Prickelnde Enthüllungen in Mesa Falls (6-teilige Serie)

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GEFÄHRLICH SINNLICHE VERSUCHUNG
Als Medientycoon Marcus Salazar mit seinem skrupellosen Halbbruder über die Macht im Familienunternehmen verhandeln will, schickt der stattdessen seine faszinierende Stellvertreterin Lily. Eine Falle? Vom ersten Moment an, in dem Lily in ihren hochhackigen Stiefeln aus der Luxuslimousine steigt, ist Marcusʼ Verlangen geweckt. Obwohl er fürchten muss, mit einer leidenschaftlichen Affäre nicht nur den wichtigsten Deal seines Lebens, sondern auch sein Herz zu riskieren, kann er Lilys sinnlichen Reizen bald immer weniger widerstehen …

GEFÄHRLICH HEISSE RACHE
Silbergraue Augen, langes, rabenschwarzes Haar und eine Figur, die ihm den Atem raubt! Devon Salazar ist fasziniert von Regina Flores. Eigentlich hat er wichtigere Dinge zu tun, denn ein Skandal droht seine Firma zu ruinieren. Trotzdem kommt er Regina gefährlich nahe. Als sie heiße Küsse tauschen, steht Devon in Flammen. Doch die Schöne verbirgt etwas vor ihm … Um sie im Auge zu behalten, lässt er sich auf eine prickelnde Affäre mit ihr ein. Bald schon ist bei diesem gewagten Spiel sein Herz in Gefahr …

GEFÄHRLICHER FLIRT MIT DEM MILLIARDÄR
Eine Affäre mit Milliardär Weston Rivera? Dafür hat Ermittlerin April keine Zeit! Schließlich ist sie auf seiner Luxus-Ranch, um einen Skandal aufzudecken, nicht um heiß zu flirten. Doch seit der berüchtigte Abenteurer ihr auf einer Bergtour das Leben gerettet hat, fühlt April in seiner Nähe ein permanentes Kribbeln. Nur für eine Nacht will sie ihrer Sehnsucht nachgeben und sich an Westons starke Schulter schmiegen. Gefährlich, denn April weiß: Wenn sie den Fall lösen möchte, darf sie Weston nicht trauen …

KANN ES DIESMAL LIEBE SEIN?
Elena! Sofort spürt Gage Striker das alte Verlangen in sich aufsteigen, als er seiner ehemaligen Geliebten gegenübersteht. Ihr Anblick löst ein elektrisierendes Kribbeln in seinem ganzen Körper aus. Doch Journalistin Elena ist eine Gefahr für ihn und sein Herzensprojekt, die Mesa Falls Ranch. Denn Elena wittert einen Skandal. Eine Enthüllung könnte alles zerstören, was Gage sich aufgebaut hat. Kann er Elena aufhalten … und der Versuchung trotzdem widerstehen? Oder ist das, was er empfindet, tatsächlich Liebe?

PRICKELNDE STUNDEN DER LEIDENSCHAFT
„Gehen Sie nicht!“ Als sie Miles Riveras Hand auf ihrem Rücken spürt, steht Chiara in Flammen. Eigentlich ist sie nur auf der Party in Milesʼ Haus, um die Wahrheit über den Tod ihres Jugendfreundes Zach herauszufinden. Chiara glaubt, dass Miles mehr darüber weiß, als er zugibt. Aber der charismatische Unternehmer weckt ein nie gekanntes Verlangen in ihr. Obwohl sie Miles nicht traut, verbringt Chiara prickelnde Stunden der Leidenschaft mit ihm. Doch am nächsten Morgen macht sie eine schockierende Entdeckung …

WENN UNSERE LEIDENSCHAFT ERWACHT
Selbstverständlich hilft Selfmade-Millionär Desmond Pierce der schönen Nicole: Sie will herausfinden, wer der Vater ihres Neffen ist. Vielleicht jemand von seiner Ranch? Völlig unvorbereitet trifft ihn das heiße Begehren, das Nicole in ihm weckt! Weshalb er ihr einen Heiratsantrag macht, als sie zusammen das Rätsel um den Jungen gelöst haben. Desmond will sie für immer – aber zu seiner größten Verwunderung sagt Nicole Nein …


  • Erscheinungstag 18.05.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522465
  • Seitenanzahl 756
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
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Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Joanne Rock
Originaltitel: „The Rebel“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2156 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Maike Claußnitzer

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733726416

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Marcus Salazar hätte den nachmittäglichen Ausritt weitaus mehr genossen, wenn er sein Handy auf der Ranch gelassen hätte.

Nachdem er zwei Anrufe aus dem Büro ignoriert hatte, hatte er das Telefon stummgeschaltet. Dennoch ertappte er sich immer wieder dabei, einen Blick darauf zu werfen. Er konnte einfach nicht anders. Schließlich war er hier in Montana auf der Mesa Falls Ranch, um den wichtigsten Geschäftstermin seines Lebens wahrzunehmen: In dem luxuriösen Tagungshotel im Westernstil wollte er einen Deal mit seinem Halbbruder Devon aushandeln, um endlich die volle Kontrolle über Salazar Media zu haben. Ihre Gespräche konnten gar nicht früh genug beginnen.

Als sein Handy erneut vibrierte, fischte er es aus der Brusttasche seines Leinenjacketts und sah, dass Devon ihn anrief. Vielleicht war sein Bruder endlich angekommen. Marcus nahm sich vor, höflich zu sein, damit das Treffen positiv begann. Zwar waren Devon und er nicht einer Meinung, was die Zukunft von Salazar Media – und alles andere – betraf, aber es hatte keinen Sinn, jetzt alte Streitigkeiten aufzuwärmen. Er würde einfach herausfinden, wie er Devons Anteile aufkaufen konnte, und dann würden sie endlich getrennte Wege gehen. Schnell wischte er über das Display, um den Anruf anzunehmen.

„Wir können uns in zwanzig Minuten im großen Salon treffen“, sagte Marcus ohne Einleitung, dankbar, dass das brave Appaloosa-Pferd nichts dagegen zu haben schien, dass er mit etwas anderem beschäftigt war. Die Zügel hielt er ruhig in einer Hand, in der anderen das Telefon. Schon in seiner Schulzeit hatte er Reiten gelernt. „Ich bin ausgeritten, während ich auf dich gewartet habe, aber ich bin gleich wieder bei der Lodge.“

Im Licht des späten Novembernachmittags sah er schon den mit Kiefern bestandenen Hügelkamm, in dessen Schutz der Stall der Zweitausendfünfhundert-Hektar-Ranch stand. Das Gelände lag in der Nähe des Bitterroot River. Sein Vater Alonzo Salazar war oft hier gewesen und hatte mehrfach davon gesprochen, dass er einmal mit Marcus und Devon herfahren wollte.

Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte böses Blut zwischen ihren Müttern geherrscht. Deshalb hatte die gemeinsame Reise nie stattgefunden. Später waren sich die beiden Brüder selbst nicht grün gewesen. Und jetzt war es zu spät. Marcus und Devon hatten im letzten Sommer Abschied von Alonzo Salazar genommen, der seinen Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs viel zu früh verloren hatte. Ihr Vater war nicht mehr da, und nur seinetwegen waren die Brüder auch außerhalb des Familienunternehmens höflich miteinander umgegangen.

Wahrscheinlich hätten sie den Rest ihrer Verbindungen auch auflösen können, ohne herzukommen, aber sie hatten ihrem Vater etwas versprochen, als er auf dem Sterbebett gelegen hatte: Sie sollten sich auf der Ranch treffen, bevor sie getrennte Wege gingen. Noch immer verstand Marcus nicht, warum ihr Dad so entschlossen gewesen war, seine Söhne in diesen westlichen Winkel Montanas zu locken.

„Leider bin ich noch nicht da.“ Devon kämpfte gegen eine Menge Hintergrundgeräusche an. Eine Lautsprecherdurchsage. Stimmengewirr. „Ich bin immer noch auf dem Flughafen in Mumbai.“

„Mumbai?“ Marcus lehnte sich im Sattel zurück und parierte das Pferd auf dem Reitweg durch, um sich vollkommen auf das Telefonat konzentrieren zu können. „Auf der anderen Seite des Erdballs?“

Frustriert erkannte er, dass Devon frühestens morgen eintreffen würde.

„Ich hätte ja schon eher angerufen, aber man hat mir mein Handy und meinen Pass gestohlen, und der Zoll hat mich … festgehalten .“ Devon klang stinksauer. Und erschöpft.

„Hast du das Handy denn jetzt wieder?“ Verwirrt sah Marcus aufs Display und stellte fest, dass es kein normaler Anruf war. Devon hatte ihn über einen Social-Media-Messenger kontaktiert.

