Noch nie so nah ...

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Es ist stockfinster, der Aufzug ist zum Halten gekommen, Gilian steckt fest. Mit in der Misere ihre Ex-Affäre und große Liebe Devlin. Während Gilian im Dunklen nach ihm tastet, ist ihre Furcht plötzlich verflogen, und sie spürt nur noch Lust. Unbändige Lust, die nicht warten kann …


  • Erscheinungstag 04.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775810
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Nun gib es endlich zu“, stieß Kylie aus, während sie versuchte, mit dem Stapel CDs im Arm nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als sie beinah über die Eingangsschwelle gestolpert wäre. „Du hast doch genau gewusst, dass du dieses Wochenende umziehst. Und du hast Cade und mich nur eingeladen, damit wir dir helfen, deinen Krempel zu transportieren!“

„Damit hast du nicht ganz unrecht.“ Devlin Brennan warf seiner Schwester einen amüsierten Blick zu.

Er und sein Schwager Cade setzten den schweren Sessel in der kleinen Eingangshalle ab, da es noch einige Zeit dauern würde, bis der Fahrstuhl kam. Offenbar nutzten viele Menschen diesen Samstag, um umzuziehen, und so herrschte geschäftiges Treiben in dem Gebäude.

„Aber ich wollte euch auch gern wiedersehen.“ Devlin ließ sich in den Sessel fallen.

„Diesen Tonfall kenne ich nur zu gut“, gab Kylie zurück. „Das klingt genau wie damals, als wir noch Kinder waren und du mir Geld für Comics abgeschwatzt hast.“

„Ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, in Kontakt zu bleiben. Und was verbindet einen mehr als gemeinsame Arbeit?“, erwiderte Devlin.

„Mir kommt es eher wie eine Fessel vor“, murmelte Kylie.

„Ihr habt mir echt gefehlt. Das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben, war auf eurer Hochzeit vor einigen Monaten.“

„Wir haben am ersten Juli geheiratet, und heute ist der erste September. Es sind also genau zwei Monate vergangen“, rechnete Kylie vor. „Und wenn du mal nach Port McClain gekommen wärst, hätten wir uns dort in aller Ruhe sehen können, ohne dabei Möbel zu schleppen.“

„Hab ich euch schon gesagt, wie glücklich ihr ausseht?“ Devlin schenkte seiner Schwester ein strahlendes Lächeln. Tatsache war, dass er es keinesfalls eilig hatte, nach Port McClain zu fahren. Die Kleinstadt in Ohio, in der Kylie und Cade lebten, wimmelte nur so von Mitgliedern der Familie Brennan – Onkel, Tanten und Cousinen –, und er hatte nicht die geringste Lust, Tage damit zu verbringen, artig Höflichkeitsbesuche abzustatten. „Die Ehe scheint euch sehr gut zu bekommen.“

„Das kann man wohl sagen.“ Cade warf seiner jungen Frau einen zärtlichen Blick zu, den sie liebevoll erwiderte. Devlin war sicher, dass die beiden gleich über Babys und weitere Hochzeiten sprechen würden, und überlegte, wie er dem entgehen könnte, als Kylie schon begann: „Sag mal, Dev, wann kommst du eigentlich unter die Haube?“

„Die Frage habe ich mir schon mehrmals gestellt, und meine Antwort ist immer die gleiche: Ich heirate nie!“

„Das glaubst du doch selber nicht“, gab Kylie lachend zurück. „Im Ernst, Dev, willst du keine Familie gründen?“

„Du redest ja schon wie Mom! Seit deiner Hochzeit sagt sie mir dauernd, jetzt sei ich an der Reihe. Sogar Dad hat sich schon eingemischt. Bei meinem letzten Besuch hat er mich beiseitegenommen und mir zugeflüstert: ‚Na, mein Sohn, hast du schon die Richtige gefunden‘?“

„Und?“, drängte Cade.

„Bevor du Kylie geheiratet hast, haben sich alle Hoffnungen und Träume meiner Eltern auf sie konzentriert. Jetzt fragen sich plötzlich alle, wieso ich mit einunddreißig immer noch ungebunden bin. Mom macht sich schon schreckliche Sorgen, weil sie fürchtet, dass ich so ein alter Kauz wie Onkel Gene werden könnte. Jedes Wochenende bekomme ich ihre mütterlichen Ratschläge zu hören. Per Ferngespräch aus Florida! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr mir das auf die Nerven geht.“

„Das scheint eine Spezialität der Brennan-Familie zu sein“, bemerkte Cade. „Anwesende natürlich ausgenommen“, verbesserte er sich schnell.

