Nur eine prickelnde Nacht?

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Ein hoher Preis für eine Affäre! Als Pippas High-Society-Familie von der Beziehung mit Kaden erfährt, wird Pippa enterbt. Kaden ist nicht standesgemäß! Er will ihr helfen und macht ihr einen Antrag, doch Pippa lehnt ab. Denn nie hat er gesagt, dass er sie liebt …


  • Erscheinungstag 05.12.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729202
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kaden Waites Blick glitt über das Hochhaus aus Glas und Stahl, in dem sich die Büros von Barron Enterprises befanden. Wieso hatte man ihn hierher bestellt? Kade war bei den Barrons angestellt und managte für sie die Crown B Ranch. Er gehörte aufs Land, nicht hierher nach Oklahoma City.

Zwei Frauen, die sich angeregt unterhielten, schoben sich an ihm vorbei und verlangsamten dann den Schritt, um ihm über die Schulter einen Blick zuzuwerfen. So gemustert zu werden machte ihn verlegen.

Menschen eilten geschäftig hin und her. Die City war voller Hektik. Kade ließ alles lieber ruhig angehen. Besonders heute, in dieser Umgebung, wo er sich ein wenig unsicher fühlte.

Er nahm den Stetson ab und wollte sein Taschentuch hervorziehen, musste aber feststellen, dass er keines dabeihatte. Stattdessen hatte er das zerknitterte Schreiben in der Hand, das als Einschreiben gekommen war und ihn aufforderte, sich heute einzufinden. Er hatte keine Ahnung, wieso. Cyrus Barron hatte ihn direkt nach dem Abschluss an der Universität eingestellt, um die Crown B zu managen. Erstaunlicherweise hatte er sich für ihn entschieden und nicht für einen seiner fünf Söhne. Sollte sich daran jetzt nach dem Tod des alten Barron etwas ändern? War er deswegen hier?

Er hatte sich extra zurechtgemacht – zumindest für seine Verhältnisse. Gestärkte Jeans mit Bügelfalte, ein neues Hemd und polierte Stiefel. Kein Taschentuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Keine Sporen, die bei jedem Schritt leise klirrten. Kade fuhr mit dem Zeigefinger hinter dem Kragen entlang, um sich etwas Luft zu verschaffen. Mit dem Stetson in der Hand betrat er das Gebäude.

Im Fahrstuhl drückte er sich an die Rückwand. Immer wieder stiegen Männer und Frauen zu oder verließen die Kabine auf ihrem Stockwerk. Einige Frauen lächelten ihn an. Ein paar Männer fuhren sichtlich zusammen bei seinem Anblick und wurden dann sehr nachdenklich. Es war nicht das erste Mal, dass er diese Reaktion erlebte. Was rief diese Wirkung hervor? Seine indianische Herkunft? Seine Mutter gehörte zum Stamm der Chickasaw. Von seinem Vater wusste er nichts.

Als der Fahrstuhl das sechsunddreißigste Stockwerk erreichte, war Kade allein in der Kabine. Er betrat einen beeindruckenden Empfangsbereich, der von dunklem Holz und Leder beherrscht wurde. An der Rezeption taten ein Mann und eine Frau Dienst. Beide sahen auf. Der junge Mann runzelte die Stirn, die etwas ältere Frau lächelte.

Kade trat näher. „Äh … guten Morgen. Ich glaube, ich habe hier einen Termin …“

Die Frau unterbrach ihn freundlich. „Guten Morgen, Mr. Waite. Heidi wird gleich hier sein. Sie ist die Assistentin von Mr. Barron.“

Sein Blick glitt über die Ledersofas und die tiefen Sessel. Sollte er sich setzen? Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als eine der großen Mahagoni-Türen aufging, die in das Allerheiligste von Barron & Associates führte. Die Anwaltskanzlei leitete Chance, der mittlere Sohn von Cyrus Barron. Eine zierliche Frau mit dunklem Haar kam auf ihn zu.

„Guten Morgen, Kaden.“ Sie reichte ihm die Hand.

