Nur dir gehört mein Herz

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Bislang fristete die aparte Hebe ihr Dasein als Mauerblümchen, aber unter den feurigen Küssen von Alexander Beresford, einem adligen Major, blüht sie auf. Ungeduldig wartet sie auf seinen Heiratsantrag. Bis ein Brief all ihre Träume zerstört: Alexander soll längst einer anderen versprochen sein!


  • Erscheinungstag 02.08.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759414
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem Hebe Carlton auf Malta den gut aussehenden Gentleman zum ersten Mal zu Gesicht bekam und sofort eine Abneigung gegen ihn fasste. Bis zu diesem besagten Mittwoch hatte ihr Leben hauptsächlich aus solch gewöhnlichen Tagen bestanden. Danach allerdings hatte es, wie sie sich später erinnerte, nur noch wenige Tage gegeben, die so normal gewesen waren. Sie hätte freimütig zugegeben, dass sie nicht deshalb ablehnend auf den Fremden reagiert hatte, weil sie gegen attraktive Männer oder den Anblick einer schmucken Militäruniform gefeit war. Sie neigte auch nicht dazu, vorschnelle Urteile zu fällen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Menschen im Allgemeinen viel interessanter waren, als man auf den ersten Blick glaubte. Dieser Mann jedoch hatte etwas ihr Unerklärliches an sich, das sie in Unruhe versetzte. Hinter der Gardine stehend, beobachtete sie ihn aufmerksam, während er mit Commodore Sir Richard Latham entlang der schattigen Seite des Platzes auf ihr Haus zukam.

Der Commodore, der zukünftige Gatte ihrer verwitweten Stiefmutter, hatte sich zum Lunch angekündigt, wie stets, wenn es seine Pflichten im Hauptquartier der beim Hafen stationierten Schwadron zuließen. Heute indes traf er etwas später als sonst ein. Er und sein Begleiter waren in ein Gespräch vertieft, unterbrachen es jedoch, ehe sie die Straße überquerten. Dadurch bekam Hebe die Gelegenheit, den Fremden genauer zu betrachten.

Danach fand sie ihn noch unsympathischer, denn sein regelmäßig geschnittenes, sonnengebräuntes Gesicht zeigte einen strengen, überaus ernsten Ausdruck. Sie stellte sich vor, er sei einer von den enteigneten Johannitern, die erst vor einigen Jahren unter Napoleon von Malta vertrieben worden waren und noch immer mit den neuen englischen Oberherren über ihre Rückkehr verhandelten.

„Hebe!“, rief ihre Stiefmutter ungeduldig aus dem Entree. „Kommt der Commodore nun oder nicht?“

„Er ist auf dem Weg zu uns, Mama.“ Hebe lief zum Treppenpodest. „Er steht mit einem Armeeoffizier auf der anderen Seite des Platzes, und es hat den Anschein, dass er einen Gentleman mitbringt.“

Mrs. Carlton setzte eine nachdenkliche Miene auf. „Handelt es sich um einen jungen Mann?“, erkundigte sie sich.

„Hm, ich schätze ihn auf Ende zwanzig, vielleicht dreißig.“

Hebe war nicht überrascht, als die Stiefmutter daraufhin eine Schere vom Tisch neben der Eingangstür nahm und ihr, während sie ins Freie trat, über die Schulter zurief: „Ich schneide noch schnell ein paar Blumen für den Tisch.“

Hebe seufzte und kehrte zum Fenster zurück. Jeder neue Offizier einer Waffengattung erregte das Interesse der Stiefmutter und führte zu konzentrierten Anstrengungen, Hebe dazu anzuhalten, sich so zu benehmen, dass ihm sogleich auffiel, welch gute Partie sie war. Auch dieser Fremde, der aussah wie ein Mönch, würde bald Mrs. Carltons Machenschaften ausgesetzt sein. Es stand jedoch zu vermuten, dass er ihrer Stiefmutter gewachsen sein würde.

Als Hebe ihren Platz hinter den Gardinen wieder eingenommen hatte, befanden der Commodore und sein Begleiter sich immer noch auf der anderen Straßenseite. Hebe hatte den Eindruck, dass sie über Geschäfte redeten, da der streng aussehende Gentleman ein ledernes Portefeuille bei sich hatte, das er jetzt dem älteren Offizier aushändigte. In diesem Moment erblickte Sir Richard Mrs. Carlton. Hebe konnte die Stiefmutter von ihrem Standort aus nicht sehen, war indes sicher, dass sie so tat, als schnitte sie Blüten, während sie sich vor dem Spalier mit Bougainvillea dekorativ in Szene setzte. Die beiden Herren zogen ihre Hüte und verneigten sich.

Nunmehr barhäuptig, bot der schwarzhaarige Fremde Hebe einen besseren Blick auf sein ebenmäßig geschnittenes Gesicht mit den eindrucksvollen dunklen Augenbrauen und dem markanten Kinn. Ihre Überzeugung, dass er etwas Mönchisches habe, verfestigte sich, da seine Miene keinerlei Bewunderung ausdrückte, ganz im Gegensatz zu den meisten Männern, die ihre Stiefmutter zum ersten Mal trafen.

