Plötzlich Vaterfreuden

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Was für ein unangenehmer Auftrag! Inkognito soll Charles Fraser zu Rose reisen, um ihr Lucas wegzunehmen, ihren über alles geliebten Sohn. Als Charles ihr aber zum ersten Mal gegenübersteht, merkt er: Er kann seine Aufgabe unmöglich erfüllen, denn Rose und ihr Kleiner sind einfach bezaubernd - mit ihnen ist alles Glück! Bis Rose von seinem unheilvollen Auftrag erfährt. Denn da wendet sich das Blatt …


  • Erscheinungstag 12.02.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776060
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Charles Fraser blieb verwundert im großen, dunklen Foyer der Familienvilla in Connecticut stehen, als er das Licht im Arbeitszimmer seines Vaters sah.

Es war seltsam, dass Hilton zu dieser späten Stunde noch wach war, denn an Wochentagen pflegte er sich bereits um elf Uhr zurückzuziehen.

Zweifellos wurde Charles zu einer Unterredung erwartet, der er sich nicht entziehen konnte. Er war gleich nach dem Collegeabschluss in den Familienbetrieb, eine Werbeagentur in Manhattan, eingetreten und hatte sich somit zu verantworten, bis sein Vater in den Ruhestand trat. Seufzend strich er sich über den zerknitterten Seidenanzug und durch das zerzauste Haar, bevor er die Höhle des Löwen betrat.

Hilton thronte an seinem Schreibtisch aus Mahagoniholz. Er war gepflegt, fit, breitschultrig und trotz seiner achtundfünfzig Jahre noch immer ein gut aussehender Mann mit dichtem, grau meliertem Haarschopf. Der sanfte Schein der Schreibtischlampe kaschierte die Spuren des Alters auf seinem Gesicht, nicht aber das Blitzen der stechenden braunen Augen.

Charles schlenderte lässig zum Schreibtisch und ließ dabei durchblicken, dass diese Unterredung seines Erachtens bis zum Frühstück hätte warten können. „Vater?“

„Mein Sohn …“ Hiltons Gesicht verkrampfte sich.

Charles’ Unbehagen wuchs. Seit dem Tod seines Bruders Dean hatte er nie wieder erlebt, dass sein stahlharter, nüchterner Vater mit derart heftigen Gefühlen kämpfte. In einer unbewusst abwehrenden Geste verschränkte er die Arme vor der Brust. Ganz der Sohn seines Vaters, hegte auch er wenig Interesse an Gefühlsausbrüchen.

Nach einem angespannten Schweigen räusperte Hilton sich und blickte geflissentlich auf seine gefalteten Hände. „Nun ist es mir doch noch vergönnt, Großvater zu sein“, sprudelte Hilton schroff hervor.

Wer? Wann? durchfuhr es Charles. Mit klopfendem Herzen rechnete er im Geiste nach. Es war Ende Mai. Suzette im vergangenen Herbst? Oder Trish zu Neujahr? Seit der Trennung von ihr hatte er keine intime Beziehung mehr unterhalten.

Hilton hielt den Blick gesenkt und blinzelte hastig Tränen fort.

Es war ein Déjà-vu-Erlebnis. Wie in jener Nacht, als Charles in dieses Zimmer beordert und über Deans Unfall aufgeklärt worden war. Hilton hatte sich mühsam beherrscht und seinen Kummer in Bourbon ertränkt. Doch in dieser Nacht gab es keinen Grund, Gefühle zu betäuben. Es handelte sich um eine gute Nachricht für den alten Herrn. Ein unmöglicher Traum war Wirklichkeit geworden.

Charles kochte vor Zorn. Wer hatte ihm diesen gemeinen Streich gespielt und sich in einer derart persönlichen Angelegenheit bei seinem Vater ausgeweint? Gewiss keine Person, die er wiederzusehen gedachte – geschweige denn zu heiraten, wie zweifellos von ihm erwartet wurde.