Er erinnerte sich an sie. Die langjährige Assistentin von Chance wirkte sehr dezent mit ihrem modischen Hosenanzug und den halbhohen Absätzen. Kade bemühte sich, ihre Hand vor lauter Nervosität nicht zu fest zu drücken. Seit der Beerdigung von Cyrus Barron hatte er sich irgendwie unbehaglich gefühlt. Vor einer Woche hatte er dann diesen eingeschriebenen Brief bekommen.

Heidi führte ihn einen langen Korridor hinunter. Vor einer großen Tür blieb sie stehen, klopfte und wartete einen Moment, bevor sie sie öffnete. Kade hatte den Eindruck, dass dies alles irgendein für ihn gespieltes Theater war, er begriff nur nicht, wieso es nötig war.

Er trat ein und hörte, wie die Tür leise hinter ihm zugezogen wurde. Sein Blick glitt über die Männer, die sich um den großen Konferenztisch versammelt hatten. Dahinter wurde eine ganze Wand von Fenstern eingenommen. Von hier konnte er über die Grenzen der Stadt hinaussehen. Er konzentrierte sich wieder auf die Anwesenden und bemerkte, dass sie Blicke tauschten.

„Vielen Dank, dass du gekommen bist, Kaden. Wir fangen an, sobald Mr. Shepherd da ist“, erklärte Chance.

Kade bemerkte, dass jeder der Barron-Brüder einen Becher Kaffee vor sich stehen hatte. In der Ecke entdeckte er eine Anrichte, auf der alle möglichen Getränke und Snacks bereitstanden. Nervös schenkte er sich einen Kaffee ein und nahm sich auch einen Muffin, bevor er den letzten Platz am Tisch einnahm. Das gefiel ihm. Er hatte den Rücken zum Fenster und alle Barrons und die Tür im Blickfeld. Abgesehen von vereinzelten Blicken in seine Richtung ignorierten die Brüder ihn – nicht dass sie einander viel Aufmerksamkeit geschenkt hätten.

Er wollte nicht über seine Lage nachdenken. Da der alte Barron jetzt tot war, nahm er an, dass man ihn entlassen würde. Wenn das so war, konnte er nur hoffen, dass sie es schnell hinter sich brachten.

Als Cyrus ihn eingestellt hatte, war Kade noch jung und voller Ideen gewesen. Er konzentrierte sich ganz auf die Ranch. Erst Jahre später, nachdem er die Familie näher kennengelernt hatte, begann er sich zu fragen, wieso die Brüder nichts gegen ihn unternahmen. Die Ranch gehörte ihnen. Sie waren dort aufgewachsen, und auch wenn jetzt jeder seinen eigenen Bereich hatte, war die Crown B immer noch ihr Zuhause und das Herz der Familie. Es musste sie doch irritiert haben, dass ausgerechnet dieser Teil des Unternehmens einem Außenseiter überlassen wurde. Ihn zumindest hätte es irritiert.

Acht Jahre lang hatte er alles für die Ranch gegeben. Es war mehr als nur ein Job für ihn. Die Crown B war sein Zuhause geworden. Und seine Leidenschaft. Um die Rinder, die sie hier züchteten, wurden sie weit und bereit beneidet. Ihre Pferde waren weltweit begehrt. Sein Ziel war es gewesen, einen Superhengst zu züchten – und er hatte jetzt einen jungen Hengst im Stall, der all seinen Träumen entsprach.

Sollte er die Ranch verlassen müssen, würde es ihm das Herz brechen.

Ein scharfes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ein älterer Mann in einem Dreiteiler kam herein, stellte seine Tasche auf den Tisch und sah sich kurz um, bevor sein Blick an Kade hängen blieb.

„Kaden Waite, nehme ich an?“

Pippa Duncan drückte sich das Kissen auf den Kopf. Stechende Blitze tanzten hinter ihren geschlossenen Lidern. Das Letzte, was sie an diesem Morgen gebrauchen konnte, war eine Migräne. Sie hatte noch zu viel zu tun und außerdem ein Date mit Kade.

Nein, kein Date. Es war nur eine Verabredung zum Essen. Sie musste einen Subventionsantrag fertigstellen und hatte dazu noch einige Fragen an den Ranch-Manager der Barrons.

