Pikantes Wiedersehen mit dem Gentleman

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Ist er es wirklich? Bei Dominic Kilburns Anblick schlägt Lady Willas Herz schneller – vor Wut! Vor einem Jahr hatte er sie am Altar stehengelassen. Zutiefst gedemütigt von seiner Zurückweisung hatte Willa sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Ausgerechnet auf dem ersten Fest, das sie nun wieder besucht, begegnet sie Dom. Seine Nähe ist genauso prickelnd wie damals, seine Berührungen genauso verführerisch … Doch während alte Gefühle wieder erwachen, kommen auch alte Geheimnisse ans Tageslicht. Gibt es eine zweite Chance für Lady Willas Liebe – oder steht die Vergangenheit zwischen ihr und Dom?


  • Erscheinungstag 14.09.2024
  • Bandnummer 407
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527002
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Eva Leigh

Wenn Eva Leigh nicht an einer ihrer packenden Romances schreibt, in denen sie die Zeit des Regency lebendig werden lässt, widmet sie sich ihren Hobbys: Sie liebt es zu backen, zu viel Zeit im Internet zu verbringen und Musik aus den 80ern zu hören. Zusammen mit ihrem Ehemann lebt Eva Leigh in Kalifornien.

1. KAPITEL

Schottland, Innere Hebriden, 1812

„Vermaledeite Aristos“, murmelte Dominic Kilburn finster, als das Boot krachend auf das Wasser aufschlug.

Schiere Willenskraft und seine mit eindrucksvollen Muskeln bepackten Oberschenkel bewahrten ihn davor, kopfüber in die aufgewühlte See zu stürzen, aber es war knapp. Wäre er kein so sturer Bastard gewesen und eisern entschlossen, sich von den haushohen Wellen nicht besiegen zu lassen, er hätte Bekanntschaft mit dem kalten Nass gemacht. Was ihm ein kleines Problem beschert hätte. Er konnte nicht schwimmen. Wie die meisten Männer von niedriger Abkunft.

„Was hat mein Stand dir jetzt wieder angetan?“, rief Finn Ransome ihm von der Reling aus zu.

„Die verwünschte See ist so rau wie der Gin in der Taverne von Ratcliff“, erwiderte Dominic mürrisch.

„Seit du dich auf dieses Boot begeben hast, bist du genauso kabbelig wie die See.“ Es zuckte um Finns Mundwinkel. „Und der Zungenschlag deiner alten Heimat ist wieder deutlicher zu hören.“

„Behauptet ein verdammter Spieler.“ Aber es ließ sich nicht leugnen. „Egal wie viele Stunden Sprechunterricht mein Vater mir hat angedeihen lassen, wenn mich etwas kribbelig macht, lasse ich die Konsonanten fortfallen wie faules Fleisch. Ich bin einfach ein in der Wolle gefärbter Ratcliffer, fürchte ich.“

„Es hat Charme“, versicherte ihm sein Freund grinsend.

Dominic schnaubte. „Nicht allzu viele Mitglieder deines Standes sind dieser Ansicht. Und du als zweiter Sohn eines Earls … nun, deine Sprechweise ist so samtig und glatt wie der Rahm auf der Milch.“

Finn pflegte nicht oft Emotionen zu zeigen, nicht einmal dann, wenn ein Boot von sechs Metern auf seinem Kurs durch schottische Gewässer rollte und schlingerte, dass einem angst und bange werden konnte; ein Boot, das gerade groß genug war, um Dominic, Finn und dessen Frau Tabitha unterzubringen, außerdem das Gepäck und den Skipper, der sich mit einer so routinierten Lässigkeit bewegte, als sei er auf den Bootsplanken zur Welt gekommen.

„Du könntest genauso gut Karten für eine Partie Faro austeilen“, setzte Dominic vorwurfsvoll hinzu, „so verflucht beherrscht, wie du bist.“

„Nun, da ich nichts tun kann gegen den Zustand der See, erscheint es mir das Vernünftigste, mich in Gleichmut zu üben.“ Sein Freund zuckte die Achseln. „Warum stehst du im Boot? Komm an die Reling und genieß den Ausblick.“

„Ich bleibe hier.“ Wie angewurzelt stand Dominic auf seinem Platz mitten auf dem Deck. „So weit wie möglich von der Reling und der Gefahr eines nassen Todes entfernt. Ich habe nicht vor, auf den Grund der eiskalten schottischen See zu sinken.“

Nicht jedenfalls, ohne sie vorher wiedergesehen zu haben. Denn wenn sein elendes Leben in dieser gottverlassenen Welt schon vorüber sein sollte, dann wollte er bei seinem letzten Atemzug wenigstens Willa ins Gesicht blicken dürfen. Selbst wenn sie ihn finster musterte und mit allen Schimpfwörtern der Welt belegte, würde es ihm genügen, sie ein letztes Mal anzuschauen. Vielleicht würde er nicht glücklich sterben, wohl aber zufrieden in dem Wissen, dass sie lebte und die Chance hatte, wahres Glück zu finden.

Seit fast einem Jahr, seit dem Vorabend jenes entsetzlichen Frühlingstages, hatte er Willas Gesicht nicht gesehen und ihre Stimme nicht gehört. Denn kurz vor ihrer Trauung war er ihr mit der Hilfe von Finn und dessen Bruder Kieran davongelaufen. Das allein war schlimm genug, doch was noch schlimmer war – Willa war Finns und Kierans Schwester.

„Jedenfalls wüsste ich nicht, was deine Wut auf meinen Stand rechtfertigen sollte“, fuhr Finn gelassen fort. „Denn auch wenn die britische Aristokratie in der Tat über eine unverhältnismäßige und unfaire Machtfülle verfügt, so kannst du doch nicht behaupten, dass der Landadel Einfluss auf die Elemente hätte und in der Lage wäre, die See aufzuwühlen.“

„Aber diejenigen, die beschlossen haben, ihre Hausparty auf einem winzigen schottischen Eiland zu veranstalten, sind Mitglieder deines Standes“, feuerte Dominic zurück und wappnete sich gegen die nächste Welle, die das Boot hochhob und anschließend herunterkrachen ließ. „Statt auf einem ihrer zahllosen Landsitze, die mit dem Blut und dem Schweiß der Pächter errichtet wurden.“

„Oliver Longbridge fand, dass sein Anwesen auf der Insel der perfekte Ort für eine Hausparty ist“, widersprach Finn ruhig. Er blinzelte kaum, als die Gischt ihm ins Gesicht spritzte, und zog sein Taschentuch hervor, um sich Stirn und Wangen zu trocknen. „Und zwar eine, die dank der abgeschiedenen Lage des Hauses nicht eingeschränkt sein wird von den herkömmlichen Benimmregeln der guten Gesellschaft. Abgesehen davon“, sprach er rasch weiter, ehe Dominic sich erneut beschweren konnte, „bist du aus freien Stücken mitgekommen. Und nicht etwa, weil jemand das Leben deines Lieblingsrennpferds bedroht hätte.“

„Bloß dass du und dieser verflixte Bruder von dir ständig auf mich eingeredet habt, euch zu begleiten.“ In übertrieben adliger Sprechweise setzte er hinzu: „‚Komm doch bitte mit zu der Party, Dominic. Es wird so unterhaltsam sein, der Langeweile Londons zu entrinnen, und wir werden uns köstlich amüsieren, sei so nett.‘“

Finn lachte. „Um Himmels willen, wenn Kieran und ich tatsächlich so klingen, hast du meine Erlaubnis, mich über Bord zu werfen.“

„Das würde bedeuten, dass ich den sicheren Fleck, auf dem ich stehe, verlassen müsste.“ Dominic schüttelte den Kopf. „Und mein Leben riskiere, um deins zu beenden.“

Es lag kein Groll in seinen Worten. Seit sein Vater vor beinahe zwölf Jahren mit der Vermietung von Hafenspeichern ein Vermögen gemacht hatte, war die Freundschaft der Ransome-Brüder Dominics einziger Halt in der engstirnigen, heimtückischen Welt der englischen Elite. Eher hätte er sich ins Wasser gestürzt, als seine beiden engsten Freunde zu verletzen.

