Millionenspiel um Glück und Liebe

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Kelli wird ganz warm ums Herz: So sanft wiegt ihr Chef Sam ihre Tochter in den Schlaf. Aber wie soll die junge Mutter so die Gameshow gewinnen, bei der sie mit dem Kaufhausboss für einen Monat die Rollen getauscht hat? Denn eine Regel heißt: Wer sich verliebt, verliert...


  • Erscheinungstag 11.01.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787721
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Kelli Walters kam schon wieder zu spät zur Arbeit, diesmal eine halbe Stunde. Sie balancierte das quengelnde Baby auf ihrer Hüfte, während sie ihre Karte in die Stechuhr im Zentrallager der Danbury-Kaufhauskette steckte. Um alles noch schlimmer zu machen, erschien sie zu ihrer Schicht mit zwei Kindern im Schlepptau, von denen eines äußerst gereizt war und außerdem leicht fieberte, weil es zahnte.

„Denk daran, Katie, du musst Chloe bei dir im Pausenraum behalten“, schärfte sie ihrer Siebenjährigen ein. „Ihr beide dürft euch nicht sehen lassen, bis Mrs Baker euch abholt.“

Dieser Plan ging nicht auf, als Kelli um die Ecke bog und mit einem Mann zusammenstieß. Sie prallte zurück und lächelte entschuldigend.

Sie kannte diesen Mann zwar nicht namentlich, doch sie hatte vorige Woche gesehen, wie er mit einem der Abteilungsleiter durchs Lager gegangen war. Es hatte sie verblüfft, dass sie sich sofort zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Sie hatte sich dafür geschämt, aber nichtsdestotrotz sein Lächeln erwidert.

Und nun stand er vor ihr. Nur dass er diesmal nicht lächelte.

„Verzeihung“, bat sie.

Er beantwortete ihre Entschuldigung mit einem knappen Nicken. „Was haben die Kinder hier zu suchen?“

Beim groben Tonfall des Mannes versteckte Katie sich hinter ihrer Mutter, und Chloe wimmerte noch lauter. „Schon gut, Schätzchen. Nicht weinen.“ Kelli blickte den Mann an. „Wer sind Sie eigentlich?“

„Sam Maxwell.“

Der Name klang vertraut, allerdings konnte sie ihn nicht einordnen.

„Ah, der Neue.“ Sie war ziemlich sicher, dass er der neue Lagermanager war – eine Position, um die sie sich beworben und für die sie nicht einmal die Chance zu einem Vorstellungsgespräch bekommen hatte.

Gerüchten zufolge war dieser Typ irgendwie mit dem Personalleiter verwandt, obwohl er eigentlich nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem untersetzten, kahlköpfigen Mr Elliott aufwies. Nein, er war stattlich, mindestens eins fünfundachtzig, hatte volles schwarzes Haar und blaue Augen.

Er dürfte ziemlich von sich überzeugt sein, überlegte sie und betrachtete seinen maßgeschneiderten Anzug. Jeans und Polohemd wären im Lager eher angemessen gewesen. Der Anzug wirkte übertrieben – und trug außerdem die Spuren einer laufenden Kindernase über dem tadellos gefalteten Seidentuch, das aus der Brusttasche lugte.

Geschieht ihm recht, dachte sie schadenfroh.

„Der Neue“, wiederholte er stirnrunzelnd. „Ja, ich schätze, ich bin der Neue.“

Manager oder nicht, attraktiv oder nicht, er durfte ihre Kinder nicht verschrecken. „Nun, Mr Maxwell, war es wirklich nötig, so zu schreien?“ Kelli deutete auf Chloe, die noch immer leise weinte.

Seine Miene wurde abweisend. Er war es eindeutig nicht gewöhnt, getadelt zu werden, insbesondere nicht von jemandem, der in der Firmenhierarchie so weit unter ihm rangierte. Dennoch senkte er die Stimme. „Ich habe Sie etwas gefragt. Was haben die Kinder hier zu suchen?“

Er gehörte also zu diesen Managern, zu den überheblichen, engstirnigen, die den Regeln bis aufs i-Tüpfelchen folgten. Für solche Chefs waren Angestellte keine Menschen mit Familien und Problemen. Nein. Für sie waren sie Automaten, die einen Job zu erledigen hatten, und zwar ohne Fragen zu stellen oder Beschwerden zu äußern.

