Nach dieser traumhaften Nacht

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Während Jennifer zusammen mit dem breitschultrigen Rich Larsen für die Kinder seiner Schwester sorgt, wächst in ihr die Sehnsucht: nach der Geborgenheit einer eigenen Familie, nach einem gemeinsamen Leben mit Rich. Aber trotz einer heißen Nacht mit ihm weiß sie nicht, ob er ihren Traum teilt ...


  • Erscheinungstag 30.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754785
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Rich Larsen betrachtete das von außen wenig vertrauenerweckende Ladenbüro der Detektivagentur Checkmate in Fort Walton Beach. Trotz der feuchten Augusthitze Floridas fröstelte er auf einmal. Vielleicht hätte er doch vorher anrufen sollen. Aber solche Überlegungen waren jetzt müßig. Er war Sergeant der Air Force und gehörte mit seinem „Silverteam“ zur Elite der Army. Da würde er sich doch wohl nicht von einem kleinen Privatdetektiv einschüchtern lassen! Er atmete noch einmal tief durch und öffnete dann forsch die Glastür.

Angenehm kühle Luft schlug ihm entgegen. Er sah sich um. Das Büro hätte gut als Kulisse für einen Chandler-Krimi mit Mickey Spillane als Helden durchgehen können, wäre da nicht diese Unmenge an Topfpflanzen gewesen, die praktisch jede freie Oberfläche besetzt hielten. Zu sehen war niemand, aber in der hinteren Wand stand eine Tür offen, die in einen zweiten Raum führte.

„Ich komme gleich“, kündigte eine eindeutig weibliche Stimme aus dem dunklen Reich zu Richs Füßen an, und im nächsten Augenblick tauchte eine Frau mit langen dunklen Haaren hinter dem Schreibtisch auf. Vermutlich die Sekretärin, dachte Rich. Als sie dann in voller Größe vor ihm stand, verwischte der Chandler-Effekt sich etwas. Sie sah ganz normal aus, abgesehen von einer atemberaubenden Figur, die sie ziemlich erfolglos unter einem züchtigen Baumwollkleid verbarg, in dem jede Sonntagsschullehrerin korrekt gekleidet gewesen wäre.

„Kann ich etwas für Sie tun?“ Sie strich ihr Kleid glatt und betonte ihre Formen damit noch zusätzlich.

„Ich suche eine Frau“, teilte Rich ihr mit.

„Dies ist eine Detektei und keine Partnervermittlung“, beschied die Frau ihn ein wenig schroff und gouvernantenhaft.

„Ich suche keine Ehefrau, sondern meine Schwester“, erklärte Rich ungeduldig. „Wenn Sie mich also bitte zu Ihrem Chef führen würden, dann werde ich ihm alles erklären und störe Sie nicht länger.“ Er hatte keine Ahnung, was sie auf dem Boden zu suchen gehabt hatte, aber offenbar ärgerte sie sich darüber, dass sie diese Tätigkeit hatte unterbrechen müssen.

„Mr. King ist im Moment nicht da. Aber Sie können ja in seinem Büro auf ihn warten, wenn Sie wollen.“

In den gelben Seiten waren auch andere Detekteien aufgelistet gewesen, aber Checkmate hatte die kleinste Anzeige geschaltet. Das konnte in Richs Augen nur zweierlei bedeuten: dass sie entweder sehr gut oder sehr billig war. Und das war bei seinem wenig üppigen Gehalt eine nicht unerhebliche Überlegung. Vielleicht traf ja auch beides zu. Dazu kam, dass der Besitzer der Detektei einmal zur selben Einheit gehört hatte wie er, und das sprach eindeutig für ihn.

Jennifer Bishop verschwand wieder hinter dem Schreibtisch und fächerte sich mit den Händen Luft ins Gesicht. Der bloße Anblick des Besuchers war geeignet, einen Eisberg zum Schmelzen zu bringen. Er war gut einen Meter achtzig groß, hatte eine ausladende Brust und so breite Schultern, dass er wahrscheinlich nicht geradeaus durch die Tür passte.