Plötzlich sah er auf, als sei er sich bewusst geworden, dass er beobachtet wurde, und schaute in Hebes Richtung. Hebe zuckte zurück. Der Eindruck, einen Asketen vor sich zu haben, schwand im Nu. Jetzt kam der Gentleman ihr eher wie ein Raubvogel vor, der bereit war, sich auf seine Beute zu stürzen. Sein Blick hatte etwas Durchdringendes. Kein Wunder, dass er ihr von Anfang an Unbehagen erzeugt hatte.

Sie redete sich ein, er könne sie nicht bemerkt haben, und strich rasch das Kleid glatt. Die Stiefmutter würde nicht erbaut sein, wenn Hebe zum Essen erschien und nicht adrett aussah. Mrs. Carlton hatte sich längst mit der Tatsache abgefunden, dass ihre Stieftochter keine Schönheit und nicht einmal hübsch zu nennen war und diesen Makel auch nicht dadurch auszugleichen trachtete, dass sie durch herausragende häusliche Fähigkeiten wenigstens einen älteren Herrn für sich einnahm, der nach einer tüchtigen, anpassungsfähigen Frau suchte. Dennoch bemühte Mrs. Carlton sich weiterhin, Hebe dazu anzuhalten, sich stets wie eine junge Dame zu präsentieren. Manchmal hatte sie damit Erfolg, aber im Moment verspürte Hebe nicht das geringste Bedürfnis, in irgendeiner Weise ungewöhnlich zu wirken und die Aufmerksamkeit des Fremden zu erregen.

Kurz nachdem die beiden Gentlemen den Platz überquert und zusammen mit ihrer Stiefmutter das Haus betreten hatten, eilte Hebe die Treppe ins Entree hinunter und verlangsamte dort ihre Schritte, um das Gespräch im eleganten Empfangssalon belauschen zu können. „Wir sind immer darauf vorbereitet, Sir Richard bei unserem bescheidenen Mittagsmahl zu Gast zu haben. Sie machen nicht die mindesten Umstände, Major. Ich wäre entzückt, wenn Sie bleiben könnten.“

„In diesem Fall nehme ich Ihre freundliche Einladung gern an“, erwiderte der Fremde mit tiefer, kühl wirkender Stimme.

Hebe fand, das habe nicht gerade sehr begeistert geklungen. Der Ton war höflich, wenngleich unbeteiligt gewesen. Zweifellos hatte der Commodore bereits eine Andeutung gemacht, durch die sein Begleiter verstanden hatte, dass Mrs. Carlton die zukünftige Mrs. Latham war. Daher fühlte er sich vermutlich in Gegenwart der üppigen Blondine, der man die von ihr eingestandenen dreißig Jahre abnahm, sicher genug.

„Da bist du ja, meine Liebe“, rief Mrs. Carlton aus, als Hebe zögernd auf der Türschwelle stehen blieb. „Meine Stieftochter Hebe, Major“, fügte sie hinzu. „Und das ist der ehrenwerte Major Alex Beresford, Hebe.“

Hebe begrüßte den Gast, und er verneigte sich.

„Guten Tag, Miss Carlton.“ Seine Worte hatten wieder kühl geklungen, und sein Gesicht war ausdruckslos. Hebe war ihm jetzt so nah, dass sie das erstaunlich strahlende Blau seiner Augen bemerkte. Es war der Raubvogel, der sie in diesem Moment anschaute, nicht der Mönch.

Seine Gleichgültigkeit und ihr plötzlich erwachtes Interesse an ihm verstimmten sie. Natürlich fühlte sie sich nicht zu ihm hingezogen, wenngleich ihr beim Klang seiner Stimme ein seltsamer Schauer über den Rücken gerieselt war. Nein, es lag einfach daran, dass die Armeeoffiziere ihres Bekanntenkreises im Allgemeinen freundliche und fröhliche Menschen waren.

„Wollen wir ins Esszimmer gehen?“, fragte Mrs. Carlton, ergriff Sir Richard am Arm und steuerte mit ihm zur Tür. Dadurch war Major Beresford genötigt, Hebe zu begleiten. Schweigend brachte er sie zu ihrem Stuhl, half ihr beim Platz nehmen und setzte sich neben sie. Nachdem die Vorspeisen serviert worden waren, verwickelte Mrs. Carlton Sir Richard in ein Gespräch, und Hebe wartete ein wenig belustigt darauf, ob der Major so höflich sein und sich mit ihr unterhalten würde.

„Leben Sie schon lange auf Malta, Miss Carlton?“ Unter den gegebenen Umständen war das eine ausgesprochen angemessene und vernünftige Frage. Die Stimme des Majors hatte nicht im Mindesten gelangweilt geklungen. Dennoch hatte Hebe den Eindruck, dass Beresford die Situation, in der er sich befand, sehr missfiel.