„Nein. Ich habe mir ein neues an einem Kiosk auf dem Flughafen gekauft.“ Devons Stimme war so heiser wie die eines Mannes, der schon seit Stunden redete. „Natürlich habe ich die Botschaft benachrichtigt, damit man mir hilft, in die Staaten zurückzukehren, aber bis dahin …“ Ein Rauschen störte den Anruf. „… bald in Montana sein.“

„Das habe ich akustisch nicht verstanden.“ Marcus trieb sein Pferd an und fragte sich, ob in diesem bewaldeten Gebiet das Funksignal schwach war. „Ich habe gerade den Deal abgeschlossen, mit dem wir die Mesa Falls Ranch als Kunden gewinnen.“ Darauf hatte er mit den Besitzern der Ranch hingearbeitet, seit ihm klar geworden war, dass die Reise hierher unvermeidlich war. Vorhin hatte ihm einer von ihnen eine mündliche Zusage erteilt. „Ich kann mir einen zusätzlichen Tag Zeit nehmen, um persönlich ihren Account zu erstellen, aber wenn du nicht binnen achtundvierzig Stunden hier bist, fliege ich zurück nach Los Angeles.“

Marcus leitete das Büro an der Westküste, Devon das in New York. Nur ihr Vater hatte eine höhere Position als sie beide in der Firma eingenommen, war als CEO aber überwiegend das Aushängeschild der Firma gewesen.

„Nicht nötig. Ich …“ Devons Stimme brach ab, als die Verbindung wieder schwächer wurde. „… hingeschickt. Sie kann für mich sprechen …“

Ein lautes Knistern ertönte aus dem Handy.

„Wer?“ Marcus hatte Mühe zu verstehen, was sein Bruder sagte. „Kommt jemand an deiner Stelle auf die Ranch?“

„… dir eine Nachricht. Tut mir leid.“

Jetzt brach die Verbindung völlig ab.

Finster starrte Marcus auf sein Handy. Devons Social-Media-Profilfoto erwiderte seinen Blick. Wie hatte Devon nur bis auf die letzte Minute mit dem Flug nach Montana warten können? Sogar im Firmenjet, der in Mumbai nicht zur Verfügung stand, hätte die Reise etwa achtzehn Stunden gedauert.

Aber da er selbst schon in Übersee vom Zoll festgehalten worden war, wusste Marcus, dass das kein Spaziergang war. Devons schlechtes Gewissen, weil er es nicht zu ihrem Meeting geschafft hatte, würde Marcus vielleicht in die Hände spielen, wenn er endgültig die Kontrolle über Salazar Media übernehmen wollte. Schließlich war die Firma seine Idee gewesen. Sein Vater und sein Bruder hatten sich nur finanziell beteiligt, und sein Vater hatte den CEO-Posten vor allem deshalb übernommen, weil er immer gut darin gewesen war, zwischen seinen zerstrittenen Söhnen zu vermitteln. Seit dem Tod ihres Vaters bestand ein Machtvakuum, das Marcus ausfüllen wollte. Als kreativer Kopf des Unternehmens hatte er die Rolle des CEO verdient, und er würde sie entweder bekommen oder die Firma verlassen, die er gegründet hatte.

Er schob das Handy in die Brusttasche und trieb sein Pferd an. Im Galopp raste er auf die Lodge der Mesa Falls Ranch zu. Das Resort hatte unbestreitbar seinen Reiz. Die Tatsache, dass die Berge und die schier endlos scheinende Weite ihn, wenn auch nur kurzfristig, von seinem Frust ablenkten, zeugte von der Schönheit der Landschaft. Seit acht Jahren teilten sich sechs Besitzer die Ländereien und den Viehbestand. Jeder von ihnen hatte ein Haus auf dem Gelände. Aber vor einem Jahr hatte die Gruppe beschlossen, die Ranch für Gäste zu öffnen, um eine nachhaltigere Bewirtschaftung zu finanzieren. Marcus hatte eine Chance für Salazar Media gewittert und die Besitzer kontaktiert, um sie als Kunden zu gewinnen. Jetzt hatten sie sechs Monate Social-Media-Werbung bei Salazar gebucht und ihm die Option zugesichert, den Vertrag zu verlängern, wenn sie zufrieden waren. Marcus wollte ein paar wichtige Mitarbeiter der Ranch sprechen, um Präsenz zu zeigen, bevor er nach L. A. zurückkehrte, sobald die Verträge unterzeichnet waren.

Da er wenigstens versucht hatte, Devon hier zu treffen, musste er kein schlechtes Gewissen haben, dass es nicht geklappt hatte. Wenn sein Bruder sich nicht die Mühe machte, hier aufzutauchen, war das nicht seine Schuld.

Als er am Stall sein Pferd zügelte, sah er einen glänzenden schwarzen Cadillac Escalade vor dem weitläufigen Hauptgebäude anhalten. Ein Chauffeur in Livree stieg aus und lief zu einer der hinteren Türen. Durch die getönten Scheiben konnte Marcus nicht ins Innere des Autos sehen. Plötzlich musste er an die Worte seines Bruders denken.

Hatte Devon jemanden auf die Ranch geschickt, der ihn vertreten sollte? Marcus war verärgert, denn wenn jetzt schon jemand hier auftauchte, musste Devon das alles schon vor Stunden arrangiert haben. Ihn anzurufen, um ihn über die Verzögerung zu informieren, hatte für seinen Halbbruder offenbar keine Priorität gehabt.

Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und reichte die Zügel an einen wartenden Stallburschen weiter. Während er dem Mann dankte, behielt er weiter den Escalade im Blick. Die Autotür schwang auf, und ein eindeutig weibliches Bein wurde hinausgestreckt.

Zum Vorschein kamen ein hochhackiger schwarzer Stiefel, eine schlanke Wade und ein Hauch von einem grauen Nadelstreifenrock.

Sie kann für mich sprechen …

Diese Worte hallten ihm in den Ohren wider, als die einzige Frau, die für Devon Salazar sprechen durfte, in Sicht kam.

Kerzengerade aufgerichtet stand Lily Carrington in der Einfahrt. Sie trug einen offenen schwarzen Mantel über dem hellgrauen Kostüm und der lavendelfarbenen Bluse und eine winzige Ledertasche über der Schulter. Sie war die adretteste Frau, die Marcus je gesehen hatte. Ihr seidiges Haar saß immer perfekt. Und sie war tüchtig. Wortgewandt. Kunden lobten sie über den grünen Klee. In den verrückten Jahren, in denen die Firma rasend schnell expandiert hatte, war Lily Devons rechte Hand gewesen. Sie hatte sich zur Geschäftsführerin hochgearbeitet und stand im New Yorker Büro jetzt an zweiter Stelle.

Sie war das krasse Gegenteil von allem, was Marcus normalerweise an Frauen gefiel: kühl und beherrscht. Im Gegensatz dazu mochte er eher den leidenschaftlichen, künstlerischen Typ. Doch aus irgendeinem nervtötenden Grund hatte er Lily schon immer begehrt und kämpfte bis heute dagegen an.

Zu seinem Glück war sie mit einem anderen verlobt und deshalb tabu.

Zu seinem Pech weckte sie aber immer noch unstillbares Verlangen in ihm, indem sie einfach nur in der Einfahrt stand und mit ihrer Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht verdeckte, wie ein Filmstar aussah.

„Marcus.“ Sie lächelte höflich, als sie ihn erspähte, und kam an ihrem Chauffeur vorbei auf ihn zu. „Was für ein eindrucksvolles Anwesen.“ Sie schob sich die Sonnenbrille ins Haar und deutete auf die gewaltige Lodge, die vor Kurzem als Gästeunterkunft errichtet worden war. Bewundernd ließ sie den Blick über die tadellosen Ställe, das Empfangszentrum, die Pferdekoppel und die sanften Hügel schweifen, hinter denen die Berge aufragten. „Atemberaubend.“

Er fand ihren Anblick noch viel atemberaubender als die Herbstlandschaft, behielt das aber für sich. Schon jetzt überlegte er, wie schnell er sich zurückziehen konnte, ohne seine Position Devon gegenüber zu schwächen. Er hatte in seinem Leben schon Dinge getan, auf die er nicht stolz war. Aber seinem Begehren nachzugeben, wenn eine Frau den Ring eines anderen Mannes trug, war eine Grenze, die er nicht überschreiten würde.

„Ja, es ist sehr malerisch“, räumte er ein und konzentrierte sich auf die Aussicht statt auf Lilys weichen Mund oder ihre hellblauen Augen. „Da Devon sich nicht die Mühe gemacht hat herzukommen, können wir unsere Zeit vielleicht damit verbringen, vor Ort ein paar Informationen zu sammeln, die das Team nutzen kann, um die Marketingstrategie zu optimieren. Ich schicke dir eine Agenda per SMS, damit wir beide bald wieder nach Hause können.“

Sie schwieg eine ganze Weile. So lange, dass er sich umdrehen und sie wieder ansehen musste.