„Mom möchte eben unbedingt Großmutter werden“, erklärte Kylie.

„Neun Monate scheinen ihr schon viel zu lang.“ Cade lachte, um dann ernsthafter hinzuzufügen: „Aber Kylie und ich wollen erst einmal zu zweit leben, bevor wir ein Trio werden.“

„Sehr gut“, sagte Devlin zufrieden. „Ich bin einfach noch nicht reif, Onkel zu werden.“ Erneut hatte er Gene vor Augen, der ein richtiger alter Trottel war. Eine schreckliche Vorstellung, wenn er jetzt schon selbst Onkel werden würde. Es hatte ihm ja bereits zugesetzt, jetzt Schwager zu sein.

Kylies Hochzeit hatte ihm mehr zu schaffen gemacht, als er es sich eingestehen wollte. Schließlich war sie seine kleine Schwester, und er hatte sich mehr als einmal für sie geprügelt. Sie waren stets die besten Freunde gewesen, auch wenn sie sich manchmal heftig gestritten hatten. Aber immer waren sie füreinander da gewesen, bis Kylie ihren zukünftigen Mann kennengelernt hatte. Natürlich freute er sich, dass seine Schwester glücklich war, doch irgendwie fühlte er sich von diesem Glück ausgeschlossen.

Er schüttelte den Kopf. Offenbar hatten die vielen Anrufe seiner Mutter ihn ganz durcheinandergebracht, denn es war sonst gar nicht seine Art, solch trüben Gedanken nachzuhängen.

„Ich bin sehr glücklich mit dem Leben, das ich führe, und ich habe nicht die Absicht, etwas daran zu ändern.“

„Schön gesagt“, erklärte Cade leicht ironisch und setzte dann in energischem Ton hinzu: „Komm schon, Dev. Wir haben noch den halben Lieferwagen auszuladen.“

Cade war Direktor der familieneigenen Firma BrenCo, und seine Stimme verriet deutlich, dass er es gewohnt war, Anweisungen zu erteilen. Automatisch stand Devlin auf und folgte ihm auf die Straße. Doch als Kylie kicherte, fuhr er herum.

„Was hast du?“

„Wenn du dir eingebildet hast, dass du Cade als Träger beschäftigen kannst, hast du dich reichlich getäuscht. Er ist noch besser als Dad darin, Anordnungen zu erteilen.“

Und dazu gehörte eine Menge, denn ihr Vater war Captain bei der Navy gewesen. Seinen Befehlen hatte garantiert niemand widersprochen.

„Heißt das, du machst alles, was er sagt, Ky?“

„Mir schreibt er niemals etwas vor!“

„Ich habe eher das Gefühl, dass Kylie Brennan, die früher so überzeugte Feministin, auf der Stelle gehorcht, sobald Cade Austin etwas möchte. Ist es nicht so?“

„Devlin, die Arbeit wartet!“, ertönte Cades energische Stimme von draußen.

Devlin wandte sich gerade um, als Kylie eine CD nach ihm warf. Lachend wich er dem Geschoss aus und ging zum Wagen. In der Eingangstür wäre er dann fast mit einer jungen Frau zusammengestoßen.

„Hallo, Devlin.“

Überrascht sah er sie an. Das war doch nicht möglich!

„Gillian!“ Er räusperte sich, da seine Stimme plötzlich belegt klang.

„Mama, Mama“, plapperte das Baby, das Gillian im Arm trug.

„Das also ist dein Kind“, sagte er, um das peinliche Schweigen zu überbrücken. „Ein Mädchen?“

Gillian nickte.

„Gut geraten, oder?“ Devlin lächelte schwach. Das dunkelgelockte Baby trug einen rosa Strampelanzug. Da konnte man sich wirklich nicht täuschen. Gillian trug Shorts und ein dunkelblaues T-Shirt. Wie immer hatte sie eine ungemein weibliche Ausstrahlung. Das feurig rote Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, und obwohl sie eine Schwangerschaft hinter sich hatte, war sie so zierlich und schlank wie früher. Vielleicht waren die Brüste ein wenig größer …

Er sah ihr in die Augen. Offenbar hatte sie seine Gedanken erraten, denn sie hob die Brauen und warf ihm einen scharfen Blick zu.

