Mitternacht im falschen Bett

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"Triff mich nach Mitternacht in Edgars Apartment", raunt Stoner ihr bei einem Drink zu. Melanies Puls rast. Es ist wieder mal so weit: Sex mit einem Mann, der eigentlich der Falsche für sie ist! Doch als sie spä-ter in seinen Armen liegt, fühlt es sich einfach richtig an. Sie ahnt nicht, dass sie gerade den schönsten Fehler ihres Lebens macht.


  • Erscheinungstag 05.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716080
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Also …?“

Melanie Hawthorne nippte im The Wicked Hop an ihrem Mojito. Ihr war klar, was Jenny wissen wollte. Aber sie kostete die Situation noch ein wenig aus. „Entschuldige. Also … Was?“

„Hast du Stoner noch einmal getroffen? Nach dem Abend in Edgars Apartment?“

„Bisher nicht. Ich habe ihm gegenüber allerdings erwähnt, dass ich nach der Arbeit oft hier bin. Also wird er vielleicht noch auftauchen. Gestern Abend hatte er eine Probe mit seiner Band.“ Allein die Vorstellung, dass Stoner sie ausfindig machte und sie dann heißen Sex miteinander haben würden, ließ sie vor Aufregung erbeben. Sie stand ausgerechnet auf die gefährlichen und egoistischen Kerle, die Frauen nur benutzten. In diese Typen verliebte sie sich auf den ersten Blick. Immer wieder. Und das tat ihr alles andere als gut.

Deshalb wollte Melanie etwas an ihrem Leben ändern. Es musste doch möglich sein, sich mit einem netten, beständigen Mann wie ihrem besten Freund und Kollegen Edgar Raymond zu verabreden. In der vergangenen Woche hatte sie gerade auf Edgars Sofa gesessen und ihm diese Lösung ihres Problems vorschlagen wollen, als sein älterer Bruder Stoner ins Apartment kam. Wow – was für ein heißer Typ! Sofort war sie hin und weg. Ein neuer Mann. Und dieselbe alte Geschichte.

„Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen.“ Jenny seufzte. „Du ziehst immer so unglaublich attraktive Männer an Land. Natürlich bin ich nach drei Jahren noch glücklich mit Noah. Aber manchmal hätte ich auch nichts dagegen, zu leben wie du.“

„Ja, ich bin ein Glückspilz.“ Für einige Stunden oder Tage oder sogar Wochen hatte sie tatsächlich viel Spaß mit diesen aufregenden Männern – bis die sich dann für das nächste hübsche Gesicht interessierten und sie ihrem Kummer überließen. Trotzdem kehrte jedes Mal aufs Neue – wider Erwarten und entgegen alle Vernunft – ihr Optimismus zurück. Denn trotz all der Fehlschläge hoffte sie, eines Tages doch noch ihre große Liebe zu finden.

„Stoner ist also ein Rockstar, hm?“, fragte Jenny.

„Er spielt in einer Band, die sich Imploding Bovines nennt. Edgar hat die Augen verdreht, als er mir das erzählt hat. Ich glaube nicht, dass er und sein Bruder gut miteinander auskommen.“

„Nun, wenn Stoner auch nur ansatzweise so aussieht und sich so verhält, wie du gesagt hast, dann sind sie auch völlig gegensätzlich.“

„Vermutlich.“ Melanie bemerkte, dass sie ihr Glas bereits halb leer getrunken hatte, und stellte es zurück auf den Tisch. Edgar war Edgar. Er hatte eine große Nase, eine furchtbare Frisur und war immer unmöglich angezogen. Anderseits hatte er tolle Zähne, ein umwerfendes Lächeln und schöne blaue Augen. Er war der liebenswürdigste Mann auf der ganzen Welt. Doch obwohl er, so gesehen, ein toller Fang gewesen wäre, empfand Melanie nichts anderes als schwesterliche Zuneigung für ihn. Sie verliebte sich niemals in einen Mann, der sie gut behandelte.

