Mondscheinküsse für Miss Dara

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Nach dem Tod ihres Vaters sind Dara Lanscarr und ihre Schwestern finanziell auf sich gestellt. Allerdings hat die kluge Dara bereits einen Plan geschmiedet: In der Londoner Saison wird jede der drei Schwestern reich heiraten, mindestens einen Duke! Schon bald ziehen die drei irischen Schönheiten die Aufmerksamkeit deston auf sich. Auch der gut aussehende und ehrgeizige Michael Brogan bekundet sein Interesse an der bezaubernden Dara. Die anregenden Gespräche mit ihm führen schließlich zu einem zärtlichen Kuss im Mondschein. Doch Dara darf ihr Herz nicht an Michael verlieren – ein Duke ist ihr Verehrer nämlich nicht …


  • Erscheinungstag 13.07.2024
  • Bandnummer 405
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526982
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Maxwell

Cathy Maxwell beschäftigt sich am liebsten mit der Frage, wie und warum Menschen sich verlieben. Obwohl sie bereits über 35 Romane veröffentlicht hat, bleibt die Liebe für sie weiterhin eines der größten Mysterien! Um weiter zu diesem Thema zu forschen, verlässt sie gerne ihr gemütliches Zuhause in Texas und reist durch die Welt, um sich mit ihren Fans auszutauschen und für ihren nächsten Roman zu recherchieren.

1. KAPITEL

Einen unwillkommenen Heiratsantrag lehnt eine Dame anmutig und mit viel Zartgefühl ab.

Die Regeln (nach Dara)

Weil selbst ungehobelte Männer empfindsame Wesen sind.

Tweedies Interpretation

1817

„Los! Los! Mach schon, beeil dich!“, trieb Dara Lanscarr sich keuchend an und rannte, blind für die Blauglöckchen, die sie bei ihrem wilden Spurt niedertrampelte, weiter den bewaldeten Hügel hinauf Richtung Wiltham House.

„Ich bin an einem Ast hängen geblieben!“, hörte sie plötzlich den Hilferuf ihrer Schwester Elise hinter sich. Elise war zwanzig, Dara ein Jahr älter. Das letzte Mal, dass sie beide so schnell gelaufen waren, musste eine Ewigkeit her sein.

Dara wirbelte herum. Elise versuchte den Saum ihres Kleides aus dem Totholz eines umgestürzten Baumstamms zu befreien. „Reiß ihn einfach los“, befahl Dara kurzerhand. „Wir bessern ihn später aus. Jetzt müssen wir Squire Davies aufhalten.“

„Versuche ich ja“, fuhr Elise sie an.

Ihre Ungeduld unterdrückend, stolperte Dara den abschüssigen Hügel hinab auf ihre Schwester zu, ständig in der Gefahr, dass ihre eigenen Röcke sich irgendwo verfingen. Energisch riss sie Elises Saum los und packte die Schwester bei der Hand. „Los, weiter.“

Gemeinsam stürmten sie bergan zur Hügelkuppe, blieben oben stehen, um zu Atem zu kommen. In der Senke hoben sich die weißen Mauern von Wiltham, dem Familiensitz, hell vom satten Grün des Waldes ab – und ihre Ängste erwiesen sich als sehr begründet. Ein Stallbursche stand vor dem Haus und hielt Squire Davies’ knochigen Braunen am Zügel.

„Wir sind zu spät.“ Elise seufzte.

„So etwas dürfen wir nicht einmal denken“, erwiderte Dara tadelnd. „Wir werden Gwendolyn retten.“ Kaum dass ihr der Schwur über die Lippen war, raffte sie mit einer Hand ihre Röcke, griff mit der anderen nach Elises Hand und zog die Schwester den Abhang hinunter zum Haus.

Nun verstand sie auch, warum Caroline, die Frau ihres Cousins Richard, sie und Elise mit einem riesigen Deckelkorb zu den Pächtern am anderen Ende der Ländereien geschickt hatte. In dem ganzen Jahr, seit sie Anspruch auf den Besitz erhoben hatten und nach Wiltham gezogen waren, war dies das erste Mal, dass Richard und Caroline Interesse an den Pächtern gezeigt hatten.

An der ganzen Misere war nur ihr Vater schuld. Captain Sir John Lanscarr hatte seine drei Töchter der Obhut ihrer Großmutter anvertraut, während er in den Krieg gezogen war und später dem Glücksspiel gefrönt hatte. Seine Töchter waren mit seinen Lastern vertraut gewesen. Sie hatten es gut gehabt bei ihrer Großmutter auf Wiltham und für die Momente gelebt, da ihr Vater auf einen Sprung vorbeikam, wie er es genannt hatte, um sie mit Aufmerksamkeiten zu überschütten, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie etwas ganz Besonderes waren, und sie dann wieder zu verlassen … nur dass er irgendwann nicht mehr wiedergekommen war. Auch keine Briefe mehr geschickt hatte. Und kein Geld.

Nach dem Tod ihrer Großmutter und nachdem sie erfahren hatten, dass das letzte Lebenszeichen von Captain Sir John zwei Jahre zurücklag, war ein triumphierender Richard Lanscarr mit seiner Familie in Wiltham eingezogen. Er hatte ihren Vater für tot erklären lassen, und vonseiten der Behörden war kein Widerspruch erfolgt. Warum sonst hatte man nichts mehr von ihm gehört? Und obwohl sie in aller Schärfe protestiert hatten, waren Dara und ihre Schwestern seitdem in ihrem eigenen Elternhaus Gäste ihres Cousins.

Ja, es hatte die Ermahnung gegeben, dass Richard sich um das Wohlergehen der drei Töchter Sir Johns zu kümmern habe, aber Schweine würden fliegen können, ehe ihr Cousin auf jemand anderen außer sich selbst Rücksicht nahm.

Und der Schachzug mit dem Deckelkorb war nicht sein erster schmutziger Trick.

Die stets wachsame Dara hatte ihm von Anfang an misstraut. Auch wenn sie die Mittlere war, so nahm sie doch die Rolle der Beschützerin ihrer Schwestern, die der Strategin ein. Sie hatte der Großmutter auf ihrem Sterbebett versprochen, dass sie für ihre Schwestern alles tun würde, was sie konnte, und sie hatte es ernst gemeint. Sie schreckte nicht davor zurück, Richard die Stirn zu bieten, im Gegenteil, sie sah es als ihre Pflicht an, genau das zu tun. Daher würde sie auch seinen Plan, Gwendolyn mit einem streitsüchtigen, fassförmigen Squire zu verheiraten, der Vater von sechs Kindern war, hintertreiben. Gwendolyn verdiente etwas Besseres als einen Kerl wie Davies, und das hatte Dara Richard auch auf den Kopf zu gesagt.

Genau genommen hatte Dara etwas Besseres für sie alle drei im Sinn, daher musste sie verhindern, dass Gwendolyn den Heiratsantrag des Squire annahm, ehe sie sich ihren Plan angehört hatte. Sie musste es unbedingt verhindern.

Vor dem Haupteingang von Wiltham angelangt, schoss sie dem gaffenden Stalljungen einen finsteren Blick zu, ließ ihre Röcke los und eilte ins Haus. Elise folgte ihr auf dem Fuß. Sie waren beide außer Atem, aber Daras Zorn und ihre Entschlossenheit reichten, um sie anzutreiben.

Herald, der Butler, zuckte sichtlich zusammen, als sie in die Halle stürmte. „Wo sind sie?“ Ihre Wut war Dara anzuhören, auch wenn sie flüsterte.

Herald stand seit fast drei Jahrzehnten in Diensten der Familie. Das Kinn leicht anhebend, deutete der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem vollen weißen Haar und dem Fuchsgesicht zum Korridor, auf die Tür zu einem der zahlreichen Empfangszimmer von Wiltham House, dem Grünen Salon, der seinen Namen der Farbe seiner Wände verdankte und nur den feierlichsten Gelegenheiten vorbehalten war. Richard und Caroline standen lauschend bei der Tür. Sie waren völlig vertieft in ihr Tun und merkten nicht einmal, dass die Schwestern zurück waren.