„Das könnten wir tun“, räumte sie langsam ein und musterte ihn argwöhnisch. „Oder wir könnten ein Gespräch darüber führen, wie die CEO-Position besetzt werden soll, da das der eigentliche Grund für dieses Treffen ist. Vielleicht können wir ein paar Optionen für die Zukunft von Salazar Media erarbeiten …“

„Das Treffen war für Devon und mich geplant, nicht für dich.“ Er fragte sich, worauf sie es bei den Verhandlungen abgesehen hatte. Hoffte sie, eine bessere Stelle zu ergattern, indem sie ihn komplett verdrängte und das Westküstenbüro übernahm?

Wenn die Salazar-Brüder nicht an unterschiedlichen Küsten gelebt hätten, wäre die Firma vielleicht schon vor Jahren zerbrochen. Sie kamen nur zurecht, weil sie so unabhängig voneinander wie möglich in Los Angeles und New York operierten.

„Das Ergebnis ist auch für mich wichtig“, rief sie ihm kühl ins Gedächtnis. „Und da euer Vater jetzt nicht mehr da ist, um die Wogen zu glätten, hoffe ich, dass ich bei einem Gespräch zwischen euch vermitteln kann.“

„Hat mein Bruder dich gebeten, mich zu überreden, kampflos aufzugeben?“ Ihm wurde klar, dass sein unstillbares sexuelles Verlangen ihn unversöhnlicher klingen ließ als normalerweise. „Meint er, dass du bessere Chancen hast, mich dazu zu überreden, zu tun, was ihr wollt?“

Im Laufe der Jahre hatte Marcus sich auf zu viele Kompromisse eingelassen, was die Firma betraf. So hatten sie einige Chancen nicht genutzt, weil Devon eine andere Herangehensweise hatte.

„Natürlich nicht“, versicherte sie kopfschüttelnd. „Aber ich weiß, dass auf beiden Seiten viel Frust herrscht, und …“

„Nein, Lily“, unterbrach er sie. „Du kannst unmöglich wissen, wie frustriert ich bin.“

Sie sahen sich in die Augen, während er die Worte wirken ließ, damit sie darüber nachdenken konnte. Er bemerkte, in welchem Moment ihr die Doppeldeutigkeit seiner Aussage aufging. Leise schnappte sie nach Luft.

War ihr bisher wirklich nicht klar, dass ich sie begehre?

Nicht, dass es eine Rolle spielte. Schließlich hatte er schon mit seinem Bruder alle Hände voll zu tun. Da würde er sich nicht auch noch in das emotionale Chaos stürzen, das Lily unweigerlich heraufbeschwor. Also gab er dem Chauffeur, der sie zur Ranch gebracht hatte, ein Trinkgeld und schickte ihn weg. Als er sich wieder der Geschäftsführerin von Salazar Media zuwandte, hatte sie eine Maske der Gleichgültigkeit aufgesetzt.

„In dem Fall warte ich ab, bis ich von dir höre, dass du zu einem Treffen bereit bist.“ Sie hielt ihr Handtäschchen jetzt vor sich. Es war ein lächerlicher Schutzschild. Selbst wenn ein ganzer Konferenztisch zwischen ihnen gewesen wäre, hätte Marcus immer noch den Sog des Verlangens gespürt.

Nickend drehte er sich auf dem Absatz um, froh, dass er sich entschlossen hatte, in einem Gästehaus abseits der Lodge zu übernachten.

Je mehr Abstand zwischen Lily Carrington und ihm lag, desto besser. Die Frau war eine ernsthafte Bedrohung für seine Konzentration – und das, obwohl die Zukunft seines Unternehmens auf dem Spiel stand!

Was war das bloß vorhin mit Marcus?

Diese Frage stellte sich Lily nicht zum ersten Mal, als sie tiefer in die freistehende Badewanne ihrer Gästesuite eintauchte. Nach der anstrengenden Reise gönnte sie sich ein Bad, um ein wenig zu entspannen und einen klaren Kopf zu bekommen. Die Suite war mit Hartholzböden und antiken Balken ausgestattet, um die Westernatmosphäre zu unterstreichen. Doch es gab auch viele moderne Details wie etwa die gläserne Duschkabine neben der Wanne. Lily hatte Feuer in dem eleganten Kamin entfacht, sobald sie angekommen war, obwohl es draußen nicht sonderlich kalt war. Sie wollte einfach das komplette Bergerlebnis.

Langsam ließ sie die Hand durch das schaumige, nach Rosen duftende Wasser gleiten. Es störte sie, dass sie die Schönheit von Montana nicht genießen konnte, weil plötzlich etwas zwischen ihr und Marcus Salazar war.

Etwas Heißes und Unerwartetes.

Sie schloss die Augen, atmete tief ein und dachte an ihre Ankunft zurück. Sie hatte sich gefreut, Marcus zu sehen, auch wenn sie ein bisschen misstrauisch gewesen war. Immerhin wusste sie, dass die Halbbrüder seit Langem zerstritten waren, auch wenn sie nie ganz verstanden hatte, warum. Wenn sie einander so wenig mochten, warum hatten sie dann überhaupt ein Unternehmen gemeinsam gegründet? Allerdings ergänzten sich ihre Talente perfekt. Marcus war das kreative Genie und kannte sich in der Welt der digitalen Medien aus, während Devon so geschäftstüchtig war, dass die Firma immer schwarze Zahlen schrieb.

Devon war seit fünf Jahren nicht nur ihr Vorgesetzter, sondern auch mit ihr befreundet, aber er hatte nie viel über sein Privatleben verraten. Und Marcus war ihr ohnehin ein Rätsel.

Da sie mit Marcus bisher sehr wenig direkt zu tun gehabt hatte, war sie vorsichtig optimistisch gewesen, als Devon sie gebeten hatte, für ihn einzuspringen. Sie hatte sich gefragt, ob sie den beiden Salazars helfen konnte, miteinander ins Gespräch zu kommen. Vielleicht war das naiv von ihr gewesen. Das Unternehmen war immer noch in Familienhand und gehörte beiden Salazar-Brüdern gemeinsam. Sie mussten keinen Aufsichtsrat bei Laune halten und standen auch nicht unter Zeitdruck, was die Besetzung des CEO-Postens anging. Doch da diesbezüglich schon seit Monaten Stillstand herrschte, wurden einige ihrer Kunden ungeduldig, weil es keinen einzelnen Entscheider gab. Der Machtkampf zwischen Devon und Marcus konnte der Firma schaden. Salazar Media brauchte eine starke, einige Führung.

Aber was bei Lilys Ankunft passiert war, würde ihren Bemühungen im Wege stehen. Marcus hatte Gefühle in ihr geweckt, die sie gar nicht hätte empfinden sollen. Sein dunkles Haar und seine noch dunkleren Augen waren so ganz anders als bei seinem Bruder. Und sein hochgewachsener, athletischer Körper …

Sie schluckte und verdrängte den Gedanken.

Dann zwang sie sich, die Augen zu öffnen, und hob die linke Hand aus dem Badewasser, um den großen Diamanten an ihrem Ringfinger zu betrachten. Eliot Winthrop hatte ihr das Familienerbstück vor zwei Jahren geschenkt, als er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Der Fünfkaräter war makellos, und die vielen Facetten fingen das Licht der Wandlampen ein.

Bis vor Kurzem hatte sie ihre lange Verlobungszeit gar nicht hinterfragt, weil sie beide mit ihrer Karriere beschäftigt waren – er bei der Finanzberatungsfirma seiner Familie, sie bei Salazar Media. Schon seit ihrer Kindheit waren sie befreundet; ihre Familien hatten beide ihr Vermögen im Finanzsektor gemacht. Eliot hatte auch dafür gesorgt, dass sie sich trotz ihrer skandalösen Geburt weniger wie eine Außenseiterin vorkam. Lilys Mutter hatte sich geweigert, ihren Eltern zu sagen, wer der Vater war, und am Ende die Verantwortung für ihr Kind ganz aufgegeben. Sie hatte Lily bei ihren Großeltern gelassen, als diese vier Jahre alt gewesen war. Deshalb hatte Lily nie das Gefühl gehabt, wirklich zur luxuriösen Welt von Newport zu gehören, in der sie aufgewachsen war.