Ein Jammer, dass sein gutes Aussehen sich nicht auf seine Persönlichkeit erstreckt, dachte Kelli unwillkürlich. Rasch verdrängte sie diesen Gedanken und verleugnete die spontane Anziehungskraft, die sie vor einer Woche bei einem flüchtigen Blick auf ihn empfunden hatte. Ihre Mädchen kamen zuerst. Sie kamen immer zuerst.

„Es sind meine Kinder. Mein Babysitter hat heute Morgen einen Arzttermin. Sie wird bald hier sein, um sie abzuholen.“

„Bald? Dies ist eine Firma und keine Tagesstätte.“

Sie seufzte genervt. Als ob ihr das entgangen wäre. Kelli wusste nicht, warum sie von ihm erwartet hatte, er könnte verstehen oder nachempfinden, wie beschwerlich das Leben einer alleinerziehenden Mutter selbst an guten Tagen sein konnte. An Tagen wie diesem war die Versuchung schier übermächtig, sich hinzusetzen und zusammen mit ihrem kränkelnden Baby zu weinen.

Chloe hatte sie den größten Teil der Nacht wach gehalten. Sie zahnte und hatte nicht allein sein wollen. Dass Chicago von einer Hitzewelle heimgesucht wurde und Kellis Apartment im vierten Stock aufgeheizt wie ein Backofen war, machte es nicht leichter. Die beiden Ventilatoren wirbelten lediglich die heiße Luft in den kleinen Zimmern auf, ohne sie abzukühlen. Der Anruf des Babysitters am Morgen hatte Kelli dann den Rest gegeben. Sie hätte ihre Seele verkauft, um eine Stunde in einem klimatisierten Raum schlafen zu dürfen. Stattdessen lagen acht Stunden Plackerei vor ihr, dann eine Stunde daheim, bevor sie zur Abendschule aufbrechen musste. Mit ein bisschen Glück würde sie gegen Mitternacht ins Bett fallen – vorausgesetzt, sie ignorierte das schmutzige Geschirr in der Spüle und die Wäscheberge, die sich in der Kammer türmten.

„Mir ist klar, dass dies keine Tagesstätte ist“, erwiderte sie so ruhig wie möglich. „Aber ich habe sonst niemanden erreicht. Mein Aushilfsbabysitter ist für ein paar Tage verreist.“

„Ihre persönlichen Probleme sind momentan noch Ihre Sache. Sie könnten allerdings zu Danburys Problemen werden, falls eines Ihrer Kinder verletzt wird.“ Er wies auf die gestapelten Warenpaletten. „Dies ist kein Ort, an dem Kinder frei herumtoben dürfen.“

„Herumtoben?“ Sie atmete tief durch. Diesen Mann hatte sie neulich angelächelt? Ein Beweis mehr, wie getrübt ihr Urteilsvermögen war, was Männer betraf. „Ich verspreche, sie nicht von der Leine zu lassen.“

„Und wie wollen Sie dabei Ihren Job erledigen?“ Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. „Sie können es nicht. Melden Sie sich ab, und gehen Sie nach Hause.“

„Abmelden und … Bin ich gefeuert?“

„Nein, aber es gibt einen Vermerk in Ihrer Personalakte. Und nun bin ich an der Reihe zu fragen, wer Sie sind.“

Der arrogante Snob war also entschlossen, seinen Ruf auf ihre Kosten aufzupolieren! „Kelli Walters“, antwortete sie. „Kelli mit i.“

„Nun, Kelli Walters, betrachten Sie es als Warnung. Falls Sie Ihre Kinder noch einmal mit zur Arbeit bringen, können Sie sich endgültig abmelden.“

Sie blickte ihm noch immer fassungslos hinterher, als ihr jemand zuraunte: „Wie ich sehe, hast du dich bereits mit Mr Maxwell angefreundet.“

Kelli wandte sich zu ihrer Kollegin Arlene Hughes um. Arlene war zwanzig Jahre älter als sie mit ihren achtundzwanzig, hatte feuerrotes Haar und auffallend geschminkte Lippen. Trotz des Altersunterschiedes hatten die beiden Frauen sich rasch angefreundet, nachdem Kelli kurz nach Chloes Geburt im Lager angefangen hatte.

