NOX Band 9

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ZWISCHEN TAG UND TRAUM von CHARLOTTE DOUGLAS

Tory Caswell, Besitzerin einer Werbeagentur und mit beiden Beinen fest im Leben, kann es nicht fassen: Neben ihr im Hotelbett liegt ein wildfremder Mann, der behauptet, aus einem anderen Jahrhundert zu sein. Und plötzlich ist sie mittendrin in einer Liebesgeschichte, in der fantastische Dinge passieren und das Begehren stärker ist als alle Vernunft ...


VERFÜHRT VON EINEM ENGEL von MARY ANNE WILSON

Mit einem ganz besonderen Auftrag wird der bezaubernde Engel Angelina zur Erde gesandt: Eine pikante Mission erwartet die himmlische Botin! Doch Engel sind auch nur Menschen, und so kommt es, dass Angelina sich Hals über Kopf in den attraktiven Dennis verliebt. Am Valentinstag entscheidet sich ihr Schicksal ...


  • Erscheinungstag 18.01.2025
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532679
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

CHARLOTTE DOUGLAS

1. KAPITEL

„Wie wäre es mit einer schönen Tasse Tee, meine Liebe? Sie sehen geschafft aus.“

Tory Caswell drehte sich überrascht um. Die letzten Hochzeitsgäste waren vor einer Stunde gegangen. Tory war zu müde und zu deprimiert gewesen, um in ihr leeres Hotelzimmer zu gehen, und sie hatte gedacht, in dem Ballsaal allein zu sein.

Die kleine, ältere Frau in der Uniform eines Hausmädchens war scheinbar aus dem Nichts heraus aufgetaucht. „Es geht ganz schnell.“

Tory bemühte sich vergeblich, das Gesicht der Frau in dem schwachen Licht auszumachen, das von den Lichterketten stammte, die um die Säulen geschlungen waren.

„Nein, danke“, erwiderte Tory. „Hier ist nichts mehr zu tun, und ich gehe auch gleich.“

Das Hausmädchen sah sich in dem mit Grünpflanzen, weißen Luftschlangen, rosa Rosen und Lilien geschmückten Saal um.

Jills Hochzeitsfarben – die Farben des Valentinstages.

Die Frau in der weißen und grauen Uniform drehte sich, und das Licht fiel auf rosige Wangen, veilchenblaue Augen und leuchtend weißes Haar. „Muss eine schöne Hochzeit gewesen sein“, meinte sie.

„Ja.“ Tory seufzte schwer. „Meine Schwester hat geheiratet.“

„Sie sehen selbst wie eine Braut aus, meine Liebe. Rosa Satin und weiße Spitze. Wie nennen Sie diesen Stil?“ Prüfend berührte sie Torys ausgestellten Ärmel.

„Viktorianisch. Meine Schwester ist ganz verrückt danach. Darum hat sie auch dieses alte Hotel für ihre Hochzeit ausgesucht.“ Eine Träne lief Tory über die Wange.

„Aber, aber.“ Die zierliche Frau holte ein Taschentuch aus der Schürzentasche und drückte es Tory in die Hand. „Eine Hochzeit sollte ein fröhliches Fest sein.“

„Das war sie auch.“ Tory schniefte. „Aber meine Schwester wird bei ihrem Mann in Australien leben. Die beiden sind sofort nach der Feier abgereist. Sie wird mir fehlen.“

„Natürlich, aber das Leben hält viele Überraschungen bereit.“ Die freundliche Stimme des Hausmädchens mit dem britischen Akzent linderte Torys Schmerz. „Ich bringe Ihnen jetzt Tee und trinke auch eine Tasse, und Sie erzählen mir von der Hochzeit.“

„Bitte, machen Sie sich keine Mühe.“

„Das ist keine Mühe, Miss Caswell. Übrigens, ich heiße Emma.“ Die Frau verschwand durch die Schwingtür zur Küche.

Woher kannte Emma ihren Namen? Ein Schauer lief Tory über den Rücken. Doch dann fiel ihr ein, dass sie zusammen mit allen anderen Teilnehmern am Beginn der Hochzeitsfeier vorgestellt worden war.

Planung und Vorbereitung des großen Ereignisses lagen jetzt hinter ihr, zwei Wochen Urlaub in Florida vor ihr. Jahrelang hatte sie sich nicht freigenommen, aber die Werbeagentur, die sie mit harter Arbeit aufgebaut hatte, konnte eine Weile ohne sie auskommen. Heute Morgen hatte der Wetterbericht für Atlanta Schneeregen und Glatteis angekündigt. Der Kälteeinbruch in Florida Anfang Februar sollte jedoch schon morgen Nachmittag wieder vorüber sein.

Tory wollte den Sonntag am Strand verbringen und den Bestseller lesen, den sie zusammen mit dem Badeanzug und dem Kleid der Brautjungfer eingepackt hatte. Mit etwas Glück traf sie auch noch einen gut aussehenden, ungebundenen Mann, der zu einer kurzen Romanze bereit war. Nichts für länger. So viel Zeit konnte sie nicht von ihrer Arbeit abzweigen. Nur ein paar Tage Strand, See und Sonnenschein und ein attraktiver Zeitvertreib.

Sie stand auf, strich den langen Rock glatt und ging über das schimmernde Parkett. Auf den Tischen rings um die Tanzfläche standen zierliche Gestecke aus Rosen.

Rosa war die Lieblingsfarbe ihrer Mutter gewesen. Der Schmerz schnürte Tory die Kehle zu. Ihre Eltern hatten Jills Hochzeit nicht erlebt.

Durch die hohen Fenster blickte sie über die gepflegte Gartenanlage zum Golf von Mexiko hinunter. Der Vollmond stand über dem ruhigen Wasser und warf eine silbrige Bahn vom Horizont bis zur Küste.

Als sie und Jill noch Kinder waren, hatte ihre Familie hier Urlaub gemacht. Seither hatte ihre Schwester von einer romantischen Hochzeit in dem alten Bellevue Hotel mit den Spitzdächern und den breiten, verzierten Veranden geträumt.

„Deine Träume sind wahr geworden, Jillie.“ Torys Stimme hallte durch den Saal. „Vielleicht würden meine Träume auch wahr werden, wenn ich welche hätte.“

Plötzlich traf sie ein eisiger Lufthauch, bei dem sie eine Gänsehaut bekam. Den Tee mit Emma ließ sie besser ausfallen. Sie holte die Handtasche von ihrem Tisch und wollte sich zurückziehen, blieb jedoch stehen. Eine Frau stand vor den Doppeltüren am Ende des Saals.

„Kann ich Ihnen helfen?“, rief Tory in der Annahme, ein Hochzeitsgast hätte etwas vergessen.

Schweigend kam die Frau näher. Sie gehörte nicht zu den Gästen. Tory hatte sie noch nie gesehen. Die atemberaubend schöne Frau mit schneeweißer Haut und üppigem schwarzen Lockenhaar trug ein ähnliches Kleid wie sie selbst. Die türkisfarbene, schimmernde Seide überstrahlte alles Licht im Saal. Ein unheimliches Leuchten ging von den hellblauen Augen aus, während sie über die Tanzfläche schwebte und hinter sich Dunkelheit zurückließ.

Je näher sie kam, desto kälter wurde es. Tory schauderte unter dieser Kälte – und wegen der unglücklichen Miene der jungen Frau. Tory sah nervös zur Küchentür, aber vom Hotelpersonal zeigte sich niemand.

Die junge Frau streckte ihr die blasse, schmale Hand entgegen. „Haben Sie ihn gesehen?“

„Wen?“, fragte Tory.