Dara kostete die Situation aus. Sie schoss Elise einen Blick zu, und die Schwester nickte. Die Lanscarr-Mädchen standen immer einmütig zusammen. Obwohl sie gerade eine knappe Meile gelaufen waren und Zweige und Blätter sich in ihrem Haar verfangen hatten, so waren sie doch gekommen, um Gwendolyn zu retten, und genau das würden sie jetzt auch tun.

Sie eilten in den Korridor, gaben sich keine Mühe, leise zu sein. Richard sollte wissen, dass sie da waren und Wut auf ihn hatten wegen seines Täuschungsmanövers.

Caroline bemerkte sie als Erste. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, und sie gab ihrem Ehemann einen Rippenstoß. Richard sah auf. „Nein.“ Er kam auf sie zu, seine unscheinbare Gattin folgte ihm. „Ihr werdet nicht dazwischenfunken. Davies ist eine gute Partie.“

„Für ein Fischweib.“ Dara funkelte ihn an.

Richard holte Luft. „Er wird geachtet …“

„Von wem?“, fiel Dara ihm bissig ins Wort. Sie pflegte nicht zu zögern, wenn es darum ging, deutlich zu werden, und sie wusste genau, wie sie ihre unliebsamen Verwandten auf die Palme bringen konnte. Was sie auch jetzt wieder tat … Unterdessen konnte Elise sich an den beiden vorbeischleichen, die Tür zum Grünen Salon öffnen und eintreten.

Gwendolyn“, begrüßte sie ihre Schwester sonnig. „Oh, Squire Davies, ich wusste nicht, dass Sie da sind. Störe ich am Ende?“

Richard war derjenige, der die Antwort lieferte. Er stürmte in den Raum, warf wütend die Arme in die Luft. „Und ob du störst. Hinaus mit dir …“

Dara schlüpfte unter seinen ausgestreckten Armen hindurch in den Salon, fühlte sogar den Lufthauch, als er nach ihr griff und sie aufzuhalten versuchte.

Mit einem Blick hatte sie die Situation erfasst. Squire Davies war dabei, seinen Antrag zu machen, genau wie sie vermutet hatte. Gwendolyn lehnte sich so weit, wie sie irgend konnte, auf der abgewetzten Chaiselongue zurück, während der Squire ihre Hand schlaff wie immer in seiner hielt. „Ich hatte darum gebeten, ungestört zu sein“, beschwerte er sich bei Richard. „Ich hatte noch keine Gelegenheit zu fragen, ob sie mir die Ehre erweist …“

„Niemand hat uns informiert, dass Sie uns heute die Aufwartung machen, Sir“, unterbrach Dara ihn laut und fröhlich, als sei sie entzückt, ihn zu sehen. „Wir wären natürlich zu Hause geblieben, wenn wir es gewusst hätten.“

„R…Richard wusste es …“, erwiderte Davies stotternd und sah ihren Cousin stirnrunzelnd an.

„Tatsächlich? Er erwähnte gar nichts davon.“ Dara marschierte zu der Chaiselongue und quetschte sich zwischen ihn und Gwendolyn, sodass der Squire gezwungen war, die Hand ihrer Schwester loszulassen. In Gwendolyns Mienenspiel stand eine Mischung aus Erleichterung und … ja, was? Resignation? Angst?

Dara wusste, dass Gwendolyn glaubte, sie müsse etwas tun, um ihnen zu helfen. Richard und Caroline waren herrisch und überheblich. Sie taten alles in ihrer Macht Stehende, damit die Schwestern und ihre Großtante Tweedie sich in ihrem eigenen Zuhause unwillkommen fühlten. Aber die Frau von Squire Davies zu werden war keine Lösung.

Ehe alle zu der Überzeugung gelangt waren, dass ihr Vater tot sein müsse; damals, als die Großmutter noch gelebt hatte, hatten die Schwestern Lanscarr als die schönsten Mädchen im gesamten County Wicklow gegolten. Dass sie in dem stattlichen Herrenhaus von Wiltham lebten, hatte gereicht, um scharenweise Verehrer anzulocken, insbesondere solche, die irrigerweise annahmen, dass bei jeder von ihnen eine große Mitgift zu erwarten sei.

Davon abgesehen sahen sie alle drei wirklich gut aus. Gwendolyn mit ihrem rabenschwarzen Haar, den lebhaft funkelnden, wachen goldbraunen Augen und der wundervollen Figur war so hochgewachsen, dass sie sich mit den meisten Männern auf Augenhöhe befand. Auf Squire Davies dagegen musste sie ein ganzes Stück hinabblicken.

Am bemerkenswertesten war ihre feinfühlige, zurückhaltende Art. Ihr Vater hatte Gwendolyns Mutter bei einem militärischen Einsatz in Ostindien kennengelernt. Er war es nie müde geworden, die Schönheit seiner ersten Gattin zu preisen, und Gwendolyn kam offenbar nach ihr. Durch die Heirat war Sir John Besitzer einer Plantage geworden, die er kurz nach dem Tod seiner Ehefrau am Spieltisch verloren hatte.

Als er daraufhin Gwendolyn nach Irland gebracht hatte, war er der Erbin von Wiltham, Lydia Walsh, begegnet und hatte ihr den Hof gemacht. Mit der Eheschließung waren ihm der Besitz und zwei weitere Töchter, Dara und Elise, zugefallen, doch dann hatte ein Schicksalsschlag ihm die Frau genommen. Lydia war am Kindbettfieber gestorben, ebenso wie das Baby, ein Junge. Sir John hatte nicht wieder geheiratet, weil ihm, wie er sagte, kein Glück in der Liebe vergönnt war. Stattdessen hatte er sich angeblich seiner militärischen Laufbahn gewidmet und später dem Glücksspiel gefrönt, während er seine drei Töchter ihrer geliebten Großmutter, Katherine Walsh, anvertraut hatte.

Die Großmutter hatte die Mädchen abgöttisch geliebt, besonders aber Elise, die ihrer Mutter am ähnlichsten sah. Elise war eine blonde Schönheit, bei deren scheuem Lächeln die Männer wie angewurzelt stehen blieben. Selbst Frauen konnten nicht anders, als sie anzustarren, wenn sie ihr begegneten. Elises Wangen waren rosig überhaucht, ihre Haut makellos rein. Und wenn sie den Blick ihrer mandelförmigen Augen gezielt auf ein Gegenüber richtete, konnte sie sicher sein, dass sie bekam, was immer sie wollte.

Elise war fast genauso groß wie Gwendolyn. „Eine stolze Frau wie meine Lydia“, hatte die Großmutter gerne gesagt und behauptet, Elise habe auch Lydias Temperament geerbt. „Sie ließ sich schon als Kind nichts von mir sagen, und Elise ist genau wie sie.“

Zum Glück machte Elise sich wenig aus all der Aufmerksamkeit, die sich auf sie richtete, besonders von Männern. „Sie sind so geistlos“, beschwerte sie sich oft und las lieber, als dass sie Besuche empfing. Lesen, so behauptete sie nicht zu Unrecht, war ungleich unterhaltsamer.

Das ganze Gegenteil ihrer schönen Schwestern war … Dara.

Sie war die Zierliche in der Familie. Die, die stets auf einen Schemel steigen musste, um an etwas heranzukommen. Sie hatte braunes Haar, wie ihr Vater, durchsetzt von Strähnen, die so blond waren wie das Haar ihrer Mutter, aber nicht zahlreich genug vorhanden, um ins Gewicht zu fallen. Ihre Figur war weder so biegsam und schlank wie Gwendolyns, noch wies sie die vollkommenen Kurven Elises auf.