„Ich glaube, ich kann die Insel erkennen“, rief Tabitha Ransome aufgeregt.

Sie trat zu ihrem frischgebackenen Ehemann, der ihr den Arm um die Taille legte und sie an sich zog – genauso beschützend und bewundernd, wie er sie ansah. Finn gehörte zu den Menschen, die kaum je zu erkennen gaben, was sie dachten und fühlten, doch in Tabithas Gegenwart fielen seine Schranken. Und die gelehrte Tabitha andererseits schien ebenso bezaubert von ihm wie er von ihr.

Dominic wurde eng um die Brust. Nicht dass er Finn sein Glück nicht gönnte, aber es mit anzusehen, verstärkte nur sein Verlustgefühl und machte ihm klar, was er niemals haben würde.

Ohnehin blieb ihm nun, da auch Kieran eine Braut gefunden hatte, kaum etwas anderes übrig, als sich nachts allein in London herumzutreiben. Mit dem grimmigen Humor betrachtet, der ihm eigen war, seit er Willa sitzen gelassen hatte, bedeutete das, dass er frühmorgens entweder nach Hause wankte, weil er sich die ganze Nacht in einer Boxsportarena verausgabt oder aber versucht hatte, am Boden eines Bierkrugs Trost zu finden.

Doch ob seine Kopfschmerzen am Tag darauf von den Fausthieben seiner Trainingspartner herrührten oder den großen Mengen Alkohol, die er sich verabreicht hatte, blieb dahingestellt. Immerhin schaffte er es mit Boxen und Trinken, sich davon abzulenken, dass er Willa verloren hatte, sie nie haben und den Rest seiner Tage von Schuldgefühlen zerfressen dahinvegetieren würde.

Genau genommen hatten Boxen und Trinken ihn abgelenkt. In letzter Zeit passierte es immer öfter, dass sich keine Trainingspartner mehr fanden und auch nicht genügend Fässer mit Ale, um sich davon abzuhalten, in einem Sumpf von Wut und Scham zu versinken.

Doch das war nur ein Grund, weswegen er die Einladung der Ransome-Brüder, sie zu Oliver Longbridges Hausparty auf seiner Hebrideninsel zu begleiten, angenommen hatte. Denn alles war besser als seine augenblickliche Existenz. Vielleicht würde es keinen Boxring geben, aber dann konnte er immer noch jemandes Weinkeller trockenlegen. Oder vielleicht sogar in einem anderen Bett Schlaf finden, denn unter Schlaflosigkeit litt er weiß Gott.

„Es scheint sich um einen wirklich kargen, windumtosten Rückzugsort zu handeln.“ Finn kniff die Augen zusammen, als das Boot sich der Insel näherte. „Und das Eiland sieht fast so aus“, wandte er sich mit einem warmherzigen Lächeln an seine Frau, „als sei es unseren Lieblingsschauerromanen entsprungen.“

Auf den Zügen seiner Ehefrau breitete sich ein neckendes, zuneigungsvolles Lächeln aus. „Wirst du hinter mir herschleichen, wenn ich die Korridore durchwandere, eine Kerze in der erhobenen Hand und nur in mein Nachthemd gekleidet?“

Finns Augen verdunkelten sich. „Ich kann es kaum erwarten, dich mir zu schnappen.“

Dominic hielt den Blick auf die von Minute zu Minute größer werdende Insel gerichtet, um nicht unfreiwillig Zeuge der Vertraulichkeiten zwischen Finn und Tabitha sein zu müssen. Aus dieser Entfernung konnte er langsam Einzelheiten von Longbridges Rückzugsort erkennen. Felsige Klippen begrenzten einen Strand, und auf einer der Klippen erhob sich ein dreistöckiges steinernes Gebäude mit spitzen Dächern und einem mit Zinnen versehenen Turm. Hinter dem Herrenhaus erstreckte sich zerklüftetes Gelände, das nun, im Frühling, samtgrün leuchtete und mit ein paar wenigen Bäumen gesprenkelt war.

„Eine bezaubernde Insel.“ Tabitha blickte über das Wasser. „Findest du nicht auch, Dominic?“

„Nun ja, wenn du meinst. Aber Kieran ist der mit der poetischen Ader, und er kann wahrscheinlich alle nur möglichen hübschen, schmückenden Bilder und Vergleiche herunterrattern.“ Ihm dagegen, der die ersten achtzehn Jahre seines Lebens im Armenviertel von Ratcliff am Nordufer der Themse verbracht hatte, bereiteten weit offene Landschaften wie diese Insel ein brodelndes Unbehagen; ein Gefühl, sich nirgendwo verbergen zu können und keine Möglichkeit zu haben, sich zu wehren.

Jawohl, so musste es sein. Es war bloß die unbestimmte Furcht, die eine unvertraute Umgebung in einem Menschen hervorrief. Keine Vorahnung.

Dominics Mutter war eine moderne Frau gewesen, mit einem wachem, gesundem Menschenverstand. Gleichzeitig hatte sie den Aberglauben ihrer walisischen Vorfahren nie ganz abgelegt und die Zaunkönigsnester in den Traufen ihrer Mietskaserne nie zerstört und keine Weißdornblüten in ihrer Wohnung geduldet. Ein paar ihrer Überzeugungen waren wohl auf Dominic übergegangen und hatten ihn für Einbildungen empfänglich gemacht, denn er wurde das Gefühl nicht los, dass etwas in der Luft lag, etwas, das nichts mit der windumtosten einsamen Insel und dem Herrenhaus, das auf ihren Klippen thronte, zu tun hatte.

Genau besehen war Longbridges Anwesen einer jener Ort, die die Mitglieder der höheren Kreise romantisch fanden, arbeitende Menschen wie er jedoch abgelegen, schwer instand zu halten, ein wenig gruselig und im Ganzen ein ziemliches Ärgernis.

Für ihn war das Beste an dieser Insel, dass sie weit, weit entfernt von allem lag, was ihn hätte an Willa erinnern können. Denn in London war jeder Winkel von den Erinnerungen an sie getränkt – die Parks, in denen sie Spaziergänge gemacht hatten, die Teeläden, die Museen. Eben jene Ziele, die vornehme Liebespaare bevorzugten, und da sie die Tochter eines Earls war, hatten sie all diese Orte aufgesucht.

In der ganzen Stadt suchten ihn die Erinnerungen an Willa heim. Auch wenn sie nach dem Fiasko ihrer Beinahe-Hochzeit auf den Kontinent geflüchtet war.

Doch inzwischen war sie zurück in England, zurück in London. Er hatte sein Bestes getan, ihr nicht zu begegnen, die Tage daheim verbracht und sich des Nachts nur in den schäbigsten Vierteln der Stadt herumgetrieben. Ein Gefangener seiner Schuldgefühle. Longbridges entlegenes schottisches Anwesen war wahrscheinlich genau der richtige Ort für ihn, jedenfalls für die nächsten zwei Wochen.