Aber sie war hier, um zu arbeiten, und nicht, um über überflüssige Überlegungen über Männer anzustellen, selbst wenn sie aussahen wie – ja, wie eigentlich? Ein romantischer Held aus einem Liebesroman? Nach ihrem Beziehungsdrama sollte sie eigentlich ein für allemal um jeden Mann einen großen Bogen schlagen, romantisch oder nicht.

Sie kehrte den Rest der Pflanzenerde, die ihr heruntergefallen war, zusammen und saugte sie dann ab. Vielleicht passte all das Grün nicht zur landläufigen Vorstellung von einer Detektivagentur, aber schließlich war sie auch keine normale Detektivin. Und wenn gerade wenig zu tun war, sorgten die Pflanzen für angenehme Beschäftigung.

Jennifer wischte sich die Hände ab und räumte den kleinen Staubsauger wieder weg. Ihr Chef Al King war in Urlaub, und sie hielt so lange die Festung. Al hatte seine Pension, die ihn unabhängig machte, aber ihr Einkommen war davon abhängig, wie viele Aufträge hereinkamen.

Sie straffte die Schultern, bemühte sich um einen effizienten Gesichtsausdruck und trat in den hinteren Büroraum, den sie sich mit Al teilte. Der Besucher war in den letzten zwei Minuten nicht geschrumpft und schien den Raum förmlich zu sprengen. Sie konnte nur hoffen, dass der eher zierliche Lederstuhl, auf dem er es sich gemütlich gemacht hatte, durchhielt. Einen kurzen Moment stellte sie sich vor, wie er zusammenbrach und sein Besetzer unsanft auf dem Boden landete. Das war despektierlich, half ihr aber, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen.

Sie nahm hinter Als Schreibtisch Platz, diesem braun gebrannten Adonis gegenüber – wobei Adonis vielleicht nicht ganz die richtige Beschreibung war. Er wirkte mit seinen eisblauen Augen und den von der Sonne gebleichten Haaren eher wie ein nordischer Hüne. Es fehlte nur noch, dass er Olaf Olsen hieß.

„Sie?“ fragte er jetzt ungläubig. „Sie betreiben diese Agentur?“

„Nicht allein“, erwiderte Jennifer und dehnte damit die Wahrheit nur ein winziges bisschen. „Jennifer Bishop“, stellte sie sich vor. „Wie schon gesagt, Mr. King ist im Moment nicht da.“ Er musste ja nicht wissen, dass Al bis zum Ende des Monats in Alaska beim Angeln war, um der Sommerhitze Floridas zu entfliehen.

„Oh. Verstehe. Bishop und King.“ Bischop stand im Schach für Läufer, dazu der König … „Deshalb Checkmate. Schachmatt.“

Der Punkt ging an ihn. Nicht viele Klienten erkannten diesen Zusammenhang.

Jennifer nickte anerkennend. „Und wer sind Sie?“

Der Mann streckte die Hand aus. „Rich Larsen.“

Mit „Olsen“ hatte sie also gar nicht mal so falsch gelegen.

Er nahm ihre Hand, und ihre Gehirntätigkeit setzte schlagartig aus. Als er sie wieder losließ, war sie davon überzeugt, dass seine Fingerabdrücke sich wie Brandzeichen in ihre Haut gesengt hatten.

„Schön, dass Ihre Wahl auf uns gefallen ist, Mr. Larsen“, sagte sie, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Womit können wir Ihnen helfen?“ Sie sah ihm an, dass er an ihrer Kompetenz zweifelte, und konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich war sie vor ein paar Monaten wirklich noch Empfangssekretärin gewesen und hatte nur bei den Computerrecherchen geholfen. Aber nach einem mehrwöchigen Kurs durfte sie sich jetzt lizenzierte Detektivin nennen. Allerdings fühlte sie sich dadurch auch nicht anders.

