Rebecca - schön und ungezähmt

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Rebecca ist empört: Ausgerechnet Charles, Earl of Rayne, dieser hinreißend attraktive Mann, für den sie schon als junges Mädchen schwärmte, soll ihr Vormund sein! Voller Entrüstung erinnert sie sich an ihre letzte Begegnung, bei der er sie hart zur Rechenschaft zog, weil sie seinen wilden Hengst geritten hatte. Und als sie Charles jetzt erstmals seit Jahren wieder gegenübersteht, pocht ihr Herz zum Zerspringen. Ist es die Wut - heute so frisch wie damals - oder ein ganz anderes, neues Gefühl? Als drei Anschläge auf Charles' Leben verübt werden, ist Rebecca außer sich vor Sorge. Und plötzlich spürt sie, dass sie ihn längst heimlich liebt …


  • Erscheinungstag 23.04.2008
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783863499754
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Miss Rebecca Standish ritt auf ihrer lebhaften Fuchsstute Belle durch das von massiven Pfeilern flankierte westliche Parktor von Rayne Court und trabte die von Buchen gesäumte Zufahrt entlang. Dichtes Laub schirmte die Sommersonne ab, sodass nur da und dort Lichtstrahlen das Blätterdach durchdrangen und tanzende Schatten auf den Weg warfen.

Es war seit einer Woche das erste Mal, dass das Wetter es Rebecca erlaubte, ihre Taufpatin, die Dowager Countess of Rayne zu besuchen, da der ungewöhnlich kühle Juli einen feuchten und trüben Tag nach dem anderen gebracht hatte.

Seit der älteste Sohn der Countess im Jahr zuvor bei einem Reitunfall ums Leben gekommen war, hatte Rebecca ihre Patentante häufig besucht, und heute konnte sie es kaum erwarten, sie wiederzusehen, da sie neugierig war, was für ein Gesicht Lady Constance machen würde, wenn ihr Patenkind in so eleganter Aufmachung erschien.

Rebecca blickte an sich hinunter und begutachtete ihr neues schwarzes Reitkostüm, das sie an diesem Morgen zum ersten Mal angelegt hatte. Mit einem bekümmerten Lächeln dachte sie daran, dass sie für Lady Constance wohl immer eine Enttäuschung bleiben würde, da sie am liebsten ihre alten, abgetragenen Sachen trug und sich nicht viel aus feiner Gesellschaft machte. Insgeheim wusste sie, dass sie ein hoffnungsloser Fall war!

Auch wenn sie sich noch so sehr bemühte, würde sie nie jenes tadellose, gesittete Benehmen erlangen, das von jungen Damen aus gutem Haus erwartet wurde. Ein wenig gebessert hatte sie sich im Laufe der Zeit ohnehin, da es schon etliche Jahre her war, dass sie die Nachbarn schockierte, indem sie in Breeches und im Herrensitz auf ihrem Pony querfeldein galoppierte.

Das Personal war es gewohnt, dass die Patentochter der Countess auf Rayne Court nach Belieben kam und ging. Da sie immer Zeit für ein freundliches Wort hatte, war sie, von einer Ausnahme abgesehen, bei allen beliebt. Sogar der gestrenge Butler Mr. Hodges taute in ihrer Gegenwart sichtlich auf und gestattete sich gelegentlich sogar ein Lächeln.

So war es auch, als er Rebecca wenig später öffnete und meldete, dass Ihre Ladyschaft in ihrem privaten Salon anzutreffen sei.

Rebecca lief leichtfüßig die breite, geschwungene Treppe hinauf und den Korridor zum Westflügel entlang. Wie es ihre Gewohnheit war, stürmte sie ohne anzuklopfen in den Raum und stieß beinahe mit Muker, Lady Harriets Zofe, zusammen, die wie immer eine verdrossene Miene zur Schau trug. Ein entrüstetes Schnauben war alles, was die Frau von sich gab, doch der Blick ihrer harten grauen Augen sprach Bände, als sie den Salon verließ.

Rebeccas Augen freilich funkelten vor Belustigung, als sie ihrer Patentante einen Kuss auf die rosige Wange hauchte und sich neben sie auf das Sofa setzte. „Ich begreife nicht, warum Lady Harriet ausgerechnet diesen sauertöpfischen alten Drachen als Zofe nehmen musste“, stellte sie mit gewohnter Offenheit fest.

Da dies mehr oder weniger der Meinung der alten Dame entsprach, konnte sich diese ein Lächeln nicht versagen, meinte aber gelassen: „Meine Liebe, Muker mag zwar nicht jedermanns Geschmack sein, hat mir aber sehr gute Dienste geleistet, als meine eigene liebe Digby stark erkältet war. Aber reden wir von wichtigeren Dingen.“ Sie lächelte glücklich. „Heute Morgen ist ein Brief von Charles gekommen, in dem er mir seine Heimkehr ankündigt.“

Rebecca schrak zusammen und unterdrückte einen entsetzten Ausruf. Sie spürte den Blick der alten Dame auf sich ruhen, die sie in Erwartung einer entzückten Äußerung nicht aus den Augen ließ. Aber wie hätte sie Begeisterung über diese Nachricht zeigen sollen, wenn sie alles andere als erfreut war?

Lady Constance fasste nach der Hand ihres Patenkindes. „Sicher freust du dich auch, meine Liebe?“

Nur das Eintreten des Butlers bewahrte Rebecca vor einer frommen Lüge. Hodges tat noch ein Übriges, indem er Lady Constance in Erinnerung rief, dass die Näherin, die mit Änderungen an den Vorhängen im Schlafgemach Seiner Lordschaft betraut war, sie sprechen wollte.

Unendlich erleichtert, als ihre Patentante hinausgegangen war, trat Rebecca ans Fenster und blickte hinaus auf die Zufahrt zum Südtor. Etwa zwei Meilen jenseits der Parkmauer stand das Haus, das seit elf Jahren ihr Heim war.