Devlin war auf einmal verlegen. „Wie heißt die Kleine?“, fragte er und spürte schon, wie lächerlich es war, Small Talk zu machen.

„Ashley.“

„Ashley …“, wiederholte er. „Als ich ein Praktikum in einer Kinderklinik gemacht habe, hatten wir jeden Tag mindestens zwei kleine Patientinnen, die auf diesen Namen hörten. Ich frage mich, warum alle Eltern ihre Kinder so nennen. Vielleicht sollte man dieses Phänomen einmal genauer untersuchen.“

„Tut mir leid, dass ich so fantasielos war“, entgegnete Gillian. „Wenn ich gewusst hätte, dass der Name dir nicht gefällt, hätte ich einen anderen ausgesucht.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich den Namen nicht mag. Die Frage ist nur, warum es so viele Ashleys gibt.“

„Sie heißt Ashley Joy Morrow. So ist das nun mal.“

„Gillian Morrow … Ich habe dich noch als Gillian Bailey gekannt, aber das war in deiner wilden Jugendzeit.“

In Wirklichkeit war Gillian alles andere als wild gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Anständig und zurückhaltend wären die treffenden Worte gewesen. Doch sie hätte das als Kompliment aufgefasst, und irgendetwas trieb ihn dazu, sie herauszufordern.

„Ich nenne mich immer noch Bailey“, erklärte Gillian, ohne auf das Spielchen einzugehen. „Gleich nach der Geburt des Babys haben wir uns scheiden lassen. Es gibt also keinen Grund für mich, den Namen meines Mannes zu tragen. Und außerdem war ich niemals wild.“ Fast nie, fügte sie in Gedanken hinzu. Denn während der drei Monate, die sie mit Devlin Brennan zusammen gewesen war, hatte sie sich ziemlich verrückt benommen.

„Du bist geschieden?“ Devlin war aufrichtig überrascht. „Dann hat es ja nicht lange gehalten.“

„Nein.“ Nervös senkte Gillian den Blick und strich Ashley durchs Haar.

„Was ist passiert? Und wo ist Mr Morrow jetzt?“, fragte Devlin ungerührt weiter. „Ist er ganz aus deinem Leben verschwunden, oder siehst du ihn noch von Zeit zu Zeit?“

„Ich denke, das geht dich nichts an“, gab Gillian kühl zurück.

„Mama!“, jammerte das Baby.

„Sie ist müde. Ich gehe jetzt besser rein.“

Er hielt ihr die Tür auf.

„Besuchst du jemanden?“

„Nein, ich wohne hier. Seit gestern.“

Devlin fühlte sich, als ob ihm jemand vors Schienbein getreten hätte. „Das soll wohl ein Witz sein!“

„Ich wüsste nicht, warum.“

„Weil ich hier gerade einziehe. Gleich bei dir gegenüber.“

Sie waren beide bestürzt, bemühten sich jedoch sogleich, ihre Gefühle zu verbergen.

„Falls du einen Babysitter brauchst, weißt du ja, wo du klingeln kannst“, erklärte Devlin ironisch.

„Mach dir keine Sorgen. Ich lege nicht den geringsten Wert darauf, dass du dich um mein Kind kümmerst.“

Gillians scharfer Ton verwirrte Devlin. „Ich kann eigentlich ganz gut mit kleinen Kindern umgehen.“

„Da bin ich sicher. Dieser Charme, den du versprühst, bewirkt bestimmt Wunder bei Kindern. Wie bei Frauen auch …“

„Devlin, wo steckst du nur die ganze Zeit?“ Cade mit seiner energischen, dunklen Stimme unterbrach die Unterhaltung. Wenig später tauchte er mit einem riesigen Sessel auf. Er stellte ihn ab und warf Devlin einen missbilligenden Blick zu. „Willst du, dass ich deine Sachen allein trage?“

Gillian trat zurück, um Platz zu machen, während Ashley einen kleinen Seufzer ausstieß.

„Wie alt ist die Kleine?“, fragte Cade. „Und wie heißt sie denn?“

„Sie heißt Ashley … und ist elf Monate“, antwortete Gillian zögernd.

