Milliardär meines Verlangens

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In vollen Zügen genießt Della das leidenschaftliche Wochenende mit dem attraktiven Marcus Fallon. Doch in den Armen des zärtlichen Milliardärs merkt Della bald, dass ihr Herz viel mehr will. Von einem Leben an Marcus’ Seite darf sie allerdings nicht einmal träumen. Denn ihr dunkles Geheimnis könnte ihrer beider Leben in Gefahr bringen …


  • Erscheinungstag 06.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724634
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es gab nur eine Sache, die Della Hannans dreißigsten Geburtstag noch besser hätte machen können. Und die war nicht einmal eingeplant. Das sollte schon etwas heißen, denn sie hatte die Einzelheiten dieser Feier bereits als kleines Mädchen bis ins kleinste Detail festgelegt. Sie war in einer Umgebung aufgewachsen, in der man sich Dinge wie Geburtstage nicht leisten konnte und daher meist ignorierte. Dinge, wie, na ja … wie Della, zum Beispiel. Und aus genau diesem Grund hatte sie sich schon damals geschworen, ihren großen Tag dereinst gebührend zu feiern. Und zwar allein. Schon als kleines Mädchen hatte sie gewusst, dass sie nur auf sich selbst zählen konnte.

Leider hatten die letzten elf Monate sie in der Hinsicht etwas aus der Bahn geworfen, denn seit sie Geoffrey getroffen hatte, war ihr gar keine andere Wahl geblieben, als auf ihn zu zählen. Aber Geoffrey war heute Abend nicht hier, und sie hatte auch nicht vor, an ihn zu denken oder an irgendetwas, das mit ihm zusammenhing. Der heutige Abend war etwas ganz Besonderes, er gehörte nur ihr. Und er würde genauso wunderbar werden, wie ihn sich ein mittelloses Kind aus einer der härtesten Gegenden New Yorks nur ausmalen konnte.

Damals hatte Della sich geschworen, dass sie dem heruntergekommene Viertel mit dreißig längst entflohen wäre und als Selfmade-Millionärin in einer der Luxusgegenden Manhattans wohnen würde. Außerdem hatte sie sich vorgenommen, ihren runden Geburtstag genauso zu begehen, wie es die Reichen und Berühmten eben taten, fest davon ausgehend, dass sie inzwischen an diese Art von Lebensstil gewöhnt sein würde. Und sie hatte nun keinesfalls vor, davon abzuweichen, auch wenn sie jetzt in Chicago statt in New York feiern musste. Mit einem köstlichen Essen in einem Fünfsternerestaurant würde sie den Abend beginnen. Anschließend hatte sie sich einen Logenplatz in der Oper reserviert, um danach den Abend mit einem Schlummertrunk in einem jener Clubs zu krönen, die nur die Crème de la Crème der Gesellschaft einließen. Zur Feier des Tages trug sie Haute-Couture-Mode im Wert von mehreren Tausend Dollar und glänzenden, kostbaren Schmuck. Die Haare und die Nägel hatte sie sich bei einem Starfriseur machen lassen.

Sie seufzte zufrieden und genoss den ersten Teil ihres Abends. Palumbo’s in der State Street war eins dieser Restaurants, wo die Preise den Etats so mancher kleiner Staaten Konkurrenz machen konnten. Sie hatte selbstverständlich die teuersten Sachen auf der Karte bestellte – vier Gänge, deren französische Namen sie eine ganze Woche lang geübt hatte, um sie auch ja richtig auszusprechen. Zum Glück stand die Speisekarte im Internet, sodass sie sie im Vorwege hatte studieren können. Damit war die Gefahr gebannt, sich als Ignorantin zu outen. Die teuersten Gerichte zu bestellen war schließlich das, was die weltläufigen, schicken und reichen Leute an ihrem Geburtstag machten, oder?

Sie musterte heimlich die übrigen Tische, um sich zu vergewissern, dass auch die anderen Gäste – allesamt weltläufig, schick und reich – sich die teuersten Leckereien munden ließen. Und, okay, okay, auch, um sicherzustellen, dass Geoffrey ihr nicht doch gefolgt war, obwohl sie sich sehr viel Mühe beim Herausschleichen gegeben hatte. So wie immer. Ihr üblicher Anruf bei ihm war ohnehin erst morgen früh wieder dran. Außerdem konnte er gar nicht wissen, wohin sie gegangen war, selbst wenn er merken sollte, dass sie ihm entwischt war. Schließlich hatte sie die Flucht heute Abend noch gründlicher geplant als ihre Geburtstagsfeier.

