beunruhigte Kit. Sie liebte ihre Schwester, die zugleich auch ihre beste Freundin war.

Vielleicht sollte ich diesmal meine Prinzipien über Bord werfen? überlegte Kit gerade, als es plötzlich an der Glastür zum Garten klopfte.

Draußen stand Tatiana. Normalerweise war die Beziehung zwischen den beiden Frauen etwas angespannt. Tatiana hielt ihre Mieterin ganz offensichtlich für ausgesprochen langweilig, während sie selbst aus Kits Sicht eine achtzigjährige Nervensäge war.

Nur in ihrer Zuneigung für Lisa waren sich die beiden einig, und so öffnete Kit nun sofort die Tür.

Tatiana gab sich wegen des ungewohnt eilfertigen Benehmens ihrer Mieterin keinen falschen Hoffnungen hin. „Lisa hat dich angerufen, stimmt’s?“

„Ja. Ich mache mir Sorgen um sie.“

„Genau wie ich“, bekannte Tatiana. Sie setzte sich auf das Sofa, ohne wie üblich eine spitze Bemerkung über die ihrer Meinung nach spießig aussehenden pastellfarbenen Kissen zu machen.

„Sie klang sehr niedergeschlagen“, meinte Kit.

„Wann hast du mit ihr gesprochen?“

„Eben gerade. Sie möchte, dass ich zu ihr komme. Sie scheint völlig durcheinander zu sein.“

Falls Kit erwartet hatte, Tatiana würde ihr raten, sich nicht in Lisas Angelegenheiten zu mischen, so wurde sie diesmal enttäuscht. Die alte Dame schien sehr bekümmert zu sein. „Weißt du, wie groß die Zeitverschiebung zwischen hier und dort ist?“

Kit sah sie verwundert an. „Wieso?“

„Bei uns ist es jetzt fünf Uhr nachmittags, das bedeutet, dass es in Coral Cove ein Uhr morgens ist“, erklärte die weit gereiste Tatiana. „Sie hat dich mitten in der Nacht angerufen, und ich frage mich, wo, zum Teufel, ihr Mann um diese Zeit steckt?“

Unvermittelt blieb Kit stehen. „Kein Wunder, dass sie so … so verletzlich klang“, sagte sie nachdenklich.

„Ich finde, du solltest zu ihr fliegen“, meinte die alte Dame und fügte mit ihrem Sinn fürs Praktische, den Kit immer so unvereinbar mit Tatianas Hang zur Esoterik und einer Vorliebe für Räucherstäbchen fand, hinzu: „Brauchst du Geld?“

Kit schüttelte den Kopf. „Ich habe in letzter Zeit mehr verdient, als ich ausgeben konnte. Außerdem hat Lisa bereits einen Flug für mich gebucht und bezahlt.“

„Du brauchst entsprechende Kleidung für die Tropen“, sagte Tatiana, für die das Äußere eines Menschen Spiegel seiner Seele war.“

Kit zuckte gleichmütig mit den Schultern.

„Also wirklich, Kit.“ Erstaunlich gelenkig für ihr Alter sprang Tatiana vom Sofa auf. „Du bist hübsch genug, um jedem Model die Schau zu stehlen. Warum kaufst du dir nicht mal ein aufregendes Kleid, mit dem du den Männern den Kopf verdrehst?“

So wie Lisa.

Keiner von beiden sprach es aus, doch jede wusste, was Tatiana meinte.

„Ich zieh mich an, wie ich will, und damit basta!“, entgegnete Kit schärfer als beabsichtigt.

„Jedenfalls brauchst du einen Badeanzug.“ So schnell gab Tatiana nicht auf. „Ich habe sehr hübsche Bikinis bei …“

„Keinen Bikini“, unterbrach das junge Mädchen sie verärgert und erntete dafür einen missbilligenden Blick.

„Aber auf Shorts und leichte Tops kannst du nicht verzichten“, sagte Tatiana. „Du hast keine Ahnung, wie heiß es dort ist. Selbstverständlich benötigst du auch wenigstens ein vernünftiges Kleid für abends. Und vergiss nicht, einen Strohhut zu kaufen. Bei deiner hellen Haut bekommst du schnell einen Sonnenbrand.“

„Das alles bekomme ich dort.“

Tatiana rümpfte verächtlich die Nase. „Mein liebes Kind, Coral Cove ist kein billiger Ferienclub mit Strandverkäufern und Würstchenbuden. Nikolai hat gesagt, dass es sich um eine exquisite Hotelanlage auf einer Privatinsel handelt.“

„Auch das noch“, seufzte Kit.

Tatiana ging darauf nicht ein. „Ohne angemessene Garderobe wirst du dir dort deplatziert vorkommen.“

„Soviel ich weiß, ist dieses Luxushotel momentan ziemlich leer“, meinte Kit spöttisch.

„Ein Grund mehr für dich, dort nicht unangenehm aufzufallen.“

„Das werde ich sowieso.“

Die alte Dame seufzte. „Du machst es einem wirklich schwer, Kit.“

„Ich mag es nur nicht, wenn Leute mir vorschreiben wollen, was ich zu tun und zu lassen habe.“

Tatiana gab auf. Als sie die Glastür zum Garten öffnete, tauchte eine weiße Pfote, elegant wie ein in einem langen Abendhandschuh steckender Arm, im Türrahmen auf. „Schon wieder diese Katze“, sagte die alte Dame ungnädig.

Autor

Sophie Weston
Sophie Weston reist leidenschaftlich gern, kehrt aber danach immer wieder in ihre Geburtsstadt London zurück. Ihr erstes Buch schrieb und bastelte sie mit vier Jahren. Ihre erste Romance veröffentlichte sie jedoch erst Mitte 20. Es fiel ihr sehr schwer, sich für eine Karriere zu entscheiden, denn es gab so viele...
Mehr erfahren