Neuer Job, neues Glück

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Anna will den Job als Hochzeitsplanerin bei "Happy Weddings" unbedingt! Und das nicht nur, weil Agenturchef Sebastian ihr Herz höher schlagen lässt. Doch es gibt noch eine anderen Bewerberin. Und die hat nichts anderes im Sinn, als Anna Steine in den Weg zu legen ...


  • Erscheinungstag 22.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788070
  • Seitenanzahl 117
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Seine Freunde rannten kreischend durch die Wohnung und spielten Cowboy und Indianer, während der kleine Sebastian mit großen Augen den Worten der Wahrsagerin lauschte, die seine Mutter zu seinem zehnten Geburtstag engagiert hatte.

„Du wirst einmal sehr, sehr reich werden und einen Beruf haben, der dir Spaß macht. Du wirst viele fremde Länder sehen und später eine Frau heiraten, die in dein Leben gespült werden wird, wie eine Welle an den Strand.“

Mit den Worten: „Ich werde nie heiraten, ich finde Mädchen doof!“, ließ Sebastian die Hellseherin stehen und schnappte sich einen Schokokuss vom Geburtstagtisch. Diese Süßigkeit war momentan das Einzige, was er überhaupt mit Themen wie Liebe, Mädchen und Küssen in Verbindung brachte. Wozu brauchte man Mädchen, wenn es solche Leckereien gab und man mit seinen Freunden prima Piraten spielen konnte?

Sein Freund Leander hingegen sah das offenbar anders: Er liebte beides – Schokoladenküsse und die von Mädchen!

1. KAPITEL

„Herzlichen Glückwunsch, Süße, du hast es geschafft!“

Ein Glas Prosecco in der Hand, umarmte Tina ihre beste Freundin Anna stürmisch.

„Lieb, dass du daran gedacht hast“, freute Anna sich und umarmte nun ihrerseits Tina. „Mann, bin ich froh, dass ich diesen ganzen Prüfungsstress jetzt hinter mir habe!“ Im Gehen kickte sie die hohen Schuhe von ihren Füßen und riss die Knöpfe ihres taillierten Blazers auf. „Ich verschwinde mal kurz, damit ich mich wieder wie ein Mensch fühle. Hast du Lust, gleich mit mir essen zu gehen?“

Ohne die Antwort abzuwarten, stürmte Anna in ihr Zimmer und tauschte ihre konservative Kleidung gegen Jeans und T-Shirt.

„Trödel nicht rum, ich sterbe vor Hunger!“, rief Tina und grinste, als Sekunden später eine völlig verwandelte Anna vor ihr stand. „Ob deine künftigen Patienten dich in diesem Outfit ernst nehmen, Frau Diplom-Psychologin?“, witzelte sie.

Anna seufzte. „Tja, das weiß ich auch nicht. Aber lass uns jetzt gehen. Heute will ich nur noch Spaß haben und nicht über meine berufliche Zukunft nachdenken!“

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Freundinnen im Restaurant „La Vela“, einem angesagten Italiener am Hamburger Hafen.

„Glotz den Kellner nicht so an! Du hast doch Thomas“, schimpfte Anna augenzwinkernd mit ihrer Freundin. Tina hatte offensichtlich Spaß daran, mit Gino aus Palermo zu flirten, der ihnen zum Abschluss des Essens noch einen Averna „aufs Haus“ brachte.