Ihr war bewusst, dass sie eine sehr unkonventionelle Erziehung genossen hatte, da sie in der Obhut ihres Großvaters, eines pensionierten Colonel, aufgewachsen war, nachdem sie mit acht Jahren ihre Eltern durch eine Pockenepidemie verloren hatte. Der alte Herr, dem weiblichen Geschlecht gegenüber ohnehin sehr kritisch, war denkbar ungeeignet, ein lebhaftes kleines Mädchen zu bändigen.

Intolerant, engherzig und einzig darauf bedacht, in seinem geregelten Leben nicht gestört zu werden, musste er freilich bald entdecken, dass sogar er, der barsche, seit Jahren verwitwete Exoffizier, gegen den Zauber strahlender grüner Augen nicht gefeit war.

Bald konnte sich seine Umgebung nicht genug wundern, mit welch übertriebener Nachsicht er sein Enkelkind behandelte. Mochte Rebecca sich auch noch so ungebärdig benehmen, es tat seiner Liebe keinen Abbruch. Vier ungetrübt glückliche Jahre lang hatte sie tun und lassen können, was sie wollte, bis dieser unbeschwerten Zeit durch die vorsätzliche Einmischung eines Außenstehenden ein jähes Ende bereitet wurde.

„Der Ehrenwerte Charles Henry Thornville“,murmelte sie verbittert. Auch nach sieben Jahren regte sich bei ihr Zorn, wenn sein Name auch nur erwähnt wurde.

Seinem Eingreifen war es zu verdanken, dass sie über Jahre hinweg in ein Pensionat in Bath verbannt worden war, das ihr seiner kleinlichen Regeln und Verbote wegen eher wie ein Gefängnis erschienen war. Schlimmer noch, sie hatte sich hintergangen gefühlt, betrogen von einem Menschen, dem sie eine solche Schlechtigkeit nicht zugetraut hatte. War es da ein Wunder, dass sie dem Sohn ihrer Patentante alles andere als freundliche Gefühle entgegenbrachte?

Langsam ließ ihre Verbitterung nach, als ihr Blick über die schöne Parklandschaft wanderte, die das Herrenhaus umgab. Uralte majestätische Bäume schützten die Bewohner des Herrenhauses vor neugierigen Blicken. Sie liebte diesen Ort über alles. Wie viele glückliche Stunden hatte sie hier verbracht, wie oft hatte sie in dem Bach, der sich durch den Park wand und nun in der hellen Morgensonne schimmerte, nach Forellen geangelt!

Nein, gestand sie sich ein wenig wehmütig ein, ich habe nicht immer so empfunden wie jetzt. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie sich Charles ständig an die Fersen heftete und er sie wie ein großer, geduldiger Bruder Reiten, Angeln, Schießen und Schwimmen lehrte. Als Kind hatte sie ihm bedingungslos Bewunderung entgegengebracht – aber sie war kein Kind mehr.

Nachdenklich strich sie sich über die Stirn. Wäre Giles nicht ums Leben gekommen, ohne Kinder zu hinterlassen, wäre nun sein jüngerer Bruder nicht Herr von Rayne Court.

Nun, das ist Vergangenheit, sagte sie sich resolut, als sie zurück zum Sofa ging. Außerdem musste sie zugeben, dass ihr Charles’ Gegenwart ohnehin sehr lange erspart geblieben war. Er hatte einige Jahre in Wellingtons Armee gekämpft und nach dem Tod seines Bruders eine ausgedehnte Reise auf dem Kontinent unternommen. Sie hatte also genug Zeit gehabt, um ihre kindischen Vorbehalte abzulegen.

Es war auch nicht so, dass seine Ankunft sie unerwartet getroffen hätte. Trotzdem sah sie der Zukunft ein wenig bang entgegen, denn wenn sie nicht auf den Umgang mit ihrer geliebten Patentante verzichten wollte, musste sie sich darauf einstellen, ihm zumindest mit Höflichkeit zu begegnen.

Das ist zu schaffen, dachte sie nach kurzer Überlegung. Aber nie wieder würde sie Vertrautheit dulden, ebenso wenig wie sie gestatten würde, dass er in ihr Leben eingriff. Sie war jetzt eine junge Frau, entschlossen, willensstark und dem siebten Earl of Rayne durchaus gewachsen!

Als ihre Patentante nach wenigen Minuten wieder eintrat, hatte Rebecca sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden und brachte sogar so etwas wie ein Lächeln zustande. „Du wirst jetzt sehr beschäftigt sein, da du alles für die Rückkehr Seiner Lordschaft vorbereiten möchtest“, bemerkte sie im beiläufigen Plauderton.

„Es hört sich sehr sonderbar an, wenn du ihn so nennst, mein Kind.“ Die alte Dame lächelte ein wenig wehmütig, als sie sich neben Rebecca setzte. „Wenn Charles hier war, hast du stets wie eine Klette an ihm gehangen. Ich sehe dich noch vor mir, wie du die Treppe hinaufgelaufen und in sein Zimmer gestürmt bist.“

„Keine Angst, liebe Tante.“ Rebecca schürzte die Lippen. „Das wird sich keinesfalls wiederholen.“

„Das will ich auch hoffen!“ Lady Constance, deren gespielte Entrüstung Rebecca ein Kichern entlockte, bemerkte nun erst das elegante schwarze Reitkostüm ihrer Patentochter. „Du siehst zauberhaft aus, mein Kind. Obwohl ich seinerzeit gegen diese Farbe war, bin ich nun froh, dass ich dir deinen Willen ließ.“

Rebecca warf ihr einen ironischen Blick zu. „Liebste Tante, dir ist doch sicher nicht entgangen, dass es in unserer Gegend Mode ist, sich schwarz wie eine Krähe zu kleiden?“

