Miss Sylvies unschickliches Geheimnis

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Ihr Ruf ist in Gefahr! Silvies Schicksal und ihre Zukunft liegen in den Händen von Adam Townsend, Marquess of Rockingham. Denn nur er weiß, in welch unschickliche Lage sie sich gebracht hat. Kann sie den adligen Frauenschwarm zum Schweigen bringen - und seine Lippen mit federleichten Frühlingsküssen für immer versiegeln?


  • Erscheinungstag 07.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715854
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Frühjahr 1821

Wenn du glaubst, du kannst dich bei mir mit ein paar Fasanen einschmeicheln, dann hast du dich getäuscht!“, sagte Gloria Meredith.

Sylvie Meredith begegnete der strengen Miene ihrer Mutter mit einem gewinnenden Lächeln und holte hinter ihrem Rücken weitere Beweise ihrer erfolgreichen Jagd hervor.

„Auch Hase ist der Köchin lieber als mir. Bring ihr das Wild.“

„Ja, Mutter“, sagte Sylvie, dankbar über die Gelegenheit zur Flucht. Doch sie war kaum zwei Schritte gegangen, da ergriff Mrs Meredith erneut das Wort und ließ sie innehalten.

„Wenn du das erledigt hast, komm bitte unverzüglich zurück. Ich möchte mit dir noch über den heutigen Abend sprechen.“ Mrs Meredith bedachte ihre jüngste Tochter mit einem vielsagenden Blick. Als sie sah, wie sich Sylvies Gesicht verfinsterte, meinte sie: „Und wenn du noch so mürrisch schaust, Mädchen, wir werden mit den Robinsons dinieren, und du wirst uns begleiten!“

Sylvie setzte zu einer Erwiderung an, Mrs Meredith aber hob die Hand, um jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Ärgerlich verließ Sylvie das Zimmer, stürmte in die Küche von Windrush, dem Landsitz ihrer Familie, und deponierte ihre Jagdbeute auf dem Tisch. Dann rannte sie hinaus an die frische Luft. Leise vor sich hinschimpfend, das Gesicht gerötet, ging sie schnurstracks zu den Stallungen.

Ein Fremder hätte sich möglicherweise darüber empört, eine hübsche junge Frau in ledernen Kniehosen zu sehen, die ihre wohlgeformten Beine betonten. Auch das Jagdgewehr, das sie über der schmalen Schulter trug, hätte ihn wohl entsetzt. Für die beiden Männer jedoch, die ihr entgegensahen, war dieser Anblick nichts Ungewöhnliches.

Als Edgar Meredith erkannte, in welch schlechter Stimmung sich seine jüngste Tochter befand, drückte er seinem jüngeren Begleiter die Jagdbeute in die Hand und verabschiedete sich schnell, um Zuflucht bei einem Gläschen Cognac in seinem Arbeitszimmer zu suchen.

Der junge Mann, der gerade dabei gewesen war, die Rotschimmelstute abzusatteln, ging auf die schmollende blonde Schönheit zu. „Ich habe dir ja gleich prophezeit, dass du das Dinner heute Abend nicht umgehen kannst“, sagte er. „Du musst deinen Eltern erzählen, warum du sie nicht begleiten willst.“

Sylvie schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. „Nein, John. Wenn es denn sein muss, werde ich mit diesem widerlichen Rüpel schon allein fertigwerden. Wenn er wieder versucht, mir zu nahe zu kommen, wird er dieses Mal mehr als ein paar Tritte und Kratzer davontragen. Dann wird er seinen Eltern eine Erklärung liefern müssen!“

„Dennoch solltest du deinem Vater erzählen, was Robinson getan hat.“ Für einen Burschen von solch muskulöser Gestalt klang Johns Stimme seltsam unsicher.

„Nein!“, erwiderte Sylvie entschieden. „Papa ist in zu schlechter Verfassung, um davon zu erfahren. Seine Gesundheit ist immer noch angegriffen. Und du darfst zu niemandem ein Wort sagen. Zu niemandem, hörst du, John?“ Als er den Blick abwandte, ergriff sie den sehnigen Arm ihres Freundes. „Versprich mir das, John Vance. Versprich mir, dass du niemandem etwas verrätst“, verlangte sie.

John nickte bloß, ging hinüber zu der Stute und nahm den bereitliegenden Striegel. Mit gleichmäßigen Strichen begann er, die schlanken Flanken des Pferdes zu bürsten. „Du hättest mich die Sache mit ihm klären lassen sollen. Ich hätte ihn ordentlich in die Mangel genommen.“

„Nein! Das ist doch genau das, was er will“, begehrte Sylvie auf. „Er will dich provozieren, damit du ihm einen guten Vorwand lieferst, dich niederzuschlagen, wie schon einmal.“

Die Andeutung färbte Johns Gesicht rot vor Wut. Er ließ sich nicht gern an den Tag erinnern, an dem Hugo Robinson ihn bewusstlos geschlagen und dann gnadenlos auf ihn eingetreten hatte, während er hilflos am Boden lag.