Die Frau stöhnte leise auf. „Den Mann, den ich heiraten werde.“

„Nein.“ Tory seufzte matt. „Und nach dem heutigen Abend will ich auch lange nichts mehr mit Hochzeiten zu tun haben.“

Es wurde immer kälter im Saal. Tory klapperte schon mit den Zähnen. Offenbar war die Heizung ausgeschaltet worden.

„Helfen Sie mir bitte“, flehte die Frau. „Ich muss ihn finden.“

„Alle sind schon vor einer Stunde gegangen. Falls er hier war, ist er bereits fort.“ Tory wollte zur Tür, doch die Frau versperrte ihr den Weg.

„Er kann nicht fort sein. Ich brauche ihn.“ Die schlanke Gestalt wurde von Schluchzen geschüttelt. Tränen liefen ihr über die weißen Wangen.

Tory wollte jemanden herbeirufen und die verstörte junge Frau dem Hotelpersonal anvertrauen. Doch bevor sie auch nur ein Wort hervorbrachte, brach die Unbekannte weinend auf dem Parkett zusammen … und löste sich in nichts auf.

Tory starrte auf die leere Tanzfläche. Menschen lösten sich nicht einfach in nichts auf. Es musste eine vernünftige Erklärung geben. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. Vielleicht hatte sie mehr Champagner getrunken, als sie gedacht hatte. Oder es kam von der Erschöpfung. Ihre Angestellten hatten sie schon gewarnt, sie würde zu hart arbeiten.

Emma kam mit einem großen Tablett aus der Küche, stellte es auf den Tisch und betrachtete Tory scharf. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein, nein.“ Tory griff mit zitternden Händen nach ihrer bestickten Handtasche und stand auf. „Ich bin müde und gehe schlafen.“

„Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie einen Geist gesehen.“

„Ich glaube nicht an Geister!“, erwiderte Tory heftig.

„Dann haben Sie sie also gesehen. Ich wusste, dass sie heute Abend erscheinen wird.“ Emma drückte sie auf den Stuhl zurück und tätschelte ihren Arm. „Trinken Sie den Tee. Und dann erzählen Sie mir alles.“

Tory atmete tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen. Warme, nach Rosen und Lilien duftende Luft vertrieb Kälte und Dunkelheit. Jetzt erst begriff sie, was Emma gesagt hatte. „Sie haben gewusst, dass diese Frau herkommen wird? Wieso?“

„Der Geist …“

„Ich glaube nicht an Geister“, wiederholte Tory und nahm einen Schluck von dem exotisch duftenden Tee.

„Natürlich nicht, aber wer unsere Angelina sieht, wird schnell bekehrt.“

„Angelina?“

„Angelina erscheint seit fast einem Jahrhundert bei jeder Hochzeit im Bellevue.“ Stirnrunzelnd rührte Emma Zucker in ihren Tee. „Für gewöhnlich zeigt sie sich allerdings der Braut.“

„Ein Glück, dass sie Jillie nicht den Tag verdorben hat! Wer ist sie?“

„Vor fast hundert Jahren wohnte Angelina Fairchild kurz nach der Eröffnung im Bellevue. Sie verliebte sich in einen anderen Hotelgast, aber die beiden haben sich zerstritten.“

Tory nahm noch einen Schluck Tee. „Woher wissen Sie das?“

„Die Geschichte kennt hier jeder.“ Emma strich ihre Schürze glatt. „Sie können Angelina in unserer kleinen historischen Ausstellung im Korridor sehen. Sie ist auf mehreren Bildern, unter anderem auf einem Fahrrad vor dem Westportal.“

„Die meisten Verliebten streiten irgendwann, aber sie spuken nicht ein Jahrhundert später und erschrecken Bräute.“ Tory hatte Mühe, nach diesem langen, aufregenden Tag wach zu bleiben.

Emma beugte sich über den Tisch und flüsterte verschwörerisch: „Es war kein gewöhnlicher Streit. Angelina stürmte aus dem Hotel, lief zum Wasser hinunter und fuhr allein mit einem Boot zur Insel hinüber.“

Tory hielt gähnend die Hand vor den Mund. „Auch nicht ungewöhnlich. Sie wollte eben etwas Abstand zu ihrem Geliebten.“

„Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Das Boot kenterte in einer Bö, und Angelina ertrank.“ Emma schenkte Tee nach. „Die Liebenden hatten keine Gelegenheit mehr zu einer Versöhnung. Seit jener tragischen Nacht spukt Angelina bei Hochzeiten im Hotel und sucht ihren verlorenen Geliebten. Wahrscheinlich will sie alles in Ordnung bringen.“

Tory erinnerte sich an Angelinas verzweifelten Blick und leerte fröstelnd ihre Tasse. „Hoffentlich kann ich nach dieser Geschichte schlafen, Emma.“

„Aber natürlich, meine Liebe.“ Emma lächelte ganz reizend. „Sie werden wie ein Murmeltier schlafen.“

Müde wankte Tory durch den Ballsaal. Am Ausgang drehte sie sich um und warf einen letzten Blick zurück. Emma und ihr Tablett waren verschwunden. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, und sie hastete auf den dunklen, leeren Korridor hinaus.

Wo ist er? Wo ist er?, wisperte es.

Flach mit dem Rücken an die Wand gedrückt, blickte sie nach allen Seiten, um herauszufinden, woher die Stimmen kamen. Stand sie still, war nichts zu hören. Doch sobald sie sich von der Wandtäfelung abstieß und zu ihrem Zimmer eilte, folgte ihr das Flüstern.

Wo ist er? Wo ist er?

Überstürzt schloss sie ihre Tür auf, sperrte hinter sich ab und lehnte sich dagegen. Wieder erstarben die Stimmen, setzten jedoch erneut ein, als sie zum Bett ging und der weite Satinrock raschelnd um ihre Beine schwang. Tory musste über sich selbst lachen. Emma war einfach in die Küche gelaufen, und die klagenden Stimmen waren nichts weiter als das Rascheln ihres Kleides. Und da Angelina sich nur bei Hochzeiten zeigte, tauchte sie bestimmt nicht mehr auf.

Tory brauchte jetzt Schlaf. Sie wollte den Reißverschluss ihres Kleides öffnen, doch die Arme gehorchten ihr nicht. Alles drehte sich um sie herum. Voll angezogen sank sie auf das breite Himmelbett und schlief sofort ein.

Sie träumte von Jills Hochzeit. Wie eine Videoaufzeichnung liefen die Ereignisse des Tages vor ihr ab, bis die Hochzeitsgäste auf die Hotelveranda traten. Eine Limousine stand bereit, um Jill und Rod zum Flughafen zu bringen. Danach veränderte sich alles. Es war nicht mehr später Abend und bereits dunkel, sondern die Sonne stand hoch am Himmel über Florida.

Sie war allein in der Zufahrt des Hotels und winkte, bis ihre Schwester nicht mehr zu sehen war. Dann betrachtete sie die Inseln, die sich grün am westlichen Horizont erstreckten. Die Hotels und Wohnhäuser fehlten.

Beim Klang von Hufschlägen wandte sie sich wieder der mit Palmen gesäumten Zufahrt des Hotels zu. Ein Reiter kam im Zeitlupentempo näher.

Das hellbraune, lange Haar schimmerte im Sonnenschein. Die Ärmel des kragenlosen Hemdes waren hochgerollt und entblößten seine gebräunten Arme. Sogar aus dieser Entfernung bannte sie der Blick aus seinen grauen Augen.

Der Reiter kam näher. Schweißtropfen liefen von der hohen Stirn über seine Wangen. Der Atem des Hengstes schlug Tory bereits ins Gesicht.

