Mit dem Mut der Liebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es bleiben ihnen nur Sekunden, um die beiden Jugendlichen zu retten. Voll tiefer Bewunderung hilft Lisa dem wunderbaren Arzt Ronan Gillespie nach einem dramatischen Unfall. Und Stunden später liegt sie in seinen Armen - soll sie ihm jetzt ihr Geheimnis anvertrauen?


  • Erscheinungstag 29.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747404
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Seit dem frühen Morgen hatte der Schmerz in Lisa Balfours rechter Bauchseite rumort, aber jetzt wurde er immer stärker. Es fühlte sich an, als ob ihr jemand mit einer glühenden Nadel Stiche versetzte. Musste das ausgerechnet bei ihrem Vorstellungsgespräch passieren? Sie hatte sich als kompetent, selbstbewusst und gescheit präsentieren wollen, sodass Dr. Ronan Gillespie gar keine Wahl blieb, als sie für seine Praxis zu engagieren. Stattdessen versuchte sie, den ziehenden Schmerz zu unterdrücken, während sie sich vorbeugte, um seine Fragen besser zu verstehen.

„Warum haben Sie sich für den Job hier in Arrandale beworben?“ Dr. Gillespie sprach mit einem leichten schottischen Akzent. Er blätterte in Lisas Bewerbungsunterlagen. „Sie waren zuletzt in einer viel größeren Praxis in einer Großstadt tätig. Warum wollen Sie unbedingt in einer kleinen Praxis in einer ländlichen Kleinstadt arbeiten? In der Umgebung von Arrandale gibt es außerdem einige größere medizinische Zentren, die ständig neue Mitarbeiter suchen.“

Lisa atmete tief ein. „Mir gefällt die Vorstellung, vielleicht als Partner in eine kleine Praxis wie diese einzutreten. Ich hatte solch einen Wechsel schon längere Zeit vor.“

Das war eine glatte Untertreibung. In Wirklichkeit hatte sie verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht, so rasch wie möglich aus Grangeford wegzukommen. „Meine Mutter stammt aus Arrandale und hat mir oft vorgeschwärmt, wie sehr sie das Städtchen gemocht hat. Leider ist sie nie wieder hergekommen, seit sie damals nach Südengland zog. Als sie starb, dachte ich, es sei eine gute Idee, mich in ihrer Heimstadt niederzulassen.“

Auch das war nur die halbe Wahrheit. Lisa hatte jedoch nicht die Absicht, Dr. Gillespie den tatsächlichen Grund dafür zu nennen, warum sie sich diese abgelegene Gegend ausgesucht hatte. Das war viel zu persönlich und ging nur sie selbst etwas an.

Ihr Gegenüber musterte sie mit höflichem Interesse. „Ihre Mutter ist also nie mit Ihnen hier gewesen, um Ihnen zu zeigen, wo sie ihre Kindheit verbracht hat?“

„Nein, meine Mutter hatte ihre Gründe, warum sie die Vergangenheit ruhen lassen wollte.“ Und das war auch mehr als verständlich, dachte Lisa traurig. „Nach ihrem Tod wollte ich den Ort, an dem sie ihre Kindheit verbracht hat, unbedingt kennenlernen.“

„Offensichtlich haben Sie eine schwere Zeit durchgemacht“, erwiderte er ruhig. „Aber wenn es Ihnen mit einem Neuanfang Ernst ist, dann haben Sie sich den richtigen Ort ausgesucht. Die Gegend um Arrandale ist wirklich wunderschön – ich möchte behaupten, sie kann mit anderen berühmteren Landstrichen auf der Welt mithalten.“

„Ja, es scheint hier wirklich sehr angenehm und ruhig zu sein“, nickte Lisa. „In Grangeford war es meist laut und hektisch.“

Überrascht runzelte Dr. Gillespie die Stirn. „Es ist hier vielleicht nicht ganz so ruhig und geruhsam, wie Sie es sich vorstellen. Ich kann Ihnen versichern, wir haben hier die gleichen Probleme wie in größeren Städten, vielleicht nur nicht so häufig. Es gibt auch hier Drogen- und Alkoholprobleme, wie überall. Das hier ist keine Idylle. Wenn Sie also nach einem beschaulichen Job suchen, dann ist das nicht der richtige Platz dafür.“

„Ich habe natürlich nicht gemeint, dass ich glaube, die Arbeit hier sei leichter“, beeilte sich Lisa zu versichern. Sie hatte den kritischen Unterton in seinen Worten schon verstanden. „Außerdem bin ich lange und harte Arbeitszeiten gewöhnt.“

Er nickte, ohne weiter darauf einzugehen. Verdammt, dachte sie, jetzt hat er gleich einen falschen Eindruck von mir gewonnen. Dabei war genau das Gegenteil der Fall – sie wollte sich voll und ganz auf den Job konzentrieren, den sie über alles liebte, und dabei die Erlebnisse vergessen, vor denen sie aus Grangeford geflüchtet war.

