Nur das flüchtige Glück einer Tropennacht?

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es ist eine magische Tropennacht im malaysischen Ferienresort: exotische Düfte, mysteriöse Geräusche im Dschungel, funkelnde Sterne. Und dazu der Star-Architekt Carter Bennett, der Grace zum Lachen und Träumen bringt. Und zum Lieben! Denn sie erlaubt sich eine sinnliche Nacht mit ihm. Bald schon muss sie zurück nach London fliegen, wo Pflichten auf sie warten. Doch als der Morgen dämmert, macht Carter ihr ein ungeheuer verführerisches Angebot: eine Vernunftehe für ein Jahr. Soll Grace sich wirklich darauf einlassen – und ihr Herz riskieren?


  • Erscheinungstag 04.03.2025
  • Bandnummer 052025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534673
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Ich weiß nicht.“ Grace Andrews schaute auf die verblichenen roten Shorts in ihrer Hand und die verwaschenen Tops, die auf dem Bett lagen. In wenigen Stunden ging ihr Flug. Aber es gab viele gute Gründe, nicht an Bord zu gehen.

„Die werden doch sowieso ruiniert. Nach dem Dschungel kaufst du dir einfach neue Sachen“, meinte ihre Freundin und Mitbewohnerin Violet. Erst dann sah sie die Besorgnis in den grünen Augen ihrer Freundin. „Du sprichst nicht von den Klamotten, oder?“

„Ich sollte mich nach einem neuen Job umsehen. Es ist dir gegenüber nicht fair, dass ich von zu Hause arbeite.“

„Mich stört das nicht. Ich bin den ganzen Tag in der Bücherei. Aber du arbeitest schon zu absurden Zeiten.“

„Ich bin es gewohnt, nachts zu arbeiten“, erwiderte Grace. Datenerfassung war zwar nicht aufregend, aber dank dieses Jobs hatte sie ihre Arbeitszeiten anpassen können, als sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter verschlechtert hatte. Leider reichte der Lohn nicht, um ihre Mutter langfristig zu unterstützen. Sie nahm den halbherzig gepackten Rucksack und setzte sich auf die Bettkante. „Das ist nicht alles.“

Bereits vor zwei Jahren hatte Grace den vierwöchigen Urlaub in Malaysia gebucht und bezahlt. Am Anfang stand eine fünftägige Flussreise durch den Dschungel von Borneo. Ein außergewöhnliches Reiseziel für Grace, die bisher nur eine Klassenfahrt nach Frankreich gemacht hatte. Aber die atemberaubende Tierwelt und die luxuriösen Villen am Flussufer waren verlockend gewesen und natürlich der Sonderpreis. Letztlich hatte die Abgeschiedenheit des Dschungels und die Tatsache, dass sie eine Weile lang vom Netz sein würde, den Ausschlag gegeben.

Damals hatte Grace nicht geahnt, was das veränderte Verhalten ihrer Mutter in den letzten Jahren bedeutete. Doch mit der Zeit wurde es so schlimm, dass sie ihr Lehramtsstudium aufgab und aus der Wohnung, die sie sich mit Violet teilte, wieder zurück nach Hause zog. Dieser Urlaub war etwas, an dem sie sich hatte festhalten können. Dann wurde bei ihrer Mutter Demenz festgestellt.

Violet hatte ihr die ganze Zeit beigestanden. Sie waren schon seit der Grundschule befreundet. Nach der Scheidung ihrer Eltern war Grace die Neue in der Schule gewesen. Sie hatte sich hinter ihren dunklen Locken versteckt und die beliebte Violet bewundert, deren sonniges Gemüt zu ihren blonden Haaren passte. Doch als sie sah, wie Violet in der Pause gehänselt wurde, weil ihr Vater im Gefängnis saß, hatte Grace ihre Schüchternheit überwunden und eingegriffen.

„Lasst sie in Ruhe!“, hatte sie gefordert.