„Hat die Party schon angefangen?“, fragte er, ohne den Blick von der sich nähernden Insel abzuwenden.

„Es ist schon eine Woche her, dass Longbridge den, wie er versprach, amüsantesten und ungehemmtesten Gästen, die man sich nur vorstellen kann, sein Haus geöffnet hat“, antwortete Finn lächelnd.

„Mit ungehemmt meinst du eine Kollektion von Flittchen jeden Geschlechts“, vergewisserte Dominic sich trocken.

Finn nickte. „Du hast es erfasst.“

Die Aussicht darauf hätte Dominic einen erwartungsvollen Nervenkitzel bereiten sollen. Die Klatschmäuler, die missbilligenden Blicke und die erstickende Moral des ton waren weit fort, und zweifelsohne würde es eine Menge Betthüpfen geben. Doch während das Stampfen des Boots seinem Magen nichts anhaben konnte, rief allein die Vorstellung, das Bett mit einer Frau zu teilen, die nicht Willa war, Übelkeit in ihm hervor. Und da er Willa verloren hatte, würde er sich damit abfinden müssen, dass er zwei endlose Wochen lang Ohrenzeuge der Liebesspiele in den angrenzenden Zimmern sein würde.

Schlimmer noch, womöglich quartierte man ihn im Schlafgemach neben dem von Kieran und Celeste ein. Kieran hatte Dominics jüngere Schwester im Jahr zuvor geheiratet, und an den verlangenden Blicken und Berührungen der beiden war unschwer zu erkennen, wie verliebt sie waren. Aber das Letzte, was Dominic hören wollte, war das leidenschaftliche Stöhnen seiner eigenen Schwester. Lieber würde er draußen nächtigen. Im Moor oder auf der Heide oder wie auch immer die Einheimischen diesen großen Dreckhaufen nannten.

Kieran und Celeste waren vor drei Tagen zu der Insel aufgebrochen, und für den Fall, dass das Schicksal ihm übel mitspielte und sein Zimmer an ihres grenzte, konnte er nur hoffen, dass sie schon möglichst viel von ihrer Leidenschaft ausgelebt hatten.

Was nicht sehr wahrscheinlich war, wie er mit einem Blick zu Finn und Tabitha befand, die noch immer in enger Umarmung auf dem Bootsdeck standen. Schon als Junggesellen waren die Ransome-Brüder berüchtigt gewesen, doch nun, da sie ihre wahre Liebe gefunden hatten, schienen sie lüsterner als je zuvor, konnten die Finger nicht von ihren Frauen lassen und flüsterten ihnen Dinge ins Ohr, die diese erröten ließen. Alles zusammen reichte, um einen Mann schwer schlucken zu lassen.

Dominic drehte sich zu dem Skipper um, einem Kerl mit, wie es sich gehörte, rötlichem Vollbart und Strickmütze.

„Leben Sie auch auf der Insel?“

Der Skipper schüttelte den Kopf. „In Oban, wo Sie an Bord kamen“, erwiderte er mit einem so starken Akzent, dass Dominic Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Da bin ich zu Hause. Ich komme her, wenn Mr. Longbridge mich braucht, aber sobald ich Sie abgesetzt habe, mache ich mich auf den Rückweg.“

Dominic runzelte die Stirn. „Dann kommen Sie täglich, um die Lebensmittelvorräte zu ergänzen?“

Der Skipper verzog sein zerfurchtes Gesicht zu einem schiefen Lächeln. „So ungefähr.“

Es war nicht wirklich eine Antwort, und in einer dunklen Vorahnung sträubten sich Dominic die Nackenhaare. Im Grunde hätte er dem Burschen befehlen müssen, umzukehren, doch das war lächerlich. Sie hatten mehrere Tage auf holprigen Straßen verbracht, um zu dem Hafen zu gelangen, und befanden sich nun bereits seit Stunden auf dem Boot, das sie zu Longbridges Insel bringen sollte. Umzukehren würde ihn wie einen Feigling aussehen lassen, und er hatte nicht einmal einen Beweis, dass ihn wirklich ein Unheil erwartete, darum würde er die Reise fortsetzen und die verdammte Hausparty genießen. Und wenn schon nicht genießen, dann tolerieren. Soweit er seit dem letzten Frühjahr in der Lage war, überhaupt etwas zu tolerieren.

Einen Moment später erreichte das Boot den schmalen Anlegesteg, der vom Strand ins Wasser hineinragte. Mehrere Lakaien in Livree standen in Habachtstellung bereit. Offenbar hatten sie gesehen, dass das Boot sich näherte, und waren gekommen, um die Gäste zu empfangen. Der Skipper legte an und machte das Boot fest, dann half er Finn beim Aussteigen. Finn wiederum half Tabitha auf den Pier, und als die Reihe an Dominic war, winkte dieser ab.

„Achtzehn Jahre Erfahrung beim An- und Von-Bord-Gehen“, sagte er mürrisch. „Ich sollte wohl in der Lage sein, ohne Hilfe an Land zu gelangen.“ Praktisch seit er laufen konnte, hatte Dominic auf den Londoner Docks als Schauermann gearbeitet, wobei seine Größe und Kraft unschätzbare Vorteile gewesen waren. Zumindest auf der Werft. In den Ballsälen des ton machte ihn die Tatsache, dass er die Statur eines wuchtigen steinernen Turms besaß, zu einem Gegenstand von Verachtung und Häme.

Zur Hölle mit diesen Snobs. So lautetet seit über einem Jahrzehnt sein Motto.

Dem Himmel sei Dank brachte er sich nicht in Verlegenheit, als er vom Boot auf den Anleger sprang. In den letzten Jahren wäre sein Vater nicht stolz auf ihn gewesen, aber in diesem Moment machte er dem alten Herrn keine Schande.

Allerdings hätte der Aufsteiger Ned Kilburn es als Schande empfunden, dass der Skipper den Lakaien das Gepäck aushändigte. Dominic trat herzu und griff sich seine Taschen. Die beiden Lakaien ebenso wie der Schiffskapitän wirkten überrascht, dass der Mann, bei dem es sich, der kostspieligen Kleidung nach zu urteilen, um einen Gentleman handelte, seine Habseligkeiten nicht nur selbst transportierte, sondern auch weit davon entfernt war, unter deren Gewicht zu ächzen.

Finn, der die Szene beobachtet hatte, lächelte belustigt, sagte jedoch nichts. Auch wenn es vielleicht besser gewesen wäre. Er kannte Dominic schon sehr lange, und es war genau diese Weigerung, erdrückende Regeln zu befolgen, die sie seinerzeit zu Freunden gemacht hatte.

Die Lakaien beeilten sich, Finns und Tabithas Gepäck zu nehmen.

„Glückwünsche zur erfolgreichen Überfahrt“, ließ eine kultivierte Stimme sich plötzlich hinter ihnen vernehmen, „und willkommen auf Creag Uaine. Solange Sie unter meinem Dach weilen, wird es Ihnen an nichts fehlen, und jeder Wunsch wird Ihnen erfüllt.“

Die Ankömmlinge wandten sich um. Oliver Longbridge betrat den Steg und kam auf sie zu. Wie gewöhnlich war er nach der neuesten Mode gekleidet, und sein außerordentlich stilvoller langer Mantel blähte sich hinter ihm, als er sich ihnen näherte und die Hand ausstreckte. Er war der Sohn eines schwarzen westindischen Vaters und einer weißen englischen Mutter und hatte nicht nur eine Erbschaft, sondern auch mit klugen Investitionen ein Vermögen gemacht. In London war er beliebt und geachtet, und nur wenige wussten, dass der anständige Mr. Longbridge diskrete Partys abhielt, die für ihre Zügellosigkeit berüchtigt waren. Auch die jetzige Hausparty würde auf Jahre hinaus in diesem Ruf stehen.