„Sie müssen wissen“, fuhr Dr. Gillespie fort, „dass mein Partner Terry Newman für längere Zeit ausfallen wird. Er hat sich im Skiurlaub ein Bein gebrochen. Ein sehr komplizierter Bruch, der mehrere Operationen erforderlich machte. Aber wir hatten schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, einen dritten Kollegen einzustellen, da der Ansturm der Patienten von zwei Ärzten kaum noch zu bewältigen ist. Sie können sich vorstellen, was hier los ist, seit ich allein bin.“

„Das muss eine ungeheure Belastung für Sie sein“, meinte Lisa, während sich der bohrende Schmerz in ihrem Unterleib wieder meldete. Sie war froh, als das Telefon klingelte und Dr. Gillespie abgelenkt wurde. Sie warf einen Blick in den Spiegel an der Wand hinter seinem Schreibtisch und erschrak. Ihr Gesicht war kreideweiß. Die Augen lagen tief in den Höhlen und waren von dunklen Schatten umrandet. Ihre normalerweise locker fallenden, honigblonden Haare hingen strähnig und unansehnlich herunter. Sie sah nicht so aus, als könne sie auch nur einen einzigen harten Arbeitstag durchhalten.

„Entschuldigung“, sagte Dr. Gillespie, als er den Hörer abhob. „Das ist bestimmt eine Information aus dem Krankenhaus über einen Patienten, den ich dorthin überwiesen habe.“

Während er mit dem schnurlosen Telefon im Raum auf und ab ging, fiel Lisa auf, dass er groß, schlank und sehr sportlich war. Er wirkte gelassen und strahlte unerschütterliches Selbstvertrauen aus. Er ist genau der Typ Arzt, in den sich die Patientinnen ein bisschen verlieben, schoss es Lisa durch den Kopf. Die Mischung aus gutem Aussehen und natürlicher Autorität konnte einen Mann sehr attraktiv machen.

Dr. Gillespie kam zum Schreibtisch zurück und machte sich ein paar Notizen, während Lisa sich im Zimmer umschaute. Es hätte dringend renoviert und mit ein paar neuen Möbeln versehen werden müssen. Aber dafür war der Blick aus dem Fenster überwältigend – sanfte Hügel, bedeckt mit Wäldern, und in den Tälern kleine, fast versteckte Gehöfte. Ja, es würde viel Spaß machen, die Gegend zu erkunden.

Er legt den Hörer auf und blickte Lisa entschuldigend an. „Der Job lässt einen nicht los, nicht einmal am Samstagnachmittag. Aber das wissen Sie ja selbst.“ Seine Stimme klang wieder geschäftsmäßig. „Möchten Sie mich vielleicht noch etwas fragen?“

In seinem Tonfall schwang ein Hauch von Ungeduld mit, sein schmales, intelligentes Gesicht mit den tiefblauen Augen blieb jedoch ausdruckslos. Lisa bemerkte, dass er auf seiner linken Wange eine Narbe hatte, die leicht pochte.

„Wie viele Patienten haben Sie in Ihrer Kartei?“

„Ungefähr viertausend. Aber wir haben ein sehr großes Einzugsgebiet abzudecken, das kann ganz schön anstrengend sein.“ Er betont das wohl noch einmal, dachte Lisa, um mir klarzumachen, dass die Arbeit hier nicht leicht ist.

„Es gibt mehrere kleine Dörfer in der Umgebung, die wir mitversorgen, und eine Reihe abgelegener Farmen. Für Operationen und stationäre Behandlungen steht uns ungefähr acht Kilometer entfernt ein kleines Krankenhaus zur Verfügung. Für kompliziertere Fälle können wir das Bezirkskrankenhaus in Inverleith belegen.“

Lisa nickte. Ihr wurde bewusst, dass in der Praxis von Dr. Gillespie an Arbeit wahrlich kein Mangel herrschte. Es schien, als ob er hohe Anforderungen an seine Mitarbeiter stellte. Aber das würde sie nicht stören, solange er fair blieb und den Sinn für Humor, den sie hinter seiner ernsten Miene spürte, nicht verlor. Hoffentlich glaubte er ihr, dass sie harte Arbeit nicht scheute!

