Milliardär meiner Träume 4

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NUR EINE EINZIGE NACHT?

Der Kuss seiner zärtlichen Lippen weckt sie: Kaum schlägt Sienna in dem Pariser Luxus-Apartment die Augen auf, spürt sie wieder flammende Leidenschaft in sich aufsteigen, entfacht von Raphael Lombardi. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass ein Mann so ein Verlangen in ihr weckt wie der Milliardär - und es auch zu stillen vermag! Doch ihr Traum findet ein jähes Ende: Plötzlich befiehlt Raphael ihr mit kalter Stimme, aus seinem Leben zu verschwinden. Sie war nur eine Affäre für ihn - doch warum steht er sechs Wochen später vor ihr und will sie vor den Traualtar führen?

BEIM BLICK IN DEINE AUGEN ...

Können diese Blicke lügen? Fassungslos starrt der Milliardär Constantine Karantinos die zarte Laura an: Sie behauptet, sie hätte einen Sohn mit ihm! Aber das wüsste er doch. Eine Liebesnacht mit ihr, vor sieben Jahren … vergessen? Aber weil der Junge ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist und Familie zählt, ordnet der mächtige Grieche an, dass Laura und Alex ihn nach Athen begleiten. Wo allmählich nicht nur seine Erinnerung an jene Nacht erwacht - sondern auch Constantines Wunsch, in zärtlichen Stunden die Liebe in Lauras sturmumwölkten Augen erneut heraufzubeschwören …

SPIEL, KUSS & SIEG

Spielt ihr Jugendschwarm Alejandro D’Arienzo nur mit ihr?, fragt Tamsin sich verletzt. Die junge Designerin ist mit dem attraktiven Milliardär nach Argentinien gejettet, um Trikots für sein Poloteam zu entwerfen. Doch plötzlich versucht er sie lustvoll zu verführen. Eine gefährliche Herausforderung für Tamsin, die mehr denn je Alejandros Liebe gewinnen will. Doch der scheint vor allem eins zu wollen: Rache, weil ein heißer Flirt mit Tamsin ihn vor acht Jahren fast die Sportlerkarriere kostete. Denn so sinnlich er sie berührt, die magischen drei Worte sagt er nicht …

VERFÜHRT IN ALLER UNSCHULD?

Die Kameras laufen heiß, als Savannah zum Auftakt des Rugbyspiels die Nationalhymne singt! Was nicht an ihrer Stimme liegt - sondern an der Tatsache, dass ihre üppigen Kurven gerade ihr Kleid sprengen … Durch einen Tränenschleier sieht sie einen attraktiven Mann auf sich zukommen. Die Sensation ist perfekt! Denn Ethan Alexander, steinreicher Sponsor, scheut sonst das Licht der Öffentlichkeit. Aus einem Grund, den niemand kennt - bis er Savannah mit in seinen Palazzo in die Toskana nimmt. Die Milliardär und die Sängerin, Dunkel und Licht - Unschuld und Verführung …

ZUM LIEBEN VERFÜHRT

Entsetzt hört Elizabeth, was der attraktive Milliardär Ilios Manos von ihr verlangt: Sie soll ihn heiraten. Nein, sie will nicht in einer Ehe mit ihm gefangen sein - ohne Liebe! Aber Ilios hat sie komplett in der Hand, denn ihre Schulden lassen ihr keine Wahl. Und das Schlimmste: Elizabeths eigener Körper verrät sie. Bei Ilios‘ erotischen Liebkosungen, bei seinen sinnlichen Küssen erbebt sie sehnsuchtsvoll. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis dieser griechische Gott sie in seiner Villa an der Ägäis verführt und ihr auch noch das Herz raubt …


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773816
  • Seitenanzahl 720
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Trish Morey, Sharon Kendrick, India Grey, Susan Stephens, Penny Jordan

Milliardär meiner Träume 4

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IMPRESSUM

JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Sarah Hielscher

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,

Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg

Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

 

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© 2009 by Trish Morey

Originaltitel: „Forced Wife, Royal Love-Child“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA

Band 1932 (17/1) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Alexa Christ

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 08/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-942031-77-6

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

JULIA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundliches Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet.

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY,

TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Trish Morey

Nur eine einzige Nacht?

1. KAPITEL

Der Sex war gut.

Erstaunlich gut.

Mit einem Stöhnen ergab sich Rafe dem Unausweichlichen, zog ihren nackten Körper dicht an seinen heran, atmete ihr betörendes Parfum ein, das sich mit dem moschusartigen Duft ihrer Leidenschaft mischte, und spürte, wie das Verlangen in seinen Lenden neu erwachte. Er hatte sich nur ein wenig ausgeruht und war nun erneut bereit für sie. Nicht eine Minute ihrer ersten gemeinsamen Nacht wollte er verschwenden. Nicht, nachdem es ihn praktisch eine ganze Woche gekostet hatte, sie in sein Bett zu bekommen.

Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm das das letzte Mal passiert war.

Durch die luftigen Vorhänge seines Apartments funkelten noch immer die bunten Lichter von Paris, obwohl der nachtdunkle Himmel sich langsam in sanftes Morgengrauen verwandelte, das ihre samtweiche Haut zum Leuchten brachte. Er hauchte einen Kuss auf ihren zarten Nacken, liebkoste die empfindsame Stelle hinter ihrem Ohrläppchen und erhielt als Belohnung ein leises Schnurren wie bei einem Kätzchen.

Sie erwachte zum Leben, drehte sich zu ihm um und streckte die Arme nach ihm aus, während sich ihr tizianrotes Haar über das Kissen ergoss – wie ein Vorhang, der sich zum nächsten Akt öffnete.

Wie passend, dachte er und freute sich auf die zweite Runde ihres Liebesspiels. Mit einer fließenden Bewegung schob er sich über sie. Eine Woche hatte es ihn gekostet, sie hierher zu bekommen. Eine Woche hatten sie verschwendet. Jetzt würde er keine einzige Sekunde mehr vergeuden.

Langsam senkte er den Kopf und umschloss eine rosige Brustspitze mit den Lippen, reizte raffiniert die aufgerichtete Knospe. Seine Gespielin bog sich ihm entgegen, klammerte sich an ihn und vergrub die Finger in seinem dichten, dunklen Haar.

Er liebte ihre Brüste, liebte deren Form und Fülle, das Gefühl, sie in seinen Händen zu halten. Er konnte einfach nicht genug von ihr kriegen. Als sie die Hüften hob und sich aufreizend an ihm rieb, sah er keinen Grund mehr, noch länger zu warten.

Rasch griff er sich ein kleines, durchsichtiges Päckchen vom Nachttisch, schob es zwischen die Zähne und riss es auf.

„Lass mich“, bat sie heiser. In ihren haselnussbraunen Augen glühte dasselbe verzweifelte Verlangen, das auch ihn beherrschte und das in diesem Moment ins Unermessliche wuchs. Als sie ihm das Kondom abnahm und sich aufsetzte, um es ihm beinahe ehrfürchtig überzustreifen, gestattete er sich ein Lächeln. Bei ihrer ersten, zarten Berührung, hob er den Blick gen Decke. So viel zu der Frau, die noch am Vorabend in punkto Sex beinahe nervös gewirkt hatte. Die Aussicht auf die nächsten Wochen wurde mit jeder Minute besser.

Doch dann verwandelte sich die Vorfreude in reine Qual, sein Lächeln in eine Grimasse, denn sie ließ sich unendlich viel Zeit, das verdammte Ding überzustreifen. Als er es gar nicht mehr aushielt, packte er ihre Hand, erledigte die Aufgabe und drückte sie mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung in die Matratze. Ihr Ausruf der Überraschung ging in ein verzücktes Stöhnen über, während er tief in sie eindrang.

Ihre Vereinigung war so vollkommen, dass sie all seine Denkprozesse lähmte, bis nur noch ein einziger, alles beherrschender Gedanke seine Sinne berauschte.

Nicht nur gut.

Der Sex war perfekt.

Das kann nicht mein Gesicht sein. Sienna Wainwright betrachtete ungläubig ihr Spiegelbild. Eine Fremde starrte ihr entgegen. Trotz des Schlafmangels wirkten ihre Augen riesig, ihre Lippen waren geschwollen, und ihr Haar, das sie sonst immer so sorgfältig frisierte, fiel in wilden, ungebändigten Locken über ihre Schultern. Sie sah wie eine Frau aus, die sich stundenlang mit einem Mann amüsiert hatte, und damit entsprach sie in nichts mehr der Sienna Wainwright, die sie kannte.

Die sie gewesen war.

Bis zur vergangenen Nacht. Bis ihre Verteidigungsmechanismen langsam in sich zusammengefallen waren.

Vorsichtig legte sie einen Finger an die Lippen und betastete die leicht gerötete Haut. Sie schloss die Augen und wurde sofort von erotischen Bildern bestürmt, die Erinnerungen an die heiße Liebesnacht weckten, und die ihre Lust von Neuem anheizten.

Rafe Lombardi, internationaler Finanzier und Selfmade-Milliardär, besaß ein unglaubliches Geschick, kränkelnde Firmen aufzukaufen und zurück auf die Erfolgsspur zu bringen. Wenn man den internationalen Klatschkolumnen Glauben schenkte, gehörte er zu den begehrenswertesten Junggesellen der Welt. Sienna hatte keine Veranlassung, an diesen Gerüchten zu zweifeln, denn die Liste seiner verflossenen Liebschaften reichte von Paris bis zum Nordpol. Es war einer der Gründe, warum sie ihm gegenüber hatte Abstand wahren wollen – am besten wäre sie wohl sogar in die entgegengesetzte Richtung geflüchtet.

Sie spielte nicht in seiner Liga – weder finanziell noch gesellschaftlich oder sexuell. Ihre Erfahrung mit Männern war bis zu diesem Zeitpunkt äußerst begrenzt gewesen und was das Bett anging, sogar geradezu enttäuschend.

Was sollte ein Mann wie er in ihr sehen? Eine Frau, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten musste, und dennoch so weit unten auf der Karriereleiter rangierte, dass sie gar nicht auffiel. Für ihn konnte sie doch nur eine belangslose Affäre, eine weitere Trophäe in seiner Sammlung sein?

Deshalb hatte sie sich allergrößte Mühe gegeben, ihn so lange wie möglich auf Abstand zu halten. Sie nahm an, dass er schnell aufgeben und sich einem willigerem Opfer zuwenden würde. Ja, sie dachte, dass ein einmaliges Nein ausreichen würde.

Doch sie täuschte sich. Anstatt die Jagd aufzugeben, verfolgte er sie nur mit umso größerer Entschlossenheit, was ihr gleichzeitig Angst machte und ungeheuer schmeichelte.

Rafe Lombardi war ganz offensichtlich ein Mann, der es gewohnt war, das zu bekommen, was er haben wollte.

Sienna betrat die Duschkabine, drehte das Wasser auf, hielt das Gesicht in den warmen Strahl, schloss die Augen und genoss die sanfte Massage an all den Körperstellen, die noch vor Kurzem von Rafe liebkost und verwöhnt worden waren. Zweifellos würde er das bald schon wieder tun, denn er hatte ihr versprochen, ihr Gesellschaft zu leisten.

Völlig unerwartet stieg ein Lachen in ihrer Kehle auf. Wie oft hatte sie ihn in den vergangenen Tagen abgewiesen? Sie musste verrückt gewesen sein. Denn nach nur einer Nacht mit ihm war klar, dass jede halbwegs vernünftige Frau sich so lange an Rafe Lombardi und das, was er zu bieten hatte, klammern würde wie möglich. Zur Hölle mit den Konsequenzen!

Natürlich würde es diese Konsequenzen geben, doch im Moment hütete sie die Gewissheit, dass er sie wiedersehen wollte, wie einen kostbaren Schatz.

Langsam drehte sie sich um, ließ das Wasser über den Rücken perlen und schäumte ihr Haar mit Shampoo ein, während sie überlegte, was er an sich hatte, das ihn von jedem anderen Mann, dem sie jemals begegnet war, unterschied. Sein unglaublich gutes Aussehen mit dem dunklen Haar und dem verwegenen Dreitagebart spielte sicherlich eine Rolle. Aber da war auch seine beinahe magnetische Ausstrahlung, die Aura von Stärke und natürlicher Autorität, die ihn umgab.

Trotz des warmen Wassers erschauerte Sienna, denn sie erinnerte sich daran, wie verletzlich sie sich bei einem einzigen glühenden Blick von ihm, einer einzigen sinnlichen Berührung vorkam. Er besaß die besondere Gabe, dass eine Frau sich in seiner Gegenwart unglaublich begehrenswert fühlte, so als sei sie das Zentrum seines Universums, und diese Gabe hatte er schonungslos ausgenutzt, um sie in sein Bett zu locken.

Seufzend hob sie ihr Gesicht wieder in den Wasserstrahl. Nein, Rafe Lombardi war anders als jeder Mann, den sie zuvor kennengelernt hatte. Kein Wunder, dass er unzählige gebrochene Herzen zurückließ, denn wenn eine Frau nicht aufpasste, dann stellte er alles dar, worin sie sich mühelos verlieben konnte …

Oh nein!

Rasch drehte sie das Wasser ab und riss ein Handtuch vom Halter. Sie war wütend auf sich, dass ihre Gedanken derart abschweiften. Sich ein märchenhaftes Happy End auszumalen, das niemals eintreten würde …

Das Leben in Paris musste ihr zu Kopf gestiegen sein. Gerade erst hatte sie ihren Traumjob an Land gezogen. Eine Affäre war gut und schön. Eine Affäre konnte sie sich gönnen. Mehr suchte sie aber nicht!

Sienna wickelte sich in das flauschige Frotteetuch und bemerkte jetzt, wo die Dusche abgestellt war, dass vom Nebenraum die Fernsehnachrichten zu hören waren. Rafe hatte sie offensichtlich eingeschaltet, um den Börsenbericht zu verfolgen, ehe er zu ihr in die Dusche steigen wollte. Was er nicht getan hatte. Ein weiterer Beweis – falls sie den brauchte –, dass sie für ihn nicht mehr als eine temporäre Abwechslung war.

Allerdings eine Abwechslung, die er wiedersehen wollte, wie er ihr noch vor wenigen Stunden versichert hatte. Im Moment war das genug.

Sie schlang ein Handtuch um das feuchte Haar und schlüpfte in einen der weißen Bademäntel, die an der Wand hingen, dann öffnete sie die Tür. Rafe stand immer noch neben dem zerwühlten Bett, auch wenn er irgendwann eine Jeans übergestreift hatte, die tief auf den Hüften saß. Der Reißverschluss war geschlossen, aber der oberste Knopf stand offen. Allein der Anblick genügte, um in Sienna neues Verlangen zu wecken, doch dann bemerkte sie seinen grimmigen Gesichtsausdruck, während er dem Wortschwall aus rasantem Italienisch zuhörte, der vom Fernseher erklang.

Langsam trat sie näher.

„Was ist los?“, fragte sie, während sie dem italienischen Bericht zu folgen versuchte, womit sie jedoch heillos überfordert war. Sie legte eine Hand auf seinen Rücken. „Was geht da vor?“

Er brachte sie mit einem Zischen zum Schweigen und zuckte vor ihrer Berührung zurück. Urplötzlich schien sich eine Kluft zwischen ihnen aufzutun, die zuvor nicht spürbar gewesen war. Sie schnappte einen Namen auf – Montvelatte – ein kleines Inselfürstentum zwischen Frankreich und Italien. Ein Reporter stand vor einem wunderschönen Bau, der wie ein Märchenschloss wirkte. Als Nächstes sah man die berühmten Casinos der Insel und dann ein Foto des verstorbenen Fürsten Eduardo. Der Reporter sprach eifrig weiter, begleitet von Bildern einer wahren Armada an uniformierten Polizisten, die den neuen Fürsten Carlo und dessen Bruder zu einem Wagen führten, von dem sie kurz darauf davongefahren wurden. Sienna runzelte die Stirn und versuchte, das Gesehene zu begreifen. Offensichtlich war etwas in Montvelatte ganz und gar nicht in Ordnung.

Der Reporter beendete seinen Bericht mit einem finsteren Blick und einer eindeutigen Geste, die seine abschließenden Worte unterstrich: „Montvelatte, finito!

Dann gab er ins Nachrichtenstudio zurück, wo der nächste Beitrag anmoderiert wurde. Rafe schaltete ab und wandte sowohl Sienna als auch dem Fernseher den Rücken zu. Er fuhr sich müde über das Gesicht.

Nachdenklich löste Sienna ihr Handtuch und rubbelte die langen Locken trocken. Es war klar, dass irgendetwas Schreckliches passiert sein musste.

„Was ist los? Es sah so aus, als würde die Polizei die gesamte Fürstenfamilie abführen.“

Rafe wirbelte herum. In seinen Augen tobte ein Sturm – es sah beinahe so aus, als trauere er.

„Es ist vorbei“, sagte er mit einer Stimme, bei der ihr eiskalt wurde. „Es ist vorbei.“

Eine unerklärliche Furcht beschlich sie. Endlich nahm er ihre Gegenwart zur Kenntnis, dennoch bezweifelte sie, dass er sie wirklich sah. Viel eher hatte sie das Gefühl, dass er geradezu durch sie hindurchblickte.

„Was ist vorbei? Was ist passiert?“

Im ersten Moment war sie nicht sicher, ob er ihre Frage überhaupt gehört hatte, doch dann reckte er das Kinn vor, in seine Augen trat ein raubtierhaftes Funkeln, und er fand einen Fokus, der zuvor nicht vorhanden gewesen war.

