Regatta der Herzen

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Seit drei Jahren sind Lara und der Profisegler Jannes allerbeste Freunde, treffen sich vor seinen Regatten, lachen zusammen und vertrauen sich Geheimnisse an. Mehr darf nicht sein, denn weder Lara noch der sexy Sportler glauben an ein Für immer. Doch dann gerät Jannes‘ Platz im Racing-Team wegen seines Rufs als Playboy in Gefahr. Er bittet Lara um etwas Unerhörtes: Sie soll so tun, als seien sie ein Paar. Lara sagt Ja – und erkennt zu spät, wie riskant diese Schein-Affäre ist. Denn Jannes' Küsse fühlen sich verhängnisvoll echt an …


  • Erscheinungstag 25.01.2022
  • Bandnummer 022022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509466
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wer hätte gedacht, dass du so ein wilder Hengst bist?“, sagte Lara und betrachtete Jannes über den Rand der Zeitschrift hinweg.

„Du weißt, dass in dem ganzen Artikel kein einziges wahres Wort steht, oder?“, erwiderte ihr bester Freund und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Er nahm Lara die Zeitschrift ab und schob sie in Richtung eines der Imbissstände auf dem Broadway Market. Wie immer wenn er an einem Wochenende in London war, hatten sie sich an der Ecke gegenüber dem London-Fields-Park getroffen und einander alles erzählt, was in den Wochen, die er in Harbourside oder beim Segeln verbracht hatte, passiert war. Harbourside war die kleine Küstenstadt, in der sich sein Jachtclub befand. Vermutlich war das der Preis, den man bezahlte, wenn der beste Freund Profisportler war, dachte Lara.

Aber wenigstens bekam sie sein Gesicht in den Zeitungen zu sehen. Sie grinste Jannes an. „Immerhin haben sie deinen Namen richtig geschrieben.“

Er stöhnte. „Das ist nicht komisch, Lara. Alle Sponsoren, die wir für den nächsten transatlantischen Rekordversuch aufgetrieben haben, sind am Ausflippen. Wenn sie mich jetzt deswegen fallen lassen, gehen alle meine Pläne den Bach runter.“

Sie drückte tröstend seinen Arm und kaufte ihm Dhal und Samosas an einem der Stände des Broadway Market. Zum Essen gingen sie über die Straße zurück in den Park. Lara breitete ihre Jacke anstelle einer Picknickdecke auf dem Gras aus. Der Winter war lang und hart gewesen, aber heute Morgen war sie im Frühling aufgewacht. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatte sie das Haus im Pullover und nur mit einer leichten Jacke verlassen. London war wunderbar bei diesem Wetter, und ganz Hackney schien zu lächeln.

Ihre Social Feeds würden mit Bildern von Sonnenschein, Eiscafé und Frühlingsblumen überschwemmt werden, und sie konnte es kaum erwarten, ihr eigenes Frühlingsmotiv zu posten. Als Influencerin lebte sie ihr halbes Leben online. Die andere Hälfte verbrachte sie damit, BWL zu studieren, ihr Beratungsunternehmen zu launchen und andern zu helfen, genau so viel Erfolg zu haben wie sie mit ihrer kleinen Online-Community.

Nach einem Blick auf Jannes hörte sie auf zu grinsen. „Tut mir leid, Jannes. Ich weiß auch nicht, warum sie das so aufbauschen.“

Kopfschüttelnd sah er wieder auf die Zeitschrift. „Ich hatte ungefähr vier Dates dieses Jahr. Keines davon lief besonders gut. Trotzdem gibt es jede Menge Paparazzo-Fotos, auf denen ich wie eine Art Casanova rüberkomme.“

