Nacht der Liebe

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Seit dem Tod von Jordan Maxwells Frau betreut Felicity die kleine Mandy in seiner luxuriösen Villa. Jordans Verhältnis zu dem Kindermädchen seiner Tochter ist äußerst zwiespältig: Er fühlt sich erotisch zwar stark zu ihr hingezogen, kann aber nicht vergessen, dass ein Mitglied ihrer Familie ihn tief verletzte. Felicitys Bruder hatte ein Verhältnis mit seiner verstorbenen Frau! Als ihre Leidenschaft füreinander eines Nachts übermächtig wird, geben sich Jordan und Felicity ganz ihren stürmischen Gefühlen hin. Der Beginn einer großen Liebe, oder sind die Schatten der Vergangenheit zu stark?


  • Erscheinungstag 17.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759810
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mit Tränen in den Augen stand Felicity Fairfax vor dem Schaufenster eines der bekanntesten Kinderbekleidungsgeschäfte in West Vancouver. „Würde Mandy in dem gelben Kleidchen nicht bezaubernd aussehen, Joanne? Wie gern würde ich es ihr kaufen. Wenn nur …“

„Ja, wenn nur Jordan Maxwell dich in die Nähe seiner Tochter lassen würde“, unterbrach Joanne sie. „Aber das wird er nicht tun.“

„Weshalb ist er so hart und gefühllos?“ Felicity drehte sich zu ihrer Freundin um. Ihr langes blondes Haar, das in der Sonne golden schimmerte, hatte sie zu einem Zopf geflochten. „Es stimmt natürlich, dass mein Bruder Denny mit seiner Frau eine Affäre hatte. Doch das hat mit mir nichts zu tun.“

„Hat es auch nicht. Aber du bist eine Fairfax, und das ist schlimm genug für diesen Mr. Maxwell. Für ihn bist du eine Persona non grata, eine unerwünschte Person. Er wird seine Meinung nicht ändern, damit musst du dich abfinden.“ Dann wies Joanne auf die hübsche, bunt gemusterte Steppdecke, um Felicity abzulenken. „Hast du die gemacht?“

„Hm.“

„Das Muster gefällt mir, ich bin beeindruckt. Du nähst in der letzten Zeit sehr viel, stimmt’s?“

„Ja, seitdem ich Mandy nicht mehr betreue, habe ich mehr Aufträge angenommen. Ich vermisse die Kleine sehr, Jo. Sie war gerade erst eine Woche alt, als sie zu mir in die Babykrippe gekommen ist. Ich habe sie wie ein eigenes Kind geliebt. Ohne sie kommt mir mein Leben ziemlich leer und sinnlos vor.“

„Ich weiß, Liebes. Du solltest jedoch nicht so viel grübeln.“ Sanft zog Joanne sie mit sich und von dem Schaufenster weg. „Komm, lass uns einen Kaffee trinken und über etwas anderes reden.“

„Momentan kann ich an nichts anderes denken“, wandte Felicity ein. Sie folgte Joanne jedoch in das Café an der Ecke. „Jo, ich mache mir Sorgen um Mandy. Mir ist klar, dass ihre Mutter sich kaum um sie gekümmert hat, aber sie hat nicht nur ihre Mutter, sondern zugleich auch mich verloren. Wahrscheinlich fühlt sie sich verlassen und einsam.“

„Dich vermisst sie bestimmt, denn sie war ja tagsüber meist bei dir. Jordan Maxwell ist entweder unglaublich dumm oder unglaublich hartherzig. Anders lässt sich nicht erklären, dass er der Kleinen nicht erlaubt, bei dir zu sein.“

„Angeblich hat er sie in der Kinderkrippe in der Wedgwood Avenue angemeldet.“

„Ach ja? Die hat einen sehr guten Ruf. Auch das Personal soll gut sein. Dort wird es Mandy sicher gefallen. Meinst du nicht auch?“, fügte Joanne leicht besorgt hinzu.

