Noch eine Chance für unsere Liebe?

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Abbey glaubt, zu träumen: Ethan steht vor ihr. Kurz nach ihrer Hochzeit vor acht Jahren verschwand er spurlos. Aber er weiß nicht mehr, wer sie ist! Nur eins spürt er ganz offensichtlich genau wie sie: Noch immer fühlen sie sich magisch zueinander hingezogen. Und als Abbey seine tragische Geschichte hört, ist sie tief gerührt. Ethan hat bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren. Kann sie ihm helfen, die dunklen Schatten der Vergangenheit zu bewältigen?


  • Erscheinungstag 26.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777364
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Sie traf ihre Entscheidung zwischen den Jahren. Zu einem Zeitpunkt, an dem man sich allgemein gute Vorsätze für das neue Jahr vornimmt, in dem alles besser und schöner sein sollte. Zwischen Weihnachten und Neujahr also beschloss sie loszulassen.

Abbey Jackman konnte auf ein wirklich gutes Jahr zurückblicken. Sie hatte einen Job, den sie liebte, hatte gute Aufstiegschancen und nette Kollegen. Vor einem knappen Monat hatte sie eine neue Wohnung bezogen, und seit Oktober hatte sie einen neuen – sehr ehrgeizigen – Freund. Sogar ihre anhängliche Mutter hatte wieder einen Verehrer gefunden und war zu abgelenkt, um sich ständig in das Leben ihrer Tochter einzumischen. Ja, so ließ es sich aushalten!

Seit Jahren achtete Abbey auf ihr Äußeres, verkehrte mit den richtigen Leuten und sorgte auch sonst dafür, dass sie vorankam. Und jetzt war es so weit.

Sie stand mitten im Leben, hatte alles Belastende über Bord geworfen und war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder selbst verantwortlich für ihr Schicksal.

Allerdings gab es da noch eine Kleinigkeit.

Abbey saß mit gezücktem Füllfederhalter auf dem Sofa und blickte nachdenklich vor sich hin. Es war aber auch zu schwierig, diesen Brief zu schreiben. Selbst jetzt noch. Sie wusste ja auch nicht mal, ob der Brief überhaupt ankommen würde. Wohin mochte das Leben den Mann verschlagen haben? Und wieso interessierte sie das überhaupt noch?

Sie würde das Schreiben an den Standort schicken, wo er damals stationiert gewesen war. Irgendjemand würde den Brief schon weiterleiten, oder? Allerdings waren seit der letzten Begegnung acht Jahre vergangen.

Eigentlich hätte sie den Schritt schon nach zwei, drei Jahren machen sollen. Aber sie hatte sich noch Hoffnungen gemacht. Sie war eben unheilbar romantisch. Inzwischen hatte die Realität sie eingeholt. Es wurde Zeit, loszulassen.

Unter Romantik hatte sie sich sowieso etwas ganz anderes vorgestellt. Inzwischen war ihr bewusst geworden, dass es in einer Beziehung mehr darauf ankam, eine solide Grundlage zu schaffen. Stabilität und Verlässlichkeit waren wichtiger als die stürmische Liebesaffäre, der sie so lange nachgehangen hatte.

Wie jung sie damals gewesen waren, so voller Idealismus! Eigentlich war klar, dass so etwas Zauberhaftes im „wirklichen Leben“ keinen Bestand haben konnte.

Nachdenklich betrachtete Abbey die vielen zerknüllten Briefbögen auf dem Wohnzimmerboden. Acht Jahre waren vergangen, und noch immer fiel es ihr schwer, diesen Brief zu schreiben. Sie wusste nicht einmal, wie sie anfangen sollte, und hatte inzwischen alle Versionen durch: „Hallo“, „Sehr geehrter Mr. Wyatt“, „Liebster Ethan“ – nein, das war zu intim.

Gereizt warf sie einen weiteren Papierball zu Boden. Warum fiel es ihr so schwer, den Brief zu schreiben?

