Mit dir im Dschungel der Gefühle

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Mit jedem Tag, den die schöne Juliette ihm im Dschungelkrankenhaus zur Seite steht, fühlt Dr. Damien Caldwell sich mehr zu ihr hingezogen. Doch er weiß leider aus Erfahrung: Ein einfacher Arzt wie er wird einer verwöhnten, reichen Frau wie ihr niemals genügen!


  • Erscheinungstag 06.02.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505581
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es war eine stille Nacht. Keine Brüllaffen hoch oben in den Bäumen, die ihrem Namen alle Ehre machten. Keine lauten Vogelrufe in der Dunkelheit. Damien kam es gespenstisch still vor, er war so an ständigen Lärm gewöhnt. Die Geräuschkulisse tröstete ihn, versicherte ihm, dass er noch lebte. Das Gefühl hatte er lange vermisst. Von Lärm umgeben fühlte er sich sicher und zu Hause.

Bei seiner Ankunft im Dschungel von Costa Rica war Damien angenehm überrascht gewesen von dem herrschenden Geräuschpegel. Es war genauso laut wie in jeder großen Stadt, nur auf eine andere Art. Er hatte Menschen gegen Tiere getauscht und hupende Autos gegen den Wind, der in den Bäumen rauschte. Nun, wo er sich an die Geräusche hier gewöhnt hatte, zählte er auf sie. Wenn es allerdings so still war wie jetzt, fühlte er sich … isoliert. Einsam. Ob allein in der Stadt oder allein im Dschungel, es war dasselbe, und es brachte ein Gefühl von Verzweiflung mit sich, das ihn immer wieder einholte.

Diese Verzweiflung war über die Jahre schon öfter zum Problem für ihn geworden. Die Leute verstanden es einfach nicht. Wollten es nicht verstehen. Meistens wollte er dieses Gefühl selbst nicht verstehen. Wenn er es versuchte, tat er Dinge, die völlig untypisch für ihn waren. Wie sich mit einer Frau zu verloben, an die er normalerweise keinen zweiten Gedanken verschwendet hätte.

Nur Daniel verstand ihn. Er war der Einzige, und er hatte Damien nie für die Dinge ausgelacht, die andere Leute lächerlich fanden. Allerdings gab es zwischen ihnen ja auch diese Zwillingsverbindung, die sie nie im Stich gelassen hatte.

Damien und Daniel Caldwell. Zwei vom gleichen Schlag – und doch wieder nicht. Sie sahen sich ähnlich, abgesehen von Kleinigkeiten wie Haarlänge und Bart. Daniel war die glatt rasierte, kurzhaarige Version, Damien die langhaarige, barttragende Ausgabe. Aber sie waren beide eins fünfundachtzig groß, von gleicher Statur, hatten die gleichen braunen Augen und Grübchen, die Frauen so zu gefallen schienen.

Ansonsten hätten sie jedoch nicht unterschiedlicher sein können. Unruhe und der Drang, in Bewegung zu bleiben, zeichneten Damien aus, seinen Bruder dagegen zufriedene Häuslichkeit und eine ruhige Lebensweise. Darum beneidete Damien ihn. Er hatte immer geglaubt, dass er mit fünfunddreißig etwas Stabilität in sein Leben gebracht hätte. Dass er die wesentlichen Dinge erreicht hätte. Aber das war nicht passiert.

„Es ist zu ruhig heute Nacht“, schrieb Damien in einem kurzen Brief an seinen Bruder.

Es fühlt sich an, als würde mich die Stille bei lebendigem Leib auffressen.

Er hatte Daniel vor ein paar Monaten gesehen, als er für die Hochzeit seines Bruders in die USA zurückgekehrt war. Und es war ein freudiges Wiedersehen gewesen, anders als das Mal zuvor, als er nach Hause gerufen worden war, um seinem Bruder nach dem Tod seiner ersten Frau beizustehen. Aber das hatte Daniel hinter sich gelassen. Er führte ein glückliches Leben, hatte eine glückliche Familie. Ein glücklicher Mann.