Ein Anflug von Belustigung ließ Hiltons feuchte Augen funkeln. „Es ist nicht so, wie du denkst. Es hat nichts mit dir zu tun.“

Erleichterung durchströmte Charles. „Aber worauf willst du dann hinaus? Ich bin schließlich dein einziges Kind.“

„Dean …“ Hilton fiel es immer noch schwer, den Namen auszusprechen. „Dean und dieses … Mädchen.“

„Seine Frau?“

„Ja, verdammt! Sie hat kurz vor Deans Unfall ein Kind zur Welt gebracht. Einen Sohn!“ Hilton schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Wie kann sie es wagen, mich nicht zu unterrichten? Mich!“

Wie in der Tat? fragte Charles sich zynisch. Wusste diese Frau denn nicht, dass sie es mit Hilton Fraser zu tun hatte, dem Schöpfer von Fraser Advertising, der tagtäglich Tausende von Dollar mit seinen cleveren Werbekampagnen bewegte?

„Unsere nächste Generation ist bereits auf dieser Welt, atmet unsere Luft, hat Fraserblut in den Adern! Ich spüre förmlich seine Gegenwart.“

Gelassen blickte Charles sich in dem großen, von Antiquitäten gefüllten Raum um, so als erwartete er, das Kind würde hinter einem Sessel oder einem Bücherregal auftauchen.

„Ein echter männlicher Erbe!“ Hilton erschauerte in übermächtiger freudiger Erregung.

Charles atmete tief durch. Ein Erbe, der den Namen, den Besitz weiterführen konnte, entlastete ihn vielleicht von dem Druck, zu heiraten und Nachwuchs zu produzieren. Vielleicht. Denn Hiltons Beziehung zu seiner Schwiegertochter ging über Feindseligkeit hinaus, war praktisch nicht existent. „Bist du wirklich sicher, Dad? Wie hast du überhaupt davon erfahren?“

Er schob einen Zeitungsausschnitt über den Schreibtisch. „Das ist heute mit der Morgenpost gekommen. Ich habe es von den Anwälten überprüfen lassen. Es erscheint seit zwei Tagen in der New York Times.“

Charles nahm den Ausschnitt und las die rot umrandete Annonce.

Gesucht: Vaterfigur. Witwe braucht schwungvollen Mentor für fünfjährigen Sohn. Ferienjob. Student bevorzugt. Bezahlung bescheiden. Kost und Logis auf Wunsch. Rose verlangen unter 555-5276

Rose … Er hatte den Namen schon lange nicht mehr gehört und wusste nicht viel von ihr. Zum Glück war er nicht zu Hause, sondern im College gewesen, als sich der Skandal ereignet hatte. Sein großer Bruder Dean hatte bei einer Kunstausstellung in Soho eine fünf Jahre jüngere Verkäuferin kennengelernt und war mit ihr wenige Monate später nach Las Vegas durchgebrannt.

Hilton hatte getobt und gedroht, seinem Ältesten alles zu nehmen – die Vizepräsidentschaft in der Agentur, die Unterkunft in der Villa, den Anteil am Vermögen. All das, um ihn zur Vernunft zu bringen und die Ehe annullieren zu lassen. Seine spontane und heftige Missbilligung hatte Charles immer verwundert, aber bei einem mächtigen Mann wie ihm blieben viele Geheimnisse ungeklärt. Jedenfalls hatte Dean auf das Vermögen verzichtet und der Familie den Rücken gekehrt.

Hilton hatte ihn völlig ignoriert, bis er sechs Jahre später von dessen Tod bei einem Flugzeugunglück erfuhr. Ohne sich auch nur im Geringsten um Rose zu kümmern, hatte er seinen eigenen Gedenkgottesdienst abgehalten. Er hatte sich gegen einen Angriff von ihr auf sein Bankkonto gewappnet. Sie hatte jedoch keinerlei Anspruch erhoben und nicht einmal Kontakt aufgenommen. Zu seiner unbändigen Erleichterung waren seine Aktiva unversehrt geblieben.

Welche Ironie, dass sie seit fünf langen Jahren den wahren Schatz in Händen hielt: Hiltons Enkelsohn – das Einzige, das ihm in seinem üppigen Leben fehlte.