Sie überlegte, warum er so zurückhaltend war. Sie hatte beschlossen, ihn eher als ein spannendes Rätsel denn als strengen, ziemlich einschüchternden Menschen zu betrachten, und das erleichterte es ihr, neben ihm zu sitzen. „Seit drei Jahren“, antwortete sie. „Mein Vater war mit seiner Schwadron auf Malta stationiert. Meine Mutter starb vor zehn Jahren. Vier Jahre später hat mein Vater zum zweiten Mal geheiratet. Wann immer es möglich war, sind meine Stiefmutter und ich ihm von einer Marinebasis zur anderen gefolgt. Vor zwei Jahren raffte ihn das Fieber dahin. Wir sind jedoch hier geblieben.“

So, das war eine lange Antwort mit einer Menge von Daten gewesen. Jetzt musste der Major etwas sagen.

„Tatsächlich?“

„Möglicherweise kehren wir, wenn meine Stiefmutter Sir Richards Frau geworden ist, nach England zurück. Wir haben jedoch noch keine festen Pläne gemacht. Es hängt so viel davon ab, wohin die Schwadron verlegt wird.“ Schweigen. „Es wird bestimmt interessant sein, England nach so langer Zeit wiederzusehen.“

„Bestimmt.“

„Ist Ihr Regiment schon lange hier stationiert, Major? Ich habe nicht gewusst, dass neue Verbände hergekommen sind.“ Hebe konnte die Uniform nicht einordnen.

„Sie sind an Truppenbewegungen interessiert, Miss Carlton?“ Er hob leicht eine dunkle Augenbraue und verzog einen Mundwinkel. Wäre sein Blick belustigt gewesen, hätte Hebe das Zucken seiner Lippen für ein Lächeln gehalten.

Er hielt sie also für eine dieser leichtsinnigen Frauen, die hinter jedem Mann in Uniform her waren. Sie biss sich auf die Unterlippe, um keine scharfe Antwort zu geben, und lächelte ihn strahlend an. Sie wünschte sich jedoch, die Courage zu besitzen, ihm zu sagen, er müsse keine Angst haben, da er der letzte Mann auf Malta sei, dessen Interesse sie erregen wolle.

„Nein, nicht mehr als jemand, der eine einigermaßen gute Beobachtungsgabe hat, Sir. Wir Exilanten wissen, welche Kriegsschiffe eingelaufen, welche Regimenter gelandet, abgereist oder angekommen sind. Davon sind die aus der Heimat eintreffenden Nachrichten abhängig, die Post, die Leute, die man einlädt oder bei Veranstaltungen trifft.“

Hebes Lächeln schien den Major nicht zu beeindrucken. „Ein etwas eingeschränktes Gesellschaftsleben auf einer so kleinen Insel.“

Hebe war sich bewusst, dass ihre Stiefmutter sie aus dem Augenwinkel beobachtete. „Ich denke, dass es nicht eingeschränkter ist als das, was die Einwohner von Brighton oder Harrogate führen. Würden Sie mir freundlicherweise die Butter reichen, Major?“

Er kam ihrer Bitte nach und schaute dabei unglücklicherweise auf, sodass er noch bemerkte, dass Mrs. Carlton ihrer Stieftochter anerkennend zunickte. Hebe zog in Betracht, plötzliche Kopfschmerzen vorzutäuschen und das Speisezimmer zu verlassen, doch die brennende Neugier bewog sie zum Bleiben, obwohl sie zunehmend misslauniger wurde. Ehe sie vom Tisch aufstand, würde sie von Beresford eine klare Antwort oder zumindest ein ehrliches Lächeln bekommen, und wenn es das Letzte sein sollte, was sie tat.

„Werden Sie lange auf der Insel bleiben, Major?“

„Das hängt davon ab.“ Wie gebannt betrachtete Hebe seine schlanken, um das Glas geschlossenen Finger. Sie hinterließen einen Abdruck auf dem von Kondenswasser beschlagenen Kelch, als er ihn abstellte.

Sie rief sich zur Ordnung und fragte abrupt: „Wovon?“

„Von meinen Befehlen“, antwortete er frostig.

„Aha! Natürlich werde ich Sie nicht weiter ausfragen, Major.“

„Nein?“ Er wandte sich ihr halb zu und richtete den durchdringenden Blick auf sie. „Und worüber reden wir, Miss Carlton, wenn Sie entschlossen sind, mich nicht weiter auszufragen?“

Befremdet hielt sie seinem harten Blick stand. Ärger drückte sich in ihren grauen Augen aus. Die Stimme dämpfend, damit das andere Paar sie nicht verstehen konnte, erwiderte sie: „Ich bin sicher, Major, Sie finden es unerträglich langweilig, dass man von Ihnen erwartet, mit einer jungen Dame Konversation zu machen. Ich schlage vor, Sie ziehen die Möglichkeit in Betracht, die fragliche junge Dame könne diese Aufgabe gleichermaßen ermüdend finden.“

Diese Bemerkung führte zumindest zu einer Reaktion. Hebe hielt den Blick weiterhin auf die Augen des Majors gerichtet, die jetzt einen anderen Ausdruck bekamen – den von Verärgerung, Zorn und, wie sie plötzlich, über ihr Benehmen beschämt, begriff, von Ermüdung. Nun, da sie ihn voll anschaute, bemerkte sie, dass er dunkle Schatten unter den Augen hatte. Sie begriff, dass seine ausgeprägte Kühle nur ein Schutz war, damit er sich auf den Beinen halten, konzentrieren und imstande sein konnte, an diesem ihm unerwünschten Mittagessen teilzunehmen, zu dem Sir Richard ihn genötigt hatte. Sie richtete den Blick auf Beresfords Teller und sah, dass er kaum etwas gegessen hatte.