Longbridge schüttelte Finn die Hand und hauchte Tabitha einen weltmännischen Kuss auf die Fingerknöchel. Dann wandte er sich zu Dominic um und lächelte breit.

„Endlich haben wir es geschafft, Sie aus Ihrem geliebten London loszueisen“, sagte er fröhlich.

„Finn und Kieran meinten, Sie hätten einen einzigartigen Weinkeller.“ Zum Glück hatte Dominic sich seit dem Verlassen des Bootes so weit sammeln können, dass er in der Lage war, das, was er in seinem Sprechunterricht gelernt hatte, umzusetzen und mehr wie ein Gentleman zu klingen.

„Und Sie planen, ihn zu leeren.“ Longbridge lachte in sich hinein. „Es wird andere Freuden geben, die Sie verlocken könnten.“ Er wackelte mit den Brauen.

„Das habe ich mir sagen lassen, aber mir ist mehr nach einem Whisky als sonst etwas.“

Sie setzten sich in Bewegung und gingen an Land zu einer robusten hölzernen Treppe, die die Klippe hinaufführte. Ganz männliche Besorgnis, legte Finn Tabitha die Hand auf den unteren Rücken, und Dominic hätte sich krümmen mögen.

„Gibt es vielleicht noch etwas, das Sie sich wünschen würden?“, fragte Longbridge ihn, als sie die steile Stiege erklommen.

Bei der direkten Frage runzelte Dominic die Stirn. Doch wahrscheinlich spielte Longbridge lediglich den aufmerksamen Gastgeber.

„London hinter mir zu lassen, ist alles, was ich will.“

„Die Stadt liegt in weiter Ferne“, erwiderte Longbridge großartig. „Hier, auf Creag Uaine, sind wir frei zu tun, was wir wollen, wann wir es wollen. Vertrauter zu werden, mit wem wir wollen.“

Dominic war auf einer Reihe von Longbridges Partys zu Gast gewesen und hatte gesehen, wie eifrig die Gäste dort mit möglichst vielen anderen Gästen vertraut wurden. Er selbst hatte, nachdem er Willa begegnet war, nichts mehr übrig gehabt für derart ungezügelte und flüchtige Aktivitäten und auch jetzt keinen Appetit darauf.

„Brillant“, zwang er sich trotzdem zu antworten, ganz so, als würde nicht allein schon die Vorstellung ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Sie nahmen die letzte Stufe, dann standen sie auf der Klippe. Dominic war der Einzige in der Runde, die Lakaien eingeschlossen, der nicht außer Atem war. Es fiel ihm schwer, seinen Stolz darauf nicht zu zeigen.

Ein gekiester Weg führte von der Treppe zum Haupteingang. Dominic pfiff anerkennend. Nun, da er das Gebäude aus der Nähe sah, fiel ihm auf, dass es groß, aber nicht protzig war und sich harmonisch in die raue Landschaft der Umgebung einfügte. Anbauten erstreckten sich in mehrere Richtungen und zeigten, dass das Haus im Lauf der Jahrhunderte vergrößert worden war und eine malerische Baufälligkeit entwickelt hatte. Ganz offensichtlich war der Herrensitz nicht dazu gedacht, Reichtum und Macht seiner Besitzer auszustellen wie sonst bei den Residenzen der Elite. Er diente als ein Heim, mit Mängeln und kleinen Fehlern.

Als er Dominic pfeifen hörte, strahlte Longbridge. „Mir gefällt der alte Kasten ebenfalls. Er ist ein Erbteil mütterlicherseits. Der Legende zufolge diente er anfangs dazu, englische Eroberungsversuche von der See her zu vereiteln, und angeblich verrotten vor der Küste die Wracks etlicher englischer Schiffe. Wenn Ebbe ist, kann man sie sogar sehen.“

Finn grinste. „Ich wette, es gibt dort mengenweise Gespenster.“

„Die Zahl der Toten übertrifft bei weitem die der Lebenden“, erwiderte Longbridge fröhlich. „Es würde Stunden dauern, sie alle aufzuzählen. An Geistergeschichten mangelt es nicht.“

„Wie faszinierend.“ Wissbegier stand in Tabithas Gesicht. Sie klopfte auf ihr Retikül und zog ein Notizbuch und einen Stift daraus hervor. „Ich würde Ihnen und Ihrer Dienerschaft liebend gern ein paar Fragen zur Entwicklung dieser Geschichten stellen und vor allem zu den philosophischen Weiterungen, die damit einhergehen, einem Ort eine Art Bewusstsein zu verleihen.“

Longbridge blinzelte. „Nun …“

„Später, Schatz“, schaltete Finn sich liebevoll ein und zog seine Frau mit sich in Richtung des Hauses. „Erst einmal lass uns Schutz vor dem Wind suchen, ins Haus gehen und uns mit etwas Wein stärken. Anschließend können wir so viel philosophische Implikationen erörtern, wie du nur möchtest.“

Als habe er Finns Worte gehört, frischte der Wind tatsächlich auf, so stark, dass Dominic und er die Hüte festhalten mussten und Tabithas Röcke und Longbridges Mantel flatterten.

„Stürme kommen in dieser Gegend rasch und ohne Vorwarnung auf“, versuchte Longbridge sich über den pfeifenden Wind hinweg verständlich zu machen. „Aber drinnen haben wir alles, was es braucht, um sich aufzuwärmen.“

Er deutetet zum Eingang, und sie gingen unter dem gewölbten Türsturz hindurch, der in der Tat aussah, als könne er einen Trupp englischer Soldaten aufhalten. Sie betraten die weitläufige Eingangshalle, und Dominics Blick glitt über die Holzvertäfelung an den Wänden und die zahlreichen Waffen, die dort aufgehängt waren.

„Dies sind Mr. Brown und Mrs. Murray.“ Longbridge wies auf einen hageren Mann in dunkler, strenger Kleidung und eine untersetzte rotwangige Frau mit Schürze und einem Schlüsselring am Gürtel. „Der Butler und die Haushälterin. Was immer Sie wünschen, sobald Sie sich an einen der beiden wenden, werden Sie es erhalten. Ohne dass Fragen gestellt werden. Ist es nicht so, Mrs. Murray?“

„Sofern alle guten Willens sind“, erwiderte die Haushälterin mit bezauberndem Akzent.

Wie als Antwort auf Mrs. Murrays Worte war aus einem angrenzenden Raum ein lautes Krachen zu hören, gefolgt von brüllendem Gelächter. Natürlich – die Party hatte schon vor einer Woche begonnen.

„Ich kümmere mich darum.“ Mr. Brown verbeugte sich.

„Und ich bin sicher, dass gefegt werden muss“, setzte Mrs. Murray hinzu. „Anschließend zeige ich Ihnen Ihre Zimmer.“

Die Haushälterin knickste und folgte dem Butler. Unterdessen brachten die Lakaien das Gepäck nach oben. Zwei von ihnen kamen auf Dominic zu, den Blick erwartungsvoll auf seine Reisetaschen gerichtet. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den beiden seine Habseligkeiten anzuvertrauen. Jeder von ihnen nahm eine Tasche, dann erklommen sie die breite Treppe mit dem kunstvoll gedrechselten Handlauf.

