Mit diesem Ring ...

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Jillian fällt aus allen Wolken, als ihr der Bodyguard Zach Keller eine Scheinehe vorschlägt. Er will auf diesem Wege erreichen, dass der Verrückte, der Jillian verfolgt, sie endlich in Ruhe lässt. Der Gedanke mit Zach in einem Apartment zu leben, ist so prickelnd, dass sich Jillian entschließt, Ja zu sagen. Wer weiß, vielleicht ist es schon bald gar keine Scheinehe mehr?


  • Erscheinungstag 15.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759070
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Zwei Scheiben Kartoffelbrot, leicht getoastet und mit süßem Senf bestrichen. Hauchdünn geschnittene geräucherte Truthahnbrust und eine Scheibe mageres Roastbeef. Eisbergsalat, leicht gesalzene Tomatenscheiben, kein Käse. Relish aus Schalotten, Gürkchen und Jalapeño-Chilis. Zuletzt über alles in feine Ringe geschnittene schwarze Oliven und ein Schuss roter Weinessig verteilt.

Jillian drückte die zweite Brotscheibe sorgfältig auf das riesige Sandwich und umwickelte es mit Butterbrotpapier, das sie mit einem Zahnstocher feststeckte. Sie packte es noch einmal ein und steckte es in eine braune Papiertüte mit der Aufschrift Downtown Deli. Außerdem schob sie eine kleine Tüte Kartoffelchips, einen roten Delicious-Apfel und ein Stückchen Schokolade mit Pfefferminzfüllung hinein. Danach goss sie starken schwarzen Kaffee in einen großen Becher, verschloss ihn mit einem Deckel und stellte Tüte und Becher auf ein Tablett.

Jetzt konnte sie endlich an sich selbst denken. Sie wusch die Hände an der Spüle, nahm die beschmutzte weiße Schürze ab und strich den Rock der hellgrauen Uniform glatt. Nachdem sie die Brille auf der Nase hochgeschoben hatte, rückte sie das Stirnband mit dem Firmennamen, das ihr hellbraunes Haar festhielt, zurecht und seufzte über ihr Aussehen. Mit einsfünfundsiebzig und hundertzwanzig Pfund war sie zu dünn. Die hellblauen Augen waren für das schmale Gesicht viel zu groß. Aber Zachary Keller von der Threat Management Inc. fiel das alles bestimmt nicht auf.

In den sieben Wochen, die sie nun hinter der Theke des Deli in seinem Bürogebäude arbeitete, hatte er sie kaum wahrgenommen. Dabei hatte sie ihm mindestens ein Dutzend Mal das gleiche Sandwich zubereitet. Jetzt brauchte sie seine Hilfe. Von einem anonymen Gesicht hinter der Ladentheke verwandelte sie sich in eine Bittstellerin und danach in eine Vermittlerin. Danach wurde sie nicht mehr gebraucht. Wichtig war nur, Zachary Kellers Interesse für Camille zu wecken, und das gelang ihr bestimmt.

Was spielte es da schon für eine Rolle, wenn sie bei seinem Anblick jedes Mal weiche Knie bekam? So erging es ihr doch bei jedem großen, kräftigen Mann mit dunklem Haar, grünen Augen und einem gut geschnittenen Gesicht. Wenn ihr kein bestimmter Mann in Erinnerung geblieben war, hatte das nichts zu bedeuten. Sie selbst war sicher auch keinem aufgefallen. Die zierliche, hübsche, blonde und erfolgreiche Camille wurde stets beachtet. Camille war ihre einzige Verwandte, ihre geliebte und bewunderte ältere Schwester.

Der kahlköpfige Geschäftsführer nickte Jillian zu, worauf sie mit dem Tablett in der Hand hinter der Kühltheke hervorkam und zwischen den wenigen Tischen und Stühlen zu den Aufzügen auf der anderen Seite der Halle ging.