„Miss Carlton“, begann er.

„Oh je!“, äußerte sie zittrig, aber laut genug, um die Aufmerksamkeit der Stiefmutter und des Commodore zu erregen. „Oh je! Mir ist auf einmal so schwindlig. Würden Sie mich bitte in den Garten begleiten, Major?“

Rasch erhob der Major sich und ergriff sie am Arm. Sie stützte sich leicht auf ihn. „Nein, nein, Mama. Es ist alles in Ordnung, wenn es unseren Gast nicht stört“, wandte sie sich an ihre besorgte Stiefmutter. „Ich will mich nur einen Moment in die frische Luft setzen.“

Mrs. Carlton warf einen kurzen Blick auf Hebes Gesicht, das tatsächlich etwas bleich war, und fand, die Möglichkeit sei so gut wie jede andere, um ihre Stieftochter und den attraktiven und zweifellos heiratsfähigen Mann zusammenzubringen. Im kleinen Hintergarten herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von Dienstboten. Daher würde Hebe gut beaufsichtigt sein. „Wenn Sie nichts dagegen haben, Major, wäre ich Ihnen dankbar.“

Sobald man sich im Korridor befand, entzog Hebe Beresford ihren Arm und warf ihm einen langen Blick zu. „Es tut mir leid, aber ich denke, Sie sollten sich ausruhen. Der Garten ist dafür der kühlste Ort.“ Sie brachte ihn zu der offenen Tür am Ende des Ganges.

„Ich soll mich ausruhen?“ Stirnrunzelnd schaute der Major sie an. „Aber Sie haben gesagt, Ihnen sei …“

„Schwindlig. Ja, ich weiß. Das war eine Notlüge. Ich nehme jedoch an, Sie wollen nicht, dass Sir Richard merkt, wie unwohl Sie sich fühlen. Maria, eine Kanne Limonade, bitte, und zwei Gläser“, wandte Hebe sich an das gerade ins Haus kommende Dienstmädchen.

Major Beresford duckte sich unter dem tief herabhängenden Klettergewächs, das den Ausgang zum Garten überwucherte, und ging mit ihr in den Schatten des kleinen, gepflasterten Hofs. Leise plätscherte Wasser aus dem an der Wand angebrachten Löwenbrunnen, und zwei mit Fransen verzierte weiße Hängematten hingen nebeneinander.

„So, legen Sie sich hin“, befahl Hebe streng und schüttelte die Kissen auf. „Wenn Sie ein Glas Limonade trinken und dann eine halbe Stunde schlafen, werden Sie sich beim Erwachen erholt fühlen.“

Der Major war offensichtlich nicht daran gewöhnt, von jungen Damen Befehle entgegenzunehmen. Diese neue Erfahrung schien jedoch eindrücklich zu sein, da sie zumindest zu Fügsamkeit führte. Er setzte sich auf die Hängematte, ließ die langen Beine herunterhängen und betrachtete Hebe. Sie sah ein ehrliches Lächeln um seine Mundwinkel erscheinen.

„Ich denke, Sie sollten auch Ihren Rock ausziehen“, fuhr sie fort. „Dann schlafen Sie besser.“

„Ich nehme an, dass Ihre Mama gleich erscheinen wird, um zu sehen, was hier vorgeht!“, erwiderte der Major, ohne Anstalten zu machen, den Uniformrock aufzuknöpfen.

„Oh nein“, widersprach Hebe, schwang sich in die andere Hängematte und schaukelte hin und her. Dann schob sie hinter sich die Kissen zurecht und sah ihn an. „Nun machen Sie schon. Ziehen Sie den Rock aus. Mindestens eine halbe Stunde lang haben wir nichts zu befürchten. Mama wird es genießen, sich ohne mich mit Sir Richard unterhalten zu können. Es wird sie entzücken, dass wir hier miteinander flirten.“

„Tun wir das?“ Den Blick auf Hebe gerichtet, begann der Major an den Knöpfen zu nesteln.

„Natürlich nicht! Aber Sie sind erschöpft. Nach etwas Ruhe werden Sie imstande sein, Ihre Angelegenheiten mit dem Commodore viel effizienter zu erledigen. Geben Sie mir den Rock. Ich werde ihn auf den Hocker legen.“

Sie sah ihm zu, während er sich Limonade einschenkte und das Glas in einem Zug zur Hälfte leerte. In dem weißen Hemd wirkte er weniger wie ein Raubvogel und überhaupt nicht wie ein Mönch. Sie beobachtete, wie er austrank, und betrachtete seine breiten Schultern, als er sich danach auf die Kissen zurücklegte. Auch seine langen Beine fielen ihr auf, als er sie in die Hängematte schwang. Er beugte sich vor und stellte das Glas auf dem Gartentischchen ab. Dann trafen sich ihre Blicke.