Wohl wissend, auf wen sie anspielte, konnte Lady Constance sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie selbst hatte die Trauerzeit um ihren ältesten Sohn streng eingehalten, kleidete sich nun aber in dezente, einer Witwe angemessene Farben, während sich die Witwe ihres Sohnes weiterhin nur in tiefstem Schwarz zeigte. „Mir steht es nicht zu, Harriet Vorschriften bezüglich ihrer Garderobe zu machen. Sie war in den letzten Monaten die Güte selbst, fürsorglich und pflichtbewusst.“

Rebecca, deren Wertschätzung für die junge Witwe sich in Grenzen hielt, musste ihrer Tante recht geben. Lady Harriet hatte unbeugsames Pflichtbewusstsein bewiesen. So als wäre sie noch immer Countess! Dieser Gedanke veranlasste sie zu einer etwas boshaften Bemerkung: „Aber sie ist nicht mehr Countess. Ist dir noch nicht der Gedanke gekommen, dass es eine neue Countess of Rayne geben könnte?“

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann lachte Lady Constance auf. „Schlimmes Mädchen!“, schalt sie Rebecca liebevoll. „Charles mag ja in manchem sehr nachlässig sein, aber dass er heiraten könnte, ohne mich zuvor von seiner Absicht in Kenntnis zu setzen, ist undenkbar.“

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ihre Patentante Erschrecken verraten – und noch etwas. War es Angst, fragte Rebecca sich, oder Unbehagen? Gewiss wünschte sie sich, dass Charles heiratete. Ehe sie aber Fragen stellen und ihre Neugierde befriedigen konnte, öffnete sich die Tür und Lady Harriet trat ein.

Zierlich und von anmutiger Haltung, schwebte die junge Witwe herein, wie immer in Trauerkleidung, die ihren makellosen Teint und das aschblonde Haar betonte.

„Muker hat mir die wundervolle Nachricht überbracht“, sagte sie und setzte sich den beiden gegenüber. „Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue.“ Sie wandte sich an Rebecca. „Du siehst heute sehr elegant aus.“ Ihre kornblumenblauen Augen registrierten jedes Detail des Reitkostüms, ehe ihr Blick an dem Zylinder mit der geschwungenen Krempe hängen blieb, unter dem Rebeccas ungebärdiges langes schwarzes Haar verschwand. „Ja, überaus vorteilhaft. Höchste Zeit, dass ich mir ein neues Reitkostüm machen lasse.“

Um einer Bemerkung über eine bestimmte Farbe zuvorzukommen, warf Lady Constance hastig ein: „Ja, sie sieht gut aus. Und sie weiß noch nicht, dass ich ein paar Kleider für sie schneidern ließ. In spätestens zwei Wochen werden sie fertig sein.“

„Oh nein, Tante!“ Um nicht undankbar zu erscheinen, setzte Rebecca hinzu: „Das ist sehr, sehr lieb, aber ich brauche sie wirklich nicht.“

„Meine Liebe, im Moment siehst du die Notwendigkeit noch nicht ein. Du solltest dich jedoch an den Gedanken gewöhnen, dass ich dich von einem Modesalon zum anderen schleppen werde, wenn ich dich in der nächsten Saison der Gesellschaft präsentiere.“

„Madame Bertrand an der Bond Street wird sehr gelobt“, meinte Lady Harriet, die sich über Rebeccas ablehnende Miene amüsierte.

„Ganz recht, aber auch Étienne erfreut sich eines guten Rufes“, erwiderte Lady Constance, sich sichtlich für das Thema erwärmend.

Da die Konversation der beiden Damen sich fortan nur noch um dieses Thema drehte, hielt Rebecca es gerade noch fünf Minuten aus, ehe es um ihre Geduld geschehen war und sie mit ungeniertem Gähnen aufstand. „Wenn es hier heute nur um Mode geht“, sagte sie mit einem Abschiedskuss auf die Wange der Countess, „empfehle ich mich lieber.“

„Ganz und gar unverbesserlich!“, murmelte Lady Constance, als sich die Tür hinter Rebecca schloss, doch ihr Lächeln war unverändert, als sie nach ihrem Stickrahmen griff.

Lady Harriet beobachtete schweigend, wie die alte Dame die Nadel durch das Material führte. Wiewohl sorgsam darauf bedacht, sich nichts anmerken zu lassen, hatte Rebeccas modische Aufmachung sie in Unruhe versetzt. Wie kam es, dass ihr bislang nicht aufgefallen war, was unter der widerspenstigen Haarflut und den altmodischen Kleidern steckte? Wie kurzsichtig von ihr! Sorgfältige Pflege und Aufmachung vorausgesetzt, würde sich das Mädchen zur hinreißenden Schönheit mausern.

Da war es nur ein schwacher Trost, dass Rebecca vermutlich erst in London den Händen einer versierten Zofe anvertraut würde. Das Mädchen war zur ernsthaften Konkurrentin herangereift. Bis zum Beginn der Saison würden noch Monate vergehen, genug Zeit also, dass er sich von einem schönen grünen Augenpaar verzaubern ließ, zumal ihm Rebecca als kleiner Wildfang seinerzeit sehr ans Herz gewachsen war!

Harriet erhob sich und trat ans Fenster, um auf den sonnigen Park hinauszublicken. Anders als Rebecca betrachtete sie ihn nicht als schönes Stück Natur, sondern als Besitz, der ihr durch die grausame Hand des Schicksal entrissen worden war.

Wie hatte sie seit Giles’ Tod getrauert! Freilich nicht so sehr um ihren Ehemann, als vielmehr um ihre gesellschaftliche Stellung. Niemandem war deutlicher bewusst als ihr selbst, dass sie nicht länger Countess und Herrin dieses Besitzes war. Der Verlust des Titels schmerzte wie eine offene Wunde. Die besondere Ironie des Schicksals lag darin, dass sie auch jetzt Herrin von Rayne hätte sein können, wenn sie so klug gewesen wäre, vor Jahren die Aufmerksamkeiten des jüngeren Bruders zu ermutigen.