„Hoffentlich.“ Felicity seufzte und setzte sich mit Jo an einen der freien Tische im Hill o’Beans. „Ich hoffe es sehr.“

Jordan Maxwell stieß die Tür des Bürogebäudes auf und ging mit großen Schritten über den weichen hellbraunen Teppich der Eingangshalle.

„Guten Morgen, Jordan“, begrüßte ihn die Rezeptionistin, eine Frau mittleren Alters, und verzog das Gesicht. „Die Besprechung hat schon angefangen.“

Er war wieder einmal zu spät. Phil Morningstar, sein Chef und Inhaber von Morningstar Realty, würde sich ärgern. In der Immobilienbranche konnte man es sich nicht erlauben, Zeit zu verschwenden. Deshalb legte er größten Wert auf Pünktlichkeit. Seit Jordan Mandy in der Kinderkrippe untergebracht hatte, schaffte er es jedoch nicht, vor Beginn der jeden Morgen stattfindenden Besprechung im Büro zu sein.

„Danke für den Hinweis, Bette. Dann muss ich mich auf die üblichen Vorwürfe gefasst machen. Haben Sie schon Ihre Gehaltserhöhung beantragt?“

„Nein, das tue ich heute lieber nicht. Phils Magengeschwür macht ihm zu schaffen.“

„Oh, das hat mir gerade noch gefehlt.“

„Jordan, warten Sie! Sie haben da …“

„Später, Bette“, unterbrach er die Frau und eilte weiter.

„Aber …“

Er schüttelte den Kopf und ging auf das Konferenzzimmer zu. Als er sich mit der Hand über das raue Kinn mit den Bartstoppeln fuhr, fluchte er leise vor sich hin. Ich hätte mir die Zeit nehmen müssen, mich zu Hause zu rasieren, dachte er. Er hatte versucht, es unterwegs im Auto nachzuholen, und sich zugleich bemüht, Mandy zu beruhigen. Aber da sie nicht aufgehört hatte zu weinen, war er mit den Nerven am Ende gewesen und hatte es aufgegeben, sich auch noch zu rasieren.

Die Tür zum Konferenzzimmer war nur angelehnt. Phil Morningstars laute Stimme war schon von Weitem zu hören. Doch als Jordan den Raum betrat, herrschte plötzlich Schweigen, und sein Chef und seine Kollegen blickten ihn an.

„Es tut mir leid, Phil. Ich bin aufgehalten worden“, entschuldigte er sich und setzte sich auf seinen Platz an dem großen Mahagonitisch. Es war ganz still im Raum, man hörte nur das Rücken des Stuhles.

Auf einmal lachte jemand leise. Jordan stellte seinen Aktenkoffer hin, und erst jetzt fielen ihm die belustigten Mienen seiner Kollegen auf. Jack LaRoque, der gern den Witzbold spielte, lächelte und wies mit dem Finger auf die Brusttasche seines Jacketts.

Jordan sah an sich hinunter und entdeckte Mandys pinkfarbene Haarbürste. Er hatte sie in die Brusttasche seines Jacketts gesteckt, nachdem er seiner Tochter das gelockte blonde Haar gebürstet hatte. Dann schaute er seinen Chef an, der die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst hatte.

„Es tut mir leid“, sagte Jordan leise und schob die Bürste in den Aktenkoffer. In dem Moment läutete sein Handy. „Ich muss das Gespräch annehmen“, erklärte er und fluchte insgeheim. „Es ist wahrscheinlich die Kinderkrippe“, fügte er hinzu, ehe er sich meldete.

