Noch eine Chance für das Glück

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Claire ist die Richtige für ihn! Das hat Levi vom ersten Moment an gespürt. Aber ist ihre junge Ehe wirklich so glücklich, wie er glaubt? Als Claire ihn überraschend verlässt, fällt er aus allen Wolken. Schon bald bietet sich allerdings noch eine Chance, sie zurückzugewinnen …


  • Erscheinungstag 11.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778279
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst.“

Verwirrt starrte Levi Wyatt seine Frau an, mit der er seit zwei Jahren verheiratet war. Kaum hatte er ihr Zimmer in der Pension betreten, hatte Claire ihm eine Standpauke verpasst.

Zugegeben, es war fast Morgengrauen, und so lange war er noch nie weggeblieben. Aber das war kein Grund, so wütend zu sein.

So hatte er seine Frau noch nie erlebt.

Levi war zuverlässig, fleißig und ehrgeizig und erst vor Kurzem zum Filialleiter eines Möbelmarkts befördert worden. Daher arbeitete er meistens sogar an den Wochenenden, aber an diesem, dem des 4. Juli, hatte er sich freigenommen, um Claire zu einer Hochzeit in Rust Creek Falls zu begleiten. Er hätte auch zu Hause bleiben können, aber Claire schien es sehr wichtig zu sein, dass er mitkam. Ihre Großeltern besaßen in der Nähe eine Pension und hatten sie dort untergebracht.

Die Hochzeit fand im Park der kleinen Stadt statt, und es war ein toller Nachmittag. Nach dem Empfang hatten einige Männer sich spontan zu einer Pokerpartie verabredet. Levi wusste nicht mehr genau, warum, aber er hatte mitgespielt.

Melba Strickland, Claires Großmutter, passte auf ihre acht Monate alte Tochter Bekka auf, und Claire unterhielt sich auf dem Empfang angeregt mit einer Bekannten.

Deshalb hatte Levi die Gelegenheit genutzt, um endlich einmal etwas Dampf abzulassen. Nur für eine Stunde – höchstens zwei.

Es hatte länger gedauert.

Viel länger.

Doch das war noch lange kein Grund, dass Claire so explodierte.

„Du verstehst nicht, warum ich mich aufrege?“, entgegnete sie aufgebracht. Bisher hatte sie sich ihre wachsende Unzufriedenheit nie anmerken lassen. Sie hatte sich immer unter Kontrolle gehabt. Nie hatte sie sich ohne Make-up oder tadellos frisiertes Haar sehen lassen. Ein perfektes Erscheinungsbild war ihr sehr wichtig gewesen.

Aber an diesem Abend bekam es Risse. Vielleicht lag es auch daran, dass sie ein Glas zu viel von der Hochzeitsbowle getrunken hatte. Warum auch immer, als Levi ihr Zimmer betrat, machte sie ihrem Unmut Luft.

„Nein“, antwortete er. „Ich verstehe es wirklich nicht. Ich habe in letzter Zeit jede Menge Überstunden gemacht und bin nur hergekommen, weil du zu dieser Hochzeit wolltest. Als ein paar Leute sich zum Pokern verabredet haben, dachte ich mir, es schadet niemandem, wenn ich mich mal etwas entspanne und …“

„Du dachtest, es schadet niemandem?“, wiederholte Claire ungläubig und kniff die Augen zusammen. „Ja, natürlich dachtest du das. Dann will ich dir mal erklären, wem es geschadet hat. Mir! Weil du mich einfach allein gelassen hast – mal wieder!“

„Mal wieder? Was soll das heißen?“, fragte er fassungslos. „Wovon redest du? Wann habe ich allein gelassen?“

Meinte er das ernst? Er konnte unmöglich so ahnungslos sein, wie er sich gab, oder doch? „Wann hast du mich denn nicht allein gelassen?“, konterte sie aufgebracht. „Dauernd fährst du zu irgendwelchen Verkaufsbesprechungen. Und wenn es keine Besprechungen sind, ist es ein Seminar.“ Sie sprach das Wort aus, als hätte es einen üblen Beigeschmack. „Ich sehe dich praktisch gar nicht mehr.“

Levi spürte, wie auch er wütend wurde. Das passierte ihm fast nie. Normalerweise ertrug er die Stimmungsschwankungen seiner Frau eher gelassen, aber in diesem Moment hatte er genug davon. „Du siehst mich jetzt.“ Er breitete die Arme aus. „Ich stehe vor dir.“

Machte er sich über sie lustig? „Du weißt, was ich meine.“

„Nein, das weiß ich eben nicht. Ich fahre zu den Besprechungen und Seminaren, weil es zu meinem Job gehört. Ich tue es für dich und das Baby.“

„Du tust es, um von mir und dem Baby wegzukommen“, widersprach Claire.