Die Arbeit macht aber Spaß, Bruder. Sie hält mich die meiste Zeit beschäftigt. Und aus Problemen heraus. Wie passen dein neues Leben und dein Beruf zusammen?

Daniels Leben kam Damien wie ein schöner Traum vor. Trotzdem wünschte er sich nicht dasselbe für sich selbst. Er brauchte keine Ketten, die ihn an einen Ort und einen Lebensstil fesselten. Lieber tat er, was er wollte, wann er es wollte, ohne jemandem dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Und er brauchte Raum zum Denken, um Dinge immer wieder neu zu bewerten. Oder war das nur sein Weg, um diese Verzweiflung abzuschütteln, die ihn immer wieder heimsuchte? Darum war er in den Dschungel von Costa Rica gekommen. Die Abgeschiedenheit bot ihm eine Freiheit, die er noch nie zuvor erlebt hatte.

Und abgeschieden war es hier wirklich, ohne die alltäglichen Annehmlichkeiten, die Costa Ricas große Städte zu bieten hatten. Dieser Flecken im Dschungel war nicht einmal attraktiv für den nicht endenden Strom von Auswanderern, die den Charme dieses neuerdings modernisierten zentralamerikanischen Landes für sich entdeckten.

Die meiste Zeit genoss Damien die Isolation, auch wenn er von Natur aus kein Einzelgänger war. Oder zumindest war er es nicht gewesen. In seinem früheren Leben hatten ihm schnelle Autos gefallen, luxuriöse Apartments und attraktive Frauen. All das hatte er sehr genossen, bevor er davor geflohen war. Jetzt hielt ihn der Reiz des Dschungels in einer selbst auferlegten Enthaltsamkeit gefangen, und die war nicht nur sexueller Natur, sondern betraf alle weltlichen Angelegenheiten. Eine Zeit, um herauszufinden, wohin er als Nächstes im Leben gehen würde.

Auf eine Art, die er nie erwartet hatte, passte dieses neue Leben zu ihm.

Grüß Zoey von mir und sag ihr, wie froh ich bin, dass sie jetzt zur Familie gehört. Und gib Maddie einen Kuss von Onkel Damien.

Damien kritzelte seine Initialen unter den Brief, steckte ihn in einen Umschlag und schrieb die Adresse darauf. Vielleicht fuhr er irgendwann nächste Woche nach Cima de la Montaña, dann konnte er einige grundlegende Vorräte aufstocken und den Brief aufgeben. Und seine Eltern anrufen, falls er in die Nähe eines Mobilfunkmastes kam. Und sich einen verdammten Hamburger gönnen!

„Wir brauchen Sie im Krankenhaus, Doktor“, rief Alegria Diaz durch sein geöffnetes Fenster.

Sie war seine einzige Krankenschwester – eine Frau, die für eine höhere Ausbildung den Dschungel verlassen hatte. Eine Seltenheit, da sich die Leute hier gewöhnlich nicht allzu weit in die Welt hinauswagten.

„Was ist los?“, rief er zurück, während er sich bückte, um seine Stiefel anzuziehen.

„Magenschmerzen. Nichts Ernstes. Aber er will nicht auf mich hören. Er meint, er muss el médico sehen.“

El médico. Den Arzt. Ja, das war er. Der Leiter eines Krankenhauses mit einer ausgebildeten Krankenschwester, einem schon halb im Ruhestand befindlichen, ausgebrannten plastischen Chirurgen und einer Handvoll bemühter Freiwilliger.

„Ich komme sofort.“ Vor einem Jahr war seine Welt noch sehr groß gewesen. Mit Penthouse und Sportwagen. Heute war sie sehr klein. Eine Hütte mit nur einem einzigen Raum zwanzig Schritte vom Krankenhaus entfernt. Ein geborgter Pick-up, der genauso oft funktionierte, wie er nicht ansprang.