„Holen Sie bitte Mandy so rasch wie möglich ab“, forderte ihn Greta Gladstone, die Leiterin der Kinderkrippe, auf. „Das Kind ist geradezu hysterisch, seit sie es gebracht haben. So geht es nicht mehr, Mr. Maxwell. Sie müssen die Kleine woanders unterbringen. Wir werden nicht mit ihr fertig.“

„Okay, ich bin in fünf Minuten da“, versprach Jordan. Der Tag hat schlecht angefangen und wird offenbar immer schlimmer, schoss es ihm durch den Kopf, während er aufstand. „Phil, entschuldige, aber ich muss …“

„Nach dem Tod deiner Frau hast du drei Monate Sonderurlaub gehabt, Jordan, um dich um deine Tochter zu kümmern und die Betreuung zu regeln. Okay, das musste sein, dafür habe ich Verständnis. Doch jetzt reicht es mir. Ich gebe dir noch eine Woche Zeit, um deine privaten Probleme zu lösen. Wenn dir das bis nächsten Montag nicht gelingt …“

„Bis nächsten Montag, das ist gut. Danke, Phil“, unterbrach Jordan ihn und eilte zur Tür. „Bis dahin finde ich eine Lösung, das verspreche ich dir.“

Zu Hause rief Jordan sogleich seine Schwester an.

„Lacey, was für ein Glück, dass du da bist.“ Mandy war im Auto eingeschlafen, und er hatte sie auf dem Arm. „Du musst mir unbedingt helfen. Hast du Zeit?“

Lacey war fünfundzwanzig, neun Jahre jünger als er und ein bekanntes und berühmtes Model. Mit dem langen schwarzen Haar, der feinen hellen Haut und den ungemein langen Beinen war sie eine hinreißende Schönheit.

Außerdem war sie intelligent und hatte gute Ideen. Deshalb hoffte Jordan, sie könnte ihm vielleicht einen Rat geben, wie er aus dem Dilemma herauskommen sollte.

Sie wohnte ganz in seiner Nähe in einer Eigentumswohnung. Als er ihren Wagen auf der Einfahrt hörte, stellte er die Kaffeemaschine an. Dann ging er ins Wohnzimmer, und wenig später schloss sie die Haustür mit dem Schlüssel auf, den er ihr für Notfälle gegeben hatte.

„Wieso bist du zu Hause?“, fragte sie. Obwohl sie nur ein einfaches weißes T-Shirt und Bluejeans trug, sah sie ausgesprochen elegant aus. Sie bewegte sich graziös und geschmeidig. „Solltest du nicht wieder unterwegs sein und Grundstücke und Häuser verkaufen, nachdem du für Mandy einen Platz in der Kinderkrippe gefunden hast?“

„Mach es dir bequem, Lace.“ Jordan wartete, bis sie sich in den Sessel gesetzt hatte. Dann ging er in die Küche und kam mit zwei Bechern Kaffee zurück. Er reichte ihr einen. „Mandy ist nicht mehr in der Kinderkrippe. Sie liegt oben im Bett und schläft.“

„Ist sie krank?“

Er schüttelte den Kopf.

„Was ist los?“

„Man will sie dort nicht mehr haben.“ Er fuhr sich verzweifelt mit der Hand durchs Haar.

„Oh Jordan.“ Lacey stellte den Becher aufs Knie. „Hat sie nicht aufgehört zu weinen?“

„Nein, jeden Tag ist es dasselbe Theater. Heute Morgen, als ich sie hingebracht habe, hat sie heftig geschluchzt und sich an mich geklammert wie ein ängstliches Kätzchen. Ich bin mir wie ein Monster vorgekommen, als ich ihre Fingerchen von meinem Arm gelöst und das Kind der Kindergärtnerin übergeben habe, als wäre es mir lästig.“ Sekundenlang schloss er die Augen und hätte die hässliche Szene am liebsten aus seiner Erinnerung gestrichen.

„Jordan, das tut mir so leid.“ Lacey runzelte sorgenvoll die Stirn.

