3. KAPITEL
„Sie haben den Verstand verloren.“ Rand stand auf und ging auf das Hausmädchen zu. „Ich bin Randolph Trent, und ich mag einen Kater haben, aber ich lebe.“ Doch noch während er sprach, kamen ihm Zweifel. Etwas Seltsames ging hier vor sich – von der schönen Frau, die er in seinem Bett gefunden hatte, über das seltsame Telefon mit Tasten bis hin zu dem sonderbaren Möbelstück, das sie einen Fernseher genannt hatte.
Das Hausmädchen nahm die Deckel von den Servierplatten ab. „Natürlich leben Sie. Deshalb haben Sie Hunger. Und wenn Sie nicht tot sind, muss es eine Erklärung dafür geben, dass Sie hier aufgetaucht sind.“
„Ja, warum sind Sie hier aufgetaucht?“, fragte die attraktive junge Frau.
„Guten Appetit.“ Das Hausmädchen eilte hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Der Duft von Rührei und Bratwurst stieg Rand entgegen. Woher hatte das Hausmädchen eigentlich gewusst, wie hungrig er war? „Miss Caswell, wenn ich mich recht erinnere … Mir ist, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen, und ich möchte nicht wieder ohnmächtig werden. Könnten wir beim Frühstück ruhig über alles reden?“
Sie wollte schon widersprechen, überlegte es sich und setzte sich mit ihm an den Tisch im Erker.
Während er sich auf die Bratwurst und das Rührei stürzte, betrachtete er sie fragend. „Sie essen gar nicht, Miss Caswell.“
Vor Aufregung über den verwirrenden Randolph Trent hatte sie den Appetit verloren. „Damit warte ich, bis Sie einige Fragen beantwortet haben. Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“
„Ich bin Randolph Trent und verbringe im Bellevue einen Arbeitsurlaub.“ Er schob den leeren Teller von sich. „Und wer sind Sie, Miss Caswell, und was machen Sie hier?“
Es musste doch eine vernünftige Erklärung geben. Vielleicht war er Trents Urenkel, der seinem Vorfahren zum Verwechseln ähnlich sah. „Wann sind Sie im Hotel angekommen?“
„Welcher Tag ist heute?“
„Montag.“
„Ich bin vor drei Wochen angekommen und habe Zimmer 131 bezogen.“
Lügner. Sie hatte vor vier Tagen Zimmer 131 erhalten. Dann kam ihr eine unglaubliche Idee. „In welchem Jahr?“
„Die Frage ist lächerlich. Natürlich 1897.“ Danach wollte er aufstehen.
Sie sah ihn fassungslos an. „Aber das ist fast hundert Jahre her!“
Er ließ sich wie ein Stein auf den Stuhl fallen und wurde blass. „Das finde ich nicht lustig, Miss Caswell.“
„Ich auch nicht.“ Mit der Fernsteuerung schaltete sie den Fernseher auf den Wetterkanal, auf dem gerade die Vorhersage für die nächsten sechsunddreißig Stunden abrollte. „Sehen Sie in der rechten oberen Ecke das heutige Datum?“
Benommen starrte Randolph Trent auf den Fernseher. „Das glaube ich nicht!“
„Warum sollte ich lügen?“
„Nein, nicht Sie. Dieser Kasten …“ Er hielt den Atem an, als ein Werbespot mit gurgelnden Babys ablief, stand auf, strich mit der Hand über den Bildschirm und zuckte unter der statischen Entladung zurück. Danach betrachtete er die Rückseite des Geräts und die Kabelverbindungen zur Wand. „Wie machen Sie das?“
Tory kam sich wie eine gütige Fee vor, als sie mit der Fernsteuerung von einem Kanal zum anderen sprang.
Rand setzte sich wieder. „Das muss ein Trick sein. Wie bin ich hergekommen, und wo sind die letzten hundert Jahre geblieben?“
Sie legte die Fernsteuerung weg und erinnerte sich an Angelina. „Vielleicht sind Sie gestern Abend gestorben.“
„Oh nein.“ Er hob die rechte Hand. Das feuchte Tuch hatte sich rötlich verfärbt. „Geister bluten nicht.“
„Bis gestern Abend habe ich nicht an Geister geglaubt.“ Es war ihr unangenehm, dass sie ihn verletzt hatte, obwohl er ihr nichts antun wollte.