„Kommen Sie“, rief Longbridge munter. „Ich habe Hot Toddies und eine Auswahl von Knabbereien bringen lassen, damit Sie sich nach der langen Reise stärken können. Hier entlang.“

Ihr Gastgeber warf Finn und Tabitha einen beziehungsreichen Blick zu. Finn verzog keine Miene, doch Tabitha nickte Longbridge unmerklich zu.

Eine merkwürdige Anspannung ergriff Besitz von Dominic. Was in Dreiteufelsnamen ging hier vor?

Doch als Longbridge ihnen bedeutete, ihm zu folgen, schüttelte Dominic den Kopf. Sicher bildete er sich nur etwas ein. Celeste sagte auch immer, dass er Gefahren sah, wo keine waren. Hier verhielt es sich wahrscheinlich genauso. Er schwang die Fäuste wegen Schatten.

Sie betraten einen vollkommen normalen Salon, der ebenfalls mit Holz vertäfelt und mit Sofas und Sesseln möbliert war. Im Kamin brannte ein munteres Feuer, und auf dem Tisch in der Mitte stand ein Tablett mit den versprochenen Hot Toddies und außerdem Gebäck und Sandwichs.

Dominic trat an den Tisch, nahm sich einen der dampfenden Becher und hob ihn an die Lippen.

Im selben Moment ging die Tür an der Wand gegenüber auf, und eine Frau erschien auf der Schwelle, die sich über die Schulter mit jemandem hinter ihr unterhielt.

„Warum soll ich in den Salon kommen?“, sagte sie ungeduldig. „Ich war gerade dabei, Mrs. McDaniel zu zeigen, wie man beim Billard schummelt.“

Die Frau hielt mit einem Ruck inne, und Dominic ließ seinen Hot Toddy fallen. Die brühend heiße Flüssigkeit lief ihm über die Hand und die Kleidung. Den Blick starr auf die Frau gerichtet, schien er es nicht zu bemerken.

Sie hatte dichte Brauen, ein rundes, elfenhaftes Gesicht und dunkle, durchdringende Augen, und während sie Dominic anstarrte, ging eine Energie von ihr aus, die mehr und mehr einem drohenden Unwetter glich.

„Verdammter Mist“, murmelte sie unterdrückt.

2. KAPITEL

Willa starrte Dominic fassungslos an. Er hier? Das konnte nicht sein. Es konnte einfach nicht sein, dass er hier aufkreuzte, als wäre er eine x-beliebige normale Person, die kam und ging wie jeder andere. Denn er war nicht jeder andere. Er war der Mann, der ihr Herz in seine riesigen Hände genommen und es zu Brei zerquetscht hatte, um sie anschließend zu verlassen und der Lächerlichkeit preiszugeben, während sie die Überbleibsel zu einer Art funktionierendem Organ zusammengekratzt hatte.

Doch da stand er, leibhaftig, in Oliver Longbridges Salon, und gaffte sie an, als wäre sie ein Schreckgespenst aus seiner Vergangenheit.

Er machte den Mund auf und schloss ihn wieder, schien etwas sagen zu wollen, brachte aber kein Wort über die Lippen, nur einen merkwürdigen, animalisch klingenden Laut. Sein normalerweise gebräunter Teint war aschfahl, die Narbe an seinem Kinn weiß, und sein kräftiger Brustkorb hob und senkte sich, als falle ihm das Atmen schwer. Seine Züge wirkten hagerer, als sie sie in Erinnerung hatte, doch seine Lippen waren noch genauso voll wie immer, seine Augen immer noch graublau wie ein stürmischer Himmel, und seine Anziehungskraft glich noch immer der einer wettergegerbten Gebirgslandschaft. Dennoch war er Dominic, bis hin zu dem Höcker auf seinem Nasenrücken, der bezeugte, dass er sich die Nase gebrochen hatte. Mehr als einmal.

Die vielen Male, da sie sich ein Wiedersehen mit ihm ausgemalt hatte, hatte sie immer gehofft, dass ihre erste Reaktion Zorn sein würde. Zorn war sauber. Er war rein und hatte ein Ziel.

Stattdessen wallte Sehnsucht in ihr auf. Ein fast greifbares Verlangen, das durch sie hindurchfegte wie ein Sturm, das sie drängte, zu ihm zu laufen, die Arme um ihn zu schlingen und die Wärme seines Körpers an ihrem zu spüren; zu spüren, wie die Kälte von ihr wich, die sie seit jenem Tag im Mai befallen hatte.

Dem Tag, da er sie vor dem Altar sitzen gelassen hatte.

Aha, da meldete sich der Zorn, den sie brauchte. Schoss in ihr empor mit der Macht eines Flächenbrands.

Sie wirbelte herum, griff, was ihr gerade in die Finger kam – die Porzellanfigur einer Schäferin –, und feuerte sie gegen die Wand. Sie zerschellte in tausend Teile, und Dominic hob den Arm, um sich vor den umherfliegenden Scherben zu schützen.

„Was hast du hier zu suchen?“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Finn und Kieran haben mich überredet mitzukommen.“

Er schien erschrocken. Sonst wäre er nicht in seine Ratcliff-Mundart verfallen. Gut zu wissen, dass sie ihn genauso aus dem Gleichgewicht brachte wie er sie.

Aber Kieran und Finn, ihre Brüder, ausgerechnet die beiden Schurken, die Dominic geholfen hatten, vor der Trauung zu flüchten, die Schurken, die so schuldbewusst waren seit ihrer Rückkehr, sie hatten Dominic überredet, mitzukommen?

„Ich habe gehört, dass etwas zerborsten ist.“ Tabitha am Arm, betrat Finn den Raum. „Dann hat das Wiedersehen also stattgefunden.“

Willa musterte ihren Bruder finster, wirbelte zu Kieran herum, der die Dreistigkeit besaß, mit seiner Ehefrau Händchen zu halten, als sei er der glücklichste Mann der Welt.

„Hoffentlich war das, was in Scherben ging, nichts, woran Longbridges Herz hing“, versetzte Kieran unbekümmert.

Es war ihm eindeutig egal, dass er den Mann, dem Willa nie wieder hatte begegnen wollen, zu dieser Hausparty, auf diese Insel mitgebracht hatte.

Das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Sie saß auf einer Insel mit Dominic fest.

Im Laufschritt verließ sie den Raum, lief an allen vorbei, Dominic eingeschlossen. Ignorierte die Stimmen, die ihr nachriefen, sie solle zurückkommen. Schwere Schritte erklangen hinter ihr, doch sie schenkte ihnen keine Beachtung. Eilte den Kiesweg entlang, zu der Treppe, die zum Strand hinunterführte. Zum Pier, wo das Boot, mit dem Dominic gekommen war, noch vertäut lag.

Alles, was sie tun musste, war, zu dem Boot zu laufen, dann war sie sicher. Sie würde diesen höllischen Ort und Dominic und all das Herzeleid, das er ihr bereitet hatte, hinter sich lassen und ihren Brüdern nie, nie wieder vertrauen.

Schlitternd kam sie an der obersten Treppenstufe zum Stehen. Sie spürte ihren Herzschlag vom Magen bis in die Kehle.

Das Boot war in See gestochen.

„Warten Sie!“ Sie brüllte aus Leibeskräften, ruderte mit erhobenen Armen.

„Kehren Sie um!“, brüllte Dominic neben ihr.

Sie wirbelte zu ihm herum. „Es steht dir nicht zu, von hier fortzuwollen. Ich bin die, die sitzen gelassen wurde.“

Er sagte nichts darauf, zog nur die Brauen zusammen.