„Was soll ich jetzt machen?“, fragte er. „Es kommt noch so weit, dass ich meinen Job verliere. Morningstar hat keine Geduld mehr mit mir, da nützt es mir wenig, dass ich sein bester Mitarbeiter bin. Er hat mir ein Ultimatum gestellt: Bis Montag muss ich alles geregelt haben. Wenn ich es nicht schaffe, dann ist es aus und vorbei.“

Er ließ sich in den Sessel sinken, und sie tranken schweigend den Kaffee.

Schließlich begann sie behutsam: „Denk doch mal darüber nach, Felicity …“

„Nein!“, unterbrach er sie hart und sprang auf. „Sprich den Namen bitte nicht noch einmal in meiner Gegenwart aus. Ich will nicht …“

„Es geht nicht darum, was du willst oder nicht willst.“ Lacey stand auch auf und stellte sich vor ihn. In ihren grünen Augen blitzte es ärgerlich auf. „Jordan, ich kann verstehen, wie dir zumute ist nach allem, was passiert ist. Ich habe volles Verständnis dafür, dass du Denny Fairfax hasst, aber …“

„Lacey, ich warne dich“, fiel er ihr wieder ins Wort.

„Aber seine Schwester hat mit der Sache nichts zu tun“, fuhr Lacey unbeirrt fort. „Sie hat gar nicht gewusst, dass ihr Bruder und Marla seit mehreren Monaten eine Affäre hatten. Erst nach dem Unfall hat sie es erfahren. Obwohl du deine Frau verloren hast …“

„Ja, und das in mehr als einer Hinsicht!“

„Muss ich dich daran erinnern, dass auch Felicity Fairfax ihren Bruder so gut wie verloren hat, denn er wird wahrscheinlich nicht mehr aus dem Koma erwachen, wie die Ärzte ihr gesagt haben.“ Lacey ignorierte seinen Einwand. „Glaub mir, Felicity und Mandy mögen sich sehr. Ich habe selbst gesehen, wie sehr die Kleine an ihr hängt. Willst du nicht darüber nachdenken, Mandy tagsüber von Felicity betreuen zu lassen? Du brauchst ja nicht mit ihr zu reden, sondern kannst Mandy einfach bei ihr abgeben, wie Marla es auch getan hat, und sie abends wieder abholen.“

In dem Moment fing Mandy an zu weinen.

Jordan seufzte. „Sie ist aufgewacht. Komm mit, vielleicht kannst du sie beruhigen.“

Sie gingen zusammen nach oben in Mandys Schlafzimmer. Die Kleine weinte bitterlich, und Panik breitete sich in Jordan aus. Die Situation schien sich immer mehr zuzuspitzen, er hatte die Kontrolle darüber verloren. Wenn es so weiterging, hatte er auch bald keinen Job mehr. Wovon sollten er und seine Tochter dann leben? Obwohl er in den vergangenen Jahren sehr viel verdient hatte, hatte Marla nie lange gebraucht, alles auszugeben.

„Das arme Kind.“ Lacey beugte sich über das Kinderbett. Doch Mandy bemerkte sie gar nicht. Sie lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Ihre Wangen waren gerötet und feucht von den Tränen. Und sie weinte immer noch.

Lacey wartete, bis ihre Nichte Luft holen musste und eine Pause machte. „Hallo, Kleines, was ist denn los?“, fragte sie dann.

Mandy lag wie erstarrt da. Schließlich schluckte sie und öffnete die Augen. Als sie Lacey erblickte, drehte sie sich schreiend um und barg das Gesicht in den Kissen.

Jordan hob sie aus dem Bett und drückte sie an sich. Dabei versuchte er, sie zu trösten, und sprach leise auf sie ein. Nach einigen Minuten beruhigte die Kleine sich etwas. Sie zitterte jedoch am ganzen Körper und klammerte sich an ihren Vater.