„Wie gesagt, ich suche meine Schwester.“

„Und wie haben Sie sie verloren?“

Er wirkte einen kurzen Augenblick irritiert, dann wurde sein Blick düster. „Wir sind in einer Pflegefamilie aufgewachsen“, erklärte er dann. „Ich ging dann mit achtzehn zur Air Force und wurde nach ungefähr zwei Jahren nach Europa versetzt. Sherry wollte unbedingt, dass ich sie mitnehme, aber das war unmöglich. Ich schrieb ihr natürlich, aber sie antwortete nicht. Und irgendwann kamen die Briefe mit dem Vermerk ,Unbekannt verzogen‘ zurück.“ Er holte tief Atem. „Das ist jetzt sieben Jahre her, und seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.“

„Gibt es einen besonderen Grund, warum Sie Ihre Schwester gerade jetzt suchen?“

Er hatte auf die Frage gewartet. „Ich war im Auslandseinsatz und bin erst seit kurzem wieder hier.“

„Sind Sie aus Fort Walton Beach?“ Jennifer hatte angefangen, sich Notizen zu machen.

„Nein, aus Valparaiso.“

Jennifer sah auf. „Ich schicke mögliche Klienten ja ungern weg, aber meinen Sie nicht, dass Sie Ihre Schwester auch selbst finden könnten? Sie müssen doch gemeinsame Freunde oder auch Verwandte haben.“

Rich schüttelte den Kopf. „Ich habe es ja versucht und immerhin unsere Pflegefamilie gefunden, aber sie haben auch seit Jahren nichts von Sherry gehört.“ Er wirkte plötzlich müde. „Ich weiß nicht einmal, ob sie noch hier in der Gegend lebt.“

Jennifer lächelte. „Na, vielleicht habe ich ja mehr Erfolg. Sie wären überrascht darüber, was man alles übers Internet herausfinden kann, wenn man weiß, wo man suchen muss. Wenn Sie mir ein paar grundlegende Informationen über Ihre Schwester geben können, sollte es eigentlich keine Probleme geben.“

Sie stellte ihm einige Fragen, machte sich Notizen und legte dann den Stift weg. „Ich fange sofort an, Mr. Larsen.“

Er lächelte. „Nennen Sie mich Rich.“ Er wollte ihr die Hand geben, erinnerte sich dann aber an das merkwürdige Gefühl beim ersten Mal und steckte sie stattdessen in die Tasche. „Ich höre von Ihnen.“

Unter der Tür drehte er sich noch einmal mit einem Lächeln um. Sie sah nicht unbedingt wie eine Detektivin aus, aber das musste ja nichts heißen. Außerdem war ihr Partner ein ehemaliger Kollege, und das war sehr beruhigend.

Jennifer konnte gar nicht glauben, dass ihr erster eigenständiger Fall so einfach war. Sie hatte einen Nachmittag vor dem Computer verbracht, hatte Daten durchforstet und schließlich die gesuchte Adresse gefunden. Sie spielte mit dem Gedanken, noch ein bisschen zu warten, bis sie Rich – beziehungsweise Mr. Larsen – anrief, damit ihr Aufwand eindrucksvoller wirkte.

Aber natürlich rief sie ihn sofort an. Sie hätte ihm die Extrazeit sowieso nicht berechnet. Er hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber sie hatte ihm angesehen, wie wichtig seine Schwester ihm war. Sie erreichte nur seinen Anrufbeantworter und vertrieb sich jetzt die Zeit mit ihren Pflanzen. Warum konnte nicht einfach noch ein Klient auftauchen? Er musste ja nicht ganz so überwältigend aussehen wie Sergeant Larsen, wenn sein Auftrag dafür etwas anspruchsvoller war.

Das Telefon klingelte.

Jennifer fuhr zusammen und ließ ihre kleine Harke fallen. Sie landete auf ihrem Fuß. „Autsch!“ Humpelnd bahnte sie sich den Weg zum Telefon. „Ja? Ich meine, Detektivagentur Checkmate“, verbesserte sie sich und ließ sich auf einen Stuhl sinken, um ihren Fuß zu massieren. Der Anrufer war Rich Larsen.