Ein scharfer Schmerz schnitt in ihren Unterleib. Sie fühlte sich elend und leicht benommen. Verzweifelt schluckte Lisa, während sie sich auf Dr. Gillespies Gesicht konzentrierte. Hätte sie doch am Abend zuvor nicht diese Shrimps gegessen. Das war absolut nicht der richtige Moment für eine Lebensmittelvergiftung. Sie konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken, als eine neue Schmerzwelle sie traf.

Beunruhigt schaute Dr. Gillespie sie an. „Sie sind ja ganz blass. Was ist mit Ihnen?“

Lisa rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Nichts … es geht schon.“ Sie grub die Nägel in die Handflächen, bis es wehtat – als ob sie damit den Schmerz in ihrem Bauch erträglicher machen könnte. Er durfte nicht den Eindruck bekommen, sie sei krank. Sie wollte diesen Job. Unbedingt.

Dr. Gillespie musterte sie misstrauisch. Er schien ihr nicht zu glauben, dass alles in Ordnung war. „Ich möchte noch erwähnen, dass Sie ab und zu auf Abruf für den Nachtdienst zur Verfügung stehen müssten. Wir haben zwar eine Vereinbarung mit einer Spezialagentur, die uns normalerweise den Dienst an Wochenenden und Feiertagen abnimmt. Aber während der Woche müssen wir meist selbst den Notdienst organisieren. Das war sicher in der Praxis in Grangeford genauso geregelt?“, fragte er, wobei er zum ersten Mal lächelte.

Die Narbe hinterließ dabei ein Grübchen in seiner Wange und gab ihm einen verwegenen Ausdruck. „Sie werden schon bemerkt haben, dass das Gebäude, in dem wir hier sind, nicht besonders modern ist, vielleicht sogar ein wenig schäbig“, fuhr er fort. „Mal sehen, wie die Praxis sich weiterentwickelt. Im Augenblick übersteigt eine gründliche Renovierung und Neuausstattung unser Budget.“

Er gibt sich wirklich alle Mühe, mich abzuschrecken, dachte Lisa. Vielleicht wollte er ihr nicht direkt ins Gesicht sagen, dass sie den Job nicht bekommen würde.

„Bereitschaftsdienst stört mich nicht, solange das nicht zu häufig im Monat der Fall ist. Und der Zustand des Gebäudes ist mir auch nicht wichtig. Viel wichtiger ist, ob die Patienten sich in dieser Praxis wohlfühlen“, erwiderte sie.

Ronan Gillespie nickte. „Stimmt. Ach, übrigens – ich brauche so schnell wie möglich jemanden zur Unterstützung. Mit wechselnden Aushilfen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Wie lang ist Ihre Kündigungsfrist?“

„Ich bin schon aus der Praxis ausgeschieden.“

Überrascht blickte er sie an.

„Als meine Mutter schwer krank wurde, wollte ich bei ihr sein“, sagte Lisa schnell. „Darum habe ich schon vor ein paar Monaten gekündigt und zwischendurch in verschiedenen Praxen als Aushilfe gearbeitet.“ Auch das war nicht die ganze Wahrheit.

„Dann könnten Sie also sofort anfangen?“

„Ja – wann immer Sie wollen … ahhh!“ Sie konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken, denn der Schmerz war jetzt unerträglich geworden. Sie presste die Hände auf den Bauch und krümmte sich auf ihrem Stuhl. Gillespie sprang auf, kam um den Schreibtisch herum und hockte sich neben sie.

„Was ist mit Ihnen, um Gotteswillen? Haben Sie Krämpfe?“

Der Raum verschwamm vor Lisas Augen. Schwankend kam sie von ihrem Stuhl hoch und taumelte ein paar Schritte vorwärts. Nur schemenhaft bekam sie mit, dass Dr. Gillespie sie auffing, hochhob und auf die Behandlungscouch legte. „Wo haben Sie Schmerzen, Lisa? Hier? Auf der rechten unteren Bauchseite? Und zieht sich der Schmerz bis zum Rücken?“ Er drückte leicht auf die schmerzende Stelle und entlockte ihr einen Aufschrei.

