Neuer Nachbar - neue Liebe?

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EIN NACHBAR FÜR GEWISSE STUNDEN

Dieser Traum aus Chiffon … sie muss ihn haben … Wie in Trance kauft Paige ein Brautkleid. Einziges Problem: Weit und breit ist kein Ehemann in Sicht. Nicht einmal eine Affäre! Kaum hat Paige beschlossen, das zu ändern, da steigt ein Fremder zu ihr in den Lift: groß, breitschultrig und unfassbar männlich - ihr neuer Nachbar Gabe. Der erste Besuch in seinem Penthouse führt zu wilden Küssen, der zweite zu einem heißen Strip. Ganz klar: Ihre Körper sind füreinander geschaffen. Doch wieso verbirgt Gabe sein halbes Leben vor ihr - so wie sie ihm ihr kleines Geheimnis verschweigt?

DER NACHBAR, DER MICH KÜSSTE

Sechs Monate dauert die wunderbare Freundschaft zwischen Nicole und ihrem Nachbarn Joel Brannon schon! Über alles können sie reden: ihren Job als Polizistin oder wie es war, als er vor fünf Jahren seine Frau verlor. Doch dann begleitet Nicole den Mann von nebenan zu einem Klassentreffen - Dinner und Party inklusive. Als sie zusammen tanzen, ist von Freundschaft nichts mehr zu spüren. Die pure Leidenschaft übermannt sie, und sie küssen sich stürmisch! Wenn Nicole bloß wüsste, ob Joel für eine neue Liebe bereit ist, oder ob sein Herz noch für seine verstorbene Frau schlägt …

MÄRCHENHAFTE NÄCHTE IN DER TOSKANA

Wie ein Märchenprinz erscheint Sarahs neuer Nachbar genau zum richtigen Zeitpunkt. Lorenzo rettet sie vor dem Unwetter, das die toskanische Finca, in der sie Unterschlupf gesucht hat, zu zerstören droht. In seinem prunkvollen Palazzo kommt Sarah zur Ruhe - und findet in Lorenzos Armen die Hoffnung auf die wahre Liebe: Zögernd genießt sie die liebevollen Aufmerksamkeiten des vermögenden Regisseurs, bis eine bittere Erkenntnis ihr Märchen zerstört: Lorenzo flirtet nicht aus Herzenswärme mir ihr - sie hütet unwissend einen Schatz, den er unbedingt in seinen Besitz bringen will …

PHOEBES GEHEIMNIS

Wer hätte gedacht, dass der neue Nachbar zum Verlieben ist? Wyatts Küsse schmecken so süß, und bei jeder seiner Berührungen fängt Phoebes Haut fast Feuer! Doch sie darf ihrer Sehnsucht nicht nachgeben: Sie hat Pläne für die Zukunft. Und in denen ist kein Platz für Wyatt!


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773809
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Ally Blake, Gina Wilkins, India Grey, Kara Lennox

Neuer Nachbar - neue Liebe?

Ally Blake

Ein Nachbar für gewisse Stunden

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2013 by Ally Blake
Originaltitel: „The Secret Wedding Dress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 102014 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Anke Brockmeyer

Abbildungen: Hot Damn Stock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733700591

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Paige Danforth glaubte nicht an die große Liebe.

Es war einzig und allein ein Zeichen ihrer Freundschaft zu Mae, dass sie an diesem nebligen Wintermorgen bibbernd neben ihrer besten Freundin vor einem heruntergekommenen Lagerhaus in Collingwood, Melbourne, stand – und das nur, damit Mae sich ein Brautkleid kaufen konnte.

Hochzeitskleid-Ausverkauf! Mehr als 1000 Kleider, neu und gebraucht, bis zu 90 % reduziert! stand auf dem gewaltigen pinkfarbenen Werbebanner, das schlaff an dem braunen Backsteingebäude herabhing. Die Schlange der Wartenden wand sich um den halben Block. Paige betrachtete sie und fragte sich, ob auch nur eine der Frauen erkannte, wie albern dieser Massenandrang eigentlich war. Doch alle schienen wie besessen von der Idee zu heiraten. Vermutlich war jede von ihnen davon überzeugt, dass ausgerechnet sie in ihrer Ehe glücklich werden würde – bis ans Ende ihrer Tage.

„Die Tür hat sich bewegt“, flüsterte Mae und griff so fest nach Paiges Arm, dass diese zusammenfuhr.

Paige wickelte sich ihren dicken Wollschal ein weiteres Mal um den Hals und stampfte mit den Füßen auf den Asphalt, um sich warm zu halten. „Das bildest du dir nur ein.“

„Sie hat vibriert. Als ob jemand von innen aufschließt.“ Wie ein Lauffeuer verbreitete sich Maes Beobachtung in der Warteschlange, und Paige wurde von den vorwärtsdrängenden Frauen beinahe beiseitegeschubst.

„Immer locker bleiben!“, sagte sie und löste sich aus der Umklammerung ihrer Freundin, ohne die Menschenmenge aus den Augen zu lassen. „Warte einfach ab. Du wirst das Kleid deiner Träume finden. Eins steht jedenfalls fest: Wenn du es hier und heute nicht entdeckst, unter tausend Brautkleidern, dann ist dir nicht zu helfen.“

Mae hielt inne und sah sie entsetzt an. „Mit dieser Bemerkung hast du dein Anrecht als Trauzeugin eigentlich verwirkt.“

„Sag, dass du das ernst meinst“, bat Paige hoffnungsvoll.

Mae lachte. Aber nur einen Augenblick lang. Dann begann sie, auf der Stelle zu tänzeln wie ein Preisboxer beim Aufwärmen. Ihr rotes Haar, das sie normalerweise wild und ungebändigt trug, war heute zum Pferdeschwanz gebunden, und sie schaute entschlossen drein. Diesen Blick hatte Mae seit jenem Moment perfektioniert, als ihr Freund ihr den Heiratsantrag gemacht hatte.

Mit einem Mal öffneten sich die alten Flügeltüren, und eine warme, süßliche Wolke aus Kampfer und Lavendel strömte aus dem Inneren.

Eine müde wirkende Frau in Jeans und einem T-Shirt von der Farbe des Werbebanners über ihr baute sich im Eingang auf und rief: „Kein Feilschen! Keine Rückgabe! Kein Umtausch! Keine anderen Größen verfügbar!“ Niemand nahm Notiz von ihr. Stattdessen drängten die Frauen ins Gebäude hinein, als hätte die Verkäuferin versprochen, dass Superstar Hugh Jackman die hundert ersten von ihnen mit einer Gratis-Rückenmassage verwöhnen würde. „Heiliger Strohsack“, stammelte Mae fasziniert, als sie sich in der Lagerhalle umsah.

„Ziemlich schicke Strohsäcke“, murmelte Paige, die wider Willen beeindruckt war.

Perlenkorsetts, romantisch geraffte Ärmel, tiefe Ausschnitte. Designerkleider. Konfektionsware. Second-Hand-Kleider. Ausschussware. Alles radikal reduziert. Und jedes Kleid war heute zu haben. Nur heute.

„Vorwärts!“, schrie Mae und lief schnurstracks auf den ersten Kleiderständer zu.

Paige drückte sich in eine Ecke nahe dem Ausgang. Sie winkte mit ihrem Mobiltelefon. „Ich bin gleich hier drüben, falls du mich brauchst!“

Mae streckte kurz die Hand zum Gruß hoch, dann war sie verschwunden.

Und nun erlebte Paige eine unverhoffte Lehrstunde in weiblicher Psychologie. Neben ihr schrie eine elegante Enddreißigerin wie ein Teenager auf, als sie das Kleid ihrer Träume fand. Eine Dame im Kostüm mit akkurat aufgestecktem Haarknoten und Brille erlitt einen Tobsuchtsanfall und stampfte wie ein trotziges Kind mit den Füßen auf, als ihr klar wurde, dass ein Modell nicht in ihre Größe erhältlich war.

Alles nur wegen eines Kleides, das sie nur einmal im Leben tragen würden, dachte Paige fassungslos. Und das zu einer Zeremonie, die ihnen ein unhaltbares Versprechen abverlangte. Was für ein Wahnsinn. Paige war zwar nie verheiratet gewesen, doch nach ihrer Lebenserfahrung war ein Hochzeitstag vor allem der Auftakt zu Streit und Zank, unheilvoller Umklammerung und bitterer Enttäuschung. Und am Ende blieb nichts als Reue und das Gefühl, Jahre seines Lebens verschenkt zu haben. Da war es doch besser, sich selbst zu lieben und zu ehren, fand Paige. All das Leid, nur um sich einmal im Leben wie eine Prinzessin kleiden zu dürfen – das war das Ganze einfach nicht wert.

Die Wogen von Haarspray und Parfüm mischten sich so unerträglich mit dem Kampfer- und Lavendelgeruch, dass Paige es vermied, durch die Nase zu atmen. Sie hielt ihr Handy fest in der Hand und betete, Mae möge anrufen.

Mae. Ihre beste Freundin. Ihre Verbündete. Schon seit Ewigkeiten waren sie füreinander da. Seit ihre Eltern sich zur gleichen Zeit hatten scheiden lassen, hatte sie beide die Überzeugung verbunden, dass die große Liebe nichts als eine gemeine Lüge war, in die Welt gesetzt von Juwelieren und Blumenhändlern.

Doch Mae hatte das alles in dem Augenblick vergessen, als sie Clint getroffen hatte. Paige musste schlucken. Sie wünschte Mae alles Glück der Welt. Wirklich. Und gleichzeitig krampfte sich ihr Magen zusammen, wenn sie daran dachte, dass ihre Freundin nun tatsächlich heiraten wollte.

Sie versuchte, sich abzulenken. Als Verkaufsleiterin eines Anbieters für Luxus-Einrichtungsstoffe, der sich Ménage à Moi nannte, war sie immer auf der Suche nach neuen Kulissen, um ihre Produkte für den Katalog fotogen in Szene zu setzen. Und obwohl dieses Lagerhaus hier recht schäbig war, fand Paige das bröckelnde Mauerwerk auch irgendwie romantisch.

Nicht für den nächsten Katalog. Dessen Motive sollten in Brasilien fotografiert werden, wenn alles gut ging. So viel Geld hatte man bei Ménage à Moi noch nie für ein Fotoshooting ausgegeben, doch Paige wusste einfach, dass es das wert sein würde. Sie hatte ein Konzept ausgearbeitet, das ihren Boss überzeugen musste. Und dann würde sie mitfliegen nach Brasilien. Sie konnte die Abwechslung wirklich gebrauchen …

Unwillig schüttelte sie den Kopf. Nicht sie, Paige, brauchte die Ablenkung, sondern die Marke. Ihr selbst ging es ja gut. Alles glänzend. Wenn sie nur bald aus diesem Lagerhaus herauskam.

Sie atmete durch den Mund ein, kniff ein Auge zu und stellte sich die gewaltigen nackten Fenster mit wehenden tiefblauen Chiffon-Vorhängen vor. Das dumpfe Mauerwerk würde wunderbar im Kontrast zu dem brasilianisch inspirierten Dekor der neuen Saison mit seinen leuchtenden Farben stehen.

Staubkörner tanzten im Sonnenlicht der Halle, und Paiges Blick folgte ihnen zu einem Ständer voller Kleider, die allesamt so ausladend waren, dass keines von ihnen durch den Mittelgang einer Kirche passen würde.

Sie wollte gerade wegschauen, da sah sie zwischen Rüschen und Volants etwas schimmern. Champagnerfarbene Seide. Glänzende Perlen. Hauchfeine Spitze. Eine zarte, transparente Schleppe. Das musste ein Traum von einem Kleid sein.

Paige wollte eben darauf zugehen, da verschwand das Objekt ihrer Begierde hinter dem schwarzen Mantel einer Kundin, die fieberhaft ein Kleid nach dem anderen in Augenschein nahm.

Paige hielt die Luft an. Und ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. Ihr wurde fast schwindlig, und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Die andere Frau ging einen Schritt weiter und gab den Blick auf das Kleid wieder frei. Paige atmete tief durch. Und ohne nachzudenken, ging sie zu dem Ständer und zog es hervor. Ihre Hände glitten über den Stoff. Der Schnitt war wie für sie geschaffen: ein tiefer V-Ausschnitt, mit Perlen besetzte Spitze am schmal geschnittenen Oberteil, ein weit schwingender Rock, der wogte, als ob er ein Eigenleben besäße. Paiges Herz klopfte schneller.

„Wow“, vernahm sie eine Stimme hinter sich. „Das ist aber süß.“

Süß? Das war alles, was die fremde Frau zu diesem perfekten Werk zu sagen hatte? Paiges Hände zitterten. Und dann sagte sie einen Satz, den sie nie im Leben von sich erwartet hätte. „Dieses Hochzeitskleid gehört mir.“

„Paige!“

Paige blickte auf. Sie saß auf einem Stuhl in der Nähe des Eingangs und sah Mae auf sich zukommen.

„Ich versuche schon seit zwanzig Minuten, dich anzurufen!“

Paige holte ihr Handy aus der Tasche. Sie hatte kein Läuten gehört. Doch es stimmte. Stunden waren vergangen.

Aufgeregt deutete Mae auf den schweren blütenweißen Kleidersack über ihrem Arm. „Ein voller Erfolg! Ich wollte es dir zeigen, aber ich konnte dich nicht finden. Und dann war da diese dünne Brünette, die ebenfalls hinter diesem Kleid her war wie eine hungrige Hyäne. Also habe ich es gleich auf der Verkaufsfläche anprobiert, weil keine Kabine frei war. Es ist so unglaublich scharf.“

Mae hielt inne, als sie die Tasche mit dem pinkfarbenen Emblem des Geschäftes sah, die auf Paiges Beinen ruhte. „Hast du ein Brautjungfernkleid gefunden?“

Paige schluckte und schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und zeigte nur mit zitternden Fingern in Richtung der Hochzeitskleider.

„Oh. Du nimmst ein Kleid mit für ein Shooting? Habt ihr eine Hochzeitsausgabe geplant?“

Da war sie. Die perfekte Ausrede. Dieses unerschwingliche Kleid war für die Arbeit. Also war es sogar von der Steuer absetzbar und würde ihre Hypothekenrate gar nicht so sehr belasten. Doch Paige fehlten noch immer die Worte.

Mae sah sie überrascht an. Dann lachte sie laut auf. „Und ich dachte, ich sei die Einzige, die Frustkäufe macht, wenn es eine Weile keinen Mann in ihrem Leben gibt.“

Endlich fand Paige ihre Stimme wieder. „Was soll denn das heißen?“

Mae stützte die freie Hand in ihre Hüfte. „Na, sag mir schnell, ohne nachzudenken, wann du das letzte Mal mit jemandem ausgegangen bist.“

Paige öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Es war viele Wochen her. Vielleicht sogar Monate. Aber darüber wollte sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Es gab sicher einen besseren Grund dafür, warum sie dieses Kleid gekauft hatte.