Sie war mit Chase und Cash Barron zur High School gegangen, hatte Partys auf der Crown B gefeiert und an anderen Unternehmungen dort teilgenommen. Ihr Vater und Cyrus Barron waren Mitglieder im selben Country Club. Ihre Mutter hatte alles Mögliche unternommen, um sie mit einem der Barron-Brüder zusammenzubringen. Dabei war es ihr einerlei gewesen, mit welchem. Bei vier Hochzeiten hatte sie das enttäuschte Seufzen ihrer Mutter gehört. Zur fünften waren ihre Eltern nicht eingeladen gewesen, also hatte Pippa sich mehr oder weniger selbst zu Cashs Hochzeit eingeladen, weil sie ihre Bekanntschaft mit Kade erneuern wollte. Sie brauchte seinen Rat, um die richtigen Pferde für Camp Courage zu finden, ihr therapeutisches Reitprogramm. Das war der einzige Grund. Okay, sie hatte sich in Kade verliebt, als sie beide noch Studenten an der Oklahoma State University gewesen waren, aber inzwischen war sie über diese Gefühle hinweg. Wirklich.

Jetzt ging es um rein Geschäftliches. Camp Courage war ihr Projekt, und im Moment konzentrierte sie sich ganz darauf, die Finanzierung abzusichern, damit sie es ins Laufen bringen konnte. Nach Cashs Hochzeit hatte sie sich mehrmals mit Kade auf der Ranch getroffen, und er war ein paarmal zum Essen in die Stadt gekommen, damit sie ihn mit ihren Fragen löchern konnte. Kade arbeitete ehrenamtlich bei den Oklahoma State Outreach Riders mit, einer Gruppe von Studenten, die eine Reittherapie für behinderte Kinder entwickelt hatten.

Am Abend zuvor hatte er sie angerufen, um sie nach Bricktown zum Essen einzuladen. Sie hatte sich gezwungen, das leichte Prickeln zu ignorieren, das er in ihr auslöste. Es ging ausschließlich um Berufliches. Sie war zu alt, um für jemanden zu schwärmen. Auch wenn Kaden Waite einiges hatte, wofür eine Frau schwärmen konnte. Von dem Offensichtlichen abgesehen – groß und gut aussehend – war er ein Cowboy. Und sie schwärmte für Cowboys. Unglaublich, aber wahr.

Hätte Pippa jetzt nicht diese klopfenden Kopfschmerzen gehabt, hätte sie gelacht. Sie ließ doch kein Klischee aus – die Tochter aus gutem Hause, die sich in einen einfachen Cowboy verliebte. Allerdings war nichts an Kaden Waite einfach. Das hatte sie gleich beim ersten Mal gespürt, als sie ihn an der Universität kennenlernte. Sie sah vom Zaun aus zu, wie er mit dem Rodeo-Team trainierte. Sie war nicht zu stolz zuzugeben, dass sie alle möglichen Fantasien über den großen Cowboy in der verblichenen Jeans und mit den schwieligen Händen entwickelte. Einige dieser Fantasien waren ausgesprochen heiß …

Die Tabletten, die der Arzt ihr gegen die Migräne verschrieben hatte, wirkten endlich. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie mochte das Kissen noch nicht beiseiteziehen, weil sie Angst hatte, das Tageslicht könnte noch zu grell sein. Die Migräne-Attacken kamen in letzter Zeit immer häufiger. Das machte ihr Sorgen. Sie durfte jetzt nicht ausfallen. Sie musste Anträge schreiben, einen Stall und einen Reitplatz mieten, Pferde kaufen. Ihre Idee – Camp Courage – war kurz davor, Wirklichkeit zu werden.

Vorsichtig hob sie das Kissen an. Als ihr kein stechender Schmerz durch den Kopf schoss, atmete sie auf. Sie hatte immer noch den Tunnelblick, konnte aber die Uhr neben dem Bett erkennen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie noch rechtzeitig zu ihrem Essen mit Kade kommen.

