Nur Augen für sie

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Die erfolgreiche Modedesignerin Grace kommt kaum zum Essen, geschweige denn dazu, für sich einzukaufen. Für ihren Bruder gibt es nur eine Lösung: Er stellt für Grace einen Koch ein! Dass es allerdings ausgerechnet Kyle ist, bringt ganz neue Probleme. Denn schon in ihrer Teenagerzeit hatte Grace nur Augen für ihn, und daran hat sich nichts geändert. Tür an Tür mit diesem tollen Mann - Graces Hormone spielen verrückt!


  • Erscheinungstag 02.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757434
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

In Grace Norths Küche stand ein großer dunkelhaariger Fremder.

Und … schnitt Zwiebeln.

Grace blieb wie angewurzelt auf der Türschwelle ihres Hauses stehen, über die Schultern eine große Umhängetasche, den Schlüsselbund in einer Hand. Sie blinzelte ungläubig.

Manchmal kam zwar unerwartet Besuch, wenn sie gerade nicht da war, und ihr Bruder, der nebenan wohnte, schloss dann auf. Aber zumindest dem ersten Eindruck nach hatte sie weder diesen Mann noch seine Zwiebeln je gesehen.

„Hallo?“, fragte sie vorsichtig.

Der Mann hielt inne und streifte sie mit einem unbeteiligten Blick – das hübsche gerötete Gesicht, lebhafte grüne Augen, die kastanienbraune Lockenpracht und das Trägerkleid, unter dem sie ein knappes, pinkfarbenes T-Shirt trug. Um seine Lippen spielte jetzt ein anerkennendes Lächeln.

„Du siehst wunderbar aus, Grace.“

Das Gleiche hätte Grace auch von ihm sagen können. Und nicht zu knapp. Unter den abgetragenen Jeans und dem ausgeblichenen roten T-Shirt zeichnete sich eine sehnige, schlanke Figur ab. Er war perfekt rasiert und trug das kurze schwarze Haar sorgfältig geschnitten. Die tiefe verführerische Stimme und die glitzernden blauen Augen taten den Rest, um Grace umzuhauen.

Umhauen war das richtige Wort. Als ihr plötzlich klar war, wer da vor ihr stand, machte ihr Herz einen Satz.

Es war Kyle. Kyle McRaney.

Offenbar war er sich der Wirkung seiner Erscheinung überhaupt nicht bewusst, denn er wandte sich wieder den Zwiebeln auf dem Hackbrett zu, wobei die starken Muskeln seines Oberarms sich aufregend bewegten.

Grace holte tief Luft und wuchtete ihre Tasche auf den Tisch. Nur keine Sorge. Diese absolut unwahrscheinliche Szene war nur ein Traum, in dem mal wieder ihre Jugendliebe die Hauptrolle spielte. Seit Kyle vor sieben Jahren unvermittelt verschwunden war, kam das häufiger vor.

Also suchte Kyle vermutlich ein weiteres Mal ihre Gedanken heim. Seltsam, bisher war er in ihren Gedanken jedoch nie älter geworden und weder frisch rasiert noch gut frisiert gewesen. Aber so sah er eigentlich noch besser aus.

Was würde dieses Mal passieren? Leidenschaftliche Liebesspiele auf dem Tisch? Dem Sofa? Dem Bett? Sie spürte schon jetzt seine Berührungen auf ihrem Körper.

Und nun redete die Traumgestalt erneut. „Ich dachte nicht, dass du so früh kommst.“

Sie zog ihre fein geschwungenen Augenbrauen hoch. „Und ich dachte nicht, dass du überhaupt je wiederkommst, Kyle.“

„Natürlich nicht. Es sollte ja auch eine Überraschung werden. Eigentlich wollte ich fertig sein, bevor du wieder da bist.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber trotzdem, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Ach, so war das also. Jetzt fantasierte sie sich schon ihr eigenes Geburtstagsgeschenk zusammen.

„Michael versicherte mir, ich hätte in deiner Küche freie Bahn, weil du mindestens zwei Stunden weg wärst.“

Als er jetzt ihren Bruder erwähnte, rieb Grace sich die Schläfen. In diesen Träumen hatte Michael nichts zu suchen. Sie zwickte sich in den Arm. Au! Das tat ja wirklich weh!