„Du musst dir endlich mal wieder einen Mann angeln.“ Mae hakte sich bei Paige unter und zog sie hoch. „Aber jetzt nichts wie raus hier! Bevor ich hier bei all dem Gestank nach Bräunungsspray und Verzweiflung noch ohnmächtig werde.“

Paige stand im Aufzug des Botany-Apartmenthauses im Hafenviertel von New Quay und starrte auf die schwarz-weißen Fliesen der Lobby, auf die üppige schwarze Tapete mit Paisleymuster, die Türrahmen, die im Sonnenlicht silbrig schimmerten. Sechs riesige Kronleuchter verliehen der Eingangshalle einen edlen Glanz. Jetzt musste die Fahrstuhltür nur noch zugehen.

Hatte Mae recht? Hatte Paige dieses Kleid gekauft, weil sich schon lange rein gar nichts getan hatte in ihrem Liebesleben? Ein Frustkauf? Vielleicht. Denn obwohl sie nicht vorhatte, es Mae mit dem Heiraten jemals gleichzutun: Paige mochte Männer. Sie mochte ihren Duft, ihre Art zu denken und das prickelnde Gefühl des Begehrens. Sie mochte Männer, die das Format hatten, einen Anzug zu tragen. Männer, die hart arbeiteten, so wie sie selbst, die im Restaurant gern die Rechnung übernahmen und die sich nichts als gute, unterhaltsame Gesellschaft wünschten. Jene Art Männer, für die Melbournes Barszene bekannt war.

Wo waren all diese Männer bloß?

War es ihr Fehler? Hatte ihr die Arbeit in letzter Zeit die Energie geraubt? Oder hatte sie einfach genug davon, immer den gleichen Typ Mann kennenzulernen? Vielleicht genügten ihr ja mittlerweile schon die Wiederholungen der Gilmore Girls im Fernsehen.

Seufzend hängte sie sich den schweren Kleidersack über den Arm, ballte und streckte die verkrampfte Hand, die den Beutel bisher gehalten hatte, und wartete darauf, dass sich die Fahrstuhltür endlich schloss. Bei diesem Lift konnte das ein bisschen länger dauern.

Der Aufzug hatte seinen ganz eigenen Charakter – und der war zutiefst abscheulich. Er fuhr zwar rauf oder runter, doch er richtete sich nie danach, welche Etagentaste man gerade gedrückt hatte. Es hatte nichts genützt, Sam, den Hausmeister, darauf anzusetzen. Und es hatte auch nicht geholfen, hin und wieder kräftig gegen die Fahrstuhltür zu treten. Vielleicht sollte sie statt des Aufzugs einfach mal Sam treten.

Doch gerade jetzt konnte sie nichts tun als warten. Und sich mit dem Gedanken trösten, dass ein widerspenstiger Lift angesichts ihres traumhaften Apartments im achten Stock doch ein geringes Übel war.

Sie war in einem riesigen, überfüllten Haus mit Rüschengardinen aufgewachsen, in dem es nach Reinigungsmittel und Trockenblumen roch. Als sie die schicken, großzügig geschnittenen Botany-Apartments zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie das Gefühl, als könne sie endlich frei atmen.

Sie schloss die Augen und dachte an ihre schlichte Einrichtung im Stil der Zwanzigerjahre, an die Aussicht auf die Stadt, die beiden großen Zimmer. Eines war ihr Schlafzimmer, das andere ihr Büro und hin und wieder Maes Gästezimmer, wenn diese zu viel getrunken hatte. Doch das war lange schon nicht mehr vorgekommen. Genau gesagt, seit Clint ihr den Heiratsantrag gemacht hatte.

Paige schüttelte den Kopf, als müsse sie eine lästige Fliege loswerden. Der Fahrstuhl war jedenfalls nebensächlich, wenn man das große Ganze betrachtete. Außer gerade in diesem Moment, in dem sie schwer bepackt in ihre Wohnung wollte.

Während sie ihre schmerzende Schulter rieb, dachte Paige nach. Wenn Männermangel wirklich der Grund dafür war, dass sie sich ein Brautkleid gekauft hatte, dann musste sie etwas unternehmen. Und zwar schnell. Wer wusste, was sie sonst als Nächstes tun würde? Einen Ring kaufen? Einen Ballsaal mieten? Sich selbst einen Antrag mit einem Flugzeug in die Luft malen lassen?

Während sich ihr Rücken unter dem Gewicht der Tasche zu krümmen begann, flüsterte Paige: „Ich schwöre, mich dem nächsten Mann, der mich anlächelt, hinzugeben. Er kann mich vorher zum Abendessen einladen. Oder ich kann ihm einen Kaffee kaufen. Oder wir teilen uns ein Wasser aus dem Automaten. Mir egal. Aber ich brauche einen Mann, und zwar schnell.“

Eine Unendlichkeit später schlossen sich endlich die Fahrstuhltüren. Vor Erleichterung hätte sie beinahe geheult. Bis sich in letzter Sekunde eine Hand in den winzigen Spalt schob.

„Bitte warten Sie“, tönte eine tiefe männliche Stimme von draußen.

Ne-i-i-n! dachte Paige. Wenn sich die Türen erst wieder öffneten, ginge die Warterei von vorne los, und sie musste diesen Kleidersack noch länger schleppen.

„Nein?“, fragte die Stimme fast ungläubig, und Paige wurde blass, als ihr klar wurde, dass sie laut gedacht haben musste. So etwas kam wohl vor, wenn man seit Jahren allein lebte und es gewohnt war, Selbstgespräche zu führen.

Sie hatte nur den Hauch eines schlechten Gewissens, als sie auf den „Tür zu“-Knopf einschlug. Mehrfach.

Doch wem auch immer die kräftigen braunen Männerfinger gehörten, er hatte offenbar andere Pläne. Mit brachialer Gewalt wurden die Türen auseinandergedrückt. Und dann sah Paige die Silhouette des Fremden. Sein großer, breiter Körper versperrte ihr komplett den Blick ins Foyer. Er sah sie nicht an, sondern starrte mit gesenktem Kopf und gerunzelter Stirn auf das schicke Smartphone in seiner freien Hand.

Er hatte etwas an sich, das Paige instinktiv zurückweichen ließ. Dunkle Locken fielen über den Kragen einer schokoladenbraunen Lederjacke. Unter den Jeans zeichneten sich muskulöse Beine ab. Seine Stiefel waren abgewetzt und riesig. Er sah aus wie ein Pirat. Wie ein wunderschöner, gefährlicher Pirat.

Die Ruhe, die sie gerade noch verspürt hatte, war wie weggefegt. Ihre Wangen wurden rot, und ein heißer Wirbel begann sich in ihr zu drehen. Hui. Hatte sie sich nicht gerade noch daran erinnert, wie es war zu begehren? Dieser Kerl hier füllte ihre Erinnerung in Sekundenschnelle mit Leben.

Und eine heisere Stimme in ihr flehte stumm: Bitte. Lächle mich an.

Sie musste laut husten vor Verwirrung. Einen solchen Typen hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie sich einen Mann gewünscht hatte. Sie suchte jemanden, mit dem sie umgehen konnte, mit dem sie sich wohlfühlte. Dieser Mann dagegen hatte Schultern, die ihr den Atem raubten, Haar, so dicht, dass kein Kamm es bändigen konnte, Hände, die Aufzugtüren bezwangen. Sie betrachtete sein Gesicht mit den dunklen Augen unter schweren Lidern und einem Dreitagebart. Wow. Das war nicht komfortabel. Das war einfach zu viel.

Die perfekt geschwungenen Lippen des Fremden verzogen sich zu einem Schmunzeln, als sie ihn anstarrte. Sie zuckte zusammen.

Oh, Gott, dachte Paige. Er hat mich erwischt. Ihre Wangen brannten vor Scham.

„Danke fürs Warten.“ Die Stimme des Fremden klang so verführerisch, dass sie nur dem Teufel gehören konnte.

„Gerne doch“, antwortete Paige und blickte kurz zu ihm hoch. Gerade lange genug, um sein spöttisches Stirnrunzeln zu bemerken. Offensichtlich war ihm völlig klar, dass sie versucht hatte, den Aufzug vor seiner Nase losfahren zu lassen.

Paige schwieg betreten und machte sich so klein wie möglich. Je eher er ausstieg, desto besser.

Der Lift war eng. Dieser Mann schien den ganzen Raum einzunehmen. Jedes Mal, wenn er einatmete und sein Brustkorb sich weitete, bekam Paige eine Gänsehaut.

„Welche Etage?“, fragte er.

„Acht“, antwortete sie mit heiserer Stimme und wies auf den leuchtenden Knopf.

Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Um seine Mundwinkel zuckte es.

Paige hielt den Atem an. Nein, er lächelte nicht. Nicht richtig.

„Langer Flug“, sagte er, und seine dunkle Stimme hallte durch den Lift und vibrierte in ihren Beinen. Er hob eine seiner Schultern, um seine Laptoptasche zurechtzurücken. „Ich bin noch gar nicht ganz wieder da.“

Paige wollte sich lieber nicht vorstellen, wie er wirkte, wenn er vollkommen präsent war.

Als er sich vorbeugte, um den Knopf zu drücken, der die Türen schloss, durchfuhr Paige ein Schauer. Er verströmte einen würzigen Duft von Leder, frisch geschlagenem Holz und salziger Meeresluft. Unfassbar männlich.

Draußen war es tiefster Winter, doch Paige brach der Schweiß aus. Unruhig löste sie ihren Schal und versuchte, an Eis zu denken und an Schneeballschlachten. Doch etwas in ihr ließ sie spüren, dass jeglicher Widerstand zwecklos war.

Er knurrte, als der Aufzug sich nicht rührte. Endlich fand Paige wieder Worte. „Oh, nein, nein“, sagte sie. „Den Knopfdruck können Sie sich sparen. Der Lift hier hat seinen eigenen Willen. Er fährt grundsätzlich in die Richtung, die ihm gefällt, ohne Rücksicht auf …“

Mit dem schlechten Timing, das diesen Fahrstuhl auszeichnete, schlossen sich die Türen, und nach einem kurzen Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung. Paige blickte ungläubig auf die Anzeige über der Tür. Es ging tatsächlich nach oben.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte der Fremde.

Paige sah ihn an und erkannte, dass er sich erneut auf ihre Kosten lustig machte. Beinahe lächelte er.

Gut, also ihr Versprechen vorhin … Das war wirklich nicht wörtlich zu nehmen. Wenn nun ein pickeliger 16-Jähriger auf einem Skateboard sie angelächelt hätte? Oder der bärtige Obdachlose mit der Ratte auf der Schulter, der den Möwen immer hinterherbrüllte? Offensichtlich musste sie ihr Gelöbnis noch genauer abfassen.

Sie zuckte mit den Schultern. „Der Fahrstuhl hat es auf mich abgesehen. Aber auf Sie scheint er zu hören. Haben Sie Interesse, Aufzugführer zu werden? Ich würde Sie aus eigener Tasche bezahlen.“

Der Fremde sah sie mit einem Mal freundlich an. Freundlich und mit Wärme, so kam es ihr vor. Und er lächelte.

„Danke für das Angebot, aber ich muss ablehnen“, sagte er.

Hatte er sich ihr genähert? Oder nur sein Gewicht verlagert? Der Fahrstuhl erschien Paige plötzlich noch winziger. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.

„Na dann. Den Versuch war’s wert.“

Sein Lächeln wurde weicher, und Paige wandte sich der Aufzugsanzeige zu. Im Schneckentempo bewegten sie sich nach oben.

„Wohnen Sie hier?“, fragte der Fremde.

Paige nickte und biss sich auf die Lippen, damit diese nicht anfingen zu zittern. Seine samtene Stimme hallte in ihr nach.

„Dann verstehe ich Ihre Beziehung zu dem Lift.“

Sie konnte nicht anders, sie musste ihn wieder ansehen. Und erwartete dabei in seinem Blick unwillkürlich das gleiche leise Misstrauen zu lesen, mit dem Sam, der Hausmeister, sie immer ansah, wenn sie sich über etwas beschwerte. Doch der Mann ließ seinen Blick über ihr Haar, ihren Nacken wandern, pausierte kurz an ihrem Mund, bevor er ihr wieder direkt in die Augen sah.

Sie holte tief Luft und atmete wieder den würzigen Duft ein, der von ihm ausging. Vielleicht bildete sie sich diesen Geruch ja gar nicht ein. Vielleicht war er ja wirklich ein Pilot/Holzfäller/Seemann. Es war zumindest nicht ganz ausgeschlossen.

„Am Anfang war es nichts Ernstes“, sagte sie. „Er verpasste nur hin und wieder ein Stockwerk. Doch jetzt passiert das unentwegt. Ich drücke den Knopf und weiß, es macht keinen Unterschied. Aber ich weigere mich, die Hoffnung aufzugeben, dass er sich eines Tages wieder wie ein normaler Lift benimmt.“

„Wie spannend“, sagte er mit einem Glitzern in den Augen. „Ein Konflikt zwischen zwei starken Willen. Wie in einem Film mit Doris Day und Rock Hudson.“ Er blickte auf die computergesteuerte Anzeigetafel. „Mit einem Schuss Science Fiction.“

Paige lachte laut auf und wunderte sich über sich selbst. Sie stand völlig neben sich. Sie konnte den Blick nicht von ihm lassen. Er hatte dunkle Augen, in denen man sich rettungslos verlieren konnte. Hätte der Aufzug plötzlich die Filmmusik von Bettgeflüster gesummt – dem Film, auf den er zweifellos anspielte –, sie hätte es nicht bemerkt.

Solch eine Reaktion konnte sie sich nur durch die Flaute in ihrem Liebesleben erklären. Er war so gar nicht ihr Typ. Sie stand sonst eher auf Männer, die klar und einfach waren. Berechenbar für sie. Männer, mit denen sie zu ihren Bedingungen ausging: drei Nächte die Woche, getrennte Rechnungen, keine idealistischen Versprechungen. Ganz wie sie wollte.

Dieser Fremde war eine miserable Besetzung für eine solch kontrollierte Affäre. Er schien ihr undurchschaubar, mysteriös und – heiß. Schon jetzt konnte sie kaum klar denken. Sie hätte am liebsten augenblicklich ihr Gesicht in seinem Nacken vergraben, um seinen Duft einzuatmen.

Dieser Mann war ein einziges Risiko, das immerhin war ihr klar. Andererseits … Wenn sie wieder ausgehen wollte, musste sie irgendwo anfangen. Und da stand er, schön, sexy und augenscheinlich auch an ihr interessiert.

Sie reichte ihm die Hand. „Paige Danforth. Achter Stock.“

„Gabe Hamilton. Im zwölften.“

Sie hatte nicht darauf geachtet, welchen Knopf er gedrückt hatte. Das Penthouse war unbewohnt, seit sie in das Haus eingezogen war. Was bedeutete … „Sie sind kein Besucher.“

„Kein Besucher.“ Zwei Worte, die sie mehr in Aufregung versetzten, als ihr lieb war. Er schlief vier Stockwerke über ihr!