Damien zog sich ein T-Shirt über, band sich die Haare im Nacken zusammen und verließ seine Hütte. Rund um die Uhr in Bereitschaft zu sein war nicht unbedingt ideal, aber dieses Leben hatte er für sich akzeptiert, und dabei wollte er bleiben. Für wie lange? Zumindest, bis er herausgefunden hatte, wie sein nächstes Leben aussehen sollte. Oder bis er sich sicher war, dass er endlich über das Leben gestolpert war, das er wollte.

In der Zwischenzeit wünschte er sich mehr Platz, eine bessere Ausrüstung, mehr ausgebildetes Personal und neue Medikamente. In der Realität aber hatte er eine Holzhütte mit zehn Betten als Krankenhaus, das keinerlei Luxus bot, und einen Ambulanzraum ohne Schnickschnack gleich neben dem Eingang zur Station. Und damit musste er sein Bestes tun. Aber da so viel Notwendiges fehlte, konnte er nur Grundbedürfnisse befriedigen. Natürlich könnte er all das gegen eine lukrative allgemeinchirurgische Praxis in Seattle eintauschen. Darum beklagte er sich nicht. Er wünschte nur.

„Wie ich dir in den letzten Wochen schon gesagt habe, möchte ich keine Stelle in der Verwaltung deines Krankenhauses annehmen. Ich will nicht täglich mit Budgets und Gehältern und Nachschubbestellungen zu tun haben!“

Juliette Allen nahm vor dem massiven Mahagonischreibtisch ihres Vaters Platz und beugte sich vor. „Und erst recht will ich nichts mit Vetternwirtschaft zu tun haben.“

Sie hätte sich schon vor Jahren gegen ihren Dad behaupten sollen! Aber erst hatte sie ihre Ausbildung, dann ihre Arbeit in einem Trott gefangen. Sie war bequem geworden, bis es ihr plötzlich bewusst geworden war …

Sie war eines Tages in dem Schlafzimmer aufgewacht, in dem sie schon seit dreiunddreißig Jahren aufwachte, hatte an demselben Tisch gefrühstückt wie immer und war aus der Tür gegangen, wie sie es immer getan hatte. Doch auf einmal hatte sie sich erstickt gefühlt, als würden sie die Gewohnheiten ihres Lebens erdrücken. Und das war ihr Leben letztendlich – eine einzige große Gewohnheit.

„Das ist keine Vetternwirtschaft, Juliette“, entgegnete Alexander Allen geduldig. „Ich befördere die Person, die am qualifiziertesten für die Position ist.“

„Ich habe mich dafür aber nicht beworben!“ Außerdem war sie zu jung. Für diese Stelle brauchte man mehr Jahre an Erfahrung, als sie vorweisen konnte, und das wusste sie. Genauso wusste sie, dass dies die Art ihres Vaters war, sie unter seiner Kontrolle zu behalten. „Und ich denke, es ist ziemlich anmaßend von dir, eine Bewerbung in meinem Namen einzureichen.“

„Du bist qualifiziert, Juliette. Und du hast eine vielversprechende Zukunft vor dir.“

„Ich leite die allgemeine Ambulanz, auch eine Position, die du für mich arrangiert hast.“

„Und deine Ambulanz ist eine der bestgeführten in diesem Krankenhaus.“ Dr. Alexander Allen war ein großer Mann, eine beeindruckende Erscheinung, sehr direkt. „Das ist eine gute Gelegenheit für dich, und ich verstehe nicht, warum du dich weigerst.“

„Weil ich mir das nicht selbst erarbeitet habe und auch nicht genug Erfahrung habe, um die medizinischen Abläufe eines gesamten Krankenhauses zu lenken.“

Das Problem war, dass sie bei ihrem Vater immer nachgegeben hatte. Juliettes Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, und da er nicht noch einmal geheiratet hatte, waren sie immer nur zu zweit gewesen. Dadurch war es für ihn leicht gewesen, sie mit Schuldgefühlen zu kontrollieren. Außerdem wusste sie, dass er allein nicht wirklich zurechtkommen würde, wenn sie ihn verließ. Trotz seiner Intelligenz und Macht in der medizinischen Welt war ihr Vater privat sehr unsicher. Juliettes Mutter hatte alles für ihn getan, danach war ihr diese Aufgabe zugefallen.