Sie hatte blaue Augen, allerdings ohne irgendeine bemerkenswerte Besonderheit. Ihre Gesichtszüge waren durchaus hübsch, und als Mitglied jeder anderen Familie hätte man sie als überaus ansehnlich betrachtet. Nicht jedoch im Vergleich mit ihren aufsehenerregenden Schwestern.

Was Dara von den anderen abhob, war ihr Talent, eine Situation zu durchdenken. Sie führte ihre Schwestern an, seit die Großmutter tot war. Sie war diejenige, die ehrgeizige Träume für ihre kleine Familie hegte, und sie würde nicht zulassen, dass Gwendolyn sich opferte, indem sie einen Squire heiratete.

Zumal Dara eine viel bessere Idee entwickelt hatte.

„Elise, Gwendolyn“, wandte sie sich an die Schwestern, „seid so gut und holt Tweedie her.“ Tweedie war Großmutters Schwester, Dame Eleanor Roberson, die die letzten zehn Jahre bei ihnen auf Wiltham gelebt hatte. „Sie wird sich freuen zu hören, dass Squire Davies uns die Aufwartung macht.“

„Ich bin nicht gekommen, um Dame Eleanor …“, meldete sich der Squire protestierend zu Wort.

„Nein, natürlich nicht“, unterbrach Dara ihn gönnerhaft. Ihre Schwestern hatten den Grünen Salon schon durch eine der zahlreichen Flügeltüren verlassen. „Tut mir leid. Ich hätte es wissen müssen. Andererseits kann ich die beiden nun nicht mehr zurückrufen. Sie sind schon unterwegs zu ihr.“

„Dara.“ Richard spuckte den Namen regelrecht aus. „Du warst nicht eingeladen. Squire Davies hatte sich einen Moment unter vier Augen …“

„Nicht eingeladen? Hier? In meinem Zuhause?“ Dara machte eine Miene, als habe sie es mit einem Einfaltspinsel zu tun.

„Du weißt, was er damit sagen will“, mischte Caroline sich ein.

„Ich glaube, ich sollte wohl besser gehen.“ Der Squire klang zutiefst beleidigt.

„Nein, bleiben Sie bitte“, bat Richard fast flehentlich, während Dara ihm gnadenlos ins Wort fiel.

„Machen Sie’s gut, Squire, es war schön, Sie zu sehen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stand sie auf und verließ den Salon auf dem gleichen Weg, den ihre Schwestern genommen hatten. Sie fand die beiden in der oberen Etage, wo sie vor Tweedies Zimmertür standen.

„Richard hat sie eingeschlossen“, klärte Gwendolyn sie stirnrunzelnd auf. „Deswegen konnte sie nicht nach unten kommen und mir helfen, den Squire abzuwehren. Wir haben keinen Schlüssel, um sie herauszulassen.“

„Lasst mich mal machen.“ Dara zog eine Nadel aus ihrem dicken Haar, beugte sich zu dem Schloss, und einen Lidschlag später war ein Klicken zu hören.

„Das musst du mir unbedingt beibringen“, sagte Elise bewundernd.

Dara öffnete die Tür. „Tweedie?“

Ihre Großtante saß am Fenster, den Gehstock aus Schwarzdorn neben sich. Ihre Miene war bang. „Und, hat er es geschafft? Hat Richard dich gezwungen, diesen Flegel zu erhören? Wir hatten einen Riesenstreit, und anschließend sperrte er mich ein.“ Tweedie war über siebzig, aber für ihr Alter noch bemerkenswert rüstig und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. So wie sie stellte Dara sich einen Leprechaun, einen der sagenhaften Feenschuster, vor – unerschrocken und gerissen. Tweedie hielt nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg, und Dara betete sie an.

Gwendolyn ging neben der Tante in die Hocke. „Richard sagte, du wärst im Grünen Salon und wolltest mich sprechen. Aber als ich eintrat, erwarteten mich Caroline und der Squire …“ Ihre Stimme brach. „Ich wusste genau, weshalb er da war. Und mir kamen Zweifel, ob ich ihn nicht vielleicht doch heiraten sollte. Denn dann hätten Dara und Elise ein Heim und müssten keine Angst haben, dass Richard wieder einmal droht, sie ins Armenhaus zu schicken.“

„Soll er es doch versuchen“, erklärte Dara unbeeindruckt.

„Das gesamte County wäre in Aufruhr“, prophezeite Elise finster.

„Trotzdem müssen wir einen Ort finden, an dem wir leben können“, wandte Gwendolyn nüchtern ein. „Einen, bei dem ich sicher sein kann, dass ihr beide dort einen guten Ehemann findet. Richard dürfen wir nicht trauen. Ich muss euch beschützen.“

„Du würdest den Squire tatsächlich heiraten?“ Elise klang zweifelnd.

„Für euch, ja“, erwiderte Gwendolyn liebreizend wie immer.

„Ist dir bewusst, dass du den Anblick des nackten Squire ertragen musst, wenn du das tust?“ Elise schüttelte sich. „Das Bild würde ich nicht im Kopf haben wollen.“

„Ich auch nicht.“ Dara schauderte ebenfalls. „Ein solches Opfer können wir dir nicht zumuten, Gwendolyn.“

„Aber wir müssen etwas unternehmen.“ Gwendolyn seufzte. „Caroline und Richard wollen uns hinausekeln.“

„Wiltham ist unser Zuhause“, rief Elise ihren Schwestern in Erinnerung. „Es gehörte der Familie unserer Mutter.“

„Das stimmt, aber mit der Heirat ging das Anwesen auf Vater über. Und es wird immer an den nächsten männlichen Erben gehen, egal wer unter seinem Dach lebt“, hielt Gwendolyn dagegen. „Wir haben keinerlei Ansprüche.“

„Das ist nicht fair.“ Elise atmete geräuschvoll aus. „Frauen sollten das Recht haben, Liegenschaften zu besitzen. Unabhängig von einem Ehemann.“

„Und wenn Wünsche Pferde wären, würden die Bettler reiten“, warf Tweedie trocken ein.

Vor lauter Wut und Enttäuschung gab Elise einen Laut von sich, der einem Knurren nicht unähnlich war, und Dara erkannte, dass sie besser gleich sagte, was sie zu sagen hatte. „Mir ist da eine Idee gekommen“, verkündete sie ein wenig munterer, als sie sich fühlte. „Warum fahren wir nicht zur Saison nach London und suchen uns jede einen Duke zum Heiraten?“

„Was?“ Ihrer Miene nach zu urteilen, schien Gwendolyn zu glauben, dass sie sich verhört hatte.

„Zur Saison?“, wiederholte Elise verständnislos.

„Wie denn?“, erkundigte Tweedie sich sachlich.

„Wir fahren einfach.“ Dara hockte sich auf die Kante von Tweedies Bett. „Ich habe gründliche Nachforschungen angestellt.“

„Nachforschungen?“ Elise verstand anscheinend immer noch nicht.

„All die Londoner Zeitungen, die ich zusammengetragen habe?“, rief Dara ihr in Erinnerung. Das letzte halbe Jahr hatte sie Nachbarn und Bekannte bekniet, ob sie nicht Zeitungen aus London übrig hätten, die sie entbehren konnten. „Am besten, wir mieten uns ein Haus und begeben uns mit Tweedie als Anstandsdame auf den Heiratsmarkt.“

Die Schwestern starrten sie an, als habe sie den Verstand verloren. Sie wussten, was der Heiratsmarkt war. Während der gesellschaftlichen Saison in London brachten Familien aus ganz England ihre heiratsfähigen Töchter in die Stadt, um sie auf Bällen und Gesellschaften vorzuzeigen, in der Hoffnung, einen geeigneten Ehemann für sie zu finden.

„Aber muss man nicht jemand Bedeutenden kennen, um überhaupt Einladungen zu erhalten?“ Gwendolyn runzelte die Stirn.

„Oder zum ton gehören?“ Elise benutzte die Bezeichnung, die den höchsten gesellschaftlichen Rängen vorbehalten war.