„Ja, ja, du hast ja recht“, antwortete Tina und tat beschämt. „Apropos Thomas. Ich habe tolle Neuigkeiten. Wir werden heiraten, und ich ziehe endlich zu ihm nach Köln!“

„Oh“, war alles, was Anna zuerst antworten konnte. Zwar freute sie sich wirklich für Tina, doch ihr Umzug bedeutete, dass Anna nicht nur ihre WG-Mitbewohnerin verlieren würde, sondern auch ihre beste Freundin. Aber hier geht es ja schließlich nicht um mich, dachte Anna und hob das Averna-Glas. „Auf euch zwei! Wenn es jemand schafft mit der Ehe, dann du und Thomas!“

Ihre Freundin grinste. „Wieder ganz die alte Romantikerin!“

„Na, du weißt ja …“, setzte Anna an, wurde aber vom Klingen ihres Handys unterbrochen. „Sorry, aber das ist die Agentur. Könnte wichtig sein“, sagte sie entschuldigend und nahm den Anruf entgegen.

„Was? – Ja, alles klar.“ Mit zitternden Fingern klappte sie das Handy zu.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Tina besorgt.

„Kann man so nicht sagen“, antwortete Anna gedehnt. „Jan hat mir gerade erzählt, dass er nun doch Konkurs anmelden musste.“

„Oh“, war nun ihrerseits alles, was Tina antworten konnte.

Anna kämpfte mit den Tränen und blickte auf die Elbe, die unter ihr glitzerte. Als sie vor fünf Jahren von Husum nach Hamburg gezogen war, schien ihre Zukunft nahezu vollkommen. Sie hatte sich endlich aus der Enge der Kleinstadt befreit und war der Schlammschlacht entronnen, zu dem die Scheidung ihrer Eltern nach Kurzem ausgeartet war. Gegen die beiden schienen Michael Douglas und Kathleen Turner im Rosenkrieg wie Mitglieder eines Friedenscorps. Ihre Eltern hatten es einfach bewiesen – der Mensch war nicht für eine dauerhafte Bindung gemacht. Das Thema „Ehe“ war für Anna durch die jahrelangen Streitereien zu einem roten Tuch geworden.

Sie hatte sich für einen anderen Weg entschieden, indem sie in die Großstadt gezogen war, und die Freiheiten genoss, die ihr dort geboten wurden. Schon im ersten Semester hatte sie Tina kennengelernt und mit ihr die Hamburger Nächte durchgefeiert. Auch das Psychologiestudium machte ihr Spaß, ebenso wie der Job in der Eventagentur, für die sie seit zwei Jahren nebenher arbeitete. Und nun schien all das mit einem Schlag vorbei zu sein.

„Ach Süße, das tut mir leid“, versuchte Tina sie zu trösten und gab Gino das Zeichen, noch einen Averna zu bringen.

Eine Stunde später lag Anna im Bett und starrte an die Zimmerdecke. Sie überlegte fieberhaft, was sie an der Situation ändern konnte. Ob sie vielleicht wirklich nach Köln ziehen sollte, wie Tina es vorgeschlagen hatte?

Vielleicht war das wirklich keine so schlechte Idee. Doch irgendwie konnte sie sich selbst dort nicht vorstellen. Das Wetter war zwar weitaus besser als in Hamburg und die Menschen waren bekannt für ihre unbeschwerte Art und positive Lebenseinstellung. Bloß war die rheinische Mentalität dermaßen anders als die nordfriesische, dass Anna nicht wusste, ob sie dort heimisch werden würde.

Ich werde morgen mal ins Internet schauen und mir einen Überblick darüber verschaffen, welche Jobs es momentan so gibt, beschloss sie schließlich und sank kurz darauf in einen tiefen, avernaseligen Schlaf, untermalt von Meeresrauschen und Kuhglockengeläut.

Am darauf folgenden Morgen setzte Anna sich sofort an den PC und durchstöberte die Stellenangebote. Eines erregte ihre besondere Aufmerksamkeit:

Hochzeitsagentur im Herzen Münchens sucht versierte Hochzeitsplanerin. Bewerbung mit Foto senden Sie bitte an …

Anna rieb sich ihre müden Augen und gähnte herzhaft, während sie die Anzeige bei monster.de studierte und Luftblasen in ihren Tee pustete.

Was genau tat eigentlich so eine Hochzeitsplanerin?