„Was geht dich das an?“, hatte der Anführer der Rüpel gespottet.

„Sie ist meine Freundin“, hatte Grace behauptet und Violets Hand ergriffen.

Seitdem waren sie Freundinnen, abgesehen von einem bedauerlichen Vorfall kurz vor der Diagnose ihrer Mutter. Es war Violet gewesen, die ihre Hand hielt, als Grace die schwere Entscheidung traf, das Haus ihrer Eltern zu verkaufen und ihre Mutter in einem Pflegeheim unterzubringen. Und es war Violet, mit der sie sich nun eine Wohnung teilte und die ihr jetzt gut zuredete.

„Du brauchst diesen Urlaub. Du hast dich jahrelang um deine Mutter gekümmert.“

Grace nickte. Sie hatte sich nie die Zeit genommen, über alles nachzudenken. Die Diagnose hatte sie tief getroffen, doch schon die Jahre vorher waren die Hölle gewesen.

„Maggie denkt, es ist besser, wenn ich sie eine Weile nicht besuche.“ Die Leiterin des Pflegeheims hatte Grace versichert, dass ihre Mutter sich dann besser im Pflegeheim einleben könnte. „Aber ich will nicht, dass Mim denkt, ich hätte sie vergessen.“

Denn dieses Gefühl kannte Grace nur zu gut. Wie oft hatte sie am Fenster gesessen und auf ihren Vater gewartet. Manchmal war er tatsächlich gekommen, aber meistens hatte sie umsonst gewartet. Schließlich hatte er den Kontakt ganz abgebrochen.

„Ich kann sie zwar nicht besuchen …“ Violet verstummte.

Weder sie noch Grace wollten über den Vorfall sprechen, der beinahe ihre Freundschaft zerstört hätte. Damals hatte Graces Mutter – kurz vor ihrer Diagnose – Violet des Diebstahls beschuldigt. Bis heute bereute Grace, dass sie an ihrer Freundin gezweifelt hatte, anstatt sich einzugestehen, wie es um ihre Mutter stand.

„Aber ich kann mit den Pflegern sprechen und so auf sie achtgeben“, fuhr Violet fort. „Du musst diese Reise machen. Vielleicht triffst du einen umwerfenden …“ Sie zögerte und zog eine Grimasse. „Na ja, vielleicht nicht in der Wildnis, aber wenn der Teil der Reise vorbei ist …“

„Nach einer Romanze steht mir wirklich nicht der Sinn.“

„Wer redet denn von einer Romanze?“ Violet gab ihr einen Stups. „Eine heiße Nacht würde mir schon reichen. Dann könnte ich davon träumen, während ich die zu spät abgegebenen Bücher einsortiere.“

Grace musste lachen. Sie waren beide misstrauisch, was Männer betraf, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Doch in letzter Zeit schien es, als wäre Violet bereit, ihre Vorbehalte abzuschütteln. Grace dagegen fühlte sich … Gefangen? Nein, immerhin fuhr sie in den Urlaub. Ihre Welt wurde wieder größer. Verloren? Nein, es war mehr als das. Sie lebte zwar wieder zusammen mit Violet in einer Wohnung, fühlte sich aber komplett anders als vorher. Als hätte sie den Kontakt zu der Person verloren, die sie einmal gewesen war.

Sie hatte Violet nicht alles erzählt. Zum einen wollte sie ihre Freundin nicht belasten, zum anderen war sie noch nicht bereit, darüber zu sprechen. Violet glaubte, mit dem Umzug ins Heim sei nun mit Graces Mutter alles in Ordnung, doch Grace wusste, dass das Geld nicht lange reichen würde. Dieses Wissen erdrückte sie. Ihre Mutter war erst Mitte Fünfzig.

„Wirf diesen Urlaub nicht weg“, sagte Violet sanft.

