Melodie der Sehnsucht

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Liebe, Glück, Geborgenheit - etwas, das Casey nie erfahren durfte. Bis sie auf ihrer Reise zur Ranch der McIvors unverhofft dem attraktiven Troy in die Arme läuft. Seine starke sinnliche Ausstrah-lung lässt ihr Herz schneller schlagen, ihre Haut erglühen. Sie reagiert stark auf diesen Mann - viel zu stark. Denn mindestens ebenso groß wie ihr Wunsch nach seiner Nähe ist auch ihre Furcht, ein weiteres Mal im Leben enttäuscht zu werden. Doch nur wenn sie den Mut findet, sich ihm zu öffnen, kann sich endlich ihre tiefste, heimliche Sehnsucht erfüllen ...


  • Erscheinungstag 08.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777142
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Casey wusste nicht, wo sie war. Es hätte der Mars sein können, so unerträglich heiß und hell war es.

Nie hätte sie geglaubt, dass der Wüstensand so feuerrot sein würde, als glühte er noch von einem Höllenbrand. Und darüber der tiefblaue Himmel. Das Land dehnte sich vor ihr aus, ohne eine menschliche Spur erkennen zu lassen. Hier gab es weder Anfang noch Ende.

So muss einem Seemann zumute sein, der mit seinem Schiff über den Ozean dahintreibt, dachte sie. Die endlose Weite, das Fehlen von allem war das eigentlich Aufregende. Erde und Himmel, Luft und Licht. Freiheit. Vielleicht würde sie hier wieder zu sich selbst finden.

Außer Spinifex-Gras, das immer wieder bräunlich-gelbe Flecken bildete, schien hier nichts zu gedeihen, denn die lieblichen Oasen, die mit schillernden Lagunen und schwankenden Palmen am Horizont auftauchten, waren Trugbilder. Fata Morganas. Casey konnte sich gut vorstellen, dass sie die ersten Siedler in die Irre und schließlich ins Verderben geführt hatten.

Etwa hier, im Outback von Queensland, hatte Captain Charles Sturt vergeblich nach einem Binnenmeer gesucht. Seitdem nannte man diese Gegend Sturt Stony Desert – Sturts Steinwüste.

Casey fuhr an den Rand der schnurgeraden Straße, die nirgendwohin führte, und stellte den Motor ab. Sie war jetzt seit Tagen unterwegs, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Die Karte, die sie schon unzählige Male studiert hatte, verriet ihr nichts. Es war gefährlich, sich allein in diese Wildnis zu wagen. Wie leicht konnte man eine Panne haben, wie schnell konnte einem das Wasser ausgehen. Dazu die Eintönigkeit, die so ermüdend wirkte. Mehr als einmal wäre sie fast am Steuer eingeschlafen.

Zum Glück konnte sie einiges vertragen, denn das Schicksal hatte ihr hart mitgespielt. In einer Hütte am Stadtrand geboren, von einer Mutter aufgezogen, die kaum für sich selbst sorgen konnte, und nach ihrem Drogentod ein Leben im Heim – das waren wirklich schwere Jahre gewesen. Mit sechzehn hatte Casey alles hinter sich gelassen, aber die Erinnerungen blieben. Erinnerungen daran, dass sie nie ein Zuhause gehabt hatte, nie von einem Menschen umsorgt worden war.

Du wirst viele Fragen beantworten müssen, wenn du in die Hölle kommst, Jock McIvor, denn da gehörst du hin!

Casey legte die Karte beiseite. Sie konnte nur weiterfahren und hoffen, dass ihr alter Jeep durchhielt, bis sie das Channel Country erreicht hatte. Sie kannte diesen südwestlichen Teil von Queensland nur aus dem Wetterbericht, und er lag für sie am Ende der Welt. Erst kürzlich hatte sie erfahren, dass hier die legendären Rinderbarone zu Hause waren. Männer wie Jock McIvor.

Casey hatte nicht gewusst, wer ihr Vater war. Deswegen war sie von den anderen Kindern gehänselt worden, genau wie ihre Mutter. Kinder konnten so grausam sein. Ihre arme kleine Mutter. Schön wie ein Engel, aber zu schwach für dieses Leben, hatte sie erst zu Alkohol und dann zu Drogen Zuflucht genommen. Am Ende war ihr das Leben verhasst gewesen, wie sie Casey einmal gestanden hatte.