Sylvie trat zu John und umarmte ihn unbefangen. „Hast du schon über meinen Vorschlag nachgedacht? Es wäre die beste Lösung für dieses Problem.“

Verlegen löste er sich aus ihren Armen und stieß mit der Stiefelspitze an den Sattel, der auf dem Boden lag. „Es wäre nicht richtig, das zu tun. Deine Eltern würden vor Empörung außer sich sein. Sogar dein Vater würde zornig auf dich werden … und auf mich … Jeder wird sagen, dass ich nicht gut genug für dich bin.“

„Es ist an mir zu entscheiden, wer gut genug für mich ist. Ich wähle mir meinen Gatten selbst!“, sagte Sylvie und stampfte mit dem Fuß auf. „Seit unserer Kindheit sind wir Freunde, und meine Eltern hatten nie etwas dagegen einzuwenden. Man wird unsere Ehe schon akzeptieren, wenn wir erst einmal verheiratet sind. Mama weiß, dass ich mich niemals mit einem herausgeputzten, langweiligen Schnösel vermählen werde. Bei meinem Debüt habe ich ihr bereits gesagt, dass ich lieber als alte Jungfer sterbe, als mich an einen dieser eingebildeten, prahlerischen Narren zu binden. Aber wenn du mich nicht ehelichen willst, dann reden wir eben nicht mehr darüber.“ Sylvie drehte sich um, bereit davonzuhasten.

„Das ist es nicht“, sagte John und griff rasch ihren Arm, um sie aufzuhalten.

Sie wirbelte herum, so heftig, dass sich ihr Haar aus den Nadeln löste und ihr wie ein golden glänzender Schleier über die Schultern fiel. Triumphierend lächelte sie ihn an.

„Du weißt, dass du mir wichtiger bist als jeder andere Mensch. Sogar wichtiger als meine eigene Familie“, sagte John eindringlich. „Und du bist schöner als jedes andere Mädchen, das ich kenne.“

Sylvie hob abwehrend die Hand. Ihre Wangen färbten sich scharlachrot. „Du musst mir keine Komplimente machen, als wärst du mein Kavalier. Wir sind Freunde!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann sagte sie kämpferisch: „Aber du hast recht. Wir werden uns Moralpredigten und Einwände von unseren Eltern anhören müssen. Stellen wir sie indes vor vollendete Tatsachen, können sie unsere Ehe nicht mehr vereiteln. Wir müssen also durchbrennen, und es ist an der Zeit, einen Plan für dieses Vorhaben zu schmieden …“

1. KAPITEL

Zieh dich an, damit wir diese billige Herberge verlassen können“, sagte Adam Townsend, Marquess of Rockingham, gleichgültig, während er auf das vor Entsetzen gelähmte Paar in den Laken blickte. Ein dünnes Lächeln hob kaum merklich seine Mundwinkel, als er auf dem Absatz kehrtmachte und sich anschickte, das Zimmer zu verlassen. Das Gasthaus, in dem sie sich befanden, lag ärgerlich weit entfernt von London an der Straße nach Gretna Green.

Die brünette Frau im Bett, die das ganze Ausmaß seiner stummen Verachtung zu spüren bekommen hatte, wand sich aus den Armen ihres blonden Liebhabers und setzte sich auf. „Du bist so selbstgerecht, dass es mich krank macht! Du selbst hast mehr Frauen gehabt, als ich zählen kann, doch mir gönnst du nicht den kleinsten Spaß! Wie kannst du es wagen, mich anzublicken, als wäre ich nichts weiter als Schmutz unter deinen Schuhen?“

Adam lehnte sich an die Tür, durch die er das Zimmer wenige Augenblicke zuvor unbemerkt betreten hatte. Angelegentlich betrachtete er seine Fingernägel, ehe er den Kopf hob und gelangweilt zu dem Pärchen im Bett hinüberblickte. Die Frau bebte vor Wut, als sie seine abschätzige Miene bemerkte.

„Deine neuerliche Eskapade hat mir große Ungelegenheiten bereitet, Theresa. Daher rate ich dir, halte deine Zunge im Zaum. Ich habe Wichtigeres zu tun, als meine Zeit damit zu vergeuden, dich in heruntergekommenen Spelunken zu suchen, nur um dich wieder bei einem Techtelmechtel zu erwischen.“ Sein Blick richtete sich auf ihren Liebhaber, der darauf nervös die Beine aus dem Bett schwang und aufstand. Rasch hob er seine Kniehosen vom Boden auf und schlüpfte hinein.

„Sie hat recht und das weißt du, Townsend“, sagte der Mann, während er sich die Hose zuknöpfte. „Wärst du nicht solch ein verdammter Heuchler, wäre ich vielleicht beschämter, in einer solchen Lage ertappt worden zu sein.“

„Er mischt sich nicht um seinetwillen ein, musst du wissen“, sagte Theresa. „Er ist lediglich um die Gefühle seiner lieben Mutter besorgt und natürlich um den guten Ruf der Familie. Ha! Welch ein Witz! Die Townsends sind schon seit jeher in der ganzen feinen Gesellschaft als Frauenhelden berüchtigt!“

„Ja, es ist wahr, meine Mutter hat nicht gerne eine Dirne zur Schwiegertochter, und wer könnte es ihr verübeln? Geh zurück zu deiner Gattin, Sheldon, ehe ich vergesse, dass wir einmal Freunde waren.“

Tobias Sheldon nahm seinen Gehrock vom Stuhl und enthüllte dabei eine Pistole, die auf dem Sitz lag. Nachdenklich nahm er die Waffe in die Hand.