Sie hörte, wie sie sich selbst beruhigte, sie würde nur träumen. Obwohl sie fliehen wollte, konnte sie die Beine nicht bewegen. Und dann prallte das Pferd mit seinem attraktiven Reiter gegen sie und stieß sie zu Boden. Um sie herum wurde es schwarz …

Der Gesang einer Drossel vor dem Fenster weckte Tory. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie sich aufsetzen wollte, aber es nicht schaffte.

Und dann sah sie neben sich auf dem weißen Kissen ein gebräuntes Gesicht.

Der Mann aus dem Traum schlief neben ihr.

2. KAPITEL

Rand Trent stöhnte unter heftigen Kopfschmerzen. Dabei hatte er am Vorabend nur Wein zum Dinner und hinterher Brandy getrunken, während er mit Jason Phiswick im Speisesaal über Geschäfte sprach.

Das Sonnenlicht drang durch seine geschlossenen Lider und verstärkte die Schmerzen. Als er sich auf den Bauch drehte, bemerkte er, dass er noch die gleiche Kleidung wie beim Dinner trug.

„Verdammt.“ Er drückte das Gesicht ins Kopfkissen und riss den Kopf hoch, als er einen erschrockenen Ausruf hörte. Blaue Augen in einem zart geschnittenen, ängstlichen Gesicht starrten ihm entgegen. Die Frau öffnete den Mund, um zu schreien.

Verdammt, sie wollte eine Szene machen. Mit einer fließenden Bewegung rollte er sich über die Frau hinweg auf die Bettkante und presste die Lippen auf ihren Mund, um den Schrei zu ersticken.

Für einen Moment entspannte sie sich, und er wollte den Kuss schon genießen, als die Frau mit Fäusten gegen seine Schultern schlug. Seine Kopfschmerzen wurden dadurch nur noch stärker, und seine Stimmung sackte ab. Er zog sich zurück und betrachtete ihre empörte Miene. Mit dem Handrücken rieb sie sich über die Lippen und öffnete erneut den Mund, als wollte sie schreien.

„Oh nein!“ Blitzartig hielt er ihr den Mund zu. Er wollte diesen schönen Eindringling aus seinem Zimmer befördern, die Vorhänge zuziehen und sich das Kissen auf den Kopf legen. „Wer sind Sie, und was machen Sie in meinem Bett?“, fragte er gereizt.

Sie schlug mit Armen und Beinen um sich und wehrte sich gegen die Hand auf ihrem Mund. Erschrocken zuckte er zurück, als sie ihn biss.

„Lieber Himmel, Sie sollten einen Maulkorb tragen!“

„Und Sie sollten Ihre Hände bei sich behalten!“, fauchte sie ihn an.

„Was erwarten Sie denn, wenn Sie in ein fremdes Bett kriechen?“ Offenbar hatten sich am Vorabend Dinge ereignet, an die er sich nicht mehr erinnerte. Aus der Tasche des Jacketts zog er etliche Geldscheine. „Damit dürften alle Schulden beglichen sein. Und jetzt gehen Sie, damit ich schlafen kann.“

Wütend ignorierte sie das Geld und zog an ihrem Rock, auf dem er saß. „Geben Sie mein Kleid frei, und ich verschwinde“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Sie versetzte ihm einen harten Stoß und zog ihren Rock unter ihm hervor. Rand fiel von der Bettkante, rollte über den Teppich und prallte gegen die Tür zum Korridor.

Weil er die Tür versperrte, eilte sie an den Schreibtisch, griff nach dem Telefon und drückte mit langen, eleganten Fingern die Tasten.

„Ein Mann ist in mein Zimmer eingedrungen. Schicken Sie den Sicherheitsdienst!“

Panik schwang in ihrer sanften Stimme mit. Erst jetzt nahm Rand bewusst das Abendkleid aus rosa Satin wahr, das sich um ihre schlanke Gestalt schmiegte. Ihr dichtes, blondes Haar, ihre zarten Züge und ihr erregender Körper gefielen ihm.

„Wer sind Sie?“, fragten beide wie aus einem Mund.

Er setzte sich auf. „Damen haben den Vortritt.“

„Ich bin Victoria Caswell, und das hier ist mein Zimmer. Wie sind Sie hereingekommen, und was wollen Sie hier?“ Vor Zorn und Empörung klang ihre Stimme jetzt gar nicht mehr sanft.

Er versuchte aufzustehen, schaffte es jedoch nicht. Verdammter Kater! Rand lehnte sich gegen die Tür und tastete seine Taschen ab. „Gestern Abend hatte ich meinen Schlüssel noch. Jetzt finde ich ihn nicht. Ich muss ihn in der Tür stecken gelassen haben.“

„Sie können gar keinen Schlüssel gehabt haben. Das hier ist mein Zimmer.“ Vom Schreibtisch nahm sie einen Schlüssel mit Anhänger und hielt ihn hoch. „Sehen Sie? Zimmer 131, mein Zimmer. Verschwinden Sie jetzt, sonst werden Sie vom Sicherheitsdienst verhaftet.“

„Aber 131 ist meine Zimmernummer, und ich schwöre, Miss Caswell, Sie haben gestern Abend nicht in meinem Bett gelegen. Daran würde ich mich erinnern.“

Die Frau schob sich zur Kommode, öffnete eine Schublade und fasste hinein, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Das sollte Sie überzeugen, dass dies hier mein Zimmer ist, es sei denn, Sie haben einen seltsamen Geschmack, was Unterwäsche angeht.“

Tory hielt dem Eindringling zartrosa Dessous entgegen. Wo blieb denn der Sicherheitsdienst? Der Fremde betrachtete eingehend das seidige Etwas. Sehr dummer Einfall. Falls er ein Sexualverbrecher war, winkte sie praktisch mit einem roten Tuch vor einem Stier. Hastig schob sie die Dessous in die Schublade und schloss sie.

„Sieht für mich etwas zu klein aus.“ Er lächelte. „Und Rosa ist nicht meine Farbe.“

Bei seinem Lächeln stockte ihr der Atem. „Und das hier ist nicht Ihr Zimmer.“

„Warum bin ich dann hier?“, fragte er verwirrt. „Haben Sie mich zu sich eingeladen?“

„Es ist nicht meine Art, betrunkene Fremde in mein Zimmer einzuladen, nicht einmal attraktive Fremde.“ Tory hielt sich den Mund zu. Wie konnte sie so etwas sagen?

Offenbar hatte er das Kompliment nicht mitbekommen. „Mir dreht sich alles. Könnten Sie mir ein Glas Wasser reichen?“

Er war grau im Gesicht und fühlte sich sichtlich nicht wohl. Es schadete nichts, ihm den Gefallen zu tun und ihn hinzuhalten, bis der Sicherheitsdienst endlich kam.

Tory wich ins Bad zurück und brachte ihm ein Glas.

„Danke.“ Seine Hand zitterte, als er das Glas an die Lippen hob und auf den Boden stellte.

Tory holte tief Luft, um sich zu beruhigen. „Wollen Sie jetzt bitte gehen.“

„Nur, wenn Sie heute Abend mit mir essen. Als Entschädigung für meinen … meinen Fehler.“

Sie sah förmlich vor sich, wie sie an einem Tisch auf der Hotelterrasse saßen, bevor sich ihr gesunder Menschenverstand meldete. „Sie schulden mir gar nichts, nur meine ungestörte Privatsphäre.“

Er hob die Hand an den Mund und saugte, wo sie ihn gebissen hatte. „Sie haben recht. Ich sollte gehen, bevor ich verblute.“

Sie unterdrückte das Mitgefühl und wählte noch einmal die Rezeption an, aber jetzt war besetzt.