Ihre Kollegin Tess wischte soeben über die Glasplatte eines winzigen schmiedeeisernen Tisches, an dem zwei Sekretärinnen die Kaffeepause verbracht hatten. „Vorwärts, Mädchen!“, rief sie Jillian aufmunternd zu. „Schnapp dir den tollen Kerl!“

Lachend hielt Jilly die überkreuzten Finger hoch. Jede Frau im Haus schwärmte von dem Mann. Mit dem offenen Lächeln, den rätselhaften grünen Augen und der muskulösen Figur löste er Träume aus. Laut Lois, seiner ungefähr fünfzigjährigen Sekretärin, geschieden, tüchtig und redselig, traf er sich jedoch nur selten mit einer Frau. Einige der Mädchen tippten auf ein gebrochenes Herz.

Jillian betrat den Aufzug und drückte den Knopf für den siebenten Stock.

Zach unterbrach das Diktat, als es klopfte, und schaltete den Recorder ab. „Ja!“

Seine Sekretärin öffnete die Tür. Lois steckte den Kopf mit dem hoch aufgetürmten dunklen Haar herein. „Mittagessen!“, verkündete sie fröhlich.

Zach warf einen Blick auf die Armbanduhr mit dem Zifferblatt aus Onyx. „Ziemlich früh, nicht wahr?“

Wie üblich hörte Lois gar nicht hin, sondern gab jemandem hinter ihr ein Zeichen. Zach lehnte sich zurück und legte die Beine auf die Ecke des Schreibtisches.

Eine hoch gewachsene, schlanke Frau in einer schlecht sitzenden grauen und weißen Uniform und mit einer großen, rechteckigen Brille erschien in der Tür. In der Hand hielt sie ein Tablett.

Es dauerte einen Moment, bis er die Frau einordnen konnte. Der Deli im Haus. Sie war größer, als er gedacht hatte, und mager. Das interessante Gesicht wurde von dieser scheußlichen Brille fast vollständig verdeckt.

„Ich habe heute kein Mittagessen bestellt“, sagte er freundlich.

„Ich weiß“, erwiderte sie atemlos.

Weil sie so ernst wirkte, verkniff er sich das Lachen. „Polizisten kann man bestechen, aber ich bin keiner mehr, Miss …?“

„Waltham“, warf Lois ein. „Das ist Jillian Waltham. Jilly, das ist mein Chef, Zachary Keller. Jilly hat ein Problem, Boss, und ich habe ihr versprochen, dass Sie ihr helfen.“

Also wieder einmal eine Gefälligkeit! Sonst ärgerte er sich nie darüber, jetzt schon. Nie wies er Leute ab, die wirklich Hilfe brauchten, meistens Frauen, die von ihren Lebensgefährten misshandelt wurden.

Seine zahlenden Klienten waren vorwiegend Berühmtheiten, die Schutz oder einfach jemanden brauchten, der sie in der Öffentlichkeit abschirmte. War gerade nicht viel zu tun, arbeitete Zach auch für Firmen und Organisationen und sorgte für Sicherheit bei Seminaren oder Banketten.

Am liebsten half er Einzelpersonen, die in Gefahr waren oder im Leben nicht mehr weiter kamen. Aus einem unerfindlichen Grund wollte er jedoch mit dieser Frau nichts zu tun haben, konnte aber trotzdem nicht ablehnen.

Er stellte die Füße auf den Boden und griff lächelnd nach der Tüte. „Setzen Sie sich, Jillian Waltham, und verraten Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.“

Sie reichte ihm das Tablett und ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. „Ich hätte einen Termin vereinbaren sollen, aber ich fürchtete, dass es dann Wochen dauern könnte, bis Sie Zeit für mich haben.“

Das Geschäft lief gut, doch er winkte ab. „Kein Problem. Das schaffen wir schon.“

„Es ist so, wie Sie es immer bestellen“, sagte sie mit einem Blick auf das Sandwich.