Pippa wollte gerade das Haus verlassen, als sie ihrer Mutter an der Tür in die Arme lief. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Was bringt dich denn hierher, Mutter?“

„Ich dachte, wir könnten zusammen zu Mittag essen und deine Aktivitäten besprechen.“

„Tut mir leid, aber ich bin schon verabredet.“

„Oh. Jemand, den ich kenne?“ Ihre Mutter kniff die Augen zusammen. „Wieso trägst du diese schrecklichen Jeans und Stiefel?“

„Sie sind bequem – und, nein, du kennst ihn wahrscheinlich nicht. Ich treffe mich mit Kaden Waite, dem Manager der Crown B Ranch. Er berät mich bei Camp Courage.“

Millicent Duncan seufzte. „Ich verstehe dich nicht. An manchen Tagen kann ich einfach nicht glauben, dass du meine Tochter bist.“ Sie schloss die Augen und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Bitterkeit war aus ihrem Ton verschwunden, als sie fortfuhr: „Ich wollte dich zur Ballettschule schicken, aber du wolltest Reitstunden. Du bist schon immer wie besessen gewesen von Pferden. Und davon, anderen Menschen zu helfen.“

Pippa hatte Mühe, ihr Temperament zu zügeln. Dies war kein neuer Streit. „Es ist mein Geld, Mutter.“

„Nein. Es hat deiner Großmutter Ruth gehört. Dein Vater und ich – wir beide – haben versucht, sie davon abzuhalten, diesen Fonds für dich einzurichten. Wir wussten, du würdest das Geld einfach verschleudern mit …“

„Es reicht.“ Pippa unterbrach ihre Mutter, als die Migräne sich erneut bemerkbar machte. Sie musste fort, wenn sie nicht wollte, dass die Schmerzen und die damit einhergehende Übelkeit zurückkamen. Sie rieb sich die Schläfen.

„Der Mann ist nicht der richtige Umgang für dich, Pippa.“ Der Druck im Kopf wurde stärker … „Du musst aufhören mit diesem Unsinn.“

„Es ist kein Unsinn, Mutter. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest – ich möchte nicht zu spät kommen.“ Pippa schob sich an ihrer Mutter vorbei und schloss die Tür des Gästehauses hinter sich.

Pippa kam trotz allem noch ein paar Minuten zu früh. Der Innenhof von Cadie B’s Southern Kitchen war einer ihrer Lieblingsplätze in der Stadt – insbesondere im späten Frühling. Das Restaurant lag direkt am Bricktown Canal und war bei Einheimischen wie Touristen gleichermaßen beliebt. Für gewöhnlich nahm sie einen Tisch direkt am Kanal, aber heute entschied sie sich für einen Platz direkt am Gebäude im Schatten. Sie behielt die Sonnenbrille auf, um sich nicht dem grellen Licht auszusetzen. Die junge Kellnerin brachte ihr einen Tee.

Eine halbe Stunde später warf Pippa einen Blick auf die Uhr und dann auf ihr Smartphone. Kade verspätete sich. Er hatte sie weder angerufen noch ihr eine SMS geschickt. Das war ungewöhnlich. Sie rief ihn an. Als sie auf der Mailbox landete, hinterließ sie rasch eine Nachricht.

„Hey, Kade. Ich bin im Cadie B’s. Habe ich mir eine falsche Zeit oder einen falschen Ort gemerkt? Ruf mich bitte an. Bis später!“

Pippa musste an die geschürzten Lippen ihrer Mutter und die Spur von Verachtung in deren Ton denken, als sie ihr sagte, sie wolle sich mit Kade treffen. Obwohl sie ihrer Mutter versichert hatte, es sei ein reines Arbeitsessen, schien Millicent Duncan überzeugt zu sein, dass es sich um ein Date handelte. Ha! Schön wäre es …

Kade rief nicht zurück. Nach mehreren SMS und drei weiteren Tassen Tee verlor Pippa allmählich die Geduld. Ihre Daumen flogen förmlich über die Tastatur, als sie eine letzte SMS absetzte:

Habe dich angerufen und SMS geschickt. Keine Antwort. Wenn du mich loswerden willst, sag es! Bin sauer!

Kade verließ den Barron Tower. Sein Smartphone zeigte jede Menge verpasste Anrufe und SMS an, aber ihm war nicht danach. Wie benommen stieg er in seinen Truck und fuhr los. Nach Hause. Nur dass es nicht sein Zuhause war. Nicht mehr. Die Abfahrt von der Interstate wurde angezeigt, und er riss das Steuer herum, um sie mit der doppelten zulässigen Geschwindigkeit zu nehmen. Es war ihm einerlei.