„Mr Mitgefühl? Oh ja, es wird sicher viel Spaß machen, für ihn zu arbeiten. Verglichen mit ihm wirkte der letzte Abteilungsleiter warmherzig und zerstreut.“

„Er ist nicht der neue Lagermanager.“

Kelli traute ihren Ohren kaum. „Wer ist er dann?“

„Samuel Maxwell. Ich glaube, es kommt eine Drei hinter seinem Namen. Er ist der neue Geschäftsführer von Danbury.“

Kelli schloss die Augen. Falls sie je gehofft hatte, die Karriereleiter bei Danbury hinaufzuklettern, wenn sie ihr Wirtschaftsstudium abgeschlossen hatte – angenommen, dies geschah irgendwann, bevor sie Stützstrümpfe und eine Gehhilfe brauchte –, war dies nicht der richtige Weg gewesen.

„Ist er wichtig, Mom?“, fragte Katie.

„Oh ja, Katie. Er ist wirklich wichtig.“

„Ich mag ihn nicht“, verkündete ihre Tochter. „Er schreit. Und er hat Chloe zum Weinen gebracht.“

„Ich könnte auch weinen“, meinte Kelli leise.

Sie atmete heftig aus und pustete ihren überlangen Pony durcheinander. Sie brauchte dringend einen neuen Haarschnitt und vielleicht eine Tönung, um das schlichte Blond aufzupeppen, aber für so frivole Eskapaden hatte sie weder die Zeit noch das Geld. Und das schien die Geschichte ihres Lebens zu sein. Egal, wie hart sie auch arbeitete, sie schien nie voranzukommen. Sie fühlte sich wie ein Hamster im Laufrad – nur dass ein Hamster tagsüber schlafen durfte.

Ärger und Frust drohten sie zu überwältigen. Leute wie Samuel Maxwell der Dritte, der wahrscheinlich mit einem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen war, würden nie begreifen, wie es war, wenn man Opfer brachte, knauserte und verzichtete, um am Ende doch von Gläubigern bedrängt zu werden.

„Ich wette, dieser Mann trinkt teuerstes Mineralwasser, kauft Designerunterwäsche und lässt sich einmal wöchentlich die Nägel maniküren. Er würde nicht eine Stunde aushalten, was wir tagtäglich tun. Er könnte sich ja die Hände schmutzig machen. Oder seine Kleidung.“ Sie lachte leise. „Warte nur, bis er merkt, dass er Babysabber auf seinem kostbaren Anzug hat.“

Arlene lachte so schallend, dass das Danbury-Logo auf ihrem T-Shirt ins Tanzen geriet. „Aber er sieht unverschämt gut aus. Mit dem dunklen Haar und den blauen Augen erinnert er mich an Pierce Brosnan. Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich ihn nicht wegschicken.“

„Wenn du zehn Jahre jünger wärst, und wie das Playmate des Jahres gebaut, würde er dich trotzdem nicht wahrnehmen. Typen wie er verabreden sich mit humorlosen Frauen mit Namen wie Muffy oder Babs. Er ist so hochnäsig, dass er uns niedere Arbeitsameisen keines Blickes würdigt. Wäre ich nicht auf diesen Job angewiesen, würde ich ihm einen ordentlichen Dämpfer verpassen.“

„Weißt du, was du tun solltest?“ Ehe Kelli antworten konnte, fuhr Arlene fort: „Du solltest dich bei ‚Rollentausch‘ melden, dieser neuen Reality-Show.“

Kelli sah nur selten fern. Ihr fehlte einfach die Zeit dazu. „Noch nie davon gehört.“

Arlene schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich weiß, du studierst an drei Abenden in der Woche, aber was tust du zur Entspannung?“

„Ich schlafe“, erwiderte Kelli trocken.