Tatsächlich hatte sie es nicht mehr lange ertragen müssen. Mit sechsunddreißig Jahren war sie an einer Überdosis gestorben. Casey hatte sich deswegen Vorwürfe gemacht, aber sie war noch ein elfjähriges Kind gewesen. Man hatte sie in ein Heim gesteckt, wo die meisten anderen Kinder ebenfalls keinen Vater oder keine Mutter hatten. Außerdem gab es Eltern, die ihre Kinder so schlecht behandelten, dass ihnen das Heim beinahe wie ein Paradies vorkam.

Casey ließ den Motor wieder an und fuhr weiter. Sie befand sich etwa zweihundert Kilometer westlich von Cullen Creek, wo sie zum letzten Mal Rast gemacht hatte. Die Leute hatten sie angestarrt, als wäre sie gerade mit einem Ufo gelandet, aber der Tee war stark und heiß gewesen, und bei den Sandwichs hatte man nicht mit Schinken gespart. Auch der Zimtmuffin war nicht zu verachten gewesen, und vor ihrer Weiterfahrt hatte man sie mit guten Ratschlägen überhäuft, die darauf hinausliefen, dass sie nicht einfach so allein im Outback herumfahren könne.

Casey hatte ihnen ihr Ziel nicht verraten. Ihr Äußeres war auffallend genug. Allein ihre Größe und ihr kupferrotes Haar sorgten überall für Aufsehen. Das war so, seit sie denken konnte. „Wie ist die Luft da oben, Miss Rotfuchs?“, war noch am harmlosesten gewesen. Erst im Heim war ihr ihre Größe zugute gekommen. Wer traute sich schon an ein Mädchen heran, das sich mit seinen langen Armen und Beinen so gut verteidigen konnte?

Vor sechs Wochen hatte die Vergangenheit sie plötzlich eingeholt. Judith Harrison, eine alte Freundin ihrer Mutter, war bei ihr aufgetaucht – unerwartet, aber nicht zufällig. Judith hatte sich große Mühe gegeben, Marnie McGuire ausfindig zu machen, und war dabei auf deren Tochter gestoßen. Casey hatte erfahren, dass ihre Mutter aus einer wohlhabenden Familie stammte und mit einem Mann durchgebrannt war. Judith hatte Marnie und ihren Liebhaber einmal zusammen gesehen. Später hatte sie den Mann im Fernsehen wiedererkannt. Er hatte jemandem ein Interview gegeben, und sein Name war Jock McIvor. Er besaß eine der größten Rinderfarmen von Queensland und schwamm im Geld.

Judith hatte Casey davon überzeugt, dass Jock ihr Vater sein musste. Es lag zwar kein DNA-Test vor, aber die Ähnlichkeit war verblüffend. Die Größe, das lockige rote Haar und die saphirblauen Augen. Sogar die Einkerbung im Kinn fehlte nicht, die bei Casey allerdings eher einem Grübchen glich. Sie hatte so viel über Jock McIvor in Erfahrung gebracht, wie anhand alter Zeitungsberichte möglich war, und Judith am Ende recht gegeben. Dieser reiche, mächtige, skrupellose Rinderbaron hatte sich in ihre Mutter verguckt, sie von zu Hause weggelockt, geschwängert und sich dann in seine Welt zurückgezogen, in der kleine heimatlose Marnies keinen Platz hatten. Außerdem besaß er dort schon eine Frau und zwei Töchter – Darcy und Courtney.

Jetzt war Jock McIvor tot. Das geschah ihm recht, und seine Familie würde die offene Rechnung bezahlen. Die Mc Ivor-Schwestern – oder McIvor-Erbinnen, wie die Presse sie titulierte – waren steinreich, aber das Erbe gehörte nicht ihnen allein. Wenn Casey ebenfalls Jocks Tochter war, woran sie nicht mehr zweifelte, stand ihr ein gleich großer Anteil zu. Höchste Zeit, dass die Armen und Unterdrückten in dieser Welt auch mal zum Zug kamen. Arm genug war sie, und beim Unterdrücken sollten die anderen lieber aufpassen. Wenn sie im Heim etwas gelernt hatte, dann war es, sich zur Wehr zu setzen!