Wenn sie an den Film Wedding Planner mit Jennifer Lopez dachte, konnte das eigentlich nicht so schwierig sein. Zumindest war Jennifer in diesem Film die meiste Zeit damit beschäftigt, auf teuren Schuhen herumzustöckeln und mit Matthew McConnaughey herumzuturteln, in den sie sich unglücklicherweise verliebt hatte. Und dass, obwohl es seine Hochzeit war, die sie organisieren musste. Zwischendurch war Jennifer ein paar Mal beim Floristen, besichtigte einen alten Landsitz und diskutierte mit der Braut das Für und Wider von Dingen wie Einladungskarten und Tischordnung. Das sollte wohl zu schaffen sein, oder etwa nicht?

„Aber das ist doch die Idee!“, rief Tina begeistert, als Anna ihr von der Anzeige erzählte. „Wozu hast du schließlich in einer Event-Agentur gejobbt? Und was ist so eine Hochzeit schon anderes als ein Event? Eine große Party! Oder eine kleine, je nachdem, was die Kunden haben wollen. Bewirb dich, Süße, ich bin mir sicher, dass sie dich dort mit Kusshand nehmen werden. Außerdem ist München eine tolle Stadt und du bist von dort aus viel schneller in Köln als aus Hamburg!“

2. KAPITEL

Belustigt musterte Sebastian die Bewerberin, die ihm gegenüber saß und nervös mit ihren Füßen wippte.

Normalerweise wäre ihm das gar nicht aufgefallen, aber Anna Gehring trug derartig auffällige rote Schuhe, dass er nicht anders konnte, als ständig darauf zu starren. Er wusste nicht, ob er die Mules extravagant oder einfach nur furchtbar finden sollte. Und war das tatsächlich ein Preisschild, das er da unter der Sohle hervorblitzen sah?

„So, Frau Gehring, dann erzählen Sie doch einmal ein bisschen von sich. Ihre Unterlagen sind überzeugend, aber neben der Qualifikation ist es uns auch wichtig, dass Sie in das Team passen.“

Toni Huber, Sebastians Partner, nickte zustimmend, warf Anna aber gleichzeitig einen abschätzenden Blick zu.

Du siehst aus wie ein schnöseliger Skilehrer, dachte sie, während sie in Tonis wettergegerbtes, tiefbraunes Gesicht blickte. Außerdem sind deine Zähne nicht echt.

Sie wandte sich wieder Sebastian zu. „Was genau wollen Sie wissen? Ob ich heimliche Laster habe? Welchen Hobbys ich fröne und wohin ich in den Urlaub fahre? Was ich gern esse?“

„Das wäre doch immerhin ein Anfang.“ Er grinste und überlegte, ob er Anna später sagen sollte, dass er jetzt wusste, wie viel ihre Schuhe kosteten. Ob sie die extra für das Bewerbungsgespräch gekauft hatte? Wenn ja, fand er die Farbe doch recht gewagt …

„Okay“, begann sie und versuchte ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie eigentlich so nervös war. Lag es am Job, der genau so klang, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, oder eher an Sebastian Moser? Den fand sie nämlich beunruhigend attraktiv, wie sie widerwillig eingestehen musste. Konzentrier dich, befahl sie sich streng, du bist schließlich nicht hier, um zu flirten, sondern um dich vorzustellen! „Ich rauche nicht und trinke selten, weil ich keinen Alkohol vertrage. Ich liebe Italien und Frankreich. Ich bin gern unter Menschen, ziehe mich aber genauso gern mit einem Buch zurück. Tja, was sonst? Ich denke, das war‘s schon!“

Das glaube ich dir ganz und gar nicht, dachte Sebastian, der gerade ein Grübchen an Annas Kinn bemerkt hatte, das ihrem hübschen Gesicht eine freche Note gab. Genauso wie die Sommersprossen auf ihrer Nase … Die war zwar einen kleinen Tick zu groß, um als klassisch schön bezeichnet zu werden, dafür hätte sie um die grünen Katzenaugen allerdings jedes Model beneidet.