„Haben Sie das Penthouse gemietet?“, fragte sie.

„Nein, es gehört mir“, antwortete er lächelnd.

Paige nickte wie beiläufig, doch zwischen den Zeilen sprachen sie schon längst nicht mehr über Besitzverhältnisse. „Ich hab gar nicht mitbekommen, dass es verkauft worden ist.“

„Ist es nicht. Ich war auf Reisen. Und nun bin ich wieder hier.“ Er sah sie beinahe erwartungsfroh an, und ihr wurde immer heißer.

Paige war kurz davor, etwas Unüberlegtes zu tun. Doch da klingelte der Lift, und die Türen öffneten sich.

„Verstehe“, murmelte sie und erkannte ihr Stockwerk an der gepunkteten silbernen Tapete von Ménage à Moi. Zeit auszusteigen.

Als sie sich an Gabe vorbeidrückte, streiften ihre Fingerspitzen eine seiner Hände. Ganz leicht und nur für einen Augenblick. Während sie den Lift verließ, konnte sie sich nicht beherrschen, sich noch einmal umzudrehen. Sie war kurz davor, ihn auf einen Kaffee in ihre Wohnung einzuladen. Oder ihm Melbourne zu zeigen. Oder sich andere Ausreden auszudenken, die ihn in ihr Bett brachten.

Dann gähnte er.

Und auf einmal kam ihr in den Sinn, dass das Glitzern in seinen Augen wahrscheinlich nur die Auswirkungen des Jetlags waren und kein Zeichen dafür, dass sie ihn brennend interessierte. So wie er sie.

Sie errötete wieder.

Bitte, flehte sie den Aufzug innerlich an, während sie Gabe gegenüberstand. Geh schon zu. Nur dieses eine Mal. Geh zu.

Und der Lift erhörte sie. Die beiden großen silbernen Türen schlossen sich langsam, und Gabe verschwand dahinter. Bis er mit der Hand eine der Türen aufhielt.

„Bis bald, Paige Danforth vom achten Stock“, sagte er, bevor er die Hand wieder zurückzog.

Und ehe sich die Türen endgültig schlossen, lächelte er sie an. Ein dunkles, gefährliches Lächeln, das viel versprach. Ein Lächeln, das die Hormone in ihrem Innern tanzen ließ.

Und dann war er fort.

Paige stand im Flur und atmete tief durch.

Das leichte Summen des Lifts brachte sie zurück in die Wirklichkeit, und sie sah ihr Spiegelbild in den schimmernden Aufzugtüren. Und das Bild des riesigen weißen Kleidersacks, der über ihrem rechten Arm hing. Sie hatte ihn vollkommen vergessen – obwohl sich ihre Hand anfühlte, als sei sie abgestorben.

In Spiegelschrift starrte sie die pinkfarbene Aufschrift „Hochzeitskleid-Schlussverkauf!“ an.

2. KAPITEL

„Verdammt“, zischte Gabe die dunkle Holzvertäfelung des Aufzugs an, der sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Dann fuhr er sich übers Handgelenk, das nach der flüchtigen Berührung seiner neuen Nachbarin noch immer kribbelte.

Endlos hatte er vorhin am Zoll gewartet, auf der Fahrt vom Flughafen das graue, nasse Melbourne betrachtet und die Bäume, die sich im Winterwind bogen, der von der Port Phillip-Bucht aufs Land wehte. Vor dem Hauseingang hatte er sich frierend gedulden müssen, bis der Taxifahrer endlich seine Kreditkarte eingelesen hatte. Und während all dieser Zeit seit der Landung hatte Gabe vergeblich versucht, etwas zu entdecken, das ihn auch nur eine Minute länger in Melbourne halten würde.

Und dann tauchte plötzlich diese Nachbarin auf, mit Augen, so blau wie ein klarer Winterhimmel, unendlich langen Beinen und so elegant zerzausten blonden Haaren, dass sie selbst Hitchcock wieder zum Leben erwecken könnten. Sie wirkte sogar genauso widerspenstig wie Hitchcocks Blondinen. Er würde sich in Acht nehmen müssen.

Unsinn. Träumerei. Gleich nachdem er den Vertrag unterschrieben hätte, den sein Geschäftspartner Nate ihm in Melbourne vorlegen wollte, würde er schon wieder in einem Taxi zum Flughafen sitzen. Daran konnte die zufällige Begegnung mit einer schönen Frau nichts ändern.

Gabe schüttelte sich leicht, vergrub die Hände tief in den Jackentaschen, schloss die Augen und lehnte sich gegen die Liftwand. Er versuchte, die Erinnerungen daran zu verdrängen, was damals geschehen war, als er aus Melbourne weggegangen war. Und nur um sich abzulenken, dachte er wieder an die coole Blondine.

Wie sie an ihrer vollen Unterlippe geknabbert hatte – als ob sie so gut schmeckte, dass sie sich selbst nicht widerstehen konnte. Und ihr Duft hatte den Aufzug erfüllt, so süß, intensiv und köstlich, dass ihm vor Verlangen ganz anders geworden war. Einen Moment lang hatte ihr Blick gewirkt, als sei Gabe ihr lästig, ihm nächsten, als wolle sie ihn auf der Stelle vernaschen.

„Wow“, entfuhr es ihm. Erstaunt riss er die Augen auf. Ganz plötzlich hockte er breitbeinig da und musste sich an der hüfthohen Reling des Lifts festhalten. Der Aufzug hatte geruckt. Oder etwa nicht? Nun fühlte sich wieder alles ganz ruhig an.

Jetlag, dachte er. Oder Vertigo. Er grinste. Anscheinend bekam er Hitchcock nicht mehr aus dem Kopf. Der Mann war kein Dummkopf gewesen und hatte offensichtlich große Angst vor Blondinen gehabt. Nicht grundlos, fand Gabe. Wenn eine Frau nach Ärger aussah, dann gab es ihn meistens auch. Und Gabe war geradeheraus und ehrlich. Mit schwierigen Frauen konnte er nichts anfangen.

Er stand wieder auf und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er brauchte Schlaf, das war klar. Vergangene Woche hatte er sein maßgefertigtes Doppelbett aus Südamerika hierher verschiffen lassen. Das Geschäft dort war abgeschlossen, er wusste nicht, ob und wann er zurückkehren würde. Jetzt aber freute er sich auf zwölf Stunden Schlaf in seinem eigenen Bett.

Zuhause bedeutete für viele ein eigenes Heim. Manche dachten an ihre Familie. Für Gabe war sein Zuhause dort, wo seine Arbeit war. Und wann immer er Wind von einer außergewöhnlichen Geschäftsidee bekam und hörte, dass jemand gesucht wurde, der mutig investierte, ging er dorthin – und schickte sein Bett vor. Mitsamt dem Kissen, das so flach und abgenutzt war, dass er es eigentlich kaum mehr spürte, und der Matratze, die eingelegen und ausgesprochen bequem war.

Sekunden bevor er im Stehen eingeschlafen wäre, öffnete sich die Aufzugstür in seiner Etage. Gähnend suchte Gabe nach den Schlüsseln zu dem Penthouse, das er noch nie betreten hatte. Eigentlich hatte er es nur gekauft, damit Nate ihm nicht mehr in den Ohren lag, er müsse am Hauptsitz ihrer Firma eine Wohnung haben.

Er stand in der offenen Tür. Verglichen mit den einfachen Hotelzimmern der vergangenen Monate war dieses Apartment gigantisch. Es nahm das komplette obere Stockwerk des Gebäudes ein. Und doch wirkte es düster und wenig einladend mit seinen dunklen Farben und der bodentiefen Fensterfront, die einen Blick in das trübe Nass draußen bot.

„Nein, Gabe“, sagte er vor dem Fenster zu seinem Spiegelbild. „Du bist definitiv nicht mehr in Rio.“

Er ließ die Taschen von der Schulter gleiten und legte sie auf dem einzigen Möbelstück im Wohnzimmer ab, einer L-förmigen schwarzen Couch in der Mitte des Raums. Und dann erklang es laut: „Hehehe!“

Jetlag und Schwindel waren wie weggeblasen. Gabe drehte sich blitzschnell um, das Herz pochend, die Hände zu Fäusten geballt – und sah einen Mann auf seiner Couch liegen.

„Nate“, stieß Gabe hervor und stützte sich auf die Knie, um wieder zu Atem zu kommen. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“

Sein bester Freund und Geschäftspartner setzte sich auf, die Haare vom Schlaf zerzaust. „Ich wollte sichergehen, dass du gut angekommen bist.“

„Wohl eher, dass ich überhaupt gekommen bin.“ Gabe streckte sich wieder. „Bitte sag, dass du meinen Kühlschrank mit Essen gefüllt hast.“

„Sorry. Aber es gibt Donuts. Dort auf der Anrichte.“

Gabe warf auf dem Weg zur Küchenzeile einen Blick auf die vertraute Donut-Packung und öffnete mit vager Hoffnung den gewaltigen Kühlschrank. Nichts, nur die Gebrauchsanleitung. Das Gerät war anscheinend noch nicht einmal angeschlossen. Es lief ihm kalt den Rücken herunter. Wenn selbst das nicht fertig war … Ihn beschlich eine böse Vorahnung.

Mit großen Schritten ging er auf die gewaltigen Flügeltüren zu, die zum Schlafzimmer führten, und riss sie auf.

Kein Bett.

Er fluchte leise und rieb sich wütend den Nacken.

Nate klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Deine Couch sieht toll aus, ist aber überhaupt nicht gemütlich.“

„Das scheint dir aber nichts ausgemacht zu haben“, knurrte Gabe.

„Ein Nickerchen kann ich überall machen. Ein Vorteil, den chronische Schlaflosigkeit mit sich bringt.“

Gabe zog die Schlafzimmertüren entschlossen zu, um nicht länger in den leeren Raum blicken zu müssen.

„Hotel?“

„Bei dem Gedanken an die Kälte da draußen wird mir ganz anders.“

Nate grinste. „Gut, ich habe gesehen, dass du wirklich hier bist, also kann ich nach Hause gehen. Bis Montag im Büro. Du weißt doch noch, wo es ist?“

Gabe starrte ihn einfach nur an.

Nate schnippte mit den Fingern, als er an der Tür angelangt war. „Hätte ich fast vergessen. Freitagabend feierst du Hauseinweihung.“

Gabe schüttelte den Kopf. Freitag würde er schon längst weg sein. Oder?

„Zu spät für eine Absage“, meinte Nate. „Schon organisiert. Alex und die alte Clique von der Uni kommen. Einige Kunden. Ein paar schicke Frauen, die ich gerade beim Spaziergang auf der Promenade kennengelernt habe …“

„Nate …“

„Hey, ich bin so froh, dass du hier bist. Fast hätte ich Flugblätter verteilt.“

Und damit ging er und ließ Gabe in seiner dunklen, kalten, leeren Wohnung zurück. Allein. Der Nebel der Port-Phillip-Bucht zog unaufhaltsam heran wie all die schlechten Erinnerungen. Es war nicht ausgeschlossen, dass er eine ganze Woche bleiben musste in dieser Stadt …

Fröstelnd schnappte Gabe sich die Fernbedienung der Klimaanlage und regelte die Temperatur hoch.

In einem Wandschrank fand er Bettwäsche. Gedankenverloren stand er wenig später im Türrahmen seines Schlafzimmers und betrachtete mit düsterem Blick den leeren Raum. Er zog sich aus, stapelte ein paar Decken übereinander, schnappte sich ein für sein Empfinden viel zu wuchtiges Kopfkissen und legte sich auf den Fußboden. Im nächsten Moment war er auch schon eingeschlafen.

Und er träumte.

Von einer kühlen, weiblichen Hand, die ihm den Nacken streichelte, während er ein tolles rotes Cabrio auf einer steilen Küstenstraße irgendwo im Süden Frankreichs steuerte. Als sie an einem Aussichtspunkt hielten, glitt die blonde Besitzerin dieser Hand auf seinen Schoß. Er spürte ihren süßen, sinnlichen Duft und nur Sekunden später ihre Zunge an seiner … Gabe lächelte im Traum und wusste, dass da selbst Hitchcock neidisch geworden wäre.

Am gleichen Abend, in der Brasserie an der Promenade von New Quay, erstickte Maes Verlobter Clint beinahe an seinem Essen, als Mae ihm von Paiges Einkauf berichtete. Ein Kellner musste Erste Hilfe leisten. In dem gut besuchten Restaurant wurde Clints Rettung lebhaft verfolgt und schließlich mit einem wohlwollenden Applaus bedacht. Paige versteckte ihr Gesicht hinter beiden Händen. Am liebsten hätte sie sich unter den Tisch verkrochen.

„Also, gestern Abend haben wir dich noch betrunken ins Taxi gesetzt. Was ist seitdem aus deiner ‚Ich heirate nie im Leben‘-Philosophie geworden? Hat der Taxifahrer dich verzaubert?“, wollte Clint wissen, als er sich wieder erholt hatte.

Paige sah ihn nur wortlos an. Clint hob kapitulierend die Hände und wandte sich wieder seinem Handy zu.

Sie hatte keine Lust, ihm zu sagen, dass sich an ihrer Einstellung zum Heiraten absolut nichts geändert hatte. Doch sie verschwieg ebenso, dass sie tatsächlich verzaubert worden war. Nicht im Taxi, sondern im Aufzug. Von einem großen, dunklen und höchst attraktiven Mann, der ihre Fantasie ziemlich auf Touren gebracht hatte.

Sie legte sich ihre Hände auf den Bauch, wo sie die Vibration von Gabes Stimme noch immer zu spüren glaubte.

Und wieder musste sie an die leuchtend weiße Tasche mit der pinkfarbenen Aufschrift denken, die nun außen an ihrem Kleiderschrank hing.

Gabe Hamilton schien nicht gerade wählerisch zu sein, wenn er mit einer Frau flirtete, die ihr Hochzeitskleid über dem Arm trug. In Paiges Augen war das ein kaum verzeihlicher Charakterfehler. Treue war für sie das A und O. Übrigens nicht nur in Liebesdingen. Seit der Grundschule hatte sie die gleiche beste Freundin. Seit dem Uniabschluss arbeitete sie für die gleiche Firma. Und ohne mit der Wimper zu zucken, fuhr sie 20 Minuten durch die Stadt, nur um ihr Lieblings-Thaigericht zum Mitnehmen zu bestellen.

Paige hatte erlebt, wie die Untreue ihres Vaters ihre Mutter zurückgelassen hatte: gedemütigt und zerstört.

Als sie Maes Stimme hörte, kehrte sie ins Hier und Jetzt zurück: „Na, jetzt wird’s interessant.“

Clint blickte hoch, fand aber nichts von Interesse und nutzte die Gelegenheit, sich ein Rippchen von Maes Teller zu stibitzen.