„Gerechtigkeit“, antwortete er rätselhaft und ging leise über den Teppich, bis er dicht vor ihr stand und sie mit wildem Blick ansah. Noch ehe sie ihn fragen konnte, was er damit meinte, nahm er ihr das feuchte Handtuch ab und warf es zur Seite.

Sienna zitterte. Ihr Puls beschleunigte sich, so wie es immer geschah, wenn sich Rafes ungeteilte Aufmerksamkeit auf sie richtete. Im nächsten Moment zog er an dem Gürtel um ihre Taille, der sich sofort löste, sodass der Bademantel auseinanderklaffte. Sie spürte den kühlen Luftzug auf ihrer Haut, hörte, wie er scharf einatmete, während sein hungriger Blick über ihren nackten Körper glitt und sie geradezu verschlang. „Ich will dich“, murmelte er heiser, schob den Bademantel mit einer Hand zur Seite und umfasste eine ihrer vollen Brüste. „Jetzt!

Ihr Körper war bereit, das bewies die flüssige Hitze, die sich zwischen ihren Beinen gesammelt hatte. Doch da blitzte irgendetwas in seinen Augen auf, das ihr Angst einjagte. Er sah sie gar nicht, nicht wirklich. Für ihn war sie nur ein Mittel zum Zweck, um sich von den Dämonen zu befreien, die ihn plagten. Erneut fragte sie sich, warum er sich so sehr für ein kleines Inselreich interessierte, das mehr Schlagzeilen mit den Liebesabenteuern seines jungen Fürsten und dessen Bruder machte als mit wirtschaftlichen oder politischen Themen.

Sienna legte die Hände auf seine Brust und machte einen halbherzigen Versuch, ihn von sich zu schieben. „Ich … ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, stammelte sie, während der Rest ihres Körpers sie verriet und unter seinen kundigen Händen erschauerte. „Ich muss zur Arbeit, sonst komme ich zu spät.“

„Dann kommst du eben zu spät!“, stieß Rafe ungerührt hervor, ehe er eine Hand um ihren Nacken legte und sie zu sich heranzog. Stürmisch eroberte er ihre Lippen, strafend und fordernd – ein Kuss, der den Aufruhr deutlich machte, der ihn beherrschte. Er schmeckte nach Sehnsucht, Verlangen und Leidenschaft – all die Dinge, die sie auch schon zuvor gekostet hatte. Doch jetzt war noch etwas anderes dabei, etwas das durch den Bericht ausgelöst worden war. Sie spürte eine ungezügelte Wut, die den Kuss zu etwas Dunklem und Gefährlichem machte.

Mittlerweile spürte sie ihn überall – auf ihren Lippen, ihrem Hals, ihren Brüsten. Ungeduldig streifte Rafe ihr den Bademantel ganz ab und presste ihren nackten Körper an seinen. Sienna sank willig gegen ihn, sie hatte gar keine andere Wahl – ihre Sinne berauschten sich an seinem Duft, seinem Geschmack, dem leisen Geräusch, mit dem er den Reißverschluss der Jeans nach unten zog …

Im nächsten Moment hob er sie hoch, legte sich ihre Beine um die Taille und ließ sie dann so weit nach unten gleiten, dass er mit seiner erregten Männlichkeit ihre empfindsamste Stelle berührte.

Als er in sie eindrang, entriss sich ihm ein lautes Stöhnen – beinahe wie von einem verwundeten Tier, so als käme dieser Schrei aus seiner tiefsten Seele. Sienna klammerte sich an ihm fest und hatte Angst um ihn.

Angst um sich selbst.

Er stieß so wild und ungezügelt in sie, dass die Empfindungen wie ein Kaleidoskop tausender bunter Farben in ihrem Kopf explodierten. Sie fiel, umfangen von seinen Armen, auf das Bett. Immer wieder tauchte er in sie, rasend und treibend, bis er sich mit einer Leidenschaft in sie verströmte, die auch sie geradewegs auf den Gipfel der Lust katapultierte.

Es war seine Stimme, die Siennas Benommenheit durchbrach. Der tiefe, eindringliche Klang, während er ins Telefon sprach. Doch erst der Blick auf die Uhr machte sie schlagartig hellwach, sodass sie ins Badezimmer stürmte, um sich anzuziehen.

Rafe registrierte es kaum. Seine Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich auf die Worte, die sein Geschäftspartner zu ihm sagte. Yannis Markides, einer der wenigen Menschen auf dieser Welt, die Rafes wahren Background und die Identität seines Vaters kannten, wusste besser als irgendein anderer, was der Fernsehbericht bedeutete.

„Du musst jetzt dorthin“, drängte Yannis. „Es ist deine Pflicht.“

„Jetzt klingst du schon wie Sebastiano. Er ist bereits in Paris, offensichtlich auf dem Weg hierher. Er verschwendet wirklich keine Minute.“

„Sebastiano tut das einzig Richtige. Ohne dich wird Montvelatte untergehen. Möchtest du dafür verantwortlich sein?“

„Ich bin nicht der Einzige. Es gibt auch noch Marietta …“

„Und der Tag, an dem du diese Verantwortung deiner kleinen Schwester aufbürdest, ist der Tag, an dem du mich als Freund verlierst. Außerdem weißt du ganz genau, dass das Gesetz einen männlichen Erben vorschreibt. Es ist deine Pflicht, Raphael.“

„Selbst wenn ich es tue, gibt es keine Garantie, dass ich Montvelatte retten kann. Das Fürstentum ist total verschuldet. Du hast doch die Berichte gehört – Carlo, Roberto und ihre Kumpane haben die Wirtschaft ausgeblutet.“

Am anderen Ende der Leitung erklang ein tiefes Lachen. „Ist das etwa nicht das, was du und ich tagtäglich tun? Den finanziell Toten neues Leben einhauchen?“

„Dann geh du doch, wenn du dir solche Sorgen machst. Ich mag mein Leben genau so wie es ist.“ Das war die reine Wahrheit. Er hatte hart dafür gearbeitet, an den Punkt zu gelangen, an dem er sich jetzt befand. Nur die schwierigsten Projekte hatte er angenommen, um sich immer wieder zu beweisen, dass er dem gewachsen war. Und noch etwas anderes hatte er sich bewiesen – dass er nicht zur Fürstenfamilie gehören musste, um Ansehen und Anerkennung zu erlangen.

„Aber das ist nicht meine Aufgabe, Rafe. Du bist der Sohn, der Nächste in der Thronfolge. Niemand anders kann dir das abnehmen.“ Es entstand eine kurze Pause. „Davon mal abgesehen – meinst du nicht, das wäre auch der Wunsch deiner Mutter gewesen?“

Rafe hätte wissen müssen, dass Yannis einen Schlag unter die Gürtellinie landen würde. Sie waren gemeinsam aufgewachsen und standen sich so nahe wie Brüder, was leider zur Folge hatte, dass Yannis ganz genau wusste, wie er Rafe knacken konnte. „Ich bin bloß froh, dass sie gestorben ist, bevor sie erfahren musste, dass der Tod des alten Fürsten auf das Konto seiner eigenen Söhne geht.“

„Nicht all seiner Söhne“, korrigierte Yannis. „Es gibt immer noch dich.“

Er lachte kurz und freudlos. „Das stimmt. Der Bastard-Sohn. Den man zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester ins Exil geschickt hat. Warum sollte ich jetzt zurückkehren und dem Fürstentum aus der Patsche helfen? Ich schulde meinem Vater nichts.“

„Warum du? Weil das Blut Montvelattes in dir fließt. Das ist dein Geburtsrecht, Rafe. Ergreife es. Wenn nicht um deines Vaters willen, dann deiner Mutter zuliebe.“

Rafe schüttelte den Kopf. Auf diese Weise versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Yannis kannte ihn zu gut. Er wusste, dass er keine Loyalität gegenüber einem Vater empfand, der für ihn nicht mehr als ein Name gewesen war, und der seinen eigenen Sohn samt der Frau, die ihn geboren hatte, so leicht verstoßen hatte, als wische er ein paar Staubkörner von seiner Jacke. Noch nicht einmal das Wissen, dass der Tod seines Vaters kein Unfall gewesen war, löste ein Verlustgefühl in Rafe aus. Es war unmöglich, etwas zu verlieren, das man nie besessen hatte, und Fürst Eduardo war niemals ein Teil seines Lebens gewesen.

Seine Mutter allerdings stand auf einem anderen Blatt. Louisa hatte Montvelatte geliebt und das kleine Inselreich, das einundzwanzig Jahre lang ihre Heimat gewesen war, nie vergessen.

Yannis hatte recht. Es war immer ihr Traum gewesen, eines Tages zurückzukehren. Zu Lebzeiten hatte dazu keine Chance bestanden, doch vielleicht konnte er es ihr jetzt im Geiste ermöglichen.

Verdammt!

Sienna verließ fertig angezogen das Badezimmer und runzelte die Stirn. Sie hatten sich so schnell geliebt – zu schnell, als dass einer von ihnen an Verhütung gedacht hätte. Die Chance, dass sie schwanger wurde, war gering, sie befand sich in der Endphase ihres Zyklus, aber ein gewisses Restrisiko blieb, und in diesem Moment bereute sie es, dass sie sich kein neues Rezept für die Pille hatte verschreiben lassen.

Auch wenn sie Gefahr lief, noch später zur Arbeit zu kommen – sie konnte nicht gehen, ohne das Thema zumindest angesprochen zu haben.

„Wir müssen reden“, erklärte sie, als sie feststellte, dass Rafe sein Telefonat beendet hatte. Rasch packte sie ihre restlichen Sachen in die Tasche. Als er nicht reagierte, drehte sie sich zu ihm um. Er saß mit dem Rücken zu ihr auf dem Bett, das Gesicht in den Händen vergraben, und gab dabei ein derart verzweifeltes Bild ab, dass sie ihn niemals erkannt hätte, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er es war. Stärke und Autorität schienen mit einem Mal verpufft. Stattdessen wirkte er so verletzlich, dass ihr angst und bange wurde. „Was ist los?“, fragte sie und trat näher an ihn heran, zögerte aber, ihn zu berühren. „Stimmt etwas nicht? Geht es um diesen Bericht über Montvelatte?“

Zuerst rührte er sich nicht, und er sprach auch kein Wort – dann atmete er hörbar aus, hob den Kopf und rieb sich mit der Hand über die Schläfe.

„Was weißt du über die Insel?“, fragte er unvermittelt.

Sienna zuckte die Schultern. Die Frage überraschte sie, doch immerhin redete er mit ihr, und sie war sich sicher, dass der Schmerz weniger schlimm sein würde, solange er es tat. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn. „Ich weiß das, was jeder weiß. Es ist eine kleine Insel im Mittelmeer, berühmt sowohl für ihre wunderschöne Landschaft als auch die zahlreichen luxuriösen Casinos, die sie reich gemacht haben. Ein Mekka für Touristen und Spieler.“

Rafe schnaubte verächtlich und drehte sich zu ihr um. Seine Augen wirkten beinahe schwarz. „Und für Gangster, wie es scheint. Offensichtlich wird in den Casinos Drogengeld gewaschen, seitdem Carlo vor fünf Jahren den Fürstentitel übernommen hat.“

Hinter ihm tickte die Wanduhr unaufhörlich weiter. Sienna fluchte innerlich. Sie musste unbedingt zur Arbeit. Es hatte sie einiges gekostet, den Job bei Sapphire Blue Charters zu ergattern – lediglich ihre hervorragenden Französischkenntnisse und ihre ausgezeichneten Referenzen hatten ihr den Vertrag eingebracht und glichen die Tatsache aus, dass sie eine Frau war – und noch dazu Australierin. Allerdings befand sie sich immer noch in der Probezeit. So wie dieser Morgen verlief, konnte sie von Glück reden, wenn sie bei ihrem Eintreffen am Flughafen noch einen Job hatte. Aber sie konnte Rafe jetzt nicht verlassen, nicht so. „Ich verstehe das nicht. Sie haben den Fürst und seinen Bruder vor der ganzen Weltöffentlichkeit verhaftet und das wegen unbewiesener Geldwäsche-Vorwürfe? Was ist mit dem Grundsatz ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ passiert?“

Rafe stand abrupt auf, griff nach seiner Jeans, ließ sie dann jedoch rasch wieder fallen, um stattdessen in einen weißen Morgenmantel zu schlüpfen, der seine gebräunte Haut perfekt zur Geltung brachte.

„Ich habe nicht gesagt, dass sie wegen Geldwäsche verhaftet wurden.“

„Warum dann?“

„Weil sie mit dem Tod des vorigen Fürsten in Verbindung gebracht werden.“

Im ersten Moment war Sienna zu schockiert, um etwas zu sagen. Verzweifelt versuchte sie, sich an alles zu erinnern, was sie über das kleine Inselreich wusste. „Aber Fürst Eduardo ist ertrunken. Er fiel von seiner Jacht.“

„Die Behörden haben neues Beweismaterial entdeckt. Er ist nicht gefallen.“

Fassungslos starrte sie ihn an. „Sie haben ihren eigenen Vater umgebracht?“ Kein Wunder, dass die Fernsehkanäle voll davon waren. Es war mehr als ein Skandal. Eine Aristokratie vor dem Ruin, eine tiefe diplomatische Krise. Ein Albtraum, der aus irgendeinem rätselhaften Grund Rafe über die Maßen zu erschüttern schien.

„Trotzdem verstehe ich nicht. Natürlich ist das furchtbar, aber warum hat das eine solche Bedeutung für dich?“

Sienna forschte in seinem Gesicht nach der Antwort. Seine Augen waren voller Trauer, Verzweiflung und Schmerz. Doch noch während sie ihn beobachtete, schien er sich innerlich abzuschotten. Er wandte sich ab, und aus seiner Körpersprache wurde deutlich, dass er nichts weiter zu diesem Thema sagen würde.

Ein letzter Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie nicht länger warten konnte. „Tut mir leid, Rafe, aber ich muss jetzt wirklich los.“

Er schaute sie nicht mal an. „Ja.“

Rasch streifte sie die Schuhe über und griff nach ihrer Jacke. „Ich muss bis sechs arbeiten. Was hältst du davon, wenn ich dich anrufe, sobald ich zuhause bin?“

Diesmal blickte er sie an, wobei sie einen flüchtigen Ausdruck in seinen Augen entdeckte, vielleicht eine Art Wehmut. Dann blinzelte er, und was auch immer sie gesehen haben mochte, war verschwunden. „Nein“, entgegnete er, „heute Abend kann ich dich nicht treffen.“

„Oh.“ Sie schluckte und bemühte sich sehr, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen. „Morgen habe ich eine Spätschicht, aber wie wäre Mittwoch?“

Rafe schüttelte nur den Kopf und öffnete den Schrank, um eine Reisetasche herauszuholen. „Nein. Dann nicht. Ich werde weg sein.“

„Du verreist?“

Als er sie ansah, waren seine Augen eiskalt. „Wie ich bereits sagte. Es ist vorbei.“

Bloße Enttäuschung verwandelte sich in Verzweiflung. Als er das gesagt hatte, hatte er doch von Montvelatte gesprochen, oder? „Wohin gehst du?“

„Fort.“

Verrückt. Sie hätte seine Antwort als die Zurückweisung akzeptieren sollen, die sie war, doch in diesem Moment konnte sie nicht rational denken. Er hatte sie eine ganze Woche umgarnt und verfolgt nur für eine einzige Nacht? Natürlich war ihr klar gewesen, dass sie nie mehr für ihn sein würde als eine kurze Affäre, und damit konnte sie leben, aber verdammt noch mal, sie war noch nicht bereit, es jetzt schon enden zu lassen, nicht wenn er ihr noch vor ein paar Stunden gesagt hatte, dass sie sich wiedersehen würden.

„Ich verstehe nicht.“

„Ich dachte, du kommst zu spät zur Arbeit.“ Er warf die Worte geradezu beiläufig über die Schulter, drehte sich nicht mal zu ihr um, während er Kleidungsstücke aus dem Schrank nahm.

So leicht wollte sich Sienna nicht abfertigen lassen. „Hat es etwas mit dem Fernsehbericht zu tun, denn ehe der lief, wolltest du mich noch unbedingt wiedersehen? Wie kommt es überhaupt, dass etwas, was auf einer kleinen Insel im Mittelmeer passiert, so wichtig für dich ist?“

Er hielt inne, drehte sich um und stopfte Hosen und Hemden achtlos in die Reisetasche, während er ihre Frage wiederholte. „Warum es so wichtig für mich ist?“

Für einen kurzen Moment sah sie den Schmerz, der sich in seinen Zügen abzeichnete, und sie wünschte, sie hätte nicht gefragt. „Du hast die zwei gesehen, die von der Polizei abgeführt worden sind.“

„Fürst Carlo und Prinz Roberto? Ja, natürlich. Kennst du sie etwa?“

„Das könnte man so sagen.“ Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. „Wir haben denselben Vater.“

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Rafe ignorierte ihr fassungsloses Gesicht und ging an ihr vorbei. „Tut mir leid, aber du musst jetzt wirklich gehen.“

Er öffnete die Tür. „Komm rein, Sebastiano“, sagte er und führte einen höchst offiziell wirkenden Mann herein, der einen eleganten Anzug trug. Im selben Atemzug wurde Sienna ohne jegliche Verabschiedung hinausbefördert.