„Ich habe Ihre Schwester gefunden!“

Zu ihrer Verblüffung stieß er eine Art Schlachtruf hervor. „Hurra!“ Dann hängte er ohne ein weiteres Wort auf.

Jennifer betrachtete entgeistert den Hörer in ihrer Hand. Ihr Mann hatte dieselbe Angewohnheit gehabt. Kam Rich Larsen etwa aus derselben Elitetruppe?

Rich schaffte die Strecke, für die er sonst zehn Minuten brauchte, in fünf Minuten. Er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, seinen Kampfanzug auszuziehen. Direkt vor der Agentur fand er einen Parkplatz, und erst da fiel ihm ein, dass Miss Bishop ihm die Adresse ja auch telefonisch hätte mitteilen können. Aber jetzt war er schon einmal hier und konnte sie genauso gut persönlich fragen.

Jennifer saß hinter dem Schreibtisch. Sie hatte das Haar heute im Nacken mit einer Spange zusammengehalten und sah in ihrem Blümchenkleid aus, als sänge sie im Kirchenchor. Bis sie aufstand und ihre sinnlichen Kurven ihm den Atem verschlugen. Vorsichtshalber sagte er nichts.

„Ich habe Ihnen alles aufgeschrieben“, sagte sie und wedelte mit einem Blatt Papier. „Ihre Schwester ist inzwischen verheiratet mit einem …“ Sie sah auf das Blatt. „… mit einem Michael Conolly. Die beiden leben in Pensacola. Die Telefonnummer steht dabei.“

Rich nahm das Blatt so vorsichtig, als handelte es sich dabei um eine entschärfte Handgranate. „Haben Sie schon dort angerufen?“ fragte er mit belegter Stimme.

Jennifer lächelte. „Nein. Das wollte ich Ihnen überlassen.“ Sie wies auf das Telefon. „Bitte.“

Seine Finger zitterten beim Wählen. Und wenn Sherry nicht zu Hause war? Nach dem zweiten Klingeln kam eine Stimme aus dem Hörer: „Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar.“ Er schloss die Augen. „Außer Betrieb.“

Jennifers Lächeln schwand. „Sicher?“ Vorsichtshalber wählte sie selbst noch einmal. „Hm. Vielleicht ist die Telefonrechnung nicht bezahlt worden.“ Sie sah Rich an. „Fahren Sie doch einfach hin, Sergeant.“ Kaum hatte sie es gesagt, da wusste sie schon, dass es ein Fehler gewesen war.

Er fasste sie am Arm, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Könnten Sie nicht mitkommen? Vielleicht erkennt meine Schwester mich nicht mehr und bekommt Angst, wenn plötzlich ein fremder Mann an ihrer Tür auftaucht. Außerdem kenne ich mich in Pensacola nicht aus.“

Jennifer zögerte, und er spielte seinen letzten Trumpf aus. „Ich lade Sie unterwegs auch zu einem Hamburger ein.“

Jennifer sah auf die Uhr. Es war fast an der Zeit, für heute zuzumachen. Und auf den Thunfisch, den sie sich heute Abend hatte braten wollen, hatte sie ohnehin keine große Lust. „Also gut“, sagte sie schließlich zögernd und erntete damit ein strahlendes Lächeln.

Sie betrachtete sein olivefarbenes T-Shirt. Männer, die solche T-Shirts und rote Baretts trugen und Schlachtrufe ausstießen, waren ihr nur allzu vertraut. Schließlich war sie mit einem Elitesoldaten verheiratet gewesen. Duke war überall der Beste gewesen, nur nicht als Ehemann. Wahrscheinlich war er keine Ausnahme gewesen, und die anderen waren genau wie er. Wenigstens bis sie so alt waren wie Al und pensioniert wurden. Das war wohl berufsbedingt.