„Was meinst du, wer dir diesen Ausschnitt geschickt hat?“

Hilton strich mit nachdenklicher Miene über die seidenen Aufschläge seines smaragdgrünen Hausmantels. „Ein Freund der Familie hat die Annonce wahrscheinlich in der Zeitung gesehen und war der Meinung, dass ich davon erfahren sollte. Vielleicht ein alter Freund von Dean, der nicht persönlich auf der Bildfläche erscheinen wollte. Dean war immer sehr beliebt in der Schule.“

Charles lächelte vage. „Wahrscheinlich war es eher eine verflossene Freundin, die sich auf diese Weise an Rose rächen wollte.“

„Jedenfalls bin ich dankbar. Wichtig ist nur, dass ich Rose Weldon auf die Schliche gekommen bin.“ Hilton nahm einige Papiere aus einem Ordner. „Die Anwälte haben mir Informationen gefaxt. Rose und das Kind wohnen in White Plains bei ihren wilden Tanten, Daisy und Violet Weldon, bei denen sie aufgewachsen ist. Künstlertypen mit Blumennamen“, höhnte er verächtlich. „Sie haben Rose zu Freiheit und Empfindsamkeit erzogen – all dieser Unsinn der Hippies. Ich erinnere mich nur zu gut.“

„Offensichtlich hast du damals ziemlich gründliche Nachforschungen angestellt“, bemerkte Charles mit einer gewissen Überraschung.

„Natürlich. Aber letztendlich haben sie trotzdem gewonnen. Sie haben die wichtigste Person in meinem Leben zu einem Herumtreiber gemacht.“ Zorn vertiefte die Falten in Hiltons Gesicht. „Höchstwahrscheinlich sind sie bereits dabei, meinen Enkelsohn auch in einen Trottel zu verwandeln.“

Er hatte Dean stets bevorzugt und seinen zweiten Sohn lediglich als Trostpreis angesehen. Hätte Charles mit Rose über die Stränge geschlagen, hätte Hilton vermutlich ein bisschen gebrummelt und dem Himmel für seinen vernünftigen Ältesten gedankt. Dean zweimal zu verlieren, zuerst an eine unpassende Braut und dann an den Tod, hatte Hilton beinahe vernichtet. Doch nun gab sein Enkel ihm neue Hoffnung. Vermutlich war er bereit, ihm unbesehen alles zu überlassen, nur weil er ein Teil von Dean war.

Charles widmete sein ganzes Leben der Agentur und bemühte sich nach Kräften, der beste Geschäftsführer und Sohn zu sein. Hilton hatte so zufrieden, so stolz gewirkt. Bis zu dieser neuen Entdeckung. Er räusperte sich. „Ich finde, du solltest Rose nicht gleich verurteilen. Ich meine, sie sucht schließlich nach einem männlichen Rollenvorbild für den Jungen. Sie scheint bemüht zu sein, ihn maskulin zu erziehen.“

„Es ist eine Frechheit, außerhalb der Familie danach zu suchen. Was sind wir denn? Abschaum?“

Zu dieser späten Stunde und angesichts seines angekratzten Selbstwertgefühls kam Charles sich beinahe wie Abschaum vor. Er schloss die Augen und raffte seinen letzten Rest Kraft und Weisheit zusammen. „Dad, du hast diese Krise heraufbeschworen. Ihretwegen hast du Dean enterbt. Du weigerst dich sogar, sie als eine Fraser anzusehen. Was erwartest du denn von ihr? Dass sie dir gnädig ihren Sohn überlässt? Sie muss dich einfach hassen und befürchten, dass du einen sehr schlechten Einfluss auf das Kind hättest.“

Hilton umklammerte den Tintenlöscher, als würde er einen plötzlichen Muskelkrampf abwehren.

In milderem Ton fügte Charles hinzu: „Ich meine, es ist doch nur natürlich, dass sie jeden Schritt von dir als höchst gefährliche Bedrohung ansieht.“

„In gewisser Weise hat sie recht. Ich will ihr keinen vorsätzlichen Schaden zufügen, aber ich will den Jungen.“

„Was meinst du damit?“

Hiltons Augen funkelten. „Ich habe mich doch deutlich ausgedrückt.“

Charles schnappte nach Luft. „Du willst das Sorgerecht?“

„Gewiss. Das alleinige Sorgerecht. Der Junge verdient jede Möglichkeit.“

„Natürlich will ich auch, dass mein Neffe eine gute Ausbildung erhält, die ihm alle Wege öffnet. Eine junge Frau ohne Studium, die den ganzen Tag lang Bilder in irgendeiner Galerie aufhängt, kann einen Fraser kaum angemessen erziehen.“

„Vielleicht nicht. Aber jeder Anspruch, den du erhebst, könnte uns direkt vor Gericht bringen.“