„Bitte nicht“, flehte sie. „Die Schmerzen sind unerträglich.“

„Keine Sorge, ich kümmere mich um Sie. Der Krankenwagen wird in ein paar Minuten hier sein.“

„Der Krankenwagen?“, fragte Lisa schwach. „Ich glaube, ich habe nur eine Lebensmittelvergiftung.“

Lisa versuchte sich aufzurichten, ließ sich aber sofort wieder zurücksinken. Behutsam legte Dr. Gillespie ihr die Hand auf die Schulter. „Vergessen Sie das Vorstellungsgespräch für heute. Zuerst müssen wir Sie versorgen. Und was die Lebensmittelvergiftung angeht, da bin ich mir über Ihre Diagnose absolut nicht sicher, Dr. Balfour.“

Plötzlich war der Raum voll mit Sanitätern in leuchtend gelben Westen. Lisa wurde auf eine Trage geschnallt, in den Krankenwagen geschoben, eine Sauerstoffmaske wurde auf ihr Gesicht gepresst. Das Gefühl der völligen Hilflosigkeit mischte sich mit der enttäuschenden Gewissheit, dass sie den Job, den sie unbedingt hatte haben wollen, nun wohl vergessen konnte. Sie verspürte ein leises Bedauern darüber, nicht mit Dr. Gillespie zusammenzuarbeiten, was sie überraschte.

Ronan Gillespie schaute vom Fenster aus dem Krankenwagen nach, der die Straße durch die Hügel nach Inverleith entlangfuhr. Er hatte von Anfang an vermutet, dass Lisa sich nicht wohlfühlte, denn sie hatte sehr blass ausgesehen. Schade, dachte er, dass die Kandidatin, die für den Job hervorragend geeignet schien, zusammengebrochen war, als er ihr gerade sagen wollte, sie könne am nächsten Tag anfangen.

Er war sich sicher, dass es noch einen anderen Grund dafür geben musste, dass Lisa Balfour unbedingt in Arrandale arbeiten wollte. Er glaubte ihr nicht, dass sie den Ort kennenlernen wollte, in dem ihre Mutter als Kind gelebt hatte. Aber grundsätzlich war er von ihren Bewerbungsunterlagen und von ihrem Verhalten sehr angetan. Vielleicht ging er ein Risiko ein, wenn er sie einstellte, aber instinktiv hatte er das Gefühl, dass er ihr vertrauen konnte.

Er seufzte. Lisa Balfour war eine attraktive, junge Frau. Sehr attraktiv. Genau der Typ Frau, den er noch vor ein paar Jahren besonders geschätzt hatte. Er lachte freudlos auf. Wenn es um Frauen ging, hatte er seine bittere Lektion gelernt. Er verspürte nicht den geringsten Wunsch nach einer neuen Beziehung. Merkwürdig und beunruhigend war nur der Anflug von sexuellem Verlangen gewesen, als er sie hochgehoben und auf die Untersuchungscouch gelegt hatte. Er war Lisa doch erst eine halbe Stunde vorher zum ersten Mal begegnet …

Die Blumen auf Lisas Nachttisch wirkten in ihrem strahlenden Gelb fröhlich und optimistisch. Es war ein wunderschöner Strauß Osterglocken. Lisa fragte sich, wer ihr die Blumen geschickt haben mochte. Sie kannte doch niemanden in der Gegend.

Ermattet schloss sie die Augen. Wenn ihr Blinddarm sich bloß noch ein paar Tage Zeit gelassen hätte mit der akuten Entzündung! Wenigstens so lange, bis ihr Einstellungsgespräch zu Ende war. Dr. Gillespie hätte seine Zusage, wenn es dazu gekommen wäre, nicht zurückgezogen, weil sie sich den Blinddarm herausnehmen lassen musste. Jetzt war die Chance, dass er sie einstellen würde, äußerst gering.

„Nun, wie geht es unserer Patientin heute? Fühlen Sie sich schon besser?“

Lisa riss die Augen auf und fuhr hoch. Ronan Gillespie stand am Fußende ihres Bettes.

„Danke, viel besser.“ Sie lächelte etwas mühsam. „Es … es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände gemacht habe.“

„Darüber zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Die Hauptsache ist, dass Sie es noch rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft haben und die Kollegen hier sehr rasch herausfanden, was mit Ihnen los war.“ Plötzlich lächelte er, was ihm ein jungenhaftes Aussehen gab und sein sonst so strenges Gesicht erhellte. „Wenn Sie unbedingt darauf aus waren, mehr über die Qualitäten unseres Krankenhauses zu erfahren, hätten Sie mich auch einfach fragen können“, versuchte er sie aufzumuntern. Sie lachte kurz auf, verzog aber sofort das Gesicht.