„Hier steht, dass Sie eigentlich gar keine Erfahrung mit der Organisation von Hochzeiten haben“, fragte Toni provokativ, und Sebastian bemerkte, wie Annas Augenfarbe plötzlich zu der eines eisigen Bergsees wurde.

Die kann bestimmt richtig wütend werden, überlegte er, aber auf alle Fälle wird es mit ihr nicht langweilig. Vielleicht konnte sie endlich mal ein wenig Leben in Happy Weddings bringen. Die Agentur erschien ihm in der letzten Zeit eh ein wenig verstaubt, und der Tagesablauf verlief im ewigen Einerlei. Möglicherweise konnte diese Frau ja wirklich eine frische Brise durch die Räume pusten …

„Ich denke nicht, dass das ein Problem darstellen sollte“, beantwortete Sebastian an Annas Stelle Tonis Frage. „Was mich viel eher interessieren würde: Glauben Sie an die ewige Liebe? Dieser Punkt scheint mir für unsere Arbeit nämlich wesentlich wichtiger als die Frage danach, ob Sie schon mal eine Hochzeit organisiert haben. Eine Party ist eine Party – egal welchen Anlass es für sie gibt!“

Gleichzeitig erleichtert und bestürzt, nickte sie Sebastian zu. Im Gegensatz zu Mister „Ich bin so unglaublich wichtig“-Skilehrer konnte er offensichtlich über den Tellerrand hinausschauen. Schließlich zählte Begeisterung für den Job mehr als irgendwelche Qualifikation – aber halt, wie war das noch mit der ewigen Liebe?

„Doch, doch, natürlich glaube ich an die Liebe“, versicherte Anna und wippte dabei so stark mit den Fußspitzen, dass Sebastian Angst hatte, dass die Pantoletten gleich auf dem Boden landen würden. Wobei er auch neugierig war zu erfahren, wie ihre Füße wohl aussahen. Ob sie so hübsch waren, wie alles andere an ihr? Konzentrier dich, Sebastian, du bist schließlich nicht hier, um zu flirten, sondern um ein Vorstellungsgespräch zu führen!

„Sie selbst sind nicht verheiratet?“, hakte Toni nach, weil Anna keinen Ring trug.

„Nein, aber das kommt bestimmt noch“, entgegnete sie und kreuzte heimlich die Finger hinter ihrem Rücken. Das war eine glatte Lüge – und das in der Hochburg des katholischen Glaubens, dachte sie beschämt, als sie in einer Ecke des Raumes eine kleine Marien-Statue entdeckte, die sie strafend ansah, wie Anna fand. Nach dem Scheidungsdrama ihrer Eltern glaubte sie nun wirklich nicht mehr an das ewige Glück und den rosaroten Sonnenuntergang. Vielleicht nicht die besten Voraussetzungen, um sich als Hochzeitsplanerin zu bewerben …

„Wenn Sie Ihre eigene Hochzeit planen würden, wie sähe dann der große Tag aus?“, fragte Sebastian weiter.

„Meine, äh, Hochzeit“, erwiderte Anna verlegen, denn diese Frage überrumpelte sie jetzt ein wenig. Mist, was sollte sie denn nun antworten? In ihrer Not erzählte sie einfach das, wovon Tina immer geträumt hatte. Etwas anderes fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. „Wenn es eines Tages bei mir so weit sein sollte …“, an dieser Stelle legte sie eine kunstvolle Pause ein, holte tief Luft und blickte versonnen aus dem Fenster, „… dann würde ich in der Keitumer Kirche auf Sylt heiraten. Nach der Trauung gäbe es einen Champagnerempfang auf dem Deich, zu dem ein Streichquartett spielen sollte. Zu guter Letzt würde ich rote Luftballons in Herzform in den Himmel steigen lassen …“

„Und was würde diese Hochzeit einzigartig machen?“, erkundigte Sebastian sich amüsiert, weil Anna sichtlich angestrengt aussah. Er vermutete, dass mindestens die Hälfte von dem, was sie sagte, nicht dem entsprach, was sie wirklich dachte.

