Party mit Überraschungen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Eindeutig ein Wink mit dem Zaunpfahl! Hey, es wird Zeit, dass du unter die Haube kommst - sonst endest du als alte Jungfer - so oder ähnlich wird also hinter Abbys Rücken getuschelt. Warum sonst hätte wohl ihr Bruder Cinco fast nur Junggesellen zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen? Wenig schmeichelhaft! Und absolut unnötig, denn Abby hat keine Sekunde Angst, keinen mehr "abzukriegen". Ihre Wut über Cincos Eigenmächtigkeit verfliegt im Nu, als sie unter den Gästen Cray Wolf Parker entdeckt. Schon in der High School fand sie den attraktiven Halbindianer faszinierend - und jetzt einfach so hinreißend erotisch, dass sie sich heimlich mit ihm im Pferdestall verabredet ...


  • Erscheinungstag 18.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716462
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Gesellschaftsnachrichten

Mr. und Mrs. T. A. Gentry V. veranstalten großes Fest

Am sechzehnten dieses Monats geben Cinco und Meredith Gentry, ortsansässige Rancher, ein traditionelles Grillfest, um den vierundzwanzigsten Geburtstag von Mr. Gentrys Schwester Abigail Josephine Gentry zu feiern.

Abby, wie sie von ihren Freunden genannt wird, kehrte kürzlich nach dem erfolgreichen Studium des Ranch-Managements nach Gentry Wells zurück.

Dieses Geburtstagsfest wird das gesellschaftliche Ereignis der Saison werden. Wer das Glück hat, eingeladen zu sein, wird nicht nur gewaltige Mengen an Essen und Trinken genießen können, sondern darf auch mit jeder Menge Vergnügen und Tanzunterhaltung bis zum frühen Morgen rechnen. Es heißt sogar, dass die „Dixie Dudes“, eine der beliebtesten Countrybands des Landes, für die Gäste spielen werden.

Die Verfasserin dieses Artikels freut sich jedenfalls jetzt schon auf die Feier und wird für diesen Anlass ihre silberne Gürtelschnalle und die neuen Stiefel auf Hochglanz polieren.

1. KAPITEL

Abby Gentry verzog schmerzlich das Gesicht, als sie auf dem staubigen Land der Gentry-Ranch aus dem Sattel stieg. Sie band das Pferd an einen Mesquitebaum, zog das schwere Seil aus der Halterung und sah sich auf dem ausgetrockneten Gebiet um.

Ihr taten sämtliche Muskeln und Knochen im Leib weh, obwohl sie eigentlich noch so jung war, dass ihr ein zehn- oder zwölfstündiger Ritt über die Weiden keine Probleme verursachen sollte. In einer Woche wurde sie erst vierundzwanzig. Da musste sie eine solche Anstrengung mühelos überstehen, vor allem, weil sie doch mehr oder weniger auf dem Rücken der Pferde aufgewachsen war. Ihre jetzigen Beschwerden schrieb sie der Tatsache zu, dass sie zu lange von der Ranch fort gewesen war und auf dem College an ihren Büchern gesessen hatte, statt zu reiten. Doch das war nun vorbei.

Sie nahm den Cowboyhut aus schwarzem Filz ab, wischte sich mit dem Halstuch den Schweiß von Stirn und Nacken und setzte den Hut wieder auf. Nachdenklich blickte sie auf ihre staubbedeckten Stiefel und stampfte ein paar Mal auf, um ihre Beinmuskeln zu lockern. Für Abby war die Arbeit auf der Ranch in ihrem Leben stets an erster Stelle gekommen, und im Moment musste sie das auch anderen beweisen. Ihr Traum, Vormann auf der Gentry-Ranch zu werden, war mittlerweile in greifbare Nähe gerückt.

Billy Bob Jackson, der sie auf dem Ritt begleitet hatte, war noch nicht zu sehen. Der alte Mann, den sie schon seit ewigen Zeiten kannte, hatte sie vorausgeschickt, weil er sich ausruhen wollte.