Della nippte an ihrem Champagner und freute sich auf die Vorspeise. Sie fühlte sich in dem noblen Restaurant nicht fehl am Platz. Sie verkehrte bereits seit Jahren in diesen Kreisen, zumindest an deren Rande. Zwar stammte sie nicht aus einer betuchten Familie, aber sie hatte sich erfolgreich ihren Weg aus der Armut heraus gebahnt und aufmerksam die Sitten und Gebräuche der oberen Zehntausend studiert. Inzwischen bereitete es ihr keine Probleme mehr, sich selbst als Mitglied dieses elitären Zirkels auszugeben.

Der heutige Abend bildete da keine Ausnahme. Ein kleines Vermögen war dafür draufgegangen, sich das rote Samtkleid von Carolina Herrera und die passenden Schuhe von Dolce & Gabbana auszuleihen. Ganz zu schweigen von den Bulgari-Ohrringen, der Kette und dem schwarzen Seidencape von Valentino, das bei diesen eisigen Dezembertemperaturen dringend nötig war. Die Rottöne des Outfits passten gut zu ihren grauen Augen und dem dunkelblonden Haar, das inzwischen so lang war, dass sie es zu einer klassisch eleganten „Banane“ hatte hochstecken lassen können.

Verstohlen prüfte sie, ob noch alles saß, und freute sich darüber, dass ihr Haar jetzt so lang war. Bis Anfang des Jahres hatte sie es eigentlich immer jungenhaft kurz getragen. Inzwischen war sie auch zu ihrer Naturfarbe zurückgekehrt. Damals in der Highschool, in ihrer Grunge-Phase, hatte sie damit begonnen, es schwarz zu färben, und weil es ihr ganz gut gefallen hatte, war sie dabei geblieben. Sie hatte nicht mal gemerkt, dass sich ihr eigener Haarton mit der Zeit zu einem schönen Honigblond gemausert hatte. Niemand aus ihrer alten Gegend würde sie heute Abend wiedererkennen.

Aber an die Vergangenheit wollte sie jetzt nicht denken. Dieser Abend würde perfekt werden – genau so, wie sie es sich vor all den Jahren ausgemalt hatte, in allen Einzelheiten.

Abgesehen vielleicht von dem gut aussehenden, elegant gekleideten Mann, den die Kellnerin gerade an einen nahen Tisch geleitet hatte. Della konnte nicht umhin, ihm verstohlene Blicke zuzuwerfen. Als Kind hatte sie nicht daran gedacht, sich für diesen besonderen Abend einen Begleiter vorzustellen. Warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil sie davon ausgegangen war, dass sie auf sich allein gestellt sein würde. Vielleicht aber auch, weil sie sich als Kind so einen Mann gar nicht hatte ausdenken können. In ihrem schäbigen Viertel galt ein Mann schon als elegant, wenn er sein Hemd zugeknöpft hatte. Und gut aussehend hieß, dass er noch im Besitz all seiner Zähne war.

Plötzlich hob der Mann den Blick und schaute Della direkt in die Augen. Auf einmal schien die Luft zwischen ihnen elektrisch aufgeladen zu sein. Der Mann neigte seinen dunklen Schopf in Dellas Richtung, und ein Mundwinkel hob sich zu der Andeutung eines Lächelns. Della zögerte nur eine Sekunde, bevor sie ihr Glas hob und ihm zuprostete. Er war eine Augenweide! Der maßgeschneiderte Smoking brachte seine athletische Figur bestens zur Geltung. Seine dunklen Augen schimmerten warm im Schein der Kerze, und sein Lächeln ließ einen sinnlichen Schauer über Dellas Rücken rieseln. Denn es verriet ihr, dass er sie mit seinen Augen auszog, und wahrscheinlich gedanklich noch ganz andere Dinge mit ihr vorhatte …

Als sie spürte, dass sie rot wurde, wandte sie hastig den Blick ab. Nachdem sie sich mit einem Schluck Champagner gestärkt hatte, versuchte sie, sich auf etwas anderes zu konzentrieren – die gestärkte weiße Tischdecke, das funkelnde Besteck. Doch unvermeidlich wanderte ihr Blick wieder zurück zu dem Mann ihr gegenüber.