Casey dachte nur ungern an diese Zeit zurück, denn sie kam ihr wie ein immerwährender Alptraum vor. Ein Erzieher, der „Die Kobra“ genannt wurde, hatte sie sexuell bedrängt, und nur ihr entschlossener Widerstand und ihre lauten Hilferufe hatten sie vor einer Vergewaltigung bewahrt. Später war ihr das zugute gekommen. Man warnte davor, sich mit ihr anzulegen, wenn man keinen Tritt ans Schienbein oder einen Fausthieb in den Unterleib verpasst bekommen wollte. Casey war noch heute stolz auf diese „handfeste“ Erziehung, umso mehr, als sie keine nennenswerten schulischen Leistungen aufzuweisen hatte. Wie sollte man auch in einem Heim, wo Gewalt an der Tagesordnung war und sogar Selbstmorde vorkamen, normale Kenntnisse erwerben?

Kurz nach Verlassen des Heims hatte Casey angefangen zu singen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Man hörte ihr gern zu, wenn sie durch die Pubs zog, und das brachte sie auf die Idee, Liedermacherin zu werden. Ihre Stimme eignete sich besonders für Countrymusic, und sie brauchte nicht lange, um sich auch auf der Gitarre zu vervollkommnen. Einer ihrer Freunde, ein wirklich netter Bursche, brachte ihr die Grundlagen bei und schenkte ihr später sein eigenes Instrument, weil er, wie er sagte, in ihr seine Meisterin gefunden habe. Mithilfe von Fernkursen bildete sie sich weiter und schaffte es so, die Versäumnisse ihrer Kindheit wettzumachen. Sie sprach inzwischen leidlich gut Französisch, und wenn sie unterwegs eine Autopanne hatte, konnte sie sich meist selber helfen. Das war auch der Grund, warum sie sich allein so weit in fremdes Niemandsland vorgewagt hatte.

Links von der Straße stieg das Gelände leicht an und bildete einen Hügel, auf dem ein stattliches Gebäude stand. Ob es zu einer Rinderfarm gehörte? Casey strengte ihre Augen an, konnte aber weit und breit keine Herde entdecken. Dafür fielen ihr die riesigen Wüsteneichen auf, die das Haus umgaben. Casey erkannte sie inzwischen an der Silhouette, ebenso wie die riesigen Gummibäume und die Dattelpalmen, die hier ebenfalls vertreten waren. Das Haus selbst war aus hellrotem Backstein erbaut und hatte zwei Stockwerke mit umlaufender Veranda. Die gusseisernen Geländer waren weiß gestrichen, die durchbrochenen, ebenfalls weißen Fensterläden standen offen. Wie kam ein so ansehnliches Haus in diese gottverlassene Gegend?

„Du leidest an Einbildungen“, murmelte Casey vor sich hin. Sie fuhr gerade über groben Schotter, und von den Vorderrädern wurden immer wieder Steine gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Zum Glück hielt sie dem Trommelfeuer stand, aber das Wasser im Kühler ging allmählich zur Neige. Sie sah wieder zu dem Haus hinüber. Aus der Entfernung wirkte es bewohnt, und als sie näher kam, konnte sie auf der Rückseite einzelne Nebengebäude und einen verzinkten Wassertank erkennen. Sicher würde man ihr erlauben, dort ihren Kanister zu füllen. Die Bewohner des Outbacks galten als gastfreundlich, aber natürlich konnte sie auch einem komischen Kauz mit einer „Zweiundzwanziger“ in die Hände fallen. Casey hatte gelernt, alles für möglich zu halten.

Also gut, dachte sie. Versuchen wir unser Glück. Sie bog in den Weg ein, der zum Haus führte und wunderte sich, als sie an ein geschlossenes Tor kam. Vor welchem Besucherstrom versuchten sich die Besitzer zu schützen? Sie stieg aus, öffnete das Tor, fuhr hindurch und schloss es wieder. Vielleicht wollte man so das Vieh fern halten, das irgendwo hinter dem Hügel weidete. Bisher ließ sich weder eine Kuh noch ein Schaf blicken, dafür kam ein Hund laut bellend angerast. Soweit Casey erkennen konnte, war es ein Blue Heeler. Hunde dieser blauschwarz gefleckten Rasse wurden bevorzugt eingesetzt, um die Rinderherden zusammenzuhalten.

