Mit dir ein Leben lang

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Erst fackelt sie beim Eierkochen fast seine Ranch ab, dann steht sie unschuldig nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihm. Der raue Cowboy Tyrel könnte verzweifeln. Wenn er bloß nicht davon träumen würde, Hannah zu küssen und sie ein Leben lang heiß zu verwöhnen ...


  • Erscheinungstag 31.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734763
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Dieser Schneesturm war ein Albtraum!

Hannah spähte durch die gesprungene Windschutzscheibe ihres alten Golfs und versuchte, durch die wirbelnden Flocken hindurch das Ortsschild zu erkennen. „Valley Green“ ließ sich noch entziffern, die übrigen Buchstaben waren zugeschneit.

Sie hasste diesen Wagen, den Schnee und die Gegend. Kein zivilisierter Mensch lebte in North Dakota. Und sie hasste es, sich Hannah Nelson nennen zu müssen.

Sie hatte schon gewusst, warum sie nicht hierher wollte! Aber aller Protest hatte nichts geholfen. Ihr Vater war unerbittlich geblieben.

In dem Schneegestöber wurde eine Abzweigung sichtbar. Hannah trat auf die Bremse. Der Wagen geriet ins Schlittern und rutschte auf den Graben zu.

Hannahs Herz begann zu rasen. Nicht das noch! Nicht in dieser Wildnis, Tausende von Kilometern von jeglicher Zivilisation entfernt!

Endlich fanden die abgefahrenen Reifen des Golfs Halt, und der Wagen blieb vor der Kreuzung stehen. Das musste die Abzweigung zur Lone-Oak-Ranch sein, dem Ziel ihrer unerwünschten Reise.

Stirnrunzelnd starrte sie auf den Highway hinter sich. Schmale Schneewehen schlängelten sich über die Straße. Hannah fröstelte und wünschte sich von ganzem Herzen, sie könnte nach Hause zurückfahren.

Schließlich war das alles nicht ihre Schuld. Trotzdem wäre wohl alles nur halb so schlimm geworden, wenn sie sich entschuldigt hätte.

Aber solange sie noch einen Funken Stolz besaß, würde sie sich nicht bei dem Mann entschuldigen, der Lucky Lindy hieß. Sie hatte ihn eine fette Kröte genannt. Sie würde sich nicht davon einschüchtern lassen, dass er mit Männern verkehrte, die sich Eddie das Messer und Mugsy der Zweizeh nannten. Sie würde sich nicht von solchen Kerlen umbringen lassen, nur weil sie deren Boss beleidigt hatte.

Hannah unterdrückte die Tränen und umklammerte das Lenkrad. Sie trat aufs Gaspedal – und würgte den Motor ab.

Zorn flammte in ihr auf. Doch es war niemand da, auf den sie die Schuld hätte schieben können, niemand, der sich von ihren Tränen beeindrucken ließe. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als den Wagen erneut zu starten. Der Motor flackerte müde auf und verstummte.

Hannah zwang sich, nicht in Panik zu geraten, und versuchte es noch einmal. Der Motor sprang an, tuckerte und – startete wunderbarerweise.

Die Straße war glatt und kaum zu erkennen, aber ihr Vater hatte behauptet, die Lone-Oak-Ranch könne man nicht verfehlen. Es sei ein großer, ertragreicher Besitz.

Hannah beugte sich übers Lenkrad. Zur Linken fiel ihr eine Einfahrt auf. Doch es waren weder ein großes Haus noch besonders weitläufige Stallungen zu sehen.

Deshalb fuhr Hannah weiter. Nach einigen Metern jedoch war sie überzeugt, dass sie sich verfahren hatte, und machte kehrt. Schließlich tauchte die Einfahrt wieder auf, diesmal auf der rechten Seite. Das Haus war jetzt deutlicher zu sehen. Ein altes zweistöckiges Gebäude, mit schmalen Schindeln gedeckt und einer weißen Fassade, von der die Farbe abblätterte.