Der sah sie immer noch mit deutlichem Interesse an.

„Also, was denken Sie?“, fragte er.

Della blinzelte überrascht und spürte ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Tausend mögliche Antworten schossen ihr durch den Kopf. Ich denke, Sie sind der attraktivste Mann, dem ich je begegnet bin, zum Beispiel. Oder: Was machen Sie Silvester? Auch ein lässiges Hallo, Fremder oder ein atemloses Ooooh, Baby! wären durchaus angebracht.

„Zum Essen“, fügte er hinzu und hielt die Speisekarte hoch. „Was können Sie empfehlen?“

Ach, das wollte er wissen? Zum Glück war sie zu verblüfft gewesen, um zu antworten.

„Hm, ich weiß nicht so genau“, sagte sie. „Ich bin zum ersten Mal hier.“ Irgendwie vermutete sie, dass sie ihm nicht raten konnte, das zu bestellen, was am teuersten war, um weltläufig, schick und reich zu erscheinen. Er war all das allein schon durch die Tatsache, dass er existierte.

Ihre Antwort schien ihn zu überraschen. „Aber wie kann das angehen? Palumbo’s ist seit fast hundert Jahren eine Institution in Chicago. Sind Sie nicht von hier?“

Auf keinen Fall würde Della diese Frage beantworten. Vor allem deshalb, weil niemand außer Geoffrey wusste, dass sie in Chicago war. Und da der sie so gut wie nie aus den Augen ließ, könnte eine unbedachte Äußerung sie in große Schwierigkeiten bringen. Und das würde sie nicht riskieren, selbst wenn sie ihm für den Moment entwischt war.

Also würde – und konnte – sie diesem Mann nichts sagen. Entweder musste sie lügen … aber das tat sie niemals. Obwohl die Wahrheit sie schon mehr als einmal in Bedrängnis gebracht hatte, was man zum Beispiel daran sehen konnte, dass sie derzeit gezwungen war, sich auf Geoffrey zu verlassen. Oder aber sie würde eine unverbindliche Antwort geben, die zu genau der Art von Small Talk führte, der Della dazu verleiten könnte, über ihre Vergangenheit zu reden. Oder, noch schlimmer, über ihre Gegenwart. Und von beidem wollte sie heute Abend so weit wie möglich entfernt sein, um sich nicht ihre Freude an den schönen Dingen – dem eleganten Kleid, dem Schmuck und dem Logenplatz in der Oper – verderben zu lassen.

Also ging sie lieber auf seine erste Frage ein. „Ich habe das Spezialmenü bestellt. Ich liebe Meeresfrüchte.“

Er schwieg einen Moment, und Della fragte sich, ob er über ihre Antwort nachgrübelte oder darüber, dass sie seine zweite Frage ignoriert hatte. Schließlich sagte er: „Ich werde es mir merken.“

Was aus irgendeinem Grund jedoch eher so klang, als wollte er sich merken, dass sie gerne Meeresfrüchte aß, und nicht, dass sie ihm dieses Gericht empfohlen hatte.

Er wollte gerade etwas hinzufügen, als der Kellner ihm einen Drink servierte und auf den Platz daneben einen bunten Cocktail stellte.

Oh, er erwartete also noch jemanden. Eine Frau, der Farbe des Drinks nach zu urteilen. Dieser Typ erdreistete sich, ihr feurige Blicke zuzuwerfen und mit ihr zu flirten, obwohl sich gleich eine Frau zu ihm gesellen würde? Was für eine unglaubliche Unverfrorenheit.

Ihre Geburtstagsfeier würde wohl doch nicht ganz so perfekt verlaufen wie geplant, schon, weil sie neben diesem Schuft sitzen musste. Okay, okay – vielleicht lag es nicht nur an dem Schuft. Vielleicht lag es nicht einmal daran, dass ihre Kleidung und ihr Schmuck nur geliehen waren.

Vielleicht, ganz vielleicht, lag es in Wahrheit daran, dass sie nicht das Leben einer Millionärin führte, ja, dass sie nicht einmal über ihr Leben bestimmen konnte. Im Moment wurde alles, was sie tat, wohin sie ging, jedes Wort, das sie sprach, von Geoffrey kontrolliert. Genau genommen würde ihr Leben niemals wieder ganz normal sein. Oder zumindest würde es niemals mehr das Leben sein, das sie sich aufgebaut hatte oder das sie geplant hatte.