Levi atmete tief durch und gab auf. „Du bist müde und weißt nicht, was du da behauptest.“

Ihre großen braunen Augen, in die er sich bei ihrer ersten Begegnung verliebt hatte, schossen Pfeile auf ihn ab. „Ach, jetzt bin ich auch noch verrückt?“

Woher kam das denn? „Das habe ich nicht gesagt.“ Sie dreht einem jedes Wort im Mund um, dachte er hilflos.

„Vielleicht hast du es nicht ausgesprochen, aber gedacht“, gab Claire zurück. „Ich bin nicht verrückt, aber wenn ich es wäre, könnte mir niemand einen Vorwurf daraus machen. Den ganzen Tag lang rede ich nur mit einem Baby, das Koliken hat und dauernd weint. Versteh mich nicht falsch, Levi, ich liebe Bekka, aber du bist nie da.“

„Ich komme jeden Abend nach Hause.“

„Ja, du kommst nach Hause“, gab sie zu. „Aber nur, um ins Bett zu fallen und schon einzuschlafen, bevor dein Kopf das Kissen berührt.“

„Ich arbeite jeden Tag sehr lange, Claire, deshalb bin ich eben müde.“

Sie straffte die Schultern. „Ich etwa nicht?“

Frustriert hob Levi die Hände. Er hatte länger als beabsichtigt Karten gespielt und auch noch Geld verloren. Er wusste nicht, warum er sich dazu hatte hinreißen lassen, aber trotzdem fand er Claires Vorwürfe übertrieben. „Lass uns jetzt nicht darüber streiten“, bat er. „Es tut mir leid, okay?“

„Nein, es ist nicht okay – und es tut dir nicht leid. Aber mir tut es leid, dass ich dir jemals begegnet bin. Und dass ich dich auch noch geheiratet habe!“

Levi blieb fast die Sprache weg. „Claire, was sagst du da?“

Ihre Wangen waren gerötet. „Ich sage, dass es vorbei ist. Ich habe einen Fehler begangen. Wir haben beide einen Fehler gemacht. Wir hätten nicht heiraten dürfen.“

Das alles, weil er zu lange bei einer Pokerrunde geblieben war? Er traute seinen Ohren nicht. „Claire …“

„Raus!“, rief sie, ging um ihn herum und schob ihn zur Tür. „Verschwinde!“

„Claire …“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Jetzt!“, schrie sie.

Als er auf dem Flur stand, nahm sie ihren Ehering ab. „Hier! Den will ich auch nicht mehr!“, sagte sie und warf ihm den Ring vor die Füße. Dann knallte sie die Tür hinter ihm zu.

Levi hörte, wie sie abschloss. Es gab nur einen Schlüssel, und den hatte Claire.

Wie benommen starrte er auf die Tür und fragte sich, ob das hier ein Albtraum war. Was zum Teufel war bloß mir ihr los? Er hatte nicht die leiseste Ahnung.

Als er langsam davonging, hörte er, wie Bekka zu weinen begann.

1. KAPITEL

Es lag jetzt einen Monat zurück, dass Claire ihn aus ihrem Pensionszimmer geworfen hatte, aber er wusste immer noch nicht genau, wie es dazu gekommen war. Er wusste nur, dass er seine Frau zurückhaben wollte.

Er vermisste sie.

Sie und das Baby.

Mehr, als er es jemals für möglich gehalten hätte.

Quasi über Nacht hatte sich seine geordnete Welt in ein einziges Chaos verwandelt, und er fühlte sich schrecklich. Mit Claire hatte sein Leben einen Sinn gehabt, aber jetzt brachte er die Tage nur irgendwie hinter sich. Natürlich erschien er jeden Morgen pünktlich im Möbelmarkt, aber seine gewohnte Energie und Tatkraft war verschwunden.