Als würde sie nicht sowieso schon ganz genau über jedes seiner Dates Bescheid wissen. Als würde es sie nicht fast umbringen, lässig Haltung zu bewahren, wenn er den Namen einer weiteren Frau erwähnte. Und dabei zu wissen, dass unter anderen Umständen, wenn sie eine andere wäre, weniger verkorkst, dass dann wirklich etwas sein könnte zwischen ihnen. Aber sie war nicht jemand anderes. Und wenn sie und Jannes versuchen würden, aus ihrer Freundschaft mehr werden zu lassen, dann würde sie ihn verletzen und verlieren. Und das wollte sie einfach nicht riskieren. Also wechselte sie das Thema. Wie immer. Bemühte sich um einen leichten Ton und versuchte so zu tun, als schmerze es sie nicht. Man sollte meinen, so etwas falle ihr nach drei Jahren leichter.

„Du weißt schon“, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme nicht zitterte, „du hattest einmal den Arm um ein Mädchen im Bikini gelegt …“

Er schlug ihr im Spaß mit der Zeitschrift auf den Arm. „Mein Gott, ich war schwimmen!“, protestierte er. „Davon rede ich doch. Sie rutschte aus, und ich habe sie aufgefangen. Ich habe sie wahrscheinlich vor einer Gehirnerschütterung bewahrt. Deswegen hatten wir dann drei Tage lang eine heiße Affäre.“ Er vermied es, sie anzusehen. Schämte er sich wegen des Fotos? Oder war er auch in Sachen Erotik auf einer Wellenlänge mit ihr? Fühlte er wie sie die Anziehungskraft zwischen ihnen? Kämpfte er genauso hart dagegen an?

„Sie sieht ein wenig verwirrt aus.“ Lara betrachtete das Mädchen auf dem Foto.

Jannis stupste sie mit dem Fuß an. „Du sollst auf meiner Seite sein.“

„Natürlich bin ich auf deiner Seite“, versicherte sie ihm. „Sag mir, wie ich dir helfen kann.“

„Wie gut bist du in Krisenbewältigung?“, fragte er.

Lara zögerte kurz, dann lächelte sie. „Ich weiß nicht. Ich habe so etwas noch nie versucht. Vielleicht bin ich hervorragend. Woran denkst du dabei?“

Er rutschte ein wenig unbehaglich hin und her. „Na ja, ich hatte so eine Idee. Genau genommen hat mich meine Großmutter darauf gebracht. Die Sache ist die: In ein paar Wochen ist eine Preisverleihung. Es wäre eine gute Gelegenheit, ein neues Image zu präsentieren. Ich dachte, wenn du mitkommst, könnte das vielleicht … die ganze Geschichte etwas anders aussehen lassen.“

„Das musst du mir erklären“, sagte Lara.

„Also, die Leute wissen, dass wir befreundet sind. Wir sind früher schon zusammen fotografiert worden. Wenn wir gemeinsam hingehen und es aussehen lassen, als seien wir richtig zusammen, dann würde mich das … seriöser aussehen lassen. Weniger …“

„Wie eine männliche Schlampe?“

Er brach in schallendes Gelächter aus. Sie liebte es. Liebte es, wenn sie ihn überraschen konnte und er für eine Sekunde die Beherrschung verlor. „Du hast etwas an dir, die Leute mögen dich. Ich könnte ein bisschen was davon gebrauchen.“

Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich weiß nicht, Jannes. Das kommt mir ein wenig komisch vor. Du bist mein bester Freund, mehr nicht. Das war doch immer klar. Uns und auch anderen. Ich fürchte, wenn wir es mit der Wahrheit nicht mehr so genau nehmen, dann entsteht eine Grauzone, verstehst du?“

„Ja“, sagte er. „Und ich stimme dir zu. Du weißt, wie viel du mir bedeutest, und ich möchte auf keinen Fall etwas tun, womit ich das aufs Spiel setze. Aber … Lara, ich darf dieses Sponsoring nicht verlieren. Wenn ich dieses Jahr keinen Geschwindigkeitsrekord aufstelle … ich weiß nicht, ob ich es dann überhaupt noch einmal schaffe. Und ich weiß mir keinen anderen Weg, wie ich die Dinge sonst rasch ändern könnte. Wir wissen doch, wo wir stehen, oder? Daran ändert sich doch nichts.“

Während sie aß, dachte sie über seine Worte nach. „Warum lässt du dich nicht von deiner Großmutter begleiten?“, fragte sie schließlich. Vielleicht bräuchte sie dann nicht ihre Gefühle für ihn so sehr auf die Probe zu stellen.