Später, auf der Highschool, waren Eliot und sie gute Freunde gewesen. Als er aufs College gegangen war, hatte sie angenommen, dass sie sich auseinanderentwickeln würden. Außerdem war sie tief enttäuscht, dass die Atmosphäre an ihrer Universität von Partys und Alkohol geprägt gewesen war. Deshalb hatte sie begeistert Ja gesagt, als Eliot ihr einen Antrag gemacht hatte. Sie hatte gewusst, dass sie ein gutes Team sein würden. Es war zwar nicht unbedingt die alles verzehrende Liebe, aber eine solide Partnerschaft, die von gegenseitigem Verständnis geprägt war.

Auch hatten sie darüber gesprochen, ihre jeweiligen Familienunternehmen fusionieren zu lassen, sobald sie verheiratet waren. Lily hatte immer Kraft aus ihrer Freundschaft geschöpft und war sich sicher, dass daraus irgendwann die Art von Liebe werden würde, die zwischen ihren Großeltern herrschte. Aber Marcus’ Blick hatte unerwartete Leidenschaft in ihr geweckt, und Lily fragte sich, warum Eliot sie nie so magisch anzog.

Schnell trocknete sie sich die Hände ab und griff nach ihrem Handy, das neben der Wanne lag. Wenn sie erst einmal ihren Verlobten angerufen hatte, würde sie den Vorfall mit Marcus vergessen können. Eliots Stimme zu hören würde sie daran erinnern, warum sie so gut zueinander passten – auch wenn immer noch kein Hochzeitsdatum feststand.

Lily drückte auf das Herzsymbol, das sie Eliot in ihrer Kontaktliste zugeordnet hatte, aber der Anruf ging direkt auf seine Mailbox. Seine Anrufbeantworteransage zu hören war nicht so tröstlich, wie direkt mit ihm zu sprechen. Wenn überhaupt erinnerte es sie nur daran, wie oft sie sich bei ihm meldete, ohne ihn zu fassen zu bekommen. War das normal für ein Liebespaar?

Nachdem sie ihm eine Nachricht hinterlassen hatte, legte sie auf und versuchte, ihre Sorgen zu verdrängen. Was vorhin mit Marcus passiert war, zählte bestimmt nur als Ausrutscher. Schließlich hätte sie nicht einmal im Traum daran gedacht, ihrem Interesse nachzugeben.

Ihre Mutter war die Art von Frau gewesen, die sich von körperlichem Begehren hatte leiten lassen. Das hatte am Ende dazu geführt, dass Maggie Carrington ein Liebhaber wichtiger gewesen war als ihre eigene Tochter. Lilly wusste, dass man sich nicht auf etwas so Flüchtiges wie Verlangen verlassen durfte. Zu heftiges Knistern sorgte nur dafür, dass man übersah, welche Faktoren in einer langfristigen Beziehung wirklich zählten: dieselben Wertvorstellungen und Ziele. Gegenseitiger Respekt und Zuneigung.

Überzeugt, dass sie sich Marcus aus dem Kopf schlagen und doch noch etwas aus dieser Reise machen konnte, stieg Lily aus der Wanne und trocknete sich mit einem der flauschigen Badelaken ab. Ihr Körper duftete nach Rosen. Wenn Marcus ihr die SMS mit der Agenda schickte, konnte sie an die Arbeit gehen.

Bestimmt würde er den Rest ihrer gemeinsamen Zeit in Montana über auf diese langen, brennend heißen Blicke verzichten. Und wenn ein winziges Stück von ihr sich immer noch nach den Schmetterlingen im Bauch sehnte, die er vorhin in ihr geweckt hatte, dann würde sie dieses Bedürfnis einfach dorthin verlagern, wo es hingehörte: in die Beziehung mit ihrem Verlobten.

Am nächsten Tag marschierte Lily professionell gewappnet durch das Foyer der Lodge. Sie war auf dem Weg zu ihrem Meeting mit Marcus. Das Gebäude, in dem sie übernachtete, war seltsam still, weil auf der Ranch an diesem Wochenende keine Tagung stattfand. Obwohl sie der einzige Gast war, waren die Zimmermädchen bei der Arbeit, wie sie gesehen hatte, als sie gestern Abend zu einem Mondscheinspaziergang aufgebrochen war. Unterwegs hatte sie auch entdeckt, dass Personal in den Ställen war und sie jederzeit ausreiten konnte.

Sie war gespannt darauf, die eigentliche Rancharbeit zu beobachten. Die Lodge und das Empfangszentrum wirkten wie ein Luxusresort in den Bergen, aber sie hatte gelesen, dass auf der Mesa Falls Ranch auch Rinder und Schafe gezüchtet wurden.

Sie betrat den Hauptraum. Auf dem gekachelten Boden lagen bunte mexikanische Teppiche, deren Rot- und Orangetöne sich in den Kunstdrucken an den Blockhauswänden widerspiegelten. Die Bar wurde von einem ausgestopften Bison bewacht, der neben dem Billardtisch stand. Die Barhocker, die mit schwarzweißem Kuhfell bezogen waren, waren leer – bis auf den, auf dem Marcus saß.

Bevor er sie sah, nahm sie sich die Zeit, ihn von Kopf bis Fuß zu betrachten. Sein braunes Haar war etwas dunkler als das seines Bruders, und er trug es auch ein Stück länger. Gerade war er dabei, etwas in sein Tablet zu tippen. Seine Kopfhörer sperrten die Welt aus. Als er die braunen Augen auf sie richtete, wappnete sie sich innerlich für das, was gestern schon zwischen ihnen passiert war. Aber diesmal sprühten keine Funken.

Marcus zog die Kopfhörer aus den Ohren und schob sie in die Tasche seines Jacketts, das über der Rückenlehne des Barhockers hing.

„So früh habe ich gar nicht mit dir gerechnet.“ Er stand auf und deutete auf die Bar.

„Ich bin hier, um zu arbeiten“, rief sie ihm ins Gedächtnis.

„Um zu arbeiten – oder um Informationen für Devon zu sammeln?“

„Alle Informationen, die ich sammle, kommen euch beiden zugute. Ich arbeite für Salazar Media, nicht allein für deinen Bruder.“ Sie hasste diese Haarspalterei, aber sie war entschlossen, sich und ihre Position zu verteidigen. Ihr Job war ihr zu wichtig, als dass sie es sich mit einem Mann verscherzen wolllte, dem im Moment noch die Hälfte der Firma gehörte.

„Stimmt.“ Er nickte. „Aber du bist Devons rechte Hand. Bestimmt fühlst du dich ihm verpflichtet.“

Verärgert straffte sie die Schultern.

„Willst du arbeiten oder an meinen Motiven zweifeln?“ Sie legte ihre Laptoptasche auf einen Spieltisch. „Nur damit ich weiß, woran ich bin.“

Marcus kam einen Schritt näher. „Ich arbeite lieber, aber ich glaube nicht, dass ich mich genug entspannen kann, um das zu tun, solange ich nicht weiß, warum Devon dich hergeschickt hat.“

Seine Nähe brachte sie in Schwierigkeiten. Sie sah den Hauch von Bartstoppeln an seinem Kinn. Las das Misstrauen in seinen dunklen Augen. Spürte, dass die Luft elektrisch geladen war. Langsam holte sie tief Luft, um ihm die Meinung zu sagen, aber dabei stieg ihr der Duft seines Aftershaves in die Nase: würzig und maskulin.

„Devon wäre lieber selbst hier, das weißt du doch.“ Sie suchte nach den richtigen Worten, um alles zwischen ihnen wieder ins Lot zu bringen. „Aber nachdem sein Pass gestohlen worden war, hat er mich gebeten herzukommen, falls du Hilfe dabei brauchst, den Vertrag mit Mesa Falls abzuschließen.“

Vor zwei Wochen hatte sie erfahren, dass Marcus Mesa Falls als Kunden zu gewinnen versuchte, weil er Angebotsmaterial aus ihrem Büro angefordert hatte. Sie hatte sofort Recherchen über die Ranch angestellt, weil sie gern auf dem Laufenden über all ihre derzeitigen und potenziellen Kunden blieb. So hatte sie die Gelegenheit, die Ranch selbst zu besuchen und dem wachsenden Druck ihrer Großeltern zu entgehen, endlich einen Hochzeitstermin festzusetzen, gern ergriffen.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Falls ich …“ Er schlug sich auf die Brust. „… Hilfe dabei brauche, den Vertrag abzuschließen? Ich hatte die Zusage, dass wir den Auftrag haben, bereits erhalten, bevor du überhaupt hier angekommen bist.“

Sie unterdrückte ein frustriertes Seufzen. Männer und ihre Egos! „Devon wusste noch nicht, dass der Vertrag unter Dach und Fach ist, als er mich angerufen hat. Und ehrlich gesagt hatte er auch Angst, dass du im ersten Flugzeug zurück nach Los Angeles sitzen würdest, wenn er dir nicht seinen guten Willen demonstriert.“

„Und stattdessen sollst du hier guten Willen demonstrieren?“

Sie unterdrückte den Drang, sich die trockenen Lippen zu befeuchten. Das, was zwischen ihnen vorging, verwirrte sie. „Ja, ob es dir gefällt oder nicht.“

Er stand viel zu dicht bei ihr. Musterte sie prüfend. Dann wurde sein Blick ausdruckslos.