Er griff nach dem Kaffeebecher, warf den Deckel in den Papierkorb, nahm einen Schluck und betrachtete die Frau genauer. Das Gesicht hinter der scheußlichen Brille und unter dem albernen Stirnband war erstaunlich hübsch. Die unglaublich großen Augen stachen besonders hervor. Er sah genauer hin. Vielleicht brauchte sie die Brille gar nicht. Die Gläser wirkten dünn und flach. Wovor wollte sie sich verstecken?

Zach wusste aus trauriger Erfahrung, dass gewalttätige Männer ihre Frauen so lange herabsetzten, bis diese sich selbst hassten. Die Männer schienen nicht zu ertragen, dass jemand sah, was sie attraktiv fanden. Derartig bedrängte Frauen fanden sich unattraktiv, sogar hässlich, und richteten sich auch dementsprechend her. Wer hatte Jillian Waltham davon überzeugt, dass sie unattraktiv war?

„Sind Sie verheiratet?“, fragte er mit einem Blick auf ihre Hand, an der er keinen Ring fand.

„Nein“, erwiderte sie überrascht.

„Waren Sie jemals verheiratet?“

„Nein.“

„Dann ist es also Ihr Freund“, vermutete er. „Er sagt, dass Sie ihn gar nicht verdienen, aber er lässt Sie auch nicht gehen. Das kenne ich zur Genüge.“

Sie schob die Brille auf der kleinen Nase hoch, und lachte plötzlich. In diesem Moment war sie nicht einfach hübsch, sondern atemberaubend schön. Zach stellte den Becher hart auf den Tisch und wusste schlagartig, was ihn an dieser Frau störte.

Serena.

Jillian Waltham erinnerte ihn an Serena.

Sofort unterdrückte er alle Gefühle, die durch den Gedanken an Serena ausgelöst wurden. Ihr sinnloser Tod machte ihn noch heute wütend.

„Es geht nicht um meinen Freund, sondern um den meiner Schwester“, erklärte sie.

„Ihrer Schwester“, wiederholte er.

„Vielleicht haben Sie von ihr gehört. Camille Waltham, Nachrichten auf Channel 3.“

Camille Waltham, Channel 3. Ja, er kannte sie, eine hübsche Blondine mit schicker Frisur und perfektem Make-up. Also handelte es sich nicht um eine Gefälligkeit, und es ging auch nicht um Jillian Waltham, die ihn an Serena erinnerte. Zach holte erleichtert aus der Schublade einen Block und einen Stift.

„Also, jemand bedroht Ihre Schwester“, stellte er fest.

„Eigentlich kann man nicht von Bedrohung sprechen“, erwiderte Jillian nachdenklich. „Er bedrängt sie.“

„Wann hat das begonnen?“

„Als sie mit ihm Schluss machte. Das ist typisch für ihn. Janzen konnte noch nie eine Abfuhr einstecken. Das ist für ihn wie ein rotes Tuch. Sagt man ihm, dass ein gemeinsamer Abend nicht infrage kommt, will er einen haben, selbst wenn er eigentlich gar nicht daran interessiert ist.“

Zach zwang sich zu Geduld. „Ich brauche unbedingt einen gemeinsamen Abend.“

„Einen gemeinsamen Abend?“

Ihr fassungsloser Ton wunderte ihn. „Ja, bitte.“

„Na gut“, meinte sie, „aber zuerst müssen wir uns um meine Schwester kümmern. Sie ist meine einzige Verwandte.“

Er sah sie sekundenlang an, ehe er begriff. Dann wusste er nicht, ob er sich amüsieren oder ärgern sollte. „Sie haben mich falsch verstanden. Ich brauche das Datum des letzten gemeinsamen Abends, den Ihre Schwester mit ihrem Freund verbracht hat.“