Ursprünglich hatte sie langsam am Zaun entlangreiten wollen, damit er sie wieder einholen konnte. Dann hatte sie jedoch ein Tier auf dem Boden der Schlucht entdeckt, vermutlich wieder ein bereits totes oder sterbendes Jungtier, von denen sie in den letzten drei Tagen bei der Kontrolle der Zäune und Windmühlen in diesem Teil der Ranch zahlreiche entdeckt hatten. Seit Monaten schon verlor die Gentry-Ranch Kälber durch ein Raubtier, und Abby wollte einerseits so viele Tiere wie möglich retten und andererseits herausfinden, wer den Tod der anderen verschuldet hatte.

Falls das Tier in dem trockenen Flussbett tot war, hoffte Abby wenigstens, eine Spur des Räubers zu entdecken. Darum band sie das Seil an den Mesquitebaum, knüpfte das andere Ende zu einer Schlinge und befestigte sie unter den Armen.

Jetzt war sie ganz froh, dass Billy Bob nicht bei ihr war. Er hätte darauf bestanden, an ihrer Stelle die Steilwand mit den scharfkantigen Steinen hinunterzuklettern und nach dem Tier zu sehen.

In der Sonnenglut des Nachmittags flimmerte die Luft über den weißen Felsen des Schluchtbodens, und Abby glaubte zu verglühen, während sie sich fünf Meter tief hinuntersinken ließ. Sobald sie den Grund erreicht hatte, rutschte sie auf dem lockeren Schotter aus, fing sich wieder und befreite sich von der Seilschlinge, ehe sie zu dem regungslosen Kalb ging.

Es lag nur einige Meter von ihr entfernt im Schatten eines Felsblocks, doch schon nach wenigen Schritten erstarrte sie.

Das war kein Tier, sondern ein Mensch, ein verletzter Mann, der womöglich gar nicht mehr lebte. Jedenfalls hatte er sich während ihres Abstiegs nicht bewegt und nicht einmal gestöhnt.

Abby zwängte sich an den Felsbrocken vorbei, die ihr kaum genug Platz zum Knien ließen. Bei näherem Hinsehen wurde ihr klar, wieso sie an ein Kalb gedacht hatte. Alles an dem Mann war dunkel – schwarzes Haar, tief gebräunte Haut, dazu eine schwarze Jeans und ein langärmeliges schwarzes Hemd.

Das war bestimmt ein Indianer, die man im Castillo County nur sehr selten antraf. Sie hatte jedenfalls nur einen einzigen in dieser Gegend gesehen, doch dieser Mann war bestimmt nicht der Junge, der sie vor zehn Jahren an der High School gegen einen unverschämten Rüpel verteidigt hatte. Seit damals träumte sie manchmal von ihm. Wahrscheinlich war er ihr deshalb jetzt eingefallen.

Entschieden schob sie die eindeutig erotisch gefärbten Träume beiseite und versuchte, dem Mann zu helfen, sofern das überhaupt noch möglich war.

Die kleine Platzwunde an der Schläfe konnte nicht die Ursache für die Ohnmacht sein. Das Blut an der Wange war schon getrocknet. Nein, das war kein ausreichender Grund für eine so tiefe Bewusstlosigkeit.

Vielleicht war er ins trockene Flussbett gestürzt, doch nach einem Blick nach oben erschien ihr das höchst unwahrscheinlich. Bei dieser Höhe hätte er sich mit Sicherheit das Genick gebrochen.

Sie fühlte seinen Puls. Tatsächlich, der Mann lebte! Der Puls war schwach, doch wenn sie genau darauf achtete, hörte sie den Verletzten leise atmen. Ja, er lebte wirklich.

Auf Grund ihrer Ausbildung in Erster Hilfe wusste sie, dass sie den Mann nicht bewegen durfte. Schließlich hatte sie keine Ahnung, welche Verletzungen er erlitten hatte. Allerdings würde ihm außer ihr kaum jemand helfen, und daher war sie seine einzige Hoffnung, lebend aus dieser Schlucht herauszukommen.