Nun wurde Anna wirklich unruhig. Sollte das eine Fangfrage sein? Hatte sie etwa in ihrer Verwirrung schon so viel Unsinn erzählt, dass sie nicht für diesen Job infrage kam? Selbst Schuld! Weshalb nur hatte sie Tina nicht besser zugehört, als diese ihr mit leuchtenden Augen von ihren Plänen erzählt und sie gebeten hatte, ihre Trauzeugin zu sein? Fieberhaft versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie eventuell vergessen haben konnte, doch ihr fiel nichts ein.

„Das Besondere bestünde darin, dass mein künftiger Mann und ich einzigartig sind, egal wo und in welcher Form wir heiraten. Und viel entscheidender als die Hochzeit selbst wäre doch, wie wir unsere Ehe gestalten.“ Okay, das Ganze klang vielleicht etwas übertrieben, aber was hätte sie sonst sagen sollen?

Toni Huber rollte genervt mit den Augen.

Sebastian hingegen lächelte, weil Anna im Grunde nur das aussprach, was er selbst dachte. Schließlich kam es wirklich nicht auf die Inszenierung des Ereignisses an, sondern darauf, wie man die Zeit danach verbrachte. Er hatte immer schon Schwierigkeiten mit dem Begriff „der schönste Tag des Lebens“ gehabt. Sollten die darauf folgenden nicht mindestens ebenso schön werden? Wenn nicht sogar noch schöner? Diese Einstellung erschien für einen Besitzer einer Hochzeitsplaner-Agentur erst mal merkwürdig, doch Sebastian war einfach überzeugt davon, dass es für jeden Menschen die große Liebe, den einen perfekten Partner gab. Und mit diesem Partner war eine bombastische Hochzeit immer nur der Start in ein wunderbares Leben, und nicht der einzige Höhepunkt der gemeinsamen Zeit.

„Eins zu null für Sie!“, antwortete er deswegen lachend. Sein Blick fiel auf Toni, der ausgesprochen finster dreinsah. Was hatte der nur wieder für eine Laune?

„Nun, Frau Gehring, ich denke, wir wissen jetzt alles Nötige. Ich werde mich mit Herrn Huber beraten und natürlich noch weitere Kandidatinnen prüfen, doch ich denke, dass Sie ganz gut in unser Team passen“, sagte Sebastian und brachte Anna zur Tür. Toni verabschiedete sich lediglich mit einem knappen „Bis dann“ und sah gelangweilt zum Fenster hinaus.

Happy Weddings befand sich im ersten Stock eines alten Münchner Mietshauses im Herzen von Schwabing. Umgeben von Cafés, Kneipen, Kinos und Boutiquen lag das Büro in einer perfekten Lage. Und nicht nur das: Es gehörte auch eine Wohnung im selben Haus dazu, die für die Mitarbeiter der Agentur gedacht war.

„Sind Sie denn noch eine Weile hier, oder fliegen Sie gleich wieder zurück nach Hamburg?“, fragte Sebastian, nachdem er zögernd die Tür geöffnet hatte. Irgendwie wollte er Anna und ihre roten Mules noch nicht gehen lassen. Wenn es nach ihm ginge, würde er jetzt mit ihr durch den englischen Garten spazieren, sie auf einen Kaffee einladen und anschließend mit ihr am Eisbach sitzen.