Es war also kein Traum. Kyle war wirklich da. Herangereift zur Perfektion, besser aussehend denn je. Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich mit einer Hüfte an den Tisch.

„Wie alt wirst du heute überhaupt, Gracie?“, fragte er beiläufig. „Zwanzig?“

„Vierundzwanzig“, korrigierte sie ihn.

„Tatsächlich.“ Nachdenklich starrte er in die Luft. „Nun, das ist alt genug, um …“

Sie lächelte. „Sagen wir einfach, es ist alt genug.“

Lachend warf er den Kopf zurück. Wie leicht es ihm offensichtlich fällt, wieder wie früher in die Rolle des großen Bruders zu schlüpfen, dachte Grace. Es erinnerte sie daran, wie damals alles geendet hatte: Weil sie zu dumm gewesen war, zwischen einem echten Flirt und einer Neckerei zu unterscheiden, war sie für lange Zeit im Land der gebrochenen Herzen gelandet. Im Rückblick schien es auch ihr unwahrscheinlich, dass sich ein Mann, der frisch vom College kam, in ein albernes Schulmädchen von siebzehn Jahren hätte verlieben sollen.

Ihr Verstand sagte ihr, dass sie jetzt einen kühlen Kopf bewahren musste. Auch wenn immer noch die Hoffnung in ihr nagte, während sie beobachtete, wie Kyle sich durch den Berg Zwiebeln arbeitete. Sein Ringfinger war leer. Hatten er und Libby sich etwa getrennt?

Nie hatte sie begriffen, was die beiden aneinander fanden. Die schmale, stille Libby Anderson schien von Anfang an nicht die Richtige für den lebhaften Kyle zu sein. Die beiden hatten sich damals in „Amelia’s Bistro“ kennengelernt, dem Restaurant von Libbys Großeltern, Amelia und Andy, die nach dem Tod ihrer Eltern für sie sorgten.

Eine Romanze zwischen den beiden schien so abwegig, dass Grace, als sie zufällig mithörte, wie Kyle Michael anvertraute, dass er mit seiner Braut auf und davon laufen wollte, dachte, sie sei die Auserwählte.

Noch im Morgengrauen hatte sie am Fenster gesessen, wo sie die ganze Nacht auf ihn gewartet hatte, und hatte in ihr Taschentuch geweint. Nur Michael und ihre beste Freundin Heather hatten damals von ihrer Torheit erfahren. Kurz darauf waren Kyle und Libby sang- und klanglos nach Chicago gezogen. Kyles Abwesenheit hatte den Schmerz etwas gedämpft und Grace ermöglicht weiterzuleben.

Jetzt konnte sie kaum glauben, dass er zurück sein sollte und wie damals Hoffnungen in ihr weckte. Sie durfte sich nicht wieder in sein Netz locken lassen. Immerhin konnte er ja immer noch verheiratet sein. Vielleicht trug er den Ring nur nicht, weil er gerade kochte.

„Also, Kyle“, sagte sie und holte tief Atem, „du bist sicher nicht extra wegen meines Geburtstags hier. Du und Libby, ihr seid bestimmt wegen etwas anderem …“

„Libby ist nicht mehr da“, unterbrach er sie schlicht. Mit einem bemühten Lächeln fügte er hinzu: „Was mich betrifft, bin ich für immer zurückgekehrt. Ich will hier bleiben und den Augenblick leben. Und in diesem Augenblick mache ich mein Spezialchili nur für dich.“

Es wäre besser, wenn dies wirklich ein Traum wäre, fand Grace. Ohne sich anmerken zu lassen, wie durcheinander sie war, ging sie zur Küchenzeile. Auf dem Herd stand ein großer Topf, in dem ein roter Eintopf brodelte.