Grace nickte. Dies war in der Tat ihre letzte Chance – zumindest für eine sehr lange Zeit. Im Moment war ihre Mutter gut versorgt. Also konnte sie beruhigt wegfahren. Sie warf einen Blick auf die Uhr und sagte: „Ich bringe ihr einen Kuchen und verabschiede mich.“

„Wird sie das nicht noch mehr verwirren?“, fragte Violet.

„Ich weiß es nicht“, gab Grace zu. Trotzdem war es ihr wichtig, sich von ihrer Mutter zu verabschieden.

Ihr Vater hatte ihr nie die gleiche Höflichkeit erwiesen.

1. KAPITEL

„Es gibt nichts mehr zu besprechen.“

Carter Bennett beendete seine jüngste kurze Beziehung auf dieselbe Weise, wie er ein unproduktives Meeting oder eine festgefahrene Verhandlung beenden würde. Aktuell war er in Manhattan, doch der Dschungel stecke seit Langem in ihm und er spürte ihn auch hier. Dort gab es keine Gesetze. Das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Man machte seine eigenen. Für Carter gab es nur ein Gesetz: keinen Menschen und keinen Ort jemals nahe an sich heranzulassen.

Als milliardenschwerer Nomade besaß er Büros, Immobilien und andere Objekte auf der ganzen Welt und reiste zwischen ihnen hin und her. An manchen Orten hatte er gute Bekannte, die er jedoch nicht als Freunde bezeichnen würde. Aber keine Frauen. Das berühmte schwarze kleine Büchlein gab es bei ihm nicht. Er brach Beziehungen immer vollständig ab. So auch jetzt.

„Es ist aus zwischen uns.“

„Du bist ein kaltherziger Bastard, Carter.“

„Stimmt. Und ich habe dir von Anfang an gesagt, dass aus uns nichts werden wird.“ Er warf einen Blick auf die Zeitschrift auf seinem Schreibtisch, in der ihre angebliche Verlobung verkündet wurde – mit einem Foto von ihnen beiden auf der Titelseite. Sein schwarzes Haar war frisch geschnitten, die Narbe auf der Stirn deutlich sichtbar – wie immer. Sie kamen gerade aus dem Theater, was nicht ungewöhnlich war. Carter galt als Theaterliebhaber. In Wahrheit führte er seine Dates einfach gern ins Theater, Ballett oder in die Oper aus. Ein paar Drinks vorab, vielleicht ein Dinner vor der Aufführung, dann Stunden ohne Unterhaltung – abgesehen von der lästigen Pause. Und danach Sex.

„Aber du musstest unbedingt ein Interview geben und behaupten, wir wären verlobt.“ Wütend beendete Carter das Gespräch und warf die Zeitschrift in den Papierkorb. Er würde nie heiraten. Niemals! Innerlich war er tot. In seiner Seele klaffte ein tiefes schwarzes Loch. Geld, Frauen, ein neues Auto, eine Nacht im Casino, ein neuer Wohnsitz – das alles brachte nur kurzzeitig Erleichterung. Verheiratet war er nur mit seinem Job als Architekt. An den Gebäuden, die er entwarf, war nichts Vergängliches. Sie waren greifbar, dauerhaft und nachhaltig.

Dass die Presse sich für ihn interessierte, war nichts Neues. Carter Bennett hatte bereits Schlagzeilen gemacht, bevor er in seine wohlhabende und berühmt-berüchtigte Familie hineingeboren wurde. Sein Vater Gordon Bennett stammte aus England und hatte in den oberen Gesellschaftskreisen für Aufsehen gesorgt, als er seine standesgemäße Verlobung plötzlich löste, um übereilt eine wunderschöne amerikanische Prominente zu heiraten – Sophie Flores. Der Grund dafür war Carter!