„Haben Sie noch Schmerzen?“

„Kaum. Zum Glück arbeiten sie hier schon mit Minimalinvasivtechnik. Der winzige Einschnitt wird bald verheilt sein.“

Er nickte zustimmend. „Ja, die Laparoskopie ist ein Segen für die Patienten. David Grieves, der Sie operiert hat, sagte mir, Ihr Blinddarm sei nicht zu stark entzündet gewesen. Sonst hätte er den Eingriff durch die winzige Öffnung nicht wagen können, ohne die Entzündungskeime in Ihrer Bauchhöhle zu verteilen. Wie lange hatten Sie schon Beschwerden?“

„Seit ein paar Tagen“, gab Lisa zu. „Aber für die akuten Beschwerden habe ich die Shrimps verantwortlich gemacht, die ich am Abend vor unserem Gespräch gegessen hatte. Ich dachte, ich hätte eine Lebensmittelvergiftung.“

„Ich freue mich jedenfalls, dass Sie schon wieder viel besser aussehen“, sagte Dr. Gillespie.

Was meinte er damit? Ihre Haare waren eine unordentliche, wilde Mähne. Und bestimmt war sie im Gesicht ungefähr so weiß wie der Krankenhauskittel, den sie trug. Ronan Gillespie war der Typ Mann, in dessen Gegenwart eine Frau den dringenden Wunsch verspürte, begehrenswert auszusehen – aber davon war sie Lichtjahre entfernt.

Sie freute sich, dass er sich die Mühe machte, sie zu besuchen. Und sie war ihm dankbar, dass er sich um sie gekümmert hatte, als sie zusammengebrochen war. Aber jetzt wünschte sie sich, er würde endlich gehen, damit er sie nicht länger in ihrem miserablen Zustand sah. In seiner Gegenwart kam ihr noch schmerzlicher zu Bewusstsein, dass sie den Job, den sie so gerne haben wollte, wohl in den Wind schreiben konnte.

Eine junge Frau in weißen Hosen und einem halblangen, weißen Kittel kam auf Ronan Gillespie zu. Sie lächelte Lisa an. „Entschuldigen Sie die Störung, aber kann ich kurz mit Dr. Gillespie sprechen?“

„Hallo, Tanya“, begrüßte Gillespie sie. „Dr. Balfour, darf ich Ihnen meine Schwester vorstellen? Sie hat gerade ihre Ausbildung als Physiotherapeutin hier beendet und geht in Kürze im Rahmen eines internationalen Austauschprogramms für ein halbes Jahr nach Italien. Tanya, das ist Dr. Lisa Balfour – ich hoffe, Sie wird mir bei der Arbeit in der Praxis helfen, sobald sie sich von der Blinddarmoperation erholt hat.“

Tanya schüttelte Lisa die Hand. „Das sind endlich mal gute Neuigkeiten. Ronan hatte es in den letzten Wochen nicht leicht, den Praxisbetrieb allein in Gang zu halten.“

Überrascht schnappte Lisa nach Luft. „Heißt das, Sie bieten mir den Job an, Dr. Gillespie? Aber Sie wollten doch jemand, der sofort anfangen kann. Nachdem ich schlappgemacht hatte, dachte ich, Sie würden mich nicht mehr nehmen.“

Er lächelte beruhigend. „Bis Sie wieder fit sind, komme ich schon allein zurecht. Ja, ich biete Ihnen den Job an.“ Er nickte ihr zu. „Sie wissen, ich erwarte bei der vielen Arbeit in der Praxis hundertprozentigen Einsatz.“

„Natürlich. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich keine Angst vor anstrengender Arbeit habe.“

Tanya kicherte. „Dann passen Sie gut zu meinem Bruder – er lebt nur noch für den Job.“

Er verzog das Gesicht. „Ich hatte nicht viel Zeit, mich um andere Dinge zu kümmern. Um ehrlich zu sein, es gab nicht viele Bewerber für die Stelle. Eine Praxis wie diese in einer so abgelegenen Gegend scheint für die meisten Ärzte nicht besonders reizvoll zu sein.“

„Mir gefällt sie.“

„Dann wollen Sie den Job also annehmen?“

Lisa lachte. „Ja. Ich freue mich sehr und hoffe, dass ich schon bald wieder arbeiten kann. Danke, Dr. Gillespie.“

„Gedulden Sie sich, bis der Chirurg Ihnen grünes Licht gibt, egal, wie rasch mein Bruder Sie in der Praxis sehen möchte“, meinte Tanya.

