Miss Sophie, Sie können mir vertrauen

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David Melville, Viscount Helford, ist mit dem Vorsatz, eine standesgemäße Ehe einzugehen, nach England zurückgekehrt. In Lady Lucinda Anstey, die er auf einem Ball kennengelernt hat, scheint er die perfekte Kandidatin gefunden zu haben. Doch eine schicksalshafte Begegnung auf seinem Landsitz bringt all seine Pläne durcheinander. Die süße Sophie Marsden, seine direkte Nachbarin, beeindruckt ihn zutiefst. Selbstlos hat sie ihr ganzes Leben geändert, um für ihren kleinen verwaisten Neffen sorgen zu können. Immer häufiger sucht David ihre Nähe, was auch Lady Lucinda bald zu Ohren kommt. Zusammen mit ihrer Mutter erscheint sie eines Tages bei David, um sich angeblich ihr zukünftiges Heim anzuschauen. Dass sie ein ganz anderes Ziel verfolgt, wird schon bald offenbar...


  • Erscheinungstag 16.12.2012
  • Bandnummer 0400
  • ISBN / Artikelnummer 9783954460366
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Unverhohlen verzweifelt betrachtete Lady Maria Kentham ihren einzigen überlebenden Großneffen. Gott wusste, David Melville, der augenblickliche Viscount Helford, war immer starrköpfig gewesen, aber jetzt benahm er sich unglaublich.

Er wiederum schaute seine Großtante Maria mit einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung an. Das Letzte, was er erwartet hatte, war, dass sie, als der Butler ihren Besuch ankündigte, in die Bibliothek rauschen und ihm eine Kriegserklärung machen würde. Betroffen dachte er daran, dass er offensichtlich zu lange fort gewesen war und daher ihre Neigung vergessen hatte, unumwunden zur Sache zu kommen. Dennoch wollte er verdammt sein, wenn er nach ihrer Pfeife tanzen würde.

“Meinst du nicht, Tante, dass es für diese Diskussion noch etwas zu früh ist? Schließlich bin ich erst gestern zurückgekommen. Vielleicht lässt du mir die Zeit, meine alten Freunde zu besuchen, ehe ich mich auf die erschöpfende Jagd nach einer für mich geeigneten Ehefrau mache. Besser gesagt, ehe die ledigen Frauen mir nachstellen.”

“Das ist keine Diskussion, David! Das verlange ich von dir. Die Erbfolge ist gefährdet. Es ist deine Pflicht, unverzüglich zu heiraten. James ist vor über einem Jahr gestorben, und die Leute wundern sich bereits, wo du geblieben bist. Du hast eine zehnjährige Nichte, um die du dich ebenso kümmern musst wie um deinen Besitz und das Weiterleben deines dreihundert Jahre alten Titels. Und was deine Freunde angeht, so hast du meine Erlaubnis, mit ihnen zu verkehren. Auf dem Tanzparkett! Wer weiß, vielleicht hilft Darleston dir sogar, falls du ihm in der Stadt begegnest. Soweit ich weiß, hat er sich zum zweiten Mal in den Ehestand begeben, und zwar mit einer Begeisterung, die ich nur als vulgär bezeichnen kann. Das sollte dir eine Lehre sein. Nur weil du eine dumme Jugendliebe für Felicity empfunden hast, heißt das noch lange nicht, dass du nicht auch zu einer anderen Frau eine Beziehung haben könntest.”

Viscount Helford versteifte sich nach der Anspielung darauf, dass er in der Jugend in die Frau seines älteren Bruders verliebt gewesen war.

“Himmel! Hast du angenommen, ich hätte das nicht gewusst? Es war augenfällig, dass du bis über beide Ohren in Felicity verliebt warst. Der Einzige, der das nicht wusste, war James. Er hat ja nie etwas mitbekommen, nicht einmal die Affären seiner Frau. Und Gott weiß, dass sie genug davon hatte.”

“Er hat nicht Bescheid gewusst? Ich meine, dass ich …”

Ungläubig starrte Lady Maria Kentham den Großneffen an. “Aha, so also ist das! Du hast gedacht, James habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, obwohl er wusste, was du für sie empfindest. Deshalb bist du zur Armee gegangen und jahrelang fortgeblieben. Du hast gedacht, er habe dir absichtlich die Braut weggenommen. Um Himmels willen, David! Deine Mutter hat James diese Verbindung vorgeschlagen. Wäre ihm bekannt gewesen, wie du zu Felicity stehst, hätte er sich ihr nie erklärt. Ich nehme an, du hast die Absicht zu heiraten, nicht wahr, Helford?” Sie nahm an, dass er, weil sie ihn so förmlich angesprochen hatte, sich an seine Pflicht erinnert fühlen würde. Er war nicht mehr der Ehrenwerte David Melville. Er hatte jetzt die mit seinem Titel verbundene Verantwortung zu tragen. Keineswegs durfte sie zulassen, dass er diese Verantwortung außer Acht ließ, erst recht nicht der Erinnerung an seine Schwägerin wegen, einer Frau, die seit mehr als einem Jahr tot war. Und wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, dass Felicity nie das Mindeste für ihn empfunden hatte.