Ethan hatte sich in all den Jahren kein einziges Mal bei ihr gemeldet, obwohl er ihre alte Adresse hatte. Abbeys Mutter wohnte noch in dem großen alten Landhaus, in dem Abbey aufgewachsen war.

Es tat ihr weh, dass er nicht ein Mal versucht hatte, Kontakt aufzunehmen.

Sie legte den Briefblock weg, stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Sie hatte ihren Teil des magischen Plans erfüllt, den sie sich ausgedacht hatten, und der vorsah, dass sie zu Hause auf Ethan wartete, ihre Ausbildung abschloss und sich auf das gemeinsame Leben vorbereitete. Eigentlich ein sehr vernünftiger Plan, wenn man bedachte, wie schnell alles gegangen war.

Doch dann war Ethan verschwunden und hatte sie mit ihren Träumen im Stich gelassen. Als dann noch ihr Vater gestorben war, hatte Abbey sich von aller Welt verlassen gefühlt.

Nein, sie konnte Ethan nicht verzeihen, sein Versprechen gebrochen zu haben. Er hatte ihren romantischen Traum zerstört. Damit musste sie sich abfinden. Ethan war ihre erste große Liebe gewesen. Aber verlief die erste Liebe nicht immer unglücklich?

Abbey atmete tief durch und schloss kurz die Augen.

Es war wirklich an der Zeit, loszulassen. Voller Elan setzte sie sich aufs Sofa und begann zu schreiben.

1. KAPITEL

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Abbey!“

Das hörte sie heute wohl schon zum fünfundzwanzigsten Mal, aber es war nett, dass so viele Freunde und Verwandte ihr gratulierten. Dadurch fühlte es sich nur halb so schlimm an, den Dreißigsten zu feiern.

„Sag mal, Schätzchen, hat die halbe Bevölkerung dieser kleinen Ortschaft sich hier zum Feiern versammelt?“, fragte Karyn Jamieson. Sie kam aus Dublin und war Abbeys beste Freundin. „Sind diese Leute alle miteinander verwandt?“

Abbey lächelte. „Das nicht gerade. Aber jeder kennt jeden. Willkommen in der Kleinstadt.“

„Das nennst du Stadt? Hier gibt es doch nur eine Hauptstraße und einen Platz.“

Karyn war am Vorabend nach Einbruch der Dunkelheit aus Dublin gekommen und hatte Killyduff bereits durchfahren, bevor sie überhaupt bemerkt hatte, dass es sich um ihren Zielort handelte. Das passierte den meisten Leuten, und die Einwohner von Killyduff fanden das auch gut so.

Fremden wurde mit Misstrauen begegnet. Man blieb lieber unter sich. Abbey konnte ein Lied davon singen. Karyn und einige andere wagemutige Freunde aus Dublin hatten sich trotzdem nach Killyduff getraut, um Abbeys Geburtstag zu feiern.

Abbey hätte es zwar nie zugegeben, doch zur Feier ihres Dreißigsten kam für sie nur ihr Heimatort in Frage. Hier bot sich die Gelegenheit, auf ihr bisheriges Leben zurückzublicken und sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Den nächsten runden Geburtstag konnte sie dann ja an einem faszinierenderen Ort begehen.

Sie hakte sich bei Karyn ein. „Halte durch, meine Liebe, morgen hat die Zivilisation dich wieder.“

„Ich werde mich bemühen.“ Karyn sah skeptisch um sich. „Versprich mir, ein ernstes Wort mit mir zu reden, wenn ich etwas tragen sollte, was auch nur entfernt an Tweed erinnern könnte.“

Abbey lachte. Ihre dunklen Augen strahlten vergnügt. Karyn in Tweed? Was für eine Vorstellung! Ihre Freundin trug nur die allerneueste Mode. „Versprochen!“

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Abbey.“ Der Postbote nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Nachdem Abbey sich lächelnd angehört hatte, wie sehr sie gewachsen sei und dass ihr das Großstadtleben gut zu bekommen schien, wandte sie sich wieder Karyn zu.