Devlin wunderte sich darüber, dass sein Schwager eine für ihn fremde Frau so direkt befragte, aber vielleicht war das einfach Cades Stil. „Hast du alle Informationen, die du wolltest, oder gibt es noch weitere Fragen?“, sagte er möglichst leichthin, da er genau spürte, wie unbehaglich Gillian die Situation war. „Vielleicht noch Gewicht, Größe und bevorzugte Nahrung?“ Er zwinkerte Gillian zu, doch ihr Gesicht blieb regungslos.

Cade schaute ihn fragend an, und er sah sich genötigt, die beiden einander vorzustellen. „Cade, mein Schwager, Gillian Bailey.“

„Offenbar eine gute Freundin von dir“, sagte Cade.

„So weit würde ich nicht gehen.“ Ein leichtes Rot hatte Gillians Wangen überzogen.

„Eher gute Bekannte, die langsam Freunde werden“, meinte er lässig. „Außerdem ist sie meine neue Nachbarin, da sie gestern in die Wohnung gegenüber eingezogen ist.“

Gillian zuckte zusammen und zeigte damit deutlich, wie unwohl sie sich deswegen fühlte. Er runzelte die Stirn. Die Aussicht, mit einer ehemaligen Freundin Tür an Tür zu leben, behagte ihm ja auch nicht sonderlich, doch würde er sich nicht weiter davon stören lassen. Er hatte Gillian gegenüber kein schlechtes Gewissen, da sie es gewesen war, die die Beziehung abgebrochen hatte, nur um kurz darauf zu heiraten.

Was mich nicht weiter gestört hat, redete Devlin sich ein. Es war nur ein wenig überraschend gekommen. Aber er hatte ihr nicht lange nachgetrauert. In einer Universitätsstadt wie Ann Arbor gab es viele junge, unternehmungslustige Frauen, und so war es ihm nicht schwergefallen, eine Nachfolgerin für Gillian zu finden.

Nein, es gehörte nicht zu seinen Angewohnheiten, vergangenen Geschichten lange nachzutrauern.

„Dann wohnt ihr ja wirklich nah beieinander“, bemerkte Cade und schaute von Gillian und dem Baby zu Devlin.

„Sieht ganz so aus.“ Devlin wurde die Unterhaltung langsam zu viel. „Aber jetzt lass uns mit der Arbeit weitermachen.“

Gillian blickte den beiden Männern noch einen Moment lang nach, als sie einen Sessel in die Wohnung trugen, und ging dann in ihr eigenes Apartment.

„Wir müssen wieder umziehen!“, stieß Gillian aus und lehnte sich gegen die Wohnungstür.

Der blonde, breitschultrige Mann, der auf dem Sofa saß und sich gerade ein frisches Bier einschenkte, blickte erstaunt hoch. „Was sagst du da? Du bist doch erst gestern eingezogen, und der nächste Umzug war nicht vor Ende dieses Jahrtausends geplant!“

Ashley wurde unruhig, und Gillian setzte sie auf den Teppich, wo die Kleine sofort zu krabbeln begann.

In der Küchenecke stand Carmen Salazar. Mit ihren herausfordernd weiblichen Rundungen und dem dichten schwarzen Haar wirkte sie sehr anziehend. Nach einem kurzen Blick auf Ashley schaute sie fragend zu Gillian. „Was hast du denn? Du siehst ja ganz verwirrt aus.“

„Devlin Brennan zieht in die Nachbarwohnung ein!“, antwortete Gillian atemlos. „Ich kann einfach nicht hierbleiben.“ Hilfe suchend drehte sie sich zum Sofa. „Mark, du weißt genau, dass das unmöglich ist.“

„Liebes, seit zwei Jahren stehst du auf der Warteliste für diese Wohnung. Die Miete ist in Ordnung, das Apartment auch.“ Mark sprach voller Mitgefühl. „Selbst wenn der Teufel persönlich hier einziehen würde, könntest du doch nicht einfach weglaufen.“

„Finde ich auch“, stimmte Carmen ihm zu. „Du kannst nicht einen Tag nach dem Einzug gleich wieder ausziehen. Wohin willst du auch gehen, Gilly? Es gibt nur wenige freie Wohnungen, und die Mieten sind wahnsinnig hoch.“