Sie unterdrückte nur mit Mühe ein hysterisches Auflachen, als sie an ihre erste Saison dachte. Der Ehrenwerte Charles Thornville war ihr ergebenster Verehrer gewesen, als aber sein älterer Bruder unerwartet Interesse an ihr zeigte, hatte sie keinen Moment gezögert. Charles’ Einkommen hatte sich mit Giles’riesigem Vermögen nicht messen können. Außerdem war Charles kein Earl gewesen.

Nun, sie hatte ihre Wahl getroffen und diese bis zum Tod ihres Mannes nicht bereut, zumal er sich sehr großzügig gezeigt hatte. Sie besaß genug Geld, um sich ein kleines elegantes Haus in London leisten und behaglich leben zu können, aber Behagen war kein Luxus und ein elegantes Haus kein Herrensitz.

Eine unmerkliche Furche störte die Vollkommenheit ihrer Stirn. Wann ihr zuerst der Gedanke gekommen war, Charles wieder für sich zu gewinnen, wusste Harriet selbst nicht mehr. Kaum aber hatte sie ihn in Erwägung gezogen, als er sich rasch zur fixen Idee steigerte.

Dass Charles auf seinen Reisen heiraten könnte, war unwahrscheinlich, da er ohne Billigung seiner Mutter nie eine Ehe eingehen würde. Harriet war also sicher gewesen, dass sie nur geduldig auf Rayne ausharren und auf seine Rückkehr warten müsse. Schließlich hatte Charles sie einst geliebt, und sie sah keinen Grund, warum er sich nicht erneut in sie verlieben sollte.

Gewiss, sie war bereits Mitte zwanzig, aber noch immer sehr begehrenswert. Da es im weiten Umkreis kein weibliches Wesen mit ihr an Anmut, Schönheit und Charme aufnehmen konnte, war sie überzeugt, der Titel Countess sei ihr so gut wie sicher – bis jetzt.

Lady Harriet ahnte indes nicht, dass sich ihre Befürchtungen im Nu verflüchtigt hätten, wäre sie Zeugin der Szene gewesen, die sich just in diesem Moment im Hof vor den Stallungen abspielte.

Rebecca, die durch eine Seitentür ins Freie trat und zum Stallgebäude ging, ärgerte sich, weil ihr Besuch nicht sehr erfreulich verlaufen war. Aber war das nicht immer so? Je größer die Vorfreude, umso größer die Enttäuschung. Sie band Belles Zügel los und machte ihrem angestauten Ärger mit einer Abfolge von so drastischen Flüchen Luft, dass der in der Tür stehende junge Stallmeister Peter Shaw unwillkürlich schmunzelte.

„Was für eine Sprache, Miss Becky! Was würde Ihre Ladyschaft dazu sagen?“

Erschrocken fuhr Rebecca herum, und sah, dass ihr Spielgefährte aus Kindertagen sie sichtlich amüsiert musterte. „Ach, du bist es!“, entfuhr es ihr, aber Peters gewinnendes Lächeln wirkte Wunder und vertrieb ihre schlechte Laune. „Du würdest dich auch ärgern“, fügte sie milder gestimmt hinzu, „wenn du die Neuigkeit wüsstest.“

„Schlimm?“

„Es könnte nicht schlimmer sein.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Charles kommt nach Hause.“

„Und was ist so übel daran?“ Er fuhr sich mit dem Daumen über sein Stoppelkinn. „Ich hätte gedacht, wenn sich jemand freut, dann Sie.“

Da sie ungewollt mehr verraten hatte als beabsichtigt, suchte Rebecca nach einer plausiblen Antwort. Obwohl sie als Kinder eng befreundet gewesen waren, hatte ihre unterschiedliche Stellung es mit sich gebracht, dass sie einander in den letzten Jahren seltener gesehen hatten, doch wenn sie einander begegneten, behielten sie den fröhlichen, kameradschaftlichen Ton früherer Tage bei.

Da Angriff die beste Verteidigung darstellte, erwiderte sie: „Mich wundert, dass du es so ruhig aufnimmst. Schließlich bedeutet seine Rückkehr doch, dass du deine Stellung verlieren wirst.“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, als Rebecca ihre Gedankenlosigkeit schon bereute. „Verzeih, Peter. Wie konnte ich das nur sagen!“

„Machen Sie sich keine Gedanken, Miss Becky.“ Er ließ ein Achselzucken folgen. „Ich weiß es ohnehin. Als der alte Sam starb, sagte Ihre Ladyschaft, ich würde hier nur so lange die Aufsicht haben, bis Master Charles – ich meine, Seine Lordschaft – zurückkäme und eine endgültige Entscheidung träfe.“

„Bedauerst du das nicht?“

„Doch, es tut mir leid, dies alles aufgeben zu müssen.“ Er deutete hinauf zu dem Raum über den Stallungen. „Vor allem behagt es mir gar nicht, wieder zu Ma zu ziehen, weil sie jetzt die Zwillinge bei sich hat. Und neuerdings ist sie gar so nervös. Kaum setze ich den Fuß ins Haus, möchte sie mich schon wieder loswerden.“

Rebecca konnte verstehen, dass er nicht mehr bei Mrs. Shaw, seiner Mutter, leben wollte. Diese hatte die Zwillingstöchter ihres Bruders zu sich genommen, nachdem er und seine Frau im Jahr zuvor an Typhus gestorben waren. Das kleine Haus war schon ohne Peter gedrängt voll.

Unbegreiflich war ihr allerdings seine Gelassenheit angesichts des Umstandes, dass er seine Position verlieren würde. Da sie aber vor Jahren bei ihrer nachgiebigen Gouvernante durchgesetzt hatte, dass ihr Freund am Unterricht teilnehmen durfte, konnte Peter lesen und schreiben und würde sicher etwas Besseres finden, wenn er sich bemühte.