“Wie du gesagt hast, Tante Maria, bleibt mir keine Wahl.”

Im Stillen atmete Lady Maria auf. Gut! Er würde vernünftig sein. “Also gut. In dieser Saison wird es eine Reihe von geeigneten Debütantinnen geben. Ich werde …”

“Nein! Ich bin sehr gut imstande, mir meine Frau auszusuchen”, erwiderte der Viscount ärgerlich. “Es mag dich überraschen zu hören, dass ich mich gerade noch daran erinnere, wie ich mich bei Frauen beliebt machen kann.”

Lady Maria lächelte belustigt. “Kannst du das wirklich, David? Soweit ich gehört habe, bist du, was Damen angeht, etwas aus der Übung geraten.”

“Den Teufel bin ich!” platzte der Viscount erzürnt heraus.

“Was Damen angeht, habe ich gesagt, mein lieber Junge”, erwiderte Lady Maria unbeirrt. “Ich hege nicht den mindesten Zweifel daran, dass du dir mit den Ballettratten der Wiener Oper genügend Übung verschafft hast. Und wenn die Art, wie du mich hier empfangen hast, ein Hinweis auf deine mangelnden Umgangsformen ist, dann meine ich, dass du dringend guter Ratschläge bedarfst. Du hast mir nicht einmal etwas zu trinken angeboten!”

“Ich habe deutlich gehört, dass du Haversham gesagt hast, er solle keine Erfrischung servieren.”

“Du hättest mir dennoch etwas anbieten können!”, entgegnete Lady Maria gereizt. “Aber dieses Verhalten passt zu deiner Generation. Überhaupt kein Respekt vor älteren Leuten.”

Lady Maria stützte sich auf den Krückstock, von dem David überzeugt war, es handele sich dabei um den alten Stockdegen seines Großvaters, und stand auf. Er nahm an, er müsse dankbar dafür sein, dass sie ihrem Ansinnen nicht mit der Waffe Nachdruck verliehen hatte.

“Ich gehe jetzt, David. Ich wohne im ‘Grillon’.”

“Wieso? Du kannst hier bleiben, so lange du willst. Du weißt sehr gut, dass ich dir, abgesehen von dem Respekt, den ich dir deiner Meinung nach schuldig bin, beträchtlich viel Zuneigung entgegenbringe.”

“Nein, ich werde noch einige Zeit im Hotel bleiben und dann nach Hause zurückkehren. Ich darf Fanny nicht viel länger allein lassen. Das Kind braucht eine feste Hand.”

Der Viscount furchte die Stirn. “Hast du den weiten Weg aus Warwickshire hierher nur zurückgelegt, um mich an meine Pflicht zu erinnern?”

“Ganz gewiss nicht!”, log Lady Maria nicht sehr überzeugend. “Ich habe die Absicht, in die Oper zu gehen.”

Lord Helford begleitete die Großtante zu ihrer Kutsche und kehrte dann in die Bibliothek zurück.

Heiraten. Seit mehr als zwölf Jahren war er dagegen, seit Felicitys Vater ihm erklärt hatte, er habe ein besseres Angebot für seine Tochter bekommen. Er hatte Felicity zur Rede gestellt und von ihr gehört, ihr Vater nötige sie, James zu heiraten. Sie sei jedoch bereit, nach der Hochzeit seine Mätresse zu werden. David war angewidert und wütend gewesen und hatte sich grußlos von ihr getrennt. Am nächsten Morgen war er zum Militär aufgebrochen und hatte nie mehr das Haus eines seiner Verwandten betreten. Er war auch nicht zur Hochzeit seines Bruders mit Felicity erschienen.