Ehe sich die Tür ganz schloss, hörte sie noch die Worte des älteren Mannes: „Prinz Raphael, Sie müssen sofort kommen …

 

 

 

 

 

 

 

 

2. KAPITEL

Sechs Wochen später …

Der Hubschrauber flog durch das gleißend helle Sonnenlicht zunächst über den Felsen, den man Iseos Pyramide nannte, dann über die atemberaubende Küstenlinie, für die Montvelatte berühmt war. Sekundenlang schwebte er mühelos über dem Landeplatz, ehe er sanft zu Boden sank. Rafe beobachtete die Landung. Natürlich wusste er ganz genau, wer sich an Bord befand, und er ärgerte sich über die unwillkommene Störung.

„Contessa D’Angelo und ihre Tochter, Genevieve, sind soeben eingetroffen, Euer Hoheit“, verkündete Sebastiano, der mit seiner üblichen Effizienz wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

„Das habe ich bemerkt“, entgegnete Rafe trocken, ohne den Finanzbericht abzulegen, den er gerade las, oder sonstige Anstalten zu machen, auf die Ankunft der Gäste zu reagieren. Wenn Sebastiano sich derart darum sorgte, eine passende Fürstin für Montvelatte zu finden, dann konnte er die Frauen selbst begrüßen. Nachdem Rafe in den vergangenen zehn Tagen ungefähr einem halben Dutzend potenzieller Heiratskandidatinnen vorgestellt worden war, hatte er keine Lust mehr. Außerdem war er mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt. Zum Beispiel musste er dringend die akute Finanzkrise des Fürstentums bewältigen.

Sebastiano wartete ungeduldig, während Rafe in aller Seelenruhe einen Schluck Kaffee trank.

„Und die Gäste, Euer Hoheit? Der Fahrer wartet.“

Rafe ließ sich Zeit damit, die Kaffeetasse abzustellen und sich in seinem Stuhl zurückzulehnen. „Wäre es nicht angebracht, diese Ehefrauenjagd einzustellen, Sebastiano? Ich glaube nicht, dass ich es ertrage, ein weiteres hübsches, junges Ding und dessen krankhaft ehrgeizige Mutter kennenzulernen.“

„Genevieve D’Angelo“, versetzte der ältere Mann sofort, „kann man nicht einfach so als ‚hübsches, junges Ding‘ abschreiben. Sie hat einen makellosen Stammbaum. Ihre Familie gehört bereits seit Jahrhunderten zur Aristokratie. Sie ist hervorragend qualifiziert, um die Rolle von Montvelattes neuer Fürstin einzunehmen.“

„Und was bringt es schon, ‚hervorragend qualifiziert‘ zu sein, wenn ich sie nicht will?“

„Woher wollen Sie wissen, dass Sie sie nicht wollen, wenn Sie die Dame noch nicht mal getroffen haben?“

Rafe schaute seinen Sekretär an und verengte dabei die Augen. Niemand sonst würde mit einer solchen Impertinenz davonkommen. Niemand sonst würde es auch nur wagen. Doch Sebastiano leitete schon seit über vierzig Jahren die Verwaltung des Palasts und begriff sein ganzes Leben als Dienst am Wohle Montvelattes. „Bislang habe ich keine der Kandidatinnen gewollt.“

Sebastiano blickte seufzend aus dem Fenster und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf den gerade gelandeten Hubschrauber. „Wir haben das alles schon besprochen. Montvelatte braucht einen Erben. Wie wollen Sie das ohne Ehefrau bewerkstelligen? Wir versuchen doch nur, den Prozess zu beschleunigen.“

„Indem wir die Insel in den Drehort einer grässlichen Realityshow verwandeln?“

Sebastiano gab den Kampf mit einer kleinen Verbeugung auf. „Ich informiere die Contessa und ihre Tochter, dass Sie sie in der Bibliothek empfangen werden, sobald sie sich frisch gemacht haben.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er sich so rasch zurück wie er gekommen war. Nur wenige Sekunden später bemerkte Rafe, dass der exklusive Golfwagen, mit der Reisende vom Hubschrauberlandeplatz zum Palast gebracht wurden, sich auf den Weg machte.

Er seufzte. Natürlich wusste er, dass Sebastiano recht hatte. Ohne eine neue Generation an Lombardis war die Zukunft von Montvelatte mehr als ungewiss. Niemand würde die dringend notwendigen Investitionen in den finanziellen Wiederaufbau der Insel stecken, solange der Fortbestand des Fürstentums nicht gesichert war. Dennoch gefielen Rafe die Konsequenzen ganz und gar nicht.

Als der Wagen neben dem Hubschrauber hielt, stieg Sebastiano aus, duckte sich unter den immer noch rotierenden Propellerflügeln hinweg und trat an die Kabinentür. Zuerst half er der Contessa heraus, dann deren Tochter. Rafe sah selbst auf die Entfernung, dass die junge Frau schön war. Groß, schlank und genauso elegant wie es die Fotos und Filmaufnahmen bereits angedeutet hatten.

Aber genau genommen, waren sie alle schön.

Und keine löste irgendetwas in ihm aus.

Er seufzte. Vielleicht war das sogar ganz gut. Auf diese Weise würde bei niemandem der falsche Eindruck entstehen, dass es hier um eine Liebesheirat ging. Zumindest das blieb ihm erspart.

Die Frau zögerte kurz, ehe sie den offenen Golfwagen bestieg. Sie hob ihren silberblonden Kopf in Richtung Palast und suchte hinter ihrer schicken Designersonnenbrille verborgen die Fensterfront ab. Hielt sie etwas nach ihm Ausschau? Fragte sie sich, ob es eine bewusste Beleidigung war, dass er sie nicht persönlich abholte und begrüßte? Oder versuchte sie nur, den Wert des Grundbesitzes einzuschätzen?

Rafe trank den letzten Rest Kaffee aus und sammelte die Papiere ein. Vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Frau zu treffen. Dann konnte er es genauso gut sofort erledigen. Doch danach würde er mit Sebastiano reden und ihn zur Vernunft bringen. Die Art und Weise, mit der sein Sekretär und dessen Team sich auf die Suche nach einer Heiratskandidatin begaben, war keine Basis für eine gesunde Ehe. Ganz besonders nicht für seine Ehe.

Drüben am Hubschrauberlandeplatz wurde das Gepäck der beiden Frauen sorgfältig abgeladen. Der Golfwagen wendete bereits, als die Tür des Helikopters plötzlich aufflog und der Pilot heraussprang, um dem Gefährt mit einer kleinen Tasche in seinen Händen hinterherzujagen.

Und plötzlich durchzuckte es Rafe wie ein Blitz.

Nicht seine Hände.

Ihre Hände!

Im nächsten Moment stürmte er auf den großen Balkon, kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und schaute angestrengt nach unten. Es konnte nicht sein …

Doch der Pilot war definitiv eine Frau mit schmaler Taille und verführerisch geschwungenen Hüften, die der enge Overall, den sie trug, noch betonte. Und während ihre Augen von einer Sonnenbrille verdeckt wurden, kamen ihm ihre blasse Haut und das kupferrote Haar schmerzhaft bekannt vor. Nachdem sie die Tasche abgeliefert hatte, drehte sie sich um. Dabei wippte der lange Zopf auf ihrem Rücken hin und her.

Christo!

Hastig lief Rafe auf das nächste Telefon zu, und bellte den ersten Befehl, den er überhaupt je an die Palastwache ausgegeben hatte: „Halten Sie den Hubschrauber auf!“

 

Sienna musste schleunigst von hier weg. Ihr Magen rebellierte, und ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an, so erleichtert war sie, dass Rafe seine Gäste nicht persönlich begrüßt hatte. Wenn sie nicht in den nächsten dreißig Sekunden startete, dann würde sie die Nerven verlieren. In Anbetracht der Tatsache, wie übel ihr nach der panischen Übergabe der letzten Tasche war, konnte es allerdings sehr gut sein, dass sie so oder so die Nerven verlor.

Sie holte tief Luft und hoffte, dass das ihr aufgewühltes Inneres beruhigte. Mit feuchten Händen zog sie die Tür zu und setzte die Kopfhörer auf. Schon während des gesamten Flugs hatte die Befürchtung, er könnte bei ihrer Landung anwesend sein, kalten Schweiß in ihr ausgelöst.

Und jetzt schwitzte sie noch immer. Woran natürlich zum Teil auch die Hitze an diesem Tag schuld war, ganz besonders hier, auf dieser felsigen Insel mitten im Mittelmeer, mit ihrem wunderschönen Märchenschloss, über das seit wenigen Wochen Fürst Raphael residierte, der Letzte in einer langen und illustren Reihe von Lombardis.

Fürst Raphael. Mein Gott, sie hatte mit einem Aristokraten geschlafen. Und keinerlei Ahnung gehabt. Nicht, dass irgendjemand es zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte. Erst ein paar Tage nachdem er sie praktisch aus seinem Apartment geworfen hatte, war die Nachricht bekannt geworden. Seitdem stürzte sich jede Zeitung, jedes Magazin, jeder Nachrichtensender der Welt auf die Neuigkeit. Sie alle gruben in der Vergangenheit und buddelten dabei die Geschichte des jungen Kindermädchens aus, das die Geliebte des Fürsten geworden war, nur um schließlich mit ihrem jungen Sohn und einem weiteren Baby, das unterwegs war, in die Verbannung geschickt zu werden. Rafes Krönung samt darauf folgender Thronbesteigung hatte die Story über Wochen in den Schlagzeilen gehalten.

Wo auch immer Sienna hinblickte, sah sie sein Gesicht, sodass keine Chance bestand, ihn zu vergessen. Und in den Nächten verfolgte er sie bis in ihre Träume.

Er war ein Fürst!

Kein Wunder, dass er seine Meinung geändert hatte und sie doch nicht wiedersehen wollte. Natürlich wusste er ganz genau, was die Schlagzeilen zu bedeuten hatten – es gab noch weniger Veranlassung, sich mit einer Frau wie ihr abzugeben.

Warum sollte er das tun, wenn er unter den schönsten und elegantesten Frauen der High Society frei wählen konnte? In den vergangenen Tagen war ein nicht enden wollender Strom an Schönheiten auf die Insel gebracht worden. In der Zentrale hatte man kein Wort darüber verloren – schließlich gehörte Diskretion zum Job –, aber sie wusste ja aus persönlicher Erfahrung Bescheid. Fürst Raphael war ein Mann mit großem sexuellem Appetit …

Erneut drehte sich ihr der Magen um, und ein bitterer Geschmack lag auf ihrer Zunge, während sie hastig die Checkliste überflog, die sie vor jedem Start durchgehen musste. Je eher sie von dieser verdammten Insel fortkam und nicht länger Gefahr lief, einem Mann zu begegnen, der sie einfach aus seinem Leben verbannt hatte, desto eher würde diese Übelkeit verschwinden. Seit man sie für diesen Flug eingeteilt hatte, fühlte sie sich körperlich krank. Montvelatte war der letzte Ort auf Erden, an dem sie sich aufhalten wollte.

Urplötzlich hörte sie das Geräusch eines nahenden Motors und das Heulen einer Sirene und stellte verwundert fest, dass ein Jeep nur wenige Meter von ihr entfernt mit quietschenden Bremsen zum Stehen kam. Jetzt spielte ihr Magen vollends verrückt, was nicht besser wurde, als mehrere uniformierte Palastwachen aus dem Wagen sprangen und ihr mit Gesten bedeuteten, den Start abzubrechen. Ihr Auftrag lautete, die Passagiere abzusetzen und dann sofort zurückzukehren. War es möglich, dass sie vergessen hatte, irgendwelche Papiere auszufüllen?

Sienna wollte gerade die Tür öffnen, als sie auch schon von außen aufgerissen wurde. Der Offizier salutierte so zackig, dass sie selbst über ihrem laut pochenden Herzschlag zu hören glaubte, wie er die Stiefel zusammenknallte.

„Signorina Wainwright?“

Ihr stockte der Atem, während sie von neuerlicher Furcht überfallen wurde. Sie kannten ihren Namen?

Benommen setzte sie die Kopfhörer ab. „J-ja“, stammelte sie. „Gibt es ein Problem?“

„Nein, kein Problem, das versichere ich Ihnen“, entgegnete der Mann mit starkem Akzent. „Wenn Sie bitte aus dem Hubschreiber steigen würden“, fügte er hinzu und streckte ihr zur Hilfe die Hand entgegen. Seine Worte und auch sein Verhalten wurden von einem derart liebenswürdigen Lächeln begleitet, dass Sienna im ersten Moment glaubte, dass doch alles in Ordnung sein musste. Vermutlich war ihre Panikattacke vollkommen übertrieben, und es ging nur um die Erledigung einer kleinen Formalität, von der niemand ihr etwas gesagt hatte.

Doch sobald sie ausgestiegen war, machte er ihr deutlich, dass sie weitergehen sollte, und zwar zu dem Jeep.

Sienna blieb abrupt stehen, worauf die Männer an ihrer Seite ebenfalls stoppten. „Was ist hier los?“

„Es ist nur eine ganz kurze Fahrt bis zum Castello“, erwiderte der Offizier, womit er ihrer Frage geschickt auswich und sie in immer größere Verwirrung stürzte.

Automatisch glitt ihr Blick zu dem Palast hinauf, der auf einem massiven Felsen thronte und in diesem Moment eher einschüchternd als einladend wirkte.

Der Palast, in dem sich der Mann aufhielt, den sie am wenigsten auf der ganzen Welt sehen wollte.

Oh nein. Keine zehn Pferde bekamen sie dorthin!

Rasch schluckte sie die neu aufsteigende Übelkeit hinunter und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Overall klebte unangenehm an ihrem Körper.

„Hören Sie, ich habe wirklich keine Zeit hierfür. Ich muss den Helikopter so schnell wie möglich zur Zentrale zurückbringen. Man erwartet mich.“ Sie warf einen verzweifelten Blick über die Schulter und musste feststellen, dass sich zwei Palastwachen neben dem Hubschrauber aufgestellt hatten und den Zugang blockierten.

„Bitte“, drängte der Offizier und deutete zum Jeep hinüber.

All ihren Mut zusammennehmend, hob Sienna trotzig das Kinn. „Und wenn ich darauf bestehe, sofort zurückfliegen zu dürfen? Wenn ich mich weigere, mit in den Palast zu kommen?“

Erneut lächelte der Mann, doch diesmal lag weniger Charme und mehr Drohung darin. „In diesem unglückseligen Fall“, entgegnete er und fügte eine kleine Verbeugung hinzu, „würden Sie mir leider keine andere Wahl lassen. Ich wäre gezwungen, Sie zu verhaften.“

 

 

 

 

 

 

 

 

3. KAPITEL

Sienna hatte endgültig genug. Seit beinahe drei Stunden wurde sie nun schon in diesem Salon festgehalten und lief wie ein gefangener Tiger auf und ab.

Dabei war völlig unerheblich, dass der Salon größer war als ihr komplettes Apartment in Paris und die Einrichtung überaus elegant, oder dass man ihr ständig Erfrischungen anbot. Die uniformierten Palastwachen machten mehr als deutlich, dass sie kein willkommener Gast war, sondern eine Gefangene im Käfig – auch wenn dieser Käfig noch so golden schimmerte.

Während sie zu Beginn noch nervös gewesen war – ängstlich was die Konfrontation mit Rafe anbelangte, der zweifellos hinter dieser ganzen Geschichte steckte –, so hatte das stundenlange Warten ihre Stimmung radikal verändert. Sie war furchtbar wütend!

Nicht eine Person, die ihr hier begegnet war, konnte ihr sagen, warum sie gegen ihren Willen festgehalten wurde oder wann sie endlich gehen durfte.

Den Helikopter hätte sie schon vor Stunden zurück zur Zentrale bringen müssen. Niemand hatte ihr auch nur gestattet, ein Telefon zu benutzen und ihren Arbeitgeber wissen zu lassen, dass sie aufgehalten wurde. Ein vermisster Hubschrauber. Und dazu eine vermisste Pilotin. Über diese Geschichte würde sie zweifellos ihren Job verlieren.

Dann hörte sie es – das vertraute Geräusch rotierender Propellerflügel begleitet vom Knattern einer Hubschraubermaschine. Und nicht nur irgendeiner Hubschraubermaschine. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte …

Mit klopfendem Herzen rannte sie zu den Fenstern hinüber und sah, wie sich der Helikopter in die Luft erhob und in Richtung Meer abdrehte.

Ihr Helikopter!

„Nein!“, schrie Sienna und hämmerte vergeblich gegen die Fensterscheibe, denn wer auch immer in ihrem Hubschrauber saß, hörte sie natürlich nicht, sodass ihr nichts anderes übrig blieb als fassungslos zuzuschauen, wie die Maschine langsam davonflog.

Und einfacher Zorn verwandelte sich in glühend heiße Wut.

In dem Salon gab es zwei Türen – eine führte vermutlich zur Küche, von wo aus ihr ständig Kaffee und Gebäck angeboten wurde. Sie rannte auf die andere Tür zu, die große Flügeltür, durch die sie hereingeführt worden war und hinter der sich das Foyer befand – dieselbe Tür, die seit ihrer Ankunft fest verschlossen blieb. Jetzt rüttelte sie mit aller Kraft am Knauf und bearbeitete das Holz mit ihren Fäusten. „Das ist mein Hubschrauber. Lasst mich raus!“ Als sich nichts tat, rüttelte und hämmerte sie noch mehr, während ihr Zorn ins Unermessliche wuchs. Sie fluchte laut. Warum, zur Hölle, ließ man sie nicht frei?