„Peter, gefällt dir deine Arbeit nicht? Ist dir die Verantwortung zu groß?“

„Nein, gar nicht. Ich bin gern Stallmeister, aber es ist nicht das, was ich eigentlich wollte.“ Innehaltend furchte er die Stirn, als suche er nach den richtigen Worten.„Noch lieber als die Arbeit in den Stallungen ist mir dies.“ Er wies auf den Park. „Meine Liebe gehörte immer schon dem Land, Miss Becky. Wenn ich mit Ted Baxter draußen unterwegs sein kann, bin ich am glücklichsten.“

„Du möchtest Verwalter von Rayne werden?“

„Dass ich es möchte, nützt mir nicht viel, da Mr. Baxter seine Arbeit noch etliche Jahre tun wird. Inzwischen habe ich aber schon sehr viel von ihm gelernt.“

Das klang so eifrig, so wissensdurstig, dass es an Rebeccas Herz rührte. „Warum bittest du nicht um eine Vorsprache bei Ihrer Ladyschaft und erklärst ihr das alles? Sie muss von dir eine gute Meinung haben, da sie dich sonst nicht in so jungen Jahren zum Stallmeister gemacht hätte. Sicher wird sie ein gutes Wort für dich einlegen, wenn Seine Lordschaft nach Hause kommt“, meinte sie, er aber schüttelte den Kopf.

„Nein, Miss Becky. Das kann ich nicht. Ihre Ladyschaft hat sich schon so oft für uns eingesetzt. Wäre sie nicht gewesen, hätte man uns schon vor Jahren hinausgeworfen. Und sie war sehr gütig zu mir und meiner Schwester, deshalb kann ich sie um nichts mehr bitten.“

Rebecca wusste, dass Lady Constance sehr viel getan hatte, um den Shaws zu helfen. Rebecca hatte Peters Vater nicht gekannt, nach allem aber, was sie über ihn gehört hatte, war das kein Versäumnis. Der alte Shaw hatte zur Gewalttätigkeit geneigt, gegen seine Familie und gegen jedermann, der ihm in die Quere kam.

Ehe sie in die Obhut ihres Großvaters gekommen war, hatte man Peters Vater als Wilddieb verurteilt und ihn zum Strafdienst bei der Marine verurteilt. Sein Schiff war vor der spanischen Küste nach einer Begegnung mit einer französischen Fregatte gesunken, alle an Bord waren ums Leben gekommen. Die Familie hätte sich anderswo Arbeit suchen müssen, wenn Lady Constance sich nicht für sie verwendet hätte. Giles hatte sich überreden lassen, sie weiterhin zu beschäftigen und ihnen ein kleines Häuschen an der östlichen Gutsgrenze zur Verfügung zu stellen.

Und als Peters Schwester Arbeit gesucht hatte, war Lady Constance so gütig gewesen, ihr eine Stellung im Haus einer alten Freundin in London zu verschaffen.

Rebecca lächelte verständnisvoll, da ihr aber kein anderer Vorschlag einfallen wollte, und da sie wusste, dass sie ihn von seiner Arbeit abhielt, verabschiedete sie sich eilig.

Noch immer in Gedanken, schlug sie den Weg ein, den sie gekommen war. Als sie jedoch ein Stück zurückgelegt hatte, entschloss sie sich zu einem Besuch bei ihrer Freundin Elizabeth Bingham.

Es war noch immer relativ früh, da die Visite bei ihrer Patentante durch das endlose Gespräch über Mode abgekürzt worden war; sie konnte daher sicher sein, dass die Binghams sich noch eine ganze Weile nicht zum Abendessen setzen würden. Außerdem musste sie mit jemandem über die unangenehme Eröffnung ihrer Patentante reden, und wer eignete sich besser als ihre Freundin und Vertraute?

Der Landsitz der Binghams lag nur etwa zwei Meilen nordwestlich von Rayne Court, trotzdem nahm Rebecca nicht die Straße, sondern eine Abkürzung über das Land Sir Lionel Whitneys. Wenig später traf sie vor dem roten Backsteinhaus der Binghams ein und fand ihre Freundin mit ihrer Mutter im sonnigen vorderen Salon vor, die Köpfe über eine Handarbeit gebeugt.

„Was für ein idyllisches Bild von Häuslichkeit“, bemerkte sie trocken, als sie unangemeldet eintrat.

„Wie schön, dich zu sehen, meine Liebe!“ Aus Mrs. Binghams Begrüßung war aufrichtige Wärme herauszuhören, da sie Rebecca lieb gewonnen hatte und ihr dankbar dafür war, dass Elizabeth während der gemeinsamen Pensionatszeit in ihr eine treue Freundin gefunden hatte. „Du bist aber heute elegant!“, setzte sie nach einem Blick auf das neue Reitkostüm hinzu.

„Ja, wirklich, Becky“, pflichtete Elizabeth ihrer Mutter bei. „Hat Lady Constance dich darin gesehen?“

Sie nickte. „Ich komme direkt von Rayne Court.“

„Dann weißt du sicher Bescheid?“ Elizabeths hübsches ovales Gesicht wurde plötzlich ernst.

„Ja. Aber mich wundert, dass du es weißt.“ Rebecca nahm neben ihrer Freundin auf dem Sofa Platz. „Aber es heißt ja, dass schlechte Nachrichten sich wie ein Lauffeuer verbreiten.“

„Da ist etwas dran“, räumte Mrs. Bingham ein. „Wir erfuhren es heute Morgen von einem Nachbarn. Einfach schrecklich!“

„Genau das dachte ich auch, Madam. Aber eigentlich war es zu erwarten“, schloss Rebecca mit einem Achselzucken.