Rand verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Was ist gestern Abend geschehen?“
„Der Geist von Angelina Fairchild ist mir im Ballsaal erschienen.“ Sie nahm einen Schluck kalten Kaffee.
„Vielleicht war das kein Geist.“
„Sie war bestimmt ein Geist. Emma sagt …“
„Emma?“
„Das Hausmädchen, das unser Frühstück gebracht hat. Sie hat mir erzählt, dass Angelina seit hundert Jahren hier im Hotel Bräute erschreckt.“
Rand stand auf. „Wenn Sie eine Braut sind, bringt meine Anwesenheit Sie in eine kompromittierende Situation. Meine Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl sind weg. Ich gehe sofort.“
„Nein, bitte bleiben Sie.“ Es überraschte sie, dass sie so heftig widersprach. Noch vor Kurzem hatte sie ihn loswerden wollen. „Ich bin nicht die Braut. Meine Schwester hat gestern geheiratet.“
„Das verstehe ich nicht. Ich habe Angelina Fairchild gestern Abend beim Essen gesehen. Eine bezaubernde junge Frau.“ Geistesabwesend griff er nach einer Toastscheibe.
War er der Mann, den Angelina suchte? Hatte sie gewusst, dass Rand hier erscheinen würde?
Er strich Marmelade auf den Toast. „Warum erscheint sie hier im Hotel Bräuten?“
„Angelina hatte einen Streit mit dem Mann, den sie liebte. Bevor sie sich versöhnen konnten, starb sie bei einem Unfall. Vielleicht neidet sie allen Bräuten ihr Glück, oder vielleicht glaubt sie, dass sie hier ihre verlorene Liebe wiederfindet.“
„Was muss das für ein Mann sein, der eine so zauberhafte Frau schlecht behandelt?“, fragte er.
„Genau das frage ich mich auch.“ Sie betrachtete ihn genauer und fand in seinem Gesicht keine Spur von Reue. „Aber Angelina ist nicht das Problem. Sie erscheint nur bei Hochzeiten und wird sich mir daher nicht mehr zeigen.“
„Was ist dann das Problem – abgesehen davon, dass nichts mehr zu essen da ist?“ Er hatte die Servierschalen vollständig geleert und betrachtete Torys Frühstück, das sie noch immer nicht angerührt hatte. „Essen Sie nichts?“
Sie reichte ihm ihren Teller und staunte, wie er zulangte. Dieser Mann war eindeutig kein Geist. „Es gibt mehrere Probleme. Das erste ist die Verletzung des Naturgesetzes, dass zwei Körper sich nicht im selben Raum befinden können.“
„Sie meinen Raum 131?“ Lächelnd schenkte er ihr Kaffee ein.
Tory bekam ein flaues Gefühl im Magen bei der Vorstellung, jeden Morgen mit Randolph Trent das Frühstück zu teilen. „Das zweite Problem betrifft Sie, nicht mich. Wie wollen Sie ins Bellevue des Jahres 1897 zurückkehren? Wenn Sie das lösen, erledigt sich die Überbelegung von Raum 131 ganz von selbst.“
Er hörte zu lächeln auf. „Genauso gut könnten Sie von mir verlangen zu fliegen.“
„Fliegen kann ich, aber von Zeitreisen verstehe ich nichts.“
„Sie können fliegen?“ Er ließ die Gabel fallen und sah sie ungläubig an.
„Natürlich nicht ohne Flugzeug.“ Sie musste angesichts seiner fassungslosen Miene das Lachen unterdrücken.
„Flugzeug?“
„Große fliegende Maschinen, die Hunderte von Menschen durch die Luft tragen – aber leider nicht auch durch die Zeit.“
Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Zeitreisen … Letztes Jahr habe ich zu diesem Thema ein Buch von Mr. Twain gelesen. Ein Schlag auf den Kopf versetzte den Helden ins mittelalterliche England, und ein zweiter Schlag brachte ihn in die Gegenwart zurück. Aber das war natürlich nur ein Roman.“
„Man könnte die Methode ausprobieren.“ Tory wog die Kaffeekanne abschätzend in der Hand.