„Wie sieht’s aus?“

Sie roch anerkennend daran. „Es ist noch ein bisschen früh fürs Mittagessen.“

„Ist ja auch noch nicht fertig. Du wirst schon sehen.“

„Und wann?“

Sein gleichmütiger Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. „Michael will nicht, dass ich etwas verrate.“

So war das also. Anscheinend versuchte ihr Bruder schon wieder, sich in ihr Leben einzumischen. Seiner Ansicht nach lebte sie im ständigen Chaos, angefangen bei ihrem Design-Atelier über ihren Mangel an hausfraulichen Fähigkeiten bis hin zu ihrem Geschmack, was Männer betraf.

Grace zählte die wenigen Informationen zusammen, die sie hatte. Kyle war ein fantastischer Koch, der gelegentlich gegen Bezahlung für verschwenderische Partys ihrer Eltern gekocht hatte. Sein Studium hatte er sich ebenfalls auf diese Weise finanziert und nebenbei alles Mögliche in „Amelia’s Bistro“ erledigt.

Aber was hatte das mit heute zu tun? Michael wusste doch genau, dass heute Abend eine Dinnerparty im Haus der Familie am Minnetonka-See stattfinden sollte.

„Ich glaube nicht, dass ich dir zu nahe trete, wenn ich sage, dass deine Küche eine Katastrophe ist“, stellte Kyle fest. „Bei deinen Vorräten hier könnte ja keine Maus überleben. Abgelaufene Dosen, stumpfe Messer. Wenigstens die Geräte sind ganz gut.“ Er nahm das Schneidbrett, schabte die Zwiebeln in den Topf über der offenen Flamme und rührte um. „Dieser Gasherd zum Beispiel ist viel besser als jeder elektrische.“

„Wieso denn?“ Grace stellte sich neben ihn und legte ihm die manikürten Finger auf den Arm.

„Eine echte Flamme sorgt für schnelle und gleichmäßige Hitze.“

Das war nicht gelogen. Sie schloss die Augen und überließ sich ihren erotischen Träumen. Der heiße Pfefferdampf drang ihr glühend in die Poren. Plötzlich schienen Kyles breite Schultern den schmalen Gang zwischen Anrichte und Herd völlig auszufüllen, Raum und Zeit verschmolzen ineinander.

Es kostete sie große Mühe, ihn anzusehen und dabei ruhig zu bleiben. Ihre Hand auf seinem Arm zu lassen, während er sie erstaunt ansah. Aber es gelang ihr.

„Möchtest du mal probieren?“, fragte Kyle neckend.

„Gern.“

Leise vor sich hinpfeifend holte er aus einer Schublade einen Löffel und hielt ihn dicht vor ihre Augen. „Ist dir bewusst, dass du nicht einmal ein komplettes Gedeck hast?“

„Ist das so schlimm?“

„Das könnte man leicht herausfinden.“ Mit einer Hand umfasste er ihr Kinn, mit der anderen tauchte er den Löffel in das Chili und hielt ihn ihr vor den Mund. „Puste erst“, wies er sie an, „damit du dir nicht die Zunge verbrennst.“

Vor Aufregung zitternd probierte sie. Das Chili war dickflüssig und gehaltvoll, wenn auch etwas schärfer, als sie es gewohnt war. Sie keuchte auf, und winzige Schweißperlen traten ihr auf die Stirn.

Kyle legte den Löffel neben den Topf, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Macht riesig Spaß“, stellte er fest, „dich wieder zu ärgern.“

„Du und Michael wart immer so zu mir“, beschwerte sich Grace. „Ständig habt ihr über mich gelästert.“

„Das klingt ja ganz gemein.“

„War es auch!“

Mit seinen rauen Fingern streichelte er sanft über ihre Wange. „Nun, es macht sicher nichts, wenn ich dir ein bisschen was verrate. In gewisser Weise bin ich Michaels Geburtstagsgeschenk für dich.“

Sein Ton war unmissverständlich provozierend. Doch wenn er dachte, er könnte sich immer noch Scherze mit ihr erlauben, hatte er sich getäuscht. Mit der Fingerspitze berührte Grace sein Schlüsselbein und fuhr die Linie bis zu seinem Hals nach. Kyle direkt auf den Mund zu küssen war einfach zu verlockend. „Na, dann herzlichen Glückwunsch für mich“, sagte sie heiser. Indem sie ihm eine Hand in den Nacken legte, zog sie ihn zu sich herab, bis sich ihre Lippen federleicht berührten.