Lacey streichelte ihr sanft den Rücken. „Will sie immer noch in dem kleinen Kinderbett schlafen? Ich habe gedacht, du hättest sie überreden können, in dem größeren Bett zu schlafen, Jordan“, sagte Lacey leise.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe es aufgegeben, mit ihr darüber zu reden. Sie gibt nicht nach. Ich glaube, du kannst wieder nach Hause fahren. Es tut mir leid, dass ich dich gebeten habe zu kommen. Du verschwendest nur deine Zeit. Wahrscheinlich kann mir niemand helfen, dieses Problem zu lösen.“

Lacey wollte ihm widersprechen, überlegte es sich jedoch anders, als sie Jordans finstere Miene bemerkte. Ihr war klar, sie durfte Felicity Fairfax nicht noch einmal erwähnen.

„Trotzdem danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast. Ich weiß es zu schätzen“, bedankte er sich.

„Ich helfe dir gern, großer Bruder.“ Sie umarmte ihn und ging aus dem Raum. Auf dem Flur blieb sie kurz stehen und fügte über die Schulter hinzu: „Es gibt doch eine Lösung, Jordan. Du solltest wirklich darüber nachdenken.“

Felicity packte ihre Teekanne aus feinem Porzellan ein und verstaute sie vorsichtig in dem Umzugskarton. Dann richtete sie sich auf und musste lächeln, als sie sah, dass RJ mit dem auf dem Boden herumliegenden Papier spielte.

Sie hatte ihre Eigentumswohnung im Erdgeschoss verkauft und die meisten Sachen schon eingepackt. Man behauptete, Katzen würden jede Veränderung spüren und seien dann unruhig und gereizt. Aber RJ verhielt sich völlig normal, er war so verspielt und neugierig wie immer.

„Wir ziehen Montag hier aus, RJ. Was hältst du davon?“, fragte sie ihren Kater und wusch sich die Hände in der Küche.

RJ ignorierte sie einfach.

„Bis wir eine neue Wohnung gefunden haben, bleiben wir bei meiner Mutter auf Vancouver Island. Vielleicht kann ich uns sogar ein kleines Haus mit Garten und alten Bäumen kaufen. Du kletterst doch so gern“, fuhr sie fort.

Wieder ignorierte RJ sie. Er hüpfte um ein zusammengeknülltes Stück Papier herum, als wäre es eine Maus.

„Auf der Insel sind wir am besten aufgehoben.“ Felicity versuchte zu lächeln. Als sie jedoch ihr blasses Gesicht sah, das sich auf der glänzenden, verchromten Oberfläche ihres Wasserkessels spiegelte, wurde ihre Miene wieder ernst. Momentan war ihr sowieso nicht zum Lachen zumute. Doch bei ihrer Mutter würde sie sich wohlfühlen und sicher bald wieder Freude am Leben haben.

Ach, ich brauche mich gar nicht zu bemühen, positiv zu denken, ich komme sowieso nicht darüber hinweg, dass ich Mandy nicht mehr sehen kann, gestand sie sich ein. Sie bückte sich und hob den Kater hoch, der ihr mit seinem weichen weißen Fell um die Beine strich. Sogleich krallte er sich an ihrem T-Shirt fest, und sie überlegte, ob sie jemals zuvor schon einmal so verzweifelt gewesen war. „Es ist eher unwahrscheinlich, dass ich ein eigenes Kind haben werde, RJ“, sagte sie leise. „Immerhin bin ich schon siebenundzwanzig und habe noch nicht den richtigen Mann kennengelernt.“

Wenn RJ hätte sprechen können, hätte er sie wahrscheinlich daran erinnert, dass drei ihrer Freunde sie hatten heiraten wollen. Aber sie hatte alle Heiratsanträge abgelehnt, weil sie die Männer nicht geliebt hatte. Es hatte sich einfach nicht richtig angefühlt.

In dem Moment fing RJ so laut an zu schnurren, als wollte er fragen, wie es sich denn anfühlen müsse.