„Ich bitte euch“, antwortete Dara genervt. „Wir sind selber bedeutende junge Damen. Vater wurde zum Ritter geschlagen, weil er seinem Herrscher herausragende Dienste erwiesen hat.“ Sie war nicht ganz sicher, ob das stimmte. Ihr Vater hatte etwas von einem Tunichtgut gehabt, sodass manch einer sich heute noch fragte, wie er zu der Ritterwürde gekommen war. „Und unsere Mutter war mit dem Duke of Marlborough verwandt.“

„Entfernt verwandt“, fühlte Elise sich bemüßigt zu korrigieren.

„Verwandt ist verwandt.“ Dara zuckte mit den Schultern. „Sie war die Großcousine der Marchioness of Blandford, der Schwiegertochter des Duke. Na also. Verwandt.“

„Aber diese Leute kennen uns doch nicht“, wandte Gwendolyn kopfschüttelnd ein. „Was sollen wir denn tun? Einfach auf ihrer Schwelle erscheinen und eine Einladung zu ihrer nächsten Soiree erbitten?“

„Natürlich nicht. So würde es niemals klappen“, erklärte Dara sachkundig. Immerhin hatte sie sich ausgiebig mit dem Thema befasst und sogar eine detaillierte Liste der gesellschaftlichen Gepflogenheiten erstellt. „Wir schicken ihnen ein Empfehlungsschreiben. Dann erhalten wir eine Einladung zu einem Besuch. Und wenn wir sie kennengelernt haben, werden sie uns zu einem Ball einladen. Es ist alles ziemlich klar und einfach.“

Skeptisch hob Elise eine Braue. „Glaubst du?“

„Absolut.“ Dara nickte bekräftigend. „Der Duke wird uns anderen Dukes vorstellen, und dann heiraten wir. Nein, zieht nicht so ein Gesicht. Es ist alles schon vorgekommen. Habt ihr noch nie etwas von den Gunning-Schwestern gehört?“ Das hatten sie natürlich nicht, und es bereitete Dara großes Vergnügen, ihre Zuhörerinnen einzuweihen. „Es waren verarmte, aber vornehme irische junge Damen – genau wie wir. Sie hatten nichts vorzuweisen außer ihrem guten Aussehen und ihrem scharfen Verstand – genau wie wir. Sie gingen nach London, heirateten am Ende bedeutende Adlige und wurden angesehene Damen – und das können wir auch.“

„Könnten wir diese Schwestern kennenlernen?“, fragte Gwendolyn hoffnungsvoll. „Vielleicht würden sie uns helfen.“

„Es waren zwei, und sie sind schon lange tot. Aber wenn sie es bis ganz nach oben geschafft haben, auch wenn es schon Jahrzehnte her ist, warum sollten wir Lanscarrs es nicht auch können?“

Elise wandte sich zu Tweedie um. „Du hast doch in London gelebt. Kanntest du diese Gunning-Schwestern zufällig?“

„Leider nicht“, erwidert Tweedie bedauernd. „Aber ich habe von ihnen gehört. Die eine war gerade gestorben, als Sir Phillip und ich nach London zogen. Sie hatte in die höchsten Kreise eingeheiratet.“

„Seht ihr?“ Dara machte sich Tweedies Beglaubigung umgehend zunutze. „Kühnheit zahlt sich für Frauen aus. Wir können die Herzen des ton erobern. Wir können Dukes heiraten.“

Gwendolyn zog die Stirn in Falten. „Wie sollen wir nach London kommen? Ganz zu schweigen davon, dass wir uns ein Haus mieten müssten? Dazu braucht es Geld, Dara.“

„Und was ist mit Kleidern?“, setzte Elise besorgt hinzu.

Auf Elises Frage ging Dara zuerst ein, weil sie am leichtesten zu beantworten war. „Wir können mit Nadel und Faden umgehen. Wir haben unsere Kleider immer selber genäht und sie für unterschiedliche Anlässe abgeändert. So werden wir es auch in London machen.“

Elise gab sich mit der Auskunft zufrieden.

Gwendolyns Frage war die größere Herausforderung.

Geld.

Dara verschränkte die Hände im Schoß. Sie brauchte Gwendolyns Unterstützung, damit ihr Plan funktionierte. „Ich habe ausgerechnet, welche Summe wir benötigen würden für eine Saison, sodass wir reichlich Zeit hätten, passende Dukes für uns zu finden.“ Sie atmete tief ein und gab den besorgniserregenden Betrag bekannt. „Es wären vierhundert Pfund. Aber es ist auch möglich“, beeilte sie sich hinzuzufügen, als sie sah, wie Gwendolyn die Augen aufriss und Elise fast von dem Schemel kippte, auf dem sie saß, „den Betrag auf dreihundert zu begrenzen. Für die gesamte Saison, einschließlich Unterbringung, Personal und was weiß ich noch alles.“

„Dreihundert Pfund?“, wiederholte Elise ein wenig benommen.

Gwendolyn schüttelte den Kopf. „Manchmal geht deine Fantasie mit dir durch, Dara. Wir besitzen vierunddreißig Pfund. Zusammen. Erinnerst du dich?“

Selbstverständlich. Vor einer Woche, als Richard angekündigt hatte, einige der Diener zu entlassen, hatten sie eine Abrechnung gemacht. Dass er als Erbe ihres Vaters Anspruch auf das Anwesen hatte, hieß nicht, dass er es sich leisten konnte. Er war davon ausgegangen, dass prall gefüllte Schatullen in seinen Besitz übergehen würden; eine Vorstellung, über die die Lanscarr-Schwestern sich schier hatten ausschütten wollen vor Lachen. Sich einzubilden, dass ein Spieler vom Schlage ihres Vaters Geld unangetastet liegen ließ, war einfach der Gipfel der Absurdität.

Aber Richards Ankündigung hatte sie rasch ernüchtert.

Die Schwestern hatten beschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihre treuen Diener zu unterstützen. Sie besaßen fünfzig Pfund, weil ihre Großmutter das Geld gut versteckt hatte. Als Richard und Caroline gekommen waren, um das Haus zu übernehmen, hatten die Schwestern jeden Shilling, den sie finden konnten, zusammengekratzt. Gwendolyn bewahrte das Geld in einem geschnitzten Holzkästchen mit Geheimfach auf.

Einen Teil des Geldes hatten die Schwestern für die gekündigten Bediensteten abgezweigt. Geblieben waren ihnen vierunddreißig Pfund.

Was kein kleiner Betrag war. Sie hätten davon ihren Unterhalt und die Jahresmiete für ein ordentliches Cottage bezahlen können, vielleicht sogar zwei Jahresmieten, wenn sie sehr sparsam waren.

Aber Dara wollte nicht in einem Cottage wohnen, zumal es nicht um zwei Jahre, sondern um ein ganzes Leben ging und sie wusste, dass ihre Tage unter Richards Dach gezählt waren. Wenn Squire Davies keinen Erfolg hatte, würde ihr Cousin andere Männer auftreiben, mit denen er sie verheiraten konnte.

Also sprach sie mit einer Zuversicht, von der sie nicht sicher war, ob sie sie wirklich empfand. „Ich glaube, ich weiß, wie wir unsere vierunddreißig Pfund in dreihundert verwandeln können.“ Für einen kurzen Moment herrschte verblüfftes Schweigen. Dara nickte, dann verkündete sie in dem Bewusstsein, die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu haben: „Indem Gwendolyn ihr Glück beim Spiel versucht.“

Die drei anderen sahen sie unverwandt an, schienen auf eine Erklärung zu warten. „Du machst Witze“, erklärte Gwendolyn schließlich.

Elise brach in Lachen aus, dann wurde sie ernst. „Das ist dein Plan? Gwendolyn an die Spieltische zu schicken? Und das, wo du doch sonst so viel Wert auf Schicklichkeit legst?“

Dara hatte damit gerechnet, dass ihre Lösung nicht sofort Anklang finden würde. Ihren Schwestern fehlte es an Vorstellungskraft. Deshalb war es an ihr, den beiden die Idee schmackhaft zu machen.