Er bog auf den Parkplatz eines Fernfahrerlokals ein und stellte sich in die hinterste Ecke. Seine blutleeren Finger umschlossen das Steuer, während er sich gegen den Sitz drückte.

„Schluss!“, brüllte er, als das Smartphone keine Ruhe gab. Am liebsten hätte er es aus dem Fenster geworfen und wäre darübergerollt. Er wollte sein Leben zurück. Und wieder piepte das verdammte Ding. Eine SMS. Moment mal – von Pippa?

Hastig öffnete er die Nachricht. Er wollte sie loswerden? Sie war sauer? Er klickte zur Mailbox. Er hatte diverse entgangene Anrufe von … Ja, wie nannte er sie jetzt? Von den Barrons. Er würde sie so nennen wie immer. Er konnte die neue Situation noch nicht wirklich begreifen. Er hörte sich Pippas Nachricht an und verzog das Gesicht. Er hatte ihre Verabredung zum Essen völlig vergessen.

Er hasste es, SMS zu schreiben. Seine Daumen waren einfach zu breit für die winzigen Tasten, aber er vertraute seiner Stimme nicht. Glücklicherweise gab es ja die Korrekturmöglichkeit.

Bin völlig durch den Wind. Grauenvoller Morgen. Tut mir leid. Wirklich.

Er versuchte, seine Gedanken irgendwie zu ordnen. Das Telefon klingelte erneut. Er ignorierte es. Gleich darauf wurde eine SMS angezeigt. Er warf einen Blick darauf.

Würdest du bitte rangehen? Was ist passiert? Ich möchte helfen, wenn ich kann.

Niemand konnte ihm helfen. Kade schlug mit der Faust auf das Steuer. Seine Mutter hatte es gewusst. Die ganze Zeit. Sie hatte gewusst, wer sein Vater war. Hatte gewusst, dass die Leute, für die er arbeitete, seine Halbbrüder waren. Er fühlte sich hintergangen.

Erneutes Klingeln. Er starrte auf die angezeigte Nummer. Pippa. Er nahm das Gespräch an, sagte aber kein Wort. Hatte nichts zu sagen.

„Kade? Bist du dran?“ Als er nichts sagte, fuhr sie fort: „Was ist passiert? Ich weiß, dass du dich heute Morgen mit Chance treffen wolltest.“ Sie verstummte, als er nach wie vor nichts sagte. Plötzlich entfuhr es ihr: „Oh nein! Hat er dich gefeuert? Das ist … sie sind … Das ist ja widerlich! Nach allem, was du für die Ranch getan hast! Nach all den Verbesserungen und … und …“ Sie atmete tief durch. „Es tut mir wirklich leid, Kade. Ich kann versuchen, mit ihnen zu reden.“

Das konnte sie. Sie gehörte zu denselben gesellschaftlichen Kreisen. Er wusste, dass sie mit den Zwillingen zusammen zur Schule gegangen war. Mit Chase und Cash. Sie kannte alle Brüder. Seine Brüder. Nein, seine Halbbrüder. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück.

Er brauchte Pippa nicht, um seine Schlachten zu schlagen. Er brauchte und wollte niemanden mit in diese ganz persönliche Sache hineinziehen. Er war nicht gefeuert worden. Zumindest nicht direkt. Die Crown B Ranch konnte ihm gehören, mit allem Drum und Dran. „Du verstehst nicht, Pippa. Es ist etwas anderes. Es ist etwas …“

Er verstummte. Er wollte nicht darüber reden. Nicht mit Pippa. Auch sonst mit niemandem. Noch nicht. Es war zu persönlich. Und noch wusste er nicht, wie er sich entscheiden würde. „Vergiss es, Pippa. Es tut mir leid, dass ich dich versetzt habe. Du kannst mir nicht helfen, aber vielen Dank für das Angebot. Ich muss jetzt Schluss machen. Ich werde … Ach, bis später, Pippa. Bye.“

Er brach die Verbindung ab und lehnte den Kopf gegen den Sitz. Er konnte bekommen, was er sich immer gewünscht hatte. Er musste nur den grausamen Wunsch eines Toten erfüllen.