Mrs. Bingham wechselte einen erschrockenen Blick mit ihrer Tochter. „Meine Liebe, ich glaube, wir sprechen von verschiedenen Dingen“, sagte sie zögernd. „Hast du nicht von Sir Lionel Whitney gehört?“

Rebecca, die geistesabwesend auf die Handarbeit ihrer Freundin starrte, blickte auf. „Nein. Was ist mit ihm?“

„Er kam letzte Nacht bei einem Brand in seinem Haus ums Leben.“ Mrs. Bingham schüttelte bekümmert den Kopf. „Niemand weiß, wie es geschehen konnte. Man nimmt an, dass Sir Lionel vergaß, eine Kerze zu löschen, woraufhin die Bettvorhänge Feuer fingen. Als Alarm gegeben wurde, hatte der Brand schon so um sich gegriffen, dass niemand mehr zu Sir Lionel vordringen konnte. Hätte nicht der Wolkenbruch eingesetzt, wäre das ganze Haus in Flammen aufgegangen. Aber auch so soll der Schaden beträchtlich sein.“

Rebecca war wie vor den Kopf geschlagen. Erst am Tag zuvor hatte sie kurz mit Sir Lionel gesprochen. Nicht zu fassen, dass der Mann, der viele Jahre das Amt eines Friedensrichters ausgeübt hatte, nun tot war.

In den letzten Wochen hatte es schon andere unerwartete Todesfälle gegeben. Ein Arzt im Ruhestand war mit durchschnittener Kehle auf einem Feldweg gefunden worden, und ein älterer Farmarbeiter war in seiner Kate verbrannt. Und jetzt hatte Sir Lionel dasselbe Schicksal getroffen – Zufall oder etwas Schlimmeres?

Rebecca schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich weiß nicht, was seit einiger Zeit hier vorgeht, aber sehr bekömmlich scheint die Gegend nicht zu sein. Ich glaube, ich muss mit Großvater ein Wörtchen reden. Höchste Zeit, dass wir umziehen.“

Mr. Bingham lachte verhalten auf und warf ihrer Besucherin einen Blick zu. Anders als Lady Harriet hatte sie Rebecca immer für ein ausnehmend hübsches Mädchen gehalten. Rabenschwarze Locken, grüne Augen – was für eine hinreißende Kombination! – und ein fein geschnittenes Gesicht hoben sie weit über den Durchschnitt hinaus. Sie empfand indes keine Spur von Bedauern darüber.

Ihre eigene Tochter Elizabeth war bildhübsch mit goldenen Locken, strahlenden blauen Augen und dem reizendsten Wesen, das sich eine Mutter nur wünschen konnte. Beide Mädchen waren mittelgroß, beide hatten schlanke, wohlgeformte Figuren, damit aber endete die Ähnlichkeit auch schon.

Als sie so nebeneinander saßen, bildeten sie den denkbar stärksten Kontrast, nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich. Vielleicht waren es just diese Gegensätze gewesen, die sie von Anfang an zueinander hingezogen hatten.

„Du magst recht haben, meine Liebe“, stimmte Mrs. Bingham ihr lächelnd zu, um sofort wieder ernst zu werden. „Ich kann nicht behaupten, dass mir Sir Lionel besonders nahestand, aber er tat mir leid. Als kinderloser Witwer muss er sehr einsam gewesen sein. Rebecca, weißt du vielleicht, wer den Titel erben wird?“

„Vermutlich sein Neffe Rupert.“ Sie lachte auf. „Wenn das Großvater erfährt, trifft ihn glatt der Schlag!“

„Ist dieser Neffe denn so unangenehm?“

„Aber nein, ganz im Gegenteil. Ich bin ihm nur einige Male begegnet, fand ihn aber recht nett, wenn auch ein wenig langweilig. Aber Sie wissen ja, wie Großvater ist. Er kann Dandys nicht ausstehen, und Rupert Whitney gehört unleugbar zu dieser Spezies.“

Mrs. Bingham schwieg daraufhin, bis ihr etwas anderes einfiel. „Da du von dem Brand nichts wusstest, meine Liebe, was war denn heute deine schlechte Nachricht?“

„Ach das!“ Sofort war Rebeccas Unbekümmertheit wie weggeblasen. „Der große Abwesende tritt wieder in Erscheinung.“

„Sie meint Lord Rayne“, erklärte Elizabeth ihrer Mutter, deren Blick verriet, dass sie keine Ahnung hatte, vom wem die Rede war.

„Ach so, ich verstehe!“ Mrs. Bingham fand diese Nachricht höchst erfreulich, da sie über den jüngeren Sohn der verwitweten Countess nur Gutes gehört hatte, seitdem sie vor einem Jahr in diese Gegend gezogen war. „Mit Sicherheit ist Lady Constance überglücklich?“

„Ja, schrecklich“, erwiderte Rebecca. „Aber man muss es ihr nachsehen. Schließlich ist sie seine Mutter.“

„Offensichtlich teilst du die Freude deiner Patentante über seine Rückkehr nicht.“

„Nein“, lautete die knappe Antwort.

„Du hältst ihn für keinen – hm – angenehmen Gentleman?“

„Ein angenehmer Gentleman?“, wiederholte Rebecca fassungslos. Das war der Gipfel! „Nein, dafür halte ich ihn absolut nicht. Er ist arrogant, anmaßend und obendrein ein Frauenheld und Trinker. Und außerdem“, fügte sie verächtlich hinzu, „er ist ein Feigling, der Kinder misshandelt.“

Mrs. Bingham konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Sie glaubte kein Wort, denn sie spürte instinktiv, dass Rebecca nur ihrem Herzen Luft machen wollte. Da sie den Eindruck hatte, ihr Gast würde sich gern unter vier Augen mit Elizabeth unterhalten, ließ sie die beiden unter einem Vorwand allein.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihrer Mutter geschlossen, als Elizabeth zu Rebeccas großer Entrüstung in schallendes Gelächter ausbrach.

„Wie kannst du dasitzen und lachen?“, schalt sie ihre Freundin. „Du solltest am besten wissen, was ich von ihm halte.“

Das stimmte allerdings. Elizabeth wusste seit ihrer gemeinsamen Schulzeit, wie groß die Abneigung ihrer Freundin gegen den jüngeren Sohn der Countess war. Aber auch nach der Pensionatszeit hatten sie brieflich Kontakt gehalten und ihre kleinen Geheimnisse miteinander geteilt.