„Ist ja gut!“, rief sie dem heranjagenden Ungeheuer entgegen. „Was ist los? Ich bin keine Einbrecherin. Ich möchte mir nur etwas Wasser holen.“

Ihre Stimme schien dem Hund zu gefallen, denn er hörte auf zu bellen und machte schwanzwedelnd vor ihr Halt.

„Nun? Wie heißt du denn?“ Casey mochte Tiere grundsätzlich lieber als Menschen. Sie beugte sich hinunter, um den Hund zu streicheln und nach seinem Halsband zu sehen, an dem ein Namensschild hing. „Aha … Rusty! Guten Tag, Rusty. Wie geht es dir? Du bist ein braver Kerl. Begleitest du mich zum Haus?“

Rusty hatte nichts dagegen. Casey hätte sogar schwören können, dass er zustimmend lächelte.

Oben klopfte sie an die massive Haustür, aber niemand öffnete. „Das ist Pech“, sagte sie zu Rusty. „Dein Herr scheint nicht da zu sein.“

Während sie sich umsah, unterhielt sie sich weiter mit dem Hund, um ihre guten Absichten unter Beweis zu stellen. Seitlich und oberhalb der Tür befanden sich bunte Glasfenster, wie sie zur Zeit des Jugendstils beliebt gewesen waren. Casey war nicht mit Schönheit verwöhnt worden und freute sich immer, wenn sie etwas Kunstvolles entdeckte.

Während sie die Glasmalereien bewunderte, lehnte sie sich mit einer Hand leicht gegen die Tür. Sie war offenbar nicht richtig geschlossen gewesen, denn plötzlich gab sie nach, und Casey konnte in die große, von Sonnenlicht durchflutete Eingangshalle blicken, die bis auf eine dunkle Holzkonsole an der rückwärtigen Wand unmöbliert war. Über der Konsole hing ein lebensgroßes Porträt.

„Hallo?“, rief sie. „Ist jemand da?“

Niemand antwortete, was Casey nicht wunderte. Rustys Bellen war nicht zu überhören gewesen und hätte den Besitzer sofort herbeigerufen.

Was sie bewog weiterzugehen, hätte sie später nicht mehr sagen können. Irgendetwas trieb sie vorwärts, und Rusty machte nicht die geringsten Anstalten, sie zurückzuhalten.

„Du bist mir ein schöner Wachhund“, sagte sie lachend. „Aber ich bin nun einmal da, und es schadet niemandem, wenn ich mir etwas Wasser nehme.“

Sie kehrte zum Auto zurück, um den leeren Kanister zu holen. Rusty begleitete sie. Er mag Frauen, dachte Casey. Wäre ich ein Mann, würde er mich wahrscheinlich beißen. Männer sind bedrohliche Geschöpfe. Frauen nicht.

Der gefüllte Kanister war schwer, und Casey musste ihn mehrmals absetzen. Dabei kam ihr die Idee, sich noch etwas genauer in dem einsamen Haus umzusehen. Natürlich nur im Erdgeschoss und vielleicht im Garten, wenn Rusty ihr keine Schwierigkeiten machte.

Die Zimmer waren groß, aber auffällig sparsam möbliert. Vom Wohnzimmer führte eine Glastür auf die hintere Terrasse. Sie stand ebenfalls offen – ein Anzeichen dafür, dass die Bewohner großes Vertrauen zu ihren Mitmenschen hatten. Vermutlich waren sie in die nächstliegende Stadt gefahren, die Koomera Crossing hieß und auf Caseys Autokarte eingezeichnet war.

Rusty sprang schon erwartungsvoll die Stufen zum Garten hinunter, als Casey plötzlich von hinten an den Armen gepackt wurde. Der Angriff kam überraschend, denn sie hatte keine Schritte gehört.

„Was, zum Teufel, hast du hier zu suchen, Cowboy?“, erklang es drohend hinter ihr. Die Terrassentür wurde mit einem Fußtritt geschlossen, sodass Rusty ausgesperrt war und ihr nicht zu Hilfe kommen konnte.