Ohne Claire erschien ihm alles sinnlos.

Warum hatte sie sich von ihm getrennt? Er hatte doch nur mit einigen Männern gepokert, die er auf der Hochzeit getroffen hatte. Er hatte nicht mit einer anderen Frau geflirtet.

Er kannte genug Männer, die ihre Frau betrogen, weil sie sich in ihrer Ehe „eingeengt“ fühlten und angeblich eine „Abwechslung“ brauchten. Aber so war er nicht, und bisher hatte er geglaubt, dass er eine glückliche Ehe führte.

Als Claire damals in ihrem süßen Sommerkleid vor dem Schaufenster des Möbelgeschäfts gestanden hatte, war er zu ihr nach draußen gegangen und hatte ihr gesagt, dass die Garnitur, die sie gerade betrachtete, ein Sonderangebot war. Das stimmte nicht; er hatte es sich ausgedacht, um mit ihr reden zu können. Denn er hatte sich sofort in sie verliebt.

Hätte sie die Möbel tatsächlich gekauft, dann hätte er die Differenz aus eigener Tasche bezahlen müssen, aber das hätte er gern getan. Sie war es wert gewesen. Von dem Tag an hatte er nur noch Augen für Claire Strickland gehabt. Einen Heiratsantrag hatte er ihr erst gemacht, nachdem sie mit dem College fertig gewesen war. Er hatte nicht schuld daran sein wollen, dass sie ihr Studium abbrach.

Und jetzt hatte er sie verloren … und wusste noch immer nicht, warum.

Einer der Männer in der Pokerrunde hatte sein Haus verspielt. Wie hätte Claire reagiert, wenn er so etwas getan hätte?

Levi hatte gehofft, dass ihr Zorn auf ihn sich gelegt haben würde, wenn sie erst wieder zu Hause waren. Aber sie hatte sich und Bekka von ihrer Großmutter fahren lassen, und als er dort angekommen war, lagen seine Sachen auf dem Rasen vor ihrer Wohnung.

Die Botschaft war eindeutig.

Es war vorbei.

Aber das wollte er nicht. Auf gar keinen Fall!

Vielleicht brauchte Claire nur etwas Zeit; daher bedrängte er sie nicht. Im Gegenteil, er ging auf Abstand und schlief im Lager des Möbelmarkts. Oder in seinem Pick-up. Es war August, und wenigstens brauchte er nicht zu frieren.

Claire kam nie zu ihm in den Laden und nahm auch nicht ab, wenn er anrief. Sie benahm sich, als gäbe es ihn gar nicht.

Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und fuhr zu der Wohnung, in der sie seit drei Jahren lebten. Doch als er vor dem Haus hielt, sah er, dass dort kein Licht brannte. Nervös schloss er die Tür auf und betete, dass er sich irrte. „Claire? Claire, ich bin es. Levi. Dein Mann!“, rief er. Niemand antwortete. „Claire, wo bist du?“

Noch immer nichts. Nichts als das Echo seiner eigenen Stimme.

Er ging von Zimmer zu Zimmer. Seine Frau und sein Baby waren fort.

Er holte das Handy heraus, um Claires Eltern anzurufen. Aber dann zögerte er.

Peter und Donna Strickland waren nicht begeistert gewesen, dass ihre Tochter sich mit einem Mann einließ, der deutlich älter war als sie und noch dazu keinen College-Abschluss hatte. Es hatte viel Mühe gekostet, ihre Bedenken auszuräumen.

Wenn er sie jetzt nach Claire fragte, würden sie wissen, dass ihre Tochter Eheprobleme hatte. Er hatte das Gefühl, dass Claire ihren Eltern nichts davon erzählen würde. Denn damit würde sie bestätigen, dass die beiden recht gehabt hatten und er tatsächlich nicht gut genug für ihre Tochter war.

Blieben noch ihre älteren Schwestern Hadley und Tessa, aber die lebten in Bozeman, Montana. Außerdem würde Claire ihnen gegenüber niemals zugeben, dass ihre Ehe in Gefahr war.