Hilton lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte, so als hätte er soeben ein köstliches Mahl genossen. „Oh, ich erwarte, dort zu landen. Aber ich brauche Munition, um gewinnen zu können.“

„Und wie gedenkst du diese Munition zu bekommen?“

„Du kennst doch die Geschichte vom Trojanischen Pferd, oder? Ich brauche nur jemanden, der als Student durchgeht und diese Bruchbude infiltriert, die sie Haus nennen.“

„Ich bin zu alt, um als …“

„Du könntest ein Student sein, der gerade seinen Abschluss macht. Zum Beispiel an der Columbia University.“

„Ich bin nicht für eine derart zerstörerische Mission geeignet!“, protestierte Charles.

„Ich brauche keinen Soldaten, sondern nur einen unbestechlichen Beobachter. Betrachte es als Ausweitung deines Berufes. Werbetexter wie wir müssen immer beobachten, berechnen, Fakten sammeln. Unser Motto lautet: Unsere Öffentlichkeit kennen. Du würdest nur eine bestimmte Öffentlichkeit ansteuern.“

„Ich wäre gefangen in einem Haus von Frauen.“

„Wie es unser armer, unschuldiger Erbe momentan ist. Es ist eine tragische Ungerechtigkeit.“

„Dad, ich stimme dir im Prinzip zu. Es war sehr dumm von Dean, sein Geburtsrecht aufzugeben. Aber es muss doch eine ehrlichere Methode geben.“

„Sie hat mit diesen Heimlichkeiten angefangen, nicht ich. Man soll Feuer mit Feuer bekämpfen.“

„Und ich soll derjenige sein, der sich die Finger verbrennt!“

„Er ist dein Neffe.“ Hilton betonte jede Silbe mit einem Schlag auf den Tisch. „Du solltest es als eine Ehre betrachten, helfen zu können. Vermutlich habe ich nur eine einzige Chance, einen Mann einzuschleusen, und Rose ist bestimmt sehr heikel in der Wahl der Vaterfigur. Dieser Job erfordert Stärke und Schlauheit. Eine Frau, die Dean dazu bringen konnte, auf so viel zu verzichten, muss sehr gerissen sein.“

Das widerstrebende Kompliment an Rose belustigte Charles. Hilton war ein begeisterter Anhänger der Gerissenheit. „Natürlich will ich das Beste für den Jungen.“

„Gut.“

„Aber selbst wenn ich den Plan gutheißen würde … Ich bin kein guter Lügner. Nicht jeder hat dein Talent beim Täuschen.“

„Versuche nicht, dich durch Schmeichelei aus der Affäre zu ziehen.“

Charles hatte seine Bemerkung eigentlich nicht als Kompliment gedacht. „Du übersiehst die Tatsache, dass ich nichts von Kindern verstehe.“

„Das kann doch nicht so schwer sein. Ich bin nach dem Tod deiner Mutter auch zurechtgekommen.“

Ja, aber wie? dachte Charles. Er war sehr streng und lieblos erzogen worden. Ihm lag nicht daran, diese Methode zu wiederholen, doch er kannte keine andere. „Vor allem aber möchte ich nicht als Schwindler entlarvt werden.“

„Die ganze Sache wird nicht länger als ein paar Wochen dauern. Mit dem entsprechenden Lebenslauf und einem anderen Nachnamen kommt dir bestimmt niemand auf die Schliche. Du siehst Dean kaum ähnlich.“

„Aber dir.“

„Ich wage zu bezweifeln, dass sie sich nach all den Jahren an mich erinnern.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Außerdem haben wir sehr viel Arbeit in der Agentur.“

Hilton nagte nachdenklich an der Unterlippe. „Ich könnte natürlich auch einen Privatdetektiv anheuern.“

„Versuche nicht, meine Rivalität zu wecken. Wir wissen doch beide, dass du jemanden aus der Familie in diesem Haus haben willst.“

„Dean hätte gewollt, dass sein Sohn richtig erzogen wird.“

Charles hatte seinen Bruder sehr geliebt, trotz des Altersunterschieds von fünf Jahren und Hiltons abgöttischer Liebe zum ältesten Sohn.