Doch Casey hatte Erfahrung mit solchen Situationen. Sie versuchte mit aller Kraft, sich loszureißen. Schließlich hatte sie nicht umsonst viermal wöchentlich trainiert und sogar einen Karatekurs absolviert. Es gelang ihr, eine Hand freizubekommen, und mehr brauchte sie nicht. Sie wirbelte herum, hob das rechte Knie bis zum Kinn und trat blitzschnell nach dem Angreifer. Fast hätte sie ihn an einer besonders empfindlichen Stelle getroffen, aber er reagierte ebenso schnell und sprang zur Seite. Daraufhin holte Casey aus, zielte mit der rechten Faust auf sein Kinn und traf so gut, dass es einen dumpfen, widerhallenden Laut gab.

Im nächsten Moment lag sie auf dem Rücken und rang nach Luft, während ihr Gegner mit gespreizten Beinen über ihr stand.

„Du kriegst mich nie, du mieser Schweinehund!“, keuchte sie, rollte sich geschickt zur Seite und sprang auf. Jeder Muskel ihres Körpers gehorchte ihr. Sie war es gewohnt, sich zu verteidigen, und kannte keine Panik. Kein Mann würde sie ohne Gegenwehr in seine Gewalt bekommen!

Ihr Gegner war etwa acht bis zehn Zentimeter größer als sie, schlank und kräftig gebaut und höchstens dreißig Jahre alt. Das gebräunte Gesicht verriet, dass er draußen arbeitete. Die Sonne hatte sein braunes Haar stellenweise gebleicht, und auf den ersten Blick schien er bernsteingelbe Augen zu haben. Fast wirkten sie golden, aber wer hatte schon goldene Augen? Wie ein Vergewaltiger sah er nicht aus. Stattdessen fuhr er Casey scharf an: „Kommen Sie zu sich, Miss! Ich will Ihnen nichts tun.“

Es dauerte einige Sekunden, bis Casey den Sinn der Worte erfasst hatte. „Wer sind Sie?“, fragte sie, ohne in ihrer Achtsamkeit nachzulassen. Gleichzeitig bewegte sie sich rückwärts auf die Terrassentür zu, um Rusty hereinzulassen.

„Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie eine Frau sind“, erwiderte der Mann. „Aber wieso fragen Sie, wer ich bin? Hier stelle nur ich die Fragen, und ich frage Sie jetzt, wer Sie sind und was Sie hier wollen.“ Er hob wie entschuldigend beide Hände. „Bitte keine weiteren Feindseligkeiten. Wie lange sind Sie schon Karatemeisterin?“

„Seit ich weiß, dass Männer wie Sie frei herumlaufen.“ Caseys blaue Augen blitzten vor Zorn und Erregung. „Vielleicht dürfte ich nicht hier sein, aber ich habe angeklopft, und da gab die Tür nach. Ich wollte nur meinen Kanister mit Wasser füllen. Er steht noch in der Küche. Welche Absicht unterstellen Sie mir? Glauben Sie etwa, dass ich mich an Ihren armseligen Besitztümern vergreifen wollte?“

„Vielleicht.“ Der Mann unterdrückte ein Lächeln. „So armselig sind sie nämlich gar nicht.“

„Ich lasse Rusty herein.“ Casey hatte inzwischen die Tür erreicht und öffnete sie. Der Mann war ein harter Bursche, das erkannte sie jetzt. Keine Frau konnte sich mit ihm messen.

Rusty hatte schon vor der Tür gewartet. „Sitz!“, befahl der Mann, und Rusty gehorchte augenblicklich. Natürlich. Der Hund gehörte ihm, aber es würde ihm jetzt nicht mehr gelingen, ihn auf Casey zu hetzen.

„Ihren Namen, bitte“, fuhr der Mann im Ton eines Polizisten fort.

„Casey McGuire.“

„Von den verrückten McGuires?“ Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß und musste feststellen, dass sie bei aller Sportlichkeit sehr weiblich aussah.