„Wenn du sie benutzen willst, nur zu“, sagte Adam gelassen. „Um unseren Familien allerdings den Skandal zu ersparen, möchte ich einen diskreteren Ort für unser kleines Treffen vorschlagen. Ich suche uns eine versteckte Lichtung, und du kannst meinetwegen die Wahl der Waffen haben.“

Sheldon warf seiner Geliebten einen kurzen Blick zu, dann steckte er die Waffe mit belämmertem Gesichtsausdruck in die Tasche. Theresa funkelte ihn wütend an.

„Sehr vernünftig“, sagte Adam flüchtig lächelnd. „Sie ist den Ärger nicht wert, nicht wahr?“

Ohne zu antworten, stürzte Tobias Sheldon aus der Tür und die Treppe hinunter.

Theresa kniff verärgert die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, griff nach einem Schuh und warf ihn auf Adam. Geschickt wich er der zierlichen Stiefelette mit einem Schritt zur Seite aus. Der Schuh prallte an die Tür und fiel zu Boden. Adam hob eine dunkle Augenbraue, worauf Theresa aus dem Bett sprang, zu ihm hinüberlief und auf ihn einschlug. Seine starken Arme hinderten sie indes daran, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Gleich darauf schmiegte sie sich sinnlich an ihn, doch er stieß sie leicht zurück.

„Zieh dich an, Theresa. Ich warte unten auf dich, allerdings nicht länger als zehn Minuten.“

„Zehn Minuten!“, schnaubte sie und schaute vielsagend auf ihr elegantes Kleid, das achtlos hingeworfen über einem Schemel lag. „Glaubst du ernsthaft, ich könnte mich in zehn Minuten wieder schicklich machen?“

„Keineswegs, meine Liebe“, erwiderte er. „Das würde dir meiner Ansicht nach nicht einmal in zehn Jahren gelingen. Zieh einfach deine Kleider an, und spar dir das Schmollen für den Heimweg auf. Sheldon ist gegangen, seine Brieftasche hat er mitgenommen. Also tust du entweder, was ich dir sage, oder du musst selbst sehen, wie du nach Hause kommst.“

Er verließ das Zimmer, um gleich darauf freudlos aufzulachen, als er hörte, wie etwas auf die Tür, die er eben geschlossen hatte, prallte. Sie hatte wohl auch den anderen Schuh nach ihm geworfen, begleitet von einem schrillen Schrei der Wut und originellen Flüchen. Gerechterweise musste er zugeben, dass einige ihrer Beschimpfungen berechtigt waren.

Im Schankraum ließ er sich einen Brandy geben und setzte sich an einen Tisch beim Fenster. Er starrte in die Dunkelheit, die nur durch den schwachen Schein einer Öllampe erhellt wurde. Draußen im Hof sprach Tobias Sheldon mit einem Stallburschen, der gerade seine Kutsche vorgefahren hatte. Bald darauf verschwand die Kutsche in der Nacht. Adam nahm Sheldons Abreise mit gewisser Wehmut zur Kenntnis. Sie waren gute Freunde gewesen, und nun war ihre Freundschaft wegen dieses Weibsbildes getrübt. Doch er wusste aus eigener Erfahrung, wie überzeugend Theresa sein konnte. Er wünschte sich, er hätte damals ihrem verführerischen Charme widerstanden, denn nur durch ihn war sie in die Familie aufgenommen worden und genoss es nun mit wahrhaft diebischem Vergnügen, einen Bruch herbeizuführen.

Er lehnte sich in dem unbequemen Stuhl zurück und holte seine Taschenuhr hervor. Es war schon spät, und er wusste, dass Theresa sich mindestens eine Stunde Zeit lassen würde, ehe sie sich bequemen würde, nach unten zu kommen. Missgelaunt blickte er wieder in den Hof. Vermutlich war es vernünftiger, die Abfahrt bis zum Morgen aufzuschieben. Er fand wenig Gefallen an der Aussicht, in der Nacht unterwegs zu sein und sich möglicherweise außer mit einer nörgelnden, schmollenden Furie auch noch mit Wegelagerern abgeben zu müssen. Den Mund zu einem bitteren Lächeln verziehend, hob er das Brandyglas an die Lippen, nur um es gleich darauf erstaunt wieder zu senken. Der Anblick, der sich ihm vor dem Fenster bot, verblüffte ihn derart, dass jeglicher Zynismus aus seiner Miene verschwand. Nicht sicher, ob er seinen Augen trauen konnte, rückte er näher an die Scheibe heran, um sich davon zu überzeugen, dass im Hof tatsächlich die junge Schwägerin seines besten Freundes stand. Ihr goldblondes Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein strahlender Glorienschein. In einem Zug leerte er das Brandyglas und stand auf.

Sylvie fuhr sachte mit der Hand über die glänzende Kutsche und runzelte die Stirn. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, ob sie tatsächlich schwarz war. Sie hätte auch dunkelblau oder dunkelgrün sein können. Das Gespann allerdings kam ihr bekannt vor. Solch schöne Pferde sah man nicht oft, und die Karriole entsprach ganz dem auffälligen Gefährt, das die feinen Gentlemen der noblen Kreise benutzten, wenn sie mit hohem Tempo, aber dennoch vornehm reisen wollten.