2. KAPITEL

Pippa starrte ihr Telefon an. Kade hatte sie höflich, aber bestimmt aus der Leitung gedrängt. Was war los? Ehe sie noch versuchen konnte, die Situation zu begreifen, erschien die Bedienung an ihrem Tisch. Wenn sie jetzt nichts aß, würde sie später dafür büßen. Sie bestellte einen Salat.

Während sie aß und dabei die Leute musterte, war sie mit ihren Gedanken bei Kade. Doch plötzlich registrierte sie fünf Männer, die ganz in der Nähe saßen. Das letzte Mal, als sie alle fünf Barron-Brüder zusammen gesehen hatte, war bei Cashs Hochzeit gewesen. Sie waren alle unglaublich erfolgreich. Clay war Senator. Cord leitete das Öl-Unternehmen der Familie, Chance die Anwaltskanzlei. Chase lebte in Las Vegas, Hollywood oder Nashville – er war für die Entertainment-Gruppe der Familie zuständig. Cash sah sie nur selten, obwohl er in Oklahoma lebte. Er leitete BarronSecurity – ein Sicherheitsunternehmen.

„Was sollen wir machen?“ Chance klang bedrückt. Es war unhöflich zu lauschen, aber sie konnte nicht anders. Instinktiv verbarg sie sich hinter den Pflanzen, die zwischen ihren Tischen standen.

„Wir können ihn nicht zwingen zu akzeptieren.“ Das kam von Clay. Pippa hätte dabei gern sein Gesicht gesehen. Von wem redeten sie?

„Es ist ja nicht so, als ob wir es uns nicht schon gedacht hätten“, sagte Chase.

Moment mal. Worum ging es? Pippa war verwirrt.

Cord räusperte sich. „Es ist doch typisch der Alte, noch aus dem Grab heraus Unruhe zu stiften.“

Die Bedienung nahm die Bestellungen auf. Cash setzte das Gespräch fort, als die junge Frau wieder gegangen war. „Was habt ihr erwartet? Dass er auf und ab springt vor Freude? Der Mann arbeitet für uns. Für unseren Vater. Dad hat ihn nie anders behandelt als einen Angestellten. Versetzt euch doch mal in Kades Lage. Ihm wird einfach so mitgeteilt, dass er der uneheliche Sohn ist und er seinen Job – und alles, wofür er die letzten acht Jahre gearbeitet hat – nur behalten kann, wenn er seinen Namen ändert. Wenn er nicht den Namen Barron annimmt, sitzt er auf der Straße.“ Nach einer kurzen Pause setzte er trocken hinzu: „Also ich wäre begeistert von einem solchen Ultimatum.“

Pippa wollte nichts mehr hören. Sie musste Kade finden. Kein Wunder, dass er sie versetzt hatte! Sie hatte die Rechnung schon bezahlt und wartete nur noch auf ihre Chance, unbemerkt zu entkommen, als die Bedienung den Tisch zwischen ihrem und dem der Barrons abräumte. Rasch verließ sie die Terrasse.

Auf dem Weg zum Parkplatz ging sie noch einmal durch, was sie gehört hatte. War Kade wirklich ein Barron? Er hatte nie über seine Familie gesprochen. Zugegeben, sie hatte auch von ihrer nicht viel geredet. Sie und Kade waren Freunde, standen sich aber nicht sehr nah. Nicht, dass sie ihn nicht gern besser kennengelernt hätte …

Wenn er nicht den Namen Barron annimmt, sitzt er auf der Straße. Sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und war empört. Kade hatte ihr gesagt, sie könne ihm nicht helfen, aber sie war entschlossen, etwas zu unternehmen. Außerdem: Was konnte denn schon passieren? Er konnte wütend werden, aber er würde ihr immer noch bei ihrem Therapieprogramm helfen. Wahrscheinlich.

Sie fuhr zur Ranch, weil sie annahm, ihn dort zu finden. Er lebte dort, seit er die Universität beendet hatte. Sie wusste, er kam irgendwo aus dem Süden – Sulphur oder Davis oder so. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er jetzt dorthin fuhr.

Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Sie schaffte die Strecke zur Ranch in Rekordzeit und folgte der langen Auffahrt zum Haupthaus. Dort waren keine Wagen geparkt.