„Ich finde Ihren Eifer bewundernswert.“ Rand schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. „Ich erinnere mich allerdings an keinen Schlag auf den Kopf. Ich weiß nur, dass ich dieses Zimmer betrat und auf das Bett fiel.“ Er deutete auf das Telefonbuch auf der Kommode. „Außerdem haben Sie diese Methode schon ausprobiert, und sie hat nicht funktioniert.“
„Wie gesagt, ich verstehe nichts von Zeitreisen, aber ich kann unser erstes Problem lösen.“ Sie holte das Telefon an den Tisch und tippte die Nummer der Rezeption ein. Jetzt meldete sich sofort jemand. „Hier ist Victoria Caswell in Zimmer 131. Ein Freund ist unerwartet eingetroffen und braucht ein Zimmer.“
Rand warf ihr einen fragenden Blick zu, als sie auflegte. „Und?“
„Sie überprüfen ihre Reservierungen und melden sich wieder bei mir.“
„Ich bin Ihnen für Ihre Mühe dankbar, aber ich will kein Zimmer. Ich muss zurück, und zwar sofort.“
Schlechtes Gewissen meldete sich bei Tory. Sie hatte nur an sich selbst gedacht. Aber wie wäre ihr zumute, hätte es sie hundert Jahre in die Zukunft verschlagen? Suchte vielleicht jemand nach Randolph Trent? „Ihre Angehörigen müssen sich schon Sorgen machen.“
„Ich habe keine. Meine Eltern sind verstorben, und ich habe keine Geschwister.“
Tory setzte sich auf das Sofa, während Rand wie ein gefangenes Raubtier hin und her lief. „Irgendjemand wird Sie bestimmt vermissen.“
Er überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Ich habe auf dieser Reise meinen Diener in Chicago zurückgelassen. Aber wenn ich bis zum Wochenende meine Verhandlungen im Hotel nicht abschließe, verliere ich viel Geld.“
„Sie wurden um hundert Jahre in die Zukunft versetzt und können nur an Geld denken?“
Seine Miene verhärtete sich. „Geldverdienen ist mein Beruf. Ich sehe keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen.“
„Aber gibt es denn niemanden, den Sie vermissen und der Sie vermisst?“
„Ich versichere Ihnen, dass meine Abwesenheit niemanden stört, sofern sie kurz ist. Geschäftlich würde ich allerdings einen großen Verlust erleiden.“
„Das tut mir leid.“
Ihr Mitleid galt nicht seinem Bankkonto. Randolph Trent hatte offenbar niemanden, der ihm etwas bedeutete. Er wollte zurückkehren, aber nicht zu seinen Freunden, sondern zu seinen Finanzen. Falls er der Geliebte war, den Angelina suchte, hätte sie sich die Mühe sparen können.
Es klopfte, und gleich darauf wankte Emma schwer beladen mit Decken und Kissen herein.
„Was soll das?“, fragte Tory.
„Sie haben an der Rezeption wegen eines Zimmers für Ihren Freund angerufen.“ Emma ließ ihre Last neben Tory auf das Sofa fallen. „Das Hotel ist bis zum Monatsende ausgebucht, aber ich habe für Mr. Trent ein Bett gefunden.“
„Wo?“ Tory hoffte, dass es auf der anderen Seite des weitläufigen Gebäudes lag. Dort störte es sie nicht, wenn er wegen des verlorenen Geldes zeterte und jammerte.
Emmas Augen funkelten. „Sie sitzen darauf, meine Liebe.“
„Was heißt das?“ Tory verlor allmählich die Geduld.
„Keine Sorge, es ist ein sehr bequemes Schlafsofa. Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Emma schob die Hände unter die Schürze und wartete.
„Ja, bringen Sie mir die Rechnung. Ich ziehe aus. Mr. Trent kann das Zimmer haben.“
„Nein.“ Rand blieb stehen. „Ich möchte Ihnen nicht den Aufenthalt verderben und suche mir etwas anders.“
„Nun, Miss?“, fragte Emma.