Das Paar führte ein eigenwilliges Leben und reiste viel. Manchmal nahmen sie Carter mit, doch meistens ließen sie ihn bei den Kindermädchen oder bei seinem exzentrischen Großvater auf Borneo. Sobald er alt genug dafür war, kam er auf ein Internat. Dort blühte er auf. Die Routine und das Lernen gefielen ihm. Er teilte sich das Zimmer mit einem jungen Prinzen namens Sahir, dessen Leibwächter draußen vor der Tür saß, während die Jungen im Zimmer immer kompliziertere Türme und Brücken bauten. Als Carter acht Jahre alt war, bekam er einen kleinen Bruder, was dem Hunger seiner Eltern nach Abenteuern jedoch keinen Abbruch tat. Aber nun wollten sie auf einmal als Familie auf Reisen gehen. Sie nahmen Carter aus dem Internat, damit er sie auf ihren Erkundungen im Dschungel rund um das Grundstück seines Großvaters begleitete.

Tragischerweise wurde aus ihm wieder eine Sensation, weil er auf wundersame Weise einen Vorfall überlebte, der seine Eltern und seinen kleinen Bruder das Leben kostete. Tod durch Krokodil! Eine ausgezeichnete Schlagzeile – besonders wenn es um Mitglieder der Familien Bennett und Flores ging. Nur Gordon Bennetts Leiche wurde gefunden. Eine Woche lang ging man davon aus, Sophie und ihre beiden Kinder wären ebenfalls ums Leben gekommen. Dann landete Carter wieder in den Schlagzeilen.

Carter Bennett lebt!

Irgendwie hatte er es aus den krokodilverseuchten Gewässern herausgeschafft. Einheimische vom Volk der Iban hatten ihn im dichten Dschungel gefunden. Weit entfernt vom Fluss und dem Tode nah. Carter erinnerte sich, wie er die Augen geöffnet und den Vater seines Freunds Arif gesehen hatte.

Selamat“, sagte Bashim. „Du bist in Sicherheit.“ Er erkannte sofort, dass Carter nicht von einem Krokodil angegriffen worden war. Seine Verletzungen stammten aus den langen einsamen Tagen danach. „Wolltest du Hilfe holen?“

Doch Carter hatte nicht die Kraft, zu antworten. Er erinnerte sich vage daran, dass Bashim ihn zu seinem Langhaus am Flussufer getragen hatte – und an Arifs Freudenschrei bei ihrer Ankunft dort. Obwohl er völlig apathisch gewesen war, konnte er sich an Einzelheiten aus dieser Zeit erinnern: wie sorgfältig und vorsichtig sie seine Wunden versorgt und wie liebevoll sie sich um seinen völlig erschütterten Großvater gekümmert hatten. Sein Freund Arif, der damals ebenfalls erst acht Jahre alt war, hatte Carters Hände gehalten, wenn man ihm die Verbände an Kopf und Rücken gewechselt hatte, und ihm geholfen, Wasser zu trinken.

„Was hast du gesehen?“, hatte Arif ihn gefragt, doch Carter hatte nicht geantwortet. „Warum redet er nicht, Papa? Warum erzählt er uns nicht, was passiert ist?“

„Gib ihm Zeit“, hatte Bashim geantwortet. „Er ist noch nicht bereit.“

Bis zum heutigen Tag waren diese Fragen unbeantwortet geblieben.

Eine Weile lebte Carter bei dem britischen Anwalt seines verstorbenen Vaters und dessen Frau. Sein englischer Onkel war zu der Zeit auf Entzug und zum dritten Mal verheiratet, also keine Option. Und sein Großvater väterlicherseits weigerte sich, sein weitläufiges Anwesen im Dschungel Borneos zu verlassen – dem Land, dem Carters Familie zum Opfer gefallen war.