Vorsichtig öffnete sie seinen Mund und suchte nach Gründen für das leise Röcheln. Beinahe hätte sie die Hand zurückgezogen, als sie das Kinn berührte, so heiß fühlte sich seine Haut an. Blut oder andere sichtbare Verletzungen waren nicht zu finden. Was war bloß mit ihm los?

Während sie den obersten Hemdknopf öffnete, damit er leichter atmen konnte, betrachtete sie sein gut geschnittenes Gesicht. Obwohl er nicht bei Bewusstsein war, merkte man, dass er Schmerzen litt. Doch Abby erkannte auch die fein gezeichneten Züge, die sie im Lauf der Jahre nie vergessen hatte. Er wirkte jetzt älter, aber sogar noch anziehender als früher. Dieser Mann war tatsächlich der jugendliche Held ihrer Träume.

Auch wenn es ihr schwer fiel, ruhig zu bleiben und Abstand zu halten, öffnete sie seinen Kragen und entdeckte sofort eine Schwellung am Hals. Jetzt ahnte sie, was mit ihm geschehen war.

Eine rasche Kontrolle der Arme ergab nichts, doch dann ließ sie den Blick über seinen schlanken Körper zu den Beinen wandern. Der linke Schenkel war so geschwollen, dass die Jeans spannte. Es war, wie sie befürchtet hatte – ein Schlangenbiss.

Sie zog das Messer aus der Scheide am Gürtel und schnitt das Hosenbein auf. Der Stoff leistete solchen Widerstand, dass sie einmal sogar Hände, Messer und Zähne einsetzen musste.

Endlich lag das Bein frei, und Abby suchte rasch nach den zwei verräterischen Malen. Der Unterschenkel war bereits doppelt so dick wie normal und war grün, violett und gelb verfärbt. Erst als sie den Mann auf die Seite drehte, fand sie die Wunden an der Rückseite des Beins oberhalb der Kniekehle. Sie erkannte auf den ersten Blick, dass der Biss von einer ziemlich großen Klapperschlange stammte.

Erneut drehte sie ihn um und lagerte seinen Kopf so, dass er leichter atmen konnte. Die breiten Schultern und harten Muskeln lenkten sie ab, doch die Zeit wurde knapp. Sie musste sich ganz auf die Rettungsaktion konzentrieren.

Abby lief zur Schluchtwand zurück, kletterte am Seil hoch und fand oben Billy Bob vor, der schon auf sie wartete.

„Was ist da unten los?“ fragte er, während sie die Wasserflasche und den Medikamentenkasten holte. „Willst du ein Kalb versorgen? Nimm lieber das Gewehr und erlöse es aus seinem Elend, Mädchen.“

„Nein, es ist kein Kalb“, entgegnete sie, „sondern ein Mann. Er ist von einer Klapperschlange gebissen worden und ist bewusstlos.“

Angst schnürte ihr die Kehle zu. Noch nie hatte sie jemandem geholfen, der sich in einem dermaßen kritischen Zustand befunden hatte. Was sollte sie bloß machen, damit er nicht starb?

Als Abby erneut auf dem Boden des ausgetrockneten Flussbetts angekommen war, wandte sie die Hilfsmittel gegen Schlangenbisse an, wie sie es gelernt hatte. Zuerst saugte sie mit einer Pumpe aus den oberen Gewebeschichten so viel Gift wie möglich ab. Danach spritzte sie das Serum. Alles Weitere lag nun nicht mehr in ihrer Macht.

Schon Minuten später klang die Schwellung etwas ab. Der Mann atmete auch leichter, und die Augenlider flatterten, als würde er allmählich zu sich kommen.

Vielleicht stand er unter Schock. Mit Wasser aus ihrer Flasche tränkte sie ihr rotes Halstuch, strich ihm damit über die Stirn und schützte gleichzeitig sein Gesicht gegen die brennende Sonne. Es war klar, dass er unbedingt im Krankenhaus ärztlich versorgt werden.