„Ich weiß, dass ihr da draußen seid“, brüllte sie durch die massive Holztür hindurch. „Ich weiß, dass ihr mich hören könnt. Ich will Rafe sprechen. Sofort. Wo versteckt sich der feige Bastard?“

„Hier in Montvelatte“, ertönte eine Stimme hinter ihr – eine Stimme, die eine Panik in ihr auslöste, die sie wie einen elektrischen Stromschlag empfand. „Normalerweise nennt man mich Fürst Raphael oder Euer Hoheit, aber nicht ‚feiger Bastard‘.“

Sienna wirbelte herum. Natürlich hatte sie verlangt, ihn zu sehen, dennoch war sie völlig unvorbereitet auf den Angriff, den sein Erscheinen auf ihre Sinne ausübte.

Keine zwei Meter entfernt stand er da. Es war derselbe Rafe, an den sie sich nur zu gut erinnerte, aber irgendwie glatter. Sein dichtes schwarzes Haar trug er ein wenig kürzer und konservativer, und der Dreitagebart war einer glatten Rasur gewichen. Ganz langsam ließ er seinen Blick von ihrem Scheitel bis zu ihrer Sohle wandern und verharrte dabei interessiert an allen möglichen Stellen. Dieser glühende Blick ging ihr durch und durch.

Im selben Moment wurde ihr bewusst, dass die Kluft zwischen ihnen noch größer, noch unüberwindlicher geworden war. Denn Rafe war ein Fürst, wohingegen sie immer noch ein Niemand war.

Na und? Auf seinen Titel gab sie gar nichts – nicht nach der Art und Weise, wie er sie behandelt hatte. Auch wenn sie wenig mehr als eine Gefangene war, würde sie ganz bestimmt nicht zu Kreuze kriechen.

„Ich nenne dich, wie ich will“, schoss sie zurück und dachte nicht daran, sich für ihre Formulierung zu entschuldigen.

Rafe verengte die Augen, sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Das habe ich bemerkt. Deine Laune hat sich durch die Verzögerung offensichtlich nicht verbessert. Es tut mir leid, dass ich dich so lange warten lassen musste. Ich wurde leider aufgehalten.“

„Du wurdest aufgehalten?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Willst du mich veralbern? Ich bin diejenige, die aufgehalten wurde, der man den Start untersagt hat. Mir wurde sogar eine Verhaftung angedroht, für den Fall, dass ich mich widersetze. Ich bin diejenige, die hier gegen ihren Willen festgehalten wird, und jetzt wurde auch noch mein Hubschrauber gestohlen …“

„Er wurde nicht gestohlen.“

„Er ist verschwunden! Jemand hat ihn ohne meine Erlaubnis davongeflogen. Das nenne ich Diebstahl.“

„Er wurde zur Zentrale zurückgeschickt. Du bist nicht die Einzige, die einen Hubschrauber fliegen kann.“

„Oh? Und damit ist alles in Ordnung? Ich sollte sofort zurückfliegen. Stattdessen wurde ich in dieses Gefängnis gesperrt, das du einen Palast nennst. Nun, ich habe genug. Ich gehe.“

Sienna durchquerte den Raum und steuerte auf die Tür zu, durch die er gekommen sein musste, doch als sie auf seiner Höhe war, streckte er die Hand aus und hielt sie am Arm fest.

„Du gehst nirgendwohin.“

Die Worte waren nicht mehr als ein leises Wispern, aber sie klangen todernst. Als sie in seine Augen blickte, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.

„Und wenn ich nicht bleiben will?“

„Du bleibst.“

„Warum sollte ich?“

„Weil ich es wünsche.“

Die unerwartete Aussage schien ihm selbst nicht zu gefallen. Er sah sie so eindringlich an, dass sie sich wie magisch zu ihm hingezogen fühlte. Sie durchforschte sein Gesicht, suchte nach der Wahrheit, wollte herausfinden, was er meinte.

Und dann verfluchte sie sich dafür, Hoffnung aufkeimen zu lassen. Trotzig schob sie das Kinn vor. Das hier war der Mann, der sie hochkant aus seinem Apartment und aus seinem Leben geworfen hatte. Nie und nimmer würde sie ihm die Chance geben, das zu wiederholen.

„Und warum sollte mich das kümmern?“ Sie befreite sich aus seinem Griff. „Nein danke. Ich gehe. Und wenn du mir keinen Rücktransport arrangierst, dann werde ich auch selbst einen Weg aus diesem Gefängnis hier finden.“

„Du gehst nicht.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, was für Sienna das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.

„Für wen hältst du dich eigentlich, dass du mir vorschreibst, was ich tue und was nicht? Nur weil sie dich zum Fürsten gemacht haben, bist du noch lange nicht der Herrscher des Universums! Ich will dir eins sagen, Rafe, oder Raphael oder wie auch immer du dich jetzt nennst. Du bist nicht mein Fürst. Ich habe dich nicht gewählt!“

Tiefes Schweigen folgte auf ihren Ausbruch, so schwer und lastend, dass sie bereits befürchtete, er könnte ihr wild klopfendes Herz hören und zu viel hineininterpretieren.

Sie war wütend.

Unheimlich.

Mehr nicht.

Und dann, völlig unerwartet, warf er den Kopf zurück und lachte, laut und schallend. So laut, dass es einfach zu viel war und sie bis ins Innerste traf, dabei sollte sie längst dagegen immun sein. Sienna hielt es keine Sekunde mehr aus und beschloss, seine Unaufmerksamkeit zu nutzen und sich aus dem Staub zu machen.

Sie kam nicht besonders weit.

„Sienna“, sagte er, während er ihr die Hände auf die Schultern legte und sie zu sich umdrehte, sodass sie ihn ansehen musste. Er war ihr so nah, dass der ganze Raum zu schrumpfen schien, bis sie nur noch seinen männlichen Duft wahrnahm.

„Lass mich los!“, rief sie den Tränen gefährlich nahe. „Hör auf, über mich zu lachen!“ Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte sie, sich von ihm zu befreien.

„Ich habe nicht über dich gelacht“, erklärte er so bestimmt, dass sie nicht länger zappelte, sondern ihm forschend in die Augen blickte. „Weißt du wie lang es her ist, dass mir jemand mal so richtig widersprochen hat?“

„Keine Ahnung. Zehn Minuten? Fünfzehn höchstens“, versetzte sie patzig.

Er lächelte, ganz so als gefalle ihm ihre Antwort, dabei hatte sie eigentlich die Absicht gehabt, ihn zu verärgern. „Ich bin von unzähligen Ratgebern umgeben, aber keiner hat mir auch nur einmal widersprochen, seit ich erfahren habe, dass ich der neue Regent von Montvelatte werde.“ Sanft strich er ihr eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und berührte dabei ihre Wange. Sofort begann ihre Haut ganz wunderbar zu kribbeln. „Nicht bis zum heutigen Tag, als du wie eine frische Brise zurück in mein Leben geweht bist.“

Seine Worte waren wie ein süßes Versprechen. Wärme und Hoffnung und Sehnsucht machten sich in ihrem Innern breit, und all die anderen Dinge, die sie in den vergangenen Wochen vermisst hatte. Genau so hatte er sie auch das letzte Mal gelockt, indem er ihr gesagt hatte, dass sie anders sei, etwas ganz Besonderes.

Und was hatte ihr das gebracht?

Bitterkeit stieg in ihr auf und verlieh ihr neue Widerstandskraft. Sie schüttelte den Kopf und entriss sich seinen Armen. „Ich kann mir vorstellen, wie sehr es dich stört, nur von Speichelleckern umgeben zu sein“, erwiderte sie sarkastisch. „Gibt es hier irgendwo ein Telefon, das ich benutzen kann, um meinen Arbeitgeber zu kontaktieren und die notwendigen Vorkehrungen für meine Abreise zu treffen?“

Zu ihrer Überraschung ließ er sie diesmal tatsächlich los, woraufhin sie sofort ein Stück von ihm zurückwich. Es hatte sie ihre gesamte Willensstärke gekostet, sich aus seiner Umarmung zu befreien. Wie lang würde sie seine Nähe noch ertragen? Wie lang würde es dauern, bis sie aufhörte, zu kämpfen und sich der unwiderstehlichen Versuchung hingab, die sein muskulöser Körper für sie darstellte? Die Versuchung, der sie bereits zuvor erlegen war?

Wie viele Male?

Was für ein Witz.

Wie wenige Male?

Doch zumindest im Moment blieb er, wo er war, ganz so als genüge es ihm, sie zu beobachten. Allerdings schimmerte in seinen dunklen Augen ein raubtierhaftes Funkeln, und er verfolgte jede einzelne ihrer Bewegungen. Rasch wandte sie sich ab, ehe er ihre Furcht erkannte. Je eher sie hier herauskam und fort von Rafe, desto besser.

Warum rührte er sich gar nicht? Wollte er ihre Flucht nicht verhindern? Oder wusste er bereits, dass die Tür, auf die sie zuging, verschlossen und ihr Unterfangen somit zum Scheitern verurteilt war? Ihre Schritte verlangsamten sich. Spielte er etwa Katz und Maus mit ihr?

„Die Tür ist verschlossen, falls du dich das fragst“, bemerkte er hinter ihr, so als könne er ihre Gedanken lesen.

Sienna warf ihm einen kalten Blick über die Schulter zu und trat stattdessen an die Fensterfront, so als hätte sie das von Anfang an vorgehabt. „Ich weiß nicht wovon du redest“, log sie.

Draußen sah sie den verwaisten Hubschrauberlandeplatz. Wie in aller Welt sollte sie erklären, was vorgefallen war, wenn sie endlich nach Hause zurückkehrte?

„Warum willst du so unbedingt fort von hier?“ Rafes tiefe Stimme füllte den ganzen Raum. „Ich dachte, wir könnten die Zeit nutzen, um uns wieder miteinander vertraut zu machen.“

Sie drehte so heftig den Kopf herum, dass ihr Zopf nur so um die Schultern flog. „Uns wieder miteinander vertraut machen? Du meinst wohl im Bett?“

Rafe hob eine Augenbraue. „Mir war nicht klar, dass du es so eilig hast, aber wenn es das ist, was du willst …“

Ihre Wangen brannten wie Feuer. Rasch wandte sie sich wieder dem Fenster zu. Warum in aller Welt hatte sie ihm einen Hinweis darauf gegeben, welche Richtung ihre Gedanken eingeschlagen hatten? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Weil sie nur einen Blick auf den Mann werfen musste, und schon wurde sie von Verlangen überwältigt. „Die einzige Eile, die ich habe, ist die, baldmöglichst von hier zu verschwinden.“

„Du hegst nicht den Wunsch, unsere Beziehung neu aufzunehmen?“

„Wir hatten nie eine Beziehung!“

„Nein? Wie würdest du es dann nennen?“

„Einen One-Night-Stand. Alles, was wir an Beziehung miteinander hatten, ist genauso lange vorbei wie diese eine Nacht.“

„Du glaubst, dass es vorbei ist?“

Diesmal war es an ihr, zu lachen. „Oh, ich denke, dass du das zu gegebener Zeit mehr als deutlich gemacht hast.“

Jetzt drehte sie sich um, denn sie wollte seine Reaktion sehen. Zu ihrer Überraschung musste sie erkennen, dass er in der Zwischenzeit näher gekommen war, sodass sie nur noch wenige Schritte trennten. Er legte den Kopf leicht schräg und schaute sie aufmerksam an. „Du bist wütend auf mich. Weil ich dich fallen gelassen habe.“

„Keineswegs!“ Das würde ja bedeuten, dass ich Gefühle für dich hätte. „Ich denke, dass wir in jener Nacht beide bekommen haben, was wir wollten. Ich bin darüber hinweg.“

„Bist du das wirklich?“, fragte Rafe leise und kam noch näher auf sie zu.

Sienna schnaubte verächtlich, wich aber vor ihm zurück. „Mach dich nicht lächerlich.“

„Ich glaube, du hast Angst davor, was passieren könnte, wenn du bleibst.“

„Ich bin wütend, das ist alles.“ Trotzig hob sie das Kinn. „Weil du meinst, dass du dich über alles und jeden hinwegsetzen kannst.“

„Und du wünschst dir, es wäre anders gelaufen.“

Sie stieß mit den Schultern gegen die Wand. Himmel, nun hatte sie sich auch noch sprichwörtlich in die Ecke drängen lassen! „Verfügt dieser Palast nun über ein Telefon oder nicht? Ich bin schon viel zu spät dran. Daher möchte ich meine Abreise wirklich nicht länger hinauszögern.“

„Bleib“, murmelte er und stützte eine Hand neben ihrem Gesicht ab. Er war ihr jetzt so nah, dass sie den Kopf heben musste, um ihm in die Augen schauen zu können. „Bis zum Dinner.“

Benommen schüttelte sie den Kopf und wünschte sich, sie könnte dadurch auch seinen verführerischen männlichen Duft vertreiben. „Keine Chance. Ich muss zurück, und das weißt du auch.“

„Dann kehrst du eben später zurück. Ich bin ein einsamer Fürst in einem alten Castello. Sei so nett.“

„Sei so nett?“ Sie versuchte sich an einem Lachen, was allerdings kläglich misslang. „Was ist denn mit deiner Signorina Genevieve? Erwartet sie nicht, mit dir zu Abend zu speisen? Oder willst du dein neuestes Spielzeug zugunsten der einfachen Pilotin fallen lassen?“

In seine Augen trat ein gefährliches Funkeln. „Mein ‚neuestes Spielzeug‘? Oh, das ist wirklich interessant.“

Sienna warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Wovon redest du?“

„Nur davon, dass jeder denken würde, du wärst eifersüchtig. Aber warum solltest du auf Signorina Genevieve eifersüchtig sein, es sei denn sie hätte Zugang zu etwas, das du selbst haben möchtest – oder vielleicht zu jemandem?“

„Bilde dir bloß nichts ein! Was mich angeht, kann sie dich gerne haben.“

Rafe seufzte. „Ich bin sicher, dass sie das freuen würde, zu hören, aber Signorina Genevieve ist bereits abgereist – dank des Hubschraubers, den du fahrlässigerweise unbeaufsichtigt gelassen hast.“ Sienna öffnete den Mund, um zu protestieren, doch er stoppte sie, indem er kurz einen Finger auf ihre Lippen legte – eine Berührung, die ihr sofort wieder unter die Haut ging. „Was zur Folge hat, dass ich heute Abend ohne Gesellschaft beim Dinner dastehe.“ Er verbeugte sich steif. „Würdest du mir die Ehre erweisen?“

Es war geradezu surreal. Was auch immer zuvor zwischen ihnen vorgefallen sein mochte – jetzt war er ein echter Fürst, der sich vor einem kompletten Niemand verbeugte und sie bat, mit ihm zu Abend zu essen.

Es sei denn, er war einfach nur verzweifelt …

„Lady Genevieve hat dich also abgewiesen, und nun soll ich die Scherben aufsammeln?“

Rafe wandte sich ab und ging ein paar Schritte davon. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, sah sie Zorn in seinen Augen aufblitzen.

„Das hat nichts mit Genevieve oder irgendjemand sonst zu tun. Es geht hier nur um dich und mich.“

„Warum?“, hauchte sie atemlos. „Warum ich?“

Er kam wieder auf sie zu, bis er so dicht vor ihr stand, dass er eine Hand an ihre Wange legen und die zarte Kurve ihres Kinns nachzeichnen konnte. „Weil ich in dem Moment, in dem du aus dem Hubschrauber stiegst, wusste, dass ich dich immer noch begehre.“

Sienna keuchte überrascht auf. Sein heiseres Eingeständnis erschütterte sie bis ins Innerste, auch wenn ihr Körper bereits auf seine Worte reagierte. Sie spürte es im Anschwellen ihrer Brüste, in der flüssigen Hitze, die sich zwischen ihren Beinen sammelte. Wenn sie nicht bald von hier fortkam, würde sie zweifellos wieder dem sinnlichen Zauber erliegen, den er um sie wob.

„W-was für ein Pech“, stammelte sie. „Ich muss gehen.“

„Aber das ist unmöglich“, entgegnete er. „Denn dieses Schiff …“, er deutete auf das Fenster, durch das man eine große Fähre sehen konnte, die gerade die Insel verließ, „… ist das Letzte, das heute noch nach Genua fährt. Und du hast es eben verpasst.“

Seine Worte durchbrachen den sinnlichen Bann effektiver als es eine eiskalte Dusche hätte tun können. Entsetzt beobachtete sie, wie das Schiff sich langsam entfernte und eine Spur aus schneeweißer Gischt hinter sich herzog. „Aber es muss doch noch einen anderen Weg von der Insel geben! Ein Flughafen. Ein privater Charterdienst …“

„Unglücklicherweise heute nicht. Und wie du siehst, haben wir keinen Hubschrauber …“

„Das ist doch verrückt. Es ist nicht mal sechs Uhr abends. Es muss doch irgendeine Transportmöglichkeit …“

„Wie ich bereits sagte, heute nicht mehr. Wir haben eine mondlose Nacht, und die Einwohner von Montvelatte sind sehr abergläubisch. Niemand wird sich raus aufs Meer wagen, während das Ungeheuer von Iseo zum Leben erwacht.“

„Wovon, zur Hölle, redest du?“

„Vom Ungeheuer von Iseo. Du hast doch sicher davon gehört?“ Erneut deutete er aus dem Fenster zu dem massiven Felsen, der einige Kilometer vor der Küste aus dem Meer ragte. „Iseos Pyramide, die Kraterreste eines uralten Vulkans, sind sein Zuhause. Laut Legende taucht das Ungeheuer in der dunkelsten aller Nächte auf und sucht nach in Seenot geratenen Reisenden, um sie zu verschlingen. Es ist eine wirklich charmante Legende, voll von Lokalkolorit, findest du nicht? Obwohl es natürlich bedeutet, dass du gezwungen bist, die Nacht hier zu verbringen.“

Die volle Bedeutung seiner Aussage traf sie wie ein Faustschlag. Sie war gefangen. Musste die Nacht hier verbringen. Mit ihm.