Paige drehte sich neugierig um, und ihr Herz setzte für einen Moment aus, als sie Mr Groß, Dunkel und Attraktiv im Restaurant erblickte. Er stand in der Mitte des Raums, breitbeinig, und wärmte sich die Hände am offenen Feuer.

„Schau nur, wie er dasteht“, sagte Mae mit einem Knurren.

Als ob er an schweren Seegang gewöhnt ist, dachte Paige und versuchte, nicht hinzugucken. Doch es gelang ihr nicht. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden und sah, wie er sein Handy aus der Innentasche seiner Jacke zog und dabei den Blick auf eine sehr breite Brust preisgab. Paige war sich nicht sicher, was sie mehr antörnte – der Streifen sonnengebräunter Haut, der kurz unter dem verwaschenen T-Shirt aufblitzte, oder das rhythmische Tippen auf dem Handy.

Auf einmal schaute er hoch.

„Runter!“ Paige kauerte sich auf ihrem Stuhl zusammen, bis sie halb unter dem Tisch verschwunden war. Ihre Freunde blickten sie mit offenem Mund an.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte Mae.

Ganz langsam straffte Paige wieder den Rücken, bis sie wieder aufrecht dasaß. Ohne sich umzugucken, flüsterte sie: „Ich kenne diesen Mann.“

„Wer ist das?“, wollte Mae sofort wissen.

„Gabe Hamilton. Er ist über mir eingezogen. Wir haben uns heute Früh im Lift kennengelernt.“

„Unnnnnnd?“, fragte Mae und hüpfte erwartungsvoll auf ihrem Sitz herum.

„Beruhig dich. Du regst dich wegen nichts auf. Ich hab versucht, die Fahrstuhltür direkt vor seiner Nase zu schließen. Das hat er mitbekommen und ist trotzdem noch eingestiegen. Es war alles sehr … peinlich.“

Mae grinste, und Paige bemerkte plötzlich, dass auch sie selbst unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. Sie warf die Hände in die Luft. „Okay, er sieht verdammt gut aus. Und er riecht, als käme er gerade aus dem Wald, aus seiner eigenen Blockhütte. Und vielleicht haben wir ein bisschen geflirtet.“ Als die Freundin anfing zu klatschen, schüttelte Paige den Kopf. „Nichts da. Verstehst du nicht: Das war gestern, direkt nachdem du mich abgesetzt hattest.“ Beschwörend sah sie Mae an, ehe sie langsam weitersprach. „Ich hatte das Hochzeitskleid dabei.“

„Aber du hast doch sicher erklärt …?“

„Wie denn? Vielleicht so: Also, heißer Fremder, sehen Sie dieses brandneue Hochzeitskleid? Hat nichts zu bedeuten. Ich bin frei und zu haben und gehöre Ihnen, falls das Interesse gegenseitig ist.

„Bei mir hätte das gezogen“, schloss Clint bedächtig.

Mae knuffte ihn in die Seite. Er grinste, wandte sich wieder seinem Handy zu und tat, als würde er nicht lauschen.

„Das ist alles deine Schuld. Ich habe nur mit ihm geflirtet, weil du meintest, es gebe zu wenige Männer in meinem Leben.“

Mae sah sie an, als sei sie verrückt geworden. „Erzähl mir nichts. Wenn der Hausmeister zufällig aufgetaucht wäre, hättest du dem auch schöne Augen gemacht? Wer’s glaubt.“

Nun verstand Paige gar nichts mehr. Gerade von Mae hatte sie Verständnis erwartet für ihre Abneigung unverlässlichen Typen gegenüber. Zumindest von der alten Mae, deren Vater ebenfalls ständig fremdgegangen war, genau wie Paiges eigener. Die verlobte Mae hingegen war durch ihre Verliebtheit wie geblendet.

Gerne hätte Paige ihrer Freundin das gesagt. Stattdessen griff sie nach ihrem Cocktailglas und nahm einen großen Schluck.

„Das Ganze ist wahrscheinlich sowieso unwichtig“, stöhnte Mae leise auf. „Dieser Mann kommt aus einer anderen Dimension. Solche Männer haben Nuklearphysikerinnen zur Freundin, die in ihrer Freizeit modeln. Oder er ist schwul.“

„Nicht schwul“, widersprach Paige und erinnerte sich daran, wie er sie mit seinem Blick taxiert hatte. Wie er ihr während der Fahrt unmerklich näher gekommen war. Jetlag hin oder her, es hatte gefunkt zwischen ihnen. Sie holte tief Luft. „Ist aber auch egal. Ein Mann, der mit einer Frau flirtet, die ein Hochzeitskleid über dem Arm trägt, gehört kastriert.“

„Das sagst du ihm am besten selbst, meine Liebe“, sagte Mae begeistert. „Denn er kommt geradewegs auf uns zu.“

Gabe hatte gerade gehen wollen, als er sie entdeckte.

Gut, zuerst hatte er ihre Begleitung mit den roten Locken gesehen, der es anscheinend nichts ausmachte, dabei erwischt zu werden, wie sie ihn anstarrte. Und gleich darauf erkannte er seine schöne neue Nachbarin, die sich in ihrem Sitz versteckte. Wenn sie ihm lächelnd zugewinkt hätte, wäre er vielleicht einfach nach Hause gegangen. Doch die Tatsache, dass die Frau, die er hatte geflissentlich übersehen wollen, ihn ihrerseits ignorierte, löste seinen Jagdinstinkt aus, und auf einmal fand er sich an ihrem Tisch wieder.

„Die Dame aus dem achten Stock“, sagte er schlicht und legte seine Hand auf ihre Stuhllehne.

Mit einem kühlen Lächeln drehte sie sich zu ihm um und zog die Augenbrauen hoch. Doch als er in ihre tiefblauen Augen blickte, fiel es ihm auf einmal schwer zu atmen.

Verdammter Hitchcock, dachte er, als er sich nun wieder an seinen Traum erinnerte – wie ihre Haare seine Brust gekitzelt hatten, als sie ihn im Cabrio verwöhnt hatte. Es war nur ein Traum gewesen, doch das spielte jetzt keine Rolle. „Das mit dem ‚bis bald‘ hatte ich nicht so wörtlich gemeint.“

„Könnte uns häufiger passieren, wir leben nun mal im selben Gebäude“, gab sie spitz zurück.

„Was für ein Glück.“ Er schenkte ihr jenes spezielle Lächeln, von dem er wusste, dass es bei Frauen fast immer wirkte. Ihre Augen strahlten, doch er sah auch, wie sie die Finger in die Tischkante krallte. Sie wirkte unendlich kompliziert. Ärger war programmiert.

Und dennoch lachte er sie nur noch breiter an.

Vielleicht war es ja die Herausforderung. Oder die Erinnerung an seinen Traum. Oder die Tatsache, dass er plötzlich etwas Zeit hatte und diese nicht mit Nachdenken verbringen wollte. Was es auch war, als Gabe in ihre unglaublich blauen Augen schaute, wusste er, dass er sie wollte.

Ein lautes Räuspern brachte die beiden wieder zurück in die Realität.

„Gabe Hamilton, meine Freundin Mae und ihr Verlobter Clint“, stellte Paige vor.

Mae streckte sich quer über den Tisch, um ihm ausgiebig die Hände zu schütteln. „Ich habe gehört, Sie waren gerade im Ausland?“

Als der Tisch wackelte und Mae erschrocken das Gesicht verzog, war Gabe klar, dass sie unter dem Tisch getreten worden war. Die Blondine hatte wohl mit ihren Freunden über ihn geredet. Vielleicht war es ja einfacher, sie zu erobern, als er erwartet hatte. Seltsamerweise machte das die Sache nicht langweiliger, im Gegenteil.

Er schnappte sich einen Stuhl vom Nachbartisch und ließ sich neben Paige nieder, die so tat, als sei der Teller vor ihr auf einmal hochinteressant.

„Brasilien“, antwortete er Mae leichthin, während Paige neben ihm stocksteif dasaß. „Ich komme gerade zurück aus Brasilien.“

„Im Ernst?“, fragte Mae. „Paige, hast du das gehört? Gabe war in Brasilien.“

Paige starrte ihre Freundin an. „Danke, Mae. Ich habe es gehört.“

Mae stützte ihre Wange auf die Hand und hakte nach. „Und, bleiben Sie jetzt hier?“

„Nein“, gab er zurück. Natürlich würde er ihnen nicht beichten, dass er lieber bis zum Kinn in einem Fluss voller Piranhas wäre als in Melbourne. „Bin nur für ein paar Tage geschäftlich hier.“

„Schade“, meinte Mae. Paige schwieg, ihren Blick fest auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo im Raum geheftet, bis Mae hinzufügte: „Paige fährt total auf Brasilien ab.“

„Ach, wirklich.“

Bei dem Klang seiner tiefen Stimme zuckte Paige zusammen und sah ihn endlich an.

Er lächelte. Was für Augen, dachte er. Unter ihrem kühlen Gebaren verbarg sie, was in ihr brodelte, da war er sich plötzlich sicher. Ihr Atem ging im gleichen Rhythmus wie sein eigener. Am liebsten hätte er sie sofort, vor allen anderen, leidenschaftlich geküsst. Er legte seine Hand erneut auf ihre Stuhllehne und spürte, wie nah seine Finger ihrer Schulter waren. Paige atmete tief ein und drückte ihren Rücken durch, um von ihm abzurücken.

„Ja, wirklich“, bestätigte Mae fröhlich. „Sie hat die letzten Monate sogar versucht, ihren Boss zu überreden, die Fotos für den Sommerkatalog dort zu machen.“

„Tatsächlich?“, fragte Gabe und riss sich von Paiges Anblick los. „Was macht Paige denn beruflich?“

„Ich bin Verkaufsleiterin eines Einrichtungshauses“, antwortete Paige mit kühler, rauchiger Stimme.

Oh, Mann, das wird ein Spaß, frohlockte Gabe insgeheim.

„Die Sommerkollektion ist brasilianisch, zumindest mutet sie so an.“ Dann fügte sie zögernd hinzu, als müsse sie sich zu der Frage überwinden: „Und was haben Sie in Brasilien gemacht?“

Paiges Frage war genau das, was er gebraucht hatte, um sich wieder zu fassen. Je weniger Menschen über seine Arbeit Bescheid wussten, umso besser, das hatte er schmerzlich erfahren müssen. „Diesmal ging’s um Kaffee“, log er. „Mögen Sie Kaffee?“

Dieser Blick. Damit konnte sie einen wirklich um den Verstand bringen, dachte Gabe. Zu allem Überfluss biss sie sich auch noch auf die Unterlippe, ehe sie antwortete: „Hängt ganz davon ab, wer ihn macht.“

Gabe fühlte einen Anflug von Schwindel. Vertigo, dachte er sich, definitiv Vertigo. Höhenangst. Hinter Hitchcocks Liebe zu Blondinen hatte zweifellos eine selbstquälerische Ader gesteckt. Doch Gabe war um keinen Deut besser. Warum ergriff er nicht einfach die Flucht, jetzt sofort?

„Und was genau?“, fragte Mae.

„Mmh?“

„Warum genau waren Sie in Brasilien? Bauen Sie die Bohnen an? Haben Sie eine Rösterei? Verkaufen Sie Kaffee?“

Gabe zögerte erneut. Das Geschäft in Brasilien. Er hatte alles genau geprüft, die Mitarbeiter kennengelernt, war sichergegangen, dass dort alles mit rechten Dingen zuging und profitabel war. Nichts und niemand konnte das jetzt ruinieren.

„Ich investiere in Kaffee. Genauer gesagt in eine Café-Kette.“

Doch zu spät. Paige hatte sein Zögern gespürt und ihre Knie von ihm abgewandt. Heiß und kalt. Bei dieser Frau kam er nicht hinterher.

Gabe überlegte, ob er aufgeben sollte. Doch wenn er sich erst einmal in etwas verbissen hatte, ließ er nicht so schnell locker. Hartnäckigkeit war seine größte Stärke. Deshalb ließ er nie ein Geschäft platzen. Sie konnte es nicht wissen, doch je länger sie ihn zappeln ließ, desto mehr wollte er sie.

Eine Stimme von der anderen Tischseite sagte: „Sind das diese kleinen Cafés mit nur einem Barista und seiner Kaffeemaschine?“

„Eben die.“

„Oh, wie spannend“, fand Mae. „Insider-Infos vom Investor persönlich.“

Gabe zuckte zusammen. Irgendwie wusste diese Dame genau, wie sie ihn aus der Fassung bringen konnte. „Ich glaube kaum, dass ich mit spannenden Geheiminformationen dienen kann“, sagte er beiläufig. Es war eindeutig Zeit für einen geordneten Rückzug. Er stand auf.

„Bleiben Sie doch“, bat Mae.

„Nein danke, lieber nicht. Ich muss noch meinen Schönheitsschlaf nachholen.“

Kurz blickte er zu Paige hinüber, um zu sehen, ob sein Verschwinden ihr etwas ausmachte. Ihre Haltung wirkte abweisend, doch ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Sie schien ihn mit ihrem Blick auszuziehen, beginnend mit dem Reißverschluss seiner Jeans.

„Freitag gibt’s bei mir eine Einweihungsparty“, hörte er sich mit heiserer Stimme noch sagen. „Sie sind alle eingeladen.“

„Wir nehmen Sie beim Wort“, antwortete Mae.

Gabe reichte erst Mae zum Abschied die Hand, dann Clint. Paige hob er sich bis zuletzt auf.

„Paige“, sagte er und nahm ihre Hand. Er hatte sich geirrt in seinem Traum: Ihre Hand war nicht kühl, sondern so warm, als hätte Paige noch eben in der Sonne gelegen. Und ihre Augen … Als hätte seine Berührung ihre Beherrschung zunichtegemacht, sah er eine Leidenschaft in ihrem Blick aufflammen, die ihn bis ins Mark traf.

Verdammt.

Sie entzog sich seinem Händedruck und runzelte die Stirn, als sei sie sich nicht sicher, was gerade zwischen ihnen geschehen war. Er selbst war sich vollkommen sicher. Und er wollte mehr davon.

„Freitag“, wiederholte er fragend, bis sie schließlich nickte. Er winkte noch einmal, drehte sich um und ging. Sein Blut pulsierte schneller in seinen Adern, er hatte Schwierigkeiten hi­nauszufinden.

Auf kürzestem Wege ging er nach Hause. In sein riesiges leeres Schlafzimmer. Diesmal konnte er nicht einschlafen, als er schließlich auf dem harten Fußboden lag. Die Gedanken an seine Nachbarin machten die Lage nicht bequemer.

Er fragte sich, wie Paige wohl reagieren würde, wenn er sie jetzt um Obdach bat, mit seiner Schachtel Donuts unterm Arm und bekleidet mit nichts als Boxershorts und einem Lächeln auf den Lippen. Was ihn zurückhielt, war ihre Entschlossenheit, die Unnahbare zu spielen. Doch er hatte den Verdacht, dass es nicht viel brauchte, um sie ins Wanken zu bringen.