„Richtig“, warf Mark ein, „und dieses Gebäude ist nur für Angestellte des Krankenhauses gebaut worden. Dr. Brennan ist aber so wohlhabend, der könnte sich auch eine Luxuswohnung leisten. Was will dieser Playboy also hier?“

„Er ist gar nicht so reich.“ Gegen ihren Willen verteidigte Gillian Devlin. „Er ist Arzt, das ist richtig, aber er hat seine Facharztausbildung als Orthopäde noch nicht abgeschlossen. Da verfügt er über kein sehr hohes Einkommen. Außerdem muss er noch den Kredit zurückzahlen, den er für das Studium aufgenommen hatte.“

„Mir blutet das Herz.“ Mark strich sich dramatisch das lange blonde Haar aus der Stirn. „In ein paar Monaten hat er doch genug verdient, um alle Schulden abzuzahlen. Danach führt er das typische Leben des reichen Arztes. Sportwagen, Golfverein und vor allem immer eine schicke Frau im Arm.“

Gillian seufzte. „Ich möchte diesen Mann einfach nur vergessen!“

„Das wird nicht leicht sein, da er nun ja dein Nachbar ist.“ Plötzlich rief Mark: „Carmen, pass auf, Ashley ist zwischen deine Beine gekrabbelt.“

„Hallo, Ashley, kommst du zu Tante Carmen?“ Sie nahm das Baby liebevoll in die Arme. „Wie hat Devlin reagiert, als er sie gesehen hat?“

„Er hat sich gefragt, warum alle Mütter ihre Töchter Ashley nennen.“

„Nicht das leiseste Erkennungsanzeichen?“, sagte Mark missbilligend. „Dieser Mann ist wirklich so sensibel wie ein Neandertaler!“

„Du täuschst dich, ein Neandertaler ist viel gefühlvoller!“ Gillian versuchte, die Lage mit einem Witz zu entspannen, doch Mark sah das anders.

„Ich finde das überhaupt nicht lustig.“

„Ohne Devlin in Schutz nehmen zu wollen, aber der Mann müsste schon ein Hellseher sein, um zu erkennen, dass Ashley seine Tochter ist“, erklärte Carmen. „Gillian hatte ihm ja nicht einmal gesagt, dass sie schwanger ist. Niemand weiß, wer Ashleys Vater ist. Außer uns.“

„Ich wünschte, ich hätte es euch niemals erzählt“, murmelte Gillian.

„Du kannst doch nicht alles für dich behalten“, erwiderte Carmen sanft. „Und du hast genau richtig gehandelt, als du Mark geheiratet hast.“

Mark schaute Gillian an und lächelte. Die Stimmung entspannte sich deutlich. „Ich würde alles tun für meine liebste Pflegeschwester.“

„Gilly ist deine liebste Pflegeschwester?“, rief Carmen mit gespielter Bestürzung. „Ich dachte immer, das sei ich!“

„Ich habe doch nicht gesagt, dass Gillian die einzige ist. Natürlich bist du auch meine liebste Pflegeschwester, genauso wie Debra und Stacey und Suzy und …“

„Schon gut, wir haben verstanden“, warf Carmen lachend ein.

„Hoffentlich muss ich sie nicht alle heiraten.“ Mark stöhnte. „Obwohl es nur auf dem Papier ist, aber trotzdem werden meine Freunde in Los Angeles nur schwer verstehen, was ich immer mit Frauen habe.“

„Das kann ich mir vorstellen“, gab Carmen zurück. „Schon die Vorstellung einer Hochzeit lässt mich schreiend davonlaufen.“

„Gillian und ich hatten eine sehr schöne Feier, auch wenn es nur ein Spiel war. Und die Scheidung verlief ebenso freundschaftlich. Aber ihr glaubt ja gar nicht, wie sehr man sich in L. A. über mich lustig gemacht hat!“

„Jetzt ist es ja durchgestanden“, beruhigte Gillian ihn. „Und ich bin sicher, du wirst nicht noch mehr Scheinehen eingehen müssen. Bestimmt bin ich die Einzige, die sich so dumm benommen hat …“

„So ist das, wenn man verliebt ist, Gilly“, sagte Carmen milde.

„Du brauchst keine Entschuldigungen für mich zu finden.“ Gillian ließ sich neben Mark aufs Sofa fallen. Ihr Pflegebruder war auch einer ihrer besten Freunde, und als sie ihn gebeten hatte, in die Scheinehe einzuwilligen, hatte er sofort eingewilligt. Denn da er ebenso wie sie unehelich geboren war, konnte er gut nachvollziehen, dass sie das ihrer Tochter auf jeden Fall hatte ersparen wollen.