„Das ist deprimierend, Kleines. Du bist jung. Du stehst in der Blüte deines Lebens. Du hast eine tolle Figur und ein hübsches Gesicht. Du solltest mehr unter die Leute gehen. Dich verabreden. Dich ein bisschen ausleben.“

„Ich trage zu viel Verantwortung, um mich ‚auszuleben‘, und an Verabredungen bin ich nicht interessiert.“ Sie erinnerte sich an das Lächeln, das sie Sam Maxwell bei ihrer ersten Begegnung geschenkt hatte, und fühlte sich in ihrem Entschluss bestärkt. „Ich brauche keinen Mann in meinem Leben.“

Arlene seufzte. Sie wusste, bei diesem Thema war Widerspruch sinnlos. „Okay, dann melde dich beim Kabel-TV an, oder beschaff dir eine Antenne, damit du wenigstens beim Fernsehen den Alltag vergessen kannst.“

„Ich kann mir die Kabelgebühren nicht leisten, und außerdem funktioniert der Fernseher auch mit unserem alten Videorekorder. Auf diese Weise können die Mädchen nur die Videos sehen, die wir in der Bibliothek ausleihen.“

„Bei ‚Rollentausch‘ könntest du eine halbe Million Dollar gewinnen. Das reicht für eine Menge Videos.“

„Ja. Ich könnte sogar zehnmal so viel gewinnen, wenn ich bei der Lotterie mitmachen würde, und da stehen die Chancen vermutlich noch besser.“ Kelli schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich verdiene mein Geld lieber auf altmodische Weise, und zwar durch harte Arbeit.“

„Du könntest es auch bei ‚Rollentausch‘ verdienen“, wandte Arlene ein. „Falls Samuel Maxwell auch einwilligen würde, bei der Show mitzumachen, wärst du einen Monat lang Geschäftsführerin von Danbury.“

Kelli sah sie ungläubig an. „Unsinn.“

„Ich meine es ernst. Warum, denkst du wohl, heißt die Reihe ‚Rollentausch‘?“

„Und er würde hier im Lager einen Monat lang meinen Job erledigen?“ Als Arlene nickte, lachte Kelli laut auf. Mit einem Blick auf ihre schwieligen Hände fügte sie dann hinzu: „Um das zu sehen, würde ich sogar fast etwas bezahlen.“

„Ihr tauscht nicht nur die Jobs, sondern auch euer Leben. Er würde in deinem Apartment wohnen, die Abendschule besuchen und mit deinem Budget auskommen müssen.“

„Er müsste in meiner unklimatisierten Wohnung leben, Cheeseburger essen, Berge von schmutzigem Geschirr abwaschen und sich mit verstopften Abflüssen herumplagen, während ich einen ganzen Monat im Luxus verbringe? Klingt traumhaft.“

Chloe begann zu weinen, und der Traum hatte ein Ende.

„Also, was meinst du? Willst du es machen?“, fragte Arlene.

„Oh ja, natürlich. Melde mich an.“

Arlene räusperte sich. „Ich bin froh, dass du so denkst, weil ich es nämlich schon getan habe.“

„Du hast was getan?“

„Ich habe dich für ‚Rollentausch‘ angemeldet“, gestand Arlene, während Kelli Chloe auf der Hüfte hin und her wiegte. „Ich bin auf die Website des Senders gegangen und habe deinen Namen und deine Daten eingetippt.“

„Wann? Warum?“

„Vor ein paar Wochen. Gleich nachdem du dich um den Abteilungsleiterposten beworben und nicht einmal einen Vorstellungstermin bekommen hast.“

„Und deshalb soll ich landesweit im Fernsehen auftreten und den Häuptlingen von Danbury zeigen, was ich kann?“

„So ungefähr.“ Arlene zuckte die Schultern. „Aber falls du nicht daran interessiert bist, kannst du einfach Nein sagen, wenn die Fernsehleute anrufen.“

„Genau das werde ich tun.“

1. KAPITEL

Vier Wochen später

„Ja, ich mache es. Ich spiele bei ‚Rollentausch‘ mit.“

Kelli konnte kaum glauben, dass sie es gesagt hatte, aber nichtsdestotrotz genoss sie die verblüffte Miene, mit der Danburys neuer Geschäftsführer auf ihre Ankündigung reagierte. In diesem Moment war es völlig unwichtig, dass sie nicht die geringste Lust hatte, in irgendeinem Fernsehprogramm aufzutreten – darüber würde sie später nachdenken und es wahrscheinlich bereuen. Jetzt aber wollte sie ihren Triumph auskosten, und sei er auch noch so winzig.