Hannah hielt an, und als sie ausstieg, drückte ein Windstoß sie zurück. Schneematsch rann ihr in die neuen teuren knöchelhohen Lederstiefel, die ihr der Verkäufer als perfekte Ausrüstung für eine Geländewanderung angepriesen hatte.

Hannah warf einen finsteren Blick auf die Stiefel, zog sie aus dem Matsch und entdeckte im selben Moment einen Mann, der durch das Schneegestöber kam. Den Rand seines Filzhutes hatte er tief in die Stirn gezogen. Auf den Armen trug er ein Kalb, das er an sich gedrückt hielt, als wäre es ein kleines Kind.

„Da sind Sie ja“, stellte er fest und ging an ihr vorbei, die Stufen der Veranda hinauf. „Ich habe Sie schon erwartet. Können Sie mal die Tür aufhalten?“

„Was?“, fragte Hannah verwirrt.

Er deutete mit dem Kopf zum Eingang und verlagerte das Gewicht des Kalbes. „Die Tür.“

Offenbar sind die Einheimischen ein wenig begriffsstutzig, dachte Hannah und folgte ihm mit finsterem Blick auf die Veranda. „Ich hoffe nur, Sie wissen, dass Sie ein Kalb auf den Armen haben“, bemerkte sie.

Der Cowboy blickte auf das Jungtier, als wäre er überrascht, es vor sich zu sehen. Dann grinste er. „Dad meinte, Sie seien ein kluges Kind.“

Hannah starrte ihn einen Moment lang verständnislos an. Sie war seit vier Tagen unterwegs, ihr brummte der Schädel, und sie hasste Männer, die sich für amüsant hielten.

„Wie kommen Sie auf die Idee, dass Sie mich kennen?“

„Sie sind wegen des Jobs gekommen, nicht wahr?“, fragte er und hantierte an der Tür herum.

Sie lächelte und warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. „Leider nicht. Ich habe nur angehalten, um nach dem Weg zu fragen.“

Der Cowboy ging ins Haus. Die kleinen Hufe des Kalbs stießen gegen den Türrahmen.

„Kommen Sie herein und machen Sie die Tür zu.“

Hannahs Lächeln verschwand. „Ich habe Ihnen doch gesagt, ich möchte mich nur nach dem Weg erkundigen. Ich habe mich verfahren.“

„Nein, Sie sind angekommen.“ Er legte das Kalb auf das verkratzte Linoleum des unordentlichen Wohnzimmers, nahm den Hut ab, richtete sich auf und lächelte. „Kommen Sie, wir hocken uns ans Feuer und träumen von Jamaika.“

Innerlich ging Hannah auf Abstand. Sie war von Millionären und Stars umworben worden. Keiner von ihnen hatte es geschafft, mehr als einmal mit ihr auszugehen. Wie viel weniger vermochte sie der Charme eines Cowboys zu beeindrucken, selbst wenn er das entwaffnende Lächeln von Robert Redford und das kantige Kinn des Marlboro-Mannes besaß.

„Vielen Dank für Ihr freundliches Angebot“, erwiderte sie höflich. „So verführerisch es klingt, ich bin nicht der Typ dazu. Ich will nur nach dem Weg fragen, Mr. …“

„Fox.“ Der Cowboy bot ihr die Hand. „Tyrel Fox.“

„Tyrel …“, echote Hannah, und ihr wurde plötzlich übel. „Das hier ist nicht …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das hier ist nicht etwa die Lone-Oak-Ranch?“

„Doch“, erwiderte er und deutete zur Scheune.

Hannah folgte seinem Blick und entdeckte das Schild, das über der breiten Tür hing. Die Worte „The Lone Oak“, konnte sie trotz des Schneegestöbers erkennen. Benommen wandte sie sich um.

„Das ist die Oak, und ich bin Ty“, wiederholte er und drückte ihr kräftig die Hand.