Nachdem er zur Vernunft gekommen war und erkannt hatte, dass er sich zum Narren gemacht hatte, war er zu stolz gewesen, um nach Hause zurückzukehren. Er hatte Jahre auf der Iberischen Halbinsel zugebracht und später in der Wiener Botschaft gearbeitet. Nie wieder hatte er den Fehler begangen, echte Gefühle für eine Frau aufzubringen. Mittlerweile wusste er genau, wie die Frau zu sein hatte, die er heiraten würde. Sie musste bester Herkunft sein, schön und reich und tadellos erzogen. Sie musste wissen, was sich gehörte und welche Pflichten sie zu erfüllen hatte. Sie musste die mit ihrer gesellschaftlichen Stellung verbundene Verantwortung als etwas Selbstverständliches betrachten und durfte nicht glauben, sie müsse um jeden Preis Viscountess werden. Es musste sich um ein Abkommen unter gleichrangigen Partnern handeln. Und er war felsenfest entschlossen, sich eine Frau auszusuchen, die keine Neigungen zeigte, mit anderen Männern zu kokettieren. Ihm war eine harte Lehre erteilt worden, und jetzt würde er sicherstellen, dass er auch davon profitierte.

Nachdem er sich alles das in Erinnerung gerufen hatte, beschloss er, einen Spaziergang in der Bond Street zu machen, um aller Welt zu zeigen, dass er zurückgekehrt war.

Kaum war er in der Bond Street eingetroffen, genoss er es, noch anonym zu sein. Er fand es eigenartig zufriedenstellend, seine Welt so betrachten zu können, als sei er für neugierige Blicke unsichtbar und gegen Klatschmäuler gefeit. Er kam sich vor, als könne er alles ungehindert beobachten, ohne schon Teil der glitzernden Londoner Welt zu sein, die viel zu schnell von seiner Rückkehr Kenntnis erlangen würde. Wenn er eine Woche in der Stadt war, hatte sich die Neuigkeit bestimmt verbreitet, sodass viele ihre lange Bekanntschaft mit ihm erneuern würden. Er war ziemlich sicher, sich darauf verlassen zu können, dass Tante Maria die freudige Kunde rasch unter die Leute bringen werde.

Er schlenderte am “Stephen” vorbei und überlegte, ob Freunde von ihm im Hotel sein mochten. Das interessierte ihn jedoch nicht so sehr, als dass er hineingegangen wäre und sich umgeschaut hätte. Das Gefühl der Unsichtbarkeit war so angenehm. Niemand hatte ihn bisher gesehen.

Natürlich war das Gefühl, unsichtbar zu sein, reine Illusion. Es war unwahrscheinlich, dass irgendeine Dame an einem ihr unbekannten Herrn seines Formats vorbeigehen konnte, ohne ihn verstohlen, aber dennoch genau anzusehen. Natürlich würden die Frauen ihn nicht anstarren, weil sie befürchten mussten, für aufdringlich gehalten zu werden. Aber man konnte der hochgewachsenen, kräftigen Gestalt, die so unauffällig elegant gekleidet war und sich derart geschmeidig bewegte, getrost einen flüchtigen Blick zuwerfen.

Vor Mr Jacksons Etablissement angekommen, sah er die Haustür aufgehen und einen nicht minder hochgewachsenen Mann das Gebäude verlassen, einen athletisch gebauten Herrn mit schwarzem Haar und dunkelbraunen Augen, der ihn plötzlich erblickte und anstarrte, als habe er ein Gespenst vor sich. Dem Mann blieb der Mund offen stehen. Dann lächelte er strahlend.

“David! Großer Gott! Wir alle dachten, du seist in Wien und würdest dich dort mit den Ballettratten der Oper amüsieren. Was zum Teufel hat dich hergeführt? Abgesehen natürlich von den Balletteusen unserer Oper.”

Lord Helford grinste. “Wer im Glashaus sitzt, Peter, sollte nicht mit Steinen werfen. Ich habe gehört, dass du dir einen Ruf als Frauenheld erworben hast.”

“Ach, das ist Vergangenheit, David. Also erzähle, was dich hergeführt hat. Oh, natürlich! Du bist jetzt der Nachfolger deines Bruders.”

Lord Helford nickte. “Ja. Ich hätte schon früher zurückkehren sollen, insbesondere, weil ich der Vormund meiner Nichte bin. Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel für Kinder übrig, und meine Großtante Maria scheint die Sache gut in der Hand zu haben. Daher war Wien für mich verlockender.”

Der Earl of Darleston lachte verständnisvoll. “Wohin willst du? Bist du beschäftigt, oder kannst du mir Gesellschaft leisten?”

“Wenn du versprichst, niemandem mein Inkognito preiszugeben, kann ich dir so lange Gesellschaft leisten, wie du willst.”