„Ach so!“ Sie lachte, wurde jedoch rot. „Und ich dachte … aber ich hätte es besser wissen müssen! Es klang, als hätten Sie es nötig … Ich meine, ein Mann wie Sie würde doch nicht …“ Sie lachte gekünstelt, holte tief Atem und erklärte: „Die beiden haben sich vor fast zwei Monaten getrennt. Das war am achten oder neunten Mai. Camille kann es Ihnen natürlich genau sagen.“

Es war Zach unangenehm, dass sie sich ihm offenbar unterlegen fühlte, doch das war nicht sein Problem. „Wieso sprechen Sie und nicht Ihre Schwester mit mir?“

„Weil Camille keine Zeit hat“, erwiderte Jillian. „Sie wissen, wie das ist. Der Sender schickt sie ständig zu irgendwelchen Werbeveranstaltungen. Sie ist schließlich eine lokale Berühmtheit.“

„Gut, dann beginnen wir am besten am Anfang, Miss Waltham.“

„Jillian.“

Er nickte.

„Oder Jilly, wenn Ihnen das lieber ist.“

Es war ihm nicht lieber, weil er fand, dass die Kurzform sie herabsetzte. Doch auch das war nicht sein Problem. „Könnten Sie bitte genau erklären, wieso Sie hier sind?“

„Es geht um das zerbrochene Fenster“, erwiderte sie.

Zach wollte schon eine exakte Erklärung verlangen, verzichtete jedoch darauf. Vielleicht drückte sie sich endlich klarer aus, wenn er sie einfach reden ließ. Allerdings musste er schnell einsehen, dass dies nicht so war.

„Camille ist überzeugt, dass es ein Versehen war“, fuhr Jillian fort. „Vielleicht stimmt das auch. Janzen ist recht ungeschickt. Wissen Sie, man sollte meinen, dass jemand wenigstens tanzen kann, wenn er mit Musik zu tun hat. Dabei spielt es keine Rolle, wenn es nur um Reklame im Radio geht. Aber Janzen kann nicht tanzen. Allerdings hält er sich für den größten Tänzer der Welt. Er sieht sich aber auch als Gottesgeschenk für jede Frau. Es kann sein, dass er es zerbrochen hat, als er darauf malte.“

Zach merkte, dass er schon mit den Zähnen knirschte, und nahm sich zusammen. „Sie sprechen von dem Fenster?“

„Ja.“

„Er hat etwas auf ein Fenster gemalt?“

„Wörter“, bestätigte sie.

„Aha, Wörter. Und was?“

„Das weiß ich nicht. Wir konnten nichts lesen, weil es zerbrochen war.“

„Sie meinen das Fenster.“

„Ja, natürlich.“

Natürlich. Zach betrachtete den Becher, in dem der Kaffee kalt wurde, und fragte sich, ob er sich darin ersäufen konnte, um der ganzen Sache ein Ende zu bereiten. „Ihre Schwester hat also mit ihrem Freund Janzen Schluss gemacht, und er wollte etwas auf ihr Fenster schreiben und hat es wahrscheinlich dabei zerbrochen. Und darum weiß niemand, was er geschrieben hat.“

Dich ausgenommen.“

„Mich?“

„Nein, das Wort dich. Es stand auf der Mauer neben dem Fenster.“

Zach war kurz vor einer Explosion angelangt. „Er hat etwas geschrieben, das mit dem Wort dich endete.“

„Genau.“

Da sie nicht weitersprach, fragte er: „Was schrieb er denn Ihrer Meinung nach? Ich hasse dich? Ich töte dich?“

Jillian zuckte nur die Schultern.

„Aber es war vermutlich eine Drohung“, drängte er ungeduldig.