„Ich bleibe nicht hier bei dir. Ich kann nicht. Mein Chef wartet auf mich. Ich werde meinen Job verlieren …“

„Deinem Chef wurde die Situation erklärt. Außerdem hast du gar keine andere Wahl. Es gibt einfach keinen Weg von der Insel, selbst wenn ich dir helfen könnte.“

„Aber das ist doch völlig absurd. Es handelt sich nur um eine Legende. Trotzdem unterbindest du deshalb jeglichen Schiffsverkehr von und zu der Insel?“

„Du bist gar nicht abergläubisch, Sienna? Du glaubst nicht an das Ungeheuer?“

„Oh, und ob ich an das Ungeheuer von Iseo glaube. Ich schaue ihm gerade ins Gesicht!“

Rafe lachte laut, was mehr als deutlich machte, wie sehr er sich in seiner Rolle gefiel. Erneut verbeugte er sich vor ihr. „Jetzt, wo du ohnehin keine andere Wahl hast, kannst du mir doch genauso gut beim Dinner Gesellschaft leisten.“

Sienna schüttelte vehement den Kopf. Wenn sie sich darauf einließ, würde es in einer Katastrophe enden. Schon allein um ihren Stolz zu retten, musste sie stark bleiben. „Nein danke. Keine Chance. Ich werde mir irgendwo ein Hotel suchen. Wenn es nicht anders geht, verbringe ich die Nacht auf der Insel, aber ich leiste dir nicht beim Dinner Gesellschaft. Nicht nach dem, was du heute getan hast.“

Er hob eine Augenbraue und schaute sie fragend an. „Alles, was ich getan habe, ist, mehr Zeit mit dir verbringen zu wollen.“

„Ohne mich zu fragen? Indem du meinen Job aufs Spiel setzt? Nein danke. Diese Art Einmischung in mein Leben brauche ich wirklich nicht. Ich bleibe im Hotel und reise morgen früh ab.“

„Hast du Geld für dieses Hotel? Und für die Überfahrt? Montvelatte mag ja ein kleines Inselfürstentum sein, aber wir sind nicht so naiv, dass wir hier jedem unbesehen Kredit gewähren.“ Sein Blick glitt über ihre eng anliegende Arbeitskleidung. „Dein Overall mag sehr praktisch fürs Fliegen sein, aber ich sehe nicht, wo du auch nur eine Kreditkarte verstaut haben könntest.“

Ihre Wangen brannten vor Scham, denn natürlich löste sein glühender Blick mal wieder eine unwillkommene Reaktion in ihrem Körper aus. „Wenn du ein Gentleman wärst, dann würdest du alle Kosten tragen – schließlich hast du mir hinter meinem Rücken und ohne meine Zustimmung den Hubschrauber geklaut!“

„Wenn ich ein Gentleman wäre, dann hättest du mich nur halb so befriedigend im Bett gefunden …“

In seinen Augen blitzte Triumph auf; sein Lächeln wirkte siegesgewiss.

Sienna wirbelte herum und biss sich auf die Unterlippe, während sie einen Ausweg aus ihrem Dilemma suchte. Natürlich würde er ihr nicht anbieten, die Kosten für Hotel und Rückfahrt zu übernehmen. Und natürlich hatte sie kein Portemonnaie dabei. Sie trug gerade mal ihren Personalausweis, ihren Spindschlüssel und ein bisschen Kleingeld mit sich. Zur Hölle mit ihm!

„Da ich dir solche Umstände bereite“, fuhr er fort und fasste ihr Schweigen offensichtlich als Zustimmung auf, „sehe ich es als meine Pflicht an, dir hier im Palast von Montvelatte eine Unterkunft anzubieten. Du wirst feststellen, dass er trotz seines Alters sehr komfortabel ist.“

Als sie zu Rafe aufschaute, wusste sie zwar, dass sie geschlagen war, doch sie weigerte sich, das zu zeigen.

„Und ich werde die Insel morgen früh mit dem ersten verfügbaren Schiff verlassen.“ Es war keine Frage, und wenn er ihr jetzt widersprach, würde sie ihm einfach den Hals umdrehen.

Wieder einmal nickte er zustimmend, beinahe eine kleine Verbeugung. „Ganz wie du möchtest.“

Sie zögerte. Ob sie ihm trauen konnte? Hatte sie andererseits überhaupt eine Wahl? „Dann bleibe ich. Nur für heute Nacht. Ich esse auf meinem Zimmer.“

Seine Augen funkelten rätselhaft. „Natürlich“, stimmte er zu. „Jetzt werde ich jemanden rufen, der dich in dein Gemach führen kann. Ich nehme an, du möchtest dich frisch machen.“

Sie brauchte keine Erinnerung daran, wie sie aussehen musste. Dennoch folgte sie ihm gehorsam zur Tür, die er mühelos öffnete. „Nach dir.“

Sienna erstarrte. Die Tür war die ganze Zeit unverschlossen gewesen, die Palastwachen verschwunden. Wäre die Flucht möglich gewesen? Hätte sie es vielleicht rechtzeitig zum Hafen geschafft?

Doch sie hatte nicht mal versucht, den Raum zu verlassen.

Irgendwie war das das Schlimmste von allem.

 

 

 

 

 

 

 

 

4. KAPITEL

Das Bad war heiß und entspannend. Duftende Schaumberge umhüllten ihren Körper und wirkten wohltuend auf ihre Sinne. Sienna sank seufzend mit dem Kopf unter Wasser. Als sie wieder auftauchte, strömten Rinnsale aus ihrem schweren, nassen Haar. Herrlich. Auch wenn der Palast jahrhundertealt sein mochte – die sanitären Einrichtungen entsprachen definitiv modernstem Standard und waren eine willkommene Abwechslung zu der winzigen Dusche in ihrem Pariser Apartment.

Sie verbrachte beinahe eine Stunde in der luxuriösen Wanne und fühlte sich danach erholter als den ganzen Tag über. Nachdem sie den letzten Rest Schaum abgeduscht hatte, wickelte sie sich in eins der flauschig weichen Handtücher, die in Hülle und Fülle bereitlagen.

Als ihr Magen ein tiefes Knurren verlauten ließ, begrüßte sie es als ein gesundes Zeichen. Die Übelkeit, die sie im Laufe des Tages geplagt hatte, schien vorüber zu sein, und der Gedanke an Essen löste nicht mehr das Gefühl aus, sich gleich übergeben zu müssen.

Auf ein leises Klopfen von draußen öffnete Sienna die Badezimmertür einen Spaltbreit und hörte die Stimme einer Frau, die ihr in gebrochenem Englisch mitteilte, dass ihr Dinner bereitstehe. „Vielen Dank“, rief sie, „ich komme sofort.“

Rasch rubbelte sie ihr Haar einigermaßen trocken und ließ es dann in ungezähmten Locken bis weit über ihren Rücken fallen. Danach schlüpfte sie in den Seidenmorgenmantel, der an der Badezimmertür hing und den sie gleich beim Eintreten entdeckt hatte. Er war jadegrün mit goldenen Stickereien, und er fühlte sich genauso gut an wie er aussah. Das weiche Material liebkoste ihre Schultern wie ein samtiger Kuss, was sie sofort an Rafe und seine magischen Berührungen erinnerte …

Rafe.

Er hatte ihr gesagt, dass er sie noch immer begehrte.

Sienna schnappte nach Luft. In ihrer Panik, die Insel nicht verlassen zu können, und dem Zorn darüber, so manipuliert worden zu sein, hatte sie seine Worte achtlos beiseitegeschoben. Doch sie hatten sich in ihrem tiefsten Innern festgesetzt, um Wurzeln zu schlagen und Fragen aufzuwerfen.

Er begehrte sie nicht wirklich, beantwortete sie eine jener Fragen selbst. Rafe war daran gewöhnt, sich das zu nehmen, was er wollte, und sie war einfach nur zweckdienlich. Sie stand gerade zur Verfügung.

Nein, sie würde nicht über Rafe nachdenken. Zumindest nicht in dieser Hinsicht. Ihre gemeinsame Nacht war lange vorbei. Jetzt war Rafe nicht mehr als eine reine Unannehmlichkeit, und selbst die würde sie am nächsten Morgen los sein.

Während sie sich mit einer Hand durch die immer noch feuchten Locken strich, öffnete sie mit der anderen die Tür zu ihrem Zimmer.

„Du siehst zum Anbeißen aus.“

Sienna blieb wie angewurzelt stehen. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, während sich gleichzeitig Verlangen in ihr ausbreitete. Rasch ließ sie ihr Haar los und raffte stattdessen den Ausschnitt der Seidenrobe zusammen. Sicherheitshalber verschränkte sie die Arme über der Brust. „Was tust du hier?“

Rafe stellte lächelnd Platten und Schüsseln mit Essen von einem Servierwagen auf einen kleinen Tisch am Fenster, der einen wunderbaren Blick über Klippen und Meer bot. Auf dem Tisch lag eine Damastdecke, Blumen schmückten seine Mitte, und obwohl es noch nicht spät war, brannte eine Kerze.

Der Tisch war für zwei gedeckt.

„Der Chefkoch hat extra sein feinstes Menü zubereitet. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn wissen lassen würde, wie es dir geschmeckt hat.“

„Ich habe dich gefragt, was du hier tust?“

Unschuldig blickte er auf. „Ich esse mit dir zu Abend.“

„Obwohl ich dir gesagt habe, dass ich nicht mit dir essen möchte?“

„Nein.“ Diesmal unterbrach er seine Beschäftigung, streckte sich und ließ seinen Blick derart ungeniert über ihren Körper wandern, dass sie sich sofort fragte, ob er wusste, dass sie keinerlei Unterwäsche trug. „Was du gesagt hast, war, dass du auf deinem Zimmer essen würdest. Also habe ich entschieden, dass ich mich dabei zu dir geselle.“

Zorn stieg in ihr auf. Der wohltuende Effekt des heißen Bades verpuffte schlagartig. „Ich habe deutlich gemacht, dass ich dich heute Abend nicht mehr sehen will!“

Rafe zuckte ungerührt die Achseln, als halte er das nicht für wichtig. „Ich nahm nicht an, dass du das wirklich ernst meinst. Mittlerweile müsstest du wissen, dass du eine äußerst ausdrucksstarke Körpersprache hast, und die hat mir etwas anderes gesagt.“

Hitze strömte in ihre Wangen, weshalb sie sich rasch abwandte. Allerdings brachte das leise Knistern der Seide auf ihrem Körper ihre Sinne noch mehr in Aufruhr.

„Du hast kein Recht …“

„Ich habe alles Recht der Welt! Das hier ist mein Fürstentum, meine Insel. Alles und jeder hier ist mir untertan. Und das, meine liebe Sienna, schließt dich mit ein, ob dir das nun gefällt oder nicht!“

Sofort wirbelte sie wieder herum, dankbar für seinen Ausbruch. Wut war die Reaktion, auf die sie gehofft hatte. Damit konnte sie umgehen. „Aha, jetzt gefällst du dir also in der Rolle des Despoten, und du willst dir holen, was dir deiner Meinung nach zusteht. Nun, tut mir leid, aber dein Majestätsgehabe beeindruckt mich nicht sonderlich. Erwarte bloß nicht, dass ich vor dir niederknie!“

Seine Augen funkelten zornig, und an seiner Wange zuckte ein Muskel. Im ersten Moment befürchtete sie, dass sie den Bogen überspannt hatte, doch sie sah absolut nicht ein, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen.

„Oh, ich bin nie davon ausgegangen, dass es so leicht sein würde.“

Mit Schrecken erkannte sie die wahre Bedeutung seiner Worte. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Ich werde nicht mit dir schlafen“, krächzte sie.

„Das bleibt abzuwarten.“

„Ich meine es ernst, Rafe. Das habe ich bereits hinter mir.“

„Wie du meinst. Warum konzentrieren wir uns nicht auf die Dinge, in denen wir uns einig sind? Bist du hungrig, Sienna?“

Redete er von Essen? Die Art und Weise, wie er sie anschaute, sein glühender Blick, ließ berechtigte Zweifel aufkommen.

Ihr Magen wählte ausgerechnet diesen Moment, um sich lautstark zu Wort zu melden. Sienna legte eine Hand auf den Bauch, doch damit ließ sich das Knurren nicht unterbinden.

Rafe lächelte. „Das beantwortet wohl meine Frage. Komm, setz dich.“

Sie war hungrig – so hungrig, dass nicht mal Rafes Anwesenheit sie davon abhalten würde, das verführerisch duftende Essen zu genießen. Allerdings würde sie es niemals schaffen, entspannt zu essen, während sie nur in einen Hauch Seide gehüllt war. Keine Chance.

„Ich … ich ziehe mich rasch an.“ Sie wandte sich ab, um ihren Overall vom Bett zu nehmen, wo sie ihn hingelegt hatte. Ihre Unterwäsche, die sie rasch per Hand durchgewaschen hatte, trocknete zwar noch im Bad, aber der Overall würde ihr zumindest mehr Schutz bieten als das bisschen Seide.

Doch da lag kein Overall. Verwirrt blickte sie sich um, denn sie war sicher, dass sie ihn dort gelassen hatte, bevor sie ins Bad gegangen war. Sie öffnete eine Schranktür, weil das Dienstmädchen ihn vielleicht aufgehängt hatte, aber auch dort blickte ihr nichts als gähnende Leere entgegen.

„Gibt es ein Problem?“, fragte Rafe hinter ihr.

„Mein Overall ist verschwunden!“

„Nein, ist er nicht. Er wird nur gerade gewaschen. Morgen früh bekommst du ihn zurück.“

Oh, dieser verdammte Kerl! „Du erwartest also, dass ich mich zu dir setze und mit dir speise, während ich nicht mehr als eine dünne Seidenrobe trage?“

In seinen Augen blitzte es, und sofort glitt sein heißer Blick über das jadegrüne Kleidungsstück. „Nicht mehr?

Sienna wandte sich ab und verfluchte sich innerlich für ihr ungewolltes Eingeständnis, doch er wartete gar nicht auf ihre Antwort. „Wenn du das Gefühl hast, im Nachteil zu sein, dann kann ich gerne auch ein paar überflüssige Kleidungsstücke ablegen.“ Als sie sich erneut zu ihm umdrehte, machte er gerade Anstalten, sein Hemd aufzuknöpfen, worauf sie den Kopf schüttelte und sich fest vornahm, ihm nicht zu zeigen, wie sehr er sie durcheinanderbrachte. „Sei nicht albern! Ich wollte keine und habe keine Gesellschaft erwartet. Deshalb bin ich nicht passend angezogen für ein Dinner.“

„Ganz im Gegenteil“, erwiderte er und ließ seinen Blick wie eine hungrige Raubkatze über ihren Körper gleiten, „du bist wunderbar gekleidet. Hat dir schon mal jemand gesagt, wie hervorragend dir diese Farben stehen? Du hast die schönste Haut, die ich je gesehen habe.“ Lächelnd kam er näher und strich mit dem Daumen zärtlich über ihre Wange. „Wie feinstes Porzellan. So hell, beinahe durchscheinend.“

Ihr Herz klopfte so laut, dass sie sicher war, er müsse es hören können. Rafe schaute ihr so sehnsüchtig auf die Lippen, dass diese zu kribbeln begannen und sich wie von selbst teilten. Erst in diesem Moment merkte sie, dass sie schon die ganze Zeit den Atem anhielt.

Jetzt konnte er sie küssen. Der Gedanke kam aus irgendeinem verborgenen, dunklen Winkel ihres Gehirns, verboten und unerwünscht. Er würde sie küssen, und sie würde den Kuss akzeptieren. Dann würde sie die Hände auf seine Brust legen und ihn von sich stoßen, ehe die Dinge außer Kontrolle gerieten und Rafe sich noch mehr einbildete, als er das ohnehin schon tat.

Aber zuerst – oh Gott, ja – würde sie sich diesen Kuss gönnen.

Die Luft um sie herum schien geradezu elektrisch aufgeladen, voller Erwartung, jeder Atemzug eine Ewigkeit, während sie sich so nah waren, dass er eine Hand in ihrem Haar vergrub und mit den Fingern durch die tizianroten Locken fuhr.

Sienna schaute ihm in die Augen und erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er sie da zu haben glaubte, wo er sie haben wollte. Diese Erkenntnis brachte sie wieder zur Vernunft.

Mein Gott, wen wollte sie hier hinters Licht führen? Wenn sie ihn jetzt küsste, würde sie niemals aufhören. Ein Kuss wäre nie und nimmer genug!