„Sie sind Hannah Nelson. Es freut mich, Sie kennenzulernen“, meinte er und schien das Entsetzen auf ihrem Gesicht nicht zu bemerken. „Sie haben mir gerade zehn Dollar eingebracht.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Ich bin sonst nicht der Typ, der wettet.“ Er grinste. Sein schwarzes Haar war nass und kringelte sich hinter den Ohren. „Aber vor Nate müssen Sie sich in Acht nehmen. Er wettet um alles.“

„Nate?“ Sie war in eine fremde Welt geraten und verstand nichts mehr. Die Lone-Oak-Ranch sollte einen großen Swimmingpool und voll klimatisierte Scheunen haben, oder nicht?

„Mein kleiner Bruder. Er ist erst morgen wieder hier. Kommen Sie, wir holen Ihre Sachen rein, ehe das Wetter noch schlechter wird.“ Er verschwand in dem angrenzenden Raum und kam wenige Sekunden später mit einigen Handtüchern zurück, mit denen er das Kalb abzureiben begann.

„Wissen Sie, wir haben ziemlich viel zu tun, Nate und ich. Eine Frau hatten wir bisher nicht hier, aber Dad hat sich für Sie verbürgt …“ Er musterte sie abschätzend. „Sie sehen jedenfalls besser aus als der alte Howard. Dad hat das auch behauptet, aber Nate wollte es ihm nicht glauben. Damit habe ich seit Langem mal wieder eine Wette gegen meinen kleinen Bruder gewonnen. Wissen Sie, wenn Sie jetzt noch lächeln würden, sähen Sie sogar hübsch aus.“

Hannah straffte sich. Es gab Leute, die verglichen sie mit Cindy Crawford, und es gab welche, die erkannten, dass sie die Crawford noch bei Weitem übertraf.

„Und wenn Sie sich eine Tüte über den Kopf stülpen würden, wären Sie möglicherweise halbwegs attraktiv“, versetzte sie spitz.

Ty starrte sie an, dann hockte er sich hin und lachte.

Wütend fuhr Hannah herum und stapfte nach draußen zu ihrem Golf. Nichts wie weg, dachte sie. Es spielte keine Rolle, wohin sie fuhr. Eher wollte sie sich von irgendeinem Raufbold in der Zivilisation ermorden lassen als hier wohnen. Sie hantierte am Zündschlüssel. Der Motor tuckerte kurz und verstummte.

Hannah schloss die Augen, holte tief Luft und versuchte es noch einmal. Der Motor machte ein Geräusch, das wie ein Lachen klang, dann herrschte Stille.

„Nein“, jammerte sie und ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken. Erneut wünschte sie, es wäre alles nur ein Albtraum.

Resigniert stieg Hannah aus und versetzte der Tür einen Schubs. Sie fiel hinter ihr zu, sprang aber wieder auf. Hannah packte die Tür und wollte sie heftig zuknallen, um ihren Zorn abzureagieren.

„Probleme?“

„Nein!“, schnauzte sie ihn an.

Tyrel Fox stand gelassen auf der Veranda. Die Wagentür hinter Hannah schwang auf. „Ich habe keine Probleme. Ich sitze bloß hier fest und muss mich mit einem grinsenden Neandertaler und einer …“, sie wandte sich um und verpasste der Tür einen Tritt, „Schrottlaube, die nicht anspringt, abplagen.“

„Der Wagen will nicht anspringen?“, fragte Tyrel, als sei er überrascht. Er hakte einen Daumen in die Gürtelschlaufe seiner ausgefransten Jeans und lehnte sich gegen den Türpfosten. „Wollten Sie wegfahren?“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Lassen Sie mich raten.“

Hannah warf ihm einen giftigen Blick zu. „Ich fahre“, stieß sie hervor.

„So.“ Ty nickte. „Nun, schade, dass es nicht klappt“, meinte er, kehrte ungerührt ins Haus zurück und warf die Tür hinter sich zu.

Es dauerte gut zwanzig Minuten, bis Hannah überzeugt war, sie würde an Unterkühlung sterben. Sie schluckte ihren Stolz hinunter, stiefelte durch den Schnee und klopfte an.