Einmal hatte sie darum gebeten, solch eine Karriole kutschieren zu dürfen, doch der Besitzer hatte ihre Bitte kategorisch abgelehnt, und der Gedanke daran versetzte ihr manchmal immer noch einen kleinen Stich. Selten natürlich, denn sie schwelgte nicht oft in dieser Erinnerung.

„Möchten Sie immer noch damit fahren?“

Sylvie wirbelte erschrocken herum, als wäre ihr die Frage in barschem Ton gestellt worden und nicht mit samtig dunkler Stimme. Rasch griff sie nach ihrer Haube, die sie wenige Augenblicke zuvor vom Kopf geschoben hatte und die ihr nun an den langen Bändern auf den Rücken fiel. Sie zog sie tief über das goldblonde Haar in die Stirn, um ihr Gesicht zu verbergen, und war sich gleichzeitig darüber bewusst, dass es dafür zu spät war. Dunkle Augen, in denen Herzlichkeit und Schalk funkelten, blickten sie belustigt an. Als sie sah, wer ihr gegenüberstand, weiteten sich ihre Augen vor Schreck.

„Mylord … ich … äh … was machen Sie denn hier?“, sprudelte sie atemlos hervor und sah sich rasch um.

Ihr gereizter, anklagender Ton war Adam nicht entgangen. Doch er erwiderte gelassen: „Dasselbe wollte ich Sie auch gerade fragen, Miss Meredith.“ Ihrem Beispiel folgend, ließ er den Blick suchend über den Hof wandern, um festzustellen, mit wem sie reiste, denn es war undenkbar, dass sie in einem solchen Etablissement ohne Begleitung anzutreffen war. „Ich nehme an, ich sollte mich geschmeichelt fühlen, dass Sie mich überhaupt wiedererkannt haben. Unsere letzte Begegnung liegt lange zurück. Zwei Jahre, wenn ich mich nicht irre, oder?“ Er sah sie vielsagend an. „Ich glaube, unser letztes Gespräch endete damit, dass Sie mir sagten, Sie wollten mich nie wieder sehen. Muss ich mich nun dafür entschuldigen, dass ich Ihren Weg gekreuzt habe?“

Ob der leisen Ironie in seiner Stimme brannten ihre Wange, und Sylvie war froh, dass die kühle Nachtluft über ihre Haut strich und das dämmrige Licht ihre tiefe Röte nicht erkennen ließ. „Nun, ich war noch sehr jung und kindisch, Mylord, und manchmal unklugerweise etwas hitzköpfig und zu unverblümt mit meinen Worten.“

„Und jetzt sind Sie das nicht mehr?“, fragte Adam amüsiert.

Über seinen Spott verstimmt, reckte Sylvie herausfordernd das Kinn. Mit achtzehn Jahren war sie unbestreitbar naiv und ungestüm gewesen. Sie erinnerte sich auch daran, dass sie recht unhöflich und wenig diplomatisch reagiert hatte, als er ihr damals verweigerte, seine Karriole zu lenken.

Adams Blick glitt über ihr schönes Gesicht. Ihre Miene zeigte unverhohlene Streitlust. Sie mochte zwar darauf beharren, dass sie aufgrund ihrer Jugend damals die Manieren hatte vermissen lassen, doch er glaubte, dass sie sich kaum geändert hatte. Sicher würde er gleich erneut ihre spitze Zunge zu spüren bekommen. „Sind Sie mit Ihrer Mutter hier oder mit einer Ihrer Schwestern?“

Sylvie schluckte hart und wich nach kurzem Zögern seiner Frage geschickt aus, indem sie sagte: „Ich war nicht die Einzige, die sich bei unserem letzten Gespräch unhöflich zeigte. Wenn ich mich recht entsinne, benahmen auch Sie sich reichlich flegelhaft. Sie nannten mich ein verflixt freches Gör.“

„Ah, nun … Auch ich war damals jünger und manchmal unklugerweise zu unverblümt mit meinen Worten.“

Unter seinem verhangenen, eindringlichen Blick wurde ihr ganz heiß. „Ich fürchte, Sie machen sich lustig über mich, Mylord, und wenn man mich verspottet, gerate ich leicht in Zorn. Daher sollten wir uns besser verabschieden, ehe wir noch in Streit geraten. Guten Abend.“ Sie wollte an ihm vorbei zum Eingang des Gasthauses huschen, doch er trat ihr in den Weg.

Als er sprach, war in seiner Stimme keinerlei Belustigung mehr zu erkennen, und sein Ton machte unmissverständlich klar, dass er eine Antwort erwartete: „Mit wem reisen Sie? Und wohin reisen Sie?“

In diesem Augenblick öffnete sich die Gasthaustür, und ein Kreis goldenen Lichtes erhellte die Dunkelheit. Sylvie entwich ein leiser Fluch, als sie sah, wer da in die Nacht hinausgetreten war.

„Ich fürchte, Sie haben sich überhaupt nicht verändert, Miss Meredith“, sagte Adam, als er ihren gemurmelten Kraftausdruck vernahm.