Also wandte man sich an Carters Tante mütterlicherseits – eine berühmte New Yorker Wohltäterin. In Wahrheit gab sie wesentlich mehr aus, als sie spendete. Sie nahm ihn bei sich auf und zeigte sich bei geeigneten Gelegenheiten mit ihrem Neffen. Doch nach ein paar Jahren wurde es seiner schillernden Tante zu viel. Carter litt unter nächtlichen Angstzuständen und riss die Bewohner des Hauses an der Fifth Avenue immer wieder aus dem Schlaf. Seine Tante schickte ihn zurück ins Internat nach England, wo er wieder mit Sahir in einem Zimmer wohnte.

Nachdem er Sahirs Leibwächter mehrere Nächte hintereinander mit seinen Angstzuständen aufgeschreckt hatte, trainierte Carter sich an, aufzuwachen und abzuwarten, bis die Attacken vorbei waren. Die Sommerferien verbrachte er meist in Borneo, doch seine Freundschaft mit Arif hatte sich verändert. Carter wollte nicht mehr auf Erkundungen und Entdeckungsreisen gehen. Arif übte sich in Geduld, fand es aber langweilig, die ganze Zeit auf dem luxuriösen Anwesen von Carters Großvater zu verbringen. Der andere Teil von Willbur Bennetts Land – die mehreren zehntausend Hektar unberührter Regenwald – faszinierten Arif wesentlich mehr.

Auch als Erwachsener kam Carter weiterhin zu Besuch. Sein Großvater hatte das Land immer geliebt und zusammen mit den Einheimischen daran gearbeitet, die seltenen Wildtiere zu schützen. Zwar gab es in der Residenz noch private Flügel, doch der Rest des Anwesens beherbergte Gastwissenschaftler und Tierforscher und natürlich Büros. Als Carters Großvater älter wurde, übernahm Arif mehr und mehr den Betrieb. Und obwohl Carter nie den Wunsch verspürt hatte, sich einzubringen, kam es zwischen ihm und Arif immer wieder und stärker zu Spannungen.

Carter hatte sich verändert. Arif verstand das zwar, weigerte sich aber zu akzeptieren, dass Carter seine Freundschaft offenbar nicht länger wollte. Carter hingegen wollte nicht noch einen Menschen, der ihm etwas bedeutete, an den Dschungel verlieren. Denn Arif streifte weiterhin durch den Dschungel – als Fremdenführer und als Leiter von Suchteams, wenn Touristen vermisst wurden.

Als sein Großvater vor einem Jahr starb, hatte Carter gehofft, alle Verbindungen zu dem Ort kappen zu können, der ihm bereits so viel genommen hatte und noch mehr nehmen könnte. Doch Willbur Bennetts Testament hatte diese Hoffnung zunichtegemacht.

Carter ging zurück an sein Zeichenpult. Eigentlich arbeitete er eher am Computer, doch für diesen speziellen Kunden war das nicht genug. Kronprinz Sahir von Janana kämpfte mit seinem Vater und den Ältesten um die Genehmigung, den zerstörten Flügel des Palasts von Janana wiederaufzubauen. Das Projekt war kompliziert. Darum war Carter in den letzten Jahren oft nach Janana gereist.

Doch er konnte sich nicht konzentrieren, sondern musste immer wieder an die Petronas Towers in Kuala Lumpur denken, die in ihm den Wunsch geweckt hatten, Architekt zu werden. Ruhelos stand er auf und tigerte in seinem Penthouse-Büro mit dem wunderbaren Panoramablick auf und ab. Er sah auf den Hudson River, der heute blau glitzerte. Carter zog es vor, wenn der Fluss braun aussah. Nicht so braun wie die Flüsse, die durch den Dschungel der Insel verliefen. Und das Grün des Central Parks war nie so wie …

Nein! Ich will nicht vergleichen. Er hatte getan, was er konnte, um all das hinter sich zu lassen. Doch dann hatte Arif überraschend angerufen und ihm erzählt, was in Borneo vor sich ging.

Wenn es dir etwas bedeutet, kannst du dich nicht abwenden.“

Carter hatte die Betonung auf dem Wörtchen „Wenn“ gehört, war aber nicht darauf eingegangen. Er wollte nicht, dass es ihm etwas bedeutete.