Die Haustür wurde zugeschlagen. „Grace, was zum Teufel machst du da mit ihm?“

Auf Michael Norths Stimme hin fuhren die beiden auseinander. Grace drehte sich langsam zu ihrem Bruder um. „Ich kann mit meinem Geschenk doch machen, was ich will, nicht wahr?“, fragte sie keck.

Michael grinste breit. Er war etwas größer als seine Schwester und trug einen dunkelblauen Gabardineanzug. „Er sollte dir doch nichts verraten!“

„Mike“, unterbrach Kyle seinen Freund und sah sich suchend im Raum um, „was ist denn übrigens mit …“

Michael sah zum Fenster hinaus. „Keine Sorge, draußen vor der Tür.“

Kyle seufzte erleichtert.

„Was ist draußen vor der Tür?“, erkundigte Grace sich misstrauisch.

„Gar nichts.“ Michael stellte sich vor die Tür, um seiner Schwester den Weg zu versperren. „Das ist ein Geheimnis. Du wolltest also die ganze Show vermasseln?“, bemerkte er in Richtung Kyle.

„Noch nicht. Aber sie war gerade dabei, es aus mir herauszuquetschen.“

Grace klopfte mit der Fußspitze auf den Holzboden. „Jungs, meine Geduld hat bald ein Ende.“

„Schwesterchen, du wirst begeistert sein. Kyle ist das Geschenk für die Frau, die schon alles hat.“

Ihr Herz machte einen gefährlichen Satz. „Und das heißt?“

„Ich habe ihn angestellt, damit er dich bekocht und endlich mit dem Chaos in deiner Küche aufräumt.“

„Wie bitte?“ Grace war sprachlos.

„Ganz richtig. Kyle wird dein persönlicher Chefkoch – drei ganze Monate lang. Heute wird er dir die erste Kostprobe seiner Künste geben.“

Kyle war also nur hier, weil Michael ihn angestellt hatte.

Innerlich war Grace tief beschämt. Von der Rolle des verführerischen Vamps sank sie wieder zu dem dummen kleinen Mädchen herab, das sie mal gewesen war. Aber was hatte sie erwartet? Einen Ausbruch der Leidenschaft? Dass Kyle gestand, sie sei viel besser als Libby? Grace schalt sich für ihre närrischen romantischen Vorstellungen.

„Ich kann gut für mich selbst sorgen, danke“, versicherte sie den beiden.

„Ich glaube, wenn du dich erst mal an das Essen – und an mich – gewöhnt hast, wird es dir auch schmecken“, erlaubte sich Kyle zu bemerken.

Sollte sie etwa sein neuer Broterwerb werden, seine neue Karriere? Das Letzte, was Grace von Kyle gehört hatte, war, dass er Manager eines schicken Restaurants im Zentrum von Chicago war. Was mochte passiert sein? Was war aus seinem Traum von einem eigenen Restaurant geworden?

„Und das willst du jetzt beruflich tun?“, konnte sie nicht umhin zu fragen.

„Er hat große Pläne“, antwortete Michael fröhlich anstelle des Freundes und warf noch einen weiteren Seitenblick nach draußen. „Kyle ist auf Amelia Andersons Einladung hier. Sie möchte ‚Amelia’s Bistro‘ neu eröffnen und bietet ihm eine Beteiligung an.“

„Wie schön.“ Grace bedachte Kyle mit einem aufgesetzten Lächeln, um ihre Verwirrung zu verbergen. Die Andersons waren damals so sehr gegen die Verbindung ihrer Enkelin mit Kyle gewesen, dass das junge Paar fliehen musste, um zu heiraten. Selbst als Andy starb, waren die beiden nicht auf der Beerdigung erschienen. Und jetzt war außerdem noch die Ehe mit Libby zerbrochen. Was sollte also die eiserne Amelia dazu gebracht haben, ausgerechnet Kyle eine Chance zu geben?