Sylvie nahm seine trockene Bemerkung kaum wahr, ihre ganze Aufmerksamkeit war auf John Vance gerichtet, der zu ihnen herüberkam. Sie versuchte ihm mit weit geöffneten Augen und leichtem Kopfnicken zu bedeuten, sie nicht anzusprechen, doch John bemerkte ihre Gesten nicht. Gleich darauf stand er neben ihr.

„Es ist noch ein Zimmer frei, und die Wirtin wird uns eine Mahlzeit richten. Wer ist das?“, sprudelte er in seiner gewohnt offenen Art hervor. Fragend blickte er von Sylvie zu Adam.

Adam musterte den kräftigen jungen Kerl abschätzig, der näher bei Miss Meredith stand, als es sich geziemte. Vielleicht ist er ein treuer, zuverlässiger Dienstbote der Familie … Vielleicht aber auch nicht, dachte er, als er sah, wie der Bursche sich bei ihr unterhakte.

„Wollen Sie uns nicht vorstellen?“, fragte Adam, den attraktiven Mann irritiert musternd, als dieser nun auch noch besitzergreifend Sylvies Hand umfasste.

Sylvie senkte den Blick und wünschte, der Boden würde sich auftun und sie verschlingen. Es gibt so viele Gasthöfe entlang der Great North Road, warum nur musste Lord Rockingham ausgerechnet in demselben Gasthof absteigen wie John und ich? dachte sie.

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als den Stier bei den Hörnern zu packen und zu enthüllen, warum sie und John gemeinsam reisten. Sie schaute Adam, der sie unverwandt musterte, argwöhnisch an. Einen Moment lang verschmolzen ihre Blicke, und eine seltsam eindringliche Erinnerung nahm sie gefangen. Als Lord Rockingham sie das letzte Mal auf diese Weise anblickte, hatte sie ebenfalls, so wie jetzt, ein merkwürdiges Prickeln verspürt, das sie völlig durcheinanderbrachte. Ärgerlich über sich selbst, hatte sie ihn schroff zurechtgewiesen. Hugo Robinson hatte sie in ganz ähnlicher Weise zurückgewiesen, doch er hatte nur rau gelacht und ihr gesagt, er würde ihr zeigen, warum er sie auf diese Weise anschaute. Und zu ihrem Entsetzen hatte er Wort gehalten und genau das getan.

„Nun?“, fragte Adam.

Sylvie setzte gerade an, das erwartungsvolle Schweigen mit einer sorgfältig zurechtgelegten Erklärung zu unterbrechen, doch ihr Freund kam ihr zuvor.

„Mein Name ist John Vance, und diese Dame ist meine Gemahlin.“

2. KAPITEL

Ihre Gemahlin?!“, fragte Adam.

Sein ungläubiges Erstaunen und die Belustigung in seiner Stimme veranlassten Sylvie zu einem herausfordernden Blick. „Jawohl, ich bin Mrs Vance. Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden, wir möchten jetzt speisen. Mein Gatte hat uns eine warme Mahlzeit und ein Zimmer besorgt.“

„Das Zimmer ist bereits gerichtet, und ich habe uns das Essen hinaufschicken lassen“, bestätigte John.

Doch ihre Hoffnung, Adam nun rasch zu entkommen, wurde sogleich vernichtet. Die Verblüffung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sagte: „Bitte entschuldigen Sie, wenn ich es bisher versäumt habe, mich vorzustellen. Sie können ja nicht wissen, wer ich bin. Adam Townsend, ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ Kurz machte er eine Pause, ehe er hinzufügte: „Meine Glückwünsche, Mr Vance, Sie können sich glücklich schätzen, Miss Merediths Zuneigung errungen zu haben.“

Verlegen lächelnd murmelte John seinen Dank und streckte den Arm aus.

Ohne zu zögern, ergriff Adam die schwielige Hand und schüttelte sie.

Sylvie, die eine weitere Unterhaltung unbedingt vermeiden wollte, sah sich gezwungen einzugreifen. „Guten Abend, Mylord“, sagte sie und lenkte John zum Gasthof zurück. So inständig war ihr Wunsch, Adams überwältigender Gegenwart zu entkommen, dass sie sich, erst als sie die ausgetretenen Stufen zu ihrer Kammer hinaufstiegen, fragte, warum er sich nicht als Marquess of Rockingham vorgestellt hatte.

„Verflixt!“, platzte sie heraus, sobald sich die Zimmertür hinter dem Schankmädchen schloss, das ihnen die Mahlzeit gebracht hatte.

John schaute Sylvie beunruhigt zu, wie sie wie ein Tiger im Käfig, die Hände geballt, hin und her lief. „Komm, setz dich doch und iss etwas“, meinte er.