Schließlich war heute ein strahlendblauer Maitag, und die weißen Babywolken auf azurblauem Hintergrund machten dem berühmten „weiß-blauen“ bayerischen Himmel alle Ehre. In dem Moment, als Anna antworten wollte, fühlte sie auf einmal etwas puscheliges Weiches an ihrem Fußgelenk, tat vor Schreck einen Schritt nach hinten und stolperte, ehe sie es sich versah, zwei Stufen hinunter.

Sebastian konnte gerade noch verhindern, dass sie die gesamte Treppe hinunterfiel. Anna wurde vor Verlegenheit rot und wand sich aus den Armen ihres Retters, wobei ihr der würzige Duft seines Aftershaves in die Nase stieg. Es war männlich und herb, aber nicht zu aufdringlich. Keiner von den Düften, dessen Träger permanent zu sagen schien: Schaut her, was für ein toller Hecht ich bin. Ich kann euch alle haben, wenn ich will!

„Entschuidigens bitte, der Wastl is immer a bisserl stürmisch, net war, mei Kloana?“, ertönte auf einmal die Stimme einer älteren Dame, die zu Annas Belustigung einen Lodenmantel und einen dazu passenden Hut trug.

„Wastl“ war ein kleiner, zerrupft aussehender Rauhaardackel, der sich offenbar auf der Stelle in Anna verliebt hatte und nach dem Schmusen mit ihren Knöcheln nun hingebungsvoll an ihrem Bein schleckte. Da sie an diesem Tag einen kurzen Leinenrock trug und aufgrund der Temperaturen auf die Strumpfhose verzichtet hatte, kitzelte die raue Dackelzunge, und Anna musste wider Willen kichern.

„Ist Wastl nicht ein Spitzname von Sebastian?“, platzte es plötzlich aus ihr heraus.

„Mhhm, leider“, antwortete Sebastian und tat so, als sei ihm diese Erkenntnis schrecklich peinlich. In Wirklichkeit aber war er froh, dass er aufgrund des kleinen Zwischenfalls Gelegenheit hatte, noch ein paar Minuten länger mit dieser bezaubernden Frau zu verbringen. „Solange Sie nicht finden, dass zwischen ihm und mir Ähnlichkeit besteht, kann ich mit Wastl als Namensvetter gut leben, nicht wahr, mein Kleiner?“ Der Dackel bellte wie zur Bestätigung, bis sein Frauchen ihn an der Leine in die Wohnung zog.

„Möchten Sie sich vielleicht in unserem Badezimmer noch ein wenig säubern, bevor Sie sich auf den Heimweg machen?“, schlug Sebastian vor, in der Hoffnung, Anna durch diesen Vorwand zu animieren, noch ein wenig zu bleiben.

„Und danach würde ich Sie wegen des Schrecks gern noch auf einen Kaffee einladen“, hörte er sich auf einmal vorschlagen. Was sollte das? Machte er sich dadurch nicht gerade zum Trottel und untergrub schon im Vorfeld seine Autorität? Immerhin würde er vielleicht bald ihr Vorgesetzter werden. Und von Affären im Büro hielt er nun einmal absolut nichts. Trotzdem setzte sein Herz einen Moment lang aus, als Anna ihn freudig anlächelte.

„Gern.“ Plötzlich übermütig, hüpfte sie geradezu eine weitere Stufe hinunter. „Dann kann ich mich ja im Café frisch machen, und wir müssen nicht wieder zurück in ihr Büro!“ Zu diesem unsympathischen Toni Huber, dachte Anna, der nicht entgangen war, dass Sebastian Mosers Geschäftspartner sie nicht besonders mochte.

Was absolut auf Gegenseitigkeit beruhte.

Zwei Minuten später saßen sie im „Roxy“, einer „echten Schwabinger Institution“, wie Sebastian ihr erklärte, nachdem sie einen Latte Macchiato und belegte Tramezzini bestellt hatten.

Das rote Interieur war eindeutig aus den Siebzigern, doch nicht im neuen Retro-Look, sondern schlicht und einfach Ergebnis der Tatsache, dass hier offensichtlich nie renoviert worden war.