„Woran haben Sie erkannt, dass ich müde bin? Ich hätte nicht gedacht, dass man mir das anmerkt.“

„An Ihren Augen und den Schatten darunter. Außerdem haben Sie kaum etwas gegessen.“

„Und ich war sehr unhöflich zu Ihnen.“ Plötzlich machte er ein reumütiges Gesicht, und Hebe schmunzelte. „Wissen Sie, Miss Carlton, ich würde, so erschöpft, wie ich bin, lieber mit Ihnen flirten als schlafen.“

Sie bemerkte, dass ihm die Lider zufielen. „Ich flirte nie mit jemandem, Major.“

Er runzelte die Stirn. „Nie? Sie sind wirklich eine ungewöhnliche junge Dame, Miss Carlton.“

„Oh nein“, widersprach sie. „Ich bin sehr normal.“ Seine Augen waren geschlossen. Er war eingeschlafen.

2. KAPITEL

Hebes Vermutung, wie lange sie und Major Beresford ungestört sein würden, erwies sich als richtig. Als die Standuhr im Entree schlug, stieg sie leise aus der Hängematte, schenkte das Glas des Majors voll und schüttelte seinen Uniformrock aus. Sie bedauerte, ihn wecken zu müssen. Zögernd streckte sie die Hand aus. Eine schwarze Locke war ihm in die Stirn gefallen. Unschlüssig hielt sie mitten in der Bewegung inne. Beinahe hätte sie ihm das Haar zurückgestrichen. Was fiel ihr ein? Dann berührte sie leicht seine Schulter. Er zuckte zusammen und wachte sofort auf. Er wusste sogleich, wo er sich befand, schwang die langen Beine aus der Hängematte und sprang zu Boden. Hebe händigte ihm seinen Rock aus. Er hatte ihn in dem Moment angezogen, als Stimmen aus dem Gang herüberdrangen.

„Hier! Nehmen Sie das!“ Hebe drückte ihm das Limonadenglas in die Hand und drängte ihn dann nachdrücklich auf einen der zwischen den eingetopften Pflanzen verlaufenden Wege. Sie selber setzte sich sittsam auf einen Schemel, nahm die Handarbeit an sich, die sie morgens liegen gelassen hatte, und fing zu sticken an.

„Hebe! Schätzchen!“ Mrs. Carlton erschien im Garten. Ihr hübsches Gesicht drückte nur leichte Besorgnis aus. Ihre Miene entspannte sich beim Anblick der Stieftocher, die vollkommen gefasst wirkte und sich wie durch ein Wunder einer netten, damenhaften Beschäftigung hingab.

„Fühlst du dich besser, mein Liebes?“, säuselte Mrs. Carlton. „Wo ist der Major?“

„Ich bin hier, Madam.“ Er kam um die Ecke. „Ich habe Ihren hübschen Garten bewundert. Was für ein friedlicher Ort! Ich vermute, dass Sie ihn gestaltet haben, nicht wahr?“

Hebe zog die Augenbrauen hoch. Die Müdigkeit schien von ihm abgefallen zu sein, oder aber Schmeicheleien waren seine zweite Natur. Schweigend wartete sie darauf, ob die Stiefmutter sein Lob akzeptieren würde. Der Garten war nämlich bereits angelegt und bepflanzt gewesen, als man das Haus bezogen hatte.

„Was für ein hübsches Kompliment, Major! Sagen Sie, bleiben Sie lange auf Malta?“

„Vielleicht zwei, drei Wochen, Madam. Ich warte auf ein Schiff nach Gibraltar.“

„Sie sind also nicht bei Ihrem Regiment?“, erkundigte Sara Carlton sich beharrlich.

„Nein, Madam. Ich war auf den Ionischen Inseln, wohin ich Depeschen gebracht habe.“

Mrs. Carlton war viel zu sehr mit der Überlegung beschäftigt, ob zwei oder drei Wochen ihr genügend Zeit ließen, zumindest eine Abendgesellschaft zu veranstalten, als dass sie bemerkt hätte, wie ungewöhnlich es für einen Armeeoffizier war, von seinem Regiment getrennt um das Mittelmeer zu reisen und Depeschen abzuliefern. Die Tatsache, dass er allein war, erschien ihr nur hilfreich. Getrennt von seinen Kameraden war es viel wahrscheinlicher, dass er es als angenehm empfand, wenn für seine Unterhaltung gesorgt wurde.

Hebe war nicht entgangen, dass er eine ausweichende Antwort gegeben hatte. Der ausdruckslosen Miene des Commodore nach zu schließen, war auch ihm das aufgefallen. Hebe nahm an, dass Sir Richard genau wusste, was Beresford vorhatte. Ihr kam der Gedanke, dass es sich bei dem Major um jemanden vom Geheimdienst handelte. Voll neu erwachten Interesses schaute sie ihn an.

„Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, Madam“, sagte Beresford und hob Mrs. Carltons Hand zum Kuss an die Lippen. „Auf Wiedersehen, Miss Carlton.“ Hebe legte die Stickerei beiseite, stand auf und gab ihm die Hand. „Ich hoffe, Sie werden sich bald wohler fühlen“, bemerkte er höflich.

„Es geht mir bereits besser. Zweifellos war ich heute Vormittag zu lange in der Sonne“, erwiderte sie gefasst. „Vielen Dank, dass Sie mir Gesellschaft geleistet haben.“

Major Beresford sah Hebe einen Moment lang an und lächelte dann. „Nein. Ich danke Ihnen, Miss Carlton.“

Ein Gefühl der Wärme überkam sie. Wenn er auf diese Weise lächelte und ihr in die Augen schaute, konnte sie in ihm weder einen Mönch noch einen Jagdfalken sehen, sondern nur einen sehr attraktiven Mann, der ihre Gesellschaft genossen zu haben schien. Und plötzlich war sie zutiefst durch die Vorstellung beunruhigt, er könne weiterhin dieser Ansicht sein.

Kaum hatte die Haustür sich hinter den beiden Offizieren geschlossen, richtete Sara Carlton voll glühender Begeisterung den Blick auf ihre Stieftochter. „Meine liebe Hebe! Ich hätte nicht gedacht, dass du so geschickt sein würdest, den Major sogleich für dich einzunehmen! Meiner Meinung nach ist er bereits halb in dich verliebt.“

Hebe errötete. „Ich bitte dich! Rede nicht solchen Unsinn, Mama“, sagte sie, während sie Sara in den Salon folgte. „Ich habe ganz gewiss nicht versucht, ihn in irgendeiner Weise für mich zu interessieren. Zweifellos hat er mich, eine ziemlich gewöhnliche junge Dame, der behilflich zu sein er eine Weile genötigt gewesen war, längst vergessen. Warum sollte er sich meiner erinnern?“

„Wir müssen unverzüglich deine Garderobe auffrischen“, antwortete Mrs. Carlton und nahm auf dem Kanapee Platz. „Dem Himmel sei Dank, dass Sir Richard uns im letzten Monat die neueste Ausgabe des Adelsregisters überlassen hat“, fuhr sie fort und griff nach dem Band, der auf dem Beistelltisch lag. Sie schlug ihn auf und blätterte eifrig. „Also … Abbotsford, Avery, Bottley, Brandon, Beresford. George Beresford, dritter Earl of Tasborough, vermählt mit Emilia … Söhne: William, Viscount Broadwood und der ehrenwerte Major Alexander Hugh Beresford. Dem Himmel sei Dank! Der Major ist nicht verheiratet!“

„Vielleicht hat er sich seit der Veröffentlichung des Buches vermählt“, warf Hebe ein. „Oder er ist verlobt.“

„Das werden wir herausfinden“, erwiderte Mrs. Carlton entschlossen.

„Ich werde ihn jedenfalls nicht danach fragen“, erklärte Hebe, ging zum Fenster und schaute sehnsüchtig ins Freie. Was für ein schöner Tag für einen Spaziergang!

„Du meine Güte, nein! Das wäre fatal!“, meinte Mrs. Carlton. Allein der Gedanke entsetzte sie. „Ich werde Sir Richard bitten, für uns den Familienstand des Majors herauszufinden. Ich werde ihm sofort einen Brief schreiben. Je eher wir wissen, woran wir sind, desto besser, denn Major Beresford wird uns ganz bestimmt schon morgen die Aufwartung machen.“

Es vergingen jedoch drei Tage, ohne dass etwas von ihm zu hören oder zu sehen war. Mrs. Carlton war niedergeschlagen und geneigt, sich mit Sir Richard zu streiten, der nach eingehender Befragung nur vage antwortete, er sei sicher, Major Beresford sei irgendwo auf der Insel sehr beschäftigt.

Am vierten Tag verließ Hebe frühmorgens das Haus, ging zum Markt und tätigte Einkäufe für das Mittagessen, bekam jedoch nicht den gewünschten Fisch. Auf dem Heimweg schlenderte sie an der St.-Lazarus-Festung entlang, lehnte sich schließlich an die schattige Mauer und überlegte, wie spät es sein mochte. Wahrscheinlich war es ratsam, sich zu beeilen. Plötzlich fiel ihr ein kleines Fischerboot auf, das den Teil des Kais ansteuerte, in dessen Nähe sie sich befand. Ein Junge von ungefähr neun Jahren, der ein Stück entfernt gesessen hatte, stand auf, nahm seinen Weidenkorb an sich und kam in ihre Richtung. Sie nahm an, er wolle seinen Vater, den Bootseigentümer, treffen. Vielleicht lohnte es sich zu sehen, was der Fischer gefangen hatte, denn es konnte sein, dass er ihr etwas von seinem Fang verkaufen würde. Sie wartete und beobachtete das anlandende Boot, das nur einige Yards von ihr entfernt festmachte. Das Segel nahm ihr die Sicht auf den Fischer. Geduldig harrte sie aus, derweil er es einholte. Kaum hatte er sich aufgerichtet, bemerkte sie, dass er kein Einheimischer war, obwohl er sich wie ein solcher angezogen hatte. Bei dem hochgewachsenen, unrasierten schwarzhaarigen Mann, der ein einfaches Hemd und Leinenhosen trug und barfuß war, handelte es sich um niemand anderen als Major Alex Beresford.