„Du musst mir auch etwas versprechen.“

„Was denn, Abbey?“

„Meinen nächsten Geburtstag feiern wir in der Karibik.“

„Gute Idee, Herzchen.“ Karyn war begeistert. „Aber vielleicht solltest du das mit dem lieben Paul besprechen.“

Abbey ließ den Blick durch den Raum zu Paul gleiten. Der Mann war der Traum jeder Schwiegermutter. Der beste Beweis war Abbeys Mutter. Elizabeth Jackman war ganz vernarrt in Paul und wich kaum von seiner Seite. Wahrscheinlich war Elizabeth erleichtert, dass ihre Tochter nun endlich doch noch einen Mann gefunden hatte. Allerdings wirkte er in seinem Designeranzug und dem blendenden Aussehen fehl am Platz in dem kleinen Landhotel, wo alle großen Partys in Killyduff veranstaltet wurden.

Abbey lächelte, als Paul ihr zunickte. Er ist wirklich ein toller Mann, redete sie sich ein. Ideal für das neue Leben, für das sie sich entschieden hatte. Paul sah gut aus, hatte Geld, war erfolgreich und geduldig – ein idealer Ehemann, und doch fehlte etwas.

Ihr Lächeln erstarb, als er sich abwandte. Nachdenklich trank sie einen Schluck. „Wenn es nach Paul ginge, würden wir unsere Flitterwochen in der Karibik verbringen.“

Karyn musterte sie verblüfft. „Hat er dir etwa einen Heiratsantrag gemacht?“

„Das war doch die logische Konsequenz, oder?“

„Und? Hast du Ja gesagt?“

„Ich denke noch darüber nach.“

Ihre Freundin betrachtete sie forschend mit ihren grünen Augen, denen nichts so leicht entging. „Wieso stehst du dann nicht vor Freude Kopf? Heute wäre doch die perfekte Gelegenheit, eure Verlobung bekannt zu geben.“

Abbey überlegte kurz, ob sie Ausflüchte machen sollte, entschied sich dann jedoch für die Wahrheit. „Ich weiß gar nicht, ob ich heiraten möchte.“ Sie hielt sich das Glas vor den Mund, um nicht noch mehr auszuplaudern.

„Du versteckst dich hinter deinem Image als Karrierefrau.“

Ich verberge noch ganz andere Sachen, dachte Abbey. „Nein, das ist es nicht. Ich möchte einfach, dass meine Ehe bis ans Ende meiner Tage hält.“

„Aber du weißt nicht, ob Paul der richtige Partner ist.“

„Ich sollte mir sicher sein.“ Wieder ließ Abbey den Blick zu ihm gleiten. „Er ist perfekt.“

„Offensichtlich nicht, sonst hättest du seinen Antrag längst angenommen.“

„Vielleicht. Vielleicht bin ich aber auch noch nicht bereit.“ Sie lächelte unsicher. „Ich bin schon ganz durcheinander.“

„Sind wir das nicht alle?“ Karyn wartete, bis zwei weitere Nachbarn Abbey alles Gute zum Geburtstag gewünscht hatten und wieder davongezogen waren, bevor sie fragte: „Was stört dich an Paul?“

Ja, was war es? Mangelnde Leidenschaft? Das Gefühl, er wäre nicht der Richtige?

Erhoffte sie die gleichen Empfindungen, die sie schon einmal erlebt hatte? Damals, als sie genau wusste, „den Richtigen“ gefunden zu haben? Als sie ohne zu zögern Ja gesagt hatte …

Abbey dachte an den Brief, der jetzt nach langem Hin und Her auf dem Weg war. Zu ihm. Würde es Ethan wehtun, sie freizugeben, damit sie Paul heiraten konnte? Paul passte perfekt in ihr neues Leben.

„Ich weiß es nicht“, behauptete sie schließlich.