„Du meine Güte! Das muss Stoner sein.“ Jenny deutete auf den Eingang. „Du hast nicht übertrieben. Diese blauen Augen sind fantastisch.“

Melanie spähte aufgeregt zur Tür. Stoner und Edgar hatten die gleichen schönen blauen Augen. Aber während Edgar Wärme, Freundlichkeit und auch ein wenig Schüchternheit ausstrahlte, ließ Stoners Sex-Appeal Melanie sofort schwach werden. Wie bei der ersten Begegnung trug Stoner ein enges schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, und seine ebenfalls schwarzen Locken waren betont lässig zerzaust. „Hm“, seufzte Melanie. „Das ist er.“

Stoner sah sich um. Schon bald entdeckte er Melanie, seine Augen funkelten, und er kam auf sie zu. Diese geballte Männlichkeit überwältigte sie regelrecht. „Hallo, Melanie.“ Er küsste sie auf die Wange, seine Lippen waren warm und weich. Verführerisch. „Wie geht’s dir?“

„Großartig – jetzt, wo du auch hier bist.“

„Gut zu hören.“ Er zwinkerte ihr zu und deutete mit dem Kopf in Jennys Richtung. „Und wer ist das?“

„Jenny Tremont. Ich bin Melanies Kollegin.“

Während Stoner sie noch begrüßte, kam der Barkeeper und fragte ihn nach dessen Wünschen. „Ein Bier für mich und für die Ladies noch einmal das Gleiche. Das geht auf mich.“

„Oh, danke.“ Jenny klimperte entzückt mit den Wimpern. „Nach zwei Mojitos bin ich zu jeder Schandtat bereit.“

„Ja?“ Stoner grinste. „Wie steht es mit dir, Mel? Löst der Alkohol auch deine Schranken?“

Melanie stutzte, Stoner musste irgendetwas verwechselt haben. „Schranken? Welche Schranken?“

Stoner lachte. Dieses tiefe Lachen und auch die Stimmen der Brüder klangen so ähnlich, dass es fast unheimlich war. „Du gehörst zu den Frauen, die mir gefallen, Melanie.“ Stoner nahm sein Bier, stieß mit ihr und Jenny an und ließ daraufhin seinen Blick über Melanies Körper wandern. Er schien zu mögen, was er dort sah. Zum Schluss betrachtete er ihren Mund derart genau, dass sie sich einbildete, seine Lippen auf ihren zu spüren. Es kribbelte beinahe ein bisschen. „Ja, du gefällst mir.“

Eine Bemerkung, die ihr Mut einflößte. Sie warf die Haare in den Nacken, nahm den Strohhalm zwischen ihre Lippen und sog an ihrem Drink – langsam und lasziv. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es ein atemberaubender Abend werden würde. Nichts war aufregender und erotischer als das erste Mal. Die kurze Zeitspanne, in der sie zur Traumfrau eines jeden Mannes werden konnte. Stoner würde ein leidenschaftlicher, egoistischer und wenig versierter Liebhaber sein. Er war so von sich eingenommen, dass er vermutlich glaubte, nur er selbst sein zu müssen, um sie auf Touren zu bringen.

„Du bist also Edgars Bruder“, hörte sie Jenny sagen und verabschiedete sich von ihren Fantasien. „Ihr scheint euch nicht besonders ähnlich zu sein.“

„Das waren wir nie.“ Stoner trank ein paar Schlucke Bier.

„Nicht einmal als Kinder?“, wollte Melanie wissen.

„Nein. Ich war für alles zu haben, und Edgar hatte Angst. Vor allem. Vor Insekten, Würmern, sogar vor der Schaukel.“ Er lachte, aber Melanie ging das zu weit.