Hier draußen waren Handys nutzlos, und sie würden noch stundenlang reiten müssen, ehe sie Hilfe finden würden. Zuerst sollte sie den Mann jedoch vor der Sonne abschirmen. Wie bloß?

Nachdenklich betrachtete sie die Schluchtwände. Irgendetwas musste ihr einfallen. Schließlich ging es um ein Menschenleben.

Zum Glück wusste Billy Bob Rat. Aus einigen kräftigen Zweigen des Mesquitebaums, Schlingpflanzen, die am Rand der Schlucht wuchsen, und aus Seilen hatte er bereits eine behelfsmäßige Trage gefertigt. Abby machte aus einer elastischen Binde einen Druckverband für die Wunde.

Sie musste mehrmals nach oben und wieder nach unten klettern, bis sie und Billy Bob mit Hilfe der Pferde die Trage an der Schluchtwand hochziehen konnten. Sobald sie den Mann endlich geborgen hatten, fühlte sich Abby einem Zusammenbruch nahe. Ihre langärmelige Jeansbluse war völlig durchgeschwitzt.

Billy Bob reichte ihr seine Wasserflasche. Sie ließ einige Tropfen auf die aufgesprungenen Lippen des Mannes fallen, ehe sie das metallisch schmeckende Wasser trank. Billy Bob nahm die Flasche wieder an sich.

„Wir müssen ihn aus der Sonne schaffen“, sagte sie, während sie die Satteltaschen einräumte. „Der Unterstand Nummer dreiundzwanzig ist doch nicht weit entfernt, oder?“

„Nur ungefähr einen Kilometer am Zaun entlang“, erwiderte Billy Bob und befestigte die Trage mit Seilen am Sattel von Abbys Pferd, sodass es sie ziehen konnte. „Das ist auch gut so. Ich glaube nämlich nicht, dass die Äste länger als bis dorthin halten werden.“

Das musste Abby leider bestätigen. Ihre Technik im Zusammenbinden von Ästen ließ arg zu wünschen übrig, aber bis zur Hütte würde die improvisierte Trage hoffentlich halten.

Glücklicherweise stellte sich heraus, dass der Unterstand nicht einen, sondern nur einen halben Kilometer entfernt war. Allerdings brauchten sie viel länger als erwartet. Als Abby von ihrer Stute Patsy stieg und die Hüttentür öffnete, stand die Frühlingssonne schon tief am Himmel. Bäume und Büsche warfen lange Schatten, aber die Trage hatte erstaunlich gut gehalten. Eine größere Strecke hätte sie jedoch wohl kaum überstanden.

In der kleinen Hütte herrschte eine unbeschreibliche Hitze. Kurz entschlossen öffnete Abby nicht nur die Tür, sondern auch alle Fenster bis auf eines, das zerbrochen und mit Brettern zugenagelt worden war. Der Luftzug sorgte dafür, dass es in dem einzigen Raum bald erträglich wurde.

Während Billy Bob die Trage von Patsy löste, packte Abby die eingerollten Decken aus, die sie zum Schlafen auf den Pritschen in der Hütte mitgenommen hatten. Trotz der Hitze machte sie Feuer im Herd, damit sie die Wunden mit heißem Wasser reinigen konnte.

„Na, das nenne ich vielleicht eine Überraschung!“ rief Billy Bob und stieß die Tür auf, die der Wind gerade zugeschlagen hatte, zog den Verletzten herein und ließ ihn auf die Pritsche sinken. Erst jetzt hatte er sich den Mann genauer angesehen. In dieser Gegend von Texas fand man in der heutigen Zeit nur selten einen Indianer und noch seltener verirrte sich einer auf die Gentry-Ranch.

Der Verletzte stöhnte und öffnete die Augen, kam jedoch nicht vollständig zu sich. Nur für einen Moment blickte Abby in große schwarze Augen, das reichte schon. Ja, das war der Schwarm aus ihrer Schulzeit, den sie fast schon vergessen hatte.

Nein, das stimmte nicht. Die faszinierenden Augen hatte sie nie vergessen, sondern ganz bewusst nicht mehr an sie gedacht. Genau wie sie alle sinnlichen Empfindungen und Träume verbannt hatte.