Sie tröstete sich, ihre plötzliche Bereitschaft, an der Show mitzuwirken, sei eine Frage des Stolzes und habe nichts damit zu tun, dass ihr Pulsschlag astronomische Höhen erreichte, sobald der arrogante, lästige Sam Maxwell in ihrer Nähe war. Es sind nur die Nerven, ermahnte sie sich.

Und sie war nervös.

Sie waren im Konferenzsaal des Danbury-Gebäudes versammelt. Unter anderen Umständen hätte Kelli vielleicht die elegante Einrichtung und die traumhafte Aussicht auf den Michigansee bewundert. Doch dafür war sie im Augenblick zu angespannt. Ihr Magen rebellierte, seit sie am Vorabend den Anruf – oder vielmehr Befehl – von Samuel Maxwell bekommen hatte, sich am nächsten Morgen in der Chefetage einzufinden. Er hatte ihr keine Gründe genannt, aber sein Tonfall war sehr ernst gewesen. Sie hatte eine schlaflose Nacht verbracht, aus Sorge, sie könnte gefeuert werden. Inzwischen war sie nicht mehr so sicher, ob Arbeitslosigkeit wirklich so schlimm war wie das, wozu sie soeben eingewilligt hatte.

Der Anwalt sowie ausgewählte Vertreter von „Rollentausch“ saßen auf der einen Seite des langen Konferenztisches, Danburys Rechtsberater, Sam und seine Sekretärin auf der anderen. Nach einem kurzen Blick auf ihren mürrischen Boss hatte Kelli sich für den Stuhl entschieden, der der Tür am nächsten stand. In den letzten zwanzig Minuten hatte hauptsächlich die Produzentin der Show geredet und war dabei ständig auf und ab gelaufen. Sylvia Haywood maß dank der hochhackigen Pumps knappe eins fünfundfünfzig, aber sie stolzierte dennoch mit dem Selbstvertrauen und der Haltung eines Fünfsternegenerals durch den Raum.

„Sie machen es. Fabelhaft!“ Ohne Atem zu schöpfen, ratterte sie die Besonderheiten der Sendung herunter. Der Stimme nach zu urteilen, hätte Kelli geschätzt, dass die Frau mindestens drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte. Unvermittelt hielt sie inne und fixierte Kelli mit einem frostigen Blick. „Sie haben Kinder, richtig?“

„Zwei Mädchen.“

„Hm. Das geht nicht.“

Kelli traute ihren Ohren kaum. „Nun, ich werde sie nicht aussetzen, nur um in einer Fernsehshow aufzutreten.“

„Das habe ich auch nicht gemeint.“ Sylvia nahm ihren Marsch wieder auf und strich sich über das kurze rote Haar. „Sie müssen im Heim des anderen wohnen und grundsätzlich alle Aufgaben im Leben des anderen erfüllen. Das funktioniert mit ledigen Leuten am besten.“

„Ich bin nicht verheiratet“, erklärte Kelli.

„Ja, aber Sie haben Kinder. Wie werden Sie sich fühlen, wenn Sie sie einen Monat lang seiner Obhut überlassen müssen?“

Ohne ihren Chef eines Blickes zu würdigen, schüttelte Kelli den Kopf. „Oh nein. Kommt nicht infrage. Meine Kinder bleiben bei mir.“

„Das wirft das Konzept der Show über den Haufen. Er muss in Ihre Rolle schlüpfen. Sie sind alleinerziehende Mutter. Dies schafft eine Menge Stress und viele Herausforderungen für Sie, zumal Sie ganztags arbeiten und die Abendschule besuchen.“

„Sie ahnen ja nicht, wovon Sie reden“, meinte Kelli leise.

„Nein, Miss Walters. Er hat keine Ahnung.“ Sylvia deutete auf Sam.