Nach einer halben Ewigkeit ging die Tür auf.

„Hannah!“ Es ärgerte sie, dass Tyrel überrascht tat. Er hatte sie von drinnen beobachtet. Einmal hatte er sogar die Frechheit besessen, ihr vom Fenster aus zuzuwinken.

Sie knirschte mit den Zähnen. „Der blöde Motor springt nicht an.“

„Tatsächlich?“ Er sah zum Golf hinüber. „Eigentlich sind sie verdammt zuverlässig, diese Volkswagen. Es könnte die Benzinleitung sein. Manchmal frieren sie ein. Oder die Zündkerzen sind nass. Wie steht es mit Ihrer Batterie?“

Sie hielt inne und rang mühsam nach höflichen Worten. „Über den Zustand meiner Batterie kann ich Ihnen leider nichts sagen, Mr. Fox. Ich weiß nur, dass sie für das Anspringen des Motors verantwortlich ist, mehr nicht. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen.“

„Sie wollen meine Hilfe?“ Er legte seine Hand auf seine Brust, als wäre er verwundert und begeistert zugleich, dass sie an ihn gedacht hatte.

Sie nickte knapp.

Jetzt war sein Lächeln alles andere als nett. „Wenn Sie mich freundlich darum bitten.“

Ihr fielen tausend Dinge ein, bei denen ihm dieses alberne Grinsen vergangen wäre. „Bitte“, sagte sie stattdessen.

Er legte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Es geht sicher noch besser.“

Im ersten Moment hätte sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Aber das würde sie nicht tun – jedenfalls nicht, bevor er den Wagen startklar gemacht hatte.

„Bitte helfen Sie mir.“ Sie schlug den einschmeichelnden Ton an, den sie immer bei ihrem Vater benutzte, wenn er schwierig war.

„So ist es schon besser“, erwiderte Tyrel. „Aber ich verstehe nichts von Motoren.“

„Sie …“ Beinahe wäre ihr ein Schimpfwort über die Lippen gekommen. „Was ist denn mit der Benzinleitung? Und der Batterie?“

„Also, Nate kennt sich mit Motoren aus“, unterbrach er sie und hob bedauernd eine schwielige Hand. „Wie gesagt, er kommt erst morgen.“

Sie war überzeugt, dass er sie belog, aber da sie ihm das schlecht nachweisen konnte, fragte sie in bewundernswert gleichmütigem Ton: „Könnte ich dann wenigstens von Ihrem Telefon aus eine Werkstatt anrufen?“

„Irgendwo sind die Leitungen beschädigt worden. Das Telefon funktioniert nicht.“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und ließ jegliche Höflichkeit fallen. „Ich kann auf keinen Fall hier in diesem …“

„Selbst wenn ich ein erstklassiger Automechaniker wäre, hätte ich keine Zeit, an Ihrem Wagen herumzuhantieren. Wenn es mir nicht gelingt, das Kalb innerhalb der nächsten Stunde zum Saugen zu bringen, wird es nicht durchkommen.“

Hannah starrte ihn an. „Nicht durchkommen?“, wiederholte sie betroffen.

„Nein.“ Er sah sich nach dem Kalb um. Es lag jetzt flach auf der Seite. „Stammt von einer meiner besten schwarzen Kühe. Und es ist die zweite, die ich dieses Jahr verloren habe.“

„Wie kann man eine Kuh verlieren?“, fragte sie gereizt.

„Sie ist mir eingegangen“, erklärte er kurz angebunden.

„Oh.“ Hannah konnte nicht widerstehen, an ihm vorbei nach dem neugeborenen Kalb auf dem Boden zu spähen. Deutlich waren seine Rippen unter dem schwarzen Fell zu sehen. Schon wollte sie sich abwenden, doch da hob das Tier den Kopf und schaute sie mit großen Augen an.

„Ist es krank?“, fragte Hannah und ging an Ty vorbei ins Haus.