Sie seufzte. „Ich glaube schon.“

So kam er nicht weiter. „Ich muss mit Ihrer Schwester sprechen.“

Jillian schloss erleichtert die Augen. „Ach, vielen Dank! Ich mache mir solche Sorgen um sie.“

„Schon gut. Soll ich sie anrufen?“

„Das ist nicht nötig“, meinte Jillian. „Kommen Sie einfach um sechs Uhr.“

„Wohin?“

„Zu Camille.“

„Sie meinen, ich soll heute Abend um sechs Uhr zu ihr kommen?“

„Geht das nicht?“

Doch, es ging. Er suchte oft Klientinnen in Frauenhäusern, Privatbüros oder Polizeirevieren auf, und er konnte Camille Waltham vor dem Abendessen bei seinem Bruder einbauen. Wieso hätte er sich trotzdem am liebsten mit einer Ausrede aus der Affäre gezogen? „Sagen Sie mir nur, wo das ist. Ich komme hin.“

Sie nannte ihm eine Adresse in North Dallas zwischen den Park Cities und dem LBJ Freeway. Er notierte sie sich.

„Ihre Schwester wird mich erwarten?“

„Selbstverständlich.“

Zach schloss das Notizbuch. „Dann werde ich um sechs Uhr da sein.“

Jillian stand auf und strich den Rock glatt. „Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Mr. Keller.“

„Nicht nötig“, wehrte er ab. „Vielen Dank für das Mittagessen.“

„Gern geschehen.“

Er rang sich ein Lächeln ab und wartete, bis sie die Tür erreichte. „Jillian.“

Sie drehte sich noch einmal um. „Ja?“

„Diese Sache mit dem gemeinsamen Abend …“

Sie wurde sofort wieder rot. „Das war nur ein dummes Missverständnis.“

„Ich weiß, aber es ist nicht so, als würde ich nicht … Ich meine, ich lasse mich grundsätzlich mit Klientinnen auf nichts ein. Firmenpolitik. Es wäre nicht klug. In solchen Situationen schlagen Gefühle manchmal hohe Wellen, und das darf ich nicht ausnutzen.“

„Natürlich“, meinte Jillian. „Sie sind ein Profi.“

„Genau.“

„Ich verstehe.“ Sie lächelte schwach, schob die Brille höher und verließ den Raum.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als Zach einfiel, dass Jillian Waltham gar keine Klientin war. Es gab also keinen Grund, mit ihr keinen Abend zu verbringen, wenn er das wollte. Er wollte es gar nicht, aber sie sollte nicht denken, dass er es nicht wollte. Und das war alles so verworren, dass nicht einmal er selbst es verstand.

Vermutlich lag es daran, dass Jillian ihn an Serena erinnerte, obwohl sie ihr nicht einmal ähnlich sah. Sie hatte nur die schlanke Figur wie ein Model. Und sie benahm sich schon gar nicht wie Serena, die selbstbewusst gewesen war und sich stets klar und deutlich ausgedrückt hatte. Nein, es war etwas anderes. Allerdings wusste er noch nicht, was das war.

Serena … Er sah langes, kastanienbraunes Haar vor sich, ausdrucksvolle grüne Augen, eine schmale, gerade Nase und einen vollen, üppigen Mund. Serena war jedoch nicht nur äußerlich eine Schönheit gewesen. Nichts hatte ihr liebenswertes Wesen übertroffen. Doch sie lebte nicht mehr. Ein verrückter Fan, der sich von ihr verschmäht fühlte, hatte sie getötet.

Die Polizei war überfordert gewesen. Außerdem waren ihr durch Gesetze die Hände gebunden. Serenas Tod hatte Zach zur Einsicht gebracht, dass er mehr erreichte, wenn er bei der Polizei ausschied. Und er hatte seither tatsächlich viel geschafft. Das machte den Schmerz erträglicher.

Wieso wollte er dann ausgerechnet mit diesem Fall nichts zu tun haben? Jillian Waltham war nicht das Opfer. Er sah sie wahrscheinlich nie wieder.

Vielleicht war die ganze Geschichte auch nur von einer überängstlichen Schwester aufgebauscht worden.

Jetzt kam er sich albern vor. Schließlich hatte er die Sache mit Jillian Waltham ebenfalls unnötig aufgebauscht. Er stellte sich ihr Gesicht mit der großen Brille vor und schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie war Serena in keiner Weise ähnlich.