„Ich habe alles sehr sorgfältig durchdacht, das versichere ich euch. Vater erwähnte einmal, dass es für hochwohlgeborene Damen ganz selbstverständlich ist zu spielen. Erinnert ihr euch nicht?“ Sie sah ihre Schwestern um Bestätigungen heischend an. Elise zog ratlos die Brauen zusammen, Gwendolyn hielt sich zurück, und Tweedie wirkte fasziniert.

Dara erhob sich von der Bettkante und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. „Außerdem sagte er, dass er niemanden kennt, der so viel Glück im Spiel hat wie Gwendolyn, besonders beim Faro. Wisst ihr noch, wie viele Hölzchen sie jedes Mal gewann, wenn wir mit Vater spielten?“

„Hölzchen sind keine Münzen“, wandte Gwendolyn nüchtern ein.

„Liebe Schwester, glaub an deine Fähigkeiten. Vater war ein berühmter Spieler. Weißt du noch, wie er nach Hause kam, vollbeladen mit Geschenken? Und nicht nur einmal …“

„Zweimal vielleicht?“ Elise hob die Brauen.

Dara ging darüber hinweg. „Und er hat dein Talent so oft gepriesen, Gwendolyn. Er sagte, du hättest es von ihm. Und dass du die Karten erspüren könntest. Abgesehen davon – haben wir eine andere Wahl?“ Sie hielt inne, musterte ihre Schwestern ernst. „Hier bleiben? Squire Davies heiraten? Oder Mr. Bellamy, den Schankwirt? Oder Patrick Lynch, den Schweinezüchter, eingedenk der Dringlichkeit, mit der Richard uns loswerden will? Aber macht euch keine Sorgen. Lynch hebt er sich für mich auf.“

Dann brachte sie ihre Argumente vor. „Aber was wäre, wenn mein Plan funktionieren würde? Was, wenn Gwendolyn ihr Talent einsetzen und tatsächlich dreihundert Pfund gewinnen würde, oder sogar sechshundert, und wir nach London fahren könnten? Was, wenn wir uns Lady Blandford vorstellen würden, die unsere Mutter angeblich sehr mochte und sogar ein Kondolenzschreiben schickte, als sie starb? Großmutter hat den Brief aufbewahrt. So wichtig war er, so wichtig war die Verbindung. Was, wenn Lady Blandford uns Zutritt zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft ermöglicht? Wo wir Dukes kennenlernen, die jung sind und attraktiv und vermögend?“

Sie hielt inne, ließ ihre Fragen wirken. „Selbst wenn nichts von alledem eintritt, sind wir besser gestellt als unter Richards Knute. Er wird uns das Leben vergällen mit seiner Feindseligkeit.“

Hoffnungsvoll blickte Dara zwischen ihren Schwestern hin und her. „Lasst uns das Abenteuer wagen. Ich will Patrick Lynch nicht heiraten. Die Körpergeräusche, die er sich nicht scheut, selbst in der Öffentlichkeit zu machen, sogar bei den Tanzveranstaltungen, sind peinlich.“

Ihre Schwestern waren sehr still geworden.

Dara hielt die Luft an. Hoffentlich würden sie sich ihre Worte durch den Kopf gehen lassen und erkennen, dass sie es versuchen mussten oder aber verdammt waren … wozu? Ihr Geburtsrecht zu verlieren? Das war leider bereits in dem Moment geschehen, als Richard das Haus für sich beansprucht hatte. Sie mussten sich etwas Neues aufbauen, irgendwie, irgendwo.

Und dann kam ihr unerwartet Tweedie zu Hilfe.

„Ich finde, wir sollten es machen“, verkündete die alte Dame entschlossen.

Alle drei Schwestern zuckten verblüfft zusammen. Tweedie stand auf, stützte sich auf ihren Gehstock. „Dara hat recht. Hier gibt es für euch nichts mehr zu holen, und für mich auch nicht.“

„Du kommst mit uns“, versicherte Dara der Tante erleichtert. „Du bist unsere Chaperone. Schon allein, weil du London kennst und wir nicht.“

„Oh, aye, aber das ist zwanzig Jahre her. Die Stadt war ein Sündenbabel, aber es war eine wunderbare Zeit. Und dann kam ich nach Hause …“ Tweedie seufzte.

„Der Plan ist mit so vielen Risiken behaftet“, sagte Gwendolyn skeptisch. „Zu vielen, wenn ihr mich fragt.“

„Das ganze Leben ist mit Risiken behaftet“, wandte Tweedie wegwerfend ein. „An manchen Tagen frage ich mich, ob ich aus dem Bett komme, ohne mir das Genick zu brechen, aber das heißt nicht, dass ich liegen bleibe.“

„Wir würden ganz auf uns gestellt sein“, gab Gwendolyn zu bedenken.

„Richtig.“ Dara nickte. „Nur wir drei und Tweedie. Aber das sind wir schon seit Vaters und Großmutters Tod.“

„Glaubst du wirklich, dass er tot ist?“ Elise schüttelte den Kopf. „Ich nicht. Unmöglich. Hätte man uns nicht benachrichtigt? Uns aufgefordert, uns um seine sterblichen Überreste zu kümmern oder so etwas?“

Dara und Gwendolyn tauschten einen Blick. Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Argumente hörten. Elise wollte unbedingt glauben, dass ihr Vater noch lebte.

„Aber so lange wie diesmal ist er noch nie fortgeblieben“, erwiderte Gwendolyn sanft.

Für eine ganze Weile sagte niemand etwas.

Schließlich brach Gwendolyn das Schweigen. „In Dublin gibt es einen Club, den Vater zu besuchen pflegte. Er heißt The Devil’s Hand. Angeblich lohnt es sich, dort zu spielen, und soweit ich mich erinnere, war es sein Lieblingsclub. Lasst es uns also versuchen.“

„Du willst es wirklich machen?“ Daras Stimme verriet, wie verblüfft sie war, ließ jedoch auch Triumph erkennen. Dublin lag im übernächsten County. Es konnte nicht allzu schwer sein, dort hinzugelangen. Sie war noch nie in der Stadt gewesen, also warum nicht jetzt?

„Selbstverständlich“, antwortete die ältere Schwester. „Ich muss dich vor Patrick Lynch und seinen Körpergeräuschen retten … und mich vor Squire Davies und den vielen Kindern.“ Es lag keinerlei Genugtuung in ihrer Stimme. Stattdessen sackten ihre Schultern herunter, und sie flüsterte halb zu sich selbst: „Wenn wir scheitern, werde ich es mir nie verzeihen, sollte dir, Elise, oder Tweedie etwas passieren.“

„Ach, meine Liebe.“ Tweedie lächelte mitfühlend. „Was, wenn du Erfolg hast? Immerhin wart ihr drei noch nicht einmal in Dublin, von London ganz zu schweigen. Selbst County Wicklow kennt ihr kaum. Ist es nicht höchste Zeit, dass ihr ein Risiko eingeht?“

„Das finde ich auch“, pflichtete Dara ihr bei. „Außerdem – sind wir es uns nicht schuldig, wenigstens den Versuch zu machen, uns ein besseres Leben aufzubauen? Sind wir nicht die Töchter unseres Vaters?“

„Richard wird alles tun, um uns davon abzuhalten“, warnte Elise stirnrunzelnd, doch dann setzte sie mit einem listigen Lächeln hinzu: „Am besten stehlen wir uns heute Nacht davon.“

Sie hatte recht. Sie mussten handeln, ehe die Vernunft über den Drang, etwas zu unternehmen, siegte, und so wurde Daras Plan ohne viel Federlesens in die Tat umgesetzt.

2. KAPITEL

Eine Dame muss immer um ihren Ruf besorgt sein.