„Offenbar liegt ein Fehler vor“, meinte er. „Vielleicht hat man uns beiden irrtümlich dasselbe Zimmer gegeben.“ Unsicher stand er auf und kam auf sie zu.

„Bleiben Sie weg von mir, ich warne Sie!“ Erschrocken griff sie nach einem ledergebundenen Telefonbuch.

Entweder hatte der Mann sie nicht gehört, oder er achtete nicht auf ihre Worte. Unaufhaltsam stolperte er auf sie zu. Sobald er in Reichweite war, hob sie das Telefonbuch und schlug es ihm auf den Kopf.

Er schüttelte benommen den Kopf und wandte sich der Tür zu. Dann knickten ihm die Knie weg. Er kippte vornüber auf den weichen Teppich und rührte sich nicht mehr.

Tory erstarrte. Sie hatte nicht hart zugeschlagen, und das weiche Leder hatte den Schlag gemildert. Dieser Zusammenbruch konnte ein Trick sein, mit dem er sie zu sich locken wollte. An der Rezeption bekam sie noch immer das Besetztzeichen. Sie hatte bereits den Notruf gewählt, als es an der Tür klopfte.

Endlich kam der Sicherheitsdienst, dem sie den attraktiven Fremden überlassen konnte.

„Herein!“

Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Emma spähte fröhlich herein. „Die Rezeption schickt mich zu Ihnen, meine Liebe. Der Sicherheitsdienst hat mit einer Schlägerei im Schwimmbad und einem Diebstahl in der zweiten Etage zu tun.“

Tory unterdrückte eine gereizte Antwort. Was half ihr denn eine höchstens neunzig Pfund wiegende alte Frau gegen den Eindringling? Sie deutete auf den Reglosen. „Er ist letzte Nacht in mein Zimmer eingedrungen. Als ich heute Morgen erwachte, fand ich ihn in meinem Bett.“

Emma eilte zu dem Mann. „Ach, du liebe Güte! Sie haben ihm doch hoffentlich nichts getan?“

„Er ist in mein Zimmer eingebrochen. Der Himmel allein weiß, was er wollte. Ich möchte, dass er schnellstens von hier weggeschafft wird.“

„Ich schicke den Sicherheitsdienst zu Ihnen, sobald jemand frei ist, und ich versuche, einen Arzt aufzutreiben.“

„Warten Sie …“

Die Tür schloss sich hinter Emma, und Tory war mit dem Fremden wieder allein. Bis zum Eintreffen von Hilfe wollte sie das Zimmer verlassen, doch als sie gerade die Tür hinter sich schloss, stöhnte der Mann so herzzerreißend, dass sie stockte.

Es ging ihm eindeutig schlecht. Er lag auf dem Bauch und hatte den Kopf zur Seite gedreht. Sie kniete sich neben ihn, strich mit den Fingern durch sein dichtes, feines Haar und tastete nach Beulen oder anderen Verletzungen. Lange, dunkle Wimpern berührten die unter der Sonnenbräune blasse Wange. Tory legte die Hand an sein Kinn und befühlte die breite Stirn. Kühl und trocken. Keine Anzeichen von Fieber.

Erst jetzt fiel ihr der seltsame Schnitt seines grauen Anzugs auf, der breite Hemdkragen, der ungewöhnliche Krawattenknoten und die schimmernden, schwarzen Boots. Vielleicht ein Europäer. Die meisten Hotelgäste waren Touristen. Sie versuchte, ihn herumzudrehen und in seinen Taschen nach einem Ausweis zu suchen, konnte ihn jedoch nicht bewegen.

Betroffen zog sie die Hand zurück, als sie neben ihm eine feuchte Stelle berührte. Von seiner rechten Hand tropfte Blut aus der Bisswunde.

Rasch lief sie in das weiß gekachelte Bad, befeuchtete zwei Gästetücher und kehrte zu dem Reglosen zurück. Das eine Tuch band sie um seine blutende Hand, mit dem anderen kühlte sie sein Gesicht, um ihn zu wecken.

Während der Fremde wie tot dalag, rief Tory noch einmal an der Rezeption an. Es klingelte, aber niemand hob ab.

„Los, kommt schon“, murmelte sie vor sich hin.

„Was ist denn das?“

Sie zuckte bei der Frage zusammen. Der Fremde war wieder bei Bewusstsein, stützte sich auf einen Ellbogen und starrte auf den Fernseher. Ganz eindeutig war er noch verwirrter, als sie befürchtet hatte. Wo blieb bloß der Sicherheitsdienst? „Der Fernseher, was denn sonst?“

„Was ist ein Fernseher?“ Stöhnend richtete er sich auf, kam jedoch nur bis auf die Knie. Bevor er wieder umkippte, schlang Tory den Arm um ihn und zog ihn hoch. Schwankend schaffte sie ihn zu ihrem Bett. Er ließ sich darauf sinken, richtete die grauen Augen auf sie und hielt sie mit der unverletzten Hand fest. „Danke. Ich bin so müde …“

Er schloss die Augen und lockerte den Griff. Tory lauschte auf seinen gleichmäßigen Atem, nahm eine Decke vom Fußende des Betts und breitete sie über ihn. Im Schlaf entspannten sich die ausgeprägten Gesichtszüge so sehr, dass der Mann gar nicht mehr bedrohlich wirkte.

Dichtes dunkles Haar fiel ihm in die hohe Stirn bis zu den Augenbrauen und verlieh ihm das Aussehen eines schlafenden Kindes. Die harten Muskeln an Brust und Schenkeln, die nicht einmal die dicke Decke verbarg, hatten jedoch gar nichts Kindliches an sich. Zwischen den leicht geöffneten Lippen schimmerten kräftige, weiße Zähne. In den Mundwinkeln zeichneten sich feine Linien ab. Am festen Kinn zeigten sich dunkle Bartstoppeln.

Tory wandte sich ab. Es hatte keinen Sinn, sich Gedanken über den attraktiven Mann zu machen, der durch Zufall ihren Weg gekreuzt hatte. Selbst wenn er nicht verwirrt gewesen wäre, hätte sie nichts mit ihm anfangen können – mit keinem Mann.

Als ihre Mutter vor einem Jahr kurz nach dem tödlichen Herzinfarkt ihres Vaters aus Kummer starb, hatte sie sich geschworen, nie einen Mann so zu lieben, dass sie ohne ihn nicht leben konnte. Ihre Mutter hatte nicht weiterleben wollen. Doch Tory ließ sich nicht von Liebe vernichten, selbst wenn sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben musste. Sie hatte ihre Arbeit. Was brauchte sie mehr?

Sie holte andere Kleidung, trug sie ins Bad und schloss hinter sich ab. Ihre Schwester war jetzt schon am entgegengesetzten Ende der Welt. Jill hatte Rod. Seine große Familie wartete bestimmt auf dem Flughafen in Sydney. Doch auf sie selbst wartete niemand in dem großen, einstöckigen Haus in Atlanta, und niemand würde mit ihr den zweiwöchigen Urlaub verbringen.

Aber jetzt war sie nicht allein. Sie hatte einen Fremden in ihrem Zimmer und in ihrem Bett. Sehnsüchtig betrachtete sie die Dusche, begnügte sich jedoch mit Waschen, zog eine lange, rote Hose und eine zartrosa Bluse an und band ihr Haar mit einem dunkelblauen Band am Hinterkopf zusammen. Der Mann schlief noch immer in dem großen Doppelbett, als sie aus dem Bad kam.