„Du meinst, ich soll Mormor in die Nähe einer Kamera lassen?“, sagte Jannes lachend. „Dich zu fragen war ihre Idee.“

Lara nickte. „Das ist ein Argument.“

Eigentlich sollte sie zustimmen. Jannes war ihr engster Freund. Aber auch wenn sie so gut wie alles für ihn täte, war das hier doch hart an der Schmerzgrenze. Denn sie war sich ziemlich sicher, dass auch Jannes ihre Freundschaft nicht in Gefahr bringen wollte, mit etwas anderem verwechselt zu werden. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber Lara war sich recht sicher, dass es ein Kampf war, den sie beide ausfochten.

Jannes war ein toller Kerl, sicher der beste, den sie kannte. Und was tolle Kerle betraf, war Lara eisern – sie ging keine Beziehung mit ihnen ein. Mit zwanzig hatte sie erkennen müssen, dass sie in Beziehungen alles andere als gut war. Die paar Mal, wo alles gut lief, war sie prompt ausgeflippt. Wahrscheinlich war sie einfach nicht für ernste Beziehungen geschaffen.

Im Rückblick wusste sie genau, wo das Problem lag. Mit ihr stimmte etwas nicht. Als ihr Vater sie verlassen hatte wegen der anderen Familie, die er ein ganzes Leben lang vor ihr verborgen hatte, war etwas in ihr zerbrochen. Sie wusste nicht, was es war, aber wenn es um Dates, um Beziehungen und Liebe ging, war einfach etwas weg. Sie war weg. Sie versuchte zu lieben und konnte es nicht. Und so wies sie Männer ab, bevor sie ihnen wehtun konnte. Deswegen hatte sie Jannes von Anfang an in der sicheren Zone gehalten.

Aber er brauchte sie, und sie hatte Jannes noch nie eine Bitte ausschlagen und Nein sagen können.

„Na gut, ich werde dich begleiten“, sagte sie. „Und ich werde so tun, als sei ich deine Freundin. Aber das ändert nichts zwischen uns, okay? Alles bleibt beim Alten. Ich mag dich, und das weißt du, aber als Freund. Ich möchte nicht, dass sich daran etwas ändert.“

Er nickte nachdrücklich, was Lara noch mehr darauf vertrauen ließ, dass alles gut lief. Auch wenn ihr Bauch ihr etwas anderes sagte. „Mir geht es genauso. Alles nur just for show. Zwischen uns ändert sich nichts.“

„Gut.“ Und dann kam ihr eine Idee.

„He, du weißt, dass Pip nächstes Wochenende heiratet? Willst du mitkommen? Wenn wir schon so tun, als hätten wir etwas miteinander, dann wäre es doch komisch, wenn du nicht mitkommst, oder?“

Ihre Schwester – oder besser ihre Halbschwester – hatte ihr vor Monaten eine Einladung geschickt. Und Lara hatte es nicht über sich gebracht, Nein zu sagen. Schon gar nicht, weil Pip ihren Vater ausgeladen hatte, damit Lara ihm nicht begegnen musste. „Ich kann nicht nicht hingehen. Und ich habe Angst davor. Also, tust du mir den Gefallen und hältst ein paar Stunden lang meine Hand?“ Er hatte sie gerade eben um genau das Gleiche gebeten, also konnte es kaum zu viel verlangt sein.