Als nach dem Tod ihres Vaters die Leitung des Familienunternehmens auf ihren älteren Bruder übergegangen war, hatte ihre Mutter sich entschlossen, London den Rücken zu kehren. Und Elizabeths Wunsch, in der Nähe Rebeccas zu wohnen, hatte sie zum Ankauf dieses schönen Landgutes bewogen.

„Entschuldige, Becky“, sagte sie und fuhr sich über die feuchten Augen, „aber du solltest nicht solche Geschichten erzählen, schon gar nicht vor Mama.“

„Jedes Wort war die reine Wahrheit.“

„Sicher hast du übertrieben. Ich kann mir nicht denken, dass er trinkt.“

„Doch, das tut er.“

„Aber sicher läuft er nicht herum und verprügelt Kinder.“

„Du weißt, dass er es tut. Zumindest weiß ich von einem armen Kind, das Opfer seiner Bösartigkeit wurde“, korrigierte Rebecca sich. „Ich war zufällig zur Stelle.“

Elizabeth machte große Augen. „Ach, wirklich? Wer denn? Kenne ich den Betreffenden?“

„Zufällig sehr gut. Nur war es kein Junge.“

Momentan schien Elizabeth verwirrt, dann ging ihr ein Licht auf. „Ach du meine Güte“, murmelte sie unsicher. „Kein Wunder, dass du ihn nicht ausstehen kannst.“

„Ja, kein Wunder. Die Erinnerung kam rechtzeitig. Fast hätte ich es schon vergessen.“ Rebeccas Augen verengten sich. „Diese Falschheit! Ich könnte es keinen einzigen Tag mit ihm aushalten!“

Rebeccas wütende Miene ließ es Elizabeth geraten erscheinen, das Thema zu wechseln. „Ich bin ja so froh, dass du nächstes Jahr auch nach London gehen willst, Becky. Das bedeutet, dass wir einander dort oft treffen können.“

„Du weißt genau, dass ich nur hingehe, um meiner Patentante eine Freude zu machen. Aushalten werde ich es nur, weil ich weiß, dass du auch da bist. Wir müssen uns so oft als möglich sehen.“

Elizabeth wollte etwas sagen, besann sich aber eines Besseren und widmete ihre Aufmerksamkeit erneut ihrer Stickarbeit.

„Ein ungewöhnlicher Entwurf für einen Kaminschirm, den du da stickst“, bemerkte Rebecca und brach damit das Schweigen, das sich zwischen sie gesenkt hatte.

„Ja, ich arbeite nach einer französischen Vorlage.“

„Hm.“ Rebecca betrachtete das komplizierte Muster. „Ich war nicht sicher, ob es mir gefällt oder nicht. Jetzt weiß ich, dass ich es nicht mag.“

„Warum? Ich finde es ausnehmend hübsch.“

„Für Franzosen habe ich nun mal nicht viel übrig“, gestand Rebecca. „Eigentlich kein Wunder, dass Napoleon besiegt wurde, wenn man bedenkt, dass es in seiner ganzen großartigen Armee niemand fertigbrachte, Major Charles Thornvilles schwarzes Herz mit einer Kugel zu treffen.“

Elizabeths Lachen fiel mit dem Schlag der Kaminuhr zusammen, der Rebecca die Zeit ins Gedächtnis rief. Sie stand auf und streifte ihre Handschuhe über, nicht ohne einen letzten Blick auf die Handarbeit ihrer Freundin zu werfen.

„Ich weiß nicht recht – vielleicht gefällt mir dein Werk doch. Wenigstens beraubten die Franzosen mich nicht des Vergnügens, ihn eigenhändig umzubringen!“

2. KAPITEL
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Der hochgewachsene Gentleman, der auf einem Rappen durch den kleinen Marktflecken Raynhampton ritt, erregte nur wenig Aufmerksamkeit. Den Zylinder tief in die Stirn gezogen, Reithose, Stiefel und die bequeme Jacke mit Staub bedeckt, mochte er irgendein Reisender sein.

Er ritt mit zufriedenem Lächeln weiter, die sonnige Landstraße entlang, bis er das Osttor von Rayne Court erreichte. Die meisten aus London kommenden Besucher benutzten diesen imposanten Parkeingang, auf dessen steinernen Pfeilern grotesk-dämonische Figuren Wache hielten und reisemüden Gästen einen seltsamen, wenn auch meist als erfreulich empfundenen Anblick boten.

Der hochgewachsene Reiter zog es jedoch vor, die Parkmauer bis zum wenig benutzten Südeingang entlangzureiten, wo kein Pförtner den Ankommenden empfing.

Das befriedigte Lächeln von Charles Henry Lord Thornville, siebter Earl of Rayne, vertiefte sich, als er die Allee entlangritt, dankbar für den Baumschatten, der ihn vor der sengenden Augustsonne schützte. Wie seit Wochen geplant, war er ohne viel Aufsehen zu Hause angelangt.

Die Mietdroschke mit seinem Gepäck musste inzwischen eingetroffen sein, und die zweispännige Karriole mit seinem ehemaligen Offiziersburschen und jetzigen Reitknecht als Kutscher würde irgendwann am Abend ankommen. Alles war mit militärischer Präzision geplant und ausgeführt, nach sechs Jahren Armeedienst war dies für ihn selbstverständlich. Er konnte nur hoffen, dass er sich an das vor ihm liegende Leben gewöhnen würde.

Er nahm den Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte, leicht gewellte Haar, das nun schweißnass war. Erschöpft und erhitzt wünschte er sich mit einem resignierten Blick auf seine staubige Kleidung nichts sehnlicher als ein Bad. Er war fast am Ziel, und der Komfort des Herrenhauses lockte, dennoch zögerte er seine Ankunft hinaus.