Wo blieb der Sicherheitsdienst? Und wo der Arzt, den Emma holen wollte? Für ein Fünfsternehotel zeigte das Personal sehr wenig Eifer. Tory wählte erneut die Rezeption an, doch da war wieder besetzt.

Verärgert legte sie auf und fand die grauen Augen des Fremden auf sich gerichtet.

„Was machen Sie in meinem Zimmer, noch dazu so gekleidet?“, fragte er schwach.

„Wie gekleidet?“

„Wie ein … ein Mann.“ Er setzte sich mühsam auf und massierte vorsichtig die Schläfen.

„Vielen Dank!“, stieß sie gereizt hervor. Männer hatten ihr Aussehen schon unterschiedlich beschrieben, aber noch nie ‚wie ein Mann‘ gesagt. „Erinnern Sie sich nicht? Wir waren uns einig, dass das hier mein Zimmer ist.“

„Tut mir leid, aber ich habe entsetzliche Kopfschmerzen und …“

Er verstummte, als sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Emma schob lächelnd einen mit einem weißen Tuch zugedeckten Servierwagen herein.

„Was soll das?“, fragte Tory. „Wo bleibt der Sicherheitsdienst?“

„Der ist überflüssig, meine Liebe. Es ist alles unter Kontrolle.“ Emma zog das Tuch von dem Servierwagen, auf dem Frühstück für zwei Personen stand.

„In meinem Bett liegt ein Fremder, an der Rezeption meldet sich niemand, und Sie bringen ein Frühstück, das ich nicht bestellt habe. Das hat nichts mit Kontrolle zu tun, sondern mit Chaos.“ Tory streckte die Hand nach der Türklinke aus und wollte Emma mitsamt ihrem Frühstück hinauswerfen.

Emma drückte ihr ein Glas Orangensaft in die Hand. „Wenn Sie gefrühstückt haben, fühlen Sie sich bestimmt besser. Und seinem Aussehen nach zu schließen, könnte Mr. Trent eine anständige Mahlzeit vertragen.“

Tory wandte sich dem Mann zu, der sich in ihrem Bett aufgesetzt hatte. Er bekam wieder Farbe im Gesicht, während er sie interessiert betrachtete. „Mr. Trent? Sie kennen ihn?“

„Randolph Trent. Ich habe sein Bild tausendmal in der historischen Ausstellung im Westflügel gesehen.“ Emma deckte geschäftig den Tisch. „Sie können selbst nachsehen, wenn Sie mir nicht glauben.“

„Aber diese Bilder wurden vor hundert Jahren gemacht“, wandte Tory ein. „Randolph Trent ist …“

„Tot!“ Emmas veilchenblaue Augen funkelten. „Mausetot!“

3. KAPITEL

„Sie haben den Verstand verloren.“ Rand stand auf und ging auf das Hausmädchen zu. „Ich bin Randolph Trent, und ich mag einen Kater haben, aber ich lebe.“ Doch noch während er sprach, kamen ihm Zweifel. Etwas Seltsames ging hier vor sich – von der schönen Frau, die er in seinem Bett gefunden hatte, über das seltsame Telefon mit Tasten bis hin zu dem sonderbaren Möbelstück, das sie einen Fernseher genannt hatte.

Das Hausmädchen nahm die Deckel von den Servierplatten ab. „Natürlich leben Sie. Deshalb haben Sie Hunger. Und wenn Sie nicht tot sind, muss es eine Erklärung dafür geben, dass Sie hier aufgetaucht sind.“

„Ja, warum sind Sie hier aufgetaucht?“, fragte die attraktive junge Frau.

„Guten Appetit.“ Das Hausmädchen eilte hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Der Duft von Rührei und Bratwurst stieg Rand entgegen. Woher hatte das Hausmädchen eigentlich gewusst, wie hungrig er war? „Miss Caswell, wenn ich mich recht erinnere … Mir ist, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen, und ich möchte nicht wieder ohnmächtig werden. Könnten wir beim Frühstück ruhig über alles reden?“

Sie wollte schon widersprechen, überlegte es sich und setzte sich mit ihm an den Tisch im Erker.

Während er sich auf die Bratwurst und das Rührei stürzte, betrachtete er sie fragend. „Sie essen gar nicht, Miss Caswell.“

Vor Aufregung über den verwirrenden Randolph Trent hatte sie den Appetit verloren. „Damit warte ich, bis Sie einige Fragen beantwortet haben. Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“

„Ich bin Randolph Trent und verbringe im Bellevue einen Arbeitsurlaub.“ Er schob den leeren Teller von sich. „Und wer sind Sie, Miss Caswell, und was machen Sie hier?“

Es musste doch eine vernünftige Erklärung geben. Vielleicht war er Trents Urenkel, der seinem Vorfahren zum Verwechseln ähnlich sah. „Wann sind Sie im Hotel angekommen?“

„Welcher Tag ist heute?“

„Montag.“

„Ich bin vor drei Wochen angekommen und habe Zimmer 131 bezogen.“

Lügner. Sie hatte vor vier Tagen Zimmer 131 erhalten. Dann kam ihr eine unglaubliche Idee. „In welchem Jahr?“

„Die Frage ist lächerlich. Natürlich 1897.“ Danach wollte er aufstehen.

Sie sah ihn fassungslos an. „Aber das ist fast hundert Jahre her!“

Er ließ sich wie ein Stein auf den Stuhl fallen und wurde blass. „Das finde ich nicht lustig, Miss Caswell.“

„Ich auch nicht.“ Mit der Fernsteuerung schaltete sie den Fernseher auf den Wetterkanal, auf dem gerade die Vorhersage für die nächsten sechsunddreißig Stunden abrollte. „Sehen Sie in der rechten oberen Ecke das heutige Datum?“

Benommen starrte Randolph Trent auf den Fernseher. „Das glaube ich nicht!“

„Warum sollte ich lügen?“

„Nein, nicht Sie. Dieser Kasten …“ Er hielt den Atem an, als ein Werbespot mit gurgelnden Babys ablief, stand auf, strich mit der Hand über den Bildschirm und zuckte unter der statischen Entladung zurück. Danach betrachtete er die Rückseite des Geräts und die Kabelverbindungen zur Wand. „Wie machen Sie das?“

Tory kam sich wie eine gütige Fee vor, als sie mit der Fernsteuerung von einem Kanal zum anderen sprang.

Rand setzte sich wieder. „Das muss ein Trick sein. Wie bin ich hergekommen, und wo sind die letzten hundert Jahre geblieben?“

Sie legte die Fernsteuerung weg und erinnerte sich an Angelina. „Vielleicht sind Sie gestern Abend gestorben.“

„Oh nein.“ Er hob die rechte Hand. Das feuchte Tuch hatte sich rötlich verfärbt. „Geister bluten nicht.“

„Bis gestern Abend habe ich nicht an Geister geglaubt.“ Es war ihr unangenehm, dass sie ihn verletzt hatte, obwohl er ihr nichts antun wollte.

Rand verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Was ist gestern Abend geschehen?“

„Der Geist von Angelina Fairchild ist mir im Ballsaal erschienen.“ Sie nahm einen Schluck kalten Kaffee.

„Vielleicht war das kein Geist.“

„Sie war bestimmt ein Geist. Emma sagt …“

„Emma?“

„Das Hausmädchen, das unser Frühstück gebracht hat. Sie hat mir erzählt, dass Angelina seit hundert Jahren hier im Hotel Bräute erschreckt.“

Rand stand auf. „Wenn Sie eine Braut sind, bringt meine Anwesenheit Sie in eine kompromittierende Situation. Meine Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl sind weg. Ich gehe sofort.“

„Nein, bitte bleiben Sie.“ Es überraschte sie, dass sie so heftig widersprach. Noch vor Kurzem hatte sie ihn loswerden wollen. „Ich bin nicht die Braut. Meine Schwester hat gestern geheiratet.“

„Das verstehe ich nicht. Ich habe Angelina Fairchild gestern Abend beim Essen gesehen. Eine bezaubernde junge Frau.“ Geistesabwesend griff er nach einer Toastscheibe.