Plötzlich wurde ihm klar, wo sie und das Baby sich aufhielten. Ihre Großmutter Melba war eine lebhafte, energische Frau, die vier Kinder großgezogen hatte und noch immer berufstätig war. Sie und ihr Mann Gene betrieben das Strickland Boarding House, in dem er und Claire zuletzt übernachtet hatten. Claire bewunderte ihre Großmutter, und der knurrige Gene Strickland vergötterte seine Enkelin und deren kleines Mädchen.

Levi war von Natur aus zurückhaltend. Er hatte noch nie andere Menschen um Hilfe gebeten, aber in so einer Situation hatte er auch noch nie gesteckt. Er wollte seine Frau und seine Tochter zurück, und das war ihm wichtiger als sein Stolz.

Er würde Claire zurückholen, was immer er dafür tun musste. Ja, er würde es schaffen.

Langsam schaute er sich in der Wohnung um. Claires Sachen waren weg. Ihre Seite des Kleiderschranks war leer. Jetzt, da sie ausgezogen war, konnte er wieder einziehen. Es wäre wesentlich bequemer als im Lager oder auf der Ladefläche seines Pick-ups. Aber er wollte Claire möglichst nahe sein. Höchstwahrscheinlich war sie in der Pension ihrer Großeltern untergekommen. Also musste er auch mit ihnen reden.

Ihre Großmutter war nicht gerade ein Fan von ihm, aber mit Gene verstand er sich ganz gut. Wenn er den Mann auf seine Seite ziehen konnte, hatte er eine Chance, Claire zurückzugewinnen.

Nach einem letzten Blick auf die leere Wohnung schloss er die Tür ab – und hoffte inständig, dass es nicht das letzte Mal war.

Wie habe ich mich über Nacht aus der Märchenprinzessin in Aschenputtel verwandelt? Das fragte Claire sich zum wiederholten Mal, seit ihre Großeltern sie aufgenommen hatten. Sie dachte daran, wie ihre Großmutter sie an jenem Tag angesehen hatte. Melba Strickland war nie sentimental, aber immer fair und loyal gewesen, und allein darauf kam es in ihrer Lage an.

„Ist mit deiner Wohnung etwas nicht in Ordnung?“, hatte ihr Großvater wissen wollen.

Claire brach in Tränen aus. „Ich habe keine Wohnung mehr, Grandpa. Ich habe Levi verlassen.“

„Ihn verlassen?“ Gene nahm ihr die zappelnde Bekka ab und warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Du meinst, ihr habt euch gestritten?“

Claire schüttelte den Kopf. Nach einem Moment hob sie die linke Hand, an der der Ehering fehlte. „Nein, wir haben uns nicht nur gestritten, Grandpa. Levi und ich haben uns getrennt.“ Sie holte tief Luft, bevor sie es aussprechen konnte. „Wir lassen uns scheiden.“

„Das ist ein großes Wort“, sagte Gene. „Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“

Melba runzelte verärgert die Stirn. „Natürlich weiß sie das.“ Sie sah ihre Enkelin an. „Was ist passiert, Claire? Hat er dich schlecht behandelt?“ Ihre Miene verfinsterte sich. „Er hat dich doch nicht geschlagen, oder? Sonst bringt dein Großvater ihn um.“

„Nein, geschlagen hat er mich nicht.“

„Was ist dann passiert? Warum willst du dich scheiden lassen?“

Claire schüttelte wieder den Kopf. Sie wollte nicht erzählen, was vorgefallen war. Wahrscheinlich würde sie sonst zusammenbrechen. „Das spielt jetzt keine Rolle mehr, was genau passiert ist. Wir lassen uns scheiden. Es ist vorbei“, sagte sie mit versagender Stimme.

Melba warf ihrem Mann einen wissenden Blick zu, bevor sie Claire ansah. „Das habe ich doch gleich gesagt. Du warst viel zu jung, um zu heiraten. Du hast dein Leben noch gar nicht richtig genießen können. Nach dem College hättest du dich in der Welt umschauen sollen, anstatt dir mit einer Ehe und einem Baby Fesseln anzulegen.“

„Melba“, warf Gene warnend ein.