„Das sind ja aufregende Neuigkeiten“, meinte sie. „Das Lokal ist doch seit einigen Jahren geschlossen, nicht wahr?“

„Seit Andys Tod“, bestätigte Michael. „Aber Amelia wird älter und braucht Geld, also hat sie sich entschieden zu verkaufen. Und sie fand, dass Kyle der richtige Mann sei, um dem Laden neues Leben einzuhauchen.“

„Sie scheint ja ziemlich flexibel zu sein“, bemerkte Grace.

„Es ist tatsächlich wie ein Wunder“, erklärte Kyle. „Und Mike hat sich freundlicherweise erboten, als stiller Teilhaber mit einzusteigen, um mir beim Abzahlen zu helfen“, fügte er dankbar hinzu. „Noch ein Wunder.“

Das Dingdong der Türglocke an der Hintertür unterbrach ihn. Michael ging hin und öffnete die Tür einen Spalt. „Hey, wir kennen uns doch, oder?“

„Ja“, piepste ein kleines Stimmchen.

„Willst du reinkommen?“

„Ja.“

Hinter Michael trat ein kleines Mädchen mit einem cremefarbenen Kätzchen auf dem Arm ein.

Grace klatschte vor Freude in die Hände. „Ist das euer Geheimnis?“

„Genau das, was du bestellt hast, Schwesterchen. Eine reinrassige Himalaya-Langhaarkatze. Geliefert vom süßesten Mädchen der Welt.“

Grace musterte das Kind eingehend. In dem kurzen rosafarbenen Kleidchen sah es wirklich süß aus. Die schwarzen Locken ringelten sich über der Stirn und reichten bis zum Kinn, die Augen waren außergewöhnlich blau. Impulsiv breitete Grace die Arme aus. „Darf ich das Kätzchen haben?“

„Morgen“, sagte das Kind bockig. „Vielleicht.“

Grace war vor den Kopf gestoßen. „War das bis jetzt dein Kätzchen, Liebes?“

„Nein.“

„Ist das schon wieder ein Trick, Michael?“

Während Grace ihrem Bruder einen finsteren Blick zuwarf, schoss das Mädchen an ihr vorbei zwischen Kyles Beine. „Mein Kätzchen, Daddy. Sag’s ihr.“

Grace blieb der Mund offen stehen. „Du hast eine Tochter, Kyle?“

„Ganz recht.“ Stolz schwang er das Mädchen vom Boden hoch, während sich auf seinen gereiften Zügen Besorgnis und Zärtlichkeit mischten. Die Kleine kuschelte sich eng an ihn, ohne das Kätzchen loszulassen.

„Das ist Grace, Button“, erklärte Kyle sanft. „Ich habe dir von ihr erzählt, erinnerst du dich noch?“

Das Kind verbarg das Gesicht an Kyles rotem T-Shirt. „Nein.“

„Mike ist ihr Bruder. Ihr beide habt das Kätzchen gerade erst bei ihm abgeholt.“

Button schüttelte den Kopf und regte sich nicht. Über den Kopf seiner Tochter wandte Kyle sich an Grace. „Tut mir leid. Button hatte es in der letzten Zeit nicht leicht. ‚Nein‘ ist ihre Lieblingsantwort.“ Kyle stellte Button wieder auf den Boden. „Gib jetzt bitte Grace das Kätzchen.“

„Nein, Daddy, nein.“ Sie tänzelte über den Boden.

„Betsy!“, wiederholte er etwas bestimmter.

„Bitte!“ Grace kniete sich auf Augenhöhe mit dem Mädchen. Schließlich reichte es ihr mit einem eisigen Blick das Kätzchen.

„Vielen Dank, Betsy, äh, Button.“

„Button ist ihr Kosename“, erklärte Kyle.

Grace streichelte das lange Haar der Katze. „Heute ist mein Geburtstag, und ich habe mir ein Kätzchen so sehr gewünscht.“

Button blieb unbeeindruckt.

„Wie alt bist du?“

Button knetete ihre Hände und hielt schließlich drei Finger hoch, während sie den vierten zur Hälfte abbog.