Mit Appetit griff er nach der Tüte, dachte nicht mehr an Jillian Waltham und ihre faszinierenden Augen und begann zu essen.

Jillian öffnete lächelnd die Haustür. Die weite Khaki-Shorts und das locker fallende rote T-Shirt stellten keine große Verbesserung zur schrecklichen Uniform des Deli dar, aber sie sah trotzdem hübscher aus.

„Jillian, mit Ihnen habe ich nicht gerechnet“, sagte Zach und bemühte sich, sie nicht zu auffällig zu mustern.

„Nein? Habe ich nicht erwähnt, dass ich hier wohne?“

„Ich dachte, Ihre Schwester wohnt hier.“

„Sicher, das ist ihr Haus. Sie hat mich nach dem Tod meiner Eltern bei sich aufgenommen. Kommen Sie herein und setzen Sie sich.“

Da er nicht ablehnen konnte, betrat er eine kühl wirkende, in Gold und Weiß gehaltene Diele. An der hohen Decke hing eine Lampe aus Glas und Messing, die in ein ultramodernes Bürogebäude gepasst hätte. Zach folgte Jillian durch einen breiten Türbogen in ein Wohnzimmer, das in Weiß, Eierschale und Hellgrün dekoriert war. Es wirkte unbenutzt.

Jillian deutete auf ein Sofa und zeigte auf einen Barschrank in der Ecke. „Was möchten Sie trinken?“

„Nichts, danke. Ich mache mir nichts aus Alkohol.“

„Ich auch nicht.“ Sie öffnete einen kleinen Kühlschrank mit Coladosen. „Aber ich mag eine Erfrischung an einem heißen Abend.“

„Dann nehme ich das Gleiche wie Sie.“

Sie holte zwei Dosen heraus und öffnete sie. „Möchten Sie ein Glas?“

„Nein.“

Sie setzte sich und reichte ihm eine Dose. Er griff danach und achtete sorgfältig darauf, dass ihre Finger sich nicht berührten.

„Danke.“

„Gern geschehen. Sie sind ein bequemer Gast. Ich brauche nicht einmal ein Glas zu spülen.“

„Die Cola bleibt in der Dose kälter“, erwiderte er und nahm einen Schluck.

Sie nickte und schob die Brille höher. „Camille ist noch nicht hier, sollte aber jeden Moment kommen. Der Sender schickt sie heute Abend zu einer Wohltätigkeitsgala. Sie musste sich ein Kleid kaufen.“

Zach sprach eine Frage aus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag. „Sie sagten, Camille hätte Sie nach dem Tod Ihrer Eltern bei sich aufgenommen?“

„Stimmt“, bestätigte Jillian. „Ich war elf, als meine Mom und mein Dad bei einem Bootsunfall umkamen. Camille war erst siebzehn, aber sie bestand darauf, dass ihre Mutter mich aufnimmt.“

„Ich dachte, Camille wäre Ihre Schwester.“

„Das ist sie, wenigstens meine Halbschwester. Wir hatten denselben Vater, aber verschiedene Mütter.“

„Verstehe.“

Jillian nickte und schlug die Beine unter. Die Füße waren nackt, schlank und schön geformt. Zach fragte sich, ob sie eine Fußmassage so genossen hätte wie Serena nach einer langen Fotosession. Um sich abzulenken, bemerkte er: „Es kommt Ihnen sicher so vor, als wäre Camille Ihre Schwester, wenn Camilles Mutter sich seit Ihrem elften Lebensjahr um Sie kümmerte.“

„Das hat sie nicht getan“, erwiderte Jillian und wirkte überrascht, dass sie das gesagt hatte. „Ich meine, Camille war eher wie eine zweite Mutter zu mir als Gerry … ich meine, Geraldine. Verstehen Sie mich nicht falsch. Gerry war großartig. Mein Vater hat sie allerdings wegen meiner Mutter verlassen, die damals seine Sekretärin war. Natürlich betrachtet sie mich da nicht als eine zweite Tochter, sondern nur als Halbschwester ihrer Tochter.“

„Muss irgendwie merkwürdig gewesen sein, bei der Exfrau Ihres Vaters zu leben“, bemerkte Zach.