„Du hast recht“, stimmte Ronan Gillespie ihr zu. „Und da wir jetzt Kollegen sind, sollten wir die Förmlichkeiten beiseitelassen und uns mit dem Vornamen anreden. Einverstanden? Übrigens – können wir noch irgendetwas für Sie tun, Lisa? Sollen wir Ihr Gepäck aus dem Hotel herschaffen?“

„Das wäre sehr freundlich. Ich habe für zwei Nächte ein Zimmer im Birsk Lodge gemietet. Dort ist meine Reisetasche mit ein paar Dingen, die ich gut gebrauchen könnte. Ich denke, dass ich noch ein paar Tage länger in dem Hotel bleiben werde, um mich zu erholen. Inzwischen werde ich in Grangeford anrufen und veranlassen, dass man mein übriges Gepäck herschickt.“

Tanya runzelte die Stirn und sah ihren Bruder an. „Die arme Lisa kann doch nicht allein in dem unansehnlichen Hotel herumliegen. Das ist ja eine abscheuliche Vorstellung.“

Sie wandte sich zu Lisa um. „Ich habe eine umwerfende Idee. Sie werden bei uns in The Rowans wohnen. Das Haus ist riesengroß. Und wir haben eine Haushälterin, der es gar nichts ausmacht, sich um Sie zu kümmern. Habe ich recht, Ronan?“

Lisa warf ihm einen raschen Blick zu. Der spontane Vorschlag seiner Schwester schien ihn nicht zu begeistern.

„Natürlich“, sagte er höflich und verzog die Lippen zu einem etwas steifen Lächeln. „Sie sind uns willkommen.“

„Das kann ich doch nicht annehmen“, protestierte Lisa. „Es macht mir nichts aus, ein paar Tage im Birsk Lodge zu bleiben. Ich werde bestimmt bald eine Wohnung oder ein Haus finden, das ich anmieten oder kaufen kann.“

„Dann müssen Sie ja auch nur für ein paar Tage in The Rowans bleiben“, meinte Tanya. „Was ist also, Ronan? Lisa würde uns doch überhaupt nicht stören. Und so lernt ihr euch sogar besser kennen, bevor ihr in der Praxis zusammenarbeitet.“

Ronan nickte. Er sah jetzt ganz entspannt aus. „Tanya hat recht – Sie würden sich keinen Gefallen tun, wenn Sie sich im Birsk Lodge verkriechen.“

Begeistert klatschte seine Schwester in die Hände. „Dann ist es also abgemacht. Sobald Sie aus dem Krankenhaus entlassen werden, ziehen Sie zu uns. Ich bereite inzwischen alles für Sie vor.“

Lisa war zu müde, um noch länger zu argumentieren. Außerdem stimmte sie Tanya zu – das Hotel Birsk Lodge war nicht gerade einladend. Sie musste nur versuchen, so bald wie möglich eine eigene Unterkunft zu finden.

„Vielen Dank. Es wäre wirklich sehr schön, wenn ich ein paar Tage bei Ihnen wohnen könnte.“

„Also abgemacht“, sagte Ronan. „Ich werde David Grieves fragen, wie lange Sie noch hierbleiben müssen. Er soll mir Bescheid geben, wann ich Sie abholen kann.“

Sein Gesichtsausdruck war wieder so ernst wie bei ihrem Vorstellungsgespräch. Als er mit seiner Schwester aus dem Zimmer ging, drehte er sich kurz um. „Ich schaue noch einmal herein, wenn ich mit Grieves gesprochen habe.“

Mit einem erleichterten Seufzer ließ Lisa sich zurücksinken. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie sich den Job gewünscht hatte. Die Idee, bald jeden Tag mit Ronan Gillespie zusammenzuarbeiten, gefiel ihr. Hoffentlich hatte sie keinen Fehler gemacht, seine Gastfreundschaft anzunehmen – obwohl es der Vorschlag seiner Schwester gewesen war.

„Ist Dr. Gillespie Ihr Hausarzt?“, fragte die junge Krankenschwester, die ein paar Minuten später hereinkam, um Lisas Blutdruck zu messen.

„Wir sind Kollegen. Ich werde in seiner Praxis arbeiten, sobald ich wieder auf den Beinen bin.“

„Meinen Glückwunsch“, sagte die Schwester. „Er ist ein großartiger Mann, nicht wahr?“

Autor

Judy Campbell
Mehr erfahren