„Sie war einfach noch nicht bereit“, beharrte sie und nahm ihre Enkelin in die Arme. „Oh. Claire. Eine Ehe ist kein magischer Zustand, in dem alles gut wird. Im besten Fall ist sie ein Projekt, an dem man dauernd arbeiten muss.“

„Stimmt.“ Gene grinste. „Die ersten hundert Jahre sind die härtesten. Danach wird es einfacher. Aber es kostet viel Zeit und Mühe.“

„Dein Rat kommt zu spät, Grandpa. Ich habe Levi hinausgeworfen.“ Das war jetzt zwei Tage her. „Es ist vorbei.“

„Wenn du ihn hinausgeworfen hast, warum bist du dann hier?“, fragte Melba verwirrt.

„Es ist seine Wohnung. Ich kann dort nicht bleiben. Wohin ich auch schaue, die Küche, der Schrank, unser Schlafzimmer, ich sehe immer nur ihn. Das halte ich nicht aus.“

„Du kannst so lange bei uns bleiben, wie du willst“, versprach Gene. „Zufällig haben wir ein paar freie Zimmer, und deine Großmutter und ich haben schon lange keine kleinen Füße mehr gehört.“

„Bekka ist erst acht Monate alt, Grandpa. Sie kann noch nicht laufen.“

„Aber das wird sie“, erwiderte er. „Und wenn es so weit ist, sind wir da und passen auf, dass sie sich nicht wehtut, nicht wahr, Mel?“ Er drehte sich zu seiner Frau.

„Natürlich. Und die Pension betreibt sich von selbst“, antwortete Melba sarkastisch.

Gene schüttelte den Kopf. „Achte nicht auf deine Großmutter. Sie sieht immer nur das Negative, ich das Positive.“ Er zwinkerte Claire zu. „Deshalb funktioniert unsere Ehe.“

„Deshalb ist dein Großvater ein hoffnungsloser Optimist“, verbesserte Melba.

„Wie gesagt, du kannst so lange hierbleiben, wie du willst.“ Mit Bekka auf dem Arm zeigte er zur Treppe. „Komm schon, wir bringen dich und die Prinzessin unter.“

„Ich bezahle das Zimmer“, sagte Claire.

„Das tust du nicht“, widersprach Gene. „Familienangehörige zahlen nie.“

„Aber Familienangehörige helfen mit“, warf Melba ein. „Wir finden schon etwas, was du hier tun kannst, Claire.“

„Was immer gerade anfällt“, bot Claire an.

„Wie steht es um deine Kochkünste?“, fragte ihre Großmutter. „Ich brauche jemanden, der einspringen kann, wenn Gina anderswo zu tun hat.“

„Alles, nur das nicht“, sagte Claire. „Kochen kann ich noch immer nicht sehr gut. Aber ich kann Betten machen.“

„Dies ist eine Pension, Claire, kein Luxushotel. Die Gäste machen ihre Betten selbst“, informierte Melba sie.

„Keine Sorge.“ Gene legte den freien Arm um die Schulter seiner Enkelin. „Uns fällt schon etwas ein, was du tun kannst, bis du auf eigenen Beinen stehst.“

Claire hatte geseufzt und sich bei ihm angelehnt, wie sie es als kleines Mädchen immer getan hatte. „Das hoffe ich“, sagte sie und versuchte zuversichtlich zu klingen. „Das hoffe ich wirklich.“

„Du verwöhnst sie“, sagte Melba Strickland mit gerunzelter Stirn und vorwurfsvollem Blick.

„Sie?“, wiederholte ihr Mann mit Unschuldsmiene.