3. KAPITEL

Später am Abend lehnte sich Paige gegen die Wand des Aufzugs. Sie hatte den Knopf für den achten Stock gedrückt und hoffte, dass keine Überraschungen auf sie warteten.

Sobald sie die Augen schloss, war ihr die Erinnerung an Gabe Hamiltons Abschied präsent. Bei dem Gedanken an ihn, an seine langen Beine, die kräftigen Muskeln kribbelte ihre Haut am ganzen Körper. Wie elektrische Spannung, nur … heißer.

Wie es schien, hatte sie trotz all ihrer Vorsicht Gabe gegenüber eines unterschätzt – den Funken! Er war einfach da. In seinem direkten Blick. In der Art, wie er sie anlächelte. Gabe wusste, dass er umwerfend war, und sie zweifelte nicht daran, dass er keine Skrupel hatte, auf diesen Vorteil zu setzen, um zu bekommen, was er wollte. Und wenn sie sich nicht völlig irrte, dann wollte er sie.

Paige verschränkte die Beine und begann, an ihrem Daumen zu knabbern.

Auf Herzensbrecher hatte sie noch nie gestanden. Gut, sie verstand den Reiz. Das Verlangen, das Unzähmbare zu zähmen. Doch sie hatte mehrfach erlebt, welch eine emotionale Verwüstung ein Mann mit solch geballtem Charme anrichten konnte. Und obwohl sie nicht an ein Happy End in Liebesdingen glaubte, war sie entschlossen, niemals etwas anzufangen, das so eindeutig auf das Gegenteil hinauslaufen musste.

Unglücklicherweise war sie in letzter Zeit auch keinem netten, zurückhaltenden Mann begegnet, mit dem sie es hätte versuchen können. Nur kurz fragte sie sich, warum das so war. Doch schon wanderten ihre Gedanken wieder zurück zu Gabes schönen Händen und seinen noch schöneren Augen.

Sie straffte die Schultern, schüttelte sich leicht und ging im Lift auf und ab.

Die traurige Wahrheit war, dass sie schon mehr als genug nette Männer kennengelernt hatte, die sich später als Enttäuschung entpuppten. Wäre es nicht besser, einfach gar nichts mehr zu erwarten? Und sich stattdessen einmal völlig gehen zu lassen in einer heißen, sinnlichen Affäre?

Krampfhaft schloss sie die Augen.

Bei Gabe Hamilton deutete eigentlich nichts darauf hin, dass er sich als Enttäuschung erweisen könnte. Er schien wirklich an ihr interessiert. Und außerdem war er einfach umwerfend sexy. Geradezu einschüchternd, wie sie zugeben musste. Und nach eigenem Bekunden war er nur für eine Weile in der Stadt. Was für die Sache sprach. Sehr sogar. Sie wollte schließlich keine Beziehung. Nur mal wieder mit einem Mann ausgehen. Einen Kuss. Vielleicht ein bisschen mehr. Oder sehr viel mehr. Warum eigentlich nicht?

Sie holte tief Luft.

Das musste sie ja nicht heute Nacht entscheiden. Sie hatte bis Freitag Zeit dafür, zumindest solange sie sich nicht noch einmal den Fahrstuhl teilen mussten.

Als der Lift schließlich anhielt, fuhr sie sich durchs Haar und gähnte. Dann warf sie einen Blick auf die Anzeige, um sich zu vergewissern, dass sie auf ihrer Etage gelandet war – und merkte, dass dem nicht so war. Sie war ganz oben. Am Penthouse.

Für einen Moment war sie fassungslos. Ein heißer Schauer jagte über ihre Haut bei dem Gedanken daran, dass Gabe Hamilton nur ein paar Schritte von ihr entfernt war. Sie hielt ihre Handtasche umklammert und beschwor all ihre telepathischen Fähigkeiten herauf, um den Lift wieder nach unten zu dirigieren.

Es klappte nicht. Die Aufzugstüren öffneten sich und blieben offen stehen. Paige starrte in den großen dunklen Flur, der zu jenen schwarzen Flügeltüren führte, hinter denen Gabes Apartment lag.

In diesem Augenblick drehte sich einer der Türgriffe.

Paige drückte sich instinktiv in die Ecke des Aufzugs. Unmöglich, sich zu verstecken. Und dann blieb ihr die Luft weg, denn Gabe öffnete die Tür.

Als er sie sah, hielt er inne. Selbst auf die Entfernung erkannte sie, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. Paiges Sinne liefen auf Hochtouren, nur so war es zu erklären, dass sie solch eine winzige Bewegung wahrnahm.

Er trug eine Pyjamahose. Eine lange, grau-karierte Pyjamahose, die lässig über seinen Hüften hing. Das war alles. Sie sah seinen sonnengebräunten Oberkörper. Seine nackten Füße, das zerzauste Haar. Arme, die stark genug schienen, um ein kleines Auto zu stemmen. Einen muskulösen Brustkorb wie bei einer griechischen Statue. Und einen Pfad dunkler Haare, der von seinem Bauchnabel abwärts führte …

„Paige?“ Seine teuflisch-tiefe Stimme ließ ihre Knie weich werden.

„Hey“, brachte sie krächzend hervor.

„Ich hab den Lift gehört.“

„Und hier ist er.“ Bemüht, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, präsentierte sie den Fahrstuhl wie eine Spielshow-Moderatorin.

In Gabes Blick zeigte sich die Spur eines Lächelns. „Wollten Sie etwas von mir?“

„Ob ich etwas von Ihnen …? Nein. Nein.“ Sie lachte mit einem Anflug von Hysterie. „Ich wollte in meine Wohnung, aber der Aufzug …“

„Macht, was er will.“

„So ist er.“

„Das hatten Sie erwähnt.“ Gabe kreuzte die Arme und schaute sie an. Er sah unsagbar schön aus.

Paige zwang sich, hinauf zu dem gewaltigen Stuckornament an der Decke zu blicken. „Es ist spät, und Sie haben sicher was zu tun. Bestimmt müssen Sie noch auspacken und Schlaf nachholen.“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich bin es gewohnt, aus dem Koffer zu leben. Und seltsamerweise bin ich jetzt auch gar nicht mehr müde.“

„Das hier könnte noch eine Weile dauern.“ Sie deutete auf den störrischen Fahrstuhl.

Er lehnte sich gegen den Türrahmen. „Kommen Sie doch rein.“

Das Blut rauschte so laut durch ihre Adern, dass sie nicht sicher war, richtig gehört zu haben. „Reinkommen?“

„Ich erzähle Ihnen gern alles, was ich über Brasilien weiß.“

Paige blinzelte. Sie bekam einfach nicht den Mund auf …

„Und ich habe Donuts.“

Plötzlich musste sie laut lachen. Die Nervosität rauslassen. „Das ist originell. Also, mit Kaffee hat man mich schon mal geködert. Oder vielleicht mit einem Absacker. Aber noch nie mit Donuts.“

Er blickte sie nur an, dunkel, lässig und unglaublich männlich. „Also?“

„Ich …“ Ihr Blick kam auf seinem nackten Oberkörper zur Ruhe, als sei er zu lange in die Ferne geschweift. „Für eine Einladung zu Donuts fühle ich mich eindeutig zu elegant gekleidet.“

„Das lässt sich ändern.“

Er trat zur Seite, um ihr Platz zu machen.

Fast wäre sie einfach losgelaufen. Hinaus aus dem Lift, direkt in die Arme dieses Mannes. Doch im letzten Moment hielt sie inne. Konnte sie das wirklich tun? Sie hatte ihn erst heute Morgen kennengelernt. Wusste nichts über ihn, nur seinen Namen, seine Adresse und seinen Beruf – na gut, mehr wusste sie über andere Männer häufig auch nicht. Doch warum löste er dieses Gefühlschaos in ihr aus, wenn er sie nur ansah?

Der Aufzugsgong erklang, die Türen begannen sich zu schließen. Und erst im letzten Moment schlüpfte Paige in den Flur. Das Summen und Rumpeln des Fahrstuhls klang in ihren Ohren nach. Sonst war es vollkommen still. Keine Musik. Nur ihr zittriger Atem.

Sie würde einen Donut essen. Gabe etwas besser kennenlernen. Ihn vielleicht sogar zum Abschied küssen. Wenn sie diesen Mann brauchte, um das Flirten wieder zu erlernen, dann würde sie sich in ihr Schicksal fügen.

Seine Wohnung war dunkel. Als Gabe in der Küche verschwand, sah sie sich um. Das Mondlicht fiel durch die deckenhohe Fensterfront. Er hatte nicht gelogen, als er sagte, dass er nichts auspacken müsse. Genau genommen war die Wohnung fast komplett leer.

Keine Lampen, nur das Licht eines offenen Laptops auf der Küchenbank. Keine Bilder an der Wand. Nicht mal ein großer Fernseher. Eine lange, moderne Couch in L-Form, die so gewaltig war, dass sie bestimmt zwanzig Leuten Platz bot. Paige trat ans Fenster. Der Ausblick aufs Wasser war so überwältigend, dass er das Innere der Wohnung beinahe zur Nebensache machte.

Vielleicht empfand er es ebenso. Nach ihrer Erfahrung hatte jemand, der seine Wohnung nicht einrichtete, keinen Bezug dazu. Wenn Zuhause bedeutete, mit dem ganzen Herzen dort zu sein, dann war dieses Penthouse ganz eindeutig kein Zuhause. In der Vergangenheit hätte die karge Einrichtung bereits gereicht, damit Paige die Flucht ergriffen hätte, doch diesmal erregte es sie.

„Sie sind anscheinend kein Fan von Dekoration“, stellte sie fest und blickte zu ihm hinüber in die höher gelegene Küche. Ein einzelnes, gedämpftes Deckenlicht beleuchtete seinen nackten Oberkörper. Er beugte sich über eine gewaltige weiße Schachtel, die tatsächlich Donuts enthielt. „Oder scheuen Sie generell vor Einrichtung zurück?“

Er sah sich um, als hätte er bisher nicht bemerkt, wie leer seine Wohnung wirkte. „Ich verbringe die Wochenenden nicht mit der Suche nach Antiquitäten, wenn Sie das meinen.“

„So weit müssen Sie nicht gehen, aber ein Esstisch wäre praktisch. Ein paar Küchenhocker. Ein paar Kissen hier und da.“

„Ich verwette meine rechte Hand darauf, dass sich kein Mann jemals freiwillig ein Kissen nur zu Dekorationszwecken angeschafft hat“, verteidigte er sich.

„Sie sind wie die Verzierung auf dem Teller. Man braucht sie nicht, aber sie machen Appetit.“

Wortlos betrachtete er sie im Halbdunkeln.

„Liegt es an mir, oder ist es heiß hier?“ Sie zog ihre Jacke aus, nahm den Schal ab und warf beides über die Couchlehne.

„Stimmt schon, die Klimaanlage steht auf höchster Stufe.“

Ihr Blick fiel auf das Tablett, auf das er die Donuts stapelte. Sie sehnte sich nach dem süßen Zeug. Und nach ihm. „Fahren Sie die Temperatur herunter, und ziehen Sie sich einen Pulli an. Das ist angenehmer.“

„Für wen?“, gab er zurück.

Für sie natürlich. Sie war noch nicht einmal zwei Minuten in seiner Wohnung, und schon spürte sie, wie ein Schweißtropfen zwischen ihren Schulterblättern bis zu ihrem Po hinunterlief.

Und für ihn? Sie bemerkte seinen Blick, der über ihr seidenes Oberteil glitt, kurz bei ihren Spaghettiträgern verweilte und dann der Linie ihrer bloßen Schultern folgte. Paige zwang sich, nicht die Arme zu verschränken, obwohl sie spürte, wie ihre Brustwarzen hart wurden.

„Also ich finde die Temperatur perfekt“, fügte er hinzu und hielt ihrem Blick stand. „Ich mag es heiß.“

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, trat er auf sie zu. Ihr Herz schlug schneller, sie machte einen Schritt zurück, bis sie mit dem Po die Kante des Sofas berührte.

„Hätten Sie es lieber kühler?“, fragte er sie mit leiser Stimme.

Auf keinen Fall, dachte sie. Ein amüsiertes Zucken umspielte seine Lippen. Sie musste schon wieder laut gedacht haben. Schlechte Angewohnheit. Muss ich mir abgewöhnen.

Er kam noch näher, und als Nächstes nahm sie den maskulinen Duft seines Körpers wahr, der ihr sagte, dass Gabe Hamilton vor dem Frühstück Reifen wechseln, Feuer machen und mit einem Hai kämpfen konnte, ohne in Schweiß auszubrechen.

Und in diesem Moment wusste sie, dass sie heute Nacht keine Donuts mit ihm essen würde. Das hier war kein unverbindliches Kennenlernen. Überdeutlich sah sie das Mondlicht, das den Raum erhellte, spürte die Hitze, hörte ihren eigenen Atem und den pochenden Puls.

Vor ihr stand Gabe. Ganz nah. Halbnackt, sein Blick mit dem ihren verschmolzen.

Und dann machte er noch einen Schritt auf sie zu, und sie spürte seine Hand in ihrem Haar und seine Lippen auf ihrem Mund, heiß und fordernd.

Blitze zuckten hinter ihren geschlossenen Lidern, unter ihrer Haut, tief in ihrem Bauch. Und eine verzehrende Hitze durchströmte jede Zelle ihres Körpers.

Sanft vergrub sie die Hände in seinen Locken, schlang eines ihrer Beine um seines. Sie drängte sich an ihn, wollte ihn spüren, jeden Zentimeter, jede Faser seines Körpers.

Auf ihren Lippen spürte sie sein Lächeln. Das Lächeln eines Siegers. Trotzig biss sie ihn ganz leicht in die Unterlippe. Nimm das.

Er hielt inne, schien abzuwarten, und sie hörte sein Herz an ihrer Brust pochen. Es war, als strömte die Energie aus seinem Körper direkt in ihren. All ihre Sinne liefen auf Hochtouren.

Noch enger presste sie sich an seine nackte Brust, ließ ihn spüren, wie sehr sie ihn begehrte. Langsam fuhr sie mit ihren Händen über seinen Hinterkopf und liebkoste mit ihrer Zunge die Stelle an seiner Unterlippe, in die sie gerade gebissen hatte.

Das ist es, dachte sie. Genau das hatte sie gebraucht. Wer wollte schon Versprechen? Verbindlichkeiten?

Warum musste sie ausgerechnet jetzt an Mae denken? Und dann tauchte in ihrer Vorstellung auch noch Clint auf. Die beiden sahen sich glückselig lächelnd an, wie sie es immer taten, wenn sie glaubten, niemand bemerke es. Obwohl – eigentlich war es ihnen egal, ob jemand zusah. Stets hatten sie nur Augen für einander.

Paige zwang sich, an etwas anderes zu denken und das ungute Gefühl zu ignorieren, das sich irgendwo in ihrer Magengrube eingenistet hatte.