Rasch verdrängte sie diesen Gedanken. Nicht heute Abend, ermahnte sie sich und fragte sich gleichzeitig, warum es ihr so schwerfiel, das alles zu vergessen. Schließlich wollte sie heute Abend gar nicht Della sein, sondern in die Rolle jener Frau schlüpfen, die sie sich vor zwei Jahrzehnten und Tausende von Meilen entfernt ausgemalt hatte: CinderDella, die gefeierte Ballkönigin. Durch nichts und niemanden würde sie sich diesen Abend verderben lassen. Schon gar nicht von dem wenig charmanten Prinzen da drüben, der sie noch immer mit Schlafzimmerblick ansah, während er auf seine bedauernswerte Freundin wartete.

Wie aufs Stichwort geleitete der Oberkellner eine ausgelassene Gruppe von vier Leuten an den Tisch zwischen ihnen, sodass sie den Mann nicht mehr sehen konnte. Della war froh darüber und nicht etwa enttäuscht, auch wenn es sich seltsamerweise so anfühlte.

Na ja, selbst wenn er ein Schuft war, blieb er immer noch der schönste Mann, den sie je gesehen hatte.

Und sie sah ihn schon anderthalb Stunden später wieder, als sie in der Oper nach ihrem Sitzplatz suchte. Ein Angestellter zeigte zu einer Loge, die einen fantastischen Blick auf die Bühne bot – und wo bereits ihr gut aussehender Fremder saß. Allein, wie im Restaurant.

Es war Della nämlich nicht entgangen, dass seine Begleiterin dort nicht aufgetaucht war. Nicht, dass sie darauf geachtet hatte, nein, es war ihr einfach zufällig beim Rausgehen aufgefallen. Ob die Frau irgendwo aufgehalten worden war und daher nicht zum Rendezvous hatte kommen können oder ob sie den Kerl einfach rechtzeitig durchschaut hatte, konnte Della natürlich nicht sagen.

Es war ihr auch egal. Hey, sie hatte es ja kaum bemerkt. Falls sie das noch nicht erwähnt haben sollte.

Als sie jetzt zu ihrem Platz ging, stellte sie auch nur ganz nebenbei fest, dass der Mann nicht nur in „ihrer“ Loge saß, sondern auch in derselben Reihe – eine sehr kleine Reihe mit nur drei Stühlen. Auf einem davon hatte er ein Programm und eine langstielige Rose abgelegt, so als würde der Platz gleich noch belegt werden. Also war seine Begleiterin doch nur aufgehalten worden und würde gleich zu ihm stoßen.

Bei der Aussicht, dem Mann so nahe zu sein, begannen in Dellas Bauch Schmetterlinge zu flattern. Nachdem sie sich einmal an ihm vorbei zu ihrem Platz gedrängt hatte, würde sie ihm nicht mehr entkommen können – es sei denn, sie wollte einen waghalsigen Stunt abziehen und sich an einem der Kronleuchter ins Parkett abseilen.

Sie atmete noch einmal tief durch, um sich zu wappnen, und ging hinüber. Er hob den Kopf und begann zu strahlen, als er sie erkannte. Ihr wurde ganz heiß, ihr Verstand setzte aus und das Entschuldigung, das sie eigentlich hatte sagen wollen, kam ihr nicht über die Lippen.

Er murmelte eine Begrüßung, als er aufstand, doch sie hörte es kaum, weil sie kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen. Nicht nur, dass er köstlich roch – würzig und frisch – er war auch noch um einiges größer, als sie gedacht hatte, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen schauen zu können. Das war ungewohnt für sie, da sie inklusive High Heels fast einen Meter achtzig maß. Selbst ohne hohe Absätze war sie in der Regel mit den meisten Menschen auf Augenhöhe. Jetzt hatte sie jedoch nur ein paar – imponierend breite – Schultern vor Augen.