Trotz der Lage, in die er sie brachte, vergötterte Juliette ihren Dad. Er war ihr ein sehr guter Vater gewesen, hatte immer dafür gesorgt, dass sie alles bekam, was sie wollte und brauchte. Sogar mehr als sie wollte und brauchte. Und sie hatte sich an diesen opulenten Lebensstil gewöhnt, weswegen es jetzt auch so schwierig war.

Sie war auf eine Art an ihn gefesselt, wie kaum eine andere dreiunddreißigjährige Frau an ihren Vater. Deswegen konnte ihr Dad so leicht seine Forderungen stellen und sich dann zurücklehnen und zusehen, wie sie gehorchte.

„Ich kann das einfach nicht, Dad“, sagte sie bestimmt und setzte sich in ihrem Stuhl auf. „Und ich hoffe, du respektierst meine Meinung.“

„Du läufst ernsthaft Gefahr, deine Chance zu verpassen, aus deiner jetzigen Stelle aufzusteigen, Juliette. Als ich noch ein junger Mann war, in einer ähnlichen Situation wie du jetzt, habe ich mich immer als Erster für jede Position beworben, die meiner Karriere förderlich war.“

„Aber du hast mir auch immer erzählt, dass es dein Ziel war, das zu tun, was du jetzt tust – ein ganzes Krankenhaus zu leiten. Du selbst hast gesagt, dass du nicht für die tägliche Patientenbetreuung geeignet bist.“

„Und mein Antrieb voranzukommen hat dir ein gutes Leben ermöglicht. Vergiss das nicht.“

„Das streite ich auch nicht ab, Dad. Ich bin dankbar für alles, was du für mich getan hast, und ich liebe das Leben, das du mir geschenkt hast. Aber es ist an der Zeit für mich, meine Karriere ohne deine Hilfe zu lenken.“ Etwas, das sie von dem Tag an hätte tun sollen, als sie ihr Medizinstudium begonnen hatte. Nur leider hatte sie damals die Gelegenheit nicht genutzt. Sie hatte weiter zu Hause gewohnt und dort studiert, wo ihr Vater unterrichtete, weil es für ihn einfacher war, obwohl es nicht ihre erste Wahl gewesen war.

„Deine Mutter ist gestorben, um dich auf die Welt zu bringen, und du kannst dir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schwer es für mich war, mich um dich zu kümmern, zu versuchen, ein guter Vater zu sein“, sagte ihr Dad häufig.

Er brachte dieses Argument immer und immer wieder vor, wenn er dachte, er würde sie verlieren. Weil es in ihr Schuldgefühle weckte, sie immer nachgeben ließ. Aber nicht dieses Mal. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und entsprechend gehandelt, bevor sie ihm davon erzählte. Diesmal war sie entschlossen, sich von ihm zu lösen, denn sonst würde sie so enden wie er jetzt. Allein. Mit Arbeit als Ersatz für ein echtes Leben.

„Es geht nicht nur darum, in eine Verwaltungsposition zu wechseln, Dad.“ Jetzt musste sie die wahre Bombe platzen lassen. „Tatsächlich plane ich, in eine andere Art von Verwaltungsarbeit zu wechseln.“

„Warum habe ich das Gefühl, dass mir nicht gefallen wird, was du mir gleich erzählst?“ Er sah sie direkt an. „Ich habe recht, oder?“

Juliette erwiderte seinen Blick. „Das hast du. Und es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber ich werde meine Stelle hier im Krankenhaus aufgeben. Morgen reiche ich meine Kündigung mit einer Kündigungsfrist von einem Monat ein.“

„Du gehst“, stellte er fest. „Du kehrst einfach allem den Rücken, was du hier erreicht hast, und gehst.“