„Ob du nun verliebt warst oder nicht“, erklärte Carmen, „das Kind hast du jedenfalls nicht allein gemacht. Deshalb könnte dieser Playboy ruhig etwas zahlen. Ein ordentlicher Scheck jeden Monat würde dir das Leben jedenfalls erheblich einfacher machen.“

„Nein!“, sagte Gillian entschieden. „Ich will keine Wohltätigkeit!“

„Das hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun, hier geht es um dein gutes Recht“, bemerkte Mark. „Doch ich bin sicher, dass noch alles in Ordnung kommt.“

Aber wie nur? fragte Gillian sich. Wie sollte sie es nur ertragen, Devlin jetzt jeden Tag zu sehen? Und dazu die vielen Frauen, die mit Sicherheit bei ihm ein und aus gingen?

Plötzlich trat ihr wieder die Vergangenheit vor Augen. Die drei Monate, die sie mit Devlin verbracht hatte, gehörten zu der aufregendsten, wildesten und schönsten Zeit ihres Lebens.

Aber gleichzeitig hatte ein Schatten auf ihrem Glück gelegen. Es war ihr schlichtweg unvorstellbar gewesen, dass ein so attraktiver Mann wie Devlin Brennan jemals eine dauerhafte Beziehung mit einer eher unscheinbaren Frau wie ihr eingehen würde. Dass dann sie es gewesen war, die die Trennung herbeigeführt hatte, hatte nur daran gelegen, dass sie die Zeichen schließlich erkannt und schnell gehandelt hatte. Das war alles. Denn nach etwas zu verlangen, was man niemals haben konnte, war nicht nur eine Verschwendung von Zeit und Energie, es war auf die Dauer auch selbstzerstörerisch.

Rechtzeitig zu handeln, um wenigstens noch ein wenig ihre Ehre zu retten, war ihr wichtig gewesen. Denn sonst hätte sie sich nur in der Rolle des Opfers wiedergefunden. Sie aber wollte den Kopf stets oben behalten. Selbstachtung und der Respekt der anderen gehörten zu den Grundpfeilern ihres Lebens. Deshalb hatte sie sich von Devlin getrennt, bevor er sie verlassen hätte. Und dann hatte sie versucht, einfach nicht mehr daran zu denken. Bis vor wenigen Minuten.

Denn auf einmal war die Vergangenheit wieder da. Der attraktive, verführerische Devlin mit seinem dichten, dunklen Haar und den strahlend blauen Augen unter fein geschwungenen Brauen. Eine leicht unregelmäßige Nase und ein sinnlicher Mund gaben ihm etwas Faszinierendes. Das gewisse Extra.

Sie dachte an sein tiefes, herzliches Lachen und an seinen glutvollen Blick, bevor er sie küsste. Wie er aus der Dusche trat und die Wassertropfen auf seinem männlich muskulösen Körper glitzerten. Während der Schulzeit war er ein hervorragender Schwimmer gewesen, und die breiten Schultern zeugten von seiner Kraft und Energie.

Dazu war er außerordentlich intelligent. Er selber hatte niemals darüber gesprochen, aber andere hatten ihr erzählt, dass er stets einer der Besten seiner Klasse gewesen sei, dabei aber nie ein Streber. Abgesehen von all diesen Fähigkeiten war er ein sehr kontaktfreudiger Mensch, hatte viel Humor und einen hintergründigen Charme, der kaum eine Frau kaltließ.

„Mama, Mama“, quengelte Ashley, und sie nahm sie in die Arme.

Sie lächelte ihre kleine Tochter an. „Das ist wohl das Einzige, was du sagen kannst.“

„Du erwartest doch wohl nicht, dass sie mit elf Monaten schon ein Gedicht aufsagen kann“, meinte Carmen trocken.

„Gibt es überhaupt noch jemanden, der Gedichte auswendig kann?“, fragte Mark lachend, und schon begann Carmen, einige Verse zum Besten zu geben.

Mark und Gillian klatschten fröhlich Beifall, als sie geendet hatte.

„Ich habe es in der Schule gelernt“, sagte Carmen.