„Andererseits“, setzte sie bissig hinzu, „Sieht es dir ganz und gar ähnlich … davonzulaufen.“ Sie drehte sich wieder in Richtung des sich entfernenden Boots und versuchte es erneut. „Ahoi! Kommen Sie zurück!“

Auch Dominic versuchte das Boot zur Rückkehr zu bewegen. Sie verfügten beide über kraftvolle Stimmen. Willa erinnerte sich an einen Streit kurz vor der Hochzeit, bei dem sie einander so erbittert angeschrien hatten, dass jeder in der näheren Umgebung sich die Ohren zugehalten hatte, doch all ihrem lautstarken Flehen zum Trotz segelte das Boot von dannen. Schließlich war es nur noch ein Pünktchen am Horizont und kurz darauf ganz verschwunden.

Sie saß mit Dominic auf der Insel fest.

Der Magen schien sich ihr zu verknoten. „Es muss eine Möglichkeit geben, von diesem verdammten Felsbrocken fortzukommen“, murmelte sie erbittert.

„Longbridge“, knurrte Dominic neben ihr. „Er wird wissen, wie.“

Willa drehte sich auf dem Absatz herum und rannte zum Haus. Kurz darauf erklangen feste, energische Schritte auf dem Steinboden hinter ihr.

Sie fand Mr. Longbridge im Salon, wo er liebenswürdig mit ihren treulosen Brüdern und deren Ehefrauen plauderte, als hätte sich nicht gerade das größte Fiasko der jüngsten Zeit ereignet.

„Das Boot kommt doch morgen wieder, richtig?“, fragte sie ohne lange Vorrede.

Der Gastgeber lächelte flüchtig. „Ich fürchte, nein. In den nächsten Tagen erwarten wir Gordon nicht zurück.“

„Sondern?“, stieß sie gepresst hervor. Die Zeitspanne, die sie mit Dominic auf dieser Insel, in diesem Haus gestrandet sein würde, durfte nur sehr, sehr kurz sein.

Mr. Longbridge zuckte leichthin mit den Achseln. „Schwer zu sagen. Wir sind gut mit Vorräten eingedeckt, daher haben wir kein festes Datum ausgemacht. Aber sicher in spätestens zwei Wochen.“

Hinter sich hörte sie Dominic unterdrückt fluchen. Es hatte etwas fast Rührendes, ihn Kraftausdrücke benutzen zu hören. In der Zeit seiner Werbung um sie hatte er versucht, derbe Sprache zu vermeiden, aber hin und wieder war ihm eine Verwünschung in Cockney entschlüpft, so, als gäbe es einen Teil in ihm, der sich niemals komplett ändern würde. Es hatte ihr gefallen, dass der Mann, der ihr den Hof machte, so anders war als die Männer ihrer gesellschaftlichen Kreise. Es hatte ihr gefallen, dass er so anders war als alle Menschen, die sie kannte.

Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten. An dieser ganzen Misere waren nur Finn und Kieran schuld.

Sie stürmte auf ihre Brüder zu, die vor dem Kamin Aufstellung genommen hatten, Celeste und Tabitha an ihrer Seite. Wenigstens die beiden Frauen schienen auf der Hut zu sein, nicht aber ihre verdammten Brüder.

„Ihr habt wahrhaftig Nerven“, schäumte sie außer sich, „mir in die Augen zu sehen, als könntet ihr kein Wässerchen trüben.“

„Ich kümmere mich derweil um meine anderen Gäste.“ Im nächsten Moment war Mr. Longbridge aus dem Raum geschlüpft.

„Das war eine abgesprochene Sache“, fuhr sie hitzig fort und blickte zwischen ihren Brüdern hin und her.

„Uns beide zu überreden, hierherzukommen“, setzte Dominic angespannt hinzu.

„Was in Gottes Namen glaubtet ihr, mit eurer Täuschung zu erreichen?“ Willa maß Finn und Kieran mit einem finsteren Blick, zeigte mit dem Finger auf sie. „Mich mit dem Mann zusammenzubringen, der mich – und zwar mit eurer Hilfe, wie ich betonen darf – sitzen ließ? Dem Mann, der mich zur Lachnummer in ganz London gemacht hat? Wie zum Teufel konntet ihr das für eine gute Idee halten?“

Kieran wirkte ungewöhnlich ernst, Finns Gesichtsausdruck war düster.

„Ihr könnt nicht ernsthaft …“ Sie kniff sich in den Nasenrücken. „Ihr könnt nicht ernsthaft erwartet haben, dass es uns irgendwie wieder zusammenbringt, wenn ihr uns auf dieser Insel aufeinanderhetzt.“

Hinter sich hörte sie, dass eine Flasche entkorkt und ein Getränk eingegossen wurde. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Dominic ein Glas bis zum Rand füllte, vermutlich mit Whisky. Er leerte es in einem Zug, ehe er sich entschlossen ein weiteres eingoss. Das er fast genauso schnell austrank wie das erste.

Sie marschierte zu ihm, schnappte sich die Flasche und setzte sie umstandslos an die Lippen. Den Blick auf Dominic gerichtet, trank sie mehrere Schlucke, dann stellte sie die Flasche mit einem dumpfen Knall auf den Tisch.

Dominic blinzelte nicht einmal. Was er ohnehin so gut wie nie tat. Es war die Missachtung von Konventionen gewesen, die sie ursprünglich zusammengebracht hatte.

„Schwör mir, dass du nichts davon wusstest“, verlangte sie angespannt.

Er schüttelte den Kopf. „Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Glaubst du, ich wäre hier, wenn ich gewusst hätte, was sie planen?“

„Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht“, schoss sie hitzig zurück. „Es gab Zeiten, da glaubte ich, ich wüsste es, aber ich wurde einigermaßen aufsehenerregend eines Besseren belehrt.“

Seine Kieferpartie spannte sich an. Für einen Moment starrte er sie an, und der Blick seiner gewitterhimmelfarbenen Augen verfing sich mit ihrem. Ein irritierendes Knistern tanzte an ihrem Rückgrat herunter und in ihren Unterleib. Einen Mangel an Attraktion hatte es zwischen ihnen nie gegeben. Selbst jetzt, da sie ihn mit aller Macht hasste, übte seine Ausstrahlung urtümlicher Männlichkeit eine unwiderstehliche Wirkung auf sie aus, rief betörende Vorstellungen in ihr hervor von dem, was zwischen ihnen möglich sein würde, wenn sie sich je völlig gehen ließen.

Als er ihr den Hof gemacht hatte und nach der offiziellen Verlobung hatten sie ein paar Küsse getauscht, ein paar Zärtlichkeiten, bei denen klar geworden war, dass die Leidenschaft zwischen ihnen explodieren konnte. Dennoch hatte Dominic stets darauf geachtet, ihren Ruf zu schützen. Sehr zu ihrem Unmut.

Was sie jetzt nicht wollte, nie wieder wollte, war, etwas anderes für ihn zu fühlen als Zorn. Sie würde die Hitze, die in ihr aufflammte, wann immer er in Reichweite war, ignorieren. Es war nichts als eine unbefriedigte Begierde. Und natürlich verlangte es sie nach etwas, nach dem es sie nicht verlangen sollte und durfte.