Hebe entschloss sich zu bleiben, wo sie war. Sie mochte nicht den Eindruck erwecken zu spionieren. Unter solchen Umständen wollten Geheimdienstoffiziere gewiss nicht von Zufallsbekanntschaften gesehen werden. Vielleicht war der Major tatsächlich fischen gewesen, aber vielleicht hatte er auch etwas ganz anderes erledigt.

„Bongourno!“, rief der Junge, kniete sich hin und hielt dem Major den Korb hin.

Major Beresford grinste. „Bongourno, Pauli. Kif int?“

„Danke, es geht mir gut, Signor Alex“, antwortete der Junge. „Das war korrekt, nicht wahr? Mama sagt, ich müsse üben, wenn ich für die Engländer arbeiten will.“

„Ja, das war wirklich fehlerfrei, Pauli. Halt den Korb ruhig. Ich habe einen guten Fang gemacht.“

Der Major warf Fische in den Korb und schaute plötzlich auf. Wieder hatte er diesen raubvogelhaften durchdringenden Blick, der Hebe so beunruhigt hatte. „Wer ist da?“, rief er ungehalten.

„Ich bin es“, antwortete sie gefasst, löste sich von der Mauer und verließ den Schatten der Festung. „Guten Morgen, Major. Sie sprechen sehr gut Maltesisch.“

„Guten Morgen, Miss Carlton. Ich kenne ungefähr sechs Redewendungen und zwanzig Wörter. Der Rest ist eine Mischung aus Griechisch, Französisch und Italienisch. Das scheint jedoch zu reichen. Wieso sind Sie so früh hier?“

„Ich war auf dem Markt, habe jedoch nicht die Fische bekommen, die ich haben wollte. Mir scheint, Sie hatten mehr Glück. Würde Ihr junger Freund mir einige verkaufen?“

Pauli hielt ihr seinen Korb hin. „Ghal bejgh. Welche möchten Sie haben, Madonna?“

„Kemm?“, fragte sie.

„Irhis hafna.“ Pauli nannte eine hohe Summe.

Gholi wisq! Das ist nicht billig“, wandte sie ein und machte ein entsetztes Gesicht. „Ich möchte nur einige Fische haben. Den da. Und diesen hier, und die Rotaugen.“

Pauli verringerte den Preis.

Sie gab ihm das Geld. Er wickelte die Fische in die Palmblätter, mit denen sie ihren Korb ausgelegt hatte. „Sahha!“, verabschiedete er sich und rannte winkend davon.

„Sahha!“, rief Alex ihm hinterher und schaute dann Hebe an. „Sie haben mehr als nötig gezahlt. Seine Mutter und seine kleinen Schwestern werden stolz auf ihn sein. Er hat mich angesprochen, nachdem er mich zum ersten Mal in den Hafen zurückkehren sah, und mir angeboten, zum Ausgleich für die von mir gefangenen Fische Aufträge für mich zu erledigen. Er macht Besorgungen, überbringt Nachrichten und isst alles, was ihm in die Hände fällt.“

Lächelnd sah Hebe den Major an. Viele Fragen lagen ihr auf der Zunge, doch sie sprach sie nicht aus. Seit Beresford sich auf Malta befand, waren erst wenige Tage vergangen. Bestimmt hatte er nicht die Zeit gehabt, sich ein Boot zu kaufen. Zudem war Hebe überzeugt, dass es kein einheimisches war. Konnte er mit diesem kleinen Kahn von den Ionischen Inseln hergekommen sein? Wenn ja, war es kein Wunder, dass er so erschöpft ausgesehen hatte.

„Werden Sie das Boot jetzt hier vertäuen?“, erkundigte sie sich beiläufig.

„In der Tat“, antwortete er belustigt. „Hier ist weitaus mehr Platz als in der Nähe des Fischmarktes. Warum? Wollen Sie irgendwohin gebracht werden?“

„Ja“, gab Hebe zu. „Ich habe einen ziemlich weiten Weg hinter mir, noch dazu in unpassenden Schuhen. Jetzt tun mir die Füße weh.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie die ganze Strecke zu Fuß zurückgelegt haben? Wo ist Ihre Zofe?“

„Ich nehme sie selten mit“, erklärte Hebe. „Außerdem laufe ich gern. In Malta ist man sicher.“

„Wie bitte? Keine dreisten Offiziere, die Sie anstarren?“, scherzte der Major und brachte das Boot dicht an den Kai. „Kommen Sie. Ich bringe Sie, wohin Sie wollen. Geben Sie mir den Korb.“

Hebe tat, wie ihr geheißen, setzte sich auf die Kaimauer und wollte ins Boot springen.