„Ich habe keine Familie“, antwortete Casey kurz. „Ich bin Vollwaise.“

„Jeder hat eine Familie, aber Ihre ist sicher froh, Sie los zu sein. Darf ich fragen, was Sie in diese Gegend führt?“

„Ich bin auf der Durchreise, wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Ist dies Ihr Haus?“

„In gewissem Sinn schon, aber ich wohne nicht hier. Phil Carson, unser neuer Schuldirektor, hat das Haus gemietet. Es liegt etwas außerhalb der Stadt, doch das stört ihn nicht.“

„Lässt er die Türen immer offen?“

„In Zukunft wird er sie wohl verschließen, aber wie Sie schon sagten … hier ist nichts Besonderes zu holen. Es tut mir leid, dass ich Sie angegriffen habe. Ich hielt Sie für einen Landstreicher.“

„Das habe ich gemerkt.“ Casey entspannte sich etwas. „Erwarten Sie bitte keine Entschuldigung für den Fausthieb. Er war verdient.“

Der Mann lachte und fasste sich ans Kinn, das immer noch gerötet war. „Sie waren im Vorteil, denn als Sie Ihren Hut verloren, war ich einen Moment wie gelähmt. Ich hielt Sie für einen jungen Mann, aber welcher Mann hat so prächtiges rotes Haar und trägt es außerdem so lang?“

„Dürfte ich jetzt auch Ihren Namen erfahren?“ Casey überhörte das versteckte Kompliment. Es war ihr schon unangenehm genug, dass der Mann sie so aufmerksam beobachtete.

„Connellan … Troy Connellan. Mein Vater ist der Besitzer von ‚Vulcan Plains‘, etwa hundert Kilometer westlich von hier. Ich hatte in der Stadt zu tun und wollte die Gelegenheit nutzen, um hier nach dem Rechten zu sehen. Ich werde Phil nicht verraten, dass Sie hier eingedrungen sind.“

Casey errötete. „Ich bitte um Entschuldigung. Das Haus hatte eine so einladende Atmosphäre, und dann Rusty …“ Sie schnippte mit den Fingern, worauf der Hund unverzüglich zu ihr kam und sich kraulen ließ.

„Sie haben Rusty verhext“, stellte Troy Connellan missbilligend fest. „Er mag friedlich wirken, aber ich habe selbst erlebt, wie er fremde Besucher in Schach gehalten hat.“

„Ich kann gut mit Tieren umgehen“, gab Casey zu. „Sie glauben mir also?“

„Ja, ich glaube Ihnen, und ich werde mich in Zukunft vor Ihren rechten Haken in Acht nehmen. Das war keine sehr angenehme Begrüßung. Wie weit fahren Sie noch?“

Casey zuckte mit den Schultern. „Zunächst bis Koomera Crossing. Dort wollte ich eine Pause einlegen, ehe ich zur McIvor-Farm weiterfahre. Sie soll Murraree heißen.“

Troy nickte. „Sind Sie mit dem alten Jock verwandt?“

„Das kann man wohl sagen.“

„Sie wissen, dass er tot ist?“

„Ich habe es gehört. Was nach seinem Tod geschehen ist, war leider nicht zu erfahren.“

Troys Bernsteinaugen leuchteten auf. „Sie fangen an, mich zu interessieren, Miss McGuire.“

Casey wurde verlegen. Troy Connellan machte keinen unangenehmen Eindruck, aber seine Art, sie anzusehen, war doch etwas beunruhigend. „Spielen Sie bitte nicht Versteck mit mir“, sagte sie gepresst. „Haben Sie Jock McIvor gekannt?“

„Jeder im Outback kannte den alten Jock, Miss. Übrigens sehen Sie ihm verteufelt ähnlich.“

„So sagt man.“ Casey bückte sich nun nach ihrem cremefarbenen Akubra und setzte ihn wieder auf. Meist verbarg sie ihr Haar unter dem breitkrempigen Hut, aber bei dem kurzen Kampf hatte es sich gelöst und fiel ihr jetzt offen auf die Schultern.

„Wissen die Schwestern, dass Sie kommen?“, fragte Troy mit leicht abschätzigem Lächeln.

Casey zögerte. Dieser Troy Connellan sah eigentlich recht gut aus – vorausgesetzt, der kräftige, urige Typ gefiel einem! Er hatte ein ausdrucksvolles Gesicht, mit einem kleinen Höcker auf der Nase, die vermutlich von einem Sturz herrührte. Die Augen waren so golden wie bei einer Raubkatze und von dichten Wimpern überschattet. Der Mann hatte etwas, daran bestand kein Zweifel.