Die Regeln (nach Dara)

Bis sie heiratet, dann kann sie sie selbst sein.

Tweedies Versprechen

Dublin

Beckett Steele bückte sich unter dem niedrigen Türsturz hindurch und betrat die Räume des Devil’s Hand. Er musste sich keine Sorgen machen, dass er in anrüchigen Etablissements wie diesem womöglich in Schwierigkeiten geriet, denn er war groß und stark genug, um auch mit brenzligen Situationen umgehen zu können.

Leider war er müde. Ein endloser, anstrengender Tag unterwegs mit langen Fußmärschen lag hinter ihm. Er war auf der Suche nach Bartholomew Tarrant, dem Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns aus Chester, der seinen Vater bestohlen und sich anschließend nach Irland abgesetzt hatte. Tarrant war ein Spieler, ein glückloser, und sein Vater wollte ihn zurückhaben, ehe der Junior die gesamte Summe durchgebracht hatte.

Der junge Tarrant glaubte anscheinend, die strenge Hand seines Vaters reiche nicht bis nach Dublin. Er irrte sich. Zumal besagter Vater Beckett angeheuert hatte.

Beckett schnappte seine Zielobjekte immer. Er war stolz auf sein Können. Wenn er auf jemanden Jagd machte, gab es kein Entkommen.

Das Devil’s Hand war eine Spielhölle wie alle anderen. Sie roch nach Männern und abgestandenem Ale. Von den Talgkerzen, die trübes Licht spendeten, stieg rußiger Rauch an die Decke. Nichts an dem Laden war außergewöhnlich. Männer brauchten keine Bilder an den Wänden, keine ordentlichen Möbel, auch keinen sauberen Fußboden, damit man ihnen ihr Geld abknöpfen konnte.

Beckett hatte gehört, dass es rau zuging im Devil’s Hand. Binnen einer Stunde konnte man dort ein Vermögen machen oder verlieren. Wenn sich ein dämlicher Kaufmannssohn davon nicht verführen ließ, wusste Beckett es auch nicht.

Nun ja, das stimmte nicht ganz. Es gab schließlich noch die Bordelle. Wenn er den jungen Narren nicht in dieser oder einer anderen Spielhölle fand, würde er die Freudenhäuser durchkämmen müssen. Beckett murmelte eine Verwünschung. Langsam wurde er des Unsinns müde, und wenn er noch so viel Geld einbrachte.

Er hatte vor, sich kurz im Devil’s Hand umzusehen, nach Tarrants rotem Schopf Ausschau zu halten und war schon darauf eingestellt, zur nächsten Spielhölle weiterzuziehen, als er plötzlich etwas sah, das seine Pläne auf den Kopf stellte.

Hazard war Tarrants Lieblingsspiel. Aber am Hazardtisch saß niemand. Zu Becketts Erstaunen war der Tisch leer.

Stattdessen drängten sich alle Anwesenden, die Schankmägde eingeschlossen, in Dreierreihen um den großen Tisch auf der anderen Seite des Raums. Niemand achtete darauf, ob jemand den Club betrat, und genauso wenig darauf, dass sich zwei sturzbetrunkene Männer eigenmächtig am Alefass bedienten und ihre Krüge leerten, so schnell sie nur konnten.

In dem Versuch, zu verstehen, was sich vor seinen Augen abspielte, runzelte Beckett die Stirn. Plötzlich wich die Menschentraube, die den Tisch umringte, zurück, und jeder Gedanke an den rothaarigen Tarrant verflüchtigte sich beim Anblick der Frau, die zwischen den Farospielern saß.

Sie war komplett schwarz gekleidet, vom Kopf bis zu den Füßen. Selbst ihre Handschuhe waren schwarz. Ein Trauerschleier fiel von ihrem Samthut bis in den Schoß, verbarg ihr Gesicht vor neugierigen Blicken … gleichwohl konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie jung war – und wahrscheinlich sehr schön.

War das nicht genau die Art und Weise, wie die Vorstellungskraft von Männern funktionierte? Sie rechneten immer mit Schönheit. Becketts Geist war keine Ausnahme. Er trat zu dem Spieltisch, seine Müdigkeit war vergessen. Stattdessen hatte er ein neues Zielobjekt. Sie.

Und das Beste von allem, sie war keine gewöhnliche Dirne. Sie hielt sich gerade, den Kopf erhoben, bewegte sich voller Anmut.

Er betrachtete sie gebannt. Alles an ihr, von ihrer schlanken Figur bis zu der Art, wie sie den Kopf schräg legte, als sie ihre Münze auf den Karten platzierte, verriet Klasse.

Klasse.

Was zum Teufel hatte sie hier zu suchen?

Der Kartengeber sah aus wie ein Wiesel. Er hatte eine scharf geschnittene Nase, geblähte Nüstern, und der Blick seiner schmalen Augen war auf sie gerichtet. Wusste sie, in welcher Gefahr sie sich befand? Wusste sie, dass jeder der anwesenden Männer ihr die Röcke über den Kopf werfen würde, ehe sie sichs versah, wenn sich die Gelegenheit bot? Und das Wiesel würde vergnügt vorangehen.

Beckett beobachtete die nächste Partie. Faro war ein einfaches, aber schnelles Spiel. Auf dem Tisch lagen dreizehn Karten aufgedeckt, vom Ass bis zum König. Die Spieler setzten auf die Karte, von der sie glaubten, dass der Bankhalter sie als nächste aus seinem Kartenschlitten ziehen würde. Die Spielfarbe war egal, bei dem Spiel ging es um Zahlen.

Das Wiesel zog zwei Karten. Die erste, die Soda, auch die Verliererkarte genannt, spielte nicht mit, und der Bankhalter kassierte alle Wetten, die auf diese Zahl abgegeben worden waren.

Die zweite war die Gewinnerkarte, auf die alle, die darauf gewettet hatten, einen Eins-zu-eins-Gewinn erhielten. Im Devil’s Hand gab es einen zusätzlichen Bonus für den Spieler, der auf die Karte mit dem höchsten Zahlenwert über dem der Soda gewettet hatte. Die Chancen, zu Geld zu kommen, standen gut.

Nur dass die Frau nicht gewann.

Beckett wusste nicht, wie viel sie mit an den Tisch gebracht hatte, aber der Stapel Münzen vor ihr schwand rasch dahin – zumal der Bankhalter betrog. Seine Karten waren vermutlich gezinkt. Er ließ die Frau eine Partie gewinnen und die nachfolgenden verlieren. Wussten die anderen Mitspieler, was vor sich ging? Auf Beckett wirkten sie wie Bussarde, die zusahen und abwarteten, welche Vorteile ihnen das Duell zwischen dem Wiesel und seinem unwissenden Opfer brachte. Es war offensichtlich, dass sie alle nach der Frau in Schwarz geiferten und sich in den Bildern ihrer derben Fantasien ergingen.

Beckett war keiner von denen, die ein unschuldiges Opfer ignorierten. Er wusste zu gut, wie es sich anfühlte, getäuscht zu werden. Die Frau gehörte nicht hierher, nicht zu der Sorte Männer, die in dieser Spelunke verkehrten, und er konnte sich nur wundern, welche verzweifelten oder unverantwortlichen Beweggründe sie an diesen Tisch gebracht hatten.

Seine Suche nach dem Kaufmannssohn interessierte ihn nicht mehr. Sie dafür umso mehr.

Abgesehen davon suchte er schon lange nach einer Frau wie ihr; einer Frau, mit deren Hilfe er Rache üben konnte.

Doch vorher musste er ihr helfen.

Beckett trat einen Schritt zurück und wartete auf seine Gelegenheit.

Die Partie Faro an diesem Tisch war schneller als alles, was Gwendolyn jemals zu Hause mit ihrem Vater gespielt hatte.

Der Bankhalter war schneller. Es war nicht möglich, innezuhalten und die Münzen abzuzählen, oder, wie bei den Spielen der Kindheit, die Hölzchen. Er nahm das Geld, händigte es ohne mit der Wimper zu zucken aus, und die Partie ging weiter.