„Ich kehre dem nicht einfach den Rücken, und vielleicht komme ich auch eines Tages zurück. Aber jetzt im Moment muss ich etwas Eigenes machen, etwas, das du mir nicht auf dem Silbertablett präsentierst. Und ob du es zugeben willst oder nicht, all meine Beförderungen waren Geschenke. Ich habe sie mir nicht so verdient, wie es richtig gewesen wäre.“

„Aber du hast auf jeder dieser Positionen hart gearbeitet und dabei gutes Urteilsvermögen und Kompetenz bewiesen.“

„Das können viele Ärzte, Dad. Ich war nur die, deren Vater bei der Stellenvergabe entscheidet.“

„Also kündigst du, weil ich der Personalchef bin?“

„Nein, sondern weil ich seine Tochter bin.“

„Habe ich wirklich so viele unrealistische Erwartungen an dich gestellt? Denn wenn dem so ist, kann ich mich zurücknehmen.“

„Es geht nicht ums Zurücknehmen, sondern ums Gehenlassen.“ Sie wollte ihn nicht verletzen, aber er musste verstehen, dass es für sie Zeit war, ihre Flügel auszubreiten. Neues auszuprobieren. Einen anderen Weg einzuschlagen. „Ich … Wir müssen das tun. Es ist Zeit.“

„Aber kannst du nicht loslassen und weiter hier arbeiten?“

„Nein.“ Kurz kniff sie die Augen zu und wappnete sich für den Rest. „Ich habe eine andere Stelle angenommen.“

„In einem anderen Krankenhaus? Es gibt in Indianapolis kein besseres Krankenhaus als das Memorial.“

„Kein Krankenhaus und auch nicht in Indianapolis.“ Sie schluckte schwer. „Ich gehe nach Costa Rica.“

„Einen Teufel wirst du!“, brüllte er. „Was denkst du dir nur, Juliette?“

Sie wusste, dass das hart für ihn war, und deswegen hatte sie erst überlegt, ihn langsam an das Thema heranzuführen. Aber ihr Dad war ein Dickkopf und hörte nur, was er hören wollte.

„Ich habe mich bereits um eine Unterkunft gekümmert und fliege Freitag in einem Monat.“

„Um was zu tun?“

Jetzt wurde es richtig schwierig. „Ich werde in einer Rekrutierungsagentur für medizinisches Personal arbeiten.“

Ihr Dad öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sprachlos wieder.

„Das Ziel ist, erstklassiges medizinisches Personal für den Einsatz dort zu finden. Costa Rica und sogar Zentralamerika als Ganzes können den bestehenden Bedarf nicht decken, also rekrutieren sie von Universitäten und aus Krankenhäusern auf der ganzen Welt. Ich werde für das Anwerben in den USA verantwortlich sein.“

„Ich weiß von der Rekrutierung von medizinischem Fachpersonal. Vor ein paar Jahren habe ich dadurch einen Top-Radiologen an Thailand verloren.“

„Dann weißt du, wie wichtig es ist, die besten Leute dahin zu bringen, wo sie der größtmöglichen Zahl von Menschen helfen können.“

„Was Leute wie mich in die Situation bringt, einen neuen Radiologen oder Transplantationschirurgen oder Onkologen zu finden, je nachdem, wen du mir abspenstig machst.“

„Aber du kannst deine Stellen leichter mit den besten Ärzten besetzen. Du hast leichteren Zugang zu Medizinstudenten, eine nicht versiegende Quelle von Assistenzärzten und Verbindungen zu jedem großen Krankenhaus im Land. Costa Rica nicht. Also müssen sie anders nach qualifiziertem Personal suchen. Was in diesem Fall durch mich geschehen wird.“

Es war ein aufregendes, neues Projekt für sie, und auch wenn sie nicht direkt medizinische Hilfe leisten konnte, stellte sie sich vor, dass sie in einer großen, wohltätigen Dienstleistung eingebunden war. Als Ärztin wollte sie ihren Patienten nützen. Und indem sie die Patienten in Costa Rica mit gutem medizinischen Personal versorgte, half sie mehr Menschen, als sie es als einzelne Ärztin in einem Krankenhaus je könnte. „Es ist eine wichtige Arbeit, Dad. Und ich freue mich darauf.“