„Du solltest dich in eine Affäre stürzen. Du weißt schon, so eine, in der es hemmungslos zur Sache geht.“

Abbey sah ihre Freundin erstaunt an. „Meinst du wirklich? Und was sollte das bezwecken?“

„Du würdest dann wissen, ob Paul der Richtige für dich ist. Lass dich ruhig darauf ein, dann wirst du schon sehen, was du an Paul hast. Warum versuchst du es nicht mit dem Typ, von dem ich dir vorhin erzählt habe? Erinnerst du dich? Er hat sich hier ein Hotelzimmer genommen.“

Abbey wusste, wen sie meinte. Karyn hatte während des Abendessens ausgiebig von ihm geschwärmt. Anscheinend war er ziemlich „in Ordnung“, was nach Karyns Auffassung bedeutete, dass er sich für eine kurze Affäre eignete. Aber daran war Abbey nicht interessiert. Affären passten nicht in ihre Langzeitplanung.

„Du hättest ihn bitten sollen, dich zu begleiten. Wenigstens hätte dich das vom Kleinstadtleben abgelenkt.“ Und von Abbeys mangelnder Bereitschaft, dem idealen Mann das Jawort zu geben.

Karyn grinste verschmitzt. „Habe ich ja.“

„Prima, sowie er da ist, stellst du ihn Paul vor. Dann können wir die beiden vergleichen. Wenn der Typ tatsächlich so umwerfend ist, lasse ich Paul wie eine heiße Kartoffel fallen.“

„Das glaube ich dir aufs Wort.“ Karyn hatte die Ironie ihrer Freundin sofort bemerkt. „Schließlich wird deine Entschlusskraft allgemein bewundert.“

Lächelnd gingen sie auf Paul zu. „Weißt du, Karyn, wenn ich einen Plan habe, dann möchte ich ihn auch umsetzen.“

Pauls blaue Augen leuchteten auf, als er Abbey über den Kopf ihrer Mutter hinweg entdeckte. Höflich machte er ihr Platz. „Hallo, meine Schöne.“

„Hallo.“ Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wischte die Lippenstiftspur weg, die sie hinterlassen hatte. „Hast du mich vermisst?“

„Du warst ja nur zehn Minuten fort, Abigail.“ Ihre Mutter himmelte ihn an. „In der kurzen Zeit wird er dich wohl kaum vermisst haben.“

Warum auch, schließlich leistete ihre lebhafte Mutter ihm Gesellschaft. Früher war es für Abbey nicht immer leicht gewesen, die Tochter einer so attraktiven Mutter zu sein, doch inzwischen hatte sie an Selbstbewusstsein dazugewonnen, zumindest theoretisch …

Paul legte den Arm um Abbey und zog sie an sich. „Natürlich hat sie mir gefehlt, Liz. Sie ist genauso faszinierend wie ihre Mutter.“

Abbey lächelte dankbar. Er verfügte über die Gabe, immer die richtigen Worte zu finden. Deshalb war er auch so ein guter Verhandlungsführer.

„Hoffentlich lässt Abigail dich nie wieder gehen, Paul. So viel Hingabe ist heutzutage selten bei jungen Männern.“

„Und wie geht es dir und Alan, Mutter?“ Abbey konnte ihren Missmut darüber, dass ihre Mutter sich einen zehn Jahre jüngeren Schönling zum Liebhaber genommen hatte, nicht verbergen. Sie fand es geschmacklos, vor allem, da sie, Abbey, noch immer ihren Vater vermisste.

Elizabeth reagierte wütend. „Du weißt doch, dass ich Alan perfekt finde, Liebes. Und wenn es anders wäre, würde ich ihm die Flausen schon austreiben.“

Nun empfand Abbey doch Mitleid mit dem Mann, denn sie kannte ihre Mutter nur zu gut und wusste, dass sie Menschen manipulierte. Das ist ihre Sache, dachte sie. Und ich bin lieber ganz still, wenn es um Beziehungen geht. Bei meiner Vergangenheit …

Der große, schlanke Mann mit den haselnussbraunen Augen beobachtete die kleine Gruppe aus sicherer Entfernung. Irgendwie fühlte er eine große emotionale Leere in sich. Aber was hatte er eigentlich erwartet?