Als hätte er ihre Unruhe gespürt, legte Gabe seine Arme um sie, wie um sie zuzudecken mit seiner Hitze, seiner Kraft. Er streichelte ihren Rücken und küsste sie so langsam, so tief, dass sie an nichts mehr denken konnte. Während sein warmer, köstlicher Duft sie umhüllte, hatte sie das Gefühl, als löste sie sich auf und nichts bliebe übrig als ein Strom heißer, pulsierender, unwiderstehlicher Empfindungen.

Das ist es. Genau das.

Und es wurde immer besser. Mühelos entdeckte er die Stelle unter ihrem rechten Ohrläppchen, deren Liebkosung sie um den Verstand brachte. Zärtlich fuhr er mit der Zunge darüber, glitt dann weiter über ihren Nacken, bis an den Träger ihres Spitzen-BHs. Sie erschauerte unter seinen Berührungen.

Enttäuscht stöhnte sie auf, als er seine Lippen von ihr löste, aber schon hob er sie mit einer Leichtigkeit hoch, als wöge sie nicht mehr als eine Feder. Lachend hielt sie sich an seinen Schultern fest.

Doch als sie in seine Augen schaute, erstarb ihr Lachen. Sein Blick war dunkel, ernsthaft, voller Lust. Ein Beben ging durch ihren Körper.

Er trug sie in sein Schlafzimmer. Als er an der Tür abrupt anhielt, wäre sie fast heruntergefallen.

„Verdammt“, zischte er. Gefolgt von weiteren Flüchen, die eines Piraten würdig waren.

„Gibt’s ein Problem?“

Vorsichtig ließ er sie an seinem Körper hinuntergleiten, und sie spürte, wie erregt er war. Dann fasste er sie an den Schultern und drehte sie herum, sodass sie ins Schlafzimmer sehen konnte.

Es war riesig, etwa halb so groß wie ihre gesamte Wohnung, mit wunderschönen Fensternischen und einem atemberaubenden Stuckornament in der Mitte der hohen Decke. Vermutlich war es eine Berufskrankheit, dass sie, obwohl wie von Sinnen in den Armen dieses Mannes, dazu in der Lage war, die Räumlichkeiten unter die Lupe zu nehmen. In die eine Ecke hätten wunderbar ein großer Sessel und eine Leselampe gepasst. Unter dem breiten Fenster sähe ein kleiner antiker Schreibtisch schön aus, dessen Ablage genügend Platz für Gages Laptop bot. Üppige dunkle Vorhänge sollten locker hinunter bis zum Boden fallen.

Doch da war nichts.

Keine Einrichtung.

Nicht einmal ein Bett.

Bei dem Anblick der zerknüllten Decken am Boden stöhnte sie verzweifelt. Ihr vernachlässigter Körper hatte Besseres verdient.

Sie fluchte in Gedanken. Glaubte sie. Doch Gabes Lachen machte ihr klar, dass sie wieder einmal laut gedacht hatte.

Dann glitt seine Hand über ihre Hüfte, über ihren Bauch, während sie seine Erregung an ihrem Po spürte. Gabe schob ihr Haar zur Seite, biss sie sanft in die Schulter, und sie stöhnte auf.

In seinen Armen drehte sie sich um und legte die Hände auf seine nackte Brust. Sie sah und spürte nur noch ihn, seine heiße Haut, seinen markanten Duft. Pures Testosteron. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, es lag in Dunkel und Schatten verborgen. Etwas in ihr mahnte sie zur Flucht, und ohne weiter nachzudenken, fand sie sich an der Schlafzimmertür wieder.

Doch dann stand sie starr, die Wirbelsäule an den Türpfosten gepresst. „Gabe…“

Er kam ihr nach. Lässig stützte er sich über ihrem Kopf an der Tür ab. Ihre Knie zitterten, und Gabe stand so nah, dass sie seinen Herzschlag spürte.

Ihr Brustkorb zog sich zusammen, und ihre Lungen gehorchten ihr nicht. Lange konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Und warum sollte sie auch, fuhr es ihr durch den Kopf. Wenn sie jetzt Reißaus nahm, konnte sie sich ebenso gut in ihr Singledasein fügen, sich eine Katze kaufen, den Grauen Panthern beitreten und Männern für immer abschwören. Nein …

Sie streckte die Hand aus, fuhr mit den Fingerspitzen durch sein dunkles Brusthaar. Und dann umschloss sie mit ihren Lippen sanft seine Brustwarze, fuhr mit der Zunge darüber, während sie die Hände über seinen festen Bauch gleiten ließ, über seine Hüfte, seinen Po.

Gabes Körper spannte sich, ein kehliger Laut drang tief aus seinem Inneren an ihr Ohr, während er seine Finger in ihrem Haar vergrub. Und dann küsste er sie wieder, so leidenschaftlich, dass sie alles vergaß.

Langsam fuhr Gabe mit seinen Fingern unter einen Träger ihres Tops und schob ihn zu Seite. Seine Augen waren dunkel und voller Verlangen, als er den Verschluss ihres Spitzen-BHs fand und öffnete. Fest und fordernd umfasste er ihre Brüste, streichelte die aufgerichteten Brustwarzen. Paige biss sich auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien.

Dann war seine Hand an ihrer Hüfte, sein Daumen an ihrem Nabel. Wie er den Knopf ihrer Jeans gelöst hatte, wusste sie nicht. Sie spürte nur, wie er langsam ihren Reißverschluss öffnete. Unwillkürlich umklammerte Paige seine Hüfte, während er sich mit der Hand den Weg zu ihrem Höschen bahnte.

Ein unglaubliches Lustgefühl ließ sie zusammenzucken.

Ein neuer Kuss verdoppelte diese Lust. Verdreifachte sie. Jeder Gedanke verschwamm, als sie spürte, wie er sie liebkoste und schließlich mit seinen Fingern in sie eindrang.

Sie bog sich ihm entgegen, öffnete sich seiner perfekten Berührung. Das Blut rauschte in ihren Ohren, es gab nichts mehr als das, seine Hände und ihre intimste Mitte. Stöhnend verbarg sie den Kopf an seiner starken Schulter, und dann kam sie. Ein unaufhaltsames Beben erfasste ihren Körper, von Kopf bis Fuß, wieder und immer wieder, bis es schließlich in einem warmen Summen verebbte.

Als sie zu sich kam, schmeckte sie Salz auf ihren Lippen und löste langsam die schmerzenden Finger, mit denen sie sich noch immer an Gabes Hüfte klammerte.

Verwirrt öffnete sie die Augen, als sie spürte, wie er ihr die Träger ihres Oberteils wieder über die Schulter streifte. Nein. Nein! Was machte er da? Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Es war gerade erst der Anfang!

Ihre Blicke trafen sich, und sie erkannte, wie er sich nach ihr verzehrte. Wortlos schob sie ihre Daumen unter den Bund seiner Pyjamahose, doch er hielt sie auf. „Lass uns Zeit“, flüsterte er rau. Seine Worte klangen wie ein Versprechen. Dann atmete er entschlossen aus, nahm ihre Hand und zog Paige zum Wohnzimmer, wo er ihre Schuhe aufsammelte.

„Gabe?“, fragte sie, halb entschuldigend, halb verzweifelt.

Sein Blick machte ihr klar, dass auch er sich kaum zurückhalten konnte. Sie biss sich auf die Lippe und schwieg.

Er half ihr, sich anzuziehen, bis sie wieder halbwegs gesellschaftstauglich war. „Falls der Fahrstuhl dich noch auf anderen Stockwerken ausspuckt. Ich will nicht, dass jemand auf falsche Gedanken kommt“, sagte er mit einem Lächeln.

„Aber …“

Die Lifttüren öffneten sich. Paige bemerkte, wie Gabes Kiefermuskeln arbeiteten, und sie wartete auf seinen Kuss. Schon öffnete sie die Lippen, sie atmete tiefer, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Doch Gabe drehte sich unvermittelt um und schob sie in den Aufzug. „Los jetzt. Bevor ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe.“

Nach der Wärme in seiner Wohnung war es im Fahrstuhl bitterkalt. Sie verschränkte die Arme, um so viel Wärme wie möglich zu halten. Das Rauschen in ihren Adern nicht zu verlieren, die Hitze zwischen ihren Beinen.

Was sollte sie sagen? Sorry? Danke? Bis bald dann?

Keiner von ihnen sagte noch ein Wort. Sie sahen sich einfach nur an, als sich die Türen schlossen.

Paige lehnte sich gegen die Wand. Ihre Beine schienen zu schwach, um sie noch einen Moment länger zu tragen. Eine Hand über den Augen, schüttelte sie den Kopf. Unglaublich, was da gerade geschehen war. Die Dürre ihres Sexlebens war vorbei, so viel war klar. Während der Lift sie ein halbes Dutzend Male hinunter zur Lobby und wieder hinauf brachte – jedes Mal entschlossen die achte Etage ignorierend –, versuchte Paige, sich an jedes Detail zu erinnern.

Als sich der Aufzug schließlich auf ihrem Stockwerk öffnete, atmete sie erleichtert aus.

Was für ein Tag.

Und was für ein Anfang.

4. KAPITEL

Paiges Telefon klingelte, doch sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht abheben.

Mit wild pochendem Herzen war sie aufgewacht. Ihre Beine hatten sich im Laken verfangen. Ihr Schlafzimmer war sonnendurchflutet, der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte schon nach zehn Uhr. Erst einen Augenblick später wurde ihr bewusst, dass es Sonntag war. Wow, so lange hatte sie schon ewig nicht mehr geschlafen …

Das Telefon hörte nicht auf zu klingeln.

Sie streckte eine Hand nach dem Hörer aus und hielt die andere zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht vor die Augen. Vermutlich war es ihre Mutter.

„Hi.“

„Gut geschlafen?“

Sie schluckte. Das war nicht ihre Mutter. „Gabe?“

„Ich wollte sichergehen, dass du gut nach Hause gekommen bist.“

Ihr wurde ganz schwindlig. Woher hatte er ihre Nummer? Sie hatte sie ihm nicht gegeben. Er hatte danach gesucht! Jetzt beruhige dich. Das hat nichts zu bedeuten. Er spielt einfach den Gentleman. Obwohl – das, was er letzte Nacht mit ihr angestellt hatte, war nicht wirklich gentlemanlike gewesen. Es war einfach unglaublich gewesen.

„Ich hatte es ja nicht weit. Vier Stockwerke.“

„Ich weiß.“ Seine dunkle Stimme ließ sie tiefer unter die Laken schlüpfen. „Mit einem Fahrstuhl, der macht, was er will.“

„Das glaubst du mir immer noch nicht, oder?“

„Versteh mich nicht falsch, ich will mich nicht beschweren. Ich bin dem alten Ding echt dankbar.“

Sie konnte sein verführerisches Lächeln geradezu hören. Seinen warmen Atem an ihrem Nacken spüren. Seine heißen Hände an ihrer Haut. Wie hatte sie denken können, eine einzige Nacht mit Gabe Hamilton könnte genug sein? Genug für was?

Und genau wie sie wollte auch er offenbar mehr.

Das hatte sie jetzt davon, sich blindlings in eine Affäre zu stürzen. Na ja, es war also passiert. Da konnte sie es jetzt genauso gut genießen.

„Wo bist du?“, fragte sie ihn. Bei dem Gedanken, dass er gerade vor ihrer Tür stehen könnte, wurde ihr ganz warm.

„Warum?“

„Nur so.“

„Lügnerin“, konterte er. Dieser Kerl hatte nicht nur eine verflucht scharfe Stimme, er traf auch immer den richtigen Ton. „Ich bin beim Zoll und suche dort verzweifelt nach meinem Bett.“

„Konntest du nicht schlafen?“

„Nicht gut. Und du?“

„Ganz wundervoll.“

Gabes Lachen ließ ihren Hörer vibrieren. Paige biss sich auf die Lippen, um nicht noch mehr Verräterisches preiszugeben.

„Das freut mich. Jetzt muss ich mal mit jemandem wegen des Bettes reden. Bis dann. Du weißt, wo du mich findest.“

Paige hielt den Hörer noch einen Moment ans Ohr gedrückt, bevor sie den Arm zur Seite fallen ließ. Sie starrte an die Decke, folgte dem Lichtspiel des Prismas, das an der Ecke ihres Schminktisches hing.

Er wollte wissen, ob sie gut nach Hause gekommen war. Wie nett von ihm. Doch er hatte nichts darüber gesagt, ob er sie vor der Party am Freitag noch einmal wiedersehen wollte.

Sie rollte sich auf den Bauch und drückte ihren Kopf in das dicke, weiche Kissen. Wenn er doch jetzt einfach auftauchte. Dann könnten sie da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Und sie hätte eine Chance, ihn sofort danach wieder zu vergessen. Vielleicht. Wahrscheinlich war das nicht.

Sie hatte an diesem Sonntagmorgen nichts geplant, also blieb sie liegen, schloss die Augen und stellte sich vor, er stünde tatsächlich vor ihrer Tür. In ihrer Fantasie trug er – in bester Piratenmanier – eine Augenklappe, den obligatorischen goldenen Ohrring, schwarze Lederhosen und ein weißes Hemd, das bis zum Bauchnabel offen war. Er war so groß und kräftig, dass er ihre Küche ausfüllte …

Sie riss die Augen auf und setzte sich abrupt auf, als sie sich an das Hochzeitskleid erinnerte, das immer noch über ihrem Küchenstuhl hing.

Entschlossen rieb sie sich die Augen und atmete tief aus. Dann sah sie ihr Gesicht im Spiegel ihres Schminktisches. Sie hatte sich vergangene Nacht nicht abgeschminkt. Der Lidschatten war verwischt, das Haar wild zerzaust. Und ihr Mund … Bildete sie es sich ein, oder spürte sie noch immer Gabes Kuss auf ihren Lippen?

Obwohl sie völlig derangiert aussah und trotz des Hochzeitskleides in der Küche, hätte sie ihn in die Wohnung gelassen, ohne nachzudenken. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte sie ihn sogar hineingeschleift. War sie völlig verrückt geworden?

Bis Freitag würde sie den Aufzug nicht mehr benutzen.

Gabe war auf dem Weg zu seinem Büro bei Bona Venture Capital. Während er zum 15. Stock des Geschäftshauses hinauffuhr, verglich er dessen Lift mit dem des Botany-Apartment-Komplexes. Dieser Aufzug war gut beleuchtet, groß und verlässlich. Aber er würde ihm keine blonde Versuchung vor seine Tür bringen, wie es der andere vor zwei Tagen getan hatte. Ihm war sein Hauslift tausendmal lieber.

Diese unverhoffte Abwechslung namens Paige würde der positive Höhepunkt seiner ansonsten verhassten Geschäftsreise sein.

Gabe mochte Frauen. Manche fand er regelrecht hinreißend. Von einer starken, lebensvollen Frau war er großgezogen worden – von seiner Großmutter, nachdem seine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, als er noch nicht einmal zehn Jahre alt war.