„Was genau hattet ihr geplant?“ Sie drehte sich zu ihren Brüdern um. „Wenn nicht mich zu verkuppeln?“

Celeste sog scharf den Atem ein, und Tabithas Hand flog zu ihrer Kehle. Auf Kierans Wangen erschienen hektische Flecke, und während Finn unbeteiligt zu wirken versuchte, verrieten ihn seine nervös zuckenden Hände. Das passierte ihm bei niemandem außer ihr, und sie fühlte sich an die Zeiten erinnert, als er, der ältere Bruder, auf sie aufgepasst hatte, damit sie nicht von der Brüstung stürzte, auf die sie unbedingt hatte klettern müssen.

„Verkuppeln ist ein brutales Wort, Willa“, sagte Kieran leise.

„Und wohlverdient“, schnauzte sie zurück.

Kieran atmete tief ein. „Dominic und du, ihr habt seit dem Abend vor der Hochzeit nicht mehr miteinander gesprochen.“

„Es erschien mir zwecklos“, erwiderte Dominic schulterzuckend.

„Leider geht es seitdem unaufhaltsam bergab mit euch beiden“, schaltete Finn sich ein. „Und wir, Kieran und ich, glauben, dass ihr beide miteinander reden müsst, wenn es eine Hoffnung auf Besserung geben soll.“

„Du willst behaupten, es gehe nicht darum, dass ich dem Mann, der mich vor ganz London blamiert hat, vergebe?“ Willas Brustkorb hob und senkte sich unter ihren erregten Atemzügen. „Oder euch, nicht nur weil ihr beteiligt wart, sondern auch dafür, dass ihr mich überredet habt, mit hierherzukommen?“

„Ihr seid beide unsagbar dickköpfig“, schaltete Kieran sich ein. „Und wenn wir nicht dafür sorgen, dass ihr miteinander sprecht, besteht keine Hoffnung, dass ihr je weiterkommt.“

„Grundgütiger.“ Komplett angewidert von der Situation, warf Willa die Arme in die Luft. „Ich hatte mich gerade damit arrangiert, wieder mit euch zu sprechen, aber nun, da ihr mich abermals verraten habt, wäre es ein Wunder, wenn wir jemals noch ein Wort miteinander wechseln.“

Sie verengte die Augen. „Oder geht es um das Ultimatum, das die Eltern euch gestellt haben? Aber ja, selbstverständlich weiß ich davon“, setzte sie schnaubend hinzu, als die Augen ihrer Brüder sich überrascht weiteten, „Dominic und ihr findet entweder innerhalb eines Jahres eine respektable Braut, oder ihr erhaltet keinen Penny mehr. Zwei von euch sind verheiratet, mit Frauen, die etwas Besseres verdient hätten, wie ich betonen möchte, doch dass Dominic noch Junggeselle ist, gefährdet eure Einkünfte. Zumal das Jahr fast um ist.“

„Wie kannst du nur glauben, Willa, dass wir dein Glück für Geld aufs Spiel setzen würden.“ Finn besaß die Frechheit, beleidigt zu klingen.

„Wenn du um mein Glück besorgt gewesen wärst“, schoss sie wütend zurück, „hättest du meinem Bräutigam nicht geholfen, kurz vor der Trauung zu flüchten. Und mich nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierhergelockt.“

Kieran machte den Mund auf, wahrscheinlich um sein und Finns Verhalten zu rechtfertigen, doch Dominic war schneller.

„Das reicht“, verkündete er mit tiefer, weit tragender Stimme. „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wir stecken für die nächste Zeit auf dieser Insel fest. Das Beste, was wir tun können, ist, einander aus dem Weg zu gehen, bis das nächste Boot anlegt.“

„Dazu ist die Insel zu klein, Dominic“, entgegnete sie kühl. „Sich aus dem Weg zu gehen, dürfte sich als Herausforderung erweisen.“

„Seit wann weichst du vor einer Herausforderung zurück, Prinzessin?“ Seine Stimme war tief und leise, sodass nur sie sie hören konnte, genau wie früher, wenn er sie seiner Unterstützung versichert hatte, wann immer ihr eingefallen war, etwas Kühnes zu tun. Einmal im Sommer hatten sie die Ausstellung der Royal Academy besucht, und sie war so aufgebracht gewesen über die vielen weiblichen Akte und die wenigen Gemälde von entkleideten Männern, dass sie Dominic geschworen hatte, die Akademie wissen zu lassen, was sie von ihrer himmelschreienden Doppelmoral hielt.

„Jawohl, Prinzessin, lass es sie wissen“, hatte er ihr zugeflüstert. „Es ist höchste Zeit, dass sie es erfahren, und wer sonst sollte sie zur Verantwortung ziehen als Ihre Königliche Hoheit?“

Zum Entsetzen ihrer ebenfalls anwesenden Eltern hatte sie in der Mitte der Ausstellungshalle Aufstellung genommen, laut zu klatschen begonnen und dazu mit schallender Stimme gerufen: „Bravo, meine Herren. Männer im Krieg und nackte Frauen. Ihre Vorstellungskraft ist offenbar genauso begrenzt wie Ihr Talent.“

Eine entsetzte Stille war eingetreten. Nur Dominic hatte sich zwei Finger in den Mund gesteckt und gepfiffen. Gellend laut.

Das hatte sie an ihm bewundert, dass er so forsch war, stets bereit, denen da oben zu zeigen, dass er, auch wenn er sich in ihren Kreisen bewegte, nicht den Wunsch hatte, einer der ihren zu sein. Was diesen Punkt anging, war er perfekt für sie.

Jetzt seine Ermunterung zu hören, trieb ihr die Tränen in die Augen. Als … sehne sie sich nach Unterstützung. Nicht irgendjemandes, sondern seiner.

Sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können. Nichts von dem, was er ihr geben konnte, wollte sie haben.

„Fabelhaft“, sagte sie so eisig, wie sie nur konnte. „Dann sind wir uns wenigstens darüber einig, dass wir, solange es irgend geht, vermeiden, einander nahe zu kommen. Gleichgültig, was meinen Brüdern vorschwebt, wir brauchen keine einzige Silbe miteinander zu wechseln.“

Er nickte, und bei der knappen Kopfbewegung wurde ihr das Herz schwer. Erst da begriff sie, wie sehr ein Teil von ihr gehofft hatte, dass er um sie kämpfen würde. Stattdessen lief er, genau wie schon einmal, vor ihr davon.

3. KAPITEL

Dominic war nie Soldat gewesen, doch in den Tavernen und auf den Docks hatte er so manche Geschichte über die Schrecken des Krieges gehört. Von Männern, die bei Explosionen oder durch Schwertstreiche Verwundungen an lebenswichtigen Organen davongetragen und elend lange gelitten hatten, ehe sie gestorben waren.

Jetzt wusste er, dass man zusehen konnte, wie einem das Herz aus der Brust gerissen wurde. Und dass man trotzdem weiterlaufen und weiteratmen konnte und, am allerschlimmsten, weiter fühlte.

Celeste und Tabitha drängten sich um Willa, die mit steifen Schultern dastand, und boten ihr Trost und ein mitfühlendes Ohr.

Im tiefsten Innern hatte Dominic sich an die Hoffnung geklammert, dass seine ehemalige Verlobte ihn nicht ganz und gar verachtete oder ihm – was erst recht unrealistisch war – verziehen hatte.

Doch er war ihrer Vergebung nicht wert. In der Vergangenheit nicht und auch nicht in der Zukunft, und diesen qualvollen Schmerz zu ertragen, der ihn eigentlich hätte umbringen sollen, war genau das, was er verdiente.

Finn und Kieran kamen auf ihn zu.