„Zu unserem Pech arbeite ich allein effektiver“, sagte er leise. Dann drehte er sich um und hob sein Tablet auf. „Ich schlage vor, wir teilen uns die Aufgaben beim Anlegen des Accounts auf und belassen es dabei.“

Der plötzliche Themenwechsel erwischte Lily eiskalt.

„Ist dir die Firma überhaupt wichtig?“ Sie hatte schon immer den Eindruck gehabt, dass er ihr nicht voll und ganz vertraute. Aber bisher hatte er noch nie zugegeben, dass er nicht mit ihr zusammenarbeiten wollte. „Denn du schadest ihr beträchtlich, wenn du mich außen vor lässt.“

Sie sah, wie seine Kiefermuskeln sich anspannten.

„Ich kann dir täglich Updates schicken. Aber es wäre mir lieber, wenn wir bald an unsere jeweilige Küste zurückfliegen und uns wieder unseren eigenen Projekten widmen.“

Ärger kochte in ihr hoch, aber sie unterdrückte ihn, um professionell zu bleiben.

„Bei allem Respekt, aber das lehne ich ab.“ Sie sammelte ihre Sachen ein, weil sie wusste, dass es besser war, sich zurückzuziehen, bis sie sich beide beruhigt hatten. Aber erst sah sie ihn noch einmal an. „Ich habe vor, meine Aufgabe hier zu erfüllen. Denn offensichtlich ist meine Anwesenheit absolut notwendig.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen bremste Marcus den Ranchwagen, in dem er unterwegs war, stellte ihn ab und reckte sich, um einen besseren Überblick zu haben. Er hatte Lily nicht darüber informiert, dass er diese Tour unternahm, sondern war noch vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Er wusste, dass es ein Fehler war. Dass er der Firma schadete, weil er seine Emotionen nicht im Griff hatte. Aber er brauchte Abstand, um einen klaren Kopf zu bekommen und zu entscheiden, wie es weitergehen sollte.

Als die Sonne am Himmel höher stieg, griff er nach seiner Kamera auf dem Beifahrersitz und nahm das Weitwinkelobjektiv aus seiner Tasche. Von diesem Aussichtspunkt aus waren mehrere gute Aufnahmen möglich. Er bereitete alles für die erste vor und stellte ein paar vertrocknete Wildblumen im Vordergrund scharf.

Fotos von der Ranch zu machen war die beste Ablenkung.

Er passte die Kameraeinstellungen an und überlegte, welche Bilder er noch für die Social-Media-Kampagne brauchte, bevor er wieder nach Hause fuhr.

In der Nacht hatte Devon ihm mitgeteilt, dass die US-Botschaft ihm zwar half, neue Papiere zu bekommen, über das Wochenende aber nichts zu machen war. Marcus hatte dem Drang widerstanden, ihm eine böse Antwort zu geben. Er wollte keinen Streit mit Devon, solange er ihn erst noch überzeugen musste, ihm seine Anteile an der Firma zu verkaufen. Wenn er Devon heute noch einmal sprach, würde er ihm sagen, dass sie ihren gemeinsamen Aufenthalt auf der Mesa Falls Ranch verschieben mussten.

Auf einen späteren Zeitpunkt, wenn Lily Carrington nicht mehr da war.

Allein der Gedanke an sie ruinierte sein erstes Blumenbild. Weil er sie in Verdacht hatte, für Devon zu spionieren? Oder weil er sie wollte? Beide Möglichkeiten brachten ihn völlig durcheinander.

Schon immer hatte er sich zu Lily hingezogen gefühlt, obwohl er befürchtete, dass ihre Loyalität allein seinem Bruder galt. Da sie an unterschiedlichen Küsten arbeiteten, hatte er sein Begehren aber bisher zügeln können. In ihrer Nähe zu sein befeuerte seine Gefühle jedoch ungewollt. Deshalb hatte er ihr heute Morgen das Gespräch mit dem Ranchmanager überlassen und war zu der Tour über das Gelände aufgebrochen.

Er konnte Kunden besser einschätzen, wenn er sah, was sie zu bieten hatten, statt nur zu hören, was sie erzählten. Seiner Erfahrung nach waren Kunden oft so betriebsblind, dass sie die Kleinigkeiten übersahen, die ihr Produkt einzigartig machten. Schon lange bevor Salazar Media expandiert und Devon sich mit seinen Methoden aus dem Wirtschaftsstudium in jeden Aspekt der Firma eingemischt hatte, war Marcus sehr gut darin gewesen, die Individualität seiner Kunden herauszuarbeiten.

Er wollte das Unternehmen wieder auf dieses ursprüngliche Ziel ausrichten, jedem Account eine eigene Stimme zu verleihen. Als er jetzt durch sein Weitwinkelobjektiv sah, wie eine Herde Wapitihirsche die goldene Wiese betrat, wusste Marcus, dass er das auch hier schaffen konnte. Er zoomte die Wapitis heran und malte sich schon aus, wie er die Mesa Falls Ranch auf dem Markt positionieren würde.

Er war fast fertig, als ein Motorengeräusch in der Nähe ihn ablenkte. Schnell drehte er sich um und sah ein zweites Fahrzeug näher kommen. Ein Cowboy saß am Steuer, auf dem Beifahrersitz dagegen eine hochgewachsene, schlanke Frau mit braunen Haaren. Sie trug dunkle Jeans und ein langärmliges T-Shirt.

Es war Lily. Ihre große Sonnenbrille beschirmte ihre Augen gegen die Sonne, die jetzt im Zenit stand. Die Lippen hatte sie geschürzt, ihre Haare waren ungewohnt zerzaust. Als der Fahrer neben Marcus bremste, stieg Lily aus. Ihre Schultern waren verkrampft, und ihre hochhackigen Stiefel hätten besser auf einen Laufsteg als auf eine Wiese in Montana gepasst.

„Hallo, Marcus“, begrüßte sie ihn und strich sich ungeduldig die Haare aus dem Gesicht. Sie sprach leise. Offenbar war das, was sie zu sagen hatte, nur für seine Ohren bestimmt. „Du hast das Meeting heute Morgen verpasst.“

„Bei dir war es doch in guten Händen“, sagte er, bevor er sich an den kräftigen Rancher wandte, der Lily gemächlich folgte. „Sie sind sicher Coop?“

„Cooper Adler, sehr erfreut.“ Er lüpfte den Hut und schüttelte Marcus die Hand.

Sie hatten ein paar Mal telefoniert. Der Ranchmanager war für die umweltfreundlichen Methoden zuständig, die hier nach und nach eingeführt wurden. Gemeinsam hatten sie darüber gesprochen, dass eine Social-Media-Kampagne, in der die Umwandlung von Mesa Falls in eine Öko-Ranch dokumentiert wurde, sehr reizvoll wäre.

„Ich habe gerade ein paar Fotos geschossen, die das Kreativteam inspirieren sollen, wenn ich nach Hause zurückkehre. Als Nächstes arbeiten wir dann am Storytelling Ihres Unternehmens, und ich schicke ein Team hierher, um weitere Aufnahmen zu machen.“

Lily stand neben ihm, während er sprach. Von Zeit zu Zeit wehte die Brise eine ihrer langen Haarsträhnen gegen seine Schulter. Eine seidige, kaum spürbare Berührung.

„Lassen Sie mich einfach wissen, was Sie brauchen.“ Coop schien sich nicht besonders für die Einzelheiten der Social-Media-Kampagne zu interessieren. „Ich bin hier, um Sie persönlich kennenzulernen, da Ms. Carrington gesagt hat, dass Sie vielleicht bald abreisen.“

„Mein Bruder war leider verhindert, deshalb …“

„Die Ranchbesitzer möchten gern einen Willkommensempfang für Sie und Ihren Bruder geben. Weston Rivera hat mich gebeten, einen Termin mit Ihnen abzumachen.“ Coop runzelte die Stirn. „Und vor allem wollte Weston, dass ich Ihnen sage, dass er Ihnen und Ihrem Bruder Papiere übergeben muss. Das er kann er nur tun, wenn Sie beide anwesend sind.“

„Papiere?“ Marcus war überrascht. Das hatte der Mann in ihren Telefonaten nie erwähnt.