„Ist das der Indianer von der Skaggs-Ranch?“ fragte Billy Bob und strich sich übers stoppelige Kinn.

In der Tat, dies war der Stiefsohn des Besitzers der Nachbarranch. „Ja, er heißt Gray Wolf Parker, Grauer Wolf, und er ist Skaggs’ Stiefsohn.“ Seit der High School hatte Abby ihn nicht mehr gesehen. „Billy Bob, das Handy funktioniert hier draußen nicht. Könntest du auf Gray aufpassen, während ich zum Haupthaus reite? Das sind nur ungefähr dreißig Kilometer, und von dort aus könnte ich mit dem Handy eine Verbindung bekommen. Dann gebe ich dem Piloten des Rettungshubschraubers genaue Anweisungen, wo die Hütte steht.“

Billy Bob runzelte die Stirn und schlug den Hut gegen den Schenkel, um den Staub abzuklopfen. Abby fragte sich, ob sie vielleicht etwas weniger energisch hätte auftreten sollen. Immerhin wollte sie bald seine Chefin werden, und sie musste ihn und die anderen Männer günstig stimmen, um von ihnen anerkannt zu werden.

„Hör mal, Kleine“, meinte er kopfschüttelnd. „Du bist schon in die Schlucht geklettert, und das war viel zu gefährlich. Ich war nicht da, sonst hätte ich dich daran gehindert. Jake und Cinco würden mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn ich dich in der Dunkelheit allein losreiten ließe. Cinco hat mir eingeschärft, dass ich auf dich aufpassen muss.“

Bevor sie antworten konnte, ging er ins Freie und spuckte den Kautabak aus.

Abby ärgerte sich. Erstens hatte Billy Bob sie schon wieder Kleine genannt, ein Spitzname, den sie absolut nicht mochte. Warum konnte sie nicht einfach Abby sein? Sogar die altmodische Anrede Ma’am wäre ihr lieber gewesen. Und zweitens hatte ihr Bruder Cinco sich wieder in ihre Angelegenheiten eingemischt und mit den Männern über sie gesprochen.

„Ich reite zur Ranch zurück“, erklärte Billy Bob, als er wieder hereinkam. „Diesen Teil des Landes kenne ich besser als du. Der Mann da ist bewusstlos, und du verstehst dich auf Krankenpflege besser als ich. Also bleibst du bei ihm.“

Eigentlich wollte sie diejenige sein, die hier die Entscheidungen traf, doch es war noch zu früh, um darauf zu pochen. Sicher, sie war eine Gentry, und ihr gehörte ein Drittel der Ranch. Doch sie musste sich den nötigen Respekt der Arbeiter verdienen, wenn sich alle nach ihr richten sollten, die jungen genauso wie die alten.

Da Billy Bob recht hatte, überwand sie ihren Stolz. Er kannte sich hier tatsächlich besser aus, und daher würde er am schnellsten Hilfe holen können. Es war nur logisch, dass er sich auf den Weg machte.

Andererseits wollte sie nicht allein mit dem attraktiven und unwiderstehlichen Gray Parker bleiben.

Moment, was sollte denn dieser Unsinn? Der Mann war verletzt und stand unter Schock. Vermutlich würde er für mehrere Stunden nicht zu sich kommen. Er stellte für sie keine Bedrohung war. Bislang musste sie sich nur mit ihren eigenen sehnsüchtigen Gedanken herumschlagen. Er brauchte lediglich ihre Hilfe.

Nachdem sie Billy Bob das Handy überlassen hatte, stieg er auf sein Pferd. „Du hast Parker das Leben gerettet. Das hat du sehr gut gemacht. Dein Vater wäre stolz auf dich, Abby Jo“, lobte er und fügte dann hinzu: „Ob du aber auch ein guter Vormann bist, muss sich erst noch herausstellen.“

Das war so ziemlich die längste Ansprache, die Abby jemals von dem alten Mann gehört hatte.