„Ja, kommen Sie herein“, meinte Ty und zog die Tür hinter ihr zu.

„Ist es krank?“, wollte Hannah erneut wissen.

„Nicht, dass ich wüsste. Aber manchmal geben die Kleinen auf, wenn keine Mutter da ist, die sie liebt.“

„Vielleicht sollten Sie ihm etwas vorsingen.“

„Vorsingen!“ Sie hörte den ungläubigen Unterton in seiner Stimme. „Leider habe ich zurzeit kein passendes Repertoire.“

Sie ignorierte seinen Sarkasmus. „Mein Daddy hat mir früher auch etwas vorgesungen.“

„Daddy? Wo kommen Sie denn her?“

Hannah näherte sich dem Kalb und hockte sich daneben. Seine Augen waren groß, die Wimpern so lang wie ihr kleiner Finger und sein Fell lockig, sobald es trocknete.

„Ich habe noch nie gehört, dass eine erwachsene Frau ihren Vater Daddy nennt. Ich dachte, das tun nur diese reichen Mädchen aus den Südstaaten, wie es in den Filmen gezeigt wird, wenn sie flöten: ‚So ein Unsinn, Daddy! Warum kann ich nicht den Porsche haben?‘“

„Wenn ich Ihnen helfe …“, unterbrach Hannah ihn abrupt. „Helfen Sie mir dann auch?“

„Helfen …“

„Mit meinem Wagen.“

„Ach so. Nun ja, wie gesagt, ich verstehe nicht viel von Motoren.“ Sie wollte schon etwas erwidern, aber er hielt sie rasch mit einer Geste davon ab. „Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag.

Sie bringen das Kalb auf die Beine, und ich sehe mir mal Ihren Wagen an.“

„Haben Sie Milch für das Tier?“

„Es braucht Kolostrum.“ Er benutzte absichtlich diesen Ausdruck, weil er davon ausging, dass sie keine Ahnung hatte, was damit gemeint war: die erste Kuhmilch nach dem Kalben, auch Biestmilch genannt.

Hannah wusste absolut nicht, was Kolostrum war. Es interessierte sie auch nicht. „Nun, haben Sie denn Kolostrum da?“, fragte sie.

„Ja, Fred hat eine seiner Holsteiner Kühe gemolken. Bei dem Missgeschick, das ich in letzter Zeit hatte, habe ich gedacht, ich würde es früher oder später brauchen.“

„Dann holen Sie es“, befahl sie ihm.

„Dad hat mich schon gewarnt, dass Sie herrisch seien.“

„Herrisch?“ Hannah sprang auf.

Ty starrte sie erneut an. Hannah hätte sich gern eingeredet, er sähe begriffsstutzig aus, aber sie musste sich eingestehen, dass eher das Gegenteil zutraf.

„Dad hat erzählt, Sie seien eine der besten Reiterinnen im Land“, fuhr Ty fort und ließ Hannah nicht aus den Augen.

„Unsinn! Jetzt fühle ich mich richtig geschmeichelt“, erwiderte sie und imitierte dabei den Südstaatenakzent.

„Er hat auch gesagt, Sie seien eine gute Arbeitskraft.“

Hannah deutete auf das Kalb. „Ich dachte, es stirbt, wenn es nicht etwas zu trinken bekommt.“

„Richtig. Ich hole ein Fläschchen. Wenn Sie wirklich von hier wegwollen, können Sie in der Zwischenzeit das Kalb trockenlecken. Das würde nämlich seine Mutter tun, wissen Sie“, erklärte er und verschwand.

Das Kalb trockenlecken! Hannah drehte sich der Magen um. Das konnte nicht sein Ernst sein. Oder doch? So wie er das Tier auf dem Arm getragen hatte, meinte er es vermutlich ernst. In diesem Moment hörte sie Tys leises Lachen aus der Küche, und sie wusste, er machte sich über sie lustig.