Er hatte viele tausend Kilometer zurückgelegt, um in diese irische Kleinstadt zu kommen, wo die Frau war, von der er sich erhoffte, Aufschluss über die vergangenen acht Jahre zu erhalten.

Nachdenklich beobachtete er, wie sie sich lächelnd an den blonden Mann neben ihr schmiegte. Es missfiel ihm. Aber hätte er sich an ihrer Stelle nach Jahren vergeblichen Wartens nicht auch nach einem anderen Mann umgesehen? Wahrscheinlich, und trotzdem gefiel ihm das überhaupt nicht, wie er überrascht feststellte.

„Ach, du liebe Zeit! Er ist hier!“ Karyn wurde ganz aufgeregt. „Blick dich bloß nicht um, Abbey.“

Abbey zog eine Augenbraue hoch. „Wie soll ich ihn denn sehen, wenn ich mich nicht umdrehen darf?“

„Du brauchst ihn ja gar nicht zu sehen.“

„Um wen geht es?“, fragte Paul interessiert.

Abbey wandte sich ihm zu. „Um einen sexy Typ, mit dem Karyn vorhin angebandelt hat.“

Paul atmete tief durch. „Ach, einer von der Sorte.“

Karyn musterte ihn missbilligend. „Ich weiß ja, dass du deine Eifersucht in der Öffentlichkeit kaum zügeln kannst, Süßer.“

„Immerhin ist es mir doch in den vergangenen Jahren ganz gut gelungen, oder?“

„Natürlich.“ Sie lächelte ironisch, bevor sie sich wieder dem Objekt ihrer Begierde zuwandte. „Sieht er nicht fantastisch aus?“

Wieder versuchte Abbey, sich umzudrehen.

„Nein, sieh nicht hin!“

„Nun mach dich nicht lächerlich, Karyn! Wie soll ich ihn denn beurteilen, wenn ich ihn nicht einmal ansehen darf?“

Elizabeth wandte sich um. „Geht es um den dunkelhaarigen Mann an der Bar? Ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal gesehen habe.“

Das wollte etwas heißen. Elizabeth Jackman kannte jeden, der nach Killyduff kam. Schließlich liebte sie Klatsch und Tratsch.

„Achtung, er kommt zu uns herüber!“

Abbey amüsierte sich darüber, wie aufgeregt Karyn war. Wann hatte sie, Abbey, das letzte Mal so empfunden? Sie beobachtete, wie ihre Freundin dem Mann entgegensah. Als sie spürte, dass er hinter ihr stand, wollte sie sich umdrehen.

In diesem Moment sagte er mit tiefer Stimme: „Hallo, A. J.“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Langsam wandte sie sich um und blickte zu vertrauten haselnussbraunen Augen auf. Träumte sie? Nein, er war es wirklich. „Ethan.“

Lächelnd erwiderte er ihren Blick. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Karyn musterte sie erstaunt. „Du kennst ihn?“

Abbeys Herz klopfte aufgeregt, und sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Wie oft hatte sie diese Situation im Geist durchgespielt und einstudiert, was sie sagen und tun wollte, wenn Ethan vor ihr stand. Und nun brachte sie kaum seinen Namen heraus – das war wirklich ausgesprochen schlagfertig!

Schließlich gelang es ihr wenigstens, Karyns Frage zu beantworten: „Das könnte man so sagen.“

Ethan und Abbey sahen sich weiterhin unverwandt an. Paul und Elizabeth rückten näher.

„Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Ich bin Abigails Mutter.“

Ethan wandte sich ihr kurz zu und lächelte freundlich. „Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

„Sie sind Amerikaner.“ Paul war ein richtiger Schnellmerker.