„Du hast recht“, sagte sie, wobei sie ihre eigene Stimme kaum erkannte. Sie sah seinen fragenden Blick, seine Überraschung.

„Womit?“

Sie lächelte. „Ich bin halb ausgehungert.“ Dann drehte sie den Kopf zur Seite und zwang sich, auf den Tisch zuzugehen. Zuerst waren ihre Schritte steif, unbeholfen, doch schließlich sank sie dankbar auf den Stuhl. „Was gibt es zum Dinner?“

Rafe beobachtete sie verwundert. Ihr plötzlicher Stimmungswechsel irritierte ihn. Noch vor wenigen Sekunden hätten sie sich beinahe geküsst.

Sie hatte ihn begehrt, das war ihrer Körpersprache deutlich zu entnehmen gewesen. Und wenn er ihre erhitzten Wangen und die Art und Weise, wie sie seinem Blick auswich, richtig deutete, dann begehrte sie ihn noch immer.

Doch aus irgendeinem Grund versuchte sie, sich dem Unausweichlichen zu widersetzen, aber bis zu ihrer Kapitulation würde es nicht lange dauern. Er würde ihr bis zum Ende des Dinners Zeit geben und sie dann schnell davon überzeugen, dass sie so bald nicht abreisen wollte. Eine Nacht war bei Weitem nicht genug gewesen. Nach den letzten hektischen Wochen verdiente er ein wenig Entspannung. Gab es einen besseren Weg, um sie zu bekommen?

Seufzend gesellte er sich zu ihr an den Tisch, zog eine Flasche Weißwein aus dem antiken Sektkühler und schenkte ihr ein Glas ein. Insgeheim freute er sich bereits auf die nächsten Nächte. Kein Wunder. Er hatte auch dringend Ablenkung nötig von seinen Sorgen um Casinos, Finanzkrise und dem mangelnden Vertrauen in Montvelattes politische Stabilität. Außerdem brauchte er eine Pause von Sebastianos Ehefrauenjagd. Zumindest für eine Weile.

„Nein“, wehrte Sienna ab und hielt die Hand über ihr Glas. „Kein Wein, bitte.“

Daraufhin drehte Rafe die Flasche so, dass sie das Etikett lesen konnte. „Bist du sicher? Das ist ein sehr alter San Margarita Superiore – der ganze Stolz der Insel.“

Als sie dennoch den Kopf schüttelte, zuckte er kurz die Achseln und schenkte sich selbst ein Glas ein. „Hast du Angst, ich könnte dich betrunken machen und dann verführen?“

Zum ersten Mal, seit er sich zu ihr gesetzt hatte, begegnete sie seinem Blick. „Ganz und gar nicht. Aber ich muss morgen einen Helikopter fliegen. Da ist es selbstverständlich, keinen Alkohol zu trinken. Sollte meine Vorsicht mich außerdem davon abhalten, etwas Unkluges zu tun, umso besser.“

Bei ihren letzten Worten hob er eine Augenbraue. Damit hatte sie ihm die perfekte Vorlage geliefert. „Wäre das, was du sonst tun würdest, denn so unklug?“

Sie schlug ihre Serviette auseinander und breitete sie auf ihrem Schoß aus. „Ich denke schon.“

„Auch wenn es sehr angenehm wäre?“

Sienna sah ihn mit ihren großen honigfarbenen Augen an. Sollte ihr Blick kühl wirken, so misslang dies, denn auf ihren Wangen zeichneten sich zwei rote Flecken ab, und er wusste ganz genau, dass sie sich genauso wie er daran erinnerte, wie heiß ihre gemeinsame Nacht gewesen war.

„Es wäre ein Fehler“, versetzte sie trotzig, „und wenn möglich, vermeide ich es, denselben Fehler zweimal zu begehen.“

Ihre Worte verärgerten ihn, genauso wie ihre Fähigkeit, wie aus dem Nichts zum Angriff überzugehen. Etwas zu heftig stellte er die Flasche zurück in den Kühler. Er war beinahe versucht, ihr zu sagen, dass sie morgen nirgendwohin fliegen würde – genau genommen würde sie erst dann wieder abfliegen, wenn er mit ihr fertig war.

Allerdings würde das nur erneut ihre Kampfeslust provozieren, und das wollte er nicht. Er wollte sie warm und willig. Sie sollte ihn anflehen, sie zu lieben. Und all das sollte noch in dieser Nacht passieren.

Also zwang Rafe sich zu einem Lächeln und hob das Glas. „Dann müssen wir dafür sorgen, dass du nicht in Versuchung gerätst, einen deiner sogenannten Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Also, guten Appetit.“

Während Gang für Gang des beeindruckendsten Essens, das sie je gesehen hatte, aufgetragen wurde, schwieg Sienna. Leider schmeckte sie rein gar nichts – nicht mit ihm direkt gegenüber, so nah, so real.

Ein Mann, mit dem sie bereits einmal geschlafen hatte.

Ein Mann, der deutlich gemacht hatte, dass er wieder mit ihr schlafen wollte.

Ein Mann, der, wenn sie ganz ehrlich war, sie stärker in Versuchung führte als sie jemals zugeben würde.

„Warum ist Signorina Genevieve heute gekommen?“, fragte sie schließlich, während sie das Dessert auf ihrem Teller begutachtete – eine traumhafte Mischung aus Biskuit, Schokolade und Himbeersauce. „Ihrem Gepäck nach zu urteilen, wollte sie länger bleiben.“

Rafe lehnte sich zurück und atmete tief ein. Auch wenn er die Hände lässig im Schoß verschränkte, ließ sie sich nicht täuschen. So entspannt war er nicht! „Sie kam zu einer Art Vorstellungsgespräch, das ist alles.“

„Sie hat sich für einen Job beworben?“

Er lachte ironisch. „So könnte man sagen. Meine Ratgeber scheinen völlig besessen davon, eine Fürstin für Montvelatte zu finden. Was unglücklicherweise bedeutet, dass sie eine Ehefrau für mich suchen.“

„Eine Ehefrau?“ Sienna holte ebenfalls tief Luft und nestelte an der Serviette auf ihrem Schoß herum.

Rafe wollte heiraten?

Sie hätte es wissen müssen. Natürlich war es keine Armada an hochklassigen Mätressen, die in den vergangenen Wochen auf die Insel gebracht worden war – seit wann nahmen die ihre Mütter mit? –, es waren potenzielle Ehefrauen.

Irgendwie war das keine Erleichterung.

Sie gab ihr Bestes, um leicht amüsiert zu klingen. „Und so suchen die Fürsten von Montvelatte also ihre Ehefrauen, ja? Per Vorstellungsgespräch? Wie romantisch.“

Rafe griff nach seinem Glas, schwenkte den Weißwein leicht hin und her, trank aber nicht. „Mit Romantik hat das nichts zu tun. Nur ein direkter Lombardi-Nachkomme kann den Thron besteigen, ansonsten verliert das Fürstentum sein Existenzrecht. Das zu verhindern ist Ziel dieser Sache.“

„Klingt ein bisschen melodramatisch.“

„Nein, es ist eine einfache Tatsache. Montvelattes Existenzrecht ist an die direkte Fortführung der Erblinie gekoppelt.“

„Deshalb kamst du ins Spiel?“

„Genau. Selbst Bastarde dienen einem Zweck, wie es scheint.“

Sein ironischer Unterton konnte sie nicht täuschen. „Darum ging es also in jener Nacht – als du die Nachrichten gehört und gesehen hast, wie deine beiden Halbbrüder abgeführt wurden. Da wusstest du es schon, oder? Du wusstest, was es für dich bedeuten würde.“

„Ich hatte so ein Bauchgefühl, dass ich einen Anruf bekommen würde.“

„Und jetzt brauchst du eine Ehefrau. Um einen Nachkommen zu zeugen und Montvelatte die Atempause zu verschaffen, die es braucht.“

„Richtig.“

Lustlos stocherte sie in ihrem Dessert herum und zeichnete Achten in die Himbeersauce. „Du führst also ‚Vorstellungsgespräche‘ mit potenziellen Ehefrauen. Gleichzeitig speist du mit einer Frau, mit der du bereits eine Nacht verbracht hast und mit der du unbedingt wieder schlafen willst.“

Es war als Vorwurf, als Anschuldigung gedacht, doch so wie er sie ansah, die Augen dunkel vor Verlangen, schienen ihre Worte den gegenteiligen Effekt zu haben. „Ja, das tue ich.“

Plötzlich spürte sie, wie sie von glühender Hitze erfasst wurde und ihr ganzer Körper lustvoll erschauerte.

Was er brauchte, war eine Ehefrau. Was er suchte, war eine Geliebte, die ihm das Bett wärmte. Und es war mehr als klar, in welche Kategorie sie fiel.

Eigentlich sollte sie ihn dafür hassen.

Sie tat es auch.

Und dennoch …

Sein Blick hielt sie gefangen. Er musste gar nichts sagen; die Frage stand deutlich in seinen Augen. Sie sah das Verlangen, die Sehnsucht, das Versprechen auf lustvolles Vergnügen.

Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht flammten erneut auf – wie eine Naturgewalt, die sich nicht bezwingen ließ. Sienna glaubte seine Hände und Lippen zu spüren, all die Empfindungen, die er in ihr geweckt hatte …

Die Empfindungen, die er wieder in mir wecken könnte.

War es so verwerflich, dass sie in Versuchung geriet? War es so falsch, dass ihr Körper sich erneut danach sehnte, was Rafe ihr schon einmal gegeben hatte – seine ganz besondere Magie?

Morgen früh reiste sie ohnehin ab.

Sie konnte sich eine weitere Nacht gönnen. Wem schadete sie damit? Eine weitere Nacht, an deren Ende sie diejenige war, die ihn verließ. Diesmal würde er gar nicht erst die Chance bekommen, sie abzuservieren. Diesmal würde sie die Fäden in der Hand halten. Sollte er doch seine Contessas begutachten. Eine von ihnen würde ihn schließlich für immer gewinnen, doch sie konnte ihn jetzt sofort haben.

Vielleicht würde es niemals genug sein. Aber wäre eine weitere Nacht nicht wenigstens eine Art Entschädigung für die Unannehmlichkeiten, die er ihr heute bereitet hatte?

Dafür hatte sie eine Belohnung verdient. Ganz bestimmt.

Er wählte genau diesen Moment, um zum Angriff überzugehen. „Es ist an der Zeit.“

 

 

 

 

 

 

 

 

5. KAPITEL

„Komm“, sagte Rafe, griff nach ihrer Hand und zog sie vom Stuhl hoch, sodass sie gegen seinen Körper fiel.

„Rafe“, wisperte sie und schmiegte sich an ihn wie bei einem Tanz, vielleicht einem langsamen Walzer. „Pst“, murmelte er. „Sag nichts.“

Dazu war sie ohnehin nicht in der Lage, denn ihre Sinne waren ganz auf ihn ausgerichtet.

Überall wo er sie berührte, entflammte ein Feuer tief in ihr, und als er sie küsste, lag darin das Versprechen auf alles verzehrende Ekstase.

Sienna schmolz dahin, während seine Lippen die ihren im Sturm eroberten – so leidenschaftlich und hungrig, dass sie ihm alles geben wollte, was sie besaß.

Zärtlich strich er über ihren Rücken, legte seine Hände um ihren Po und zog sie noch dichter an sich, sodass sie seine Erregung spüren konnte. Als er ihren Hals zu küssen begann, ließ sie den Kopf zurückfallen, um ihm besseren Zugang zu gewähren. Sofort nutzte er die Chance, schob den Stoff ihres Morgenmantels zur Seite und liebkoste ihr Dekolleté mit seinen Lippen.

Es war alles, was sie sich je erträumt hatte. Alles, was sie in den vergangenen Wochen so schmerzlich vermisst hatte.

Mach das Beste daraus, wisperte eine Stimme in ihrem Kopf. Denn es ist alles, was du jemals von ihm bekommen wirst.

Als Rafe eine Hand auf ihre Brust legte, keuchte Sienna überrascht auf.

„Du bist noch schöner als in meiner Erinnerung“, raunte er heiser, während er erst mit dem Daumen über die rosige Spitze strich und sie dann mit seinen Lippen umschloss.

In ihr explodierte ein wahres Feuerwerk an Empfindungen. Sie klammerte sich an ihn, weil ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten.

Genüsslich wandte er seine Aufmerksamkeit der anderen Brust zu, streifte die kühle Seide beiseite und berührte ihre nackte Haut. Das glühende Verlangen in seinen Augen erschreckte sie beinahe.

Sienna erschauerte, während sich die leise Stimme erneut meldete. Was für ein Mann war er, dass er sie derart anschauen konnte, um sich dann umzudrehen und eine andere zu heiraten?

Was für eine Frau bin ich, dass ich es zulasse?

Mein Gott, sie hatte ihm gesagt, dass sie nicht mit ihm schlafen würde, und jetzt stand sie halb nackt vor ihm und flehte ihn beinahe an, sie zu nehmen. Sie verhielt sich ja wie ein ausgehungerter Hund, der unter dem Tisch um jeden Krumen bettelte, der ihm zugeworfen wurde!

Was zur Hölle war nur los mit ihr?

Rasch nahm sie die Hände von seinen Schultern und raffte den Morgenmantel zusammen. Es war unmöglich, das Zittern zu unterdrücken, denn ihr Körper protestierte gegen das, was sie tun wollte.

Rafe betrachtete sie mit einem Stirnrunzeln. „Sienna“, sagte er und streckte sich dabei, „ist dir kalt?“

Kopfschüttelnd wich sie ein paar Schritte zurück. „Ich denke, du solltest gehen. Das hier ist eine wirklich schlechte Idee.“

In seine Augen trat ein bedrohliches Glitzern. „Noch vor einer Minute schienst du ganz anders darüber gedacht zu haben.“

„Ich habe dir bereits zuvor gesagt, dass ich nicht mit dir schlafen werde. Tut mir leid, aber ich habe meine Meinung nicht geändert.“

Er machte einen Schritt auf sie zu. „Was für ein Spiel spielst du da? Es ist doch offensichtlich, dass du das hier genauso sehr willst wie ich.“

„Nein, ich glaube nicht. Und persönlich denke ich, dass du keinen Deut darauf gibst, was ich will. Dir geht es nur um eine schnelle Nummer.“

Ihre groben Worte ließen ihn zusammenzucken. „Das stimmt nicht.“

„Oh doch! Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich die Insel sofort verlassen will, und das möchte ich noch immer, aber du hörst mir ja gar nicht zu. Du glaubst immer noch, dass du dir einfach nehmen kannst, was du haben willst. Nun, lass mich dir eins sagen: Du hattest deine Chance in Paris, und da hast du deine Wahl mehr als deutlich gemacht.“

Rafe rührte sich nicht. Abgesehen von einem Wangenmuskel, der leicht zuckte, und einem gefährlichen Funkeln in den Augen sah man keinerlei Reaktion. „Glaub nicht, dass du dir einen Vorteil verschaffen kannst, indem du dich zierst. Ich fürchte, Sebastianos Liste mit potenziellen Heiratskandidatinnen ist bereits voll. Es gibt einen Platz für dich in meinem Bett, wenn du ihn denn willst, aber ich werde dich ganz sicher nicht anflehen, deine Meinung zu ändern.“

Seine Arroganz löste eine ungeheure Wut in ihr aus. „Du glaubst, ich will dich heiraten? Komm auf den Boden der Tatsachen zurück! Mir ist völlig egal, ob du ein Fürst oder das Ungeheuer von Iseo höchstpersönlich bist. Ich würde dich nicht heiraten, selbst wenn du der letzte Mann auf Erden wärst. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht mit dir schlafe, und daran ändert sich nichts. Finde dich damit ab!“

Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein solcher Zorn ab, dass Sienna es mit der Angst bekam. Er war ein Fürst. Das hier war sein Land, seine Welt, und sie erklärte ihm, was sein würde und was nicht. Sie musste verrückt sein, wenn sie glaubte, damit durchzukommen. Aber verdammt noch mal, das entschuldigte nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt!

Noch immer funkelte er sie wütend an und machte drohend noch einen Schritt auf sie zu, sodass sie am liebsten zurückgewichen wäre. Die Lippen fest zusammengepresst, zischte er schließlich: „Wie du willst.“

Es war ein perfekter Tag. Die strahlend helle Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, und das Meer funkelte im schönsten Türkisblau.

Ein perfekter Tag. Viel zu perfekt, um solch schlechte Laune zu haben.

Rafe saß auf der Terrasse, hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und betrachtete missmutig die ihn umgebende wunderschöne Landschaft. Sein Plan, Sienna zur Unterwerfung zu zwingen, war misslungen. Na gut. Wenn sie so unbedingt von hier fort wollte, dann bitte schön. Es war kein wirklicher Verlust.

Der Helikopter wartete bereits auf seine Pilotin. Rafe hatte beobachtet, wie er vor ungefähr einer halben Stunde gelandet war. Es überraschte ihn, dass sie angesichts ihrer heftigen Reaktion in der vergangenen Nacht nicht schon längst abgeflogen war.

Er trank einen Schluck. Dio! Selbst der Kaffee schmeckte heute bitter. Mit lautem Klirren stellte er die Tasse ab und stand auf. Worauf wartete er? Sie reiste ab. Warum sollte er ihr die Genugtuung bereiten, ihren Abflug zu beobachten?