War er der Mann, den Angelina suchte? Hatte sie gewusst, dass Rand hier erscheinen würde?

Er strich Marmelade auf den Toast. „Warum erscheint sie hier im Hotel Bräuten?“

„Angelina hatte einen Streit mit dem Mann, den sie liebte. Bevor sie sich versöhnen konnten, starb sie bei einem Unfall. Vielleicht neidet sie allen Bräuten ihr Glück, oder vielleicht glaubt sie, dass sie hier ihre verlorene Liebe wiederfindet.“

„Was muss das für ein Mann sein, der eine so zauberhafte Frau schlecht behandelt?“, fragte er.

„Genau das frage ich mich auch.“ Sie betrachtete ihn genauer und fand in seinem Gesicht keine Spur von Reue. „Aber Angelina ist nicht das Problem. Sie erscheint nur bei Hochzeiten und wird sich mir daher nicht mehr zeigen.“

„Was ist dann das Problem – abgesehen davon, dass nichts mehr zu essen da ist?“ Er hatte die Servierschalen vollständig geleert und betrachtete Torys Frühstück, das sie noch immer nicht angerührt hatte. „Essen Sie nichts?“

Sie reichte ihm ihren Teller und staunte, wie er zulangte. Dieser Mann war eindeutig kein Geist. „Es gibt mehrere Probleme. Das erste ist die Verletzung des Naturgesetzes, dass zwei Körper sich nicht im selben Raum befinden können.“

„Sie meinen Raum 131?“ Lächelnd schenkte er ihr Kaffee ein.

Tory bekam ein flaues Gefühl im Magen bei der Vorstellung, jeden Morgen mit Randolph Trent das Frühstück zu teilen. „Das zweite Problem betrifft Sie, nicht mich. Wie wollen Sie ins Bellevue des Jahres 1897 zurückkehren? Wenn Sie das lösen, erledigt sich die Überbelegung von Raum 131 ganz von selbst.“

Er hörte zu lächeln auf. „Genauso gut könnten Sie von mir verlangen zu fliegen.“

„Fliegen kann ich, aber von Zeitreisen verstehe ich nichts.“

„Sie können fliegen?“ Er ließ die Gabel fallen und sah sie ungläubig an.

„Natürlich nicht ohne Flugzeug.“ Sie musste angesichts seiner fassungslosen Miene das Lachen unterdrücken.

„Flugzeug?“

„Große fliegende Maschinen, die Hunderte von Menschen durch die Luft tragen – aber leider nicht auch durch die Zeit.“

Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Zeitreisen … Letztes Jahr habe ich zu diesem Thema ein Buch von Mr. Twain gelesen. Ein Schlag auf den Kopf versetzte den Helden ins mittelalterliche England, und ein zweiter Schlag brachte ihn in die Gegenwart zurück. Aber das war natürlich nur ein Roman.“

„Man könnte die Methode ausprobieren.“ Tory wog die Kaffeekanne abschätzend in der Hand.

„Ich finde Ihren Eifer bewundernswert.“ Rand schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. „Ich erinnere mich allerdings an keinen Schlag auf den Kopf. Ich weiß nur, dass ich dieses Zimmer betrat und auf das Bett fiel.“ Er deutete auf das Telefonbuch auf der Kommode. „Außerdem haben Sie diese Methode schon ausprobiert, und sie hat nicht funktioniert.“

„Wie gesagt, ich verstehe nichts von Zeitreisen, aber ich kann unser erstes Problem lösen.“ Sie holte das Telefon an den Tisch und tippte die Nummer der Rezeption ein. Jetzt meldete sich sofort jemand. „Hier ist Victoria Caswell in Zimmer 131. Ein Freund ist unerwartet eingetroffen und braucht ein Zimmer.“

Rand warf ihr einen fragenden Blick zu, als sie auflegte. „Und?“

„Sie überprüfen ihre Reservierungen und melden sich wieder bei mir.“

„Ich bin Ihnen für Ihre Mühe dankbar, aber ich will kein Zimmer. Ich muss zurück, und zwar sofort.“

Schlechtes Gewissen meldete sich bei Tory. Sie hatte nur an sich selbst gedacht. Aber wie wäre ihr zumute, hätte es sie hundert Jahre in die Zukunft verschlagen? Suchte vielleicht jemand nach Randolph Trent? „Ihre Angehörigen müssen sich schon Sorgen machen.“

„Ich habe keine. Meine Eltern sind verstorben, und ich habe keine Geschwister.“

Tory setzte sich auf das Sofa, während Rand wie ein gefangenes Raubtier hin und her lief. „Irgendjemand wird Sie bestimmt vermissen.“

Er überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Ich habe auf dieser Reise meinen Diener in Chicago zurückgelassen. Aber wenn ich bis zum Wochenende meine Verhandlungen im Hotel nicht abschließe, verliere ich viel Geld.“

„Sie wurden um hundert Jahre in die Zukunft versetzt und können nur an Geld denken?“

Seine Miene verhärtete sich. „Geldverdienen ist mein Beruf. Ich sehe keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen.“

„Aber gibt es denn niemanden, den Sie vermissen und der Sie vermisst?“

„Ich versichere Ihnen, dass meine Abwesenheit niemanden stört, sofern sie kurz ist. Geschäftlich würde ich allerdings einen großen Verlust erleiden.“

„Das tut mir leid.“

Ihr Mitleid galt nicht seinem Bankkonto. Randolph Trent hatte offenbar niemanden, der ihm etwas bedeutete. Er wollte zurückkehren, aber nicht zu seinen Freunden, sondern zu seinen Finanzen. Falls er der Geliebte war, den Angelina suchte, hätte sie sich die Mühe sparen können.

Es klopfte, und gleich darauf wankte Emma schwer beladen mit Decken und Kissen herein.

„Was soll das?“, fragte Tory.

„Sie haben an der Rezeption wegen eines Zimmers für Ihren Freund angerufen.“ Emma ließ ihre Last neben Tory auf das Sofa fallen. „Das Hotel ist bis zum Monatsende ausgebucht, aber ich habe für Mr. Trent ein Bett gefunden.“

„Wo?“ Tory hoffte, dass es auf der anderen Seite des weitläufigen Gebäudes lag. Dort störte es sie nicht, wenn er wegen des verlorenen Geldes zeterte und jammerte.

Emmas Augen funkelten. „Sie sitzen darauf, meine Liebe.“

„Was heißt das?“ Tory verlor allmählich die Geduld.

„Keine Sorge, es ist ein sehr bequemes Schlafsofa. Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Emma schob die Hände unter die Schürze und wartete.

„Ja, bringen Sie mir die Rechnung. Ich ziehe aus. Mr. Trent kann das Zimmer haben.“

„Nein.“ Rand blieb stehen. „Ich möchte Ihnen nicht den Aufenthalt verderben und suche mir etwas anders.“

„Nun, Miss?“, fragte Emma.

Tory betrachtete den Mann genauer. Seiner altmodischen Kleidung sah man an, dass er darin geschlafen hatte, und seine Bartstoppeln zeigten sich deutlich. Mochte er auch attraktiv und kraftvoll wirken, er sah doch wie ein heimatloser Herumtreiber aus, der er in gewisser Weise ja auch war.