„Also, spielst du mit?“

„Ich würde es gern überschlafen.“

„Dazu ist keine Zeit.“

„Also gut. Ich versuche es. Aber entkorke noch nicht den Sekt. Vielleicht bekomme ich die Stelle gar nicht.“

„Überlasse die Details ruhig mir. Ich werde schon dafür sorgen, dass du unwiderstehlich erscheinst.“

Charles wandte sich zum Gehen, hielt dann mit einer letzten Frage inne. „Hast du herausgefunden, wie der Junge heißt, Dad?“

„Lucas. Zu Ehren von Hilton Lucas Fraser.“ Er starrte auf eine Vitrine, die mit Deans Trophäen und Medaillen gefüllt war. In gerührtem Ton fügte er hinzu: „Letztendlich war er immer noch mein Sohn. Mein Stolz.“

Charles machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hinaus. Er schloss fest die Tür hinter sich und stand zitternd in dem kalten, dunklen Foyer.

Wie konnte ein Mann derart von Eitelkeit verblendet sein? Der Junge war nach seinem eigenen Vater benannt worden – Dean Lucas Fraser. Jeder in dieser verdammten Familie hieß mit zweitem Namen Lucas, einschließlich Charles. Er hoffte, dass Rose sich unfehlbar um dieses Kind kümmerte. Ihm lag nicht daran, dass der kleine Lucas ebenfalls als eine weitere Trophäe von Hilton endete.

2. KAPITEL

„Ich kann meine Tube Magenta nicht finden!“, brüllte eine herrische Stimme. „Wie soll ich Mr Pennyfoots Merkmale ohne sie darstellen?“

„Daisy!“, rief eine jüngere, hellere Stimme. „Ich erwarte einen weiteren Bewerber und wäre dir sehr dankbar, wenn du dein Werk, deine Farben und dein Objekt zurück in die Mansarde befördern könntest!“

Charles’ Finger verharrte einen Zentimeter vor der Türglocke, als der hitzige Dialog auf die leuchtend gelb gestrichene Veranda drang, auf der er stand. Blinzelnd spähte er durch die Fliegentür. Die Frau namens Daisy war groß, grobknochig und bereits in fortgeschrittenem Alter. In einem schwarzen, mit Farbklecksen übersäten Kittel stand sie mitten auf einer breiten Treppe. Ihr blondes Haar war zu einem jugendlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Objekt stand auf dem Treppenabsatz über ihr. Nur in ein Laken gehüllt, wirkte der Mann mächtig unbehaglich. Seine weißen, fleischigen Schultern konnten allerdings eine Spur Magenta gebrauchen, entschied Charles.

Die junge blonde Frau im Foyer musste Rose sein – ein kleines, wohlgeformtes Wesen mit sanfter Stimme, das offensichtlich vergeblich versuchte, sich Gehör zu verschaffen.

Charles wich ein wenig zurück, um nicht auf den ersten Blick als Lauscher zu erscheinen, obwohl er auf lange Sicht nichts anderes war.

Keine vierundzwanzig Stunden waren seit jener nächtlichen Besprechung vergangen. Er hatte an diesem Freitagmorgen lediglich drei Stunden in der Zentrale in Manhattan verbracht, bevor Hilton in sein Büro gestürmt war und zum Angriff geblasen hatte.

Charles hatte telefonisch einen Termin mit Rose vereinbart, Anzug und Krawatte gegen lässige Freizeitkleidung getauscht und sich mit dem gefälschten Lebenslauf auf den Weg gemacht.

Er betätigte die Klingel und musterte die leuchtende Fassade des Hauses. Vorsicht! Bissiger Hund, besagte ein Schild an der Brüstung.

Eine gute Idee für die vornehme Villa der Frasers, dachte er. Hilton würde zwar nie einen Hund im Haus dulden, aber das war auch nicht nötig, um das Schild zu rechtfertigen.

„Hallo.“ Ein gutgläubiger Engel mit riesigen blauen Augen, herzförmigem Gesicht und schulterlangen goldblonden Haaren öffnete die Fliegentür. Weiße Jeans und ein rosa Top umschmiegten ihre zierliche Gestalt.

Er konnte verstehen, dass sie Dean fasziniert hatte, und musste aufpassen, ihr nicht selbst zu verfallen.

„Ich bin Rose Fraser.“

„Ich bin … Charles“, stammelte er und nahm ihre schmale Hand in seine. Ihre Verletzlichkeit machte ihn nervös. Er war an den aggressiven Typ Frau gewöhnt, der sich in Vorstandssitzungen durchzusetzen verstand.