„Stimmt, und wer sind Sie?“

„Ich bin Abbeys Freund.“

„Das ist schön.“ Ethan zog eine dunkle Augenbraue hoch, als er Paul die Hand schüttelte, beobachtete Abbey aus dem Augenwinkel und fügte hinzu: „Ich bin Ethan Wyatt, Abbeys Mann.“

„Du bist verheiratet, Abigail?“ Elizabeths Stimme klang schrill. „Wie kann das angehen? Das ist doch wohl ein Scherz.“

„Nein.“ Ethan ließ Pauls Hand los. „Es stimmt. Wir sind seit acht Jahren verheiratet.“

Nun war die Katze aus dem Sack! Ausgerechnet jetzt! Ausgerechnet hier, wo die ganze Stadt zuhörte! Ausgerechnet an meinem Geburtstag! Abbey funkelte Ethan wütend an. „Wir sind geschieden.“ Davon ging sie jedenfalls aus.

„Nein, das sind wir nicht“, widersprach Ethan und erwiderte ihren Blick.

„Was soll das heißen?“ Abbey hatte angenommen, dass Ethan sich inzwischen um die Scheidung gekümmert hatte. Er hätte doch nur nach Mexiko fliegen müssen. Dort ging das ganz schnell – jedenfalls hatte sie das mal im Kino gesehen.

„Hast du die Scheidung hier eingereicht?“

„Nein.“

„Und ich habe mich in den Staaten auch nicht darum bemüht. Zu einer Scheidung gehören zwei Menschen. Also sind wir noch verheiratet.“

Abbey war fassungslos. „Wieso hast du dich denn in all den Jahren nicht darum gekümmert?“

„Das könnte ich dich auch fragen – und noch einiges andere.“

Danke gleichfalls, dachte sie und wandte sich Paul zu. Der arme Paul sah sie fassungslos an.

„Bist du wirklich mit ihm verheiratet?“, fragte er schließlich.

Sie nickte. „Ich hätte es dir erzählen müssen.“ Das hatte sie auch tun wollen, aber irgendetwas hatte sie davon abgehalten. Es war ihr unangenehm, Paul einzugestehen, wie naiv sie damals gewesen war. Paul achtete und bewunderte sie. Das hatte sie nicht aufs Spiel setzen wollen.

„Allerdings hättest du es mir sagen müssen. Am besten, bevor ich dir einen Heiratsantrag gemacht habe“, sagte Paul in scharfem Tonfall.

Ethan sah ihn an. „Sie wollen sie heiraten?“

„Das geht Sie gar nichts an.“

„Oh doch! Ein Ehemann sollte darüber informiert werden.“

Wütend kam Paul einen Schritt näher. „Wenn Sie ihr Mann sind, wo haben Sie dann die ganze Zeit gesteckt, wenn ich fragen darf?“

Gute Frage. Mit dem Rücken zu Ethan stellte Abbey sich zwischen die beiden Kampfhähne. „Das ist eine lange Geschichte, und dies ist kaum der geeignete Ort, sie zu erörtern.“

Besitzergreifend umfasste Paul ihren Arm. „Dann unterhalten wir uns draußen weiter.“

Ethan hielt sie am anderen Arm fest. „Zuerst würde ich gern mit meiner Frau reden.“

„Sie ist nicht Ihre Frau.“ Elizabeth mischte sich ein. „Lassen Sie meine Tochter sofort los!“

Abbey fühlte sich wie eine Puppe, um die sich zwei Kinder stritten. „Lasst mich alle beide los!“ Sie befreite sich aus dem Griff der Männer und sah sie wütend an. „Das ist doch wohl nicht euer Ernst!“

„Du bist nicht verheiratet, Abigail! Das ist ja lächerlich!“

„Es ist wirklich lächerlich, Mutter.“ Abbey lachte nervös, als sie Elizabeths empörten Gesichtsausdruck bemerkte. „Aber wenn er die Scheidung tatsächlich nicht eingereicht hat, dann bin ich in der Tat noch verheiratet. Allerdings nicht mehr lange, das schwöre ich dir.“