Sie glaubte, den armen kleinen Edgar verteidigen zu müssen. „Als Kind hatte ich auch Angst vor Insekten. Und wenn es donnerte. Ein bisschen fürchte ich mich immer noch davor.“

„Ach ja?“ Stoner schenkte ihr erneut ein aufregendes Lächeln. „Wenn es ein Gewitter geben sollte, solange ich in der Stadt bin, dann komm doch bitte zu mir.“

„Werde ich.“ Dieses Geplänkel wurde immer zweideutiger, und Melanie sah Stoner unter leicht gesenkten Lidern an. „Vielleicht sogar, wenn es kein Gewitter gibt.“

„Oh Mann.“ Er lachte. „Ich nehme dich beim Wort, Melanie.“

„Das kannst du auch“, versicherte sie ihm und leckte sich wie zur Bestätigung über die Lippen.

„Zum Glück ist Edgar inzwischen mutiger“, murmelte Jenny, die das Gefühl hatte, auch irgendetwas zur Unterhaltung beitragen zu müssen.

„Das ist er wirklich. Und schlau.“ Stoner nickte. „Er ist intelligent und hat Klasse. Wie meine Eltern.“

„Du kommst aus einem bürgerlichen Elternhaus?“, fragte Jenny so überrascht, dass er lachen musste. „Ich meine …“

„Schon gut. Kaum zu glauben, oder? Ich habe allerdings nie in diesen Country-Club-Sch… also, ich wollte sagen … in diese Country-Club-Atmosphäre gepasst.“

„Country Club?“ Melanie war erstaunt. Edgar? Warum wusste sie nichts davon?

„Ich war von Anfang an ein Rebell und habe meinen Eltern die Hölle heißgemacht.“

„Ich war genauso.“

„Ja?“ Stoner berührte ihren Oberschenkel mit seiner Hüfte. „Du bist eher wild, stimmt’s?“

„Meine armen Großeltern mussten nach Florida ziehen, um sich von mir zu erholen.“ Melanie lachte. „Nun, das war vielleicht nicht der einzige Grund.“

„Was ist mit deinen Eltern?“

„Mom war sogar noch wilder als ich. Sie war selten zu Hause. Und wenn sie da war, gingen ständig verschiedene Männer bei uns ein und aus.“

Stoner zog interessiert die Augenbrauen hoch, dabei stupste er Melanie mit seiner Hüfte an. „Ein und aus? Erzähl mir mehr darüber.“

Das wollte sie ja gern, aber ihre Hormone spielten mittlerweile derart verrückt, dass sie kaum dazu fähig war, mehrere zusammenhängende Sätze zu formulieren. Sie winkte stumm ab.

„Später vielleicht?“

„Bestimmt.“

„Ihre Mom ist gerade erst in die Stadt zurückgekehrt“, erklärte Jenny und trank ihren Mojito aus. „Sie versucht, endlich sesshaft zu werden und ihre Lebensweise zu ändern.“

Stoner schüttelte den Kopf. „Man ist, wie man ist. Dagegen kann man nicht ankämpfen. Das wäre sinnlos.“

„Ganz meine Meinung“, stimmte Melanie ihm zu.

„Na dann. Prost. Und so leid es mir tut – ich muss jetzt los.“ Stoner trank sein Bier aus und legte den Arm um Melanies Schultern. „Ich bin nur vorbeigekommen, um zu sehen, ob ich dich erwische. Um Mitternacht sollte ich zurück in Edgars Wohnung sein.“ Er beugte sich zu ihr und sah ihr bedeutungsvoll in die Augen. „Dann lege ich mich sofort ins Bett.“

Melanie bekam weiche Knie. „Wirklich …“

Er beugte sich noch näher zu ihr, kam mit seinem Mund ganz dicht an ihr Ohr.

„Ich habe gehört, dass Edgar heute Abend vergisst, seine Wohnungstür abzuschließen“, flüsterte er.