Coop kratzte sich am Kinn. „Von Ihrem Vater. Als er das letzte Mal hier oben war, hat er sie Gage Striker übergeben, einem der anderen Besitzer.“

Lily wirkte verwirrt. Sie räusperte sich und lenkte so Coops Aufmerksamkeit auf sich, bevor Marcus Fragen stellen konnte. „War Alonzo Salazar oft hier?“

Gespannt wartete Marcus auf die Antwort. Warum, zum Teufel, hatte sein Vater einem der Besitzer der Mesa Falls Ranch vor seinem Tod Dokumente anvertraut?

Der Rancher hob das Gesicht zur Sonne. „Sooft er konnte, nachdem er die Krebsdiagnose erhalten hatte. Vorher vielleicht zweimal im Jahr.“

Marcus bekam nicht mit, was Lily darauf antwortete. Er war viel zu beschäftigt damit, die Enthüllung zu verarbeiten. Sein Vater war ihm immer ein Rätsel gewesen. In seiner Kindheit war Alonzo oft tagelang in seinem Arbeitszimmer verschwunden oder aus beruflichen Gründen, über die er nie etwas verriet, an unbekannte Orte gereist. Offiziell war er Lehrer an einer Privatschule gewesen, bis er im Ruhestand den CEO-Posten bei Salazar Media übernommen hatte. Aber schon vorher hatte er irgendeine andere Einkommensquelle gehabt. In den letzten paar Jahren hatte Marcus seinen Dad oft gebeten, ihn in Los Angeles zu besuchen. Aber Alonzo hatte nach der Krebsdiagnose nicht mehr reisen wollen. Zumindest hatte er das behauptet. Offenbar hatte er noch genug Energie gehabt, um nach Montana zu fliegen.

Hatte Devon von diesen Reisen gewusst? Hatte er ihren Vater vielleicht sogar begleitet? Aber Lily schien von der Neuigkeit auch überrumpelt zu sein. Über Devons Terminplan hätte sie bestimmt Bescheid gewusst.

„Ich wusste gar nicht, dass Dad hier etwas für mich hinterlegt hat.“ Aber Alonzo Salazar hatte sich nie an die üblichen Regeln gehalten. Devons Mutter hatte ihn verlassen, als Alonzo behauptet hatte, ein Trauschein sei doch bloß „ein Stück Papier“, und Marcus’ Mom hatte herausgefunden, dass ein Kind mit Alonzo zu haben noch lange nicht hieß, auch ein gemeinsames Leben mit ihm zu führen. „Ich komme nachher in Ihrem Büro vorbei und hole ab, was mein Vater mir zugedacht hat.“

Über ihnen rauschte ein Flugzeug im Tiefflug dahin.

„Ihr Dad hat sich leider sehr klar ausgedrückt, was die Papiere betrifft.“ Coop winkte dem Flugzeug zu, als würde er den Piloten kennen. „Gage hat sie in einem Safe hinterlegt und gibt den Code nicht weiter, bis Ihr Bruder und Sie beide hier sind.“

Marcus schluckte einen Fluch hinunter. Ihm wurde klar, dass sein Aufenthalt in Montana nicht so kurz sein würde, wie er gehofft hatte. Zugleich fragte er sich, wie lange Lily in Mesa Falls bleiben würde.

„Dann sehe ich, was ich tun kann, um die Anreise meines Bruders zu beschleunigen.“ Er warf seine Kamera in die offene Tasche auf dem Beifahrersitz und wünschte sich, er könnte einfach einsteigen und wegfahren, bis er weit entfernt von der Ranch und dem Rätsel um seinen Vater war. Und sogar noch weiter von der verlockenden Frau zu seiner Linken.

Aber bevor Marcus den Plan auch nur in Gedanken in die Tat umsetzen konnte, sprang Cooper Adler in sein eigenes Fahrzeug und wünschte ihnen beiden noch einen schönen Tag. Lily ließ er auf dem Hügel stehen.

Marcus sah sie an und bemerkte, dass sie ihn böse anstarrte. Sie hatte sich die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben und die Arme verschränkt.

„Was ist?“, fragte er.

„Du hast mir heute Morgen den Termin mit dem Ranchmanager überlassen, obwohl du gestern versprochen hast, dabei zu sein.“ Sie nahm die Sonnenbrille ab und schob sie in ihre Handtasche. „Und nun erfahre ich, dass ein Willkommensempfang geplant ist. Davon wusste ich bisher nichts.“

„Vergiss nicht, dass wir diese Woche beide mit unvorhersehbaren Umständen fertigwerden müssen.“ Er hatte keine Lust, jetzt die Klingen mit ihr zu kreuzen. Schließlich war er immer noch wütend auf seinen Bruder – und auf sich selbst, weil er nicht begriffen hatte, wie wichtig die Ranch ihrem Vater gewesen war. „Wenn Devon dich nächstes Mal auf eine Spionagemission schickt, lehn doch einfach ab.“

„Ich bin keine Spionin“, gab sie zurück. Der Ärger ließ ihre blauen Augen dunkler wirken. „Das haben wir doch schon besprochen. Als ich für Devon eingesprungen bin, war ich dumm genug, zu hoffen, euch beiden dabei helfen zu können, euch zu versöhnen.“

„Wenn du seine Interessen vertrittst und nicht meine, wie willst du dann vermitteln? Und überhaupt kommt das nicht infrage.“ Marcus würde die Firma allein übernehmen, und damit hatte es sich. Er ging zur Fahrerseite des Wagens und stieg ein. „Warum kontaktierst du Devon nicht, um ihn zu bitten, dich nach New York zurückzuschicken?“

Sie zögerte. Nach einem Moment ging sie zur Beifahrerseite und setzte sich. Es war gut, dass der Wagen keine Türen hatte. So musste Marcus sie Lily nicht wie ein Gentleman aufhalten. Ihre Nähe ging ihm unter die Haut.

Doch wann immer sie sich bewegte, reflektierte der verdammte Diamantring an ihrem Finger das Licht wie ein Schutzschild.

„Darum habe ich ihn schon gebeten.“ Sie schnallte sich den Sicherheitsgurt um die schlanke Taille. „Aber er hat abgelehnt.“ Als die Schnalle einrastete, sah sie zu Marcus hoch. Ihr Blick durchbrach seine Schutzmauern. „Also sitzt du wohl mit mir fest.“

Lily war froh, dass Marcus auf der Rückfahrt nicht zu reden versuchte.

Wegen ihres Jobs zu schmollen kam ihr an diesem Tag nur recht und billig vor. Nichts war gelaufen wie geplant. Ihr Verlobter hatte sie um drei Uhr morgens mit einer SMS geweckt. Darin hatte er ihr mitgeteilt, dass er bis ins Frühjahr hinein seine Verpflichtungen für das Familienunternehmen in London wahrnehmen musste. Falls sie ihn nicht über die Feiertage dort besuchte, würden sie sich nicht so bald wiedersehen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie das vielleicht gar nicht traurig gemacht, weil sie selbst viel zu tun hatte. Aber diese Reise stellte sie auf eine harte Probe. Deshalb hatte der blasierte Ton von Eliots Nachricht Zweifel in ihr geweckt. Vermisste er sie nicht? Hatte er überhaupt vor, auch nur über den Hochzeitstermin zu sprechen, nach dem ihre Großeltern ständig fragten?

Als sie wieder eingeschlafen war, hatte sie absolut unpassende Träume über Marcus gehabt, aus denen sie erschöpft und mit einem schlechten Gewissen erwacht war. Dann hatte Marcus auch noch das morgendliche Meeting sausen lassen, um eine private Tour über die Ranch zu unternehmen. Zu guter Letzt hatte Devon ihr unmissverständlich klargemacht, dass er sie diese Woche in Montana brauchte.

Natürlich nicht als Spionin. Aber wie sein Vater konnte auch Marcus unberechenbar sein. Er war eine charismatische Führungspersönlichkeit. Irgendwie hegte sie den Verdacht, dass Devon sich Sorgen machte, dass Marcus ein neues Unternehmen gründen und „seine“ Kunden abwerben könnte. Lily vermutete, dass sie Marcus nicht nur helfen sollte, den neuen Account anzulegen, sondern auch vor Ort sein musste, um sicherzustellen, dass der Dialog zwischen den Salazar-Brüdern nicht abriss. Um Marcus daran zu erinnern, dass die beiden Teile der Firma früher gut zusammengearbeitet hatten und das auch wieder tun konnten.

Nachdem sie zehn Minuten lang ihren frustrierten Gedanken nachgehangen hatte, zwang Lily sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Marcus gar nicht zur Lodge zurückfuhr. Die Landschaft um sie herum hatte sich verändert. Statt in einer weiten Hügellandschaft waren sie jetzt in einem dichten Wald. Der Duft von feuchten Blättern und Kiefernnadeln stieg auf.