„Dreieinhalb also. Ein großes Mädchen.“

Button taute etwas auf und fing an, sich in der Küche umzusehen. „Ist deine Mom zu Hause?“

Grace richtete sich auf. „Meine Mom lebt nicht hier.“

„Warum?“

„Weil sie selbst ein schönes Haus hat.“

„Meine Mom ist im Himmel“, flüsterte Button ehrfürchtig.

Grace erstarrte. Kyle hatte gesagt, Libby sei nicht mehr da, aber … daran hatte sie nicht gedacht.

„Es war ein Autounfall“, erklärte Kyle leise.

Grace rang nach Luft. „Oh nein! Genau wie ihre Eltern vor Jahren?“

„Nicht ganz. Sie hatten das Glück, sofort zu sterben. Libby lag mehrere Wochen im Koma, aber es bestand nie viel Hoffnung. Die inneren Verletzungen waren zu schwer.“

Grace, die sonst immer eine Antwort parat hatte, fehlten die Worte. Das war ja wirklich eine Geburtstagsüberraschung.

2. KAPITEL

„Auf dich, Geburtstagskind!“

Michael rückte näher zu Grace, reichte ihr ein Glas Champagner und stieß augenzwinkernd mit ihr an.

„Danke.“

Sie ließen die Blicke über die festliche Abendgesellschaft im Salon des Elternhauses schweifen. Wie immer nutzten ihre vermögenden Eltern, Victor und Ingrid, eine Familienfeier dazu, gesellschaftliche und geschäftliche Verbindungen zu pflegen.

„Und, gefällt dir mein Geschenk?“, fragte Michael.

„Das Kätzchen ist zauberhaft!“

„Und was ist mit dem Zauberkoch?“

„Müssen wir jetzt darüber reden?“, murmelte Grace unwillig, ohne ihr Partylächeln aufzugeben. „Es ist ziemlich plump, mir gerade Kyle aufzuhalsen.“

Michael wippte auf den Fersen. „Ehrlich gesagt, ich dachte, ihr hättet beide euren Spaß dabei.“

Diese Bemerkung besänftigte Graces Ärger keineswegs. „Nicht nur hast du das Ganze bei mir zu Hause veranstaltet, du bist dann auch noch fröhlich davongezogen. Ich wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte, allein mit den beiden“, fauchte sie.

Grace stürzte den Rest Champagner hinunter und ließ die Ereignisse von heute Morgen erneut Revue passieren. Sollte sie Michael in die aufwühlenden Gefühle einweihen, die sie Kyles wegen hatte? Wusste sie überhaupt selbst, was sie fühlte?

Gegen Kyles Eindringen in ihre Privatsphäre gab es handfeste Gründe. Grace wollte nicht, dass sich irgendjemand in ihr Leben einmischte. Und jetzt kam ihre große Liebe zurück, und das nur zu dem Zweck, um ihre Küche umzuräumen!

Außerdem war Grace nicht an Kinder in ihrem Haus gewöhnt. Button war der reinste Tornado: Sie machte mit ihren Schuhen auf dem teuren Holzfußboden schwarze Gummistreifen und ließ ihr Spielzeug überall herumliegen. Selbst ein Kassettenrekorder mit eigener Musik war darunter. Kyle behauptete, das Mädchen könne ohne Musik nicht einschlafen, aber davon, dass das Kind je schlief, war bislang nichts zu bemerken gewesen.

Grace hatte all ihre Kraft zusammengenommen, aber nach zwei Stunden reichte es. Sie schützte eine Verabredung vor und floh. Schönes Geburtstagsgeschenk – man hatte sie aus ihrem eigenen Haus gejagt!

„Vielleicht hast du recht“, lenkte Michael ein. „Ich habe mich eben so gefreut, nach all den Jahren endlich wieder etwas von ihm zu hören. Als er anrief und mir von seinem Plan erzählte, war ich sofort begeistert. Er wollte dich eigentlich vorher fragen, aber ich dachte, wieso sollen wir dir nicht einen Streich spielen, halt so wie damals.“

„Wie lange ist er überhaupt schon wieder zurück?“

Michael blickte zur Decke. „Oh, drei Wochen, ein paar Tage hin oder her. Hey, du willst Kyle doch hoffentlich keine Abfuhr erteilen, oder?“

„Ich weiß noch nicht genau, was ich mit … seinen Diensten anfangen werde.“ Ihr unsicherer Tonfall verriet mehr, als ihr lieb war.