Tory betrachtete den Mann genauer. Seiner altmodischen Kleidung sah man an, dass er darin geschlafen hatte, und seine Bartstoppeln zeigten sich deutlich. Mochte er auch attraktiv und kraftvoll wirken, er sah doch wie ein heimatloser Herumtreiber aus, der er in gewisser Weise ja auch war.
Sofern seine Taschen nicht mit Gold gefüllt waren, hatte er kein Geld. Und er kannte sich am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nicht aus. Wenn sie ihn jetzt verließ, landete er wahrscheinlich im Gefängnis oder in einer Nervenheilanstalt. Wer würde ihm schon glauben, dass er ein Zeitreisender war? Nicht einmal sie selbst war sich ihrer Sache sicher.
„Schon gut, Emma. Ich rufe an der Rezeption an, wenn ich abreisen will.“ Sie schloss die Tür hinter dem Hausmädchen. Hoffentlich hatte sie sich richtig entschieden.
„Ich habe es ernst gemeint, Miss Caswell.“ Seine breite Gestalt überragte sie. „Ich überlasse Ihnen das Zimmer.“
„Haben Sie denn Geld?“
Er leerte die Taschen, klingelte mit einigen Münzen, reichte ihr sein Scheckbuch und steckte eine große, antike goldene Uhr wieder ein.
Tory betrachtete das Scheckbuch. Das Papier sah neu aus, aber auf den Schecks fehlten sämtliche Nummern für Computer.
„Möglicherweise nützen mir die Schecks nichts“, meinte er. „Ich weiß nicht einmal, ob diese Bank überhaupt noch existiert.“
„Das kann man leicht herausfinden.“
Sie wählte die Auskunft und fragte nach der Nummer der Bank. Die Telefongesellschaft hatte keine Eintragung, und die gesprächige Angestellte berichtete, dass das an dieser Stelle stehende Gebäude vor dreißig Jahren niedergebrannt war.
„Sie haben kein Glück.“ Tory gab Rand das Scheckbuch zurück.
Er steckte es achselzuckend ein. „War nett, dass Sie es versucht haben, Miss Caswell.“
Sie holte tief Atem. „Wenn wir uns das Zimmer teilen, nennen Sie mich Tory.“
„Rand.“ Er ergriff lächelnd ihre Hand. „Ohne Sie wäre ich hilflos wie ein Neugeborenes. Ich bin Ihnen sehr dankbar.“
Seine Dankbarkeit war ihr sichtlich unangenehm. „Rand, ich muss mich erkundigen, ob es wegen der Hochzeit noch etwas zu regeln gibt.“ Sie griff nach dem kleinen Gegenstand, mit dem sie diesen Zauberkasten bedient hatte, schaltete die Bilder ein und reichte ihm das Ding. „Sie können sich über das zwanzigste Jahrhundert informieren, während ich weg bin.“
Er schloss die Finger um ihre zarte Hand. Ihr feiner Duft, eine Mischung aus Magnolien und Gewürzen, umfing ihn, und sie betrachtete ihn fragend. Er nahm die Fernsteuerung und ließ ihre Hand los, und der Zauber verflog.
„Ein ausgezeichneter Vorschlag“, antwortete er heiser.
„Ich komme bald wieder.“
Die Männerhose betonte ihren leichten Hüftschwung. Fasziniert sah er ihr nach, bis sie die Tür hinter sich schloss. Das Zimmer wirkte ohne sie leer.
Du verschwendest deine Zeit, hörte er die Stimme seines längst verstorbenen Onkels. Du solltest jede Minute ausnutzen. Zeit ist Geld.
Das Heulen einer Sirene aus dem seltsamen Kasten, den Tory Fernseher genannt hatte, vertrieb die Erinnerung. Rand setzte sich auf das Sofa und drückte die Tasten auf dem kleinen Gerät, um die Bilder zu verändern. Eine halbe Stunde lang betrachtete er schnittige, schnelle Kutschen ohne Pferde, Flugmaschinen, ihm unbekannte Politiker, Basketballer, ein großes purpurfarbenes Wesen, das mit kleinen Kindern sprach, und mehr nackte Arme, Beine und Busen, als er in seinen ganzen zweiunddreißig Jahren gesehen hatte.