„Mr. Bennett?“ Seine persönliche Assistentin Ms. Hill erinnerte ihn daran, dass Jonathan Holmes, der britische Anwalt, der sich um Carters private Rechtsangelegenheiten kümmerte, bald eintreffen würde.

„Sagen Sie Bescheid, wenn er da ist“, bat Carter. „Was steht noch an?“

„Ein Online-Meeting mit Prinz Sahir. Soll ich im Sitzungsraum alles vorbereiten?“

„Nein.“ Carter warf einen Blick auf die Pläne, an denen er arbeitete. „Das erledige ich von hier aus.“

Durch die lange Arbeit am Zeichenbrett hatte sein weißes Hemd einige Flecken bekommen. Er ging in das Bad mit Ankleidezimmer, das zu seinem Büro gehörte, zog das verschmutzte Hemd aus und wusch sich die Tinte von den Händen. Dabei betrachtete er sich im Spiegel. Die Narbe, die vom Haaransatz über die Stirn verlief, war inzwischen verblasst, teilte seine pechschwarze Augenbraue aber immer noch in zwei Teile. Frauen gefiel die Narbe.

„Wie ist das passiert?“, fragten seine Dates unausweichlich. Doch Carter wehrte die Frage stets ab – genau wie jede forschende Hand, die sich danach ausstreckte.

Er drehte sich um und betrachtete seinen Rücken im Spiegel. Das tat er nur selten. Auch hier hatte er Narben. Allerdings waren sie nicht so ansehnlich wie die Narbe auf der Stirn. Sein Rücken sah aus, als hätte jemand heißes Öl darüber gegossen.

Kalajengking“, hatte Bashim erklärt, der ihn bewusstlos auf einem Nest von Feuerameisen gefunden hatte. „Bisse von Skorpionen.“

Carter konnte sich glücklicherweise an nichts erinnern. Auch nicht die Tage, die er allein im Dschungel verbracht hatte. Er befühlte die Narben auf seinem Rücken. Kein Wunder, dass die Frauen zurückzuckten, wenn sie ihn beim Sex versehentlich dort berührten.

„Mr. Bennett?“ Ms. Hill klopfte leise an der Badezimmertür.

Schnell zog Carter sich an, ging hinaus und begrüßte seinen Anwalt mit Handschlag. „Danke, dass du so kurzfristig gekommen bist, Jonathan.“

„Gern geschehen.“

„Wie geht es Ruth?“

Sie tauschten die üblichen Höflichkeiten aus. Doch sobald Carters Assistentin die Bürotür hinter sich geschlossen hatte, fragte Jonathan: „Stimmen die Gerüchte?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Carter.

„Ich dachte schon, du hättest mich hergebeten, um einen wasserdichten Ehevertrag aufzusetzen. Ich bin bereit für sie …“

„Für wen?“ Carter runzelte die Stirn.

„Die zukünftige Mrs. Bennet. Wer immer sie auch sein wird.“

Carter schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht heiraten. Niemals.“ Er hatte seinen Großvater immer wieder gewarnt, dass er Benedict nicht trauen durfte. Trotzdem hatte der alte Herr das Haus und das Land seinen beiden Enkeln gemeinsam vermacht. Mit einer Einschränkung. Wenn Carter in Sabah heiratete und ein volles Jahr verheiratet blieb, konnte er seinen Cousin auskaufen. „Ich habe ihm gesagt, dass er einen Fehler macht.“ Carter seufzte. „Aber er hatte schon immer seinen eigenen Willen.“

„Das stimmt“, bestätigte Jonathan.

Eine Ehe war für Carter keine Option. Darum hatte er Benedict angeboten, ihn auszuzahlen, um das Testament anschließend für nichtig erklären zu lassen. Doch Benedict hatte nicht nur abgelehnt, sondern seinerseits ein Gegenangebot gemacht.