Melanie tat so, als wäre sie schockiert. „Wie leichtsinnig!“

„Und weißt du, was?“ Er lehnte sich so weit zu ihr hinüber, dass seine Lippen ihre Wange berührten. „Edgar ist so ein netter Kerl, dass er mir sein Schlafzimmer überlassen hat. Damit ich nicht geweckt werde, wenn er aufstehen muss, um zur Arbeit zu gehen.“

„Ist das so?“, wisperte sie atemlos. Wenn Stoner wüsste, wie scharf sie auf ihn war … Heute Nacht also. In Edgars … Oh nein! In Edgars Bett? Und wenn Edgar ebenfalls in der Wohnung war? Das konnte sie nicht tun. „Dein Bruder …“

„Ist nicht daheim. Er besucht einen Freund in … Chicago. Eine Last-Minute-Reise.“

Melanie runzelte die Stirn. Das hatte Edgar ihr gar nicht erzählt. Doch wenn er nicht zu Hause sein würde … „Nun.“ Sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite, und Stoner streifte mit den Lippen ihren Mundwinkel. „Das könnte die Sache ändern.“

„Das hoffe ich.“ Schließlich richtete er sich auf und schüttelte ihr die Hand. „Es war sehr nett, dich zu treffen, Melanie.“

„Dich auch, Stoner.“

„Ich hoffe, dich wiederzusehen …“ Er küsste ihr galant die Hand. „Sehr bald.“

„Mal sehen“, erwiderte sie lässig, obwohl sie vor Aufregung kaum stillhalten konnte. Nichts versetzte ihr einen größeren Kick als ein heißer Kerl, der sie begehrte.

Stoner verabschiedete sich von Jenny, sah Melanie noch einmal durchdringend an und verließ die Bar.

„Was hat er gesagt? Was ist los? Triffst du ihn später?“

Melanie lächelte verträumt. Sie wusste, dass es verrückt war, auf diese Art nach Liebe zu suchen. Und dass Männer, die ihr solche eindeutigen Angebote machten, keine Beziehung wollten. Aber sie konnte einfach nicht widerstehen, verdammt. Sie hatte nun mal die Gene ihrer Mutter geerbt.

Im Licht der Straßenlaterne auf der Water Street sah Melanie zum x-ten Mal auf die Uhr. Mitternacht war seit fünfundvierzig Minuten vorbei und die Haustür nach wie vor verschlossen. Sie würde klingeln müssen, um hereingelassen zu werden. Also konnte sie ihren Plan vergessen, sich unbemerkt ins Schlafzimmer zu schleichen und Stoner im Dunkeln zu verführen. Sie hoffte, dass ein anderer Hausbewohner auftauchen würde, damit sie durch die Tür schlüpfen könnte. Ungeduldig wartete sie ein paar Minuten lang. Dann fiel ihr ein, dass sie bei Edgars Nachbarn Sledge, einem Künstler, läuten könnte. Edgar hatte sie einmal zu ihm mitgenommen, um eine Halskette für seine langjährige „Freundin“ zu kaufen – die es überhaupt nicht gab, wie sich später herausstellte.

Melanie wollte gerade klingeln, als die Tür von einem jungen Mann geöffnet wurde.

„Hallo.“ Er hielt ihr mit einem freundlichen Lächeln die Tür auf. „Haben Sie Ihren Schlüssel vergessen?“

„Ich besuche einen Freund im dritten Stock.“

„Na dann. Gute Nacht.“

„Danke.“ Was für ein Glück. Melanie atmete erleichtert auf und kramte im Hausflur einen Spiegel aus der Handtasche, um noch ein letztes Mal ihr Aussehen zu überprüfen. Als sie routinemäßig Lippenstift, Mascara, Rouge und Frisur checkte, hatte sie plötzlich vor Augen, wie sie als kleines Kind ihrer Mutter zugesehen hatte, wenn die sich – in genau derselben Reihenfolge – für den Mann zurechtgemacht hatte, mit dem sie in dieser Woche oder in diesem Monat ausgegangen war. Sie war ihrer Mom wirklich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Vielleicht kam ihr das gerade jetzt in den Sinn, weil ihre Mutter kürzlich nach Milwaukee zurückgekehrt war. Offensichtlich hoffte sie, wiedergutmachen zu können, dass sie ihre Töchter früher so oft alleingelassen hatte.