Es war aber vor allem sein Gesicht, das sie in ihren Bann zog. Die Kinnpartie verriet Stärke, die Nase war gerade und die Wangenknochen wirkten wie aus Marmor gemeißelt. Und seine Augen … oh, seine Augen! Sie hatten die Farbe von dunkler, bittersüßer Schokolade, und Della konnte den Blick nicht von ihnen losreißen. Ihr wurde bewusst, dass es weder die Tiefe noch die Farbe der Augen war, die sie so fesselte. Es war der Schatten darin, der in so krassem Gegensatz zu seinem strahlenden Lächeln stand. Eine Düsterkeit, vielleicht sogar Traurigkeit, die unverkennbar war.

In dem Moment, als ihr das klar wurde, wandte er den Blick ab, so als wollte er nicht, dass sie zu tief in ihn hineinsah.

„Da wären wir ja wieder beieinander“, sagte er und lachte.

Der Humor in seiner Stimme überraschte sie, war doch eben noch ein Schatten über sein Gesicht gehuscht. Aber sie konnte gar nicht anders, sie erwiderte sein Lächeln. „Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, oder?“

„Ich dachte eigentlich an ein anderes Wort.“

„Ach ja?“

„Glücklich“, sagte er. „Ich finde, es ist ein glücklicher Zufall.“

Da Della nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, hielt sie ihre Karte hoch und deutete auf ihren Platz, nicht ohne den mittleren Sitz mit der Rose bedeutungsvoll anzuschauen. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht? Ich sitze auch in dieser Reihe.“

Einen Moment lang schaute er sie einfach nur an, ohne dass seine Augen verrieten, was wohl in seinem Kopf vor sich gehen mochte. Erst dann trat er zur Seite, um sie durchzulassen. „Natürlich nicht.“

Hastig setzte Della sich und schlug das Programm auf, bevor er sie womöglich noch in eine Unterhaltung verwickelte.

Doch er verstand den Wink offenbar nicht, sondern fragte, als er sich wieder setzte: „Wie war Ihr Essen?“

Ohne aufzuschauen, antwortete Della: „Köstlich.“

Auch ihre einsilbige Antwort entmutigte ihn nicht. „Ich habe mich für den Fasan entschieden, der ebenfalls ausgesprochen lecker war.“

Als Della nur schweigend nickte, ohne vom Programmheft aufzuschauen, fügte er hinzu: „Sie sollten ihn probieren, wenn Sie das nächste Mal im Palumbo’s sind. Ich kann ihn nur wärmstens empfehlen.“

Er war neugierig und wollte wohl herausfinden, ob sie in Chicago wohnte. Vermutlich versuchte er auszuloten, ob die Möglichkeit bestand, dass sie sich erneut zufällig oder absichtlich irgendwo begegneten. Trotz der langstieligen Rose und der mysteriösen Frau.

„Ich werde es mir merken“, murmelte sie und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Programm.

Noch immer ließ er sich nicht abwimmeln. „Ich treffe nicht oft Menschen in meinem Alter, die sich für Opern interessieren. Und die wenigsten schauen sie sich live an. Oder gönnen sich gar einen Logenplatz. Sie müssen die Oper wirklich lieben.“

Della seufzte innerlich und verfluchte ihn. Er hatte ihren schwachen Punkt gefunden. Einer Unterhaltung über ihr Lieblingsthema konnte sie einfach nicht widerstehen.

„Sie haben recht, ich liebe Opern“, erwiderte sie, ließ das Programm sinken und wandte sich ihm zu.

Sie konnte ihm vom Gesicht ablesen, dass er ein ebenso begeisterter Operngänger war wie sie. Seine Begeisterung vertrieb sogar die Schatten aus seinen Augen, Augen, die, wie Della jetzt erkannte, nicht einfach nur braun waren. Kleine goldene Punkte bildeten einen Kranz um die Iris, wodurch sein Blick noch facettenreicher wirkte und sie noch mehr in den Bann zog.

„Schon als kleines Mädchen habe ich Opern geliebt“, erzählte sie ihm. „Unsere Nachbarin war ein großer Fan und hat mir die klassische Musik nahegebracht.“ Sie fügte nicht hinzu, dass das nur daran lag, dass sie Mrs. Klostermans Radio durch die dünnen Wände ihrer Behausung hatte hören können. Della hatte an jedem Wort gehangen, das der Kommentator zu den Opern zu sagen hatte. „Das erste Mal, als ich eine Opernaufführung gesehen habe“, fuhr sie fort, ohne zu erwähnen, dass es eine Fernsehsendung gewesen war, „war ich wie verzaubert.“