Als erwachsener Mann hatte er sich nur ein einziges Mal wirklich auf eine Frau eingelassen, und er bereute es immer noch.

Nur ungern erinnerte er sich daran. An die einzige Frau, von der er geglaubt hatte, sie zu lieben. Diese Zeit war wie ein schwarzes Loch in seiner Vergangenheit, das ihn zu verschlingen drohte, wenn er sich auf die Erinnerung einließ. Hier in Melbourne, auf dem Weg ins Büro von Bona Venture, wo alles begonnen hatte, war es fast unmöglich, sich nicht zu erinnern, doch er würde sich alle Mühe geben.

Und wenn es ihm half, sich hin und wieder in den warmen, willigen Armen von Paige Danforth zu verlieren, warum nicht?

Als die Klingel des Aufzugs ertönte, rieb er sich die Bisswunden an seiner Schulter, die von ihren Zähnen stammten. Er richtete sich auf und atmete tief durch. Der Aufzug öffnete sich und gab den Blick frei auf eine weiträumige Lobby mit schwarzem Holzboden, blutroten Wänden und freundlichem Sonnenlicht, das von überall her zu kommen schien, obwohl weit und breit keine Fenster zu sehen waren.

Gabe überprüfte die Etagenanzeige, um sicherzugehen, dass nicht plötzlich alle Aufzüge der Stadt verrücktspielten.

Erst als er den eleganten, mannshohen Schriftzug Bona Venture Capital über sich an der Wand erblickte, war er sicher, am richtigen Ort zu sein. Dies war zwar seine Firma, doch sie hatte sich völlig verändert, seit er das letzte Mal in Melbourne gewesen war. Vor zwei Jahren? Drei? Jetzt erinnerte er sich wieder daran, dass Nate in ein paar E-Mails und Anrufen einen neuen Anstrich erwähnt hatte.

Es war noch keine zehn Jahre her, seit sie mit Nates Treuhandfonds und Gabes Lebensersparnissen ihre Risikokapitalgesellschaft gegründet hatten. Ihren Businessplan hatten sie auf Servietten in einer dunklen Ecke ihrer Lieblingskneipe verfasst, während ihre Kommilitonen sich am gleichen Tisch betrunken hatten.

Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen. Am nächsten Morgen war er durch die Stadt gelaufen. Das goldene Licht der Morgensonne hatte die graue Stadt wachgeküsst. Als läge ihm die Welt zu Füßen. Als begänne endlich sein Leben.

Und in weniger als drei Jahren hatte er fast alles wieder verloren und jede freie Sekunde der vergangenen sieben Jahre damit verbracht, einen einzigen, unverzeihlichen Fehler wiedergutzumachen.

Er prüfte den teuren Fußboden mit seiner Stiefelspitze. Zum ersten Mal in sieben Jahren erlaubte er sich den Gedanken, dass er es geschafft haben könnte.

„Hey!“ Nate erschien wie aus dem Nichts neben ihm. Er musste Gabe die Überraschung angesehen haben, denn er lachte lauthals. „Was meinst du? Sieht gut aus, oder? Möchtest du dein Büro sehen?“

„Unbedingt“, sagte Gabe, obwohl es ihm seltsam vorkam, dass er ein eigenes Büro hatte, hier in diesem Gebäude, das er seit Jahren nicht betreten hatte. Doch Nates Eifer übertrug sich auf ihn. „Was für ein Büro bekommt man denn als Partner hier in diesem Schickimicki-Laden?“

Nate grinste und öffnete die Türen mit einer einladenden Geste. Dahinter lag ein gewaltiges Eckbüro mit einem glänzenden Schreibtisch aus Glas, unter dem ein dicker schwarzer Teppich lag. Und sonst nichts.

Gabe zwang sich dazu, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Nate hatte das Büro genauso eingerichtet wie seine Wohnung. Leer. Kahl. Irgendwas fehlte.

Sein Kompagnon klopfte ihm auf den Rücken. „Ich gebe dir eine Minute zum Einleben. Dreh ein paar Runden in deinem Büro.“

Und schon war er wieder verschwunden, und Gabe stand allein in dem großen, leeren Raum.

Gedankenverloren nahm er seine Mütze ab, fuhr sich durchs Haar und bemerkte, wie lang es geworden war. Er musste unbedingt zum Friseur. Das Knistern seiner Lederjacke erinnerte ihn daran, dass er wahrscheinlich der einzige Mann auf dieser Etage war, der keinen Anzug trug.

„Und genau deshalb komme ich nie hierher“, sprach er mit der Wand, die frisch getüncht war, in einem distinguierten Hellgrau. Doch ein bisschen Farbe konnte nicht rückgängig machen, was hier geschehen war. Es erdrückte ihn beinahe.

Nur ein einziges Mal hatte er nicht daran gedacht – als er Paige begegnet war. Als er sich daran berauscht hatte, wie sie vor ihm errötet war. Wie sie sich wieder und wieder auf die Unterlippe gebissen hatte. Als ihn der Duft ihrer Haut wahnsinnig gemacht und er sich nach einem weiteren Blick aus ihren blauen Augen verzehrt hatte.

Klare Sache also. In seiner Freizeit in Melbourne wollte er sich voll und ganz auf diese langbeinige Blondine konzentrieren. Und sobald seine Arbeit hier erledigt war, würde er das Weite suchen.

Nate kam mit einem Stapel Ordner im Arm zurück, den er auf Gabes Schreibtisch knallte. „Ich muss dir sicher nicht erklären, wie dringend das alles ist.“

Wortlos blickte Gabe ihn an. Nate fühlte sich plötzlich unbehaglich. Natürlich wusste er, dass die vergangenen Jahre für Gabe eine bittere Lehre gewesen waren.

„Bitte lies dich ein“, lenkte er kleinlaut ein. „Ich lege Wert auf deine Einschätzung. Gehen wir mit Bona Venture an die Börse oder nicht?“

Paige lief die Promenade entlang. Die Absätze ihrer Stiefeletten klickten rhythmisch auf dem Kopfsteinpflaster, der Wind drückte den langen Rock an ihre Beine und ließ den Wollschal an ihrem Hals flattern. Sie war so guter Laune, dass selbst die Kälte ihr nichts anhaben konnte. Was zwei Tage zuvor passiert war, in der Nacht bei Gabe, hatte ihre Sinnenfreude spektakulär gesteigert. Immer noch genoss sie jede Berührung – sogar die ihrer eigenen Kleidung.

Ihr Bauch grummelte erwartungsfroh. Der Duft frisch zubereiteter Speisen strömte aus den Restaurants an der Uferpromenade, sobald sich die Türen kurz öffneten. Sie freute sich auf ein zartes Steak mit Pommes frites, das sie sich aus der Brasserie mitnehmen wollte.

Es war ein guter Tag gewesen. Das Mädchen, das ihr jeden Morgen den Tee ins Büro brachte, hatte ihre Lieblingsmuffins dabeigehabt, gefüllt mit Himbeeren und weißer Schokolade. Das erste Produkt der Ménage-à-Moi-Sommerkollektion war angekommen und sah großartig aus: ein edler Stoff und leuchtend satte Farben, sinnlich wie aus dem brasilianischen Karneval.

Seit Langem hatte ihr die Arbeit nicht mehr so viel Spaß gemacht wie heute. Die vergangenen Monate waren mühselig gewesen. Nahezu verbissen hatte sie an ihrer Brasilien-Präsentation gearbeitet. Vieles war dabei zu kurz gekommen. Doch sie hatte es so gewollt, und letztlich war ihr Leben doch genau so, wie sie es sich immer gewünscht hatte: die tolle Wohnung, der fantastische Job, sehr gute Freunde. Was fehlte denn noch?

Ihr Handy piepte. Für einen Moment hoffte sie, es könnte eine Nachricht von Gabe sein. Doch der hatte sich seit seinem Anruf am Sonntagmorgen nicht mehr gemeldet. Der Anruf, der bei ihr so viel Energie freigesetzt hatte, dass sie ihre gesamte Küche geputzt hatte, einschließlich des Ofens.

Außerdem war ihre Handynummer nicht bei der Auskunft gelistet. Gabe konnte sie gar nicht haben. Er wusste nur die Etage, in der sie wohnte, noch nicht einmal, welches ihre Wohnung war. Natürlich hätte er es herausfinden können. Was er offenbar nicht getan hatte. Warum eigentlich nicht?

Sie schüttelte den Kopf über sich selber. Sie waren doch kein Paar. Sie hatten noch nicht einmal miteinander geschlafen. Sie nahm sich vor, sich keine Gedanken mehr über Gabe zu machen, sondern einfach abzuwarten, was passieren würde. Und wenn etwas passierte, würde sie es in vollen Zügen genießen … Von Dauer konnte es ja ohnehin nicht sein. Schon allein, weil Gabe bald wieder aus Melbourne weggehen wollte.

Dennoch wurden ihre Knie vor Aufregung weich, als sie nach dem Handy griff. Die Textnachricht kam von ihrer Mutter. Paiges Laune trübte augenblicklich ein.

Ich vermisse Dich! las sie. Paige verzog das Gesicht. Den Ton kannte sie. An manchen Tagen zerfloss ihre Mutter in Selbstmitleid und zweifelte an ihrer Entscheidung, sich von Paiges Vater getrennt zu haben.

Ich vermisse Dich auch! schrieb Paige im Weitergehen zurück. Möchtest Du zum Abendessen vorbeikommen?

Du hast doch viel zu tun. Und sicher andere Pläne.

Beim Gedanken an ihren jüngsten Plan, der lautete, Steak und Pommes frites zum Mitnehmen zu bestellen, lief Paige das Wasser im Mund zusammen. Ihr Tag war bislang wirklich perfekt gelaufen. Wenn sie ihre neue Leichtigkeit nicht gleich wieder verlieren wollte, war ein Treffen mit ihrer Mutter nicht gerade optimal.

Wie wäre es am nächsten Wochenende? schlug sie vor. Wir könnten shoppen gehen.

Prima. Ich liebe Dich, Süße.

Paige ließ das Handy wieder in ihrer riesigen Handtasche verschwinden.

Sie stand ihrer Mutter sehr nahe. Das war kein Wunder. Ihr Vater war in ihrer Kindheit selten zu Hause gewesen. Immer wieder hatte er Wochen und Monate auf internationalen Kricket-Turnieren im Ausland verbracht. Erst später hatte Paige erfahren, dass er ständig Affären gehabt hatte, während ihre Mutter mit aller Macht versucht hatte, so zu tun, als ob alles in bester Ordnung war.

Niemals würde Paige sich so ausnutzen lassen. Und schon gar nicht aus Liebe. In ihrem Leben sollte kein Mann die Macht haben, ihre Träume zu zerstören. Niemals.

Es war Feierabendzeit, und die Promenade füllte sich. Paige schob die Hände in die Jackentaschen und machte sich langsam auf den Heimweg.

Warum war sie plötzlich so mutlos? Ihr Leben war perfekt, sie hatte doch alles unter Kontrolle. Mit einem Mal wusste sie, wie sie sich selbst davon überzeugen konnte.

Gabe lag auf seiner unbequemen Couch. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, Lederjacke und Stiefel auszuziehen. Der Mond schien hell durch die bodentiefen Fenster. Geblendet schloss er die Augen.

Er hatte sich durch unendlich viele Memos, Berichte und Pro­gnosen gekämpft, die sich darum drehten, ob Bona Venture bereit für den Börsengang war. Mittlerweile hatte er keinen Zweifel mehr daran, dass es ihrer Firma besser ging denn je. Eigentlich konnte er verdammt stolz darauf sein. Und erleichtert. Stattdessen war er rastlos wie selten zuvor.

Gabe tastete nach seinen Schlüsseln. Er musste raus hier, irgendwohin, um seiner großen, leeren, leblosen Wohnung zu entkommen. Er wollte nicht mehr nachdenken. Und es gab eine Sache, die ihn jetzt ablenken könnte.

An seiner Wohnungstür hielt er inne. Er kannte nur das Stockwerk, in dem Paige wohnte, nicht aber ihre Apartmentnummer. Egal – er würde einfach an jeder Tür klopfen, bis er sie gefunden hatte.

In dem Moment, als er seine Tür öffnete, klingelte der Lift. Als ob er sie herbeigewünscht hätte, stand Paige mit rosigen Wangen vor ihm. Ihre blonden Haare, ursprünglich vermutlich ordentlich hochgesteckt, waren vom Wind zerzaust.

Er wollte einen Witz darüber machen, dass der Aufzug sein bester Freund sei, doch bei ihrem Anblick blieben ihm die Worte im Hals stecken. Sie atmete schnell, und ihre Brust hob und senkte sich heftig bei jedem Atemzug. Ganz kurz nur fuhr sie sich mit der Zunge über ihre Unterlippe, und alles in ihm verzehrte sich nach ihr. Hatte er eben noch gedacht, der Aufzug habe sie wieder zufällig zu ihm gebracht, so belehrte ihn die glitzernde Kondompackung, die sie lächelnd aus der Tasche zog und hochhielt, nun eines Besseren. Ein Kribbeln lief über seinen ganzen Körper.

Am liebsten hätte er geknurrt und Paige augenblicklich in seine Höhle gezerrt. Doch sie hatte anscheinend andere Pläne.

Sie ging durch den Flur auf ihn zu und ließ ihr Haar herunter, das nun verlockend über ihre Schultern fiel.

Im Gehen streifte sie erst ihre Stiefeletten ab, dann landete ihr Schal auf dem Boden. Schüchtern blinzelte sie und atmete tiefer, als sie mit ihren Fingern nach dem obersten Knopf ihrer Strickjacke tastete.

Gabe ballte die Fäuste und grub die Fingernägel in die Handflächen, bis es wehtat, nur um äußerlich ruhig zu wirken. Er wollte jetzt keinen Fehler machen.

Sie kam näher, ganz langsam, und öffnete dabei einen Knopf nach dem anderen. Unter der Jacke verbarg sich nur ein Spitzen-BH in Zartrosa, der ihre weiche Haut und die dunklen Brustwarzen kaum verdeckte.

Als sie vor ihm stand, streifte sie die Strickjacke von ihren Schultern und ließ sie lasziv auf einem ihrer Finger kreisen. Als er den Duft ihrer warmen Haut einsog, konnte er sich nicht mehr beherrschen.

Kurzerhand hob er Paige hoch und warf sie sich über die Schulter. Ihr Lachen hallte durch den Flur. Er trug sie in sein Apartment.

Schon ihr Anblick hatte sein Begehren entfacht. Und sobald er sie berührte, war er bereit für sie. Er musste sich zusammenreißen, um sie sanft abzusetzen. Weich landete sie mit den Füßen auf seinem Holzfußboden.

Lässig steckte sie ihm die Kondome in die hintere Jeanstasche, verweilte kurz mit ihrer Hand an seinem Po.

Er biss die Zähne zusammen, als ihre Hände sanft an seinem Oberkörper hinaufglitten.

Langsam streifte sie ihm die Jacke ab und ließ sie zu Boden fallen. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schob ihre Hände unter sein T-Shirt, um seine Brust zu berühren.