Melanie stieg die Treppe hoch und schob die negativen Gedanken beiseite. Heute Nacht ging es nur darum, Spaß zu haben. Im dritten Stock blieb sie vor Edgars Wohnungstür stehen und drehte den Türknauf. Die Tür ließ sich tatsächlich öffnen. Ihr Puls schlug schneller, als sie den dunklen Flur betrat. Sie kannte Edgar seit zwei Jahren, hatte sein Apartment aber erst letzte Woche zum ersten Mal gesehen und war ziemlich erstaunt gewesen. Da Edgar immer unmöglich angezogen war – die Farben passten nie zusammen – hatte sie erwartet, eine typische Junggesellenbude zu betreten. Aber diese Wohnung war mit Möbeln aus Kirschholz, mit Grünpflanzen, vielen Büchern, einem Aquarium und einer modernen Küche sehr geschmackvoll und sogar elegant eingerichtet.

Die Lampe über dem Aquarium im Wohnzimmer tauchte den Flur in ein dämmriges Licht. Wie Stoner es versprochen hatte, entdeckte Melanie eine angelehnte Tür und stieß sie vorsichtig auf. Drinnen fiel nur ein spärlicher Lichtschein durch die geschlossenen Jalousien. Sie konnte erkennen, dass jemand im Bett lag, der tief und gleichmäßig atmete. So leise wie möglich legte sie ihre Handtasche auf den Boden. Dann begann sie, sich langsam und lasziv auszuziehen, und stellte sich vor, dass Stoner ihr dabei zusehen … und wie er darauf reagieren würde.

Schließlich war sie nackt, nahm die Kondome aus ihrer Handtasche und schlich auf Zehenspitzen zum Bett. Dort blieb sie einen Moment lang stehen und spielte in ihrer Fantasie durch, wie dieser Mann ihr schon sehr bald sehr viel Vergnügen bereiten würde. Bei diesen höchst erotischen Bildern wurde ihr Verlangen immer stärker, sie wollte Stoner endlich berühren. Lautlos schob sie die Kondome unter das zweite Kissen und schlüpfte fast unmerklich unter die Decke. Jetzt lag sie neben ihm. Er bewegte sich leicht, war sich aber noch nicht bewusst, was seinen Schlaf gestört hatte. Melanie fuhr über die glatte, warme Haut seines muskulösen Rückens. Diese Nacht würde wundervoll werden.

„Mm.“

Melanie lächelte. „Hallo.“

„Hm?“ Stoner hob den Kopf und ließ ihn gleich wieder auf das Kissen sinken.

„Bist du immer noch nicht wach?“ Sie strich über seine Wirbelsäule und seine Schulterblätter.

„Was, um …?“

„Pst. Ich bin es, Melanie.“

Melanie.“ Sein heiseres Flüstern brachte sie fast zum Lachen. Sie musste den armen Mann aus dem Tiefschlaf gerissen haben. „Was …? Wie …?“

„Sag nichts.“ Melanie genoss diesen Moment, in dem sie ein klein wenig Macht über Stoner hatte und er sich ihr offenbar willenlos auslieferte. Sie beugte sich über ihn, küsste seine Schulter und drehte ihn dann auf den Rücken, um sich rittlings auf ihn zu setzen. Dabei entdeckte sie, dass er nackt schlief und bereits auf ihre Nähe reagierte. Sie fuhr mit den Fingern durch seine Brusthaare und hätte zu gern sein Gesicht gesehen. Doch die mysteriöse Dunkelheit gefiel ihr zu sehr, um eine Lampe anzumachen. „Genieß es einfach.“

„Oh du meine …“

„Schsch…“ Sie beugte sich hinunter und küsste seinen Hals. Dann verharrte sie einen Moment lang mit ihrem Mund nur Millimeter entfernt von seinem, bis ihre Lippen vor Erwartung prickelten. Ein heißer Moment, ein erregendes Spiel.