Sie hatte das Gefühl, dass Rich Larsens Geschichte glücklich enden würde, und aus irgendeinem Grund wollte sie bis zum Ende dabei sein. Informationen sammeln war ihr Job, aber sie wollte auch von der menschlichen Seite etwas mitbekommen und das Ergebnis ihrer Arbeit sehen – aus rein beruflichem Interesse natürlich.

„Wenn ich mit jemandem gegessen habe, ist es Zeit, sich beim Vornamen zu nennen“, verkündete Rich, und Jennifer errötete. „,Sergeant Larsen‘ klingt so steif, finden Sie nicht?“

„Ich – ja. Ja, klar.“ Sie machte eine Pause. „Ich heiße Jennifer.“ Sie machte eine neue Pause und fügte dann hinzu: „Rich.“

„Jennifer passt zu Ihnen. Ein hübscher Name.“

„Ich wollte immer anders heißen, Rosamund oder Victoria zum Beispiel. Die Namen gibt es nicht so oft.“

„Andererseits sind diese exotischen Namen ziemlich der Mode unterworfen.“

Jennifer sah ihn nicht an. „Ja, wahrscheinlich.“

Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Jennifer war in Richs Nähe zu keinem vernünftigen Gedanken fähig und war jetzt schon heilfroh, wenn sie endlich nichts mehr mit ihm zu tun hatte.

Sie hatten die richtige Straße gefunden und bald darauf auch das richtige Haus, einen gelben Bungalow. Sherry hatte Gelb immer geliebt, aber es irritierte Rich, dass der Rasen davor so hoch war. Offenbar war er seit Wochen nicht mehr gemäht worden. Spielzeug lag darauf herum. In der Auffahrt stand ein Kleinwagen, und auf der Veranda stapelten sich die Zeitungen. Es war früher Abend, aber im Haus war alles dunkel.

„Ob sie in die Ferien gefahren sind?“ fragte Jennifer schließlich.

Rich nickte. „Könnte sein. Aber dann hätten sie doch sicher die Zeitung abbestellt.“

„Das sollte man annehmen. Ich schaue mal in den Briefkasten.“ Jennifer stieg aus und kam kurz darauf zurück. „Leer. Vielleicht kümmert sich ein Nachbar um die Post. Aber trotzdem … Dass sie das Spielzeug nicht aufgeräumt haben …“ Sie schüttelte den Kopf.

„Und jetzt?“ fragte Rich hilflos.

„Jetzt fragen wir die Nachbarn“, entschied Jennifer.

In einem der Nachbarhäuser brannte Licht. Rich klingelte.

Eine rundliche Frau mittleren Alters öffnete ihnen. „Ja, bitte?“

Er räusperte sich. „Ich suche meine Schwester“, erklärte er. „Mein Name ist Larsen.“

„Oh, Mr. Larsen, gut dass Sie da sind. Kommen Sie doch bitte herein.“ Die Nachbarin seufzte. „Es ist alles so traurig.“

2. KAPITEL

Rich konnte sie nur stumm anstarren, deshalb übernahm Jennifer die Führung. „Was ist denn passiert?“

„Wissen Sie das denn nicht?“ Die Frau rang die Hände. „Die beiden wollten ihren Hochzeitstag feiern, ich glaube, den fünften. Sie gingen nicht oft aus, und dann habe ich auf die Kinder aufgepasst.“

„Bitte sagen Sie mir, was passiert ist“, flehte Rich.

„Es war ein Autounfall. Mike war sofort tot, und Sherry hat sich einen Halswirbel angebrochen. Sie muss wohl noch eine Weile im Krankenhaus bleiben.“

Jennifer drückte Rich die Hand. „Vielleicht können Sie uns sagen, in welchem Krankenhaus Sherry ist, Mrs. …?“

„Entschuldigen Sie. Ich heiße June Benton. Sherry ist im Baptis Hospital. Sie hat mir oft von ihrem großen Bruder erzählt und freut sich bestimmt sehr über Ihren Besuch.“

Rich brachte kein Wort heraus. Er hatte Sherry das letzte Mal gesehen, als sie fünfzehn Jahre alt gewesen war. Jetzt war sie Witwe und lag schwer verletzt im Krankenhaus. So hatte er sich das Wiedersehen wahrhaftig nicht vorgestellt.