„Ich werde meine Kinder doch keinem Fremden anvertrauen.“

„Miss Walters, die meiste Zeit wäre ja die Kameracrew anwesend“, erwiderte Sylvia beschwichtigend. „Und wenn es Sie beruhigt, können Sie auch Ihren Babysitter bitten, für die Dauer der Dreharbeiten bei Ihnen einzuziehen, unter der Bedingung, dass sie sich im Hintergrund hält und sich nicht bei der Beaufsichtigung der Kinder filmen lässt. Ihre Mädchen wären dann sicher und gut versorgt.“

„Nein. Ich bin für meine Töchter verantwortlich.“

Sylvia seufzte. „Könnten sie für einen Monat bei ihrem Vater bleiben?“

„Ich weiß nicht, wo er ist“, räumte Kelli verlegen ein.

„Sie wissen nicht, wo er ist? Und was ist mit dem Unterhalt für die Kinder?“, fragte Sam.

Dies waren die ersten Worte von ihm, seit sie den Raum betreten hatte. Er klang allerdings nicht kritisch, sondern eher besorgt. Trotzdem ärgerte Kelli sich. Es erinnerte sie ein bisschen zu deutlich daran, wie entbehrlich sie und die Mädchen für ihren Exmann gewesen waren.

Kyle hatte sie während ihrer Schwangerschaft kurzerhand verlassen. Er hatte Chloe nie gesehen. Das letzte Mal war Kelli ihm vor Gericht begegnet, als sie die Scheidung durchgefochten und ihre kümmerliche Habe aufgeteilt hatten. Er hatte sich damals nicht um das Sorge- oder Besuchsrecht bemüht, sondern einfach nur Lebewohl gesagt.

„Wie ich hörte, ist er kurz nach Chloes Geburt in einen anderen Staat gezogen.“ Sie verschwieg wohlweislich, dass er dies mit einer Freundin im Collegealter getan hatte, für die er neun Jahre Ehe weggeworfen hatte.

Wohl zum millionsten Mal tröstete Kelli sich damit, dass Kyle der eigentliche Verlierer war. Sie brauchte ihn nicht. Die Mädchen brauchten ihn nicht.

„Sie sollten jemand beauftragen, ihn aufzuspüren“, beharrte Sam. „Ich kann Ihnen einen guten Anwalt empfehlen.“

Stolz hob sie das Kinn. „Ich bin durchaus imstande, allein für meine Kinder zu sorgen, vielen Dank.“

„Ich wollte nicht andeuten, dass Sie es nicht sind. Aber als Vater hat er die Verpflichtung …“

„Verpflichtung?“ Kelli lachte bitter. „Glauben Sie mir, dieses Wort kommt in Kyles Vokabular nicht vor.“

„Ich hab’s! Ich weiß jetzt, wie wir die Show retten können“, warf Sylvia ein. Kelli war der Frau insgeheim dankbar für deren Besessenheit. „Wir werden die Regeln ein bisschen verbiegen müssen, aber ich denke, es würde der Sache einen interessanten Kick geben, der unserem Publikum gefallen dürfte.“

„Die Regeln verbiegen? Inwieweit?“, fragte Kelli.

„Sie könnten die Wochenenden bei Ihren Kindern verbringen – sofern Sie keine geschäftlichen Termine wahrnehmen müssen. Wir werden vermutlich ohnehin nicht viel Material davon verwenden, allerdings würde Mr Maxwell anwesend sein. Und er müsste die Hausarbeit genauso bewältigen wie eventuelle Krisen. Während der Woche könnten Sie gegen Mitternacht zurück in Ihr Apartment, solange Sie bis acht Uhr morgens wieder verschwunden sind.“

Sam richtete sich auf. „Und wo werde ich sein?“

„Ich schätze, sie hat eine Couch“, meinte Sylvia lässig. „Sie müssen bleiben.“

Kelli schluckte trocken – und Sam auch, wie sie zu ihrer größten Genugtuung registrierte.

„Er kann nicht in meiner Wohnung bleiben“, entgegnete sie stockend. „Was sollen meine Mädchen denken?“

„Sie hat recht. Es wäre nicht … schicklich.“

„Dieser Teil wird nicht ausgestrahlt.“ Sylvia stützte sich auf den Tisch. „Wir alle hier sind erwachsen, es sollte also kein Problem sein. Sie sind kein Liebespaar, und diese Reihe ist nicht das ‚Traumschiff‘. Überlegen Sie es sich. Mehr Zugeständnisse werden Sie von mir nicht hören.“

Natürlich waren sie kein Liebespaar. Sie kannten einander schließlich kaum, und das, was Kelli über Samuel Maxwell den Dritten wusste, gefiel ihr nicht. Aber dennoch – ein Mann in ihrem Apartment?