Sie entzog ihm die Hand. „Bitte, kommen Sie doch herein.“

Charles folgte ihr in ein kleines, helles Esszimmer. Die beiden Fenster standen offen und ließen eine Brise herein, die olivgrüne Gardinen blähte. Auf einem alten runden Tisch stand eine Kanne mit Limonade.

Die behagliche Atmosphäre beeindruckte ihn, bis er zu der hohen Decke aufblickte. Er setzte sich beinahe neben den Stuhl, als er die Sonnenbrille abnahm, um den monströsen Kronleuchter mit den verstaubten Kristallen näher zu betrachten.

„Limonade?“

„Ja gern.“ Er erholte sich schnell und griff instinktiv nach der schweren Kanne, um einzuschenken. Denn ihr Handgelenk sah so zerbrechlich aus, als könnte es das schwere Gefäß aus Bleiglas nicht halten. Ihr Dekolleté wirkte ebenso zart und war verziert von einer dünnen Silberkette mit einem Smaragd, der zwischen ihren hohen Brüsten ruhte, die keines Büstenhalters bedurften.

„Eine beachtliche Sehenswürdigkeit, oder?“

„Wie bitte?“ Er hob den Blick zu ihrem Gesicht.

„Der Kronleuchter. Ich glaube, meine Tanten haben ihn in Venedig ausgegraben.“

„Einzigartig.“ Genau wie du, dachte er. Es kostete ihn Mühe, das erwachte Verlangen zu unterdrücken. Sie war außergewöhnlich in ihrer Schlichtheit, ihrem sanften Wesen, ihrer natürlichen Schönheit, die keines Make-ups bedurfte. Wie hatte Hilton ein solch spontanes, heftiges Missfallen an dieser Frau finden können?

Er nahm einen Schluck Limonade und hoffte, dass sie sauer genug war, um ihn aus seiner Verzückung zu reißen. Leider war sie zuckersüß.

„Ich habe sie mit meinem Sohn Lucas im Sinn abgeschmeckt“, erklärte sie entschuldigend.

Aus Höflichkeit nahm er noch einen Schluck. „Das ist verständlich.“ Er zappelte nervös auf dem Stuhl herum, als er merkte, dass sie ihn eingehend musterte.

„Entschuldigung. Ich habe gerade gemerkt, dass Sie etwa in meinem Alter sind“, erklärte sie. „Am Telefon haben Sie gesagt, sie seien Student.“

„Beides trifft zu.“

„Nun, dann erzählen Sie mir von sich, Charles“, forderte sie ihn freundlich auf.

Er nahm den Lebenslauf aus der Tasche seiner Leinenjacke und reichte ihn ihr, um ihre forschenden Augen von sich selbst abzulenken, während er seine Lügengeschichte erzählte. Er behauptete, Student vor dem Abschlussexamen zu sein, in den Fächern Kommunikation und Geisteswissenschaften an der Columbia University.

Sie runzelte die Stirn. „Was hat Sie im Besonderen hierher geführt?“

„Ich verfasse gerade eine Studie über Kinder und ihren Bezug zur Umwelt. Einer meiner Professoren hat Ihre Annonce gesehen …“

„Mein Sohn ist kein Experiment!“, protestierte sie mit glühenden Wangen.

Er hob beschwichtigend eine Hand. „Natürlich nicht.“

Sie beruhigte sich, obwohl ihr Gesicht gerötet blieb. „Um ehrlich zu sein, habe ich an jemanden unter zwanzig gedacht, der noch einen jungenhaften Funken besitzt.“

„Ich habe noch einen Funken Leben in mir.“

Ein Anflug von Anerkennung leuchtete in ihren Augen auf, wie ein unerwartetes Wetterleuchten an einem tiefblauen Himmel. „Sind Sie bereit herumzutoben? Alle Bewerber, die sich bisher vorgestellt haben, hatten Trainingsanzüge und Turnschuhe an.“

„Wollen Sie mich wegen meines Alters und des äußeren Scheins disqualifizieren?“

„Keineswegs. Aber ich bin wählerisch. Der Job ist zwar nur vorübergehend, aber ich vermute, dass Lucas Zuneigung entwickeln wird. Ich wünsche mir, dass seine Vaterfigur aus Herzensgüte unbegrenzt mit ihm in Kontakt bleibt.“