Billy Bob trieb das Pferd an und schlug die Richtung zum Ranchhaus ein. „Pass auf dich und den jungen Kerl auf!“ rief er. „Im Morgengrauen kommt dann der Hubschrauber, das verspreche ich Ihnen, Ma’am.“

Er hatte sie doch tatsächlich Ma’am genannt. Na ja, das war wenigstens ein Anfang.

In der Hütte wurde es nach Sonnenuntergang endlich kühler. Die drückende Hitze war geschwunden, und es wurde so dunkel, dass Abby zwei Kerosinlampen anzündete.

Das Wasser auf dem Herd siedete bereits. Sie füllte etwas davon in die Spüle und wusch sich Hände und Gesicht. Es war herrlich, endlich den Staub und den Schweiß nach dem langen Ritt loszuwerden! Danach wollte sie sich um ihren Patienten kümmern und ihm seine Lage erleichtern.

Ihr Patient? Ja, nur so sollte sie ihn sehen.

Doch dann trat sie an seine Seite und blickte auf ihn hinunter. Und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihn nicht nur ansehen, sondern auch berühren musste, wenn sie ihn versorgen würde. Scheu und Nervosität meldeten sich genau wie früher, wenn er in ihre Nähe gekommen war.

Während sie steif wie ein Zaunpfahl dastand, sah sie sich Grays Körper genauer an. Seit dem letzten Zusammentreffen hatte er sich doch ziemlich verändert. Seltsam. Sie lebten auf benachbarten Ranches, waren jedoch fast zehn Jahre lang nicht zusammen getroffen.

Beim letzten Mal war er ein Jugendlicher von achtzehn Jahren gewesen, kräftig, aber sehr schmal gebaut und mit versteinerter Miene. Jetzt war er ein erwachsener Mann, kraftvoll und sportlich, mit breiten Schultern und ausgeprägten Muskeln. Oh Mann! Abby schloss kurz die Augen und versuchte, sich wieder zu beruhigen.

Das dichte, glatte schwarze Haar war viel kürzer als früher und reichte kaum bis zum Nacken. An der High School hatte er es lang getragen, es normalerweise aber mit einem Lederriemen zusammengebunden. Bei vielen jungen Mädchen hatte dieses Haar nicht nur Neugierde, sondern auch erotische Fantasien geweckt.

Unbewusst streckte sie die Hand aus, um das glänzende Haar zu berühren, zog sie jedoch wieder zurück und konzentrierte sich auf die Verletzungen.

Die Erinnerungen ließen sich nicht so leicht verdrängen. An der Schule hatte Gray sich nicht mit anderen angefreundet, sondern sich abseits gehalten und nur alles beobachtet. Trotzdem schwärmten fast alle Mädchen von ihm – Abby eingeschlossen.

Doch seine Augen hatten sie zurückgehalten und ihr sogar Angst gemacht. In seinem Blick lag etwas, das sie nicht verstand, sondern verunsicherte. Außerdem war sie nie hinter den Jungen her gewesen. Sie wollte mit keinem ausgehen. Kameradschaft war schön und gut, aber sie übertraf alle beim Reiten oder Ringen und sogar bei der Arbeit. Letztlich war das bis heute so geblieben.

Trotzdem hatte sie nicht vergessen, wie Gray ihr damals geholfen hatte und dadurch zu ihrem Helden geworden war. Abby seufzte. Im Moment hielt er die Augen geschlossen, doch sie sah ihm die Schmerzen an. Entschlossen verdrängte sie sämtliche Gefühle. Hier ging es nur darum, einem Verletzten zu helfen.

Daran hielt sie sich, während sie die Knöpfe öffnete und ihm das Hemd abstreifte. Na bitte, so einfach war das.

Abby erstarrte und konnte den Blick nicht mehr von der breiten, muskulösen Brust abwenden. Der Atem stockte ihr. Im Schein der Lampen glänzte die glatte Haut wie die Oberfläche eines Sees im Mondschein.