Pippa bog ab zu dem kleineren Gebäude, in dem das Büro der Ranch untergebracht war. Auch hier war von Kades Truck nichts zu sehen. Sie fuhr weiter, bis sie den Wagen vor seinem Haus fand. Sie parkte ihren Highlander daneben, stieg aus und klopfte an die Haustür. Nichts geschah. Offenbar war er nicht im Haus. Sie sah sich um.

Ihr fiel auf, dass die Tür zum großen Pferdestall offen stand. War Kade ausgeritten? War er bei den Tieren? Sie eilte hinüber. Kade stand vor einer Pferdebox und hatte die Arme auf die halbhohe Tür gelegt.

Er wirkte … verloren. Mutlos. Geschlagen. Am liebsten wäre Pippa zu ihm gerannt und hätte ihre Arme um ihn geschlungen. Aber sie war wie gelähmt.

„Lass mich in Ruhe, Pippa!“

Er hatte nicht aufgesehen, aber natürlich wusste er, dass sie da war. Er schien immer ein besonderes Gespür für seine Umgebung zu haben. Da er nicht mit besonderem Nachdruck gesprochen hatte, blieb sie stehen.

„Möchtest du reden?“ Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie Bescheid wusste. Das musste er schon selbst ansprechen. „Ich meine über das, was dich so aufgebracht hat?“

„Nein.“ Er nahm die Baseballkappe ab und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar, sah dabei aber nicht zu ihr hinüber. „Geh einfach.“

„Das werde ich nicht tun. Du schuldest mir ein Essen.“

Kade drehte sich zu ihr herum. Es brach ihr das Herz, seinen Schmerz zu sehen. Langsam ging sie auf ihn zu, so als wäre er ein scheues Pferd, das sie nicht verschrecken wollte. Sie stellte sich neben ihn an die Tür.

Der einjährige Hengst im Stall wieherte. Barron’s Imperial Pride – Barrons Königlicher Stolz –, kurz Imp genannt. „Er wächst schnell.“ Imp war die Krönung von Kades Zuchtprogramm und daher ein sicheres Thema.

„Ja. Zu schade, dass ich nicht erleben werde, wie er erwachsen wird.“

Oder auch nicht. Pippa beugte sich ein wenig näher und berührte dabei wie zufällig seinen Arm. „Du kannst mit mir reden, Kade. Immer. Das weißt du doch, oder?“ Er sagte nichts, also setzte sie noch einmal an. „Wir sind Freunde, Kade. Freunde helfen einander. Ich sehe doch, dass du aufgewühlt bist. Willst du mir nicht sagen, was passiert ist?“

„Wie kommst du darauf, dass wir Freunde sind?“ Er setzte sich die Kappe wieder auf und musterte Pippa grimmig.

„Ich bin den ganzen Weg hierhergekommen, nachdem du mich versetzt hast. So etwas tut nur eine Freundin. Und auch wenn du nicht reden möchtest – du musst etwas essen. Ich kann dir etwas kochen, vorausgesetzt, du hast etwas im Kühlschrank.“

Pippa schien nicht bereit zu gehen, und eigentlich wollte Kade auch nicht allein sein. „Ich bin heute keine gute Gesellschaft, Pippa.“

„Ja, und?“

Kade fügte sich in sein Schicksal. Wenn er schon jemanden ertragen musste, dann war Pippa ihm noch am liebsten. Als er sie auf Cashs Hochzeit gesehen hatte, erinnerte er sich daran, wie sie in der Uni-Zeit beim Rodeo-Training zugesehen und ihn angehimmelt hatte. Er hatte damals keine Freundin haben wollen. Er wollte auch jetzt keine, zumal keine wie Pippa. Sie sollte sich irgendeinen reichen Mann suchen. Einen Barron. Hastig verdrängte er den Gedanken. Rein theoretisch war er selbst ein Barron. Oder konnte es sein.

Er wollte ihr Angebot ausschlagen, aber gegen ihr Lächeln war er machtlos. Sie hatte das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, und die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken passten perfekt zu ihren blauen Augen. Das sprichwörtliche amerikanische Mädchen von nebenan.

Sie hatte recht. Er musste etwas essen.

Autor

Silver James
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