„Wo sind wir?“ Sie versuchte, durchs Gewirr der Zweige zu spähen.

„Am Bitterroot River.“ Noch während Marcus sprach, gelangte der Wagen auf eine Lichtung, und der Fluss kam in Sicht. „Du hast ausgesehen, als könntest du eine Atempause genauso gut gebrauchen wie ich.“

„Ich …“ Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Es waren die ersten freundlichen Worte, die er auf dieser Reise zu ihr gesagt hatte. „Danke.“

Er bremste dicht am Flussufer an einem schmalen, steinigen Strand. Das Wasser glitzerte im Sonnenschein wie ein edelsteinbesetztes Band.

„Außerdem könnte ich ein paar Aufnahmen davon gebrauchen.“ Er griff an ihrem Bein vorbei. Die kurze Berührung verblüffte sie, bis ihr klar wurde, dass er nur die Kameratasche aufhob. „Stört’s dich, wenn wir ein paar Minuten lang hierbleiben?“

Er war ganz auf seine Kamera konzentriert, drehte an Rädchen und veränderte die Einstellungen. Einen Moment lang sah sie ihm fasziniert zu. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass ihr Knie immer noch prickelte, obwohl seine Fingerknöchel es nur leicht gestreift hatten. Bis gestern hatte sie Marcus nie in dem Licht gesehen. Jetzt war sie sich nicht sicher, wie sie das Begehren ignorieren sollte, das sich in ihr regte. Gestern war etwas Seltsames zwischen ihnen vorgefallen. Etwas, das darüber hinausging, dass Marcus ihr vorgeworfen hatte, für seinen Bruder zu spionieren.

„Natürlich nicht.“ Sie konnte einfach nicht anders, als ihn weiter zu beobachten, während er alles für eine Aufnahme vom Fluss vorbereitete, die von einem geschwungenen Ast gerahmt wurde. Sie sah den Ausschnitt auf dem Display, der einen Großteil der Rückseite der Kamera einnahm. „Toll! Du hast wirklich einen Blick für schöne Aufnahmen.“

Kurz erstarrte er, dann sah er sich zu ihr um.

„Mein Bruder hat mal zu mir gesagt, dass ich künstlerisch begabt bin, weil ich nur an mich selbst denke, während er besser fürs Geschäft geeignet ist, weil ihn die Meinung anderer interessiert.“ Erneut widmete er sich seiner Kamera und veränderte ein paar Einstellungen, um dann noch einmal das gleiche Bild aufzunehmen.

Lily wusste, dass Devon kalt sein konnte. Sogar berechnend. Aber sie hatte seine praktische Veranlagung immer zu schätzen gewusst. Schließlich war sie genauso.

„Glaubst du, dass daran ein Fünkchen Wahrheit ist?“ Sie konnte die verfeindeten Brüder nicht miteinander versöhnen, wenn sie Marcus nicht besser verstehen lernte. Sie redete sich ein, dass sie es nur deshalb wissen wollte.

„Ja, es stimmt, dass Devon weiß, wie man sich beliebt macht, und ich nicht. Das heißt aber nicht, dass er geschäftstüchtiger ist.“ Er betätigte den Auslöser ein paar Mal und machte Fotos vom Wasser, bevor er einen Vogel auf Nahrungssuche heranzoomte.

„Devon ist gut darin, unsere Dienste Großkonzernen anzupreisen. Du bist die treibende Kraft auf der kreativen Seite.“ Sie verstand nicht, warum er nicht einsah, dass sie als Brüder einander brauchten. „Dadurch ist die Firma im Gleichgewicht.“

„Aber ich will kein Gleichgewicht.“ In rascher Folge schoss er mehrere Bilder, als der Vogel ins Wasser tauchte. „Mir geht’s nicht darum, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Viel wichtiger ist, neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Nur dadurch bleiben wir Trendsetter.“

Er legte die Kamera auf den Sitz zwischen ihnen, wandte sich Lily zu und schenkte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

„In der Firma sollte es nicht allein um dich gehen“, sagte sie leise. Das Unternehmen war schnell gewachsen. Überall im Land gab es inzwischen Filialen. Sie überlegten, in den internationalen Markt einzusteigen.

„Warum nicht? Es war meine Idee. Mit meiner Arbeit hat alles angefangen, und jetzt kann ich es mir leisten, meinen Bruder auszuzahlen.“ Er beugte sich zu ihr. „Ich habe keine Lust mehr, meine Vision zugunsten von seiner zurückzustellen.“

Im Fluss sprang ein Fisch hoch und landete klatschend wieder im Wasser.

„Salazar Media besteht nicht mehr nur aus dir und Devon. Es gibt ganze Büros voller Angestellter, die ihren Lebensunterhalt verlieren, wenn du die Firma verkleinerst.“ Sie fragte sich, ob er darüber nachgedacht hatte.

„Glaubst du etwa, ich sollte zulassen, dass Devon mich auszahlt, und allein einen Neuanfang wagen?“

So hatte er ihre Bemerkung also verstanden? Sie war noch nie jemandem begegnet, der so dachte wie er.

„Natürlich nicht. Du hast dir den Respekt der Branchenprofis erarbeitet. Darauf möchtest du doch nicht verzichten.“

„Für jemanden, dem egal ist, was andere denken, ist das kein Problem, schon vergessen?“ Er lehnte sich zurück und musterte sie. „Vielleicht bist du meinem Bruder zu ähnlich, um das zu verstehen. Du willst den Leuten auch gefallen.“

Sie versteifte sich.

„Es geht nicht darum, anderen zu gefallen.“ Sie war sich nicht sicher, warum sie plötzlich über sie redeten. Schließlich war sie nicht diejenige, die drohte, das Familienunternehmen zu spalten. „Aber mir ist sehr wohl wichtig, welche Konsequenzen meine Entscheidungen für andere haben.“

„Ein Künstler kann es sich nicht leisten, darauf Rücksicht zu nehmen. Ich muss unempfindlich gegenüber Kritik sein, um weiter Kunst zu erschaffen.“ Sein Knie stieß gegen ihres, als er seine Sitzhaltung verlagerte, was sie daran erinnerte, wie deutlich sie seine Nähe wahrnahm. „Ich muss an meine Entscheidungen glauben, egal, was alle anderen sagen.“

„Du darfst aber nicht so egozentrisch werden, dass du die Vorstellungen aller anderen in den Wind schlägst.“ Sie schlug die Beine übereinander, um ihm mehr Platz zu lassen. Natürlich nur aus Höflichkeit, nicht etwa, weil sie besorgt war, wie seine Berührungen sich auf sie auswirkten.

„Aber wenn ich ein Werk erschaffen will, auf das ich stolz bin, muss ich brutal ehrlich zu mir selbst sein.“ Seine dunklen Augen wirkten durchdringend wie Laserstrahlen. Forderten sie heraus. „Wenn es keine öffentliche Meinung gäbe und niemand auf der Welt das, was ich tue, loben oder ablehnen könnte, würde ich es dann immer noch genauso machen?“

Sein Blick schien die Tiefen ihrer Seele auszuloten. Als würden seine Worte sich auf sie beziehen.

Sie, die den Leuten gefallen wollte.

„Wenn du damit meinst, dass Devon und ich bei unseren Entscheidungen nicht nur unsere persönlichen Wünsche, sondern auch das große Ganze mit einbeziehen, muss ich dir zustimmen. Dein Bruder versucht, das zu tun, was für Salazar Media das Beste ist.“ Sie hatte das Gefühl, Devon verteidigen zu müssen. Und sich selbst.

„Und du, Lily?“

„Ich halte keine Firmenanteile“, rief sie ihm ins Gedächtnis.

„Das ist mir klar“, sagte er sanft. „Sieh es als hypothetische Frage an, und versetz dich in meine Lage.“ Er starrte wieder auf den Bitterroot River hinaus. Vielleicht spürte er, dass das Gespräch ihr unter die Haut ging. „Wenn du dir keine Sorgen machen würdest, was andere Leute denken, würdest du dann immer noch dieselben Entscheidungen fällen?“

Nein.

Die Antwort stand sofort fest. Unwiderruflich. Überraschend heftig.

Sie hatte so viele Entscheidungen ausgehend von dem getroffen, was andere von ihr erwarteten, dass es ihr schwergefallen wäre, die wenigen aufzuzählen, die sie nur für sich gefällt hatte. Ihr Job gehörte allerdings dazu.

Dennoch würde sie nie ausblenden können, was ihre Großeltern wollten. Sie hatten sie großgezogen, sie bei sich aufgenommen, als ihre Mutter sich nicht mehr um sie gekümmert hatte. Dafür würde sie ewig in ihrer Schuld stehen.