Sofern seine Taschen nicht mit Gold gefüllt waren, hatte er kein Geld. Und er kannte sich am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nicht aus. Wenn sie ihn jetzt verließ, landete er wahrscheinlich im Gefängnis oder in einer Nervenheilanstalt. Wer würde ihm schon glauben, dass er ein Zeitreisender war? Nicht einmal sie selbst war sich ihrer Sache sicher.

„Schon gut, Emma. Ich rufe an der Rezeption an, wenn ich abreisen will.“ Sie schloss die Tür hinter dem Hausmädchen. Hoffentlich hatte sie sich richtig entschieden.

„Ich habe es ernst gemeint, Miss Caswell.“ Seine breite Gestalt überragte sie. „Ich überlasse Ihnen das Zimmer.“

„Haben Sie denn Geld?“

Er leerte die Taschen, klingelte mit einigen Münzen, reichte ihr sein Scheckbuch und steckte eine große, antike goldene Uhr wieder ein.

Tory betrachtete das Scheckbuch. Das Papier sah neu aus, aber auf den Schecks fehlten sämtliche Nummern für Computer.

„Möglicherweise nützen mir die Schecks nichts“, meinte er. „Ich weiß nicht einmal, ob diese Bank überhaupt noch existiert.“

„Das kann man leicht herausfinden.“

Sie wählte die Auskunft und fragte nach der Nummer der Bank. Die Telefongesellschaft hatte keine Eintragung, und die gesprächige Angestellte berichtete, dass das an dieser Stelle stehende Gebäude vor dreißig Jahren niedergebrannt war.

„Sie haben kein Glück.“ Tory gab Rand das Scheckbuch zurück.

Er steckte es achselzuckend ein. „War nett, dass Sie es versucht haben, Miss Caswell.“

Sie holte tief Atem. „Wenn wir uns das Zimmer teilen, nennen Sie mich Tory.“

„Rand.“ Er ergriff lächelnd ihre Hand. „Ohne Sie wäre ich hilflos wie ein Neugeborenes. Ich bin Ihnen sehr dankbar.“

Seine Dankbarkeit war ihr sichtlich unangenehm. „Rand, ich muss mich erkundigen, ob es wegen der Hochzeit noch etwas zu regeln gibt.“ Sie griff nach dem kleinen Gegenstand, mit dem sie diesen Zauberkasten bedient hatte, schaltete die Bilder ein und reichte ihm das Ding. „Sie können sich über das zwanzigste Jahrhundert informieren, während ich weg bin.“

Er schloss die Finger um ihre zarte Hand. Ihr feiner Duft, eine Mischung aus Magnolien und Gewürzen, umfing ihn, und sie betrachtete ihn fragend. Er nahm die Fernsteuerung und ließ ihre Hand los, und der Zauber verflog.

„Ein ausgezeichneter Vorschlag“, antwortete er heiser.

„Ich komme bald wieder.“

Die Männerhose betonte ihren leichten Hüftschwung. Fasziniert sah er ihr nach, bis sie die Tür hinter sich schloss. Das Zimmer wirkte ohne sie leer.

Du verschwendest deine Zeit, hörte er die Stimme seines längst verstorbenen Onkels. Du solltest jede Minute ausnutzen. Zeit ist Geld.

Das Heulen einer Sirene aus dem seltsamen Kasten, den Tory Fernseher genannt hatte, vertrieb die Erinnerung. Rand setzte sich auf das Sofa und drückte die Tasten auf dem kleinen Gerät, um die Bilder zu verändern. Eine halbe Stunde lang betrachtete er schnittige, schnelle Kutschen ohne Pferde, Flugmaschinen, ihm unbekannte Politiker, Basketballer, ein großes purpurfarbenes Wesen, das mit kleinen Kindern sprach, und mehr nackte Arme, Beine und Busen, als er in seinen ganzen zweiunddreißig Jahren gesehen hatte.

Je länger er zusah, desto bewusster wurde ihm sein unpassendes Aussehen. Wenn er keine Aufmerksamkeit erregen wollte, musste er sich moderne Kleidung verschaffen.

Er holte sein Geld hervor, zählte es und rief dann an der Rezeption an.

Tory hastete zu ihrem Zimmer zurück. Es hatte länger als erwartet gedauert, Rechnungen zu unterschreiben und den Rest zu bezahlen. Die Blumen wurden in Altenheime gebracht. Die oberste Lage der Hochzeitstorte musste in Trockeneis verpackt und nach Australien geschickt werden. Jill und Rod konnte sie dann bis zu ihrem ersten Hochzeitstag in der Tiefkühltruhe aufbewahren – ein alter Südstaaten-Brauch und eine Überraschung für Jill.

Tory war auch in der historischen Ausstellung im Westflügel gewesen, wo laut Emma Fotos aus den Anfangstagen des Hotels hingen. Auf den Stufen des Westportals stand tatsächlich der Mann, den sie an diesem Morgen in ihrem Bett gefunden hatte. Er trug einen hohen, steifen Kragen und blickte durchdringend in die Kamera.

Doch Tory achtete in erster Linie auf die Frau, die besitzergreifend die Hand auf seinen Arm legte. Bekleidet mit einem dunklen Rock und einer gestärkten Bluse und mit einem Strohhut auf den dunklen Locken, blickte Angelina Fairchild lächelnd zu Randolph Trent hoch. Neben ihr stand ein netter junger Mann in einem Golfanzug.

Tory wollte ihren seltsamen Besucher noch einmal nach Angelina fragen. Die beiden Gestalten aus der Vergangenheit, die in ihrem Leben aufgetaucht waren, mussten irgendwie zusammenhängen.

Als sie den Raum betrat, war aufgeräumt worden. Der Fernseher lief noch, doch Randolph Trent war fort. Hatte sie womöglich nur geträumt? Die Zimmermädchen hatten offenbar das blutige Gästetuch weggeschafft, doch auf dem Schreibtisch fand sie neben dem Telefon sein Scheckbuch. Rand war also doch in ihrem Zimmer gewesen.

Hatte ihn die Zeitverschiebung, die ihn hergebracht hatte, auch wieder zurückgeholt? Sie schauderte bei der Vorstellung, sie hätte mitgerissen werden können, falls sie sich im Zimmer aufgehalten hätte.

Entsetzen über die Beinahe-Katastrophe lähmte sie fast. Hastig zog sie sich aus und schlüpfte in ihren Badeanzug, um der seltsamen Atmosphäre des Hotelzimmers zu entgehen, griff nach dem Bestseller auf dem Nachttisch und verließ fluchtartig den Raum.

Nahe dem Pool suchte sie sich einen Platz in der Sonne, streckte sich auf einem Liegestuhl aus und dachte an Randolph Trent. Hoffentlich war er sicher ins Jahr 1897 zurückgekehrt.

Wegen der drohenden Unsicherheit der Zeit in Zimmer 131 wäre sie gern umgezogen, aber laut Emma war das Hotel ausgebucht.

Allmählich half ihr die Sonne beim Entspannen. Als sie sich auf den Bauch drehte, um auch auf dem Rücken braun zu werden, überlegte sie, ob sie in das unfreundliche, graue Atlanta zurückkehren sollte. Dort wartete der Auftrag von Benson, Jurgen & Ives auf sie, und sie hatte noch keine einzige Idee für eine Werbekampagne für die führende Investmentfirma des Südens.

Sie brauchte einen längeren Aufenthalt in der Sonne, um sich wieder aufzuladen. Noch heute Nachmittag wollte sie das Bellevue verlassen und nach Daytona fahren. Zwei Wochen am Strand vertrieben bestimmt alle Erinnerungen an Randolph Trent.