Fast gegen ihren Willen ließ sie den Blick zu seinem Bauch wandern und noch tiefer. Auch die Jeans konnte nicht verbergen, dass er ein Mann war – und männlicher wirkte als die meisten Männer, die sie kannte.

Rasch betrachtete sie wieder seinen Bauch, über den sich Narben hinzogen. Sie stammten nicht von frischen Verletzungen, und sie wiesen sogar ein gewisses Muster auf.

Wie gern hätte sie mit den Fingerspitzen diese Narben berührt, um alten Schmerz zu heilen, doch sie zwang sich, die Hand zurückzuziehen. Hier ging es um sein Leben, und darum würde sie es auch schaffen, Distanz zu halten. Gray kam nur ab und zu halb zu sich, öffnete dann die Augen, schien sie jedoch nicht zu erkennen. Ihr war es sogar lieber, wenn er die Augen geschlossen hielt, denn dann wurde sie wenigstens nicht abgelenkt.

Eine halbe Stunde später hatte sie ihn gewaschen und lobte sich selbst dafür, wie ruhig sie dabei geblieben war. Sie war eben eine praktisch veranlagte Frau, und er war letztlich nichts weiter als ein Mann. Normalerweise wurde sie mühelos mit dem Reiz fertig, der von einem gut gebauten Vertreter des anderen Geschlechts ausging, vor allem, wenn er verletzt war.

Während sie Hühnersuppe erhitzte, ließ sie sich die Ereignisse des Tages durch den Kopf gehen und war zufrieden. Sie hatte sich stark, vernünftig und entschlussfreudig gezeigt. Ihr Lehrer am College hatte stets darauf hingewiesen, dass genau diese Eigenschaften von jemandem erwartet wurde, der Rancharbeitern Anweisen geben wollte. Und der Traum ihres Lebens war es, die Stelle des Vormanns auf der Gentry-Ranch einzunehmen.

Etwas später kam Gray so weit zu sich, dass sie seinen Kopf stützen und ihm etwas Hühnersuppe einflößen konnte. Jake wäre stolz auf sie gewesen.

Solange sie zurückdenken konnte, war er der Vormann gewesen, ihr Idol und großes Vorbild. Jake Gomez hatte sie ermutigt, ihren Träumen nachzujagen und seinen Posten einzunehmen, wenn es einst so weit war. Allerdings würde es sie noch ihre ganze Überzeugungskraft kosten, damit ihr älterer Bruder Cinco ihr diesen Posten gab.

Gray wirkte endlich entspannter und schien auch nicht mehr unter so starken Schmerzen zu leiden. Vielleicht würde er sogar etwas schlafen können.

Abby brachte den Teller zur Spüle, säuberte das Geschirr und beschloss, sich ebenfalls auszuruhen. Vermutlich würde sie nicht besonders tief schlafen und sofort aufwachen, falls sich Grays Atmung verändern sollte. Aber eine kurze Pause schadete bestimmt nicht.

Nachdem sie einige Knöpfe an der Bluse und den schweren Arbeitsgürtel geöffnet hatte, ließ sie nur eine einzige Lampe brennen und stellte sie ganz klein, damit das Licht Gray gerade erreichte. Das flackernde Flämmchen erzeugte Schatten, die sich ständig bewegten und ihre Fantasie reizten.

Plötzlich fröstelte sie, obwohl es warm war. Unsinn, sagte sie sich, als sie Rauch wahrnahm, und ging zu ihrer Pritsche. Schon vor längerer Zeit hatte sie das Feuer im Herd gelöscht, und die Laternen rochen nach Kerosin, nicht nach Rauch.

Bevor sie sich hinlegte, überzeugte sie sich davon, dass auch alle Fenster weit geöffnet waren. Draußen war es nicht viel abgekühlt, aber es war auf jeden Fall besser als tagsüber.

An einem der Fenster holte sie tief Atem, um zur Ruhe zu kommen, doch nun wurde der Rauchgeruch noch intensiver. Und es war eindeutig Tabakrauch!

Autor

Linda Conrad
Mehr erfahren