Irgendetwas veranlasste ihn, sich umzudrehen – vielleicht war es ein Geräusch oder eine flüchtige Bewegung –, jedenfalls sah er sie plötzlich im Türrahmen stehen. Sie wirkte furchtbar blass. Ihr tizianrotes Haar umrahmte ihr bleiches Gesicht, obwohl sie es wieder zu dem verdammten Zopf geflochten hatte, den sie so gerne trug. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, die darauf hindeuteten, dass sie genauso schlecht geschlafen haben musste wie er.

„Ich wollte mich nur verabschieden“, sagte sie mit dünner Stimme.

Er nickte kurz. „Hast du etwas gegessen?“

Ihr Gesicht schien auch den letzten Rest Farbe zu verlieren, wenn das überhaupt möglich war. Sie umklammerte den Türgriff so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.

Langsam schüttelte sie den Kopf, die Lippen fest zusammengepresst, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen. Offensichtlich war ihre Nacht noch schlimmer gewesen als seine. „Solltest du nicht zuerst frühstücken, ehe du fliegst? Oder zumindest einen Kaffee trinken?“

„Ich muss los“, presste sie mühsam hervor. Ihre Augen weiteten sich, als er auf sie zuging. „Vielen Dank für deine … nun, vielen Dank.“

Erneut nickte er – fest entschlossen, sich nicht darum zu kümmern, ob es ihr gut ging oder nicht. „Sebastiano kann dich zum Hubschrauber bringen.“

Sie nickte, drehte sich um und ließ den Türgriff los, um in den Palast zurückzugehen, doch irgendetwas an ihrem Gang – ein leichtes Schwanken – veranlasste ihn, rasch an ihre Seite zu treten.

Er griff nach ihrem Arm, spürte den kurzen Widerstand, ehe sie ohnmächtig gegen ihn sank.

„Sebastiano!“, brüllte er, während er sie in seinen Armen auffing. „Rufen Sie einen Arzt!“

„Sie schläft jetzt.“

Rafe gab auf so zu tun, als interessiere ihn das alles nicht und wandte sich dem Dottore zu.

„Ist mit ihr alles in Ordnung?“

„Es geht ihr gut, aber ich habe ihr geraten, sich einem kompletten Check-up zu unterziehen, sobald sie zuhause ist. Außerdem sollte sie natürlich nicht fliegen, solange sie sich so fühlt. Aber in ein paar Stunden wird es ihr besser gehen. Das ist ganz normal bei Morgenübelkeit.“

Rafe hatte das Gefühl, vor seinen Augen explodiere eine rote Wolke. Sein Herz klopfte laut und heftig. „Das heißt, sie ist schwanger?“

„Sechste bis achte Woche nach meiner Schätzung“, entgegnete der Arzt ruhig. „Es wäre gut, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass sie so wenig Stress wie möglich ausgesetzt ist. Im Moment wirkt sie sehr angespannt.“

Der Doktor fuhr in seiner Diagnose fort, doch Rafe hörte nichts. Nicht, während er die Neuigkeit verarbeitete und sich zu erinnern versuchte. Sechste bis achte Woche. War es möglich?

Er hatte verhütet. So unvorsichtig wäre er nie.

Oder doch!

Er war so unvorsichtig gewesen.

Mit erschreckender Klarheit sah er plötzlich alles wieder vor sich. Er hatte gerade von der Verhaftung seiner Halbbrüder und deren Beteiligung am Tod seines Vaters erfahren. Sein Zorn war so groß gewesen, dass er nicht nachgedacht, nicht gezögert hatte, sondern sich ein letztes Mal tief in der Frau verströmte, die gerade da war.

Hatte sein kurzer Kontrollverlust zu einem Kind geführt? War es seines?

Beinahe wäre sie ihm entkommen. Er war kurz davor gewesen, sie gehen zu lassen – wütend darüber, dass sie ihm das Vergnügen versagte, das sie ihm schenken konnte. Es hatte nicht viel gefehlt, und sie wäre für immer aus seinem Leben verschwunden.

Ob er es jemals herausgefunden hätte, wenn sie gegangen wäre? Vielleicht hätte sie es ihm niemals gesagt?

Sechs Wochen. Zufall? Oder Schicksal?

Was auch immer – sie würde hierbleiben müssen, bis er ganz sicher war.

Der Arzt hatte seinen Bericht beendet. „Kann ich sie sehen?“, fragte Rafe.

„Natürlich. Aber seien Sie sanft. Im Moment ist sie emotional ziemlich angeschlagen.“

Rafe schnaubte verächtlich. „Darauf möchte ich wetten.“

Kurz darauf hielt er vor der Tür zu ihrem Zimmer inne und ließ den Zorn in sich wachsen. Endlose Minuten lang war er die Terrasse auf und ab gewandert und hatte alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Wenn sie ihm am Vorabend ins Gesicht gesagt hätte, dass sie das Kind eines anderen in sich trug, dann hätte er sie in Ruhe gelassen. Aber sie hatte keinen Ton gesagt. Und sechste bis achte Woche? Sie musste es doch längst wissen! War das der wahre Grund, warum sie den Wein abgelehnt hatte?

Er dachte daran, wie verzweifelt sie die Insel hatte verlassen wollen. So verzweifelt, dass sie sogar riskiert hätte, einen Hubschrauber zu fliegen, während sie jederzeit ohnmächtig werden konnte. Wenn diese Tatsache ihre Schuld nicht eindeutig bewies, was dann?

Sie wollte nicht, dass er es erfuhr.

Und das konnte nur eins bedeuten.

Das Kind war von ihm.

Er holte tief Luft, spürte wie der Sauerstoff seinem Zorn neue Nahrung gab, bis er kurz davor stand, zu explodieren. Die Ironie hätte nicht größer sein können.

Da bemühte sich Sebastiano die ganze Zeit, sicherzustellen, dass Montvelatte einen Erben bekam.

Und dabei gab es ihn schon die ganze Zeit.

Es war eine Katastrophe. Sienna ließ sich tränenüberströmt in die Kissen sinken – unfähig, die Diagnose des Arztes zu verarbeiten.

Mit ihr war alles in Ordnung, hatte er ruhig erklärt und dann im selben Atemzug verkündet, dass sie schwanger war und lediglich unter Morgenübelkeit litt.

Alles in Ordnung. Was für ein Witz, wo doch ihre ganze Welt in Scherben lag. Wenn nichts mehr so war wie es sein sollte.

Schwanger. Mit Rafes Kind. Das allein war schon schlimm genug. Doch jetzt war er nicht mehr irgendein Mann.

Nein, er war ein Fürst.

Sie presste das Gesicht ins Kissen und versuchte vergeblich, eine neue Flut an Tränen aufzuhalten. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr das passierte. Nicht mit ihm. Nicht jetzt.

Er mochte ja der Vater des Babys sein, das in ihr heranwuchs, aber von ihm wurde erwartet, dass er heiratete. Eine standesgemäße Braut, die Montvelatte würdig war.

Nicht eine namenlose Bürgerliche, die einer zerrütteten Familie entstammte, eine Nacht mit ihm verbracht hatte und zufälligerweise schwanger geworden war.

Sienna schniefte, setzte sich auf, griff nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. Verdammt. Hier zu liegen und zu weinen würde auch nicht helfen. Sie musste sich zusammenreißen und ihre Zukunft anpacken. Entschlossen schlug sie die Bettdecke zurück und schwang die Beine über den Rand.

Rafe wollte, dass sie die Insel verließ, das hatte er mehr als deutlich gemacht, also würde sie gehorchen. Und mal ganz ehrlich: Das Letzte, was er oder Montvelatte jetzt gebrauchen konnten, war der Skandal eines unehelichen Kindes. Noch dazu mit einer Frau, die vollkommen unpassend war. Sie würde sich anziehen und sofort nach Genua fliegen, sobald diese verdammte Übelkeit nachließ. Sobald sie den Schock über diese neuerliche Bombe verkraftet hatte.

Nur dass ich schwanger bin.

Wie sollte man diesen Schock überwinden?

Es ertönte ein lautes Klopfen an der Tür, die gleich darauf aufschwang und den Blick auf die letzte Person freigab, die sie in diesem Moment sehen wollte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, während sich seine dunklen Augen auf sie richteten und dabei absolut nichts preisgaben. Bitte, lieber Gott, mach, dass der Arzt ihm nichts erzählt hat!

Sie war in ein weißes Nachthemd gekleidet, das sich eng an ihre Brust schmiegte und sanft bis auf die Knöchel fiel. Innerlich dankte Rafe der Person, die ihren verdammten Zopf gelöst hatte, sodass die kupferroten Locken wild um ihr Gesicht tanzten.

„Warum bist du nicht im Bett?“

„Ich wollte gerade aufstehen“, erklärte sie. Ihre Lippen wirkten unnatürlich blass. „Oder zumindest hatte ich das vor, ehe du mal wieder uneingeladen hier hereingeplatzt bist. Wenn du mich also bitte entschuldigen würdest – ich möchte mich anziehen.“

„Ich dachte, du wärst krank.“

„Ich fühle mich schon viel besser“, entgegnete sie und versuchte sich an einem Lächeln, das nicht gerade überzeugend wirkte. „Tut mir leid, ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich … ich muss etwas gegessen haben, was mir nicht bekommen ist.“

Himmel, sie wollte die Wahrheit immer noch leugnen! „Also beschuldigst du jetzt meinen Koch, dich vergiftet zu haben?“, knurrte er.

„Nein! Ich meinte nicht …“ Kopfschüttelnd gab sie auf. „Pass auf, es tut mir leid, dass ich dir solche Umstände bereite, aber ich bin bald weg. Wenn es dir also nichts ausmachen würde …“

Sie deutete auf die Tür, was Rafe jedoch vollkommen ungerührt ließ. Er blieb am Fuß des Bettes stehen und legte eine Hand auf den Pfosten. „Oh nein. Jetzt zu gehen, wäre wirklich unklug.“

Sienna stand mit einem Satz auf und entfernte sich vom Bett. „Pass auf, Rafe“, sagte sie und blickte ihn verwirrt an, „wir sind das alles bereits durchgegangen, und es reicht mir allmählich, dass du meinst, mich nach Lust und Laune herumkommandieren zu können. Gestern hast du zugestimmt, dass ich heute gehen kann. Sobald ich angezogen bin, verschwinde ich von hier.“ Sie war schon auf halbem Weg zum angrenzenden Bad, als er sie einholte, am Arm festhielt und zu sich umdrehte.

„Nicht mit meinem Baby. Das wirst du nicht tun.“

Er hörte sie aufkeuchen. Spürte ihre Angst. „Wovon redest du?“ Sienna stellte sich unwissend, doch das schlechte Gewissen war da – er sah es in ihren Augen und im Beben ihrer Lippen.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schwanger bist?“

Sie atmete ganz flach und schnell. „Ich weiß nicht, wieso du glaubst, es würde dich etwas angehen, aber vielleicht habe ich es ja gar nicht gewusst.“

„Du lügst.“

„Dann ist es vielleicht gar nicht dein Baby? Hast du darüber schon mal nachgedacht?“

Rafe zuckte zurück, als hätte sie ihn geschlagen – doch nur für einen Moment, dann trat wieder das raubtierhafte Funkeln in seine Augen. „Du bist von meinem Bett gleich in das Bett eines anderen gehüpft? Ich glaube dir nicht.“

„Du hast mich hinausgeworfen. Warum sollte es dich kümmern, mit wem ich schlafe?“

„Es kümmert mich, weil ich dir nicht glaube. Du hast es vor mir geheim gehalten, und das versuchst du immer noch. Es ist mein Baby, nicht wahr? Du bekommst mein Baby!“

Wenn er es nicht gespürt hätte, wenn er sie nicht losgelassen hätte, dann hätte sie es niemals rechtzeitig ins Bad geschafft. Ihr Magen war so gut wie leer – sie hatte nur ein wenig trockenen Toast und süßen Tee zu sich genommen. Dennoch fühlte es sich so an, als würde sie mit jedem Würgen innerlich auseinandergerissen.

Und er war bei ihr, hielt ihr Haar zurück und stützte sie, während sie sich an der Toilettenschüssel festklammerte.

Oh Gott, wenn es nicht schon schlimm genug war, dass Rafe sie so sah, so musste der Arzt ihm auch noch gesagt haben, warum es ihr so schlecht ging.

Die Katastrophe konnte nicht größer sein.

Endlich war es vorbei, und ihr Magen beruhigte sich. Sie hörte das Geräusch von fließendem Wasser, spürte, wie ein kühler Waschlappen an ihre Stirn gepresst wurde und nahm ihn dankbar entgegen. Sie wünschte, es gäbe etwas, das ihre Seele genauso einfach trösten würde.

Der Arzt hatte es ihm gesagt. Rafe wusste Bescheid!

Was, in aller Welt, sollte sie jetzt tun?

„Komm, ich bringe dich zurück ins Bett“, sagte er, half ihr hoch und führte sie zurück ins Schlafzimmer. Widerspruchslos ließ sie sich von ihm zudecken, denn plötzlich schien sie gar keine Kraft mehr zu haben. „Es tut mir leid“, murmelte sie leise. „Ich weiß, dass das sehr ungünstig ist. Ich gehe. Ich werde niemandem etwas erzählen, das verspreche ich.“

In diesem Moment wurde das Band um sein Herz, das sich gebildet hatte, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, noch enger. Es war die letzte Bestätigung, die er gebraucht hatte. Sie beseitigte alle Zweifel. „Also ist es mein Baby!“

Benommen starrte sie ihn an. „Niemand wird es erfahren. Das verspreche ich.“

„Schluss jetzt! Ich weiß es aber! Oder planst du bereits, es abtreiben zu lassen?“

Ihre Augen funkelten vor Empörung. In die haselnussbraunen Tiefen trat ein goldenes Licht, so als hätte jemand einen Schalter betätigt, auch wenn sie sonst weiterhin furchtbar bleich war und ihre Stimme rau und heiser klang. „Zufälligerweise hatte ich noch gar keine Chance, meine Möglichkeiten zu überdenken, aber für was für eine Frau hältst du mich?“

„Es spielt keine Rolle, für was für eine Frau ich dich halte. Es geht nur darum, was du mit dem Kind zu tun gedenkst.“

„Und ich soll dir glauben, dass dich das kümmert? Bemüh dich nicht. Ich verspreche, dass ich nicht mit der Presse rede oder deiner Fürstinnensuche in die Quere komme.“

„Nein.“

„Was soll das heißen, ‚nein‘?“

„Es heißt, dass das nicht gut genug ist. Ich werde nicht erlauben, dass ein weiterer Lombardi-Bastard behandelt wird, als gehörte er nicht zur Familie. Es gibt nur eine Lösung.“

Sie schluckte. „Du kannst das Sorgerecht mit mir teilen, wenn es das ist, was du willst. Ich kann dem Kind ja schlecht den Zugang zu seinem Vater verwehren.“

„Ich bin froh, dass du das einsiehst. Und es gibt keine bessere Art, das Sorgerecht zu teilen …“, er lächelte, selbst erstaunt darüber, wie wunderbar sich plötzlich alles zusammenfügte, „… als dich zu meiner Ehefrau zu machen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

6. KAPITEL

Wenn Sienna nicht ohnehin schon gelegen hätte, wären ihr die Beine sicherlich einfach so weggesackt. Stattdessen stockte ihr der Atem. Das konnte er unmöglich ernst meinen!

„Du scherzt. Es gibt keinen einzigen Grund, weshalb ich dich heiraten sollte.“

„Es ist die einzige Lösung. Ich brauche eine Ehefrau und einen Erben.“

„Du brauchst eine Fürstin, keine Pilotin. Du brauchst eine dieser blaublütigen Kandidatinnen von deiner Liste.“

„Aber du besitzt etwas, was sie nur versprechen können. Du hast bereits bewiesen, dass du fruchtbar bist.“

„Vergiss es. Ich werde dich nie im Leben heiraten, nur weil ich schwanger bin.“

„Du musst dir keine Sorgen machen was die ganze Adelssache angeht. Man wird dir die Landessprache beibringen und dir Nachhilfestunden in Sachen Familiengeschichte und Etikette geben.“

„Ich würde auch dann nicht Ja sagen, wenn du kein Fürst wärst! Ein Baby ist keine Basis für eine Ehe. Das würde ich einem Kind niemals antun.“

„Stattdessen würdest du zulassen, dass das Kind ohne Vater aufwächst? Ist das etwa fairer?“

„Du kannst mich nicht zwingen, das zu tun. Dein Vater hat deine Mutter ja auch nicht geheiratet, nur weil sie schwanger war.“

„Er hielt es nicht für nötig. Er hatte ja bereits einen Erben und noch einen weiteren Sohn. Meine Schwester und ich waren praktisch überflüssig.“

„Aber deine Mutter …“

„Hatte keine Wahl! Sie erhielt eine Abfindung sowie eine jährliche Pension, unter der Bedingung, dass sie nie nach Montvelatte zurückkehrte und auch nie jemandem verriet, wer der Vater ihrer Kinder war.“

Sienna reckte trotzig das Kinn. „Ich würde mit Freuden dieselben Bedingungen annehmen. Sogar umsonst. Es würde dich keinen Cent kosten.“

„Du täuschst dich, wenn du glaubst, ich würde zulassen, dass du unser Kind in Armut großziehst“, erklärte Rafe kopfschüttelnd.