„Danke, Mrs. Benton. Und entschuldigen Sie die Störung.“ Jennifer sah zu Rich auf. „Am Besten fahren wir gleich ins Krankenhaus.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Wo sind die Kinder jetzt?“

„Bei Sherrys Freundin Rebecca. Moment, irgendwo muss ich ihre Telefonnummer haben …“

„Das hat Zeit. Jetzt müssen wir los, damit wir noch rechtzeitig ins Krankenhaus kommen.“ Jennifer gab Mrs. Benton ihre Visitenkarte. „Rufen Sie uns doch bitte an, wenn Sie die Nummer gefunden haben. Und danke für Ihre Hilfe.“

Rich wies deutliche Anzeichen eines Schocks auf, und so schob Jennifer ihn zum Auto – auf die Beifahrerseite. Er protestierte nicht einmal, als sie sich hinters Lenkrad setzte und den Sitz vorrückte. „Geben Sie mir den Zündschlüssel.“

Es war schwül und drückend. Wolken türmten sich am Horizont und verdeckten die untergehende Sonne, aber noch war kein Donner zu hören.

Rich war froh, dass Jennifer bei ihm war. Jetzt strich sie ihm über den Arm und nahm dann seine Hand. „Kommen Sie“, sagte sie sanft. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie ihn jetzt nicht mehr allein lassen können.

Eine junge Krankenschwester kam ihnen entgegen. „Sergeant Larsen?“

„Ja“, sagte Rich verblüfft.

„Eine Mrs. Benton hat angerufen und Ihren Besuch angekündigt.“

„Darf Mrs. Conolly denn Besuch bekommen?“ fragte Jennifer.

„Das ist wahrscheinlich die beste Medizin für sie.“ Die Schwester winkte sie in einen kleinen Wartebereich. „Sie brauchen keine Angst zu haben, sie wird wieder ganz gesund werden, es dauert eben nur seine Zeit. Aber sie muss einen Nackengips zur Stabilisierung tragen, und der sieht ziemlich monströs aus. Erschrecken Sie also nicht.“

„Meinetwegen kann sie von Kopf bis Fuß eingegipst sein, wenn ich sie nur endlich sehen kann.“

„Dann kommen Sie.“

Die Schwester ging voraus. Jennifer drückte Richs Hand. „Ich warte hier.“

„Bleiben Sie wenigstens vor dem Zimmer, falls ich Sie brauche.“ Schiere Panik stand in seinen Augen. Sie nickte.

Rich hatte das Gefühl, als hingen Betonklötze an seinen Füßen. So sehr er sich danach gesehnt hatte, Sherry wieder zu sehen, so sehr fürchtete er sich jetzt davor. Zu viel war heute auf ihn eingestürmt.

Die Schwester betrat leise das Krankenzimmer. Nach einer schieren Ewigkeit öffnete sie die Tür wieder.

„Richie?“

Das war Sherrys vertraute Stimme, auch wenn sie schwach und ein wenig heiser klang. Rich schluckte. Die Schwester winkte ihn herein.

„Richie! Du bist es wirklich.“

Sherry war in eine Apparatur von lauter Stahlstangen und Klammern eingespannt, die an ein Folterinstrument erinnerte, und schien überall verkabelt zu sein. Aber sie lächelte.

„Ja“, sagte Rich. „Ich bin es wirklich.“ Er nahm ihre Hand. Seine Kehle war so eng, dass er kaum sprechen konnte.

„Du siehst gut aus.“ Sherry verzog den Mund. „Sag jetzt nur nicht, ich auch. Ich kann mir vorstellen, was ich für ein Bild abgebe.“

„Für mich siehst du wunderbar aus. Ich hatte solche Angst, dass ich dich nie mehr …“ Rich verstummte.