“Inkognito?” Lord Darleston grinste. “Soll das heißen, dass du, ein lebendiger, lediger Viscount, es geschafft hast, so weit durch die Bond Street zu kommen, ohne belästigt worden zu sein? Das hätte ich nicht für möglich gehalten.” Er und der Freund setzten sich in Bewegung. “Es ist acht Jahre her, nicht wahr? Zum letzten Mal habe ich dich an dem Vormittag der Abreise aus Waterloo gesehen.”

Lord Helford nickte bedächtig. “Ja. Ich habe dich jedoch später an diesem Tag noch einmal gesehen, als George dich auf dein Pferd hob. Weder er noch ich haben geglaubt, dass du lebend davonkommen würdest.”

Lord Darleston lächelte. “Ich habe es noch. Meine Gattin reitet es jetzt.”

“Michael hat mir von deiner zweiten Heirat geschrieben. Ich kann dir doch noch dazu gratulieren, nicht wahr?”

“Ja, danke. Selbst wenn die Gratulation zu meiner Hochzeit nach fast drei Jahren reichlich verspätet ist, kannst du mir jetzt zur Geburt meiner Kinder gratulieren.”

“Kinder? Plural? In dieser Zeit? Das ist selbst für jemanden wie dich …”

Lord Darleston hatte den Anstand, etwas verlegen auszusehen. “Penelope hat Zwillinge …”

“Zwillinge? Du bist Vater von Zwillingen?” Lord Helford warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. “Sieh einer an! Und was hast du bekommen?”

“Einen Sohn und eine Tochter, die soeben zwei Jahre alt geworden sind”, antwortete Lord Darleston, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, seinen Stolz zu verhehlen.

“Glückwunsch!”, erwiderte Lord Helford ehrlich erfreut.

“Wenn du nichts anderes vorhast, komm heute zum Abendessen zu uns. George Carstares und Penelopes jüngere Schwester Sarah sind bei uns zu Gast.”

“Wenn du meinst, dass deine Frau nichts dagegen hat, würde ich gern kommen”, erwiderte Lord Helford.

“Sie nimmt nie an irgendetwas Anstoß”, sagte Lord Darleston überzeugt. Sein Freund teilte diese Überzeugung jedoch nicht, da er aus Erfahrung wusste, dass die Ehefrau eines Mannes dazu neigte, die Freunde ihres Gatten als Eindringlinge zu betrachten.

Man schlenderte weiter die Straße hinunter und erzählte sich, was in den vergangenen acht Jahren geschehen war.

“Du wohnst also jetzt hier? Du hast gesagt, niemand würde wissen, dass du zurück bist”, bemerkte Lord Darleston.

“Ich bin zur Saison hier”, erklärte Lord Helford. “Wahrscheinlich werde ich irgendwann im Sommer eine Gesellschaft auf meinem Landsitz geben.” Seine Stimme hatte einen leicht fragenden Unterton enthalten.

“Oh ja! Bis dahin sind wir zu Haus”, erwiderte Lord Darleston. “Die Kinder fühlen sich auf dem Land viel wohler. Penny und ich ziehen das Landleben vor. Wir sind nur zu Lady Edenhopes Ball hier, der in einigen Tagen stattfinden wird. Du musst daran teilnehmen. Sie wird begeistert sein, wenn sie die Erste ist, die dich bei sich begrüßen kann. Daher wird es sie nicht stören, wenn du uneingeladen kommst.”

“Letztlich ist es gleich, bei wem ich zuerst erscheine”, meinte Lord Helford.

“Was hast du in London vor?”

“Heiraten, Tante Maria zufolge.”

“Glückwunsch”, sagte Lord Darleston und zog überrascht die Augenbrauen hoch.

“Dein Glückwunsch ist etwas verfrüht”, entgegnete Lord Helford. “Noch habe ich keine Frau um ihre Hand gebeten.”

“Oh. Ich verstehe.”

Peter hatte es geschafft, diese drei Wörter wie eine Fülle unausgesprochener Fragen klingen zu lassen. Aber er kannte Lady Maria beinahe ebenso gut wie David.

Seufzend äußerte David: “Du weiß, wie das ist. Ich nehme an, du hast dich aus genau denselben Gründen wieder verheiratet. Eine Zweckehe, um einen Sohn zu bekommen.”

“Natürlich habe ich das getan”, stimmte Lord Darleston zu. “Und dann sehr schnell meinen Fehler erkannt.” In seiner Stimme hatte ein sehr belustigter Unterton mitgeschwungen.

“Fehler?” Lord Helford war überrascht. “Tante Maria scheint zu glauben, deine Begeisterung für den Ehestand sei richtig vulgär.”

“Oh, das stimmt”, erwiderte Lord Darleston lächelnd. “Ich meine, dass es ein Fehler war, aus Vernunftgründen zu heiraten. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Aber genug von mir. Erzähl mir, wen du ins Auge gefasst hast.”