Sebastian folgte Annas amüsiertem Blick. „Sollten Sie bei uns anfangen, zeige ich Ihnen schönere Cafés, versprochen.“

„In diesem Lokal mussten Sie vermutlich noch nie eine Hochzeitsfeier ausrichten“, bemerkte sie und beobachtete voller Vergnügen das Publikum. Es war Mittagszeit und das „Roxy“ bis auf den letzten Platz besetzt. Attraktive und gut angezogene Menschen, diese Münchner, dachte Anna und war froh, dass sie sich für diesen Anlass von ihrer geliebten Jeans getrennt hatte und auf Rock und eine edle Bluse mit zarten Perlenstickereien umgestiegen war.

„Könnten Sie sich denn vorstellen, bei uns anzufangen?“, blieb Sebastian weiter beim Beruflichen und sah belustigt, wie Teile des Milchschaums von Annas Kaffee sich auf deren Nasenspitze und Oberlippe setzten. „Darf ich?“, fragte er und tupfte vorsichtig mit einem Taschentuch ab, was eindeutig ins Glas gehörte und nicht in Annas Gesicht.

Irritiert von seiner fast schon zärtlichen Geste, setzte sie eine ernste Miene auf, in der Hoffnung, dadurch besonders geschäftsmäßig zu wirken. „Ich denke schon. Meine Erfahrung in der Eventagentur und mein psychologischer Background könnten doch eine ideale Basis für eine Tätigkeit als Hochzeitsplanerin bilden. In München kenne ich mich zwar leider nicht aus, aber das kann ich sicher schnell nachholen.“

„Das ist wirklich kein Problem. Es heißt schließlich nicht umsonst, dass diese Stadt eigentlich ein Dorf ist. Im Grunde suchen sich die meisten Brautleute sowieso immer wieder dieselben Lokalitäten und Orte aus. Nicht zuletzt ist das hier auch immer eine Frage des Prestiges.“

„Ist die Münchner Schickeria wirklich so modeabhängig, wie man immer hört?“ Anna kam in den Sinn, dass die Münchner immer wieder als gnadenlos trendsüchtig beschrieben wurden.

„Ehrlich gesagt schon. Seit Jahren gibt hier eine Handvoll Leute den Ton an und bestimmt, was gerade in ist. Das werden Sie bestimmt auch noch merken. Aber alles in allem lässt es sich hier sehr gut leben, vor allem, wenn Sie kulturell interessiert sind und die Natur mögen. Apropos: Laufen Sie Ski?“

„Nicht wirklich“, antwortete Anna und dachte mit Schrecken an einen Urlaub in Österreich, zu dem ihre Eltern sie als Zehnjährige verdonnert hatten. Nicht nur, dass die beiden von morgens bis abends gestritten hatten, als wären sie allein auf der Welt. Auch der Skikurs war für die unsportliche Anna zum Albtraum geraten. „Ich hasse Kälte. Bei meinem einzigen Ski-Urlaub habe ich mir ständig die Beine verrenkt, beim Versuch Pflug zu fahren – vermutlich war ich sowohl eine echte Spaßbremse als auch ein Verkehrshindernis.“

„Und wie steht es mit Après-Ski?“ Sebastian versuchte, sich Anna auf Skiern vorzustellen. Eigentlich wirkte sie sportlich. Ihr großer, schlanker Körper machte sich auf der Skipiste bestimmt gut. Vorausgesetzt, sie trug keine knallroten Skistiefel!

„Das schon eher. Allerdings stehe ich nicht so sehr auf Almdudler und Jagertee, oder wie dieses Zeug heißt, das alle in sich hineinschütten, um anschließend sturztrunken die Piste hinunterzusausen. Das Einzige, was ich mag, ist, mich in die Sonne zu setzen und auf den Schnee zu schauen.“

Autor

Mia Jacobs
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