Gern hätte sie Musik studiert und sich auf Opern spezialisiert. Doch sie hatte sich das College nicht leisten können und daher direkt nach der Highschool angefangen, als Mädchen für alles in einer der angesehensten Brokerfirmen an der Wall Street zu arbeiten. Sie war dort die Erfolgsleiter hinaufgekrabbelt und schließlich Assistentin der Geschäftsleitung geworden. Da war keine Zeit gewesen, ihre Hochschulreife nachzuholen. Sie konnte von ihrem Gehalt gut leben – auf jeden Fall besser, als sie sich früher je hatte vorstellen können – und sie war glücklich mit ihrem Leben gewesen. Jedenfalls, bis es zu einem Scherbenhaufen geworden war und sie nur noch Geoffrey gehabt hatte und seinen mehr als zweifelhaften Schutz – für den sie zudem einen hohen Preis hatte zahlen müssen.

Wie aufs Stichwort begann das Orchester, die Instrumente zu stimmen, und die Lichter erloschen. Della konnte nicht widerstehen und warf noch einen Blick auf ihren Sitznachbarn, doch als sie sah, dass auch er zu ihr hinüberschaute – über den noch immer unbesetzten Platz zwischen ihnen hinweg – wandte sie ihre Aufmerksamkeit schnell der Bühne zu.

Danach ließ sie sich in die Welt von La Bohème entführen, und als die Lichter zur Pause wieder angingen, fiel es ihr schwer, in die Realität zurückzufinden. Sie blinzelte ein paarmal und schaute dann, ehe sie darüber nachdenken konnte, zu ihrem Logen-Nachbarn, der sie auf die gleiche Weise betrachtete wie schon vorhin. So, als hätte er die ganze Zeit nichts anderes getan.

Wieder verspürte Della so ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch und schaute schnell auf die anderen Zuschauer. Die in edle Roben gehüllten und mit glitzerndem Schmuck behängten Frauen boten in der Tat einen sehenswerten Anblick. Della beobachtete, wie viele sich bei ihren Männern einhakten, wie die Männer liebevoll die Köpfe neigten, wie sie gemeinsam lachten oder sich unterhielten.

Einen Augenblick lang bedauerte Della, dass das alles nicht ewig währen konnte. Wäre es nicht schön, wenn man Abende wie diesen genießen konnte, wann immer man wollte, ohne Gedanken an die Kosten verschwenden zu müssen? Ohne Angst zu haben, an einem Ort gesehen zu werden, an dem man nicht sein durfte? Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal ausgegangen war. So etwas wie das hier heute Abend hatte sie sowieso noch nie erlebt. Geoffrey hielt sie eingesperrt, sie fühlte sich wie Rapunzel. Sie verbrachte ihre Zeit mit Lesen, Filme anschauen und an Wände starren. Obwohl das Haus, in dem er sie untergebracht hatte, keine Gitter vor den Fenstern hatte und auch recht gemütlich war, kam Della sich wie eine Gefangene vor. Verflixt, sie war eine Gefangene. Und das würde sie solange sein, bis Geoffrey ihr erlaubte zu gehen.

Aber selbst diese Vorstellung tröstete sie nicht, denn sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte oder was sie anstellen würde, wenn Geoffrey entschied, dass sie nicht mehr gebraucht wurde. Sie würde wieder bei null anfangen müssen. So wie damals, als sie aus dem Elend ihrer Kindheit geflohen war.

Ein Grund mehr, den heutigen Abend ausgiebig zu genießen. Wer wusste schon, was die Zukunft bereithielt?

„Und? Wie finden Sie es bis jetzt?“

Sie drehte sich um, als sie die tiefe, samtweiche Stimme neben sich hörte, und ihr Puls beschleunigte sich, als sie sah, mit welch feurigem Blick ihr Sitznachbar sie betrachtete. Verdammt, wieso hatte sie sich nicht unter Kontrolle? Erstens war der Kerl ein Schuft, flirtete mit einer fremden Frau, während er eigentlich mit einer anderen ausgehen wollte, und zweitens spielte er definitiv in einer Liga weit über ihr.

„Ich muss zugeben, dass La Bohème nicht unbedingt meine Lieblingsoper ist“, entgegnete sie. „Es gibt aufregendere Werke. Aber trotzdem genieße ich es sehr.“

Das könnte natürlich an der Gesellschaft in ihrer Loge liegen. Aber das brauchte sie ihm ja nicht zu erzählen. Und sie brauchte es sich auch nicht unbedingt einzugestehen.