Je länger er zusah, desto bewusster wurde ihm sein unpassendes Aussehen. Wenn er keine Aufmerksamkeit erregen wollte, musste er sich moderne Kleidung verschaffen.
Er holte sein Geld hervor, zählte es und rief dann an der Rezeption an.
Tory hastete zu ihrem Zimmer zurück. Es hatte länger als erwartet gedauert, Rechnungen zu unterschreiben und den Rest zu bezahlen. Die Blumen wurden in Altenheime gebracht. Die oberste Lage der Hochzeitstorte musste in Trockeneis verpackt und nach Australien geschickt werden. Jill und Rod konnte sie dann bis zu ihrem ersten Hochzeitstag in der Tiefkühltruhe aufbewahren – ein alter Südstaaten-Brauch und eine Überraschung für Jill.
Tory war auch in der historischen Ausstellung im Westflügel gewesen, wo laut Emma Fotos aus den Anfangstagen des Hotels hingen. Auf den Stufen des Westportals stand tatsächlich der Mann, den sie an diesem Morgen in ihrem Bett gefunden hatte. Er trug einen hohen, steifen Kragen und blickte durchdringend in die Kamera.
Doch Tory achtete in erster Linie auf die Frau, die besitzergreifend die Hand auf seinen Arm legte. Bekleidet mit einem dunklen Rock und einer gestärkten Bluse und mit einem Strohhut auf den dunklen Locken, blickte Angelina Fairchild lächelnd zu Randolph Trent hoch. Neben ihr stand ein netter junger Mann in einem Golfanzug.
Tory wollte ihren seltsamen Besucher noch einmal nach Angelina fragen. Die beiden Gestalten aus der Vergangenheit, die in ihrem Leben aufgetaucht waren, mussten irgendwie zusammenhängen.
Als sie den Raum betrat, war aufgeräumt worden. Der Fernseher lief noch, doch Randolph Trent war fort. Hatte sie womöglich nur geträumt? Die Zimmermädchen hatten offenbar das blutige Gästetuch weggeschafft, doch auf dem Schreibtisch fand sie neben dem Telefon sein Scheckbuch. Rand war also doch in ihrem Zimmer gewesen.
Hatte ihn die Zeitverschiebung, die ihn hergebracht hatte, auch wieder zurückgeholt? Sie schauderte bei der Vorstellung, sie hätte mitgerissen werden können, falls sie sich im Zimmer aufgehalten hätte.
Entsetzen über die Beinahe-Katastrophe lähmte sie fast. Hastig zog sie sich aus und schlüpfte in ihren Badeanzug, um der seltsamen Atmosphäre des Hotelzimmers zu entgehen, griff nach dem Bestseller auf dem Nachttisch und verließ fluchtartig den Raum.
Nahe dem Pool suchte sie sich einen Platz in der Sonne, streckte sich auf einem Liegestuhl aus und dachte an Randolph Trent. Hoffentlich war er sicher ins Jahr 1897 zurückgekehrt.
Wegen der drohenden Unsicherheit der Zeit in Zimmer 131 wäre sie gern umgezogen, aber laut Emma war das Hotel ausgebucht.
Allmählich half ihr die Sonne beim Entspannen. Als sie sich auf den Bauch drehte, um auch auf dem Rücken braun zu werden, überlegte sie, ob sie in das unfreundliche, graue Atlanta zurückkehren sollte. Dort wartete der Auftrag von Benson, Jurgen & Ives auf sie, und sie hatte noch keine einzige Idee für eine Werbekampagne für die führende Investmentfirma des Südens.
Sie brauchte einen längeren Aufenthalt in der Sonne, um sich wieder aufzuladen. Noch heute Nachmittag wollte sie das Bellevue verlassen und nach Daytona fahren. Zwei Wochen am Strand vertrieben bestimmt alle Erinnerungen an Randolph Trent.
Mit einem leichten Sonnenbrand und einem herrlich sündigen Cheeseburger im Magen kehrte Tory in ihr Zimmer zurück, um schnellstens zu packen und zu verschwinden.
Als sie die Tür öffnete, saß Randolph Trent entspannt auf dem Sofa und hatte die Füße auf den Tisch gelegt.
„Haben Sie sich gut unterhalten?“, fragte er und betrachtete sie vom Scheitel bis zur Sohle.