Lord Helford zuckte mit den Schultern. “Spielt das wirklich eine Rolle? Ehrlich gesagt, bin ich soeben erst zurückgekommen. Tante Maria ist heute Morgen über mich hergefallen und hat mir aufgezählt, welche Pflichten ich habe. Daher begebe ich mich jetzt auf den Heiratsmarkt und stelle folgende Voraussetzungen an meine Zukünftige: Sie muss adlig sein und natürlich gut aussehen. Sie muss eine einigermaßen ansehnliche Mitgift haben, gut erzogen, vernünftig und imstande sein, einem großen Haushalt vorzustehen. Du weißt, was ich meine.”

Lord Darleston nickte bedächtig. “Hat Lady Maria dir alle diese Voraussetzungen benannt?”

“Nein. Sie sind mein Rezept für eine erträgliche Ehe.”

“Oh!” äußerte Lord Darleston. Erneut war es ihm gelungen, dem einen Wort eine vielsagende Bedeutung zu geben.

Schweigend schlenderte man weiter, bis Lord Helford verbittert sagte: “Ich weiß, was du denkst, Peter. Ich habe meine Lektion jedoch schon früh gelernt und nicht die Absicht, Geschäft und Vergnügen zu vermischen.”

“Du wirst mehr als eine Lektion im Leben lernen müssen, alter Junge”, meinte Lord Darleston nachdenklich. “Wohlgemerkt, ich will nicht sagen, es sei nicht gut, dass Felicity dich gelehrt hat, misstrauisch zu sein. Aber man sollte sein Misstrauen nicht überhandnehmen lassen.”

Skeptisch furchte Lord Helford die Stirn. “Verzeih mir meine Offenheit, Peter, aber ich hätte gedacht, dass vor allem du doppelt vorsichtig gewesen wärst.”

Lord Darleston wirkte überhaupt nicht gekränkt. “Oh, ich versichere dir, dass ich das war. Genau das habe ich gemeint. Zuerst habe ich nicht begriffen, was Liebe ist. Vielleicht war das gut so, da ich geflüchtet wäre, hätte ich das kapiert. Das ist mir erst langsam zu Bewusstsein gekommen. Ich habe keineswegs die Liebe gesucht. Im Gegenteil! Ich habe Penny ziemlich viel Kummer gemacht, während ich mich anderweitig amüsierte und mich fragte, warum sie mir nicht aus dem Sinn ging.”

Lord Helford war nicht überzeugt. “Nun, für mich kommt so etwas nicht infrage. Ich ziehe es vor, genau zu wissen, was mir in meiner Ehe bevorsteht. Daher werde ich aus Vernunftgründen heiraten. Komm, benenn mir alle jungen Dinger aus guter Familie, die im Moment auf dem Heiratsmarkt sind.”

Resigniert lächelnd überlegte Lord Darleston. “Nun, da ist Miss Clovelly. Sie ist sehr attraktiv und gut erzogen, aber natürlich nicht adlig. Ich glaube, die Clovellys streben nach Höherem. Wenn du auf einer Adligen bestehst, gibt es da Lady Lucinda Anstey, Stanfords Tochter. Sie soll eine sehr würdevoll aussehende Person sein. Zweifellos gibt es auch noch viele andere junge Damen, aber diese beiden sind mir eingefallen, weil sie die von dir erwähnten Voraussetzungen zu erfüllen scheinen.”

“Zeige sie mir bei Gelegenheit”, erwiderte Lord Helford. “Ich habe vor, mich in dieser Saison hier umzusehen, einer Dame den Hof zu machen und sie und ihre Mutter dann zu der von mir erwähnten Gesellschaft einzuladen, um sie näher in Augenschein zu nehmen, ehe ich meine endgültige Entscheidung treffe.”

“Ich verstehe.” Lord Darlestons Ton war zu entnehmen gewesen, dass er begriffen hatte. Sehr gut sogar. “Also gut. Penelope und ich werden es uns zur Aufgabe machen, dich auf alle tadellos erzogenen jungen Damen hinzuweisen, die uns einfallen.”

Lord Helford grinste. “Zumindest Tante Maria wird ewig in deiner Schuld stehen. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann, Peter. Bist du ganz sicher, dass es deine Frau nicht stören wird, wenn ich zu euch komme?”

“Ja. Um acht”, antwortete Lord Darleston. “Ich muss jetzt in den Park, David. Willst du mitkommen und Penny kennenlernen?”

“Nein, nein”, antwortete Lord Helford hastig. “Ich freue mich darauf, sie heute Abend kennenzulernen.”