„Ich habe einen Job!“

„Wie lange noch? Wie kannst du in deiner Situation fliegen? Was glaubst du wohl, wie lange man eine Pilotin beschäftigt, die jederzeit in Ohnmacht fallen kann? Welcher Mensch, der halbwegs klar im Kopf ist, würde mit dir fliegen wollen?“

„Ich habe Ersparnisse. Ich kann mir Urlaub nehmen. Morgenübelkeit dauert ja nicht ewig an.“

„Und wenn dann das Baby da ist, wie willst du weiter arbeiten, wenn du dich gleichzeitig um das Kind kümmern musst?“

„Genauso wie unzählige andere Frauen auch. Ich werde zurechtkommen.“

„Nicht mit meinem Kind. Einfach nur zurechtkommen ist keine Option.“ Er stützte sich mit beiden Händen auf ihrem Bett ab, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Sie konnte sich gerade davon abhalten, zurückzuzucken, so wütend sah er aus. „Glaub ja nicht, dass du mir den Umgang mit meinem Kind verweigern kannst, nur weil du am liebsten vergessen würdest, wer sein Vater ist. Ich bin nicht wie mein Vater. Ich werde kein Kind im Stich lassen, das ich gezeugt habe, oder es vor aller Welt verstecken, nur weil ich nicht mit seiner Mutter verheiratet bin.“

Sienna beobachtete seine Augen, während er sprach. Sie sah den Schmerz darin. Sein ganzes Leben lang hatte er den Vater vermisst. Verbannt und ungewollt, so musste er sich immer gefühlt haben.

Und er hatte recht. Egal, wie sie ihre Karten auch spielte, sie konnte Rafe nicht von dem Leben seines Kindes ausschließen. Doch wenn sie ihm den Zugang gewährte, würde sich die Abstammung des Kindes niemals verheimlichen lassen.

Also was sollte sie tun?

Es war einfach zu viel auf einmal. Sie hatte sich gerade erst von dem Schock erholt, dass sie schwanger war, und schon verlangte er, dass sie ihn heiraten sollte – ein Mann, mit dem sie gerade mal eine Nacht verbracht hatte und dem sie seit vierundzwanzig Stunden zu entfliehen versuchte. Eine Ehe, die unter vorgehaltener Pistole zustande kommen sollte, ganz wie die ihrer Mutter.

„Du kannst mich nicht dazu zwingen.“ Sie bemühte sich wirklich stark zu klingen, doch ihre Stimme kam eher wie ein verzweifeltes Flehen heraus.

„Es ist das Einzige, was wir tun können. Ich werde Sebastiano informieren und ihn beauftragen, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.“

Die nötigen Vorkehrungen? Bei Rafe klang es so, als wäre eine fürstliche Hochzeit nicht mehr als ein Gang zum Tante-Emma-Laden.

„Nein! Ich habe nicht zugestimmt. Du kannst mich nicht zwingen“, wiederholte sie.

„Du hast keine andere Wahl.“

„Und ob ich eine Wahl habe! Ich verschwinde von hier, und du kannst mich nicht aufhalten.“ Sie rutschte zur anderen Seite des Bettes hinüber, schwang die Beine über den Rand und stand auf, doch Rafe war bereits zur Stelle und versperrte ihr den Weg. Die Hand, die er an ihre Wange legte, war warm, und Sienna erschauerte bei der Berührung. Aufmerksam schaute er sie an, wobei er sanft die Kontur ihrer Unterlippe nachzeichnete. Seine nächsten Worte klangen eher wie ein Versprechen als eine Drohung.

„Verlasse mich, und ich bringe dich zurück. Lauf fort, und ich fange dich wieder ein. Du kannst der Wahrheit nicht entfliehen, Sienna. Du wirst mich heiraten. Du wirst meine Ehefrau werden.“

Mit klopfendem Herzen schaute sie zu ihm auf, voller Angst, den Zauber zu durchbrechen, den er um sie wob. Wie lange er so dastand und ihr Gesicht streichelte, oder wie lange sie es zuließ, wusste sie nicht.

„Es muss einen anderen Weg geben“, wisperte sie schließlich.

Er umfasste ihr Kinn, senkte den Kopf und hauchte einen ganz leichten Kuss auf ihre Lippen. „Nein, es gibt keinen anderen Weg.“

Sebastiano war sich da nicht so sicher. Er nahm die Neuigkeit vom Ende der Fürstinnensuche und den Grund dafür wie ein Mann auf, dem man mitteilte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. „Sind Sie sicher, dass es klug ist, eine solche Frau zu heiraten, Fürst Raphael? Die Rolle der Fürstin ist eine anspruchsvolle. Welchen Hintergrund hat diese Frau? Hat sie die notwendige Erziehung erhalten, die es braucht, um die Rolle der Fürstin auszufüllen?“

„Ich schätze dieselbe Erziehung, die ich hatte, um plötzlich Fürst von Montvelatte zu werden. Dennoch hat niemand meine Fähigkeiten infrage gestellt.“

„Sie haben blaues Blut, Euer Hoheit. Das ist ein Unterschied.“

„Und sie trägt es in sich!“

Sein Ratgeber hüstelte geziert, was unmöglich zu ignorieren war. „Möchten Sie etwas sagen, Sebastiano?“

„Nur dass es vielleicht klug wäre, diese Tatsache erst zu verifizieren, ehe wir eine offizielle Ankündigung machen.“

Rafe hegte keine Zweifel. Die Art und Weise, wie Sienna auf seine Anschuldigungen reagiert hatte, ihre Entschuldigung und das Versprechen, alles für sich zu behalten – nein, er hegte absolut keine Zweifel. Aber Sebastiano brauchte offensichtlich Fakten. „Also gut. Überprüfen Sie sie – ihre Vergangenheit, ihre Liebhaber, und alle Männer, die sie außer mir in den vergangenen acht Wochen getroffen hat.“

Sebastiano nickte. Er wirkte zufriedener als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt an diesem Tag und verbeugte sich leicht. „Ich kümmere mich darum.“

Rafe beobachtete, wie er davonging, und spürte einen Stich, weil es tatsächlich nötig war, so vorsichtig zu sein. Wenn es irgendwelchen Schmutz in Sienna Wainwrights Leben gab, dann würde sein treuer Diener ihn ausgraben.

Er hoffte einfach nur, dass Sebastiano nichts finden würde.

Sienna nahm den Telefonhörer in der Bibliothek ab und horchte, ob sie ein Freizeichen bekam. Hoffentlich lief nicht auch hier jede Verbindung erst über die Haushälterin wie bei dem Telefon auf ihrem Zimmer. Als tatsächlich ein Freizeichen ertönte, wählte sie rasch die Nummer ihres Chefs bei Sapphire Blue Charters und wartete einige endlos lange Sekunden darauf, dass der Anruf entgegengenommen wurde.

Sie hatte die ganze Nacht gegrübelt. Da Rafe ihr alle Möglichkeiten genommen hatte, die Insel zu verlassen, und sie sich auch nicht an die australische Botschaft wenden konnte, ohne die ganze Geschichte an die große Glocke zu hängen, blieb ihr keine andere Wahl, als ihren Boss, Monsieur Rocher, anzurufen. Vielleicht würde er ihr einen Hubschrauber schicken, wenn er erfuhr, dass sie gegen ihren Willen festgehalten wurde.

„Oui?“, meldete sich die Stimme ihres Arbeitgebers.

Sienna holte tief Luft. „Monsieur Rocher, c’est moi, Sienna Wainwirght. Je suis désolée …“

„Bonjour, Sienna!“

Mit wachsendem Erstaunen hörte sie zu, wie ihr Chef in höchsten Tönen von ihr schwärmte. Offensichtlich hatte der Palast sie dauerhaft als Montvelattes Privatpilotin angefordert – und das zum dreifachen Satz. Monsieur Rocher hatte sie daraufhin zur Angestellten des Monats ernannt.

„Mais non …“

Doch Monsieur Rocher war so voll des Lobes, dass er sich nicht unterbrechen ließ. Er wünschte ihr alles Gute, dankte ihr für die gute Arbeit und verabschiedete sich hastig, um dann sofort aufzulegen.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Sienna wirbelte herum und sah Sebastiano im Türrahmen stehen. Er wirkte alles andere als hilfsbereit. Rasch legte sie den Hörer auf, wohl wissend, dass sie auf frischer Tat ertappt worden war. „Ich … ich habe gerade mit meinem Chef telefoniert.“

„Das hörte ich. Befindet sich alles zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Man hat mich zur Angestellten des Monats gemacht.“

Er verbeugte sich spöttisch. „Herzlichen Glückwunsch.“

Sienna warf dem weißhaarigen Palastangestellten einen kämpferischen Blick zu. Sein Ton machte deutlich, dass er sie nicht hier haben wollte. Sie konnte beleidigt sein, weil er sie für die Rolle der Fürstin so ungeeignet hielt, oder sie konnte sich diesen Umstand zu Nutze machen.

Langsam schlug sie die Finger ineinander und ging einen Schritt auf ihn zu. „Sebastiano, vielleicht können Sie mir tatsächlich helfen.“

Sebastiano betrachtete sie misstrauisch. „Inwiefern?“

„Sie könnten mir helfen, die Insel zu verlassen.“

Rasch schaute er sich um, ehe er die Tür schloss. „Zu welchem Zweck?“ „Damit Rafe eine passendere Frau heiraten kann.“ Sie sah das Funkeln in seinen Augen, das deutlich machte, wie sehr ihm diese Vorstellung gefiel.

„Aber Sie tragen Fürst Raphaels Kind in sich, oder etwa nicht?“

„Ja, aber er würde immer noch mich heiraten müssen.“

Sein Gesichtsausdruck wirkte zurückhaltend, nachdenklich vielleicht. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Aber wenn Sie noch mehr Anrufe tätigen wollen, sollten Sie vielleicht wissen, dass aus Sicherheitsgründen alle Telefonate aufgezeichnet und überwacht werden.“

Sienna zitterte. Also deshalb war er ihr sofort auf die Schliche gekommen. „Vielen Dank, Sebastiano. Und wenn ich meine Vermieterin anrufen möchte, um mich nach meiner Wohnung zu erkundigen?“

„Das steht Ihnen natürlich frei. Aber Sie werden feststellen, dass die Miete bezahlt wurde und man nach Ihren persönlichen Sachen geschickt hat, um Ihren Aufenthalt hier angenehmer zu gestalten.“

„Vielen Dank“, wiederholte sie und ließ sich von ihm aus dem Zimmer führen. Dabei hatte sie das Gefühl, dass sich die Schlinge um ihren Hals immer fester zuzog.

Am nächsten Morgen lag Sienna unter der von Wein umrankten Pergola der Terrasse und dachte an ihre Mutter, die mit achtzehn schwanger geworden und ganz schnell verheiratet worden war. Sie musste doch sicherlich Zweifel gehegt haben, ganz egal wie sehr sie Siennas Vater zu lieben geglaubt hatte? Ganz sicher hatte sie sich gefragt, ob ihr reiselustiger, leichtsinniger Ehemann sich jemals ändern würde?

„Es ist an der Zeit für deine Ultraschalluntersuchung.“

Rafes Stimme durchbrach ihre Gedankengänge. Als sie zu ihm aufblickte, beschleunigte sich mal wieder ihr Herzschlag. Wie er immer noch diese Wirkung auf sie haben konnte, wo er sie doch gegen ihren Willen gefangen hielt, war ihr ein Rätsel. Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken.

Für ihn mochte sie nicht mehr sein als eine Frau, die sein Kind in sich trug. Eine praktische Lösung für ein Problem, das den Fortbestand des Fürstentums gefährdete, aber ihr war es nicht möglich, die Heirat mit Rafe – einem Fürsten – unter solch nüchternen Aspekten zu betrachten. Doch wenn sie diese Sache wirklich durchziehen sollte, blieb ihr wohl nichts anderes übrig.

Eine merkwürdige Angst beschlich sie. Die Tatsache, dass sie eine Ehe mit Rafe überhaupt in Erwägung zog – wann hatte dieser Sinneswandel stattgefunden? Und noch wichtiger: warum? Für Sienna war es völlig ausgeschlossen, nur eines Kindes wegen zu heiraten, und dennoch betrachtete sie es fast schon als beschlossene Sache.

Was war nur los mit ihr?

Seit drei Tagen hielt Rafe sie jetzt schon auf der Insel gefangen. Gestern war sie von einer endlosen Reihe an Spezialisten, Ernährungsberatern und Physiotherapeuten aufgesucht worden, und sie hatte Carmelina kennengelernt, ihre Kammerzofe, die zukünftig ihre neue Garderobe „managen“ sollte und die ihr jedes Mal ein Outfit herauslegte, das den vielfältigen Tag- und Abendterminen gerecht wurde. Als Sienna protestierte und einwandte, dass sie sich schon seit über zwanzig Jahren selbst um ihre Kleidung kümmere, wandte Rafe ein, dass sie bald Fürstin sein werde und dass niemand von ihr verlangen könne, den Überblick über eine Garderobe vom Umfang eines ganzen Kaufhauses zu haben.

War es da ein Wunder, dass die ganze Aufmerksamkeit, mit der man sie überschüttete, sie benommen machte? Als der Gynäkologe am Vortag ihre Schwangerschaft bestätigt hatte, war die ganze Lawine angerollt, mit der eine Fürstenhochzeit begangen wurde, und diese Lawine schien mit jeder Minute an Fahrt und Stärke zuzulegen.

Dabei musste Sienna sich immer noch an den Gedanken gewöhnen, schwanger zu sein. Am Morgen war ihr schon wieder übel gewesen, auch wenn es sich diesmal eher um eine Art Schwindelgefühl gehandelt hatte – ein Schwindelgefühl, das sich in nichts mit der Übelkeit der ersten Tage vergleichen ließ.

„Sienna?“ Rafe streckte ihr ungeduldig die Hand entgegen. Offensichtlich wollte er endlich den Beweis sehen, dass sie gemeinsam ein Kind gezeugt hatten. „Komm.“

Misstrauisch betrachtete sie seine ausgestreckte Hand. Seit er von ihrer Schwangerschaft wusste, hatte er keinerlei Anstalten gemacht, sie zu berühren. Aus Respekt vor ihrem Zustand? Es würde sie nicht überraschen, wenn er gar keine Notwendigkeit mehr sah, sie anzufassen – schließlich war seine Arbeit bereits erledigt.

Dennoch ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm in den Palast führen, erstaunt darüber wie angenehm sich sein Griff anfühlte und wie viel Wärme er ihr spendete.

Die Radiologin hatte ihre Geräte in einem unbenutzten Raum nicht weit von Siennas Zimmer aufgebaut. Auf diese Weise war ein wahrhaft königliches Schlafzimmer in einen Untersuchungsraum mit dem modernsten medizinischen Equipment verwandelt worden. Sienna blinzelte, so sehr überraschte sie der Anblick. Nie zuvor war sie in der Position gewesen, dass ein Arzt – noch dazu ein Spezialist – sich zu ihr bemühte. Um Diskretion zu gewährleisten, erklärte ihr Rafe, was sie verstehen konnte, obwohl sie sich insgeheim fragte, ob er fürchtete, sie würde zu fliehen versuchen, wenn sie eine Chance bekam, die Inselhauptstadt Velatte zu besuchen.

Ob ich es versucht hätte? überlegte sie, während sie sich gehorsam freimachte. Außerhalb von Montvelatte hätte sie zumindest die Möglichkeit, klar zu denken. Ihre Widerstandskraft bröckelte bereits, ja ihre Entschlossenheit, sich keinesfalls in eine ungewollte Ehe drängen zu lassen, wurde immer schwächer.

Was vollkommen unverständlich war. Sie wusste ganz genau, dass eine Ehe ohne Liebe zum Scheitern verurteilt war – das Beispiel ihrer Eltern hatte sie das gelehrt.

Auch wenn zumindest ihre Mutter die Heirat gewollt hatte.

Sienna war nicht mal gefragt worden.

„Bist du so weit?“

Rafes Stimme holte sie aus ihren Überlegungen heraus, worauf sie sich ein wehmütiges Lächeln gestattete. Bist du so weit? war der Höhepunkt an Romantik, den dieser Heiratsantrag zuließ.

Kurz darauf lag sie auf dem Untersuchungstisch. Beruhigende Stimmen erklärten ihr die Untersuchung, ehe ein kühles Gel auf ihrem Bauch verteilt wurde. Sie spürte den Druck des Ultraschallsensors, mit dem die Radiologin über ihren Bauch strich, und zum ersten Mal wünschte sie sich mit aller Inbrunst, ihr Baby möge gesund sein. Was mit ihr passierte, spielte keine Rolle – damit würde sie irgendwie zurechtkommen.

Aber bitte lieber Gott, lass mein Baby gesund sein!

Die Ärztin schien endlos lange zu brauchen. Während sie auf den Bildschirm starrte, biss sie sich auf die Lippe. Sie sagte etwas auf Italienisch, wozu der Gynäkologe wortlos nickte. Sienna verrenkte den Hals, um ebenfalls etwas zu sehen, doch sie konnte keinen Blick auf den Bildschirm erhaschen. Sowohl die Radiologin, als auch der Gynäkologe und Rafe betrachteten ihn aufmerksam. Sie bemühte sich, sich ein wenig aufzurichten. „Wenn Sie bitte still liegen würden“, ermahnte sie die Frau sofort und legte eine Hand auf Siennas Schulter.

„Was ist los?“, fragte Rafe, der seine Aufmerksamkeit vom Bildschirm ab- und ihr zuwandte.

„Es dauert so lang.“

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
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