„Mir ist der Appetit vergangen. Warum um alles in der Welt mussten wir ausgerechnet ihm begegnen!“

„Wieso ist es schlimmer, ihm zu begegnen als einem anderen Bekannten von dir oder mir?“

„Oh, das ist halt eben so!“, sagte Sylvie ungehalten, obwohl sie wusste, dass John recht hatte. Es war äußerst großes Pech, überhaupt einen Bekannten getroffen zu haben. Sie waren weit von ihrem Zuhause in Hertfordshire entfernt und hatten sich in diesem Gasthof sicher vor Entdeckung geglaubt, zumal es an der Great North Road nach Schottland zahlreiche andere Gasthöfe für müde Reisende gab. Daher hatte Sylvie es für höchst unwahrscheinlich gehalten, ausgerechnet in dem eher schäbigen Gasthof, den sie zur Rast gewählt hatten, jemandem aus ihrem Bekanntenkreis zu begegnen. Darin hatte sie sich ja nun gründlich geirrt! Aber warum trieb sich ein Aristokrat überhaupt in so einem Wirtshaus herum? Vielleicht hat Lord Rockingham seinen Titel nicht genannt, weil es ihm peinlich ist, an einem solchen Ort angetroffen zu werden und er hier nicht als Mitglied des Adels erkannt werden will, dachte Sylvie. Doch sie verwarf den Gedanken sofort. Er hatte kein bisschen verlegen ausgesehen, und wahrscheinlich würde eher die Hölle zufrieren als der Augenblick kommen, in dem er sich dessen, was er tat, schämte. Sie sah zu John hinüber, der sich genussvoll eine Gabel Fleisch in den Mund schob und den Bissen mit einem Schluck Bier herunterspülte. „Oh, ich verstehe nicht, wie du imstande bist zu essen, nach dem, was geschehen ist“, sagte sie ärgerlich.

Mit schuldbewusster Miene legte John die Gabel auf den Teller. „Und ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst. Irgendwann werden wir ohnehin bekannt geben müssen, dass wir verheiratet sind.“

„Ja, aber doch jetzt noch nicht! Nicht bevor die Zeremonie überhaupt stattgefunden hat. Wir haben erst die Hälfte des Weges nach Gretna Green zurückgelegt.“

„Du hast mich doch angewiesen, der Wirtin zu sagen, wir seien verheiratet“, erwiderte John verwirrt.

„Ja, ich weiß“, sagte Sylvie und seufzte. „Aus Gründen der Schicklichkeit müssen wir auch bei dieser Behauptung bleiben, wenn wir uns in Gesellschaft befinden. Wenn die Wirtin misstrauisch wird, könnte sie vielleicht die Behörden benachrichtigen.“

„Dann ist es doch gar nicht schlimm, wenn auch Townsend denkt, wir seien bereits verheiratet, nicht wahr? In ein paar Tagen wird dies ohnehin der Wahrheit entsprechen.“

Sylvie ließ sich auf dem Stuhl gegenüber von John nieder. „Ja, vielleicht.“ Sie nahm die Gabel und schob das Essen auf ihrem Teller hin und her. „Es ist nur, ich weiß nicht … Meinst du, er hat uns geglaubt? Er schien Zweifel zu hegen.“

John ergriff ihre Hand. „Auf mich wirkte er gar nicht zweifelnd. Er scheint mir ein anständiger Bursche zu sein und gut betucht. Woher kennst du einen solch feinen Pinkel? Ist er ein Freund deines Vaters?“

Sylvie schüttelte den Kopf. „Er ist ein Freund meines Schwagers William Pemberton. Adam Townsend trägt den Titel Marquess of Rockingham.“

„Oh“, sagte John beeindruckt, ehe er die Gabel nahm und weiteraß.

„Es tut mir leid“, sagte sie zerknirscht. Ihr Gewissen plagte sie, weil sie so ungehalten mit John umgesprungen war. Schließlich war es nicht seine Schuld, dass das Schicksal ihnen nicht wohlgesinnt schien. Wäre sie nicht stehen geblieben, um Adams Karriole zu bewundern, wäre sie ihm vielleicht gar nicht begegnet. Es war ja nur verständlich, wenn er ein solch teures Gefährt nicht aus den Augen ließ.

Nach einigen Bissen des überraschend köstlichen Mahls fühlte sie sich indes bereits ein wenig zuversichtlicher. „Wir werden morgen in aller Früh aufbrechen“, verkündete sie. „Vielleicht reist Seine Lordschaft heute Abend noch ab, was ich allerdings bezweifle, denn es ist bereits viel zu dunkel. Falls nicht, werden wir indes fort sein, noch ehe er aufsteht.“

„Ich kann nicht glauben, dass sie uns so etwas antut! Und noch dazu so heimlich, so verstohlen!“, rief Mrs Meredith.

Edgar Meredith hob müde den spärlich behaarten Kopf, den er in die Hände gestützt hatte. „Unsere Sylvie war schon immer ein schlauer kleiner Wildfang“, sagte er. „Glaubst du im Ernst, sie hätte solch ein Vorhaben nicht sorgfältig geplant?“

„Nun, ich weiß nicht, wie du das so gelassen hinnehmen kannst“, erwiderte Mrs Meredith aufgebracht. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass ihre jüngste Tochter sie alle getäuscht hatte und ihre Abwesenheit beinahe einen ganzen Tag unbemerkt geblieben war. Kopfschmerzen vorschützend hatte sich Sylvie am vergangenen Tag nach dem Tee auf ihr Zimmer zurückgezogen und darum gebeten, zum Dinner nicht geweckt zu werden. Als ihr Fehlen bemerkt wurde, war es bereits heller Vormittag. Sylvie hatte eine kurze Nachricht hinterlassen, in der sie schrieb, dass sie mit John Vance nach Gretna Green wollte, um ihn zu heiraten. Mrs Meredith hatte diesen Brief nach seiner Entdeckung wütend zerknüllt und an die Wand geworfen, um ihn anschließend wieder vom Boden aufzuheben und verdrossen zu ihrem Gatten zu sagen, dass die beiden Ausreißer sich mit dieser List einen guten Vorsprung verschafft hätten. „Was wirst du unternehmen?“, fragte sie nun.