„Wirst du das Angebot annehmen?“, fragte Jonathan. „Dann hättest du eine Sorge weniger. Du hast selbst schon genug Grundbesitz, um den du dich kümmern musst.“

„Ich habe von Arif gehört.“ Carter sah, wie Jonathan die Stirn runzelte, und erklärte: „Er koordiniert die Forschungs- und anderen Projekte auf dem Anwesen.“

„Sein Vater hat dich gerettet, oder?“

„Bashim.“ Carter nickte. „Arif erzählte mir, dass auf dem Anwesen eine Menge los ist. Drohnen werden hochgeschickt, Luftaufnahmen gemacht …“

„Benedict kann das Grundstück nicht ohne deine Zustimmung verkaufen“, unterbrach Jonathan ihn.

„Angeblich gibt es Verhandlungen, den Ort als Basis für eine Reality-Show im Fernsehen zu nutzen. Oder für einen Film …“

Jonathan schüttelte den Kopf. „Nicht ohne deine Zustimmung. Außerdem würden sie niemals eine Genehmigung bekommen. Das Land wird streng kontrolliert.“

„Mein Großvater war sehr angesehen. Die Behörden könnten annehmen, dass Benedict das Richtige tut“, wandte Carter ein. „In einigen Resorts sind Location Scouts und Fernsehbosse zu Gast. Die wären nicht angereist, wenn sie keine Chance wittern würden.“

„Vielleicht hofft Benedict, dass du aufgibst“, meinte Jonathan. „Wenn du nicht die nächsten Jahre damit verbringen willst, dich durch die Instanzen zu kämpfen, ist es vielleicht an der Zeit, den Ort loszulassen. Du hast deine Eltern dort verloren …“

„Und meinen Bruder. Er hätte überhaupt nicht dort sein dürfen.“ Der Name seines Bruders war Hugo. Doch alle hatten ihn nur liebevoll Ulat genannt – „Würmchen“. So nannten die Einheimischen ihre Neugeborenen, die erst Monate nach der Geburt ihren richtigen Namen erhielten. Auch Carter war als Baby Ulat genannt worden. Nur zu gern würde er das Kapitel Borneo beenden, und doch konnte er sich nicht ganz abwenden. „Sag Benedict, dass ich bereit bin zu verhandeln.“

„Bist du sicher?“ Als Carter bejahte, verabschiedete Jonathan sich mit den Worten: „Überlass alles Weitere mir.“

Doch das konnte Carter nicht. Er musste immer wieder an Borneo denken. An die wilden unberührten Regenwälder, die heiße schwüle Luft … Er dachte an die Iban und ihre Langhäuser entlang des Flusses. Die Produktionsfirmen würden mit ihren Booten das ruhige Wasser in Aufruhr bringen. Natürlich gab es Touristen, aber die Regeln waren sehr streng. Die Einheimischen schützten ihre Heimat und wurden geschützt.

„Ms. Hill, bitte verschieben Sie den Termin mit Prinz Sahir“, bat Carter seine Assistentin über die Gegensprechanlage. „Und verschieben Sie bitte all meine Termine der nächsten Woche und organisieren eine Reise nach Sabah.“

„Wann möchten Sie …“

„Sofort!“, fiel Carter ihr ins Wort und rollte die Blaupausen auf. An denen konnte er auch dort arbeiten.

Achtzehn Flugstunden später war Carter am Flughafen von Kuala Lumpur. Er trug noch immer seinen Anzug. Auf dem Weg zum Check-in für Passagiere der ersten Klasse für den Weiterflug nach Sabah sah er einen Reisepass auf dem Fußboden.