„Ich will den McIvor-Erbinnen eine nette Überraschung bereiten“, antwortete sie und lächelte ebenfalls.

„Das wird Ihnen vollauf gelingen. Darf ich wirklich nicht erfahren, wer Sie sind?“

„Sie könnten mein Geheimnis verraten, Mr. Connellan, und mir damit die geplante Überraschung verderben. Ich hole jetzt meinen Wasserkanister und verschwinde.“ Casey tippte kurz an ihren Hut. „Einen schönen Tag noch.“

Troy begleitete sie gegen ihren Willen bis zum Jeep. „Wollen Sie mit dieser Klapperkiste bis ‚Murraree‘ fahren?“, fragte er, nachdem er den Wagen in Augenschein genommen hatte.

„Die Klapperkiste hat mir gute Dienste geleistet“, erwiderte Casey gekränkt.

„Dann kann ich Sie nur noch vor unserer Polizei warnen“, meinte Troy. „Sie führt gelegentlich Sicherheitstests durch.“

„Ist das Ihr Ernst?“, fragte Casey erschrocken. „Wer sollte sich hier schon um so etwas kümmern?“

„Sie würden sich wundern, wie viele Idioten mit ihren Fahrzeugen in der Wüste stranden, Miss McGuire. Es kostet viel Zeit und Geld, sie aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen.“

„Hören Sie mal, Sie Superman.“ Casey stemmte beide Fäuste in die Hüften. „Ich habe mehrere Monate in einer Kfz-Werkstatt gearbeitet. Dieser Jeep mag klapprig aussehen, aber er ist in gutem Zustand. Es wird keine Panne geben, ist das klar?“

„Sind Sie aber empfindlich!“ Troy lachte, dass man seine strahlend weißen Zähne sah. Das Lachen stand ihm gut – besser, als es Casey lieb war.

„Ich lasse mich nicht gern einen Idioten nennen“, verteidigte sie sich.

Troy verbeugte sich spöttisch. „Das war nur allgemein gesprochen, mein liebes Kind.“

„Ich bin kein Kind und Ihr Kind schon gar nicht!“, fuhr Casey auf. „Ich bin eine erwachsene Frau.“

„Und eine ganz besondere dazu.“ Troy lachte noch breiter. „Dürfte ich Sie in der Stadt zu einer Tasse Kaffee einladen?“

„Kaum.“ Casey merkte besorgt, wie schnell und nachhaltig ihr dieser ungehobelte Kerl unter die Haut ging. „Kennen Sie die McIvor-Schwestern?“

„Nur Darcy. Courtney, die Jüngere, ist bei der Mutter in Brisbane aufgewachsen. Sie wohnt erst seit kurzer Zeit wieder auf Murraree. Ich bin ihr noch nicht begegnet, denn ich hatte längere Zeit auf einer unserer Außenstellen zu tun.“

„Auf einer unserer Außenstellen“, wiederholte Casey spöttisch. „So hochtrabend spricht nur einer, der einen Rinderbaron zum Vater hat.“

Troy zuckte die Schultern. „Sie sind doch nicht etwa neidisch?“

„Dazu habe ich keine Zeit. Wenn Sie jetzt vielleicht Platz machen würden … Koomera Crossing erwartet mich. Hoffentlich sind die Leute da nicht so neugierig wie in dem letzten kleinen Nest, in dem ich Rast gemacht habe. Man starrte mich dort an, als käme ich vom Mond.“

„Wahrscheinlich fiel den Leuten Ihre starke Ähnlichkeit mit Jock McIvor auf“, meinte Troy. „Sie ist in der Tat verblüffend. Sogar die Einkerbung im Kinn fehlt nicht.“

„Das Grübchen. Klingt das nicht viel netter?“ Casey setzte sich hinter das Steuer. „Machen Sie Ihre Güte voll, und öffnen Sie mir das Tor.“

„Wollen Sie Rusty so kaltherzig verlassen?“ Es war Troy aufgefallen, wie zutraulich der alte Hirtenhund auf Casey reagiert hatte.