„Du könntest auch einfach einen netten jungen Mann finden, der mit dir geht?“

Lara verdrehte die Augen. „Iiiih! Nein danke.“

Jannes lachte. „Sagtest du Iiiih? Bist du zwölf?“

„Nein, ich bin einunddreißig und sehr beschäftigt mit einem Job, für den ich rund um die Uhr verfügbar sein muss. Und ich habe keinen Bock, unter all den Trotteln in London den einen annehmbaren Kerl zu finden, den es noch gibt. Also wirst du es machen müssen.“ Alles absolut stichhaltige Gründe, warum sie kein Date wollte. Aber Jannes musste nicht wissen, dass es nicht die ganze Wahrheit war. Dass sie keinen Grund für ein Date sah, wenn am Ende doch alles in Tränen endete.

Jannes grinste so breit, dass es sie fast schon ärgerte. „Aha, du willst mich also mit Schmeichelei überzeugen.“

„Ich könnte Jess fragen“ – ihre dicke Freundin, aber auch frisch verheiratet – „aber die ist gerade bis über beide Ohren in Rufus verliebt und mit ihm in Yorkshire. Du selbst bist ausnahmsweise einmal nicht auf einem Boot und hast mich gerade ebenfalls um einen großen Gefallen gebeten. Ich verspreche dir, ich kaufe dir eine ganze Ladung Schnaps, wenn du Ja sagst.“

Er gab nach. „Gut. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du dich davor fürchtest“, fügte er hinzu.

„Du bist keine Frau in den Dreißigern, nicht wahr?“, sagte Lara und schenkte ihm ihren herablassendsten Blick. „Mich nervt einfach, dass alle fragen, wann ich endlich einen netten Mann finde und mich häuslich niederlasse.“

Bei einer normalen Party hätte sie keinen Gedanken daran verschwendet, dort solo aufzutauchen. Aber das hier war Familie, und ihre Familie war … kompliziert. Ihre Halbschwester heiratete und hatte Lara zu diesem großen Tag eingeladen. Sie hatte zwar tatsächlich einladen gesagt, aber doch eher tränenreich darauf bestanden, weil sie Lara so gerne dabeihaben wollte. Und als Lara meinte, sie wüsste nicht, ob das eine so gute Idee sei …

Da hatten Pip und ihre Mutter und dann auch noch Laras Mutter vorgeschlagen, sie sollte vielleicht einmal mit jemandem über ihre Familienprobleme reden. Dass sie vielleicht alle eine Therapie machen könnten. Eine Familientherapie. Und dass man vielleicht auch ihren Vater auffordern könnte, mitzugehen. Allein der Gedanke machte Lara ganz krank. Sie musste sich in Gegenwart ihrer Familie besser zusammenreißen, oder man würde sie tatsächlich dieser Tortur unterziehen. Denn wie konnte sie zu Pip und ihrer Familie Nein sagen, wo die Lara doch aufgenommen hatten, als ihre Welt zerbrach?

Ihr blieb keine andere Wahl. Sie musste sich bei dieser Hochzeit blicken lassen und alle davon überzeugen, dass es ihr blendend ging.

„Na gut, ich werde mitkommen“, sagte Jannes lächelnd. „Aber bist du sicher, dass es wirklich nötig ist, so zu tun, als sei ich dein Boyfriend? Ich kann dich doch einfach als Freund begleiten. Ich meine, vielleicht ist der Trauzeuge ein ganz heißer Typ. Da möchte ich dir nicht die Gelegenheit vermasseln.“

„Keine Angst, ist er einer, lass ich dich ganz schnell fallen“, grinste Lara. „Ich will mich nur nicht den ganzen Tag für mein Singledasein rechtfertigen müssen. Hinter meinem Rücken werden sie sowieso über mich reden.“

Er schenkte ihr einen dieser mitfühlenden Blicke, die sie so hasste. „Jannes, lass das!“

„Es wird sicher sehr romantisch werden. Ich mache nur Spaß“, fügte sie hinzu, als sie sah, dass er blass wurde. „Du musst nicht gleich durchdrehen.“

„Ich drehe nicht durch“, widersprach Jannes.