Anfangs war Gwendolyn sicher gewesen, mithalten zu können. Sie hatte mehrere Partien gewonnen. Doch dabei musste es sich um Glück gehandelt haben, denn nach ein paar schnellen Gewinnen verlor sie nun umso schneller. Einmal hatte sie ihre vierunddreißig Pfund auf ungefähr einhundert vermehrt. Inzwischen war sie bei mageren fünfzehn angelangt und in der Gefahr, auch die noch zu verlieren.

Womöglich versagten ihre Nerven und ihr Verstand, der sich die Karten immer so schnell hatte merken können, ließ sie im Stich.

Und was viel schlimmer war, sie ließ ihre Schwestern im Stich. Die beiden warteten in einem Gasthof in der Nähe auf ihre Rückkehr. Sie hatten sie begleiten wollen, aber Gwendolyn war strikt dagegen gewesen. Sie zog es vor, Elise und Dara sicher in der Obhut Heralds zu wissen, des langjährigen Butlers, der beschlossen hatte, sich den Schwestern auf ihrem Abenteuer anzuschließen. Er hatte Gwendolyn versprochen, über sie, Dara und Elise und natürlich auch Tweedie zu wachen.

Ein Frau, die Witwentracht trug, so hatte sie dagegengehalten, war sicher. Selbst in den schlimmsten Spielhöllen Irlands.

Nun ja, außer im Devil’s Hand.

Gwendolyn rieb die Münze zwischen ihren behandschuhten Fingern. Sie schwitzte in ihrem schweren Trauergewand. Die Idee mit der Verkleidung stammte auch von Dara. Gwendolyn war unendlich froh, dass man sie nicht erkennen konnte. Ja, ihr Vater hatte behauptet, dass vornehme Damen spielten, aber die Frage war, ob sie das auch in Dublin taten.

Die Männer verschlangen sie förmlich mit Blicken. Ließ ihre Verkleidung sie womöglich verlockender erscheinen? Oder hatte sie es mit Raubvögeln zu tun, die immer lauerten, ewig hungrig …

„Sind Sie mit von der Partie bei dieser Runde, Mrs. Bunsaway?“, fragte der Kartengeber ein wenig stichelnd. Sein Ton war höflich, und dennoch klang es so, als handle es sich um einen privaten Scherz zwischen ihnen, bei dem sie die Quelle seiner Belustigung war.

Der Gedanke ließ sie wünschen, sich nicht als Mrs. Bunsaway vorgestellt zu haben.

Tatsächlich hatte sie nicht daran gedacht, einen falschen Namen zu benutzen. Dass dies notwendig sein könnte, war ihr erst in den Sinn gekommen, als sie das Devil’s Hand betreten hatte. Der Kartengeber beim Faro, ein Mann, der Darby genannt wurde, war auf sie zu geeilt, hatte sie in den Raum gezogen und sie nach ihrem Namen gefragt.

Gwendolyn hatte sich gehütet, Lanscarr zu antworten, aber es wäre ihr lieber gewesen, wenn ihre Schwestern und sie dieses Detail nicht übersehen hätten. Den Namen Bunsaway hatte sie aus der Luft gegriffen, eine törichte Wahl. Er war ihr erster Fehler von vielen.

„Mrs. Bunsaway?“, setzte Darby nach, „wir warten.“

Gwendolyn legte die Hände in den Schoß, fast so, als habe sie Angst, die wenigen Münzen auf dem Tisch vor ihr anzurühren. Sie war gefährlich nahe daran, das gesamte Geld zu verlieren. Ihre Schwestern hielten sie für vernünftig. Sie hatten ihr Zimmer in dem Gasthof noch nicht bezahlt.

Sie räusperte sich. Es fiel ihr schwer, angesichts des lastenden Gefühls von Versagen zu sprechen. „Ich werde diese Runde aussetzen.“

In Wirklichkeit würde sie gehen. Das war alles, was sie wollte. Sie würde laufen, und vielleicht, sobald sie draußen war, wo sie wieder frei atmen konnte, ihren Mut zurückgewinnen … vielleicht aber auch nicht. Sie hatte sich und ihre Schwestern ruiniert, und die einzige Hoffnung, die es für sie gab, bestand darin, nach Wiltham House zurückzukehren und Mr. Davies zu heiraten.

Grundgütiger, Elise hatte recht. Um nichts in der Welt wollte Gwendolyn ihn nackt sehen.

Wenn zuvor andere Spieler eine Runde ausgesetzt hatten, hatte Darby es kommentarlos hingenommen. In ihrem Fall nicht. Er schenkte ihr ein hinterhältiges Lächeln. „Kommen Sie schon, Mrs. Bunsaway, das Glück wird Ihnen hold sein. Wir helfen Ihnen, verlassen Sie sich darauf.“

Wie auf Kommando drängten die Männer um sie her sich vor, schienen sich dichter zu ihr zu lehnen.

Abrupt stand sie auf. „Ich kann nicht … spielen.“ Heiliger Himmel, sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Dabei litten Lanscarr-Frauen nicht unter derart überspannten Anwandlungen. Sie waren ein widerstandsfähiger Haufen.

Andererseits hatte noch keine von ihnen ihre Familie so schwer enttäuscht wie Gwendolyn.

Sie drehte sich um, bereit, sich den Weg zwischen den um sie herumscharwenzelnden Männern hindurchzubahnen, doch plötzlich packte Darby sie mit seinen weißen, fleischigen langen Fingern um das behandschuhte Handgelenk. „Laufen Sie nicht davon. Wir können zu einer Einigung kommen. Und Sie werden mich mögen. Ich kann eine Frau wie Sie glücklich machen. Sehr glücklich.“

Im ersten Moment wusste Gwendolyn nicht, was er meinte, doch als er in wieherndes Gelächter ausbrach, begriff sie.

Sie versuchte ihm ihre Hand zu entziehen. Darby verstärkte seinen Griff. Sie zog die Hand aus dem Handschuh. Zu spät wurde ihm klar, was sie tat, und er stand da mit dem schlaffen Stück Stoff in den Fingern. Gwendolyn gab dem Mann, der am dichtesten bei ihr stand, einen groben Rippenstoß, schnappte sich den Rest ihres Geldes vom Tisch und registrierte am Rande, wie der Kerl aufjaulend einen Satz rückwärts tat. Den Schleier vor ihrem Gesicht festhaltend, stieß sie sich durch die Reihen der Zuschauer, ohne Rücksicht darauf, dass sie mit ihren strapazierfähigen Stiefeletten auf Zehen trat. Im Gegenteil, sie hoffte, möglichst viele zu erwischen.

Und dann hatte sie es durch die Menschentraube geschafft. Sie wollte loslaufen, blieb jedoch wie angewurzelt stehen.

Die schreckliche Vorstellung, dass ihre Schwestern, die im Gasthaus auf sie warteten, alle Hoffnung in sie gesetzt hatten, nagelte sie buchstäblich an Ort und Stelle fest.

Was sollte sie ihnen sagen? Was konnte sie sagen? Dass sie gescheitert war? Dass sie ihre Meinung geändert hatte und sich darauf freute, Mr. Davies’ Frau zu werden? Dass sie närrisch gewesen sein mussten zu glauben, Daras Plan könne aufgehen? Es war nicht gerecht, Dara die Schuld zuzuschieben …

„Sie spielen nicht schlecht“, sagte in dem Moment die tiefe Stimme eines Mannes, eines Engländers, hinter ihr. „Sie sollten bleiben.“

Gwendolyn warf einen Blick über die Schulter und war so schockiert von dem Anblick, der sich ihr bot, dass sie taumelte.