„Ein guter Plan“, räumte Charles hastig ein. „Ich bin recht sportlich veranlagt und beabsichtige, unbegrenzte Zeit in dieser Gegend zu bleiben. Ich habe meine Studien beinahe beendet und werde in diesem Ort arbeiten.“ Er stützte einen Ellbogen auf den Tisch, beugte sich vor und stellte zufrieden fest, dass sich ihr Atem ein wenig beschleunigte. „Jüngere Männer mögen verspielter sein, aber sie sind auch unberechenbar, lassen sich leicht ablenken und haben keine Wurzeln. Ich dagegen habe Durchhaltevermögen.“

Rose musterte ihn nachdenklich, während sie ihren Herzschlag zu beruhigen suchte. Die einzig entscheidende Überlegung sollte für sie sein, ob er ein geeignetes Rollenvorbild für Lucas war. Doch wie konnte sie Charles Johnson beurteilen, wenn sie sich selbst in diesem Moment nicht kannte?

Ihre heftige Reaktion auf ihn war nicht verwunderlich. Er war unglaublich attraktiv und bewies ein unverhohlenes Interesse an … dem Stellenangebot.

Einen Altersgenossen ins Haus zu nehmen, war eine völlig neue Erwägung. Noch vor zehn Minuten hatte ihre Vorstellung von einer Vaterfigur für Lucas ganz anders ausgesehen – ein harmloser junger Mann Anfang zwanzig.

Charles hingegen war Ende zwanzig und zudem unglaublich gut aussehend. Er besaß ebenmäßige, markante Züge, scharfsinnige braune Augen und sündhaft lange Wimpern wie ihr Sohn.

Die sinnlichen Vorstellungen, die er in ihr erweckte, sprachen eindeutig gegen ihn. Aber wie sollte sie ihn loswerden? Vielleicht war es am einfachsten, ihn zu einer Absage zu bewegen. „Da sind einige Dinge, die jeder Bewerber von Anfang an wissen sollte. Ich kann nicht viel zahlen. Kost und Logis stellen den größten Anreiz dar.“

Ihr hübsches Gesicht wäre für jeden Mann der größte Anreiz, dachte er mit einem Anflug von Belustigung. „Ich bin nicht auf Geld aus. Kost und Logis reichen mir als Gegenleistung.“

Seine Bescheidenheit verwunderte sie. „Die Annonce läuft noch die ganze Woche. Ich möchte abwarten, wer sich noch bewirbt, bevor ich mich entscheide. Inzwischen werde ich die Referenzen auf Ihrer Liste prüfen. Ich würde sagen, das ist vorläufig alles“, sagte sie in abschließendem Ton.

Wie ein aufsässiger Junge blieb er sitzen. „Ich würde mein Bestes geben, Rose“, versicherte er.

Sie lachte und erklärte, als er sie verwirrt anblickte: „Entschuldigung. Sie haben mich nur gerade an meinen Sohn erinnert. Er ist auch ein charmanter Spitzbube, bis ihm irgendetwas nicht in den Kram passt.“

„Wir würden uns wahrscheinlich prächtig verstehen“, argumentierte er prompt.

„Schon möglich“, räumte sie widerstrebend ein.

„Ich sitze momentan ziemlich in der Klemme“, behauptete er. „Ich habe mir bis jetzt eine kleine Wohnung mit einem anderen Studenten geteilt. Aber er hat kürzlich geheiratet. Verständlicherweise wollen sie mich loswerden.“

„Das tut mir aber leid. Eine Unterkunft zu finden, kann in der Stadt ein großes Problem sein.“

„Sie kommen bald von der Hochzeitsreise zurück. Dann brauche ich eine neue Bleibe.“

„Dieses Haus ist mit einer Junggesellenbude nicht zu vergleichen. Manchmal geht es hier sehr hektisch zu“, warnte sie. „Ich bin sicher, dass Sie an Ihre Privatsphäre gewöhnt sind.“

„Lucas ist bestimmt alt genug, um zu verstehen, dass jeder einen gewissen Freiraum braucht.“

„Ich denke dabei auch an meine beiden Tanten, Violet und Daisy. Sie sind wahrscheinlich zu alt, um es zu verstehen oder sich zu ändern. Sie sind der Überzeugung, dass Nacktheit eine Form der Kunst ist, Vorschriften für Dummköpfe gemacht wurden und Schnüffelei zur Ausbildung eines Menschen gehört. Allein in diesem Jahr sind sie fünfzehnmal wegen Teilnahme an verschiedenen Protestaktionen verhaftet worden!“

Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Gütiger Himmel! Womöglich hatte Hilton recht. Rose mochte lieblich sein, aber inwieweit vertrat auch sie diese wilden Ideen? Ihre Augen funkelten, aber er war sich nicht sicher, ob sie ihn vergraulen oder nur vorbereiten wollte.