Niemand machte sich ungestraft lustig über sie – nicht, seit sie acht Jahre alt war. Damals, ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter, war sie in den Schulferien mit ihrem Kindermädchen spazieren gegangen. Sie hatte eine pinkfarbene Rüschenschürze und eine weiße Strumpfhose getragen. Ein Junge in Jeans und schmutzigem T-Shirt hatte sich über ihre Kleidung lustig gemacht. Er war hinkend und mit blutender Nase nach Hause gekommen.

Tyrel Fox würde sich glücklich schätzen können, wenn er noch einen Schritt gehen konnte, nachdem sie mit ihm fertig war!

2. KAPITEL

„Die Milch ist warm … Donnerwetter!“ Tyrel blieb in der Küchentür stehen und hielt eine große Plastikflasche in den Händen. „Es sieht ja schon besser aus. Wie haben Sie es dazu gebracht, dass es sich aufrichtet?“

„Ich habe es abgeleckt“, erwiderte Hannah.

Entsetzt blickte Ty von dem Kalb zu ihr, ehe er merkte, dass es ein Scherz war. Er hatte gleich gewusst, dass sie ein vom Vater verwöhntes Mädchen war. Doch sie ließ sich nichts vormachen. „Schön, dass Sie auch Witze verstehen“, meinte er.

„Wer würde sich nicht über so kluge Scherze amüsieren?“ Sie schaute mit großen blauen Augen zu ihm auf, und er gestand sich ein, dass sie eine Frau war, bei deren Anblick einem Mann der Atem stocken konnte. Und er war sicher, dass sie es wusste.

Sein Vater hatte nicht viel über sie erzählt. Sie war die Tochter eines alten Freundes und konnte gut mit Pferden umgehen. Doch sie könnte etwas unbeherrscht reagieren, hatte er gemeint. Ty merkte schon, dass das nur eine Umschreibung für „Cowboy-Killer“ war. Mädchen wie sie hatte er zur Genüge auf dem College kennengelernt, und er verspürte nicht den Wunsch, das in naher Zukunft noch einmal zu tun.

Sicher, er hatte seinem Vater versprochen, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Aber so, wie es bisher lief, würde das nicht funktionieren. Vermutlich war es auch besser so. Mit ihrem Aussehen würde sie nur Nate ablenken. Außerdem wollte Ty nicht den melodischen Klang ihrer Stimme hören müssen. Das hätte ihn nur neugierig auf sie gemacht. Und er hatte keinesfalls vor, sich für eine seiner Angestellten zu interessieren. Lieber war ihm jemand wie Howard, mit einem trüben Gesicht und dem passenden Charme. Aber wenn Hannnah schon mal hier war, konnte sie ihm ruhig helfen.

„Ich werde es auf die Beine stellen, und Sie versuchen, es zum Trinken zu bewegen“, schlug Ty vor. „Dad hat nicht erwähnt, ob Sie Erfahrung mit Rindern haben.“ Er konnte ihr schon am Gesichtsausdruck ansehen, dass es damit nicht weit her war. „Sie wissen aber, wie Sie es zum Trinken bringen, oder?“

Hannah stand auf. Ty stellte sich über das Kalb und half ihm hoch.

„Ich würde ja nach Ihrer Methode fragen“, sagte sie. „Aber seine Mutter will ich nicht nachahmen.“

Im ersten Moment reagierte Ty mit Verblüffung, dann lachte er. Hatte sie tatsächlich einen so zweideutigen Vorschlag machen wollen? Der Röte nach zu urteilen, die ihr in die Wangen stieg, wohl nicht. Immerhin, Howard hatte nicht annähernd so attraktiv gewirkt, wenn er rot wurde.

„Das wäre wohl zu viel verlangt“, erklärte er, und als sich ihr Erröten noch verstärkte, lachte er schallend. „Schieben Sie ihm einfach einen Finger ins Maul und bringen Sie es dazu, dass es saugt.“

Misstrauisch sah sie ihn an.

„Es hat noch keine Zähne. Also machen Sie ruhig.“

Behutsam versuchte sie es, aber das Kalb wandte sich ab.