„Ich weiß. Es war dumm von mir, dass ich meine Adresse nicht hinterlassen habe. Aber ich war so sauer auf dich, weil du ohne mich nach Europa gegangen bist. Ich dachte, ich bin dir lästig.“

„Blödsinn. Ich habe dir doch erklärt, warum ich dich nicht mitnehmen kann. Die Army …“

„Ja, ich weiß.“ Sherry machte eine kleine Pause. Das Lächeln war aus ihren Augen verschwunden. „Mike hat mir später alles erklärt.“

„Ja.“ Rich atmete tief durch. Er hatte gehofft, dass das Gespräch nicht auf ihren Mann kommen würde. „Es – es tut mir Leid.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie tröstete man eine Frau, die gerade ihren Mann verloren hatte und selbst schwer verletzt war?

„Schade, dass du ihn nicht mehr kennen gelernt hast.“ Tränen standen in Sherrys Augen. „Er war wunderbar.“ Sie machte eine kleine Pause.

„Ja.“ Rich schluckte und wandte den Blick ab, damit sie nicht sah, dass seine Augen feucht geworden waren.

„Willst du ein Bild von ihm sehen?“ fragte sie fast unhörbar. „Wir haben es dieses Jahr an Ostern gemacht.“

Rich folgte ihrem Blick und entdeckte das gerahmte Foto auf ihrem Nachtkästchen.

„Manchmal habe ich das Gefühl, dass das alles nur ein böser Traum ist. Aber nachts kommt alles zurück. Mike war so still, so furchtbar still.“ Sherry schniefte. „Es war Fahrerflucht. Und ich konnte nicht einmal zur Beerdigung gehen.“ Sie fing an zu schluchzen.

Rich betrachtete sie hilflos und nahm dann einfach ihre Hand und hielt sie ganz fest, bis sie wieder aufhörte zu weinen. „Es tut mir so Leid, dass ich nicht hier war“, sagte er hilflos.

„Mike und ich hatten nur so wenig Zeit zusammen.“ Sie lächelte traurig. „Aber er lebt in unseren Kindern weiter.“

Es ging über seine Kräfte, sie anzuschauen. Und so betrachtete er stattdessen das Foto, als müsste er es auswendig lernen. Mike, der Schwager, den er nie kennen gelernt hatte, war ein großer, kräftiger Mann gewesen, braun gebrannt wie jemand, der sich viel im Freien aufhielt.

Plötzlich ging die Tür auf und eine junge Frau mit einer kastanienroten Mähne kam ins Zimmer gestürmt. „Entschuldige, dass ich mich verspätet habe“, bat sie atemlos. „Aber die Babysitterin hat sich verspätet und …“ Sie unterbrach sich, als sie den Besuch registrierte.

„Das macht nichts. Jetzt komm erst einmal wieder zu Atem, damit ich dir Rich vorstellen kann.“

Die Frau wandte sich ihm zu. „Sind Sie vielleicht …?“

„Ja. Ich bin der verlorene Bruder.“ Er streckte ihr die Hand hin.

„Wir haben schon versucht, Sie zu finden, aber … Wie haben Sie erfahren, dass Sherry hier ist?“ Sie unterbrach sich und sah auf seine noch immer ausgestreckte Hand. „Oh. Ich bin Rebecca Tucker. Sherry und ich haben zusammen studiert.“ Sie drückte seine Hand.

„Rich Larsen“, stellte er sich vor. „Sie kümmern sich offenbar um Sherrys Kinder. Danke.“

„Das ist doch selbstverständlich.“

„Stell dir vor, Richie hat mich von einem Privatdetektiv suchen lassen“, berichtete Sherry mit forcierter Fröhlichkeit.

„Sherry ist der einzige Mensch auf der Welt, der mich Richie nennen darf“, erklärte Rich vorsichtshalber. Ihm fiel auf, dass er immer noch Rebeccas Hand hielt – und dass die Wirkung auf ihn nicht annähernd mit Jennifers Wirkung auf ihn vergleichbar war.

Autor

Bonnie Gardner
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