Er wollte noch ein wenig die Landschaft genießen, ihre Schönheit in sich aufnehmen, ihre Geräusche und Gerüche. Unwillkürlich ertappte er sich dabei, dass er nach Veränderungen Ausschau hielt, nach neu gepflanzten Bäumen, nach Lücken, die alte, gefällte, hinterlassen hatten. Aber alles sah genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Sogar den Pfad, der zu dem Weiher führte, in dem er als Junge oft geschwommen war, gab es noch, ein wenig verwachsen zwar, aber sichtbar.

Er blickte zu dem schmalen Weg hinüber und lächelte. Der Weiher, natürlich! Genau das Richtige, entschied er und saß ab. Im kühlen, klaren Wasser ungehindert zu schwimmen war einem Bad in einer viel zu kleinen Sitzwanne bei Weitem vorzuziehen.

Er ließ seinen Rappen Warrior unter den Bäumen grasen und eilte den wohlbekannten Pfad entlang, der zu einem seiner Lieblingsplätzchen führte. Abgeschirmt und geschützt, von einem kristallklaren Bach gespeist, dessen Quelle in den nahen Hügeln lag, hatte ihn der Teich schon in seiner Knabenzeit geradezu magisch angezogen.

Nachdem er sich durch dichtes Gestrüpp und Unterholz gekämpft hatte, blieb er am Ufer wie vom Donner gerührt stehen. Seine dunklen Augen weiteten sich vor Erstaunen. Jemand war ihm zuvorgekommen!

Hinter dichtem Laubwerk versteckt, teilte er vorsichtig die Zweige, um besser sehen zu können. Fasziniert beobachtete er den Eindringling, der sich mit erstaunlicher Behändigkeit unter der Wasseroberfläche tummelte. Er konnte deutlich die dunkle Haarflut sehen, die sich plötzlich auf dem Wasser ausbreitete, als die Gestalt auftauchte und sich auf dem Rücken treiben ließ. Eine Frau …? Noch dazu splitternackt! Was für eine Heimkehr!, dachte er schmunzelnd.

Dass ein weibliches Wesen so gut schwimmen konnte, war für ihn an sich schon ein Grund zur Verwunderung. Sie drehte sich um, schwamm ans andere Ufer und tauchte ganz langsam, einer antiken Göttin gleich, aus dem Wasser auf. Das lange, über den Rücken fallende Haar bedeckte die festen Rundungen ihrer Kehrseite fast vollständig. Er hielt den Atem an, als sie sich umdrehte und die Arme hob, um nach ihren Haaren zu fassen.

Weibliche Reize waren ihm nicht fremd, da er sich mit seinen neunundzwanzig Jahren bereits der Gunst einiger Mätressen erfreut hatte. Nie aber hatte er einen schöneren Körper als diesen gesehen. Junge, straffe Brüste mit rosigen Knospen bewirkten, dass sich tief in seinen Lenden etwas regte. Mit einer schmalen Taille und sanft gerundeten Hüften über langen, wohlgeformten Beinen war sie das Idealbild verführerischer Weiblichkeit.

Wer, um alles auf der Welt, kann sie sein?, fragte er sich. Enttäuscht musste er mit ansehen, wie sie wieder zurück ins Wasser watete. Jemand aus dem Ort? Unwahrscheinlich. Die Tochter eines Gutsarbeiters? Schon eher möglich. Nun, wer immer sie war, er wollte sie lehren, dass ihr Eindringen in sein ureigenes Revier nicht ungestraft bleiben durfte.

Er löste voller Ungeduld seine Krawatte und ging daran, seine Jacke auszuziehen, als sein angeborenes Pflichtgefühl ihm Einhalt gebot. Er war kein unbekümmerter Jüngling mehr, auch kein kampferprobter Krieger, der in den Armen einer begehrenswerter Frau Vergessen suchte.

Er war der Earl of Rayne und für das Wohlergehen seiner Pächter und aller, die ihm dienten, verantwortlich. Er durfte weder Schande über sie bringen noch Schmach auf sich selbst laden, indem er sich an ihre Frauen heranmachte, so verlockend es auch sein mochte.

Widerstrebend und mit einem tiefen Seufzer des Bedauerns drehte er sich um und wollte sich den Weg zurück durchs Gestrüpp bahnen, als sein Blick auf einen breitkrempigen Strohhut mit hellgrünen, im Wind flatternden Bändern fiel, der in der Nähe auf einem Ast hing. Darunter lagen die Kleidungsstücke der schönen Unbekannten verstreut, als hätte sie sich ihrer in aller Eile entledigt.

Neugierig trat er näher, um sie genauer zu betrachten. Das Kleid mochte abgetragen und ausgebleicht sein, doch die Wäsche war von feinster Qualität. Einer Dienstmagd konnte sie nicht gehören, und für ein leichtfertiges Ding war sie zu schlicht.

Sehr interessant, dachte er, über eines der Hutbänder streichend. Ihr Gesicht war nicht so deutlich zu sehen gewesen, als dass er sie bei einer erneuten Begegnung erkannt hätte. Deshalb wollte er nur das Band mit sich nehmen. Ein leichter Ruck, und es war in seiner Hand – zur Erinnerung an eine schöne Göttin, deren Anblick ihn an den stolzen Namen gemahnt hatte, den er trug.

Kurz darauf traf er vor dem Stammsitz seiner Vorfahren ein. Da er auf dem Hof vor dem Stallgebäude kein bekanntes Gesicht entdeckte, übergab er Warrior einem Jungen, der sich dort herumtrieb, und ging dann zur Vorderfront des Hauses. Obschon er keinen großen Empfang gewünscht hatte, empfand er aber nun so etwas wie Enttäuschung, weil niemand vor dem Portal stand, um ihn willkommen zu heißen. Er schlug mit der Faust mehrmals fest auf die massive Eichentür. Sekunden später wurde sie geöffnet, und er sah das erste vertraute Gesicht vor sich.

Autor

Anne Ashley
Die Engländerin schreibt historical romances und entspannt sich gerne in ihrem Garten. Diesen hat sie bereits öfter zugunsten des Fondes der Kirche in ihrem Dorf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
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