„Wir haben uns im Lauf der Jahre daran gewöhnt.“

„Soll das heißen, dass Sie noch immer alle zusammen leben?“

„Richtig, nur dass es jetzt Camilles Haus ist. Gerry zog nach dem Tod ihres letzten Ehemannes zu uns. Es hat drei gegeben“, erklärte Jillian. „Drei Ehemänner, meine ich, meinen Vater mitgerechnet. Er war Nummer eins.“ Sie lehnte sich zurück. „Es ist jedenfalls ein großes Haus.“

Zachs familiäre Verhältnisse nahmen sich dagegen geradezu schlicht aus. Seine Eltern waren seit sechsunddreißig Jahren verheiratet und lebten zurzeit im Sommer in Montana und im Winter in Texas. Er hatte einen älteren und einen jüngeren Bruder, beide glücklich verheiratet, beide Polizisten wie ihr Vater. Auch in der weiteren Verwandtschaft hatte es nur wenige Scheidungen und noch weniger Todesfälle gegeben.

Zach nahm noch einen Schluck Cola und überlegte, wie er die Unterhaltung weiter führen konnte. „Haben Sie noch andere Angehörige?“

„Ich habe eine angeheiratete Tante und einige Cousins und Cousinen in Wisconsin“, erwiderte Jillian. „Mein Onkel lebte zwar noch, als mein Vater starb, war jedoch behindert. Meine Tante konnte sich nicht noch mehr aufbürden. Meine Mutter war ein Einzelkind und kam erst sehr spät und unerwartet. An ihre Eltern erinnere ich mich gar nicht mehr. Ohne Camille wäre ich zu einer Pflegefamilie oder in ein Waisenhaus gekommen.“

„Außer ihr haben Sie also wirklich niemanden“, sagte er leise.

Jillian nickte. „Ich kann nicht zulassen, dass ihr etwas passiert.“

Im hinteren Teil des Hauses schlug eine Tür zu. Stimmen und Schritte waren zu hören. Dann rief jemand: „Jilly!“

Jillian sprang auf und ging in die Diele hinaus. „Wir sind im Wohnzimmer, Camille.“

„Wir?“

„Zachary Keller und ich.“

„Führe ihn ins Schlafzimmer.“

Jillian wandte sich achselzuckend an Zach. „Sie hat wegen des öffentlichen Auftritts heute Abend schrecklich viel zu tun.“

Er stand auf. „Dann sollte ich vielleicht ein anderes Mal wieder kommen.“

„Oh nein! Sprechen Sie bitte wenigstens mit ihr.“

Er wollte ablehnen, konnte es jedoch nicht, wenn er in diese großen Augen blickte und darin tiefe Sorge erkannte. „Wie Sie meinen.“ Er nahm noch einen Schluck Cola und reichte ihr die Dose.

Jillian stellte die halb volle Dose auf die Marmorplatte der Theke. „Kommen Sie mit.“

Sie eilte auf nackten Füßen vor ihm her. Er holte tief Atem und folgte ihr durch die Diele und ein elegantes Speisezimmer und warf einen Blick in einen Freizeitraum. Danach gingen sie durch einen Korridor und eine hervorragend ausgestattete Küche und erreichten wieder einen Korridor. Am Ende führte Jillian ihn durch eine offene Tür mitten ins Chaos hinein.

Flüchtig registrierte er schwere Vorhänge, anmutige Möbel, einen dicken weißen Teppichboden, Dekor in Lavendel und Hellgrün. Mehrere hektisch betriebsame Leute lenkten ihn jedoch sofort wieder ab.