Endlich küsste sie ihn. Heiß, sanft, himmlisch. Er zog sie enger an sich. Gegen diese sinnliche, schöne Frau war er machtlos. Sein Verlangen wurde immer größer, doch dann erinnerte er sich, dass er immer noch kein Bett hatte.

Egal. Was hier fehlte, würde er mit seiner Fantasie schon wettmachen.

Rückwärts schob er sie in den Lichtkegel seiner Küche. Er musste mehr von ihr sehen. Sie atmete erschrocken ein, als er ihren Rock hochschob, doch dann streifte sie langsam ihre Seidenstrümpfe ab. Gabe sank vor ihr auf die Knie und begann, ihre Fesseln zu liebkosen, die festen Waden, die zarten Schenkel. Und er spürte, wie sie unter seiner Berührung erzitterte.

Heftig und rücksichtslos fuhr sie ihm durchs Haar, während er erst zart ihren Schoß küsste, dann mit den Lippen ihren Bauch hinaufwanderte bis zum Nabel, ihren Hüften, ihren Brüsten. Und schließlich zu ihren heißen Lippen, die ihn erwarteten.

Er hob sie auf die Arbeitsplatte, und sie erschauerte und schrie kurz auf, als ihre nackte Haut den kalten Granit berührte. Mit einem Kuss brachte er sie zum Schweigen. Drängend schlang sie ihre wundervollen langen Beine um seine Taille und zog ihn an sich.

Als er merkte, wie sehr sie ihn wollte, verlor er jegliche Kontrolle.

Ungeduldig öffnete er seine Jeans, streifte ein Kondom über und schob ihr Höschen einfach zur Seite. Sie öffnete die Schenkel und ließ ihn ein. Als sie ihn spürte, holte sie tief Atem.

Mit Augen, die dunkel waren vor Verlangen, schaute sie ihn an. Ihre Nasenflügel bebten, und ihre Wangen waren so rosig wie ihre vollen Lippen. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten, und sie schrie auf und schob ihm ihre Hüfte entgegen, damit er tiefer in sie eindringen konnte.

Es war schon wundervoll gewesen, sie zu küssen. Doch sie so zu spüren, ihre Hitze, ihre Zartheit und die Kraft, mit der ihre Muskeln ihn umfassten, das war einfach unbeschreiblich. Mühelos fanden sie den perfekten Rhythmus.

Als er seine Augen öffnete, begegneten sich ihre Blicke. Wie blaue Flammen schien ihre Iris zu lodern, hypnotisierend, verzehrend, bis er spürte, dass er kurz davor war zu kommen. Es kostete ihn alle Kraft, sich zurückzuhalten, während er weiter in sie hineinstieß. Zu sehen, wie sie den Mund öffnete, ihr Blick glasig wurde, zu hören, wie ihr Atem sich in ein Keuchen verwandelte, und zu spüren, wie sie ihre Finger in seinen Rücken krallte, als sie schließlich kam, raubte ihm fast den Verstand. Einen Augenblick hielt er in der Bewegung inne. Dann durchfuhr ihn ein Feuerwerk der Lust. Heiß und hart und unaufhaltsam.

Als er wieder zu sich kam, bebte Paige in seinen Armen. Die kühle Luft auf seiner verschwitzten Haut brachte ihn zur Besinnung. Sanft hob er sie von der Arbeitsplatte und umarmte sie, bis sie aufhörte zu zittern.

Er schaute sie an, die Frau in seinen Armen. Diese kühle Blondine, in deren Innerem sich so viel Wildheit verbarg. Es war genau das, was er brauchte, gerade jetzt.

Er atmete ein, um etwas zu sagen. Doch sie verschloss ihm den Mund mit einem Kuss. Weich, sinnlich und beruhigend.

Dann fuhr sie mit ihren Fingernägeln leicht über seine unrasierte Wange, stand auf und zog sich ihren Rock an. Wortlos ging sie durch die offene Tür in den Flur und suchte sich ihre Kleidung zusammen. Als sie sich wieder angezogen hatte, steckte sie ihre Haare hoch.

Und dann war sie auch schon im Aufzug. Die Türen schlossen sich. Sie war fort.

Seine Hose hing Gabe immer noch um die Knöchel.

„Meine Güte“, stöhnte er und fuhr sich übers Gesicht. Was für ein Auftritt. Verdammt heiß. Sie hatten kein einziges Wort miteinander gewechselt.

Er zog sich die Jeans hoch, ohne sie zuzuknöpfen, und lehnte sich erschöpft gegen die Arbeitsplatte. Dabei stellte er sich vor, wie sie gerade im Aufzug stand, erhitzt, die Kleidung zerknittert, die Lippen geschwollen. Und allein bei dem Gedanken an Paige erwachte sein Verlangen von Neuem.

Gabe stand auf und machte sich auf den Weg zur Dusche. Beinahe wäre er über seine Laptoptasche gestolpert, die er nicht geöffnet hatte, seit er nach Hause gekommen war. Genauer gesagt, hatte er sie den ganzen Tag noch nicht geöffnet.

Er konnte sich an keinen einzigen Tag in den letzten Jahren erinnern, an dem er nicht vor seinem Computer gesessen und wie besessen an der nächsten großen Geschäftsidee gearbeitet hätte. Unablässig hatte er sein Hirn mit Zahlen, Daten und Fakten malträtiert, damit ihm kein Fehler unterlief.

Seine Großmutter hatte ihn zu einem harten Arbeiter erzogen. Es war immer sein Ziel gewesen, sie stolz zu machen. Und seit er so spektakulär gescheitert war, war kein Tag vergangen, an dem er nicht mit aller Macht versucht hatte, diesen einen Fehler wiedergutzumachen. Zwar hatte er nie wieder eine solch geniale Idee gehabt wie die der Gründung von Bona Venture. Doch immerhin waren ihm die Dinge nie mehr entglitten.

Die Unruhe von vorhin war verschwunden. Bona Venture ging es nicht nur gut, sondern bestens. Und er hatte gerade unglaublich guten Sex mit einer schönen Frau gehabt. Es grenzte an ein Wunder, dass auch sie anscheinend nichts als ein Abenteuer suchte.

Und wenn er sich nicht hin und wieder etwas Spaß gönnte, ergab all die Arbeit überhaupt keinen Sinn.

Noch immer beschwingt, wartete Paige am nächsten Nachmittag im Foyer auf den Aufzug. Sie fragte sich, woher, um Himmels willen, sie den Mut gehabt hatte, in die Wohnung eines Typen zu gehen, für ihn zu strippen, ihn zu vernaschen und dann wieder abzuhauen.

So etwas hatte sie noch nie gemacht, doch sie musste zugeben, dass es ihr gefiel. Nach Jahren der Vorsicht tat es gut, etwas draufgängerischer zu sein. Die Welt erschien ihr leichter, heller und bunter, und Paige fühlte sich voller Elan. Selbst bei der Arbeit hatte ihre Hochstimmung angehalten.

Vielleicht sollte sie sich ab jetzt öfter mal eine Affäre gönnen! Sie würde einfach nach jemandem Ausschau halten, der verloren und allein wirkte, zum Beispiel am Flughafen oder in einem Café. Und zack, hätte sie den nächsten Fisch an der Angel. Ihr nächstes Abenteuer der Sinne.

Sie kicherte noch vor sich hin, als der Aufzug sich öffnete. Doch als sie Gabe vor sich im Lift sah, vergaß sie ihre amourösen Zukunftspläne. Seine dunklen Augen leuchteten auf, als er sie sah. Sie konnte nicht verhindern, dass sie heftig errötete.

Eigentlich hatte sie keinen Grund, verlegen zu sein. Obwohl – vielleicht schuldete sie ihm noch einen Orgasmus. Sie betrat den Aufzug, spürte seinen Blick und wollte ihn gerade daran erinnern, dass …

„Guten Tag, Ms Danforth“, grüßte eine weibliche Stimme.

Erschrocken schaute Paige zur Seite. Sie hatte nur Augen für Gabe gehabt und Mrs Addable vom neunten Stock schlicht übersehen. Die alte Dame lächelte sie an und streichelte Randy, ihren Kater. Randys Fell hatte die gleiche dunkelgraue Farbe wie die von Mrs Addables Haar.

„Hallo, Mrs Addable“, murmelte Paige und zwängte sich in die freie Ecke des Fahrstuhls. Gabe blickte sie nicht an, doch sie konnte seine Wärme spüren. „Alles okay mit Randy?“

Die Nachbarin verdrehte die Augen. „Er hat beschlossen, dass sein Katzenklo zu langweilig ist. Daher müssen wir jetzt viermal täglich runter zum Garten neben dem Parkplatz.“

Mrs Addable ließ den Blick prüfend von Paige zu Gabe gleiten, der ruhig und aufrecht dastand. Die Augen der alten Dame leuchteten auf.

„Sie sind Gabe Hamilton.“

„Das stimmt“, antwortete Gabe ruhig.

Beim Klang seiner Stimme musste Paige schlucken. Sie musste daran denken, wie sein Atem ihre Wange gestreift hatte, als er in ihr war.

„Gloria Addable aus 9B. Ich hab gehört, wie Sam, der Hausmeister, neulich mit einem der Hausbewohner über Sie gesprochen hat.“

„Nett, Sie kennenzulernen, Gloria.“

„Ebenso, Gabe.“

Kein Mr Hamilton, dachte Paige. Sie lebte schon seit zwei Jahren in dem Haus, und bis auf Randy sprach sie niemanden mit Vornamen an. Und der Kater hatte keinen Nachnamen.

„Sam meinte, Sie haben Ärger mit Ihrem Bett?“ Mrs Addable schaut auf die wechselnden Etagennummern auf der Anzeige und streichelte Randy, der zu schnurren begann.

„Richtig. Aber bislang ging es auch ohne“, meinte Gabe ungerührt und richtete sich auf.

Paige starrte wie vom Donner gerührt vor sich hin und traute sich nicht, ihn anzublicken. Aber sie spürte, wie ihr Herzschlag im gleichen Rhythmus mit seinem ging.

„Ich habe eine Matratze übrig, die ich Ihnen hochbringen lassen kann. Sie ist relativ schmal, nur für eine Person, aber …“

Während Mrs Addable sich über die Vorzüge ihrer Matratze ausließ, spürte Paige, wie Gabe näher kam. So nah, dass sie das Leder seiner Jacke an ihrem Ärmel spüren konnte, als sie das nächste Mal einatmete.

„Vielen Dank, aber mein Bett ist heute Morgen angekommen“, sagte er.

„Wirklich?“, entfuhr es Paige.

Mrs Addables triumphierendes Schnauben bemerkte sie kaum. Gabes Augen ließen sie nicht los.

„Der Lastenaufzug scheint weniger Macken zu haben“, sagte er leise. Paige hörte die leise Belustigung in seiner Stimme.

„Das ist gut“, erwiderte sie hastig, „für Sie, meine ich.“

Gabes Mundwinkel zuckten, und Paige wusste: Wenn er jetzt lächelt, ist es um mich geschehen.

„Ich freue mich auch – für mich.“

Der Aufzug klingelte. Als die beiden Frauen sich dem Ausgang zuwandten, berührte Gabe kurz und kaum merklich ihre Fingerspitzen. Es durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag.

Die Aufzugtüren öffneten sich und gaben den Blick frei auf den leeren Flur des vierten Stocks. Niemand hatte für dieses Stockwerk gedrückt.

Mrs Addable seufzte. „Ist okay, Randy. Wir kommen schon noch nach Hause.“

Während der nächsten zehn Minuten, in denen der Fahrstuhl hinauf- und hinunterfuhr, biss sich Paige auf die Unterlippe und kämpfte dagegen an, laut aufzustöhnen, während Gabes Daumen Kreise in ihre Hand malte, wieder und wieder.

Und zum ersten Mal, seit sie eingezogen war, war sie dem unberechenbaren Lift dankbar.

5. KAPITEL

Am Abend von Gabes Einweihungsfest dauerte es sage und schreibe eine Viertelstunde, bis der Fahrstuhl auf Paiges Etage hielt. Quälend lange Minuten, in denen sie sich viel zu viel Gedanken über ihr Kleid machte. Über ihre Frisur. Und über ihren Verstand.

Sie war nervös und dünnhäutig. Nach einigen Nächten mit Gabe in seinem monddurchfluteten Loft bestand kein Zweifel, dass dies die schärfste, aufregendste und heimlichste Affäre ihres Lebens war. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich heute begegnen würden, in der Gesellschaft von vielen Partygästen.

Paige schlüpfte in den Aufzug. Eine Gruppe attraktiver junger Frauen machte ihr Platz. Sie kannte keine von ihnen. Woher auch? Außerhalb des Schlafzimmers hatten Gabe und sie ja bisher nichts miteinander zu tun gehabt.

Und das war auch gut so. Perfekt. So blieb es eine lockere Affäre.

Sie wünschte sich nur, vorher einmal mit ihm über die Party gesprochen zu haben, um zu wissen, was sie erwartete. Würden sie und Gabe sich wie Fremde verhalten? Oder wie freundliche Nachbarn? Oder würden sie sich den ganzen Abend lang meiden?

Genau deshalb mag ich Dinge klar und einfach, dachte sie. Dieses nervöse Grummeln im Bauch war einfach schrecklich.

Je weiter der Aufzug nach oben fuhr, desto lauter wurde das Whump-Whump-Whump der Musik, was ihre Aufregung nur noch mehr steigerte. Die Tür öffnete sich, und Stimmengewirr, Gläserklirren und Billy Idols „Hot in the City“ schallten aus Gabes Wohnung.

Paige holte tief Luft, strich sich über ihr neues weißes Kleid und schob eine Haarsträhne zurück. Dann hob sie entschlossen das Kinn und ging hinein.

Überraschenderweise kannte sie viele der Gäste. Mrs Addable und einige andere Nachbarn standen an den Fenstern und genossen die Aussicht. Paige erkannte ein paar Mädchen aus Unizeiten und sogar den einen oder anderen Typen, mit dem sie schon mal geflirtet hatte. Sie fühlte unwillkürlich eine leise Enttäuschung in sich aufsteigen. Sie war nichts Besonderes für Gabe, und das wollte sie ja auch gar nicht sein.

Es war ihr fast gelungen, sich selbst davon zu überzeugen, als sie trotz des Gedränges den riesigen neuen rot-grauen Teppich auf dem Fußboden entdeckte. Und eine hohe Vase mit chinesischem Muster. Tische und Stühle. Gabe hatte sich eingerichtet. Und zwar komplett mit der aktuellen Ménage-à-Moi-Kollektion. Sie war vollkommen überrascht.

Ihr Nacken begann zu kribbeln, und sie spürte, dass sie beobachtet wurde. Sie drehte sich suchend um und begegnete einem vertrauten Paar sehr dunkler Augen.

Autor

Gina Wilkins
Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden! Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt seitdem...
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Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
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<p>India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills &amp; Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
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