„Ich dachte, Sie wären wieder verschwunden“, sagte sie gereizt. „Wo waren Sie?“
Er lächelte zufrieden. „Ich habe auf meine Reserven zurückgegriffen. Um das hier einzulösen, brauche ich Ihre Hilfe.“
Er streckte ihr ein Stück Papier entgegen, das sie ihm aus der Hand riss. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich um ihn Sorgen gemacht hatte, und darüber, dass sie sich über seine Rückkehr so freute.
„Lieber Himmel, was haben Sie gemacht?“, stieß sie atemlos hervor, als sie den Scheck über hunderttausend Dollar sah.
Er lächelte noch zufriedener. „Ich brauchte Geld für Bekleidung und andere Dinge.“
„Aber wie …“
„Es ist mein Beruf, Geld zu beschaffen. Finanzielle Mittel in einer unbekannten Umgebung aufzutreiben, war zwar eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.“
Vorsichtig legte sie den Scheck auf den Tisch und setzte sich Rand gegenüber. „Hunderttausend Dollar innerhalb weniger Stunden? Sie müssen Magie eingesetzt haben.“
„Keine Magie.“
„Es war doch kein Raub …“
„Nichts Illegales. Ein Hotel wie dieses hat immer einen sehr entgegenkommenden Rezeptionsangestellten.“
Sie sah ihn fassungslos an. „Nicht so entgegenkommend, dass er Ihnen hunderttausend Dollar leihen würde.“
Rand schüttelte den Kopf. „Ich habe den Rezeptionsangestellten nach einem Buchladen und einer angesehenen Münzhandlung gefragt und ihn dann gebeten, mir ein Taxi zu rufen.“
Er streckte sich träge und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Die Muskeln unter seinem Jackett wölbten sich.
Tory löste den Blick von seinem anziehenden Körper. „Bücher und Münzen? Ich begreife gar nichts.“
„In der Buchhandlung schlug ich in einem Buch den jetzigen Wert von Münzen nach. Danach fuhr ich mit dem wartenden Taxi weiter zu einer großen Münzhandlung und verkaufte den Inhalt meiner Taschen – etliche Silber- und Goldmünzen und die goldene Taschenuhr meines Großvaters.“
„Ein paar Münzen und eine Uhr waren so wertvoll?“
„Sogar noch mehr, aber ich ließ mir ein paar Hunderter in bar geben. Schließlich brauchte ich Geld für das Taxi und ein Trinkgeld für den Rezeptionsangestellten.“
Und sie hatte ihn für einen hilflosen Reisenden aus der Vergangenheit gehalten! Er war noch keinen Tag hier und hatte schon ein kleines Vermögen gemacht. Was er wohl innerhalb einer Woche erreichte?
Dann entdeckte sie ihren Namen auf dem Scheck. „Wieso ist der Scheck auf mich ausgestellt?“
„Die Münzhandlung hatte nicht so viel Bargeld. Also musste ich einen Scheck nehmen.“
„Das habe ich nicht gemeint.“
Er lächelte. „Wie könnte ich ohne Ausweispapiere einen so hohen Scheck einlösen? Also lautet der Scheck auf Ihren Namen.“
Sie seufzte. Offenbar hatte er an alles gedacht. „Was wollen Sie mit so viel Geld machen?“
Er strich über seinen zerknitterten Anzug. „Sobald ich einen geeigneten Schneider finde, decke ich mich mit passender Kleidung ein.“
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel sah sie Rand, wie er in seinem altmodischen Anzug hinter einem antiken Schreibtisch saß, mit seinen durchdringenden, grauen Augen direkt in die Kamera blickte und Sprüche von sich gab wie: „Geldverdienen ist mein Beruf. Ich sehe keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen.“
Die gesamte Werbekampagne für Benson, Jurgen & Ives entstand in ihrer Fantasie. Falls Rand in ihrer Zeit festsaß, konnte sie ihm wenigstens einen Job bieten und ihrer Firma das attraktivste Werbe-Model seit dem Marlboro-Mann verschaffen.
„Rand“, sagte sie lächelnd, „es ist höchste Zeit, Sie mit einem Einkaufszentrum bekanntzumachen.“