„Er ist Ihr Hund … nicht meiner. Vermutlich haben Sie ihn dem Rektor aufgehalst?“

„Phil wünschte sich einen Beschützer.“

Casey lachte hell auf. „Da hat er mit Rusty das große Los gezogen!“ Sie ließ den Motor an. „Würden Sie endlich das Tor öffnen?“

„Sehr wohl, Madam.“ Troy salutierte ironisch. „Falls Sie in der Stadt übernachten, sehen wir uns vielleicht wieder.“

„Nicht, wenn ich es verhindern kann.“ Casey lächelte zuckersüß. „Bye, Rusty!“

Sie wartete, bis Troy das Tor geöffnet hatte, gab Gas und entschwand in einer roten Staubwolke. Rusty rannte hinter ihr her. Casey begann sich schon Sorgen zu machen, als ein scharfer Pfiff ertönte, der den Hund zurückrief. Guter Rusty, dachte sie. Du hast bedeutend bessere Manieren als dein Herr!

2. KAPITEL

Koomera Crossing entsprach etwa Caseys Erwartungen. Man starrte sie genauso an wie in Cullen Creek, gab ihr pausenlos gute Ratschläge und warnte sie davor, bei Dunkelheit weiterzufahren. Für Casey erhöhte das nur den Reiz, wie alles Verbotene, aber sie war vernünftig genug, sich in dem einzigen Pub ein Zimmer für die Nacht zu nehmen. Morgen früh konnte sie dann voller Elan die letzte Etappe zurücklegen.

Um sieben Uhr knurrte ihr vernehmlich der Magen. Sie musste unbedingt etwas essen. Aber was wäre, wenn sie Troy Connellan im Gastraum begegnete? Der bloße Gedanke genügte, um sie nervös zu machen.

Troy wirkte beunruhigend – ja, er forderte sie geradezu heraus. Dass er sie so hart angefasst hatte, konnte sie ihm kaum verdenken. Mit dem Akubra und der staubigen Cowboykleidung musste sie von hinten wie ein großer, schlanker Junge gewirkt haben. Erst ihr üppiges glänzendes Haar hatte ihr wahres Geschlecht verraten. Das schöne Haus, das an den Schuldirektor vermietet war, gehörte also Troys Familie. Dazu kamen noch die Farm Vulcan Plains und mehrere Außenstellen, die bis ins Northern Territory hineinreichten. Mr. Connellan senior musste ein schwerreicher Mann sein. Ein echter Rinderbaron.

Ein Mann wie Jock McIvor. Möge mich der Herr vor ihnen bewahren!

Schließlich verdrängte der Hunger alle anderen Überlegungen. Casey zog eine frische, leuchtend blaue Baumwollbluse und hautenge Designerjeans an und band sich einen ihrer schicken Gürtel um die schlanke Taille. So pflegte sie an ihren Liederabenden aufzutreten, und das kam beim Publikum gut an. Das offene, weich über den Rücken fallende Haar war ein weiteres Markenzeichen von ihr. Rotes lockiges McIvor-Haar.

Casey seufzte. Als Kind hatte sie sich immer wieder gefragt, von wem sie ihr rotes Haar geerbt hatte, denn ihre Mutter war dunkelhaarig gewesen. Sie hatte Jock McIvor niemals vergessen. Ob sie versucht hatte, ihn zu erreichen und ihm von dem Kind zu erzählen? Casey würde es nie erfahren. Vielleicht hatte er der armen Marnie Geld geschickt oder ihr zu einer Abtreibung geraten. In jedem Fall hatte er gewissenlos gehandelt, und wenn Casey zurückdachte, kam ihr ihre Mutter dagegen wie eine Heldin vor.

Kaum hatte Casey an einem der Tische Platz genommen, tauchte eine kleine, etwas pummelige Frau bei ihr auf, die sie an eine Gestalt aus einer Fernsehserie erinnerte. „Sie sind Casey McGuire. Das habe ich gleich erkannt, denn ich bin ein Fan von Ihnen. Ich habe Sie in Brisbane und in mehreren Orten an der Gold Coast singen hören. Hier mache ich nur Urlaub … zusammen mit meiner Nichte.“ Sie zeigte auf einen Tisch, an dem eine jüngere Frau saß. „Mein Name ist Dee Walker.“

Was sollte Casey tun? Sie ergriff die ausgestreckte Hand und sagte: „Vielen Dank für die netten Worte, Dee, aber Sie werden enttäuscht sein. Ich habe nicht vor, hier zu singen.“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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