Stoner schien nun etwas wacher zu sein. Er schlang seine starken Arme um sie und zog sie zu sich. „Melanie“, flüsterte er jetzt noch weicher und zärtlicher.

Plötzlich aber war sie seltsam irritiert und geriet fast ein wenig in Panik. Irgendetwas stimmte nicht. Etwas … Stoner küsste sie direkt auf den Mund, als ob er sie im Dunkeln sehen könnte. Und er küsste sie so, als wäre sie die aufregendste Frau, die ihm jemals begegnet war. Aber es war nicht nur seine Technik. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so geküsst worden war. Als ob … als ob er sie liebte. Stoner küsste sie gefühlvoll und leidenschaftlich, und sie erwiderte den Kuss voller Hingabe.

Als er sie nach einer Weile von sich schob, protestierte Melanie … bis er begann, mit seinen magischen Lippen ihre Brüste zu küssen. Oooh, Melanie stöhnte lustvoll auf, als er über eine ihrer Brustwarzen leckte und dann die Spitze in den Mund nahm. Dass er gleichzeitig mit der Hand über die Innenseiten ihrer Oberschenkel strich – jedes Mal ein Stückchen weiter nach oben, bevor er wieder den Rückzug antrat – machte sie noch mehr an.

Sie hatten gerade erst begonnen, und sie war bereits total heiß. Dieser Mann war überhaupt nicht so, wie sie erwartet hatte. Nicht egoistisch, nicht ungeduldig, nicht unsensibel – er war das Gegenteil von alldem. Stoner … Sie bekam Herzklopfen vor Sehnsucht und rief sich sofort zur Ordnung. Dies hier war Sex mit einem Fremden und unterschied sich nicht von all dem Sex, den sie schon mit anderen Fremden gehabt hatte. Nun spürte sie seine Finger zwischen ihren Oberschenkeln, er streichelte sie dort, hielt inne, stimulierte sie ein bisschen stärker und hielt wieder inne. Melanie stöhnte erneut, als er fortfuhr, sie zu erregen. Dann schob er sich weiter nach unten, und noch etwas tiefer … und führte schließlich das, was er so virtuos mit den Fingern begonnen hatte, mit seinem Mund und seiner Zunge fort.

Melanie lag hilflos da. Wie hatte sie derart die Kontrolle verlieren können? Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten. „Du solltest mich machen lassen … Ich will …“

Doch davon wollte Stoner nichts wissen. Mit einer Hand schob er sie zurück auf die Matratze und brachte sie mit seinem erregenden Zungenspiel zum Schweigen. Melanie rang nach Atem und versuchte, gegen den nahenden Höhepunkt anzukämpfen. „Nein. Das ist zu früh.“

Ohne auf ihren Protest zu achten, spreizte Stoner ihre Schenkel, drang mit zwei Fingern in sie ein und brachte sie innerhalb von Sekunden zu einem Orgasmus, der ewig anzudauern schien. Dennoch wusste sie instinktiv, dass es noch befriedigender für sie gewesen wäre, wenn sie Stoner dabei in sich gespürt hätte. Wenn sie miteinander geschlafen und den Höhepunkt gemeinsam erlebt hätten. „Ich wollte mit dir kommen.“

„Das wirst du, Melanie“, versprach er flüsternd.

Erneut spürte sie, dass etwas nicht stimmte, und war beunruhigt, weil sie es nicht erklären konnte.