Man trennte sich. Lord Helford ging die Bond Street zurück. Peters amüsierte Reaktion auf seine Heiratsabsichten hatte ihn etwas aus der Fassung gebracht. Natürlich würde Peter ihn nie kritisieren. Es war jedoch offenkundig, was er von seinen ehelichen Vorstellungen hielt. David zuckte mit den Schultern. Mit der zweiten Heirat mochte Peter großes Glück gehabt haben. David beschloss jedoch, sich erst dann ein Urteil zu erlauben, wenn er die zweite Gattin des Freundes kennengelernt hatte. Er jedenfalls würde diese Art Risiko keinesfalls auf sich nehmen.

2. KAPITEL

Um acht Uhr traf Lord Helford vor dem am Grosvenor Square gelegenen Haus des Freundes ein und wurde von einem betagten Butler eingelassen. Er überreichte ihm den Hut und ließ sich von ihm aus dem Mantel helfen. Dann folgte er ihm in die erste Etage, wo Meadows die Salontür aufmachte und ihn ankündigte.

Außer Peter, der sich offensichtlich einen Spaß daraus machte, die anderen Anwesenden überrascht zu haben, starrten die vor dem Kaminfeuer sitzenden Anwesenden erstaunt David an.

George Carstares hatte sich wenig verändert. Mit ausgestreckten Händen kam er auf David zu.

“David! Großer Gott! Wo kommst du plötzlich her?”

Lord Helford schüttelte dem Freund die Hand und klopfte ihm dann auf die Schulter. “Bin gestern Morgen in Dover angekommen und heute durch die Bond Street gegangen, nur um zu sehen, ob jemand mich erkennt. Habe kein mir bekanntes Gesicht gesehen, bis ich Peter traf. Himmel, es ist gut, euch beide wiederzusehen.”

Lord Darleston näherte sich. “Komm, damit ich dich meiner Frau und meiner Schwägerin vorstellen kann.” Der eigenartig stolze Klang von Peters Stimme veranlasste David, scharf den Freund anzusehen. George hatte sich nicht viel verändert, Peter jedoch sehr. Als er ihn zuletzt gesehen hatte, war Peter seiner ihm ungetreuen ersten Frau wegen sehr deprimiert gewesen. Jetzt war er jedoch wieder so, wie David ihn aus Jugendtagen kannte.

Der Anlass für diese Veränderung musste nicht weit gesucht werden. Penelope war eine hübsche Frau, die ihren Mann mit einem Ausdruck in den Augen anschaute, bei dessen Anblick Lord Helford einen Stich im Herzen verspürte. Flüchtig fragte er sich, wie es sein würde, wenn eine Frau ihn so ansähe. Aber in seiner zukünftigen Ehe suchte er nicht nach Liebe. Das war viel zu gefährlich.

Lady Darleston kam auf ihn zu. “Ich freue mich so, Sie endlich kennenzulernen, Sir. Jedes Mal, wenn wir an Ihrem Landsitz vorbeifahren, fängt Peter an, mir von seiner längst verlorenen Jugend zu erzählen und von all den schrecklichen Dingen, die er mit Ihnen zusammen angestellt hat.”

Lord Helford küsste Lady Darleston die Hand und erwiderte: “Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Madam. Ihr Mann hat mir gesagt, es sei noch nicht zu spät, um ihm zu seiner Hochzeit zu gratulieren. Und ich habe gehört, dass er Vater geworden ist. Sie können sich nicht vorstellen, wie alt ich mir vorkomme.”

Die Countess lachte. “Ich glaube, manchmal fühlt auch er sich alt. Erlauben Sie, dass ich Ihnen meine Schwester vorstelle.”

Miss Sarah Folliot schien vor Energie zu platzen. “Es muss schrecklich aufregend gewesen sein, Sir, im Ausland zu weilen, noch dazu in Wien”, sagte sie. “Eines Tages würde ich gern dorthin fahren.”

Lord Helford plauderte noch einige Minuten mit ihr und beantwortete ihre neugierigen Fragen, die sie zum Leben in der österreichischen Hauptstadt stellte, bis George sich hinzugesellte und sie zu Tisch begleitete. Überrascht bemerkte er, dass beide einen Blick tiefster Zuneigung tauschten. Und Georges Augen drückten Verlangen aus. Großer Gott! Dachte der Freund ans Heiraten? Wie tief war er gesunken!

David genoss den ersten Abend unter Freunden. Und als das Abendessen beendet war, beneidete er seinen ältesten Freund. Es stand außer Zweifel, dass dessen Ehe ungemein glücklich war. Die brünette Countess war überaus entzückend und Peter ein verdammt glücklicher Bursche.