Sie wandte sich Paul zu. „Ich muss die Angelegenheit mit dir besprechen. Tut mir leid, dass du es so erfahren hast, Paul. Es ist schon so lange her. Ich habe mich seitdem völlig verändert. Mach dir keine Gedanken, Paul. Es spielt keine Rolle, und ich kümmere mich um die Sache.“

„Es spielt keine Rolle?“, fragte Ethan ironisch.

Wütend sah sie ihn an. Sein plötzliches Auftauchen brachte ihr ganzes, sorgfältig geplantes Leben durcheinander. Was erlaubte er sich eigentlich?

„Natürlich spielt es keine Rolle, sonst hättest du dich schon viel eher blicken lassen. Du hast kein recht, hier zu sein, Ethan.“

„Und ob ich das habe!“

„Hast du nicht“, entgegnete Abbey mit tränenerstickter Stimme. „Du hast mein Leben schon einmal zerstört. Ein zweites Mal werde ich das nicht zulassen.“

„Es liegt mir fern, dein Leben zu zerstören“, erklärte er rau und kam näher. „Ich bin wegen deines Briefes hier.“

„Mit dem Brief wollte ich sichergehen, dass du dich scheiden lässt.“

„Damit du den Typ hier heiraten kannst?“ Er machte eine Kopfbewegung in Pauls Richtung.

„Damit ich mein Leben leben kann.“

„Du brauchst es nur zu sagen, wenn du die Scheidung willst.“

Abbey zögerte und betrachtete ihn forschend. Wollte er sich überhaupt scheiden lassen? Warum hatte er sie nicht eher aufgesucht? Bedauerte er das jetzt? Hatte er genauso unter der Trennung gelitten wie sie?

Es tat ihr weh, dass es dafür offensichtlich überhaupt keine Anzeichen gab. Fast ärgerte es sie, überhaupt danach geforscht zu haben. Wenn sie ihm etwas bedeutet hätte, wäre er viel früher bei ihr aufgetaucht.

„Ich will die Scheidung.“

Ethan nickte. „In Ordnung.“

Sie sah ihm nach und beobachtete, wie der breitschultrige Mann sich einen Weg zwischen den vielen Menschen hindurch bahnte, die der Szene beigewohnt hatten. Dann wandte Abbey sich Paul, ihrer Mutter und Karyn zu, die sie gebannt ansahen. „Entschuldigt mich“, sagte sie mit versagender Stimme. „Ich erkläre euch das alles später. Großes Ehrenwort.“

Dann drehte sie sich um, nahm eine Flasche Wein vom Buffet und verließ den Saal.

2. KAPITEL

„Können wir jetzt wieder nach Hause?“

Ethan blickte starr aus dem Hotelzimmer auf die grünen Wiesen, die sich so weit erstreckten, wie das Auge reichte. „Ich weiß es nicht, Amy.“

„Aber sie will doch nichts mit dir zu tun haben. Das sagt wohl alles, oder?“

Eigentlich ja. „Ich muss es aber genau wissen.“

Amy stand vom Fußende des Bettes auf und trat an Ethans Seite. Geduldig wartete sie, bis er sie schließlich ansah. „Ich weiß, aber das ist doch alles Vergangenheit. Das habe ich schon vor unserer Abreise hierher gesagt.“

Lächelnd betrachtete er seine Freundin, mit der er schon im Sandkasten gespielt hatte. Amy war mit ihm durch dick und dünn gegangen. Sie war die beste Freundin, die man sich wünschen konnte. Sie hatte auch versucht, ihm die Reise nach Irland auszureden. „Ich muss es wirklich genau wissen, Amy.“

Sie nickte verständnisvoll.