„Und Sie?“, fragte sie. „Wie lautet Ihr Urteil?“

„Ich habe die Oper schon viel zu oft gesehen, um noch objektiv zu sein. Aber ich stimme mit Ihnen überein, es gibt interessantere Werke.“

Er lächelte, und dann herrschte einen Moment lang Schweigen, weil beide nicht wussten, was sie als Nächstes sagen sollten. Nach ein paar unbehaglichen Sekunden sagte Della: „Wenn Sie La Bohème schon so oft gesehen haben und das Stück nicht einmal besonders mögen, warum sind Sie dann heute hier?“

Er zuckte mit den Schultern, doch die Geste war alles andere als gleichgültig, und wieder huschte ein Schatten über sein Gesicht. „Ich habe die Plätze abonniert.“

Plätze registrierte sie. Nicht nur einen Platz. Also „gehörte“ ihm der Platz zwischen ihnen tatsächlich, und er hatte heute noch jemanden erwartet. Jemanden, der ihn vermutlich all die anderen Male während der Spielzeit begleitete. Eine Ehefrau vielleicht?

Hastig schaute Della auf seine Hand, doch er trug keinen Ring. Was nicht unbedingt etwas heißen musste – viele Männer trugen heutzutage keinen Ring mehr. Della überlegte, wer ihn wohl sonst begleitete, und warum sie heute nicht hier war. Sie wartete einen Moment, ob er etwas zu dem mysteriösen leeren Platz sagen würde. Etwas, das die kühlere Atmosphäre, die auf einmal zwischen ihnen herrschte, erklären würde. Denn sie spürte, dass der leere Stuhl dafür verantwortlich war.

Stattdessen schüttelte er die Laus, die ihm ganz offensichtlich über die Leber gelaufen war, wieder ab und fügte hinzu: „Deshalb weiß ich ja auch, dass Sie normalerweise nicht hierherkommen. Jedenfalls nicht zur Premiere und nicht auf diesen Platz hier.“ Er lächelte wieder, und die Temperatur im Raum schien deutlich zu steigen. „Das hätte ich bemerkt.“

Della bemühte sich, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren. „Ich bin heute zum ersten Mal hier“, gestand sie.

Nachdenklich schaute er sie an. „Das erste Mal im Palumbo’s. Das erste Mal in der Oper. Also sind Sie erst kürzlich nach Chicago gezogen?“

Glücklicherweise wurde sie einer Antwort enthoben, denn er wurde von einem Pärchen aus der Nebenloge angesprochen. Sie redeten ihn mit Marcus an – immerhin kannte Della jetzt seinen Vornamen. Während der gesamten Pause unterhielten sich mit ihm, und erst als es klingelte und das Paar zu seinen Plätzen zurückgekehrt war, wandte er – Marcus – sich wieder an Della.

„Können Sie von Ihrem Platz aus gut sehen?“, fragte er. Er klopfte auf den Sitz neben sich, auf dem immer noch das ungeöffnete Programm und die Rose lagen. „Von hier haben Sie vielleicht einen besseren Blick.“

Obwohl das ganz gewiss nicht so war, stellte Della überrascht fest, dass sie sein Angebot nur allzu gern angenommen hätte. Wer auch immer sonst dort saß, kam heute Abend nicht. Und das störte ihn offenbar nicht so sehr, wie es einen Mann stören sollte, der in einer romantischen Beziehung steckte. Also handelte es sich vielleicht trotz der roten Rose gar nicht um eine romantische Beziehung.

Vielleicht war er aber auch ein unverbesserlicher Schürzenjäger, mit dem sie besser nichts anderes anstellen sollte, als ein bisschen über Opern zu plaudern. Vielleicht sollte sie diese Begegnung einfach nur als schönen, flüchtigen Moment verbuchen und später in ihrer Erinnerung zu all den anderen schönen, flüchtigen Momenten dieses Abends hinzufügen.

„Vielen Dank, aber der Platz hier ist ausgezeichnet“, antwortete sie.

Und das stimmt auch, redete sie sich ein. Für jetzt. Für heute Abend.

Aber leider nicht für immer.

Autor

Elizabeth Bevarly
<p>Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam. Sie...
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