„So wie in Liebesromanen“, erzählte sie ihrem Kater. „Ich will Sehnsucht nach dem Mann haben, wenn wir getrennt sind, und ich möchte vor Freude singen, wenn er bei mir ist. Und wenn er mich umarmt, möchte ich auf Wolke sieben schweben. Ich möchte das Gefühl haben, in der Tiefe seines Blickes zu ertrinken, wenn er mir in die Augen sieht. Ja, so müsste es sein.“

Plötzlich läutete das Telefon, und Felicity schreckte aus den Gedanken auf. RJ sprang von ihrem Arm auf den Boden, sie ging um die Umzugskartons herum und nahm das Telefon in die Hand. „Hallo?“, meldete sie sich.

Sie war sich ganz sicher, dass am anderen Ende jemand war. Doch wer immer es sein mochte, er schwieg.

„Hallo?“, wiederholte sie. „Wer ist da?“ Als wieder keine Antwort kam, fügte sie hinzu: „Mit wem möchten Sie sprechen?“

Und dann war die Leitung tot.

„Okay.“ Felicity warf einen empörten Blick auf das Telefon. „Der Anrufer hätte sich wenigstens entschuldigen können.“

Jordan ließ sich in den Ledersessel sinken und betrachtete das Telefon auf seinem Schreibtisch mit finsterer Miene. Schon seit einigen Tagen nahm er sich immer wieder von Neuem vor, anzurufen und die Sache hinter sich zu bringen. Doch er konnte sich nicht dazu überwinden, mit Denny Fairfax’ Schwester zu reden.

„Was ist los? Hast du sie erreicht?“, ertönte auf einmal die Stimme seiner Schwester.

Er hob den Kopf und sah Lacey hereinkommen. „Ich habe gedacht, du seist oben bei Mandy.“

„Sie ist endlich eingeschlafen“, antwortete Lacey. „Hast du sie angerufen oder nicht?“

„Ja.“

„Und?“

„Nichts.“

„War sie nicht da? Hast du wenigstens auf ihren Anrufbeantworter gesprochen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“, fragte Lacey.

„Sie ist zu Hause und hat sich gemeldet“, gab Jordan zu.

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Hattest du etwa keinen Mut?“ Lacey lehnte sich an den Schreibtisch und blickte ihren Bruder vorwurfsvoll an.

„Verdammt, mit Mut hat es überhaupt nichts zu tun.“ Jordan stand auf und stellte sich vor seine Schwester. „Es geht um etwas ganz anderes.“

„Du bist verbittert.“ Lacey blickte ihn mitfühlend an. „Das kann ich verstehen. Aber trotzdem musst du das tun, was für deine Tochter am besten ist. Mandy hat Felicity Fairfax sehr geliebt, und ich bin davon überzeugt, dass sie sie sehr vermisst. Wahrscheinlich ist sie auch deshalb momentan so schwierig. Damit will sie dir und uns allen zu verstehen geben, dass sie die neue Situation hasst und sich wieder sicher und geliebt fühlen möchte.“

Lacey sah auf die Uhr. „Mein Lieber, ich habe nicht mehr viel Zeit. Versprichst du mir, noch mal anzurufen und wirklich mit ihr zu reden? Vielleicht will sie Mandy ja gar nicht mehr betreuen. Es ist immerhin möglich, dass sie mit unserer Familie genauso wenig zu tun haben will wie du mit ihrer und dass sie deine Frau für alles verantwortlich macht, was mit ihrem Bruder geschehen ist.“

„Willst du damit andeuten, dass sie sich vielleicht weigert, mir zu helfen, wenn ich sie bitte, sich wieder um Mandy zu kümmern?“

„Natürlich musst du damit rechnen, dass sie dir eine Absage erteilt. Das Risiko musst du eingehen“, erwiderte Lacey.

Jordan begleitete sie zur Haustür. Der Himmel war an diesem Abend im Juni wolkenlos und klar. Da das Haus oberhalb von West Vancouver am Meer lag, hatten sie einen herrlichen Blick auf die Stadt unter ihnen mit den vielen Lichtern. Man könnte beinah glauben, der Sternenhimmel würde sich im Wasser spiegeln, überlegte Jordan.