Seit Jahren versuchte er, all die Rätsel zu lösen, nach Erklärungen zu suchen, um das Puzzle zusammenzusetzen, das wusste Amy. Gleichzeitig wollte sie ihn vor Verletzungen bewahren, die man ihm in der Fremde vielleicht zufügen würde. Sie wollte verhindern, dass die Person ihm wehtat, der er offensichtlich inzwischen völlig gleichgültig geworden war.

Amy drückte ihm freundschaftlich die Hand. „Okay, was willst du also als Nächstes tun?“

„Ich werde mich mit ihr treffen.“

„Und dann? Sie will die Scheidung, Ethan. Du hast selbst gesagt, dass ihr Schreiben ein Abschiedsbrief war.“

„Sie kann mir erklären, wie das damals geschehen ist. Ich muss es wissen.“ Nachdenklich betrachtete er das verblichene Foto in seiner Hand. Mehr hatte er nicht von Abbey. Ein Foto, auf dessen Rückseite er selbst geschrieben hatte: „Ethan, A. J. und Jamie“. Das Bild war aufgenommen worden, bevor sein Leben sich so dramatisch verändert hatte, und er hatte nicht gewusst, wer sie war. Bis der Brief von ihr eingetroffen war.

„Hast du etwas gespürt, als du sie wiedergesehen hast?“, fragte Amy.

Er zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Er lächelte verlegen und wiederholte, was er schon so oft gesagt hatte: „Ich muss es genau wissen, Amy.“

Sie hatte einen fürchterlichen Kater.

Der Wein hatte überhaupt nicht geholfen. Im Gegenteil! Achtundvierzig Stunden zuvor war sie noch neunundzwanzig gewesen und hatte ihr Leben im Griff gehabt.

Jetzt war sie dreißig und wusste weder ein noch aus.

Die Mailbox auf ihrem Handy war voller Nachrichten. Allein Karyn hatte vier Mal versucht, sie zu erreichen. Außerdem würde ihre Mutter unten am Fuß der Treppe auf sie warten.

Also tat Abbey, was sie schon als Kind gemacht hatte, wenn sie ihrer Mutter aus dem Weg gehen wollte. Ein alter Landsitz mit Kerben in den Backsteinen und Efeubewuchs bot immer eine Möglichkeit, durch ein Fenster im zweiten Stock zu entkommen.

Sie benötigte etwas Zeit für sich allein, um sich darüber klar zu werden, wie sie den Menschen entgegentreten sollte, die sie belogen hatte. Das war vielleicht etwas krass ausgedrückt. „Denen sie die Wahrheit vorenthalten hatte“ traf den Sachverhalt wohl etwas besser …

Amüsiert sah Ethan zu, wie Abbey an der Hauswand herunterkletterte. So ein rebellisches Verhalten hatte er von der eleganten Dame, der er am Abend zuvor gegenübergestanden hatte, nicht erwartet.

Statt Abendgarderobe trug sie heute Jeans, die sich perfekt an ihre langen Beine schmiegten. Bewundernd beobachtete er von seinem Posten am großen Torpfeiler aus, wie sie sich langsam und geschickt hinunterarbeitete, und lächelte, als sie wieder auf festem Boden stand, sich die Hände an den Jeans abwischte und sich im Laufschritt vom Haus entfernte, wobei sie sich mehrmals ängstlich umblickte.

Als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, sah sie auf und blieb erschrocken stehen. Verzweifelt ließ sie den Blick zum Haus zurück gleiten, dann sah sie ihn wieder an. Offenbar überlegte sie, was das kleinere Übel wäre.

Autor

Trish Wylie
<p>Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, davon ist Trish Wylie überzeugt. So war ein Reitunfall innerhalb ihrer beruflichen Karriere als Pferdedresseurin der Auslöser dafür, dass sie wieder zu schreiben begann, obwohl sie diese Leidenschaft im Laufe der Jahre erfolgreich in den Hintergrund gedrängt hatte. Dabei sammelte Trish schon in der...
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