„Egal, ob du dich darauf freust oder nicht, du wirfst eine gute medizinische Karriere weg. Du warst eine gute Krankenhausärztin, Juliette. In welcher Funktion auch immer.“

„Das warst du früher auch und hast es gegen einen Schreibtisch und teure Anzüge getauscht. Also sag mir nicht, ich würde die Medizin wegwerfen, denn ich tue nichts, was du nicht schon getan hast.“

„Aber in Costa Rica? Warum ausgerechnet dort? Warum suchst du dir nicht etwas anderes näher an deinem Zuhause, wenn du unbedingt aus dem Memorial aussteigen willst? Vielleicht in der medizinischen Forschung. Wir haben eine der weltgrößten Einrichtungen nur ein paar Meilen von hier. Oder du unterrichtest. Ich meine, wir haben eine der besten Universitäten des Landes gleich vor der Haustür.“

„Aber ich möchte nicht unterrichten und schon gar nicht forschen. Dad, ich möchte etwas tun, das mich begeistert. Etwas, das einer großen Gruppe von Menschen medizinische Behandlung ermöglicht, die sie sonst vielleicht nicht bekommen würden. Etwas, das einem ganzen Land helfen wird, seine medizinische Versorgung zu verbessern.“

„Ich kann nichts tun, um deine Meinung zu ändern?“, fragte ihr Dad und klang dabei, als wäre ihm jeglicher Wind aus den Segeln genommen worden.

Juliette schüttelte den Kopf. „Nein, Dad. Ich habe mir die Details meiner neuen Stelle wochenlang angeschaut, und ich bin wirklich überzeugt davon, dass ich das an diesem Punkt in meinem Leben tun möchte.“

„Nun, ich werde deine Stelle eine Weile offenhalten. Sie zeitlich befristet besetzen, falls du entscheidest, dass deine neue Arbeit doch nichts für dich ist. So hast du immer einen Ort, an den du zurückkommen kannst, nur für den Fall.“

Ihr Dad war ein attraktiver, vitaler Mann, und sie hoffte, dass er vielleicht selbst einen Schritt nach vorn machte und wieder zu leben anfing, sobald sie weg war und er niemand anderen hatte, auf den er sich stützen konnte.

In mancher Hinsicht hatte Juliette das Gefühl, als hätte sie ihn zurückgehalten. Sie wohnte noch immer bei ihm, arbeitete mit ihm, leistete ihm Gesellschaft. Für sie beide war es bequem, aber sie waren auch beide dadurch vereinsamt. Sie ging nicht aus, war nie viel ausgegangen, dank ihrer Arbeit, und sie hatte sich ganz gewiss niemals selbst nach Arbeit umgesehen.

Aber das war jetzt vorbei. Es war für sie Zeit. „Sollte ich nach Indianapolis zurückkommen, dann nicht ins Memorial. Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn wir weiter zusammenarbeiten.“

„Geht es hier um etwas, das ich dir angetan habe, Juliette?“, fragte er und klang auf einmal niedergeschlagen. Besiegt.

„Nein, Dad. Es geht um etwas, das ich selbst nicht getan habe.“ Und um alles, was sie in der Zukunft für sich tun wollte.

Ein Monat war geschafft, und bis jetzt genoss Juliette ihre neue Arbeit. Sie hatte Gespräche mit sechzehn möglichen Kandidaten für offene Stellen in verschiedenen Krankenhäusern geführt. Genauer gesagt waren es sieben Ärzte, drei Krankenschwestern, drei Atmungstherapeuten, ein Physiotherapeut und zwei röntgentechnische Assistenten gewesen, wovon einer auf Mammografien spezialisiert war. Auf ihrer Liste standen noch zehn weitere Namen für die nächsten zwei Wochen. Und als Bonus gab es Costa Rica – sie liebte das Land. Nur ihr Lebensstil war etwas einfacher, als sie es gewohnt war.