Die störenden Gedanken verschwanden, als Stoner sich neben sie legte. Er war erregt, und das gefiel ihr. Es bedeutete, dass es auch für ihn ein Vergnügen gewesen war, sie zur Ekstase zu bringen. Sie spürte, wie sich erneut Lust in ihr aufbaute, und neigte sich zu Stoner. Sie glitt mit der Hand über seinen flachen Bauch, fuhr leicht mit den Fingern über seine Erektion. Wie gut sich das anfühlte, wie einladend. Sie streichelte ihn intensiver und fuhr zwischendurch mit dem Daumen sanft über die bereits feuchte Spitze. Perfekt. Melanie beugte sich über ihn …

Aber Stoner lachte leise, schob sie wieder auf den Rücken und hielt ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest. „Ich werde mich nicht lange beherrschen können, Mel.“

„Pst!“ Sie wollte nicht, dass er redete. Jedes Mal, wenn er das tat, überkam sie dieses merkwürdige Gefühl. Zum Glück wusste sie genau, wie sie Stoner davon abhalten konnte, unnötig viele Worte zu verlieren. Sie holte ein Kondom unter dem Kopfkissen hervor und drückte es ihm in die Hand. Lächelnd lehnte sie sich zurück. Sie mochte Sex in allen Variationen. Selbst wenn sie nicht zum Höhepunkt kam, liebte sie es, einen Mann hautnah zu spüren – seine Kraft, seinen Geruch und all die damit verbundenen lustvollen Empfindungen.

Erneut erkundete Stoner ihren Körper, diesmal hungriger und rauer, intensiver und ungestümer. Fantastisch! Unglaublich! Melanie hörte, wie er die Kondompackung aufriss, und stöhnte leise, als er mit den Knien ihre Oberschenkel weiter auseinanderschob. Jetzt würde der richtige Spaß beginnen. Noch einmal hauchte er ihren Namen mit einer solchen Verehrung, dass ihr erneut eine Sekunde lang unbehaglich zumute wurde. Doch dann drang er in sie ein und begann, sich in ihr zu bewegen. Auf eine Weise, die ihr zeigte, dass die Redewendung „Liebe machen“ ihre Berechtigung hatte. Eine Erfahrung, die sie nicht für möglich gehalten hatte.

Als sie danach allmählich wieder zu Atem kamen, nahm Stoner sie in die Arme und streichelte ihre Haare, ihre Wange, ihre Schulter. „Melanie.“

„Nicht jetzt.“ Sie legte ihm den Finger auf den Mund, denn sie wollte diese Verzauberung, diesen unglaublich schönen Moment einfach nur genießen. Gespräche darüber, ob der Sex gut oder schlecht gewesen war oder ob sie jetzt gehen sollte, wollte sie nicht führen. Jedes Wort würde sie nur der Realität näherbringen. „Später. Wir reden später. Bitte.“

„In Ordnung“, flüsterte er, drückte sie an sich und küsste sie auf den Hals.

Melanie seufzte. Statt wie üblich unruhig und rastlos zu werden, war sie glücklich und zufrieden, in dieser perfekten Nacht mit diesem perfekten Mann im Bett zu liegen.

Tricia Hawthorne saß in der Küche, in der sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter hier früher Kekse gebacken und ihr Vater nur darauf gewartet hatte, einen davon probieren zu können. Und wie sie sich auf Zehenspitzen um Mitternacht aus dem Haus und um vier Uhr morgens betrunken wieder ins Haus geschlichen hatte. Damals hatte sie heimlich viele Dinge getan, die ihre Eltern niemals gutgeheißen hätten. Dennoch hatten beide sie geliebt, unterstützt und geglaubt, dass sie schließlich vernünftig und erwachsen werden würde. Um an diesen Punkt zu gelangen, hatte sie einundfünfzig Jahre alt werden müssen. Zum Glück konnten ihre Eltern das jetzt noch miterleben.