„Nein, warten Sie!“, befahl der Major. Er umfasste ihre Taille und hob sie an Deck. Sie staunte, wie mühelos er das tat, da sie nicht dem Bild einer ätherischen Sylphe entsprach, das ihre Stiefmutter bei jungen Damen für ideal hielt.

Das kleine Boot schaukelte. Der Major geriet jedoch nicht aus dem Gleichgewicht. Er stellte sie auf die Bodenplanken, ließ sie jedoch nicht gleich los. Plötzlich wurde sie sich nicht nur seiner Kraft, sondern auch seiner Nähe und der Wärme seiner Hände bewusst. Er hatte das Hemd halb geöffnet, sodass ein Teil seiner sonnengebräunten Brust zu sehen war. Hebe schien den Blick nicht von den schwarzen gekräuselten Härchen wenden zu können.

Dann gab der Major sie frei und half ihr, sich zu setzen. „Ich befürchte, Sie werden nasse Füße bekommen“, sagte er sachlich. Es schien ihn nicht zu beeindrucken, dass man sich so nah war, wohingegen sie sich dadurch ziemlich beunruhigt fühlte.

Sie schluckte. „Das spielt keine Rolle“, erwiderte sie etwas befangen. „Es sind alte, abgetragene Schuhe. Deshalb tun mir die Füße ja so weh.“

„Wohin soll ich Sie bringen?“

„Zum Fischmarkt, wenn Sie so freundlich wären, Major.“

„Sagen Sie Alex zu mir“, forderte er sie lächelnd auf. „Schließlich habe ich in Ihrer Hängematte geschlafen. Ich meine, das rechtfertigt eine gewisse Formlosigkeit.“

Hebe erwiderte das Lächeln. „Also gut, ich bin einverstanden, aber nur, wenn Sie mich Hebe nennen.“

Einen Moment lang betrachtete Major Beresford sie. „Sehr gern“, sagte er dann. „Aber Circe wäre vielleicht der richtigere Name. Wohnen Sie nicht am Palace Square, in der Nähe des erzbischöflichen Palastes?“

„Das ist richtig“, bestätigte Hebe und überlegte, wer in der griechischen Mythologie Circe gewesen war.

„Wenn Sie nichts mehr beim Fischmarkt zu erledigen haben, wäre es doch sinnvoller, Sie zur Elmo-Bucht zu bringen. Von dort kann es bis zu Ihnen nach Haus nur einige Minuten dauern“, meinte Alex und setzte das Segel.

„Aber das ist viel zu weit“, protestierte Hebe. Doch bei der Aussicht auf die Fahrt bekam sie glänzende Augen.

Er holte das Vertäuungsseil ein, stieß mit der Ruderpinne das Boot von der Mauer und drehte das Segel in den Wind. „Was ist daran schlimm? Werden Sie seekrank?“

„Ganz bestimmt nicht“, versicherte Hebe. „Ich wollte nur nicht, dass Sie einen solchen Umweg machen.“ Der Major lächelte. Eine Weile fuhr man schweigend weiter. Hebe beobachtete ihn und bemerkte erneut, wie müde er um die Augen aussah. Ganz bestimmt war er länger als eine Nacht unterwegs gewesen.

„Müssen Sie Bericht erstatten?“, fragte sie mit Unschuldsmiene.

„Wie bitte?“ Fragend hob er eine Augenbraue. „Nach einem nächtlichen Fischfang?“

„Gewiss nach mehr als nur einer Nacht“, platzte sie unbedacht heraus. „Eher drei. Und nach einem so langen Zeitraum haben Sie keinen sehr guten Fang eingebracht. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht ganz bei der Sache waren.“

„Wie kommen Sie darauf, dass ich so lange fort war? Vielleicht weil ich Ihnen nicht die Aufwartung gemacht habe?“

„Gewiss nicht! Ich kann jedoch nicht glauben, dass Sie nur letzte Nacht unterwegs waren, wenn ich Ihren Bartwuchs sehe. Und Ihr Blick ist müde, wenngleich nicht so sehr wie neulich. Aber damals hatten Sie eine viel längere Reise hinter sich, nicht wahr?“

Der Major sah Hebe durchdringend an. „Und was schließen Sie daraus?“

„Dass es besser wäre, Sie rasierten sich, ehe jemand anderer Sie sieht und zur selben Schlussfolgerung gelangt.“

„Ich schlage vor, dass Sie diese Sache nicht ins Lächerliche ziehen.“ Prüfend musterte er Hebe. Sie errötete. „Vielleicht bin ich ein französischer Spion und fahre nun aufs Meer hinaus, wo ich Sie über Bord werfen werde, ohne dass jemand mich dabei sieht.“

Seine Stimme hatte so kalt und drohend geklungen, dass Hebe sich verzweifelt umblickte. Man befand sich jetzt außerhalb des Hafens. Links war in der Ferne Dragutt Point zu erkennen. Man würde bald durch den auffrischenden Wind weit auf offener See sein.

Autor

Louise Allen
<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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