Eine große, knochig wirkende Frau mit pechschwarzem Haar, das am Hinterkopf zu einer Rolle festgesteckt war, trug ein Kleid auf einem Bügel zum Bett. Ein kleiner Mann mit einem grauen Pferdeschwanz schleppte einen großen weißen Lederkoffer an Zach vorbei.

Eine zierliche Blondine mittleren Alters in einem teuren rosa Seidenkostüm mit frisch gestyltem Haar und einer Gesichtshaut, die zum Zerreißen geliftet wirkte, erteilte Befehle.

„Vorsicht mit den Seidenstrümpfen!“, rief sie. „Wir brauchen die Handtasche mit der Perlenstickerei und die blauen Satinschuhe. Die Saphire hole ich selbst.“

„Hat jemand Blumen bestellt?“, fragte eine Männerstimme. „Es hat geheißen, das wäre erledigt.“

Zach entdeckte einen Mann im Frack. Er saß neben dem Bett in einem Sessel und blätterte gelassen in einer Zeitschrift.

„Ich habe die Blumen.“ Hinter Zach kam eine Frau in den Raum. „Und die Make-up-Grundierung.“

„Dem Himmel sei Dank!“, rief der Mann mit dem Pferdeschwanz und stieß beinahe mit Zach zusammen, als er nach dem Fläschchen griff, das die Frau in Bluejeans brachte. Der Mann im Frack blickte nicht einmal von der Zeitschrift hoch.

„Soll ich den Rest zurückbringen oder behalten?“, fragte die hoch gewachsene knochige Frau.

„Behalten“, erwiderte die Blondine mittleren Alters und hielt in der einen Hand ein Paar Schuhe und in der anderen eine Saphirhalskette.

„Hätten wir doch noch Zeit, diese Katastrophe zu waschen“, sagte der Mann und zog einen Kamm aus seinem Pferdeschwanz.

„Weiß jemand, wann die Limousine eintrifft?“, fragte der Mann im Frack desinteressiert.

Jillian legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. „Camille!“

Die Blondine in Rosa drehte sich zu ihr um. „Musst du schreien, Jilly? Siehst du nicht, dass deine Schwester beschäftigt ist?“

Jillian achtete nicht auf sie. „Camille!“

„Ich bin schließlich kein Wundertäter“, klagte der Mann mit dem Pferdeschwanz und kämmte einer vor ihm sitzenden Person wild das Haar.

„Ich möchte etwas Kaltes trinken“, sagte der Mann im Frack.

„Ich hole es“, erwiderte die Frau in Bluejeans, „sobald ich die Abendtasche finde.“

„Camille!“, rief Jillian noch einmal.

Keiner hörte auf sie, nicht einmal die Blondine in Rosa, die zur Halskette passende Ohrringe auf das Bett legte. Es reichte Zachary. Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, bei dem alle im Raum erstarrten. „Ich habe eine Verabredung mit Camille Waltham“, erklärte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Wo ist sie?“

Alle wichen zur Seite. Vor der Fensterwand stand ein kleiner Schminktisch, und davor saß auf einem Hocker eine zierliche Frau mit den feinen Zügen einer Porzellanpuppe und lebhaften blauen Augen. Obwohl es zerzaust war, schimmerte das lange, goldblonde Haar, das ihr engelsgleiches Gesicht umgab.

Sie war kleiner, als Zach erwartet hatte. In einem königsblauen Negligé, das für sie zu groß war, wirkte sie überraschend verletzlich. Gelassen betrachtete sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle und lächelte dann.

Zach überlegte, ob er jetzt noch die Flucht ergreifen konnte.

Autor

Arlene James
Arlene James schreibt bereits seit 24 Jahren Liebesromane und hat mehr als 50 davon veröffentlicht. Sie ist Mutter von zwei wundervollen Söhnen und frisch gebackene Großmutter des, wie sie findet, aufgewecktesten Enkels aller Zeiten. Darum hat sie auch im Alter von 50 plus noch jede Menge Spaß. Sie und ihr...
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