„Gut, dass ihr vorsichtig seid, wenn ihr mir nahe kommt“, murmelte er bissig. „Ich bin fast fünfzehn Kilo schwerer als du, Kieran, und einen halben Kopf größer als Finn, die Bohnenstange.“

„Und wir haben gegen dich geboxt.“ Kieran betastete seinen Kiefer. „Dein rechter Aufwärtshaken hat mich damals fast ins zwanzigste Jahrhundert katapultiert.“

Dominic beachtete die beiden nicht weiter und verließ den Salon. Aus der Eingangshalle kam eine Gruppe Gäste, die sich untereinander eine Kugel zuwarfen, während sie durch den Korridor tollten.

„Das war ziemlich dumm von euch“, rief er Finn und Kieran, die ihm folgten, über die Schulter zu.

Die beiden Brüder tauschten einen Blick, wie es Geschwister, die einander nahestanden, zu tun pflegten, wenn sie sich wortlos verständigen wollten.

„Wir sind überzeugt, dass es klappen könnte“, verteidigte Finn sich stirnrunzelnd. „Es war nicht unsere Absicht, dich zu verletzen.“

„Ihr habt sie verletzt“, antwortete Dominic kurz angebunden.

Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Kugel auf ihn zu sauste. Er fing sie mitten in der Luft, ehe sie ihn treffen konnte, und warf sie zurück. Einer der Gentlemen fing sie, wankte unter der Wucht des Wurfs. Lachend und rufend setzten er und seine Kumpane ihren Weg fort.

Wieder ging die Salontür auf, und Willa erschien im Korridor. Eine Dame, die zu der ausgelassenen Gruppe gehörte, stieß mit ihr zusammen und kam schlitternd zum Stehen. Vorsichtig schob die Frau sich an der verärgert wirkenden Willa vorbei.

Deren Blick fiel auf Dominic, und helle Wut flammte in ihren Augen auf. Sie verschränkte schützend die Arme vor der Brust und reckte das Kinn.

Gut so. Es war besser für sie, so befand er im Stillen, zornig auf ihn zu sein als untröstlich. Er kannte sie nur als kraftvoll und entschlossen, und zu sehen, dass er sie todunglücklich gemacht hatte, hätte seinen Selbsthass nur verstärkt.

„Vielleicht ist es eine Gelegenheit“, sagte Kieran in seine Gedanken hinein, „die Lösung zu finden, die ihr beide zu brauchen scheint.“

„Tabitha und ich haben festgestellt“, setzte Finn zögernd hinzu, „dass, wenn wir miteinander reden …“

Dominic lachte hart und bellend. Willa warf ihm einen strafenden Blick zu und ging davon. Selbst wenn sie keine Wut empfand, war sie nicht die Art Frau, die anmutig von hier nach da schwebte. Direktheit und Gradlinigkeit waren ihr wichtiger, als zu wirken wie eine Blüte im Sommerwind.

Sie ging sehr aufrecht, und ihre schwingenden Hüften zogen seine Aufmerksamkeit auf ihre kurvige Gestalt. Während der Brautwerbung hatte er sich nicht mehr gestattet, als diese Kurven flüchtig zu streicheln. Grundgütiger, wie sehr er mehr gewollt hatte! Wie gern er ihr üppiges Hinterteil gepackt und sie an sich gepresst hätte, weil er, wann immer er ihr nahe gekommen war, eine Erektion gehabt hatte und kaum in der Lage gewesen war, sein Verlangen nach diesem Hurrikan von einer Frau, die so ganz anders war als alle Menschen, die er kannte, zu unterdrücken.

Doch er hatte sich die Freiheit nicht genommen. Denn obwohl seine Familie zu den Neureichen zählte, war er ein Hafenarbeiter und sie die Tochter eines Earls, die immer weit über ihm stehen würde.

Es hatte ihn nicht davon abgehalten, sie zu begehren. Und was das Schlimmste war, er begehrte sie immer noch, auch wenn er nicht das Recht dazu hatte.

„Dazu wird es nicht kommen“, verkündete er den Ransome-Brüdern barsch.

Finn holte Luft. „Aber …“

„Lass es ab“, schnauzte Dominic ihn an. „Sonst werfe ich euch beide von der Klippe.“

„Wir wollen doch nur dein Bestes.“ Kieran setzte sein bewährtes gewinnendes Lächeln auf.

„Jemandes Bestes wollen ist wie Handschuhkraut. Es soll heilen, aber zu viel davon ist Gift.“

Die Ransome-Brüder erwiderten nichts darauf. „Und ich hoffe“, fuhr Dominic ungehalten fort, „euer Schweigen bedeutet, dass ihr euch Gedanken darüber macht, wie ihr euch bei eurer Schwester entschuldigt und wiedergutmacht, was ihr angerichtet habt.“

„Das Gleiche gilt auch für dich“, bemerkte Finn trocken.

Dominic starrte ihn wortlos an. Es gab für ihn keine Möglichkeit, wiedergutzumachen, was er Willa angetan hatte. Nicht in diesem Leben und auch nicht im nächsten.

„Entschuldigen Sie, Mr. Kilburn.“ Mrs. Murray erschien neben ihm. „Ich kann Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen, wenn Sie mir bitte folgen möchten.“

Ohne die Brüder noch eines Blickes zu würdigen, folgte Dominic der Haushälterin die breite Treppe hinauf. Sein Blick fiel auf den schimmernden Handlauf, dessen Glanz sich Berührung von Generationen von Benutzern verdankte, aber auch der Arbeit ebenso vieler Bediensteter, die ihn poliert hatten.

„Hier entlang bitte“, sagte Mrs. Murray freundlich, als sie das Treppenpodest erreicht hatten. Sie deutete zu einem der langen, holzvertäfelten Korridore.

Sie folgten dem Gang, kamen an anderen Zimmern vorbei, die bereits belegt waren, wenn man nach den persönlichen Gegenständen auf den Frisiertischen ging.

„Dies ist Miss Steeles Zimmer“, mit dem Kinn deutete die Haushälterin in die entsprechende Richtung, „gegenüber liegt das von Mr. Cransley, und Mrs. McDaniel bewohnt diesen Raum.“

„Unverheiratete Gäste im gleichen Flügel?“ Dominic runzelte die Stirn.

Mrs. Murray lachte in sich hinein. „Hier auf der Insel bevorzugt Mr. Longbridge eine informelle Atmosphäre.“

„Nicht überraschend“, murmelte Dominic vor sich hin. Er hätte damit rechnen sollen, zumal der Gastgeber in dem Ruf stand, ein Libertin zu sein.

Vor einer halb offenen Tür hielt Mrs. Murray an und deutete in den Raum. „Dies ist Ihr Zimmer, Mr. Kilburn.“

Dominic ließ den Blick über die schweren, maskulin wirkenden Möbel gleiten, die mindestens ein Jahrhundert alt sein mussten und gut erhalten wirkten. Sein Gepäck stand schon da, und ein Lakai war dabei, seine Sachen auszupacken. 

„Ich habe hier ein Kleid, das gebügelt werden müsste, Mrs. Murray.“ Willa trat aus dem Zimmer neben Dominics, ein grünes Kleid über dem Arm, das Dominic immer gemocht hatte, weil sie darin aussah wie eine Elfenkönigin.

Autor

Eva Leigh
Wenn Eva Leigh nicht an einer ihrer packenden Romances schreibt, in denen sie die Zeit des Regency lebendig werden lässt, widmet sie sich ihren Hobbys: Sie liebt es zu backen, zu viel Zeit im Internet zu verbringen und Musik aus den 80ern zu hören. Zusammen mit ihrem Ehemann lebt Eva...
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