“Sollen wir David zu Tante Louisas kleinem Empfang mitnehmen, Penny?”, fragte Peter. “Nach seiner langen Abwesenheit möchte er sich wieder unter Leuten sehen lassen. Sollen wir ihn unter unsere Fittiche nehmen?”

Die Countess lächelte den Viscount an. “Möchtest du mitkommen, David? Ich bin sicher, Tante Louisa wird nicht das Mindeste dagegen haben. Nicht wahr, George?”

“Ganz und gar nicht”, antwortete er fröhlich. “Wird froh sein, dass sie den anderen Klatschbasen eine Nasenlänge voraus ist.”

Fasziniert betrachtete Lord Helford den Freund. “Hast du mit ‘Klatschbase’ Peters von uns so geschätzte Tante gemeint, George?” Er schüttelte den Kopf. “Sehr mutig, nicht wahr, Sarah?”

“Oder dumm”, erwiderte sie in ihrer freimütigen Art. Lord Helford war belustigt. Miss Sarah Folliot hatte die irritierende Angewohnheit, genau das zu äußern, was sie dachte. Er mochte sie und hoffte, sie würde George nicht unglücklich machen. Einigen Äußerungen, die Peter über die Wahrnehmung ihrer geschäftlichen Interessen gemacht hatte, war zu entnehmen gewesen, dass sie Vermögen hatte. Aus leidvoller Erfahrung wusste David, dass reiche Frauen sich nicht mit zweitgeborenen Söhnen begnügten, ganz gleich, wie charmant der jeweilige Herr sein mochte.

“Kommen Sie”, bat Miss Sarah Lord Helford. “Es wird ein großer Spaß, die Gesichter zu sehen, wenn Sie angekündigt werden.”

“Wie bei der Fütterung der wilden Bestien?”, fragte er belustigt.

“So ähnlich. Ich gehe gern mit George dorthin. Aber würden Sie sich als Beefsteak betrachten?”

Lord Darleston stöhnte in gespielter Verzweiflung auf. “Wir werden Sarah nie unter die Haube bringen, Penny! Wie sollen wir das schaffen, wenn sie Männer, die eine gute Partie sind, mit Beefsteaks gleichsetzt? Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als sie in ein Kloster zu stecken.”

Nicht im Mindesten verlegen, streckte Sarah die Zunge nach dem Schwager aus. “Ach, Unsinn”, äußerte sie mit vollem Mund. “Da David mit dir und George befreundet ist, muss er solch unerhörtes Benehmen gewöhnt sein.”

Drei Abende nach der Einladung bei Peter stieg Viscount Helford mit Lord und Lady Darleston, Miss Sarah Folliot und Mr George Carstares die zum Portal von Lady Louisa Edenhopes Haus führenden Stufen hinauf. Viele Blicke wurden in seine Richtung geworfen. Er war ziemlich sicher, dass sein Inkognito schon nicht mehr gewahrt war, wenn er von Lady Louisa Edenhopes steifem Butler angekündigt wurde.

“Der Earl und die Countess of Darleston, Viscount Helford …” Trotz der mit Stentorstimme vorgetragenen Ankündigung gingen die Namen von Miss Sarah Folliot und Mr Carstares im allgemeinen erstaunten Gemurmel unter, aber das störte niemanden.

Als Hausherrin begrüßte Lady Edenhope den Viscount zuerst. “Helford! Wie können Sie es wagen, hier zu erscheinen, ohne mich vorgewarnt zu haben? Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich sah, wen Peter im Schlepptau hat. Sie sind also wieder hier, um uns zu plagen? Nun, ich werde meine Loge in der Oper aufgeben. Und ich warne Sie! Wenn Sie dieses Mal wieder so einen vulgären Streit anfangen, dann lasse ich Sie von Peter und George hinauswerfen! Ganz zu schweigen davon, dass ich Lady Jersey und andere Damen veranlassen werde, Ihnen den Zutritt zu Almack’s zu verwehren. Allerdings vermute ich, dass Sie das nicht im Mindesten stören würde.”

“Diesen Augenblick habe ich herbeigesehnt, meine liebe Lady Edenhope”, erwiderte Lord Helford, gab ihr einen Handkuss und zwinkerte sie an.

“Hören Sie auf, sich lieb Kind bei mir machen zu wollen. Gehen Sie und suchen Sie sich eine andere Frau, der Sie schöntun können. Sie sollten wissen, dass ich für solche Schmeicheleien schon viel zu alt bin.”