„Ja, sie, Claire. Stell dich nicht so dumm“, warnte Melba scharf. „Du weißt genau, dass ich von deiner Enkelin rede, Gene.“

Er legte den Stift hin. Die Inventurliste musste warten. „Claire macht gerade eine harte Zeit durch, Mel.“

„Das weiß ich. Und um die durchzustehen, braucht sie ein Rückgrat. Du darfst sie nicht behandeln, als wäre sie aus Watte. Ihre Eltern waren nicht streng genug. Ich hätte ihr niemals erlaubt, diesen Mann zu heiraten.“

„Sie war keine Minderjährige mehr, Mel“, erinnerte er sie sanft. „Sie hatte das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen.“

Melba warf die Hände in die Luft. „Und was hat es ihr eingebracht?“

„Die Geschichte ist noch nicht vorbei. Es gibt einen zweiten Akt. Ich weiß es.“ Gene sah seiner Frau in die Augen. „Nicht jeder hat einen so eisernen Willen wie du.“ Er beugte sich vor und küsste sie auf die Schläfe. „Aber ich appelliere an die Geschäftsfrau in dir.“

Verwirrt sah sie ihn an. „Was soll das denn heißen?“

„Du bist doch eine gute Geschäftsfrau, oder, Mel?“

„Ich glaube schon“, erwiderte sie vorsichtig. „Okay, heraus damit. Worauf willst du hinaus?“

„Als gute Geschäftsfrau verdienst du gern Geld, stimmt’s?“

„Ja, natürlich“, bestätigte sie ungeduldig. „Komm endlich auf den Punkt.“

„Eine gute Geschäftsfrau würde sich nicht durch Vorurteile davon abhalten lassen, einen ansehnlichen Profit zu machen.“

Levi hatte darauf bestanden, für ihr Zimmer mehr als ein normaler Gast zu bezahlen.

Melba musterte ihren Mann misstrauisch. „Spann mich nicht auf die Folter, Gene. Spuck es aus, ja?“

„Du hast doch bestimmt nichts dagegen, dass ich unser letztes freies Zimmer zu einem weitaus höheren Preis vermietet habe.“

„Heraus damit! An wen hast du das Zimmer vermietet?“ Noch bevor Gene antworten konnte, begriff sie und starrte ihn entsetzt an. „Oh nein, du hast es doch nicht etwa …“ Sie traute sich nicht, es auszusprechen.

„Doch. Ich habe es an Levi vermietet“, verkündete er in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er den jungen Mann auf keinen Fall wieder hinauswerfen würde.

„Hast du den Verstand verloren?“, fragte seine Frau fassungslos.

„Nein, absolut nicht.“

„Warum benutzt du ihn dann nicht?“

„Das habe ich“, beharrte er. „Meinen Verstand und mein Herz.“

„Claire ist hergekommen, weil sie von dem Mann weg wollte. Oder hast du das vergessen?“

„Nein, das habe ich nicht vergessen“, antwortete er gelassen. „Seit wann duldest du Feigheit?“

„Was redest du da?“, entgegnete Melba hitzig. „Ich habe noch nie Feigheit geduldet.“

Er bedachte sie mit einem skeptischen Blick. „Nein? Wie würdest du es denn nennen, wenn jemand vor einer kritischen Situation davonläuft, anstatt sich ihr zu stellen?“

Melbas Stirnrunzeln vertiefte sich. „Wir wissen beide, dass Claire zu jung geheiratet hat“, sagte sie nach einem Moment.

„Wenn ich mich recht erinnere, war sie so alt wie du damals, als wir beide geheiratet haben.“

„Das kann man nicht vergleichen. Ich war viel reifer.“

„Das mag sein“, gab er zu. „Aber Levi ist ein guter Mann, Mel, und er liebt Claire.“

„Liebe allein reicht nicht.“

Gene lächelte. „Auch das mag sein, aber die Liebe hat uns etwas gegeben, auf das wir uns in den langen, kalten Nächten freuen konnten, erinnerst du dich?“

Melba presste die Lippen zusammen und verpasste ihrem Mann einen Klaps auf den Arm. Sie fühlte, wie ihre Wangen sich erwärmten. „Benimm dich, Gene.“

Er lachte. „Das willst du gar nicht.“

Der hingebungsvolle Blick, mit dem er es sagte, versetzte sie beide in die Zeit zurück, in der sie gegen den Willen ihrer Eltern zueinandergefunden hatten.

Er stand auf, ging zu Melba und zog sie aus ihrem Sessel. Ihre imponierende Persönlichkeit ließ ihn manchmal vergessen, dass er viel größer war als sie. „Gib ihm eine Chance, Mel“, bat er. „Gib den beiden eine Chance, sich zu versöhnen.“

„Und wenn Claire das gar nicht will?“

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
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