Mr Meredith lehnte sich im Schaukelstuhl vor dem Kamin zurück. „Was soll ich deiner Meinung nach denn tun, meine Liebe? Sylvie ist zwar noch nicht volljährig, aber sie ist auch kein Kind mehr. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hat, sich mit John Vance zu vermählen, dann wird sie dies tun, und wir werden sie durch nichts davon abhalten können.“

„Wie kannst du so etwas nur sagen! Die beiden passen nicht zueinander!“, sagte Mrs Meredith entsetzt. „Sylvie ist von vornehmer Abstammung und ausgesprochen hübsch.“

„Und John kommt aus einer guten Bauernfamilie und ist ebenfalls sehr ansehnlich“, erwiderte Mr Meredith prompt.

„Ja, aber er ist … nun, er ist ein wenig …“, Mrs Meredith tippte sich erklärend mit der Hand an die Stirn, „… einfältig.“

„John ist ein netter junger Bursche“, erwiderte Mr Meredith. „Er ist freundlich, großzügig, und er betet unsere Tochter an. Außerdem“, fügte er schalkhaft hinzu, „wird Sylvie bei ihm nie Hunger leiden müssen, denn er kann jagen und fischen und ist ein erstklassiger Schütze.“ Als er sah, dass seine Frau über seinen Scherz nicht lachen konnte, fuhr er mit ernster Miene fort: „Er verfügt zudem über ein gutes Einkommen aus dem Anwesen seines Großvaters.“

„Ein gutes Einkommen? Sylvie soll nicht als Bauersfrau enden!“, klagte Mrs Meredith. „Sie ist zu Höherem bestimmt und hat eine bessere Partie verdient. Sie besitzt Anmut und Charme. Und in der letzten Zeit war sie auch nicht mehr gar so ein Wildfang wie früher. Sie muss nur in den richtigen Kreisen verkehren, dann wird sie gewiss von stattlichen, vornehmen Gentlemen umschwärmt und mit Heiratsanträgen überschüttetet werden. Dessen bin ich mir ganz gewiss.“

„Ist dir denn nie der Gedanke gekommen, Gloria, dass genau solche Andeutungen der Grund sind, warum sie weggelaufen ist? Verzeih mir, meine Liebe, aber ich denke, dass deine ständigen Ermahnungen, sie solle in die Stadt reisen und sich auf dem Heiratsmarkt präsentieren, möglicherweise dazu beigetragen haben, dass sie nun mit einem Mann durchgebrannt ist, den sie zumindest mag.“

„Also ist es meine Schuld, dass sie mit diesem Trottel davongelaufen ist?“

Mr Meredith blickte seine Gemahlin verärgert an. „Es gibt schlimmere Dinge, die ein Mann sich zuschulden kommen lassen kann, als nicht gut lesen und schreiben zu können.“

Mrs Merediths Wangen färbten sich rot. Die Missbilligung ihres Gatten war ihr nicht entgangen. Abwehrend meinte sie: „Sylvie hätte ja gar nicht in die Stadt reisen müssen, um einen Gatten zu finden. Ein geeigneter Gemahl für sie wohnt gleich in der Nachbarschaft. Ich bin mir sicher, Hugo Robinson verehrt unsere Tochter sehr. Sie indes besitzt nicht einmal die Höflichkeit, uns zu den Dinner-Einladungen der Robinsons zu begleiten. Allmählich ist es mir peinlich, Sylvies Abwesenheit ständig mit irgendwelchen Ausflüchten begründen zu müssen. Dabei ist Hugo ein attraktiver junger Mann und dazu noch klug.“

„Wie ich schon sagte, es gibt verwerflichere Dinge, die sich ein Mann zuschulden kommen lassen kann, als etwas schwer von Begriff zu sein“, sagte Edgar vielsagend.

„Was soll das heißen?“

„Es soll heißen, dass ich Dinge über Hugo Robinson gehört habe, die mir nicht gefallen. Vielleicht hat Sylvie die Gerüchte ebenfalls vernommen und sich deshalb entschieden, ihm aus dem Weg zu gehen.“

Mrs Merediths Augen wurden groß vor Neugier und bettelten förmlich um eine Erklärung.

Doch Mr Meredith schwieg beharrlich. Er war sich nicht sicher, ob das Geschwätz der Wahrheit entsprach, und Einiges davon war zudem zu taktlos, als dass er es vor einer Dame wiederholen würde, nicht einmal, wenn es sich bei der Dame um die eigene Gemahlin handelte. Da seine Gattin jedoch ganz offenbar eine Antwort erwartete, entschied er sich schließlich, ihr nur das Nötigste zu erzählen. Das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. „Er ist ein Rüpel und ein Raufbold. Erst kürzlich hat er sich mit einigen der jungen Kerle im Dorf geprügelt. Ich war ganz in der Nähe, als es geschah. Die Burschen haben Robinson keineswegs provoziert, soweit ich sehen konnte. Robinson schien mir einfach nur vor seinen Freunden angeben zu wollen.“

Entsetzen stand in Mrs Merediths Gesicht, dann aber tat sie die Nachricht ab, indem sie meinte: „Ach was, junge Männer sind halt manchmal recht ungestüm. Zweifellos ist Hugo sich anschließend ziemlich dumm vorgekommen, dass er sich in seinem Alter noch geprügelt hat. Ich nehme an, es war ein Streich.“ Nachdenklich den Kopf neigend fuhr sie fort: „Mir gegenüber ist er immer sehr höflich und charmant.“

„Dessen bin ich mir sicher“, sagte Mr Meredith trocken.