Hier fuhr sie keinen glänzenden Jaguar, sondern einen winzigen, gebrauchten Kleinwagen, der von der Agentur zur Verfügung gestellt wurde. Und ihre Wohnung war auch nicht so luxuriös wie ihr Zuhause in Indianapolis, aber sie gewöhnte sich an kleinere, schlichte Räume und billige Möbel. Es war eine drastische Veränderung, das musste sie zugeben, aber sie kam zurecht.

Nur mit einer Sache hatte sie nicht gerechnet – wie sehr sie den direkten Patientenkontakt vermisste. Es belastete sie sehr. Sie war rastlos und spürte körperlich und emotional, dass es ihr fehlte. Und sie hatte Angst, dass es noch schlimmer werden würde, wenn sie nichts unternahm.

„Bist du sicher, dass du das machen willst?“, fragte Cynthia Jurgensen, ihre Büropartnerin und Mitbewohnerin. Wie Juliette warb Cynthia medizinisches Personal an – allerdings aus den skandinavischen Ländern, da sie von dort stammte. Und wie Juliette hatte sie den Nervenkitzel eines neuen Abenteuers gesucht.

„Nun, laut der Anzeige, die ich im Internet gefunden habe, sind die Arbeitszeiten flexibel. Darum hoffe ich, dass ich es so einrichten kann, dass ich Freitagabend dorthin pendle, wenn ich hier fertig bin, und entweder spät am Sonntagabend oder früh am Montagmorgen zurückkomme, bevor ich hier anfangen muss.“

„Aber das ist im Dschungel, Juliette. Im Dschungel!“

„Und es erlaubt mir, wieder direkt Patienten zu versorgen. Das hoffe ich jedenfalls.“ Juliette sah nur diese Möglichkeit, wieder als Ärztin zu praktizieren. Ein Arzt mit Namen Damien Caldwell hatte inseriert, und morgen würde sie an seine Tür klopfen.

„Könntest du einen der Freiwilligen bitten, die Wäsche mitzunehmen und zu waschen?“, fragte Damien die Krankenschwester. Die Laken und Kopfkissenbezüge des Krankenhauses waren eine kunterbunte Mischung, gespendet von den Dorfbewohnern. „Oh Alegria, und gib bitte Rosalita Bescheid. Ich nehme nachher Hector Araya auf. Seit seinem Schlaganfall hat er Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken, darum müssen wir seine Ernährung entsprechend anpassen.“

In Seattle war Damien nie mit Bettwäsche und Ernährung beschäftigt gewesen, aber hier, in Bombacopsis, fielen alle Tätigkeiten im Krankenhaus unter seine direkte Aufsicht. Heute Morgen zum Beispiel, während seiner ersten und einzigen Pause des Tages, hatte er Kissen aufgeschüttelt und den jetzt fünf stationären Patienten Becher mit Wasser gereicht. Die Extraarbeit machte ihm eigentlich nichts aus. Das gehörte hier dazu. Aber er fragte sich, ob er nicht die Belastung verringern könnte, wenn er Hilfe bekäme. Deswegen hatte er letzte Woche, als er nach Cima de la Montaña gefahren war, um seinen Brief an Daniel aufzugeben, einen Computer mit Internetanschluss benutzt und eine Anzeige auf einer der lokalen, öffentlichen Webseiten aufgegeben.

Geringe Bezahlung, wenn überhaupt.

Miese Stunden und harte Arbeit.

Nette Patienten, die dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind.

Mehr stand nicht in seiner Anzeige, außer der Angabe, wo er zu finden war.

Kein Telefon vorhanden. Kommen Sie persönlich.

Gut, vielleicht nicht die ansprechendste Anzeige, aber sie war ehrlich. Denn auf keinen Fall wollte er, dass jemand den Weg durch den Dschungel auf sich nahm, um dann festzustellen, dass seine Erwartungen nicht mit der angebotenen Stelle übereinstimmten.

„Draußen wartet eine Frau, die zu Ihnen will“, rief Alegria, als sie an ihm vorbeistürmte, die Arme voll Bettzeug, um die fünf belegten Betten frisch zu beziehen.