„Probieren Sie noch mal“, drängte er.

„Warum sollte es überhaupt an meinen Fingern saugen wollen?“, fragte sie gereizt und straffte sich.

„Das ist ein Reflex. Wenn es den nicht hat, können wir gleich aufgeben.“

Er beobachtete, wie sie die Stirn runzelte. „Warum sollte es saugen, wenn es für seine Mühe nichts bekommt? Das wäre eine negative Verstärkung.“

„Negative …“

„Wo haben Sie Zucker?“, fragte sie und lief bereits in die Küche. Doch an der Tür machte sie abrupt halt. Ty zuckte schuldbewusst zusammen.

„Mr. Fox, ist Ihnen schon aufgefallen, dass Ihre Küche von einem Wahnsinnigen verwüstet wurde?“

Ty sah sich nach ihr um. „Wir wollten das Geschirr noch vor Ihrer Ankunft spülen.“

Sie bedachte ihn mit einem koketten Blick.

„Es war nicht geplant, dass Sie sich allein um die Küche kümmern sollten“, erklärte er. Seine Mutter wäre schwer enttäuscht gewesen, hätte sie sein Haus betreten. „Wir haben gelernt, uns an der Hausarbeit zu beteiligen. Immerhin sind wir Männer der Neunzigerjahre. Aber es ist …“

„Mr. Fox“, unterbrach Hannah ihn kühl. „Auch wenn Sie es glauben, ich bin nicht Ihre Angestellte. Deshalb interessiert es mich nicht, aus welchem Jahrzehnt oder Jahrhundert Sie stammen.“ Nach diesen Worten verschwand sie in der Küche.

Er hörte, wie sie eine Schranktür nach der anderen öffnete, und schließlich kehrte sie mit einer Schale Zucker zurück.

Sie griff nach der Flasche und kniete sich vor das Kalb. „Warum gucken Sie mich so an?“, fragte sie.

„Ich bin nur neugierig. Was wollen Sie mit dem Zucker machen?“

„Daddy hat meine Tabletten immer zermahlen und mit Zucker vermischt, wenn ich krank war.“

„Vielleicht ist das Kalb nicht so verwöhnt wie Sie.“

Ihre Augen sprühten Feuer. Lieber Himmel, und was für ein Gesicht sie hatte! Nate würde keinen Handschlag mehr tun, wenn sie auf der Ranch blieb. Zum Glück besaß sie nicht das Durchhaltevermögen dazu, davon war Tyrel fest überzeugt.

„Ich bin nicht verwöhnt“, entgegnete sie abweisend.

„Na schön, dann habe ich mich geirrt.“

„Passiert Ihnen wohl öfter.“

„Fangen Sie doch schon an“, drängte er und deutete auf den Zucker.

Sie ignorierte ihn, drückte ein wenig Biestmilch aus dem Sauger und verteilte sie darauf. Dann steckte sie den Sauger in den Zucker und drehte ihn darin herum, bis eine feine Schicht daran klebte. Sie fasste dem Kalb unter die Schnauze und schob ihm den Sauger ins Maul.

Das Kalb kaute daran und wandte sich ab. Diese Prozedur wiederholte sie mehrmals.

Ty beobachtete sie. Mittlerweile hatte sie ihre Lederjacke ausgezogen und die Ärmel ihrer Bluse aufgekrempelt. Seltsam, sie hatte bis jetzt noch keinen einzigen Flecken auf ihrer elfenbeinfarbenen Hose, sondern wirkte nach wie vor tadellos elegant. Wer mag sie wirklich sein?, überlegte er, aber ehe er weiter darüber nachdenken konnte, begann das Kalb zu saugen.

Nach gut fünfzehn Minuten war es Hannah gelungen, ihm ein Viertel der Milch einzuflößen. Triumphierend schaute sie zu Ty auf. Solche Augen konnten auf einen ahnungslosen Mann verlockend wirken. Zum Glück galt das nicht für Ty.