In jedem Fall musste er den gewählten Kurs einhalten. Verstohlen griff er sich an die Kehle, bevor ihm bewusst wurde, dass er keine Krawatte trug. „Wissen Sie, Rose, das Problem mit der Wohnung ist nicht das einzige. Im Grunde genommen bin ich einsam. Schrecklich einsam. Diese Chance, mich mit Lucas anzufreunden, an Ihrer Familie teilzuhaben, erscheint mir wie ein schicksalhafter Rettungsanker.“

Sie griff über den Tisch und tätschelte ihm die Hand. „Das habe ich schon gemerkt.“

„Wirklich?“

„Sicher. Ich fühle mich selbst gelegentlich einsam. Ich erkenne die Anzeichen.“

Wie konnte sie etwas spüren, das gar nicht zutraf? Er verspürte den Drang, die Wahrheit auszuposaunen und ihr zu versichern, wie beliebt er überall war, um den mitleidigen Ausdruck von ihrem Gesicht zu vertreiben.

„Ich sage Ihnen dann Bescheid“, verkündete sie abschließend.

Ein Bellen unterstrich ihre Worte. Charles drehte sich auf seinem Stuhl um. Ein Junge stand in der Tür, mit einem weißen Welpen auf dem Arm.

Ein einziger Blick auf das strahlende Lächeln des Jungen, das Grübchen in der linken Wange, das dunkelblonde Haar, und Charles sah im Geiste seinen Bruder vor sich.

Er umklammerte die Tischkante, als lebhafte Erinnerungen in ihm aufstiegen: An Dean, einige Jahre älter als dieser Junge, der ihm beibrachte, Fahrrad zu fahren, einen Baseball zu werfen, hinter dem Rücken des Kochs Kekse aus der Küche zu stibitzen. Ihre Mutter war damals nicht mehr am Leben gewesen, und ihr Vater hatte sich in Manhattan vergraben und Chef gespielt. Dean war sein Ein und Alles während jener prägenden Jahre gewesen.

„Wieso seid ihr schon zurück?“, fragte Rose die pummelige ältere Frau in weiter Bluse und knielanger Hose, die mit klappernden Sandalen den Raum betrat.

„Es tut mir leid. Der Hundesalon hat uns früher drangenommen.“

Der Junge streckte den Hund aus, der eine Schleife im Fell trug. „Aber sie haben ihm wieder diesen Mädchenkram angesteckt.“

„Tante Violet, ich habe dich doch gebeten, nicht zu früh zurückzukommen“, sagte Rose vorwurfsvoll.

„Ich weiß gar nicht, was dieses Theater soll“, entgegnete Violet mit schriller Stimme. Ihr üppiger Busen wackelte wie Gelatine.

„Dein Hund ist also ein Männchen“, warf Charles ein.

Lucas kicherte, als der Hund ihn mit dem Schwanz an der Nase kitzelte. „Ja. Er will wissen, wer du bist.“

„Das ist Charles“, warf Rose hastig ein.

„Bist du ein Charlie?“, hakte Lucas eifrig nach. „Mein Freund im Kindergarten ist ein Charles und ein Charlie.“

„Sicher, Charlie ist mir recht.“ Er hatte zwar einmal einen Klassenkameraden wegen der Benutzung dieses Spitznamens verdroschen, aber aus Lucas’ Munde erschien es ihm angemessen.

Autor

Leandra Logan
Schon in ihrer Kindheit hat Leandra geschrieben. Sie war überrascht, 1986 ihren ersten Jugendroman zu verkaufen. Seitdem hat sie viele Bücher veröffentlicht. Sowohl für Teenager als auch für Erwachsene. Ihre Bücher stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten von B.Dalton oder Waldenbooks und sie sind für mehrere Awards nominiert gewesen. Leandra Logan...
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