„Kann das nicht einer der Freiwilligen für dich übernehmen?“, fragte Damien sie. „Oder Dr. Perkins?“

„Dr. Perkins macht gerade einen Hausbesuch, und ich habe heute nur zwei Freiwillige. Davon macht einer den Behandlungsraum sauber, und der andere schrubbt Kartoffeln zum Mittagessen. Und da die Frau dort draußen zu Ihnen will, überlasse ich sie Ihnen und beziehe die Betten.“

„In Ordnung“, erwiderte Damien und legte das Krankenblatt, an dem er gerade arbeitete, beiseite. „Ich sehe nach, was sie will. Ist sie von hier?“

Alegria schüttelte den Kopf. „Sie ist eine von Ihren.“

„Von meinen?“

„Aus den USA, denke ich. Oder vielleicht Kanada. Das konnte ich aus ihrem Akzent nicht raushören.“

Eine Frau aus Nordamerika. Hatte eine Pharmavertreterin das Wort Krankenhaus gelesen und dachte, sie könnte hier etwas verkaufen? Als ob er das Budget besaß, immer die neuesten und teuersten Medikamente zu besorgen. Könnte es Nancy sein? Lief sie ihm hinterher, um ihn davon zu überzeugen, sein bescheidenes Leben aufzugeben und zu ihr zurückzukehren?

„Ich bin Juliette Allen“, verkündete eine Stimme hinter ihm.

Damien drehte sich um und schaute in die erstaunlichsten braunen Augen, die er je gesehen hatte. „Ich bin Damien Caldwell“, erwiderte er und schüttelte ihr die Hand. „Und ich habe Sie nicht erwartet.“ Aber wer auch immer sie war, er war froh, dass sie gekommen war. Rotbraunes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, sexy Kurven, hübsche Beine – nette Erscheinung. Ja, er war definitiv froh.

„In Ihrer Anzeige stand, man solle persönlich vorbeikommen, also hier bin ich … persönlich.“

Persönlich und sehr attraktiv, dachte er. „Dann bewerben Sie sich um die Stelle?“ Offen gesagt war sie nicht, was er erwartet hatte. Er hatte eher mit jemandem wie George Perkins gerechnet, einem Arzt, der mitten in einem Burn-out steckte und herausfinden wollte, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte.

„Nur in Teilzeit. Ich kann Ihnen meine Wochenenden bieten, wenn Sie mich brauchen.“

„Wochenenden sind gut. Aber was sind Sie? Ich meine, was stelle ich mit Ihnen ein?“

„Eine Ärztin. Ich bin Allgemeinmedizinerin und habe in Indianapolis eine Krankenhausambulanz geleitet.“

„Und jetzt sind Sie hier und fragen mich nach Arbeit?“ Das ergab keinen Sinn. „Und auch nur für ein paar Tage die Woche?“

„Mehr habe ich nicht frei. Hauptberuflich rekrutiere ich medizinisches Personal für Costa Rica.“

Jetzt begann das Ganze, Sinn zu ergeben. Sie half einer der am schnellsten wachsenden Branchen des Landes und wollte in ihrer Freizeit Gutes tun. Nun, wenn sie die entsprechenden Fähigkeiten mitbrachte, nahm er sie für diese zwei Tage. Der Rest ihrer Zeit ging ihn nicht das Geringste an.

„Haben Sie Referenzen dabei?“ Nicht dass er sich die anschauen wollte, aber die Frage schien richtig zu sein.

Autor

Dianne Drake
Diane, eine relative neue Erscheinung im Liebesromanbetrieb, ist am meisten für ihre Sachliteratur unter dem Namen JJ Despain bekannt. Sie hat mehr als sieben Sachbücher geschrieben, und ihre Magazin Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Zusätzlich zu ihrer Schreibtätigkeit, unterrichtet Dianne jedes Jahr in dutzenden von Schreibkursen. Dianne`s offizieller Bildungshintergrund besteht...
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