Lacey umarmte ihren Bruder zum Abschied. „Tu es Mandy zuliebe, Jordan.“

Bis weit nach Mitternacht war Felicity mit Packen beschäftigt. Schließlich machte sie Schluss und zog die vollen Kartons in den Hauswirtschaftsraum. Dann ließ sie RJ noch einmal nach draußen und beschloss, ins Bett zu gehen.

Sie hatte sich gerade ihr übergroßes T-Shirt angezogen, in dem sie schlief, und das Haar zu einem Zopf geflochten, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Sie dachte, es sei RJ, und riss die Tür auf.

„Komm herein, du süßes Kerlchen …“ Entsetzt verstummte sie, und RJ schoss an ihr vorbei. Felicity stand wie erstarrt da und glaubte zu träumen. Vor ihr stand ein Mann. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Aber er war sehr groß und hatte dunkles Haar.

„Wenn Sie fremde Männer nachts immer so freundlich auffordern hereinzukommen, bin ich bei Ihnen am falschen Platz“, sagte er.

Wovon redet er?, überlegte sie. Dann wurde ihr klar, was er meinte: Sie hatte ihren Kater ein süßes Kerlchen genannt.

Ihre Angst verschwand. Wenn der Mann ihr etwas tun wollte, hätte er sie bestimmt schon zurück in die Wohnung gestoßen. Trotzdem war sie auf der Hut.

„Was wollen Sie?“, fragte sie. „Haben Sie sich verlaufen?“

Er lachte hart auf. „Nein, keineswegs.“

„Was wollen Sie?“, wiederholte sie.

„Ich möchte mit Ihnen reden.“

Felicity runzelte die Stirn. „Wer sind Sie überhaupt?“

Ungeduldig drehte er sich um, und sie betrachtete ihn im Mondschein. Er hat ein schönes, klassisches Profil, schoss es ihr durch den Kopf.

Rasch verdrängte sie den Gedanken. „Wenn Sie mir nicht verraten, wer Sie sind und was Sie wollen, ist es besser, Sie verschwinden wieder“, erklärte sie.

Als er sich wieder zu ihr umdrehte, ging das Licht in dem Schlafzimmer der Wohnung über ihr an, und Felicity konnte ihn in dem hellen Schein besser erkennen. Er ist wirklich ungemein attraktiv, er wirkt jedoch irgendwie feindselig, dachte Felicity.

„Ich bin Jordan Maxwell“, stieß er hart hervor. „Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, aber nicht hier draußen vor der Haustür.“ Er schob die Hände in die Taschen. „Wollen Sie mich nicht hereinbitten?“

Jordan hatte sich Felicity als eine etwas ältere und reifere Frau vorgestellt. Mit so einem jungen Ding in einem weiten T-Shirt und mit einem langen Zopf hatte er nicht gerechnet.

Unsicher hatte Felicity ihn aufgefordert hereinzukommen. Dann hatte sie ihn gefragt, ob er etwas trinken möchte. Seitdem herrschte Schweigen.

Er hätte gern einen Scotch gehabt, sie hatte ihm jedoch nur Tee angeboten und den Wasserkocher angestellt. Danach war sie aus der Küche geeilt.

Wenig später kam sie in einem kurzen Morgenmantel zurück. Jetzt saßen sie zusammen am Küchentisch und tranken Kräutertee. Und sie schwiegen immer noch.

Jordan betrachtete Felicity aufmerksam. Sie war sehr schlank und hatte blondes Haar. Mit ihrem Bruder hatte sie keine Ähnlichkeit, er hatte dunkles Haar und eine kräftige Figur. Außerdem er war genauso verantwortungslos, hemmungslos und verschwenderisch, wie Marla es gewesen war. Die beiden hatten gut zusammengepasst.

Zorn breitete sich in Jordan aus wie so oft in der letzten Zeit. Er beherrschte sich jedoch.