„Und ich habe einige unanständige Lieder gelernt“, rief Mark, „aber nicht in der Schule. Soll ich sie vorsingen?“

„Wehe!“ Gillian lachte, während sie Ashley durch das dunkle Haar strich, das sie so sehr an Devlin erinnerte. Ebenso wie die wachen hellblauen Augen sie oft an den Vater ihrer Tochter denken ließen. Eine Woche nachdem sie sich von Devlin getrennt hatte, hatte sie bemerkt, dass sie schwanger war. Eigentlich hatte er das nie erfahren sollen, doch nun …

Jemand klopfte an die Tür.

„Was machen wir, wenn er es ist?“, flüsterte Mark, und Gillian und Carmen wussten natürlich sofort, wen er meinte.

„Wir machen natürlich auf“, erklärte Gillian entschieden. „Schließlich können wir uns nicht ewig verstecken.“

Als sie dann die Tür öffnete, begann ihr Herz sofort zu rasen. Und das verschlimmerte sich noch, als sie neben Devlin und seinem Schwager Cade eine wunderschöne, braunhaarige Frau vor sich stehen sah.

„Hallo“, sagte Devlin. „Wir machen eine Pause und wollten etwas essen. Habt ihr Lust, mit uns zu kommen?“

„Ihr seid alle eingeladen“, fügte Cade hinzu.

„Mein Schwager ist ja so ein netter Kerl“, bemerkte Devlin ironisch, während die braunhaarige Frau auf sie zutrat.

„Ich bin Kylie Austin, Devlins Schwester. Sie haben ja ein süßes Baby.“

„Danke.“ Gillian betrachtete Kylie unauffällig. Die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder Devlin war verblüffend, und sie konnte sich leicht vorstellen, wie Ashley aussehen würde, wenn sie groß war.

„Es ist sehr nett von Ihnen, vorbeizukommen und uns einzuladen. Aber wir haben schon gegessen“, antwortete sie.

„Brauchen Sie sonst etwas?“, fragte Cade. „Vielleicht etwas für die Kleine?“, fügte er eindringlich hinzu.

Gillian warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Kannte er die Wahrheit? Nein, unmöglich, dass er wusste, wer Ashleys Vater war. „Nein, danke, wir haben alles. Aber es ist wirklich reizend, dass Sie daran gedacht haben. Es geht nichts über gute Nachbarschaft.“

Sie blickte ihnen nach, als sie nun zum Fahrstuhl gingen.

Plötzlich drehte Devlin sich um und kam zu ihr zurück. „Ich denke, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“

„Ach wirklich?“ Es klang schärfer, als es gemeint war.

„Mein Schwager kann einfach nicht anders. Er muss sich immer um jeden und alles kümmern.“

„Willst du mir damit sagen, dass die Einladung seine Idee war und nicht deine?“ Ärger stieg in ihr hoch. Dabei hätte sie erleichtert sein sollen. „Ich brauche wirklich nichts“, betonte sie es noch einmal und wollte die Tür schließen. Doch Devlin bewegte sich nicht von der Stelle. „Kann ich jetzt zumachen?“

Devlin lehnte sich ironisch lächelnd an den Türpfosten. „Ich frage mich, wie ernst es dir ist. Wirst du abwarten, bis ich von allein gehe, oder wirst du mir die Tür vor der Nase zuschlagen?“

„Gillian würde niemals derart unhöflich sein.“ Mark war an die Tür gekommen.

„Wer sind Sie?“, fragte Devlin.

„Vielleicht sollten Sie sich lieber um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern“, entgegnete Mark. „Ihre Schwester Kylie und ihr Mann warten sicher schon, und wir …“

„Und wir haben noch zu tun“, mischte auch Carmen sich jetzt in die Unterhaltung ein. „Wenn Sie uns also in Ruhe lassen würden.“

„Tut mir leid, wenn ich gestört habe.“ Devlin blickte zu Gillian. In dem Moment schrie das Baby, und um es zu beruhigen, reichte er der Kleinen spontan einen Finger, den sie gleich mit der ganzen Hand umschloss.

„Bestimmt willst du mir Auf Wiedersehen sagen“, murmelte er.

Autor

Barbara Boswell
Barbara Boswell war als Krankenschwester tätig, bis sie sich ganz der Kindererziehung widmete. Sie begann 1983 zu schreiben und veröffentlichte 22 Romane.
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