Sie hatte nur ein paar Stunden geschlafen und war morgens um kurz vor vier aufgestanden, um sich Kaffee zu kochen. Sie war noch nie eine Langschläferin gewesen. Aber inzwischen litt sie immer öfter unter Schlaflosigkeit Sie war zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre emotionalen Schulden begleichen und ihren inneren Frieden finden musste, bevor sie zur Ruhe kommen würde.

Nachdem sie sich eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, warf sie einen Blick auf die Blaubeermuffins auf der Küchentheke. Sie und Melanie hatten vorgehabt, gemeinsam zu frühstücken. Aber Melanie war heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Jetzt war es an ihr, sich Sorgen um ihre jüngste Tochter zu machen – so wie es ihre Eltern und Alana, Melanies große Schwester, viel zu lange getan hatten.

Tricia setzte sich an die Theke. Das Frühstück mit Melanie würde wohl ins Wasser fallen. Aber sie könnte später Alana besuchen, die erst kürzlich zu ihrem Freund gezogen war. Ihre ältere Tochter hegte Groll gegen sie, was Tricia ihr nicht verübelte. Auf Alana hatte alle Verantwortung gelastet, bis ihre Großeltern sie und Melanie zu sich genommen hatten. Denn sie war nicht in der Lage gewesen, ihren Töchtern eine Mutter zu sein.

Seit Alanas Geburt war sie völlig überfordert gewesen. Heute wusste sie, dass es mangelnde Selbstachtung gewesen war, die sie immer wieder in die Arme selbstsüchtiger und verantwortungsloser Männer getrieben hatte. Zudem hatte sie sich in Selbstmitleid gesuhlt, weil Tom, der Vater der Mädchen, zwecks Selbstfindung nach Indien geflogen war und sie, als sie mit Melanie schwanger gewesen war, verlassen hatte. Tricia hatte den Schmerz mit Sex, Alkohol und Drogen zu betäuben versucht und ihre Töchter vernachlässigt, die sich nur dank der Großeltern doch noch so gut entwickelt hatten.

Erst im vergangenen Jahr hatte sie der Wahrheit ins Gesicht gesehen und bemerkt, dass sie nicht mehr ewig Zeit haben würde, ihren Kinder wieder näherzukommen. Auslöser war der Drogentod der Tochter einer Freundin gewesen. Sie war jetzt fähig, ohne Alkohol, Drogen und Männer zu leben, und wollte alles tun, damit ihre Töchter ihr verzeihen würden. Künftig sollte ihre Familie stolz auf sie sein.

Tricia wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die Hintertür aufgeschlossen wurde. Dann schlich ihre sechsundzwanzigjährige Tochter Melanie auf Zehenspitzen herein – genauso wie sie selbst es früher getan hatte. „Hallo, Melanie.“

Diese schnappte nach Luft. „Mom! Meine Güte, hast du mich erschreckt. Was machst du hier so früh am Morgen?“

„Ich könnte dich dasselbe fragen.“

„Oh.“ Melanie setzte eine betont unschuldige Miene auf. „Ich war mit einer Freundin bis spät in die Nacht unterwegs und …“

Tricia lachte leise. „Wie wäre es mit der Wahrheit? Das spart uns beiden Zeit.“

Melanie blinzelte, runzelte die Stirn und kam zur Theke. „Ist noch Kaffee da?“

„Bedien dich.“ Sie beobachtete ihre Tochter dabei, wie sie sich Kaffee einschenkte. Melanie war eine so schöne Frau, und sie wusste so wenig von ihr. Melanie setzte sich ihr gegenüber an die Theke. Ihre Lippen waren leicht geschwollen, die zarte Haut gerötet, und ihre Augen leuchteten. Sie konnte erzählen, was sie wollte. Tricia wusste genau, wo sie gewesen war.

„Tatsächlich war ich mit einem Mann zusammen.“

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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