Michael durchschaute sie prompt. „Das darf aber keine Rache dafür werden, dass er damals statt mit dir mit Libby auf und davon ist! Komm schon, er weiß ja noch nicht mal, dass dir etwas an ihm gelegen hat. Außerdem hast du inzwischen auch mindestens ein halbes Dutzend Herzen gebrochen. Erzähl mir nicht, dass du immer noch etwas für Kyle übrig hast. Oder etwa doch?“

Sie hob abwehrend die Hand. „Vielleicht hättest du es dir genauer überlegen sollen, bevor du ihn mir ins Haus gesetzt hast.“

„Na gut, ich hätte an deine Gefühle denken sollen. Aber er braucht das Geld und wollte es auf keinen Fall geschenkt haben. Komm schon, der Mann will dir doch nur das Essen kochen und etwas Ordnung in deinen Haushalt bringen. Lass ihn einfach machen.“

„Gut, ich überleg’s mir. Jedenfalls lasse ich mich nicht noch mal abservieren. Von niemandem.“

Sie schwiegen und betrachteten die Gäste, während ein Kellner ihre Gläser neu füllte. „Hey, sieh mal an“, bemerkte Michael plötzlich, „dein neuester Verehrer ist auch da.“

Graces Miene verdüsterte sich, als sie den Mann unter dem Türbogen sah, dem ihr Vater einen Arm um die Schultern gelegt hatte. „Dickie Trainor! Ich wusste gar nicht, dass Mom und Dad ihn auch eingeladen haben.“

Inzwischen hatte sich Ingrid zu Dickie und Victor gesellt, und die drei lachten herzlich über irgendeine Bemerkung.

„Ich wünschte, sie würden nicht so einen Tanz um ihn machen“, beklagte sich Grace.

„Tja, kaum hast du ihn ein paar Mal getroffen, schon sehen sie den zukünftigen Schwiegersohn in ihm.“

„Das ist wohl noch etwas zu früh.“ Sie seufzte resigniert. Mit Dickie Trainor hatte alles so harmlos begonnen. Der Künstler, mit dem sie sich vorher traf, entsprach nicht den Vorstellungen ihrer Eltern, deshalb hatten sie für Grace als Begleitung zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung Dickie verpflichtet, einen vielversprechenden Rechtsanwalt. Ein Opernbesuch folgte, dann ein Basketballspiel mit seinen Anwaltskollegen und einige Dinnerpartys. Bisher jedoch bewegte sich alles in unverfänglichen Bahnen.

„Pass auf, hier kommt Daddy mit dem Fang des Jahres“, machte Michael sich lustig, als sich die beiden Männer näherten. „Der hat richtig gut angebissen.“

„Jetzt gibt’s kein Entkommen mehr, junger Mann“, bemerkte Victor und klatschte Dickie auf den Rücken.

„Hallo, Grace.“ Dickie küsste sie auf die Wange. „Tut mir leid, dass ich erst jetzt komme, aber ich hatte noch einen wichtigen Termin in der Kanzlei. Du siehst heute Abend bezaubernd aus“, bemerkte er und ließ den Blick über ihre Kurven in dem engen roten Kleid schweifen.

Grace wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Ihr war klar, dass sie sich Dickie nicht selbst ausgesucht hatte, aber vielleicht würde sich ja auf lange Sicht doch etwas zwischen ihnen entwickeln. Auch wenn ihre künstlerische Ader und sein Anwaltspragmatismus nicht zusammenzupassen schienen.

„Ich habe mit Heather und Nate einen Termin zum Tennisspielen verabredet. Komm, wir suchen sie.“ Er nahm sie an der Hand und bahnte sich mit ihr einen Weg durch die Menge.