Mit einem leichten Sonnenbrand und einem herrlich sündigen Cheeseburger im Magen kehrte Tory in ihr Zimmer zurück, um schnellstens zu packen und zu verschwinden.

Als sie die Tür öffnete, saß Randolph Trent entspannt auf dem Sofa und hatte die Füße auf den Tisch gelegt.

„Haben Sie sich gut unterhalten?“, fragte er und betrachtete sie vom Scheitel bis zur Sohle.

„Ich dachte, Sie wären wieder verschwunden“, sagte sie gereizt. „Wo waren Sie?“

Er lächelte zufrieden. „Ich habe auf meine Reserven zurückgegriffen. Um das hier einzulösen, brauche ich Ihre Hilfe.“

Er streckte ihr ein Stück Papier entgegen, das sie ihm aus der Hand riss. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich um ihn Sorgen gemacht hatte, und darüber, dass sie sich über seine Rückkehr so freute.

„Lieber Himmel, was haben Sie gemacht?“, stieß sie atemlos hervor, als sie den Scheck über hunderttausend Dollar sah.

Er lächelte noch zufriedener. „Ich brauchte Geld für Bekleidung und andere Dinge.“

„Aber wie …“

„Es ist mein Beruf, Geld zu beschaffen. Finanzielle Mittel in einer unbekannten Umgebung aufzutreiben, war zwar eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.“

Vorsichtig legte sie den Scheck auf den Tisch und setzte sich Rand gegenüber. „Hunderttausend Dollar innerhalb weniger Stunden? Sie müssen Magie eingesetzt haben.“

„Keine Magie.“

„Es war doch kein Raub …“

„Nichts Illegales. Ein Hotel wie dieses hat immer einen sehr entgegenkommenden Rezeptionsangestellten.“

Sie sah ihn fassungslos an. „Nicht so entgegenkommend, dass er Ihnen hunderttausend Dollar leihen würde.“

Rand schüttelte den Kopf. „Ich habe den Rezeptionsangestellten nach einem Buchladen und einer angesehenen Münzhandlung gefragt und ihn dann gebeten, mir ein Taxi zu rufen.“

Er streckte sich träge und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Die Muskeln unter seinem Jackett wölbten sich.

Tory löste den Blick von seinem anziehenden Körper. „Bücher und Münzen? Ich begreife gar nichts.“

„In der Buchhandlung schlug ich in einem Buch den jetzigen Wert von Münzen nach. Danach fuhr ich mit dem wartenden Taxi weiter zu einer großen Münzhandlung und verkaufte den Inhalt meiner Taschen – etliche Silber- und Goldmünzen und die goldene Taschenuhr meines Großvaters.“ 

„Ein paar Münzen und eine Uhr waren so wertvoll?“

„Sogar noch mehr, aber ich ließ mir ein paar Hunderter in bar geben. Schließlich brauchte ich Geld für das Taxi und ein Trinkgeld für den Rezeptionsangestellten.“

Und sie hatte ihn für einen hilflosen Reisenden aus der Vergangenheit gehalten! Er war noch keinen Tag hier und hatte schon ein kleines Vermögen gemacht. Was er wohl innerhalb einer Woche erreichte?

Dann entdeckte sie ihren Namen auf dem Scheck. „Wieso ist der Scheck auf mich ausgestellt?“

„Die Münzhandlung hatte nicht so viel Bargeld. Also musste ich einen Scheck nehmen.“

„Das habe ich nicht gemeint.“

Er lächelte. „Wie könnte ich ohne Ausweispapiere einen so hohen Scheck einlösen? Also lautet der Scheck auf Ihren Namen.“

Sie seufzte. Offenbar hatte er an alles gedacht. „Was wollen Sie mit so viel Geld machen?“

Er strich über seinen zerknitterten Anzug. „Sobald ich einen geeigneten Schneider finde, decke ich mich mit passender Kleidung ein.“

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel sah sie Rand, wie er in seinem altmodischen Anzug hinter einem antiken Schreibtisch saß, mit seinen durchdringenden, grauen Augen direkt in die Kamera blickte und Sprüche von sich gab wie: „Geldverdienen ist mein Beruf. Ich sehe keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen.“

Die gesamte Werbekampagne für Benson, Jurgen & Ives entstand in ihrer Fantasie. Falls Rand in ihrer Zeit festsaß, konnte sie ihm wenigstens einen Job bieten und ihrer Firma das attraktivste Werbe-Model seit dem Marlboro-Mann verschaffen.

„Rand“, sagte sie lächelnd, „es ist höchste Zeit, Sie mit einem Einkaufszentrum bekanntzumachen.“

4. KAPITEL

Nachdem Tory sich umgezogen hatte, griff sie nach ihrer Handtasche und den Autoschlüsseln. Rand saß vor dem Fernseher und war von einer Seifenoper fasziniert.

„Bereit?“, fragte sie.

Er löste sich von einem Paar, das sich auf dem Bildschirm wand. „Wir müssen meinen Scheck einlösen, bevor ich etwas kaufen kann.“

„Kein Problem. Es gibt überall Banken. Auf der Fahrt zum Einkaufszentrum halte ich an einem Autoschalter.“

Er sah sie an, als würde sie Chinesisch sprechen. „Autoschalter?“

„Sie werden es schon sehen. Wir leben praktisch in unseren Autos. Sie sind für uns so wichtig geworden, dass unser letzter Krieg um Öl ging.“

„Der letzte? Hat es viele gegeben?“, erkundigte er sich neugierig, während er ihr in die Halle folgte.

Sie zählte an den Fingern mit. „Allein sechs Kriege, an denen Amerika beteiligt war.“

„Sechs Kriege in einem Jahrhundert? Was sind wir für ein blutrünstiges Volk!“

Menschen neigten zur Gewalttätigkeit. Warum ging sie eigentlich mit einem Mann weg, über den sie absolut nichts wusste? Tory warf einen heimlichen Blick auf den Mann an ihrer Seite und forschte in seinem scharf geschnittenen Profil nach bedrohlichen Anzeichen. Zwar fand sie keine, doch es beunruhigte sie, dass sie kaum widerstehen konnte, mit dem Fingerspitzen über sein Kinn und seine Wangen zu streichen.

Der Pförtner, der ihnen die antiken Glastüren öffnete, lenkte sie von ihren Wünschen ab. Auf der Veranda blieb sie stehen und atmete tief die salzige Luft ein, um die Fantasien zu vertreiben. Rand Trent machte einen netten Eindruck. Sie wollte ihm helfen, einzukaufen und sich in der Gegenwart zurechtzufinden. Sie wollte ihn sogar als Model für ihre Werbekampagne unter Vertrag nehmen. Doch in ihrem Privatleben war kein Platz für einen Mann mit dem Aussehen von Adonis und dem Herzen von König Midas.

Er stand neben ihr auf der Hotelveranda, blickte an den Korbmöbeln und dem verzierten Rahmenwerk vorbei zum Wasser und schüttelte traurig den Kopf.

„Die Landschaft ist zerstört. Gestern stand ich an derselben Stelle und hatte einen ungehinderten Ausblick auf die Inseln und den Golf.“

Autor

Mary Anne Wilson
<p>Mary Anne wurde in Toronto, Kanada, geboren und fing bereits im Alter von neun Jahren mit dem Schreiben kleiner Geschichten an. Über den Ausgang von Charles Dickens' berühmtem Roman "A Tale of Two Cities" ("Eine Geschichte zweier Städte") war sie so enttäuscht, dass sie das Ende kurzerhand nach ihren Vorstellungen...
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