Da stand ein Mann wie ein Schrank. Hochgewachsen, breitschultrig … und sehr gut aussehend, soweit sie es angesichts des breitkrempigen Huts beurteilen konnte. Er trug hellbraune Reithosen, gute, wenn auch schmutzige Stiefel und einen Mantel mit so vielen Kutscherkragen, dass wahrscheinlich jeder Dandy ihn darum beneidete.

Wie kam es, dass sie ihn nicht schon früher bemerkt hatte? Sein Gesicht war schmal, und er hätte eine Rasur gebrauchen können. Seine ansonsten gerade Nase wies einen kleinen Höcker auf, vermutlich hatte er sie sich einmal gebrochen. Seine Augen wirkten wie aus blauem Glas, und er betrachtete sie, als entginge ihm kein noch so kleines Detail.

„Wenn ich eine gute Spielerin wäre, hätte ich jetzt mehr Geld.“

„Jawohl, aber das Wiesel hat betrogen.“

Die unverblümte Bemerkung erwischte sie kalt. „Betrogen?“

Sie wirbelte herum, musterte den Kartengeber stirnrunzelnd. Darby sah auf, ertappte sie dabei, wie sie den Blick auf ihn richtete, und grinste anzüglich. Mit einer Handbewegung deutete er auf den Tisch, forderte sie auf, zurückzukommen. Er verachtete sie. Als sie sich fortdrehte, lachte er hämisch.

„Und ich dachte, das Devil’s Hand wäre ein anständiger Spielclub“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu dem Fremden.

Der lachte auf. „Es ist eine Spielhölle. Natürlich wird hier betrogen.“

„Aber das ist nicht fair.“

„Deshalb nennt man es ja auch betrügen“, antwortete er sachlich.

„Und ich habe mich darauf verlassen, dass …“ Sie verstummte, verblüfft über ihre sträfliche Naivität. Die Spiele mit ihrem Vater waren harmlos gewesen und hatten Spaß gemacht, aber hatte er nicht auch hin und wieder geschummelt?

Eine unerwartete Einsicht keimte in ihr auf.

Hatte ihr Vater sie womöglich gewinnen lassen? Und bedeutete das nicht, dass sie gar kein Talent hatte?

„Allmächtiger.“ Das Wort war ein Stoßgebet. Was hatten sie und ihre Schwestern getan?

Sie musste gehen. Und zwar jetzt, wo sie noch genug Geld hatte, um die Rückkehr ihrer kleinen Familie nach Wicklow zu bezahlen.

„Sie könnten einen Wohltäter gebrauchen“, riss die Stimme des Fremden sie aus ihren Gedanken. „Und ich meine nicht die Sorte, mit der Sie das Bett teilen müssten.“

Gwendolyn blinzelte. Ja natürlich, das war es, was Darby wollte. Sie war nur abgestoßen von der Direktheit des Unbekannten. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Er maß sie mit einem scharfen Blick. Streckte ihr die Hand entgegen. Er trug Handschuhe. Schwarze, abgetragene Reithandschuhe. „Ich löse Probleme.“

Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand. Schließlich befanden sie sich nicht in einem Salon. Hier galten Daras Regeln nicht. „Was heißt das?“

„Es heißt gar nichts. Ich spreche eine Tatsache aus. Es ist das, was ich tue.“

„Wie eine Art Orakel?“

Ein Grübchen erschien neben seinem Mundwinkel, er lächelte, als habe sie ihn ertappt. „Ich befasse mich nicht mit Rätseln.“

„Welches Problem lösen Sie heute Abend?“

„Ich bin auf der Jagd nach jemandem.“

„Auf der Jagd?“

Er zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen Suche.“

„Gegen Bezahlung, wie ich annehme.“

„Der Mensch muss leben.“

Sie verengte die Augen. „Warum erzählen Sie mir das alles?“

„Weil Sie ein Problem haben.“ Mit dem Kinn deutete er auf die Münzen in Gwendolyns Hand. „Diese Spielhölle ist kein geeigneter Ort für eine Frau wie Sie. Sie sind nicht ohne Grund hier. Sondern aus Verzweiflung, nehme ich an.“

„Sprechen Sie weiter.“ Sie wollte seine Annahme weder bestätigen noch abstreiten.

„Sie sind eine gute Spielerin. Sie wissen, was Sie tun. Wie es scheint, können Sie sich die Karten merken.“ Er wartete nicht auf eine Antwort. „Es ist eine Gabe, die man in keiner Spielhölle gerne sieht, aber sie muss akzeptiert werden.“

Das hatte sie auch gedacht.

„Ich schlage vor, wir kehren an den Tisch zurück. Ich rede mit dem Wiesel …“

„Wem?“

„Dem Bankhalter.“

„Ach so, Darby.“ Unwillkürlich lächelte sie. „Wiesel ist ein passender Name für ihn.“

„Ich schlage vor, wir nennen ihn weiterhin so.“

Seine Ruhe und Nüchternheit zusammen mit dem Anflug von Humor lösten ein Gutteil der Anspannung in ihrem Brustkorb. Dann erkannte sie, dass sie noch ein Problem hatte. „Ich habe fast all mein Geld verloren. Was übrig ist, brauche ich, um nach Hause zu kommen.“

„Ich borge Ihnen etwas.“

Umgehend war sie wieder auf der Hut. „Zu welchem Preis?“

„Nicht dem, den Sie meinen.“

Gwendolyn glaubte ihm nicht. Genauso wenig, wie sie ihm traute. Er war zu … zu alles. Zu gut aussehend. Zu selbstsicher. Zu wortgewandt.

„Ich gehe.“ Sie wäre zur Tür gegangen, doch er umfasste ihren Ellbogen und drehte sie zu sich. Die Berührung traf sie wie ein Schlag, und sie zuckte zusammen.

Er bemerkte es, hatte den Schlag vielleicht auch verspürt. Jedenfalls ließ er sie los, hob die Hand mit dem Handteller nach außen, als wolle er zeigen, dass er ihr keinen Streich spielte. „Geben Sie nicht auf.“

Sie reckte das Kinn. „Tue ich nicht. Aber genauso wenig verkaufe ich mich.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte mir schon, dass Sie mir das Schlimmste unterstellen, wenn ich Ihnen mein Angebot mache. Aber auch wenn die Kerle am Tisch sehr klar haben erkennen lassen, was sie wollen – ich bin nicht so.“

„Und das soll ich glauben?“ Gwendolyn konnte ihre Zweifel nicht unterdrücken.

„Oh ja. Ich werde dafür sorgen, dass Sie eine faire Chance bekommen.“ Er hielt inne, dann setzte er hinzu: „Ich würde dem Wiesel gern eine Lektion erteilen. Es geht mir gegen den Strich, wenn ich sehe, dass Anfänger ausgenommen werden, und Sie haben das Talent, ihm eine Lektion zu erteilen.“

Gwendolyn hätte Darby nur zu gern eine Lektion erteilt. Sie war es leid, von kaltschnäuzigen Männern wie Richard, selbst ihrem Vater, dem Mann, der spurlos verschwunden war, herumgestoßen zu werden. Am liebsten hätte sie …

„Wenn ich mit Ihrem Geld spiele, was erwarten Sie als Gegenleistung? Zumal wenn ich verliere?“

„Sie wollen meine Bedingungen hören?“

„Jeder Geldverleiher stellt Bedingungen.“

Triumph blitzte in seinen Augen auf, so, als wisse er, dass sie den Köder schlucken würde. „Ich borge Ihnen das Geld, und falls Sie verlieren, verlange ich keine Rückzahlung von Ihnen, wenn es das ist, was Sie fürchten.“

„Und falls ich gewinne?“

Autor

Cathy Maxwell
Cathy Maxwell beschäftigt sich am liebsten mit der Frage, wie und warum Menschen sich verlieben. Obwohl sie bereits über 35 Romane veröffentlicht hat, bleibt die Liebe für sie weiterhin eines der größten Mysterien! Um weiter zu diesem Thema zu forschen, verlässt sie gerne ihr gemütliches Zuhause in Texas und reist...
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