Nicht mein Problem, dachte er. Doch dann fiel sein Blick auf die vermutliche Eigentümerin des Passes, die schlafend auf einer Bank lag. Sie sieht aus wie Dornröschen. Nein, korrigierte er sich. In den Büchern, die er Hugo vorgelesen hatte, hatte Dornröschen stets rabenschwarzes Haar und dunkelrote Lippen. Die Haare dieser Frau waren eher kastanienbraun, glänzend und lockig. Ihre schmale Hand berührte fast den Boden, wo der Reisepass lag. Eine der Flugbegleiterinnen winkte ihm zu, und er wollte schon weitergehen. Doch niemand hatte die Frau geweckt, ihr Pass lag immer noch auf dem Boden. Carter schnaubte ärgerlich über sich selbst, weil er es nicht lassen konnte, und ging zurück zu der Bank, auf der die schlafende Frau lag. Sie trug ein dunkelrosa Top und eine schwarze Cargohose, hatte die schlanken Beine angezogen und die Füße, die in weißen Turnschuhen steckten, auf ihre Tasche gelegt. Ja, sie war wirklich schön.

Carter hob den Pass auf und prüfte, ob sie die Besitzerin war. Grace Andrews, fünfundzwanzig, geboren in London. Ein kurzer Blick auf das Passbild genügte. Der Pass gehörte ihr. 

„Madam.“ Keine Reaktion. Sie schlief tatsächlich tief und fest. „Madam.“ Er wollte ihr gerade die Hand auf die Schulter legen, um sie zu wecken, da bemerkte er, dass ihr Top verrutscht war und man den Träger ihres schwarzen BHs sehen konnte. Schnell zog er die Hand zurück. „Ms. Andrews.“ Wieder keine Reaktion, also rief er laut: „Grace!“

Als sie langsam die Augen öffnete, sah er, dass ihre Augen grün waren.

Es geschah nicht oft, dass Carter eine Frau aufwachen sah. Zwar hatte er zahlreiche Liebschaften, doch am Morgen danach drehte er sich meistens weg und wünschte, die Frau wäre nicht mehr da. Manchmal stahlen die Frauen sich heimlich aus seinem Bett, gingen schnell ins Bad, um sich aufzufrischen, und kehrten kurz darauf leise ins Bett zurück. Mit frisch gebürsteten Haaren und frisch aufgelegtem Parfüm. Viel zu perfekt.

Ms. Andrews aufwachen zu sehen, war anders. Ihre Schönheit war echt – das erkannte Carter sofort. Von ihren natürlichen Brauen und Wimpern bis hin zu ihren vollen weichen Lippen. Auf ihrer hellen Haut war keine Spur von Make-up zu sehen. Als sie erwachte, konnte er für einen Moment in ihre wunderbaren moosgrünen Augen sehen. Lächelnd schaute sie ihn an. Doch dann kam sie zu sich, und ihr Lächeln erlosch. Abrupt setzte sie sich auf, wobei ihr Top weiter verrutschte. Ihr Haar war zerzaust.

„Alles in Ordnung“, beruhigte Carter sie.

Aber Grace hörte ihn nicht. Sie war aufgewacht und hatte einen Fremden gesehen, der sich über sie beugte. Einen schwarzhaarigen Fremden mit einem glattrasierten markanten Kinn und einer geraden Nase. Am meisten hatte sie jedoch die perfekte Teilung seiner linken Augenbraue fasziniert. Eine dicke weiße Narbe durchtrennte den schwarzen Bogen und verlief über die Stirn bis zum Haaransatz. Seine Augen waren grau – wie Graupel an einem kalten Wintertag, sein Mund streng und dennoch voll und absolut verlockend. Seine Haltung war abweisend, aber nicht bedrohlich. Der zitrusartige würzige Duft seines Rasierwassers war so köstlich, dass sie die harte Bank unter ihr und die grellen Lichter hinter ihm gar nicht bemerkte. Als sich ihre Blicke trafen, glaubte sie tatsächlich, es wäre ein Traum. Aber es war kein Traum! Der attraktive Fremde war real, und er hielt etwas in der Hand.

Ich habe meinen Pass fallen gelassen!

Autor