Aber sie konnte nicht leugnen, dass sie ihnen vielleicht einen zu großen Einfluss auf ihre Zukunft eingeräumt hatte – von ihrer Ausbildung bis hin zur Wahl ihres Verlobten. Aber sie wollten doch nur das Beste für sie, oder?

Während sie beide schwiegen, stellte sie fest, dass sie die neue Brille nicht mochte, durch die er sie ihre eigenen Entscheidungen betrachten ließ. Denn was sie sah, war nicht die Frau, die sie gern sein wollte.

Die herbstliche Brise ließ sie frösteln, und Lily war dankbar, als Marcus den Wagen zurück zur Ranch lenkte.

3. KAPITEL

Nur weil Marcus’ Einschätzung zutreffend war, musste sie, Lily, doch nicht ihr ganzes Leben auf den Prüfstand stellen, oder?

Noch immer gingen ihr seine Worte durch den Kopf, als sie spätabends ihre Koffer packte. Sie war entschlossen, nach New York zurückzufliegen, obwohl Devon darauf bestanden hatte, dass sie in Montana blieb. Devon war zwar ihr Vorgesetzter, aber seine Anweisungen wogen nicht schwerer als die seines Bruders, weil sie das Unternehmen gemeinsam leiteten. Und Marcus wollte, dass sie abreiste. Hatte er das nicht von Anfang an deutlich gemacht? Sie würde Devon einfach sagen, dass Marcus ihr eine Anweisung erteilt hatte, die seiner zuwiderlief.

Aber das war nicht ihr Problem. Sie konnte nicht bleiben, nachdem Marcus sie absichtlich in seelische Qualen gestürzt hatte. Er hatte ihr vorgeworfen zu spionieren. Ungewolltes Begehren in ihr entfacht.

Und dann auch noch angedeutet, dass sie sich nur aus praktischen Gründen für ihren Verlobten entschieden hatte. Aus Bequemlichkeit. Weil Eliot in die richtigen Schubladen passte.

Nicht, dass Marcus das wortwörtlich gesagt hätte.

Sie rollte ihre Socken zusammen und reihte sie ordentlich ganz unten in ihrem Koffer auf. Diesmal war ihr das Ritual kein Trost, obwohl es ihr sonst vor jeder Reise das Gefühl gab, alles unter Kontrolle zu haben.

„Verdammt.“ Gestresst warf sie mit dem letzten Sockenpaar nach den Stierhörnern, die über dem Doppelbett in ihrer Suite angebracht waren.

Fluchte sie auf sich selbst? Auf Marcus? Auf ihren Verlobten, der ihre letzten drei Nachrichten nicht beantwortet hatte? Sie wusste es nicht. Aber es störte sie, dass Marcus’ Worte noch in ihr widerhallten, obwohl ihr Gespräch am Fluss schon Stunden zurücklag.

Sie musste auf Abstand zu ihm gehen – zu all den Gefühlen, die er in ihr auslöste. Das war mit ein Grund dafür, dass sie zu packen begonnen hatte. Aber würde das etwas nützen?

Marcus Salazar wusste nicht viel über ihr Privatleben. Schon gar nicht über ihre Beziehung. Also musste sie sich eingestehen, dass sie allein seine Worte dahingehend interpretiert hatte, dass er ihre Verlobung verurteilte.

Und das hieß …

Sie war diejenige, die Zweifel hatte.

Plötzlich gaben die Knie unter ihr nach. Sie ließ sich auf die Bettkante fallen.

Während sie Eliots Ring an ihrem Finger anstarrte, fragte Lily sich, wie lange sie eigentlich schon ihre Entscheidung hinterfragte, einen Mann zu heiraten, der für sie immer eher ein Bekannter als ein Geliebter gewesen war. Vielleicht hatten sie sich deshalb nie auf einen Termin festlegen können. Darum war es ihnen wohl auch immer so leichtgefallen, ihre Zeit getrennt voneinander zu verbringen. Dass sie bereit gewesen war, sich auf vier weitere Monate ohne Eliot einzulassen, war ein Hinweis, dass er nicht der Richtige für sie war. Und das musste er erfahren. Unverzüglich.

Sie musste Eliot noch einmal anrufen. So oft, bis sie ihn erreichte. Denn die Verlobung hatte lange genug gedauert. Es wurde Zeit, dass sie beide aufhörten, so zu tun, als würde es je zu einer Ehe kommen. Sie hoffte, dass er das einsehen würde, denn sie wollte ihm nicht wehtun. Vor ihrer Verlobung waren sie lange befreundet gewesen. Aber sie wusste, dass sie Schluss machen musste. Entschlossen zog sie den Ring vom Finger und legte ihn auf den Nachttisch.

Sie griff nach ihrem Handy und rief ihn über die Videotelefonapp an.

Gleich beim ersten Klingeln hob er ab. Sein dunkelblondes Haar und seine grauen Augen erschienen auf dem Display. „Hallo, Lily.“

Er trug ein Smokinghemd und eine schwarze Fliege, wirkte aber ziemlich zerzaust. Sein Aufenthaltsort war Lily nicht vertraut. Eine Hotellobby vielleicht? Im Hintergrund sah sie andere Leute, aber niemand sonst war gekleidet wie Eliot. Seine Augen waren verquollen und wirkten so schlaftrunken, dass ihr klar wurde, dass es auf seiner Seite der Welt fünf Uhr morgens war. Kam er etwa gerade erst ins Hotel zurück? Die dunklen Bartstoppeln an seinem Kinn deuteten darauf hin.

Sie wurde nervös und ging in ihrer Suite auf und ab

„Hi“, brachte sie nach einer peinlichen Pause heraus. „Ich muss mit dir reden.“

„Bist du böse, dass ich länger hierbleiben muss? Du weißt doch, dass ich Dads Wünsche nicht ignorieren kann.“ Er zupfte an seiner Fliege und lockerte den schief sitzenden Knoten.

„Ich bin nicht böse, Eliot“, versicherte sie und blieb stehen. „Aber ich habe über unsere Verlobung nachgedacht. Über unsere Bereitschaft, die Hochzeit bis auf Weiteres zu verschieben. Und ich glaube, das ist ein Zeichen, dass wir die Verlobung lösen müssen.“

Erstaunt riss er die Augen auf und beugte sich vor.

„Die Verlobung lösen?“, wiederholte er, während er weiter mit seiner Fliege kämpfte.

„Ja.“ Sie wusste, dass es das Richtige war, aber ihr wurde trotzdem flau im Magen. „Es tut mir so leid, das am Telefon zu tun, aber …“

„Was ist mit der Fusion?“, platzte er heraus und ließ die Fliege los, um wild zu gestikulieren. Dann schien ihm klar zu werden, wie das klang, denn er schüttelte den Kopf. „Ich meine, so weh es tut, auch nur daran zu denken, die Verlobung zu lösen … Für uns steht mehr als nur unser persönliches Glück auf dem Spiel.“

Lily verspürte eine Mischung aus Enttäuschung, Argwohn und verletztem Stolz. Aber inmitten des Gewirrs aus Emotionen machte sich auch Erleichterung in ihr breit, weil die gelöste Verlobung ihnen beiden nicht das Herz brach.

„Ich weiß.“ Sie atmete aus und ließ sich auf die Fensterbank sinken, wobei sie darauf achtete, nicht die Damastvorhänge zu zerknittern. „Aber eine Ehe sollte man nicht aus rein geschäftlichen Gründen eingehen.“

„Wir sind doch ein tolles Team, Lily.“ Sein Blick huschte zu etwas abseits seines Handys. Oder zu jemandem, denn er hob den Finger, als wollte er einer Person, die Lily nicht sehen konnte, bedeuten, dass das Gespräch nicht mehr lange dauern würde. „Wir sollten über alle Optionen nachdenken, bevor wir die Verlobung lösen.“

Überraschenderweise fühlte sie sich verletzt. Vielleicht lag es daran, dass Eliot der Verlust von Liebe oder Gesellschaft gar nichts zu bedeuten schien. Ihm ging es nur um die Fusion. Hatte er nie etwas für sie empfunden?

Es half nicht, dass ihre Intuition ihr sagte, dass er in weiblicher Gesellschaft war.

„Entweder wollen wir eine echte Ehe oder nicht“, sprach Lily aus, was ihr schon lange durch den Kopf ging. „Und mittlerweile bin ich mir sicher, dass du zu dem Schri...

Autor

Joanne Rock
<p>Joanne Rock hat sich schon in der Schule Liebesgeschichten ausgedacht, um ihre beste Freundin zu unterhalten. Die Mädchen waren selbst die Stars dieser Abenteuer, die sich um die Schule und die Jungs, die sie gerade mochten, drehten. Joanne Rock gibt zu, dass ihre Geschichten damals eher dem Leben einer Barbie...
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