„Ich weiß nicht“, sagte sie.

„Die Belohnung ist immerhin eine halbe Million Dollar, Miss Walters. Vergessen Sie das nicht.“

Kelli schaute zu Sam hinüber. Sylvia hatte bereits erklärt, dass im Falle seines Sieges der Sender eine beachtliche Spende an eine Wohlfahrtsorganisation überweisen würde, die Danbury benennen würde. Eigentlich hatte er gar nichts zu verlieren, und Danbury würde von der kostenlosen Werbung profitieren. Was würde sie, Kelli, bekommen, falls sie verlor?

Sylvia schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Sie besuchen die Abendschule, oder?“

„Das ist richtig. Ich bereite mich auf mein Diplom in Betriebswirtschaft vor.“

„Dies könnte die beste Chance für Sie sein, die Sie je erhalten werden, um Ihre Führungsqualitäten zu beweisen. Betrachten Sie es als Praktikum. Oder, besser noch, betrachten Sie es als Gelegenheit, Ihren Lebenslauf in ganz Amerika zu verbreiten. Sie könnten danach ein Vermögen machen, Miss Walters. Der letzte Gewinner wurde in allen großen Talk-Shows präsentiert und war auf den Titelseiten sämtlicher Magazine. Selbst der Verlierer wurde interviewt.“

Kelli musste zugeben, dass ihre Karriereaussichten bei Danbury nicht gerade vielversprechend aussahen, und zwar nicht nur, weil der Personalchef Familienangehörige einstellte und Bewerbungen ignorierte. Sie blickte zu ihrem Boss hinüber und atmete tief durch.

„Okay.“

Sylvia nickte zufrieden. „Wir stellen jedem von Ihnen für die Dauer des Drehs ein Kamerateam zur Seite. Ihnen bleibt eine gewisse Privatsphäre – Badezimmer, finanzielle Dinge, all das steht in der Broschüre, die ich mitgebracht habe –, aber alles andere wird aufgezeichnet. Nicht alles davon wird gesendet. Wir schneiden die wichtigsten Szenen zusammen. Sie müssen natürlich eine offizielle Verzichtserklärung unterschreiben.

Sie dürfen einander um Hilfe oder Rat bitten, doch es hat einen Punktabzug zur Folge.“ Sie blickte zwischen den beiden Kandidaten hin und her. „Nun, das sollte eigentlich kein Problem sein, aber bei zu viel Kooperation werden Sie beide disqualifiziert.“

Während die Produzentin fortfuhr, betrachtete Kelli Sam. Netter Anzug. Zweifellos maßgeschneidert. Ein so perfekter Sitz kam nicht von der Stange. Die breiten Schultern waren vermutlich das Werk eines geschickten Schneiders und nicht das Ergebnis von endlosen Stunden im Fitnessstudio. Image war alles für Manager. Dennoch musste sie ehrlicherweise zugeben, dass der Mann attraktiv war, insbesondere wenn er lächelte. Er hatte die Lippen momentan zusammengepresst – eigentlich schade, denn er besaß einen schönen Mund. Er hatte ein Grübchen und eine kleine Narbe unter der Unterlippe.

Woher mag sie stammen?

Kontaktsport? Eine handgreifliche Auseinandersetzung in einer Bar? Beides schien unwahrscheinlich. Was immer die Ursache sein mochte, die Narbe steigerte die Sinnlichkeit seines Mundes.

Kelli räusperte sich und schaute sich um. Wie kam sie bloß auf so unpassende Gedanken? Samuel Maxwell war ihr Chef. Er war, nachdem sie sich für die Show verpflichtet hatte, ihr Gegner. Und wenn sie gewinnen wollte – was sie vorhatte –, musste sie von ihm auch als solchen denken. Sie konnte es sich nicht leisten, von ihm als Mann zu träumen, der mit einem einzigen Lächeln ihren Puls zum Rasen gebracht hatte, egal, wie sexy sie die kleine Narbe auch fand.

Autor

Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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