„Ich bin wegen Mandy hier und wollte Sie fragen …“ Als er die Umzugskartons in dem Raum hinter ihr entdeckte, unterbrach er sich. Er konnte sehen, dass sie voll und ordentlich mit Klebeband verschlossen waren. In dem Moment fiel ihm auch auf, dass die Küche seltsam leer war. „Ziehen Sie um?“

„Ja, ich werde eine Zeit lang zu Hause wohnen.“

„Wo sind Sie zu Hause?“

„Auf Vancouver Island.“

Darauf war er nicht vorbereitet. Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, dass sie seine Bitte zurückweisen oder vielleicht ein sehr hohes Gehalt verlangen würde und dergleichen. Aber auf den Gedanken, sie würde wegziehen, war er nicht gekommen. „Ist es endgültig?“

„Ja. Ich bleibe bei meiner Mutter, bis ich etwas anderes gefunden habe.“ Sie trank den Tee aus und stellte den Becher auf den Tisch. „Aber Sie haben mir immer noch nicht verraten, warum Sie hier sind.“

„Vergessen Sie es, es hat sich soeben erledigt.“ Jordan stand auf und ging zur Tür.

„Warten Sie“, forderte Felicity ihn auf.

Er drehte sich zu ihr um und bemerkte, wie blass sie war.

„Sie sind mir eine Erklärung schuldig. Sie können nicht einfach mitten in der Nacht hier auftauchen und wieder verschwinden, ohne ihren Besuch zu begründen.“

Jordan zuckte die Schultern. „Sie sind ja sowieso bald weg, deshalb ist es nicht mehr wichtig.“

„Es hat etwas mit Mandy zu tun, stimmt’s? Kann ich irgendwie helfen? Mir ist klar, dass es schwierig für Sie ist, mit ihr zurechtzukommen. Sie kann manchmal sehr eigensinnig sein. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen einige Tipps geben. Ich könnte Ihnen beispielsweise …“ Felicity verstummte, als Jordan sich müde mit der Hand über den Nacken fuhr.

„Was ist passiert?“, fragte sie schließlich und machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich muss es wissen!“

„Mandy fühlt sich überhaupt nicht wohl. Ich habe noch nie ein so unglückliches Kind gesehen.“ Jordan hätte Felicity am liebsten angefleht, nicht umzuziehen, doch das ließ sein Stolz nicht zu. Stattdessen zuckte er betont gleichgültig die Schultern. „Deshalb habe ich gedacht … Lacey, meine Schwester, hat vorgeschlagen, Sie zu bitten, Mandy wieder zu betreuen. Ich war dagegen, es geht jedoch letztlich nur darum, was für Mandy das Beste ist.“

„Oh.“ Mehr fiel Felicity in dem Moment nicht ein, sie war verblüfft.

„Aber da Sie bald nicht mehr hier sind, muss ich eine andere Lösung finden. Es wird mir schon etwas einfallen.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür. „Es tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe.“

Jordan ging hinaus in die Nacht und wanderte im Mondschein zu seinem Wagen. Er hatte das Gefühl, seine Sorgen würden ihn erdrücken. Was, zum Teufel, soll ich jetzt machen?, überlegte er verzweifelt. Er hatte Felicity Fairfax gegenüber behauptet, er würde eine andere Lösung finden. Es gab jedoch keine andere. Und es gab auch niemanden, der sich um seine Tochter kümmern konnte.

Er trat nach einem Stein und fluchte vor sich hin. Dann schloss er die Wagentür auf und wollte einsteigen.

„Warten Sie, Mr. Maxwell!“ Felicity lief atemlos hinter ihm her.

2. KAPITEL

Felicity blieb vor Jordan stehen und atmete tief ein und aus. „Haben Sie das ernst gemeint? Soll ich Mandy wirklich wieder betreuen?“

„Ja, darum wollte ich Sie bitten.“

Autor

Grace Green
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