„Oh, du machst aus einer Mücke einen Elefanten, nur um mir Verdruss zu bereiten“, erwiderte Mrs Meredith schnippisch. „Außerdem bringt es nichts, wenn wir uns über Hugo den Kopf zerbrechen. Wir sollten uns lieber Gedanken machen, wie wir Sylvie zurückholen, bevor alle Welt von ihrer dummen Eskapade erfährt. Ich möchte nicht, dass wir zum Gespött der Leute werden, nur weil sich unsere Tochter nicht ihrer Stellung entsprechend benehmen kann.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Soll ich die Familie um Hilfe bitten, um sie zurückzuholen?“ Auch Mr Meredith war daran gelegen, seine jüngste Tochter nicht in einen Skandal verwickelt zu sehen. „Wenn ich einige Jahre jünger und besser bei Gesundheit wäre, würde ich mich selbst auf die Suche machen, aber ich glaube, in meinem derzeitigen Zustand wäre ich eher ein Hindernis denn eine Hilfe.“

„Connor ist in Irland. Etienne in Suffolk, nur William ist in der Stadt“, führte Mrs Meredith die derzeitigen Aufenthaltsorte ihrer Schwiegersöhne entmutigt auf.

„Nun, dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als selbst loszureiten“, sagte Mr Meredith mit der ergebenen Stimme eines Märtyrers.

„Nein, nein, auf keinen Fall“, begehrte Mrs Meredith auf. „Der Arzt hat gesagt, dass du dich nicht anstrengen darfst, wenn du einen weiteren Herzanfall vermeiden willst.“ Besorgt schaute sie zu ihrem Gatten, der sich Halt suchend an der Lehne seines Sessels festklammerte, um aufzustehen. „Ach, was kümmert’s mich, wenn sie ihr Leben ruinieren will!“, sagte sie schließlich verstimmt. „Sie war schon immer ein ungestümer, eigensinniger Fratz. Nun, ganz sicher wird sie in einigen Monaten mitleidheischend in den Schoß der Familie zurückkehren und ihren Fehler eingesehen haben. Dann wird sie das nächste Mal vielleicht überlegter handeln. Sie hat sich die Suppe eingebrockt, nun soll sie sie auch auslöffeln.“

„Ich bin mir sicher, dass sie nicht von zu Hause hat fortgehen wollen. Es kam mir nie so vor, als sehnte sie sich nach einem Gatten.“

„Alle Mädchen wünschen sich einen Ehemann“, behauptete Mrs Meredith nachdrücklich. „Es ist die natürliche Bestimmung einer Frau, einen Gentleman zu finden, der ihrer Liebe wert ist, sie freundlich und fürsorglich behandelt und sie mit schönen Dingen versorgt.“

„Ah, da haben wir es also. Seine finanziellen Werte sind also wichtiger als alles andere. Hast du deine Bestimmung im Leben gefunden, Gloria?“, fragte Mr Meredith milde.

Mrs Meredith warf ihrem gebrechlichen Gatten einen liebevollen Blick zu. Äußerlich erinnerte er kaum noch an den stattlichen jungen Mann, der er einst gewesen war. „Meine Erwartungen wurden weit übertroffen“, antwortete sie lächelnd. „Ich kann mich als sehr glücklich schätzen.“

„Das ist sehr freundlich von dir, meine Liebe“, sagte Mr Meredith, und die Freude über ihre Bemerkung ließ seine Brust vor Stolz schwellen.

„Ich nehme an, es ist zwecklos, sich auf die Suche nach den beiden zu machen“, sagte Mrs Meredith schließlich resigniert. „Sie sind schon zu lange weg, sodass Sylvie ohnehin bereits kompromittiert ist. Selbst wenn wir sie einholen könnten, müssten wir sicherstellen, dass John Vance sie ehelicht, ob er nun will oder nicht. Wir können nur hoffen, dass diese Eskapade nicht bekannt wird.“

„Johns Eltern sind über diesen Vorfall ebenso unglücklich wie wir, Gloria.“ Mr Meredith, der inzwischen aufgestanden war, ging im Zimmer bedächtig auf und ab. „Frank Vance hat angeboten, mich zu begleiten, sollte ich mich auf die Suche machen wollen. Doch er ist noch schwächlicher, als ich es bin. Ich glaube, er gibt unserer Tochter die Schuld.“

Autor

Mary Brendan
Mary Brendan wurde in Norden Londons als drittes Kind von sechs Kindern geboren. Ihr Vater hatte eine Klempnerfirma, und ihre Mutter, die sie zum Lesen und lernen anregte, arbeitete als Schulsekretärin.
Mary Brendan heiratete mit 19 Jahren und arbeitete in einer internationalen Ölfirma als Büroangestellte und später dann als Sekretärin in...
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