Sie fanden Heather und Nate Basset auf der Terrasse mit Blick auf den Lake Minnetonka, wo das frisch verheiratete Paar den prächtigen Sonnenuntergang bewunderte. „Hallo, Geburtstagskind!“, rief Heather und wand sich aus Nates Armen.

„Du bist auch bald wieder dran“, neckte Grace ihre Freundin und umarmte sie. „Nur einen Monat nach mir.“

Nate schüttelte ihr die Hand. Ebenso wie Dickies waren seine Hände schmal und gepflegt. Grace musste daran denken, wie Kyle mit seinen großen rauen Händen die Küche aufgeräumt hatte. Doch solche Gedanken führten nirgendwohin. Kyle war nicht mehr der strahlende Ritter von früher, sondern hatte inzwischen genauso wie alle anderen sein Päckchen zu tragen.

Während sich die Männer unterhielten, flüsterte Heather in Richtung Grace: „Michael hat mir gesagt, dass du jetzt einen Küchenjungen hast. Hört sich scharf an. Ich kann’s gar nicht erwarten, mehr darüber zu erfahren!“

Das Fest war wie immer prachtvoll, das Büfett üppig. Trotzdem hätte Grace lieber im kleinen Kreis gefeiert, mit Menschen, denen wirklich etwas an ihr lag. Gegen elf Uhr brachen die Gäste auf. Grace verabschiedete sie persönlich an der Tür, bis nur noch Dickie da war, den Ingrid drängte, in der Bibliothek noch einen Brandy zu trinken.

„Auf meine reizende Tochter!“ Victor stand mitten im Raum und hob sein Glas. „Auf ein langes Leben!“ Die anderen klatschten, als er Grace einen Kuss auf die Stirn gab.

Mehr an Zärtlichkeit war von einem Mann wie ihm nicht zu erwarten. Ungewollt tauchte vor Graces innerem Auge wieder Kyle auf. Sie war fasziniert davon gewesen, wie ungezwungen und liebevoll er mit seiner kleinen Tochter umgegangen war.

Alle ließen sich in die weichen Ledersessel fallen, als sich Grace daran machte, ihre Geschenke zu öffnen. Von Dickie bekam sie eine Perlenkette, die sie auf einem Einkaufsbummel mit ihm vor einigen Wochen bewundert hatte. Grace war hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit und einem erstickenden Gefühl.

„Und wie gefällt dir das Geschenk deines Bruders? Das kannst du ja schwerlich zurückgeben“, meinte Ingrid, während sie einen Seidenschal näher in Augenschein nahm.

„Du meinst Kyle McRaney?“ Grace schluckte schwer und vermied Dickies fragenden Blick. „Das überlege ich mir noch. Natürlich nur, wenn Michael den Kassenzettel noch hat.“

„Er ist wieder in der Stadt, nicht wahr?“, mischte Dickie sich ein. „Will er nicht das Bistro der Andersons kaufen?“

„Woher weißt du das?“, fragte Michael.

Dickie zuckte beiläufig die Schultern. „Habe ich irgendwo gehört. In der Stadt spricht sich so etwas schnell herum, wie du weißt. Jeder kennt ‚Amelia’s Bistro‘, und alle wissen, dass Kyle Amelias Schwiegerenkel ist.“

„Dass du dich an ihn noch erinnerst“, wunderte sich Michael. „Du warst doch selten dort.“

„Ich gehörte nie zu dem Publikum, das dort gern gesehen war“, bemerkte Dickie steif, der früher ein unbeliebter Außenseiter gewesen war. „Ich war zwar einige Male dort, aber es war mir zu dunkel und zu laut. Außerdem hatte ich keine Lust, mich wegen meiner Pickel hänseln zu lassen.“

„Oh, damit ist es aber doch lange vorbei“, tröstete ihn Ingrid.

Autor

Leandra Logan
Schon in ihrer Kindheit hat Leandra geschrieben. Sie war überrascht, 1986 ihren ersten Jugendroman zu verkaufen. Seitdem hat sie viele Bücher veröffentlicht. Sowohl für Teenager als auch für Erwachsene. Ihre Bücher stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten von B.Dalton oder Waldenbooks und sie sind für mehrere Awards nominiert gewesen. Leandra Logan...
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