„Nicht schlecht“, gab er zu. „Haben Sie das auf der Ranch Ihres Daddys in Texas gelernt?“

Das Funkeln in ihren Augen erlosch. Er sah, wie sie das Kalb streichelte.

„Tut mir leid, Mr. Fox, ich komme aus Colorado.“

„Ach so“, erwiderte er. „Jedenfalls bedanke ich mich bei Ihnen.“

Sie stand auf, und Ty legte das Kalb wieder auf den Boden.

„Jetzt helfen Sie mir“, erinnerte sie ihn.

Er hob fragend die Brauen.

„Mit meinem Wagen.“

„Ach ja.“ Er hasste Motoren und würde ihr Auto ebenso wenig reparieren können, wie er zum Mond fliegen konnte. „Hören Sie“, sagte er. „Vor dem Morgengrauen kommen Sie hier kaum weg. Sie können gern hier übernachten.“

Sie lächelte selbstgefällig. „Wissen Sie was, Mr. Fox, von Ihnen hätte ich einen originelleren Spruch erwartet.“

„Tatsächlich?“ Er straffte sich und bedauerte sein Angebot.

„Das war einer meiner besten.“

„Ich habe schon bessere gehört.“

„Die Jungs in Oklahoma sind wohl unschlagbar.“

„Colorado“, korrigierte sie ihn. „Und ja, so ist es. Jetzt zu meinem Wagen …“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, ich verstehe nichts von Motoren.“

„Das ist wohl nicht Ihre einzige Unzulänglichkeit.“

Ty schnaubte verächtlich und zog seine Jacke an. „Niemand soll einem Fox nachsagen, dass er sein Versprechen nicht hält.“

„Es liegt mir fern, solche Gerüchte zu verbreiten.“

„Mir gefällt, wie Sie reden“, bemerkte Ty. „‚Es liegt mir fern, solche Gerüchte zu verbreiten‘“, ahmte er sie nach. „Sagten Sie nicht, das sei der New Orleans-Akzent?“ „Ich habe gesagt, Sie sind ein Idiot“, erwiderte sie honigsüß, schlüpfte in ihre Jacke und eilte nach draußen. Ty stapfte durch den Matsch und war stolz, dass er die Frau nicht auf der Stelle erdrosselt hatte. Am Wagen angekommen, öffnete er die Motorhaube und schaute sich das Innere an.

„Aha!“

„Was ist denn?“, fragte sie.

„Oh.“

„Haben Sie die Ursache gefunden?“, fragte sie und beugte sich interessiert vor.

Er schnalzte tadelnd mit der Zunge.

„Was ist denn?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Aber Ihr Motor sieht sehr ölig aus.“

Im ersten Moment glaubte er, sie würde ihm eine Ohrfeige verpassen. „Ich kann nicht hierbleiben!“, entgegnete sie und schien in Panik zu geraten.

„Hören Sie, meine Liebe …“ Ty lehnte sich gegen den Kühler. „Ich habe Verständnis für Ihre missliche Lage. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich habe eine Freundin. Shelly ist vergangenes Jahr zur Prinzessin der Schweinezüchter von North Dakota gekürt worden, und ich bin nicht für Vielweiberei. Auch wenn Sie in Versuchung geraten sollten, ich werde nicht schwach.“

Sie schaute ihn verblüfft an. „Soll das etwa heißen, Sie glauben, ich könnte Ihnen nicht widerstehen?“

„Nun …“ Ty neigte den Kopf zur Seite. „Dad hat erzählt, Sie seien gerade sitzen gelassen worden und müssten sich …“

„Sitzen gelassen!“, fauchte sie ihn an. „Wie kann er … dieser unverschämte …“

„Moment. Ihr Vater hat es ihm so erzählt.“

Zuerst war sie sprachlos, dann holte sie tief Luft. „Hören Sie, Cowboy!“, begann sie und betonte jedes einzelne Wort. „Ich bin weder jetzt noch jemals zuvor sitzen gelassen worden.“

Autor

Lois Greiman
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