“Nie und nimmer, Teuerste”, entgegnete Lord Helford in dramatischem Ton. “Der Tag, an dem Sie für mich zu alt sind, wird derjenige sein, an dem ich in die Grube gefahren bin.” Durch den von ihm angeschlagenen leichten Ton und seine volltönende Stimme hatte die vulgäre Redewendung richtiggehend romantisch geklungen.

Die Gastgeberin schnaubte. “Sie verstehen es, jemandem um den Bart zu gehen, Helford. Schaff ihn mir aus den Augen, Peter!”

“Mit Vergnügen, Tante Louisa”, erwiderte er bereitwillig und schaute amüsiert Lord Helford an. “Übst du, um bei naiven Debütantinnen Eindruck zu schinden? Sei versichert, dass du nicht aus der Übung geraten bist.”

Der Abend verging in einem Rausch von Musik und Champagner und einem Strom von vertrauten und neuen Gesichtern, der an Seiner Lordschaft vorbeizog. Peter hatte, seinem Versprechen getreu, Penelope überredet, David so vielen jungen Damen wie möglich vorzustellen. Die meisten von ihnen vergaß David sofort, die charmante Miss Clovelly eingeschlossen.

Lady Lucinda Anstey war jedoch ein anderer Fall. David war ihr noch nicht von Penelope vorgestellt worden, aber ihre würdevolle Haltung und ihre glänzenden schwarzen Locken hatten sein Interesse geweckt.

“Wer ist das, Penelope?” erkundigte er sich leise.

Sie schaute in dieselbe Richtung wie er.

“Die Person mit dem schwarzen Haar.”

Verflixt! Penelope wusste zwar nichts, was gegen Lady Lucinda gesprochen hätte, konnte sich jedoch nicht für sie erwärmen.

“Das ist Lady Lucinda Anstey”, erklärte sie widerstrebend. Wenn er Lady Lucinda heiratete, würde der gesellschaftliche Umgang zwischen den Melvilles und den Frobishers höchst steif und sehr förmlich sein. Lady Stanford, die Mutter der jungen Dame, war dafür bekannt, dass sie bei ihren Festlichkeiten erdrückend viel Wert auf Pomp und Zeremoniell legte. Lady Lucinda schien das sogar zu genießen.

“Ach, ja?”, äußerte Lord Helford und betrachtete die Dame mit Kennerblick. Sie war hochgewachsen, sehr elegant und ganz entschieden distinguiert. Vermutlich konnte man sie schön nennen. Ehrlich gesagt, bevorzugte er zierlichere Frauen, aber doch solche mit weiblicheren Rundungen, als Lady Lucinda sie aufwies, kurz, die Art von Frau, bei der man etwas in der Hand hatte. Irritiert hielt er sich vor, nach seiner zukünftigen Gattin zu suchen, einer Gefährtin, die respektiert werden musste, mit der er jedoch nicht in hitziger Leidenschaft verkehren wollte. Eine Mätresse konnte er sich später zulegen.

“Willst du mich Lady Lucinda vorstellen?”

Sehr begeistert hatte das nicht geklungen. Penelope schickte sich jedoch ins Unvermeidliche. Peter hatte sie davor gewarnt, dass David nicht auf eine Liebesheirat aus war. “Eine gute Abstammung, tadelloses Benehmen und außerordentliche Schönheit”, hatte er augenzwinkernd gesagt. Nun, alles das hatte Lady Lucinda. Wenn David bei seiner zukünftigen Frau keine Liebe suchte, dann ging sie, Penelope, das nichts an. Daran denkend ging sie mit ihm zu den Damen. “Guten Abend, Lady Stanford, Lady Lucinda. Ich möchte Ihnen Viscount Helford vorstellen, der soeben aus Wien zurückgekehrt ist.”

Er gab erst Lady Stanford, dann Lady Lucinda einen Handkuss. Sein offensichtlich großes Bedürfnis, sie kennenlernen zu wollen, schien weder die eine noch die andere Dame im Mindesten zu beeindrucken oder in Verlegenheit zu bringen. Das störte ihn nicht im Geringsten. Ihr Benehmen ließ die würdevolle Haltung und die gute Erziehung erkennen, auf die er bei seiner Gattin Wert legte.

Autor

Elizabeth Rolls
<p>Elizabeth Rolls, Tochter eines Diplomaten, wurde zwar in England geboren, kam aber schon im zarten Alter von 15 Monaten in die australische Heimat ihrer Eltern. In ihrer Jugend, die sie überwiegend in Melbourne verbrachte, interessierte sie sich in erster Linie für Tiere – Hunde, Katzen und Pferde – las viel...
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