„Doch, tust du“, schnaubte sie. „Und irgendwann in den nächsten Tagen werden wir einmal über deine Beziehungsangst reden.“

„Fein, wir werden uns mit meinen Beziehungsproblemen beschäftigen, wenn du bereit bist, über deine zu reden.“

Uff! Worin lag der Vorteil eines gefakten Boyfriends, wenn du trotzdem über deine Beziehungsprobleme reden sollst? Überhaupt … diese Beziehungsprobleme hatten ihnen beiden von Anfang an gute Dienste geleistet. Man traf nicht auf einen so gut aussehenden Mann wie Jannes, ohne nicht ein wenig in Versuchung zu geraten, sich vorzustellen, einmal von ihm nackt ausgezogen und zum Schwitzen gebracht zu werden.

Aber ihn wegen ein oder zwei Orgasmen zu verlieren, war es einfach nicht wert, egal wie verführerisch er aussah.

Nein, sie hatte gelernt, nicht auf diese Art an ihn zu denken. Zu Anfang war das alles andere als leicht gewesen. Wegen der hohen Wangenknochen und der Muskeln. Der schlanken Hüften und den blonden Haaren und diesem Schwedischsein. Aber Lara bestand nicht nur aus ihrer Libido. Und Jannes war mehr als nur ein hübsches Gesicht.

Sie taten sich einander nur einen Gefallen, redete Jannes sich ein. Es gab überhaupt keinen Grund, Lara nicht zu der Hochzeit ihrer Schwester zu begleiten und sie dann als seine Begleitung zur Preisverleihung mitzunehmen. Sie hatten so oft zusammen gegessen, waren zusammen ausgegangen, hatten miteinander getanzt. Das hier würde auch nicht anders sein.

Außerdem war ihnen beiden klar, dass sich nichts zwischen ihnen änderte. Seit drei Jahren waren sie befreundet, und nie hatten sie auch nur im Geringsten die Grenze der Freundschaft übertreten. Denn Lara war etwas Besonderes und er das reinste Chaos. Sie verdiente etwas Besseres als ihn.

Jannes hatte, was Beziehungen betraf, nicht immer so empfunden. In seinen frühen Zwanzigern hatte es eine Zeit gegeben, wo er alles wollte. Jemanden zum Lieben. Ein Zuhause. Immer wenn er es versuchte, hatte ihn die Angst gepackt. Je näher er sich einer Frau fühlte, desto dunkler war der Schatten, der über ihm hing, und er wartete auf den Augenblick, wo sie ihn unweigerlich verließ.

Zumindest hatte er den Vorteil, zu wissen, wovor er Angst hatte. Er war so oft verlassen worden, dass die Narben sich tief in seine Seele gegraben hatten. Jedes Mal, wenn er seine Eltern vom Internat wegfahren sah, war die Wunde ein wenig tiefer geworden.

Dieses Gefühl, wenn seine Eltern aus der Tür gingen und er ihrem Wagen nachblickte … Er hatte sich geschworen, dass er so etwas nie wieder empfinden wollte.

Er brauchte kein Psychologie-Diplom, um zu erkennen, warum er einen Beruf ergriffen hatte, bei dem er fortwährend unterwegs war. Mit dem Segeln hatte er auf dem Internat angefangen. Auf dem Wasser war so viel Konzentration nötig, dass er an nichts anderes denken konnte. Aus den Schulwettbewerben waren internationale Wettkämpfe und er ein professioneller Segler geworden.

Vielleicht kam daher sein Playboy-Image. Die wenigen Beziehungen, die er versucht hatte aufzubauen, waren im Sand verlaufen, wenn er auf Segeltour war. Die Frauen, mit denen er zusammen war, wollten genauso wenig verlassen werden wie er. Über die Jahre hinweg hatte es ein paar kurze Beziehungen gegeben. Wenn er lange genug an einem Ort blieb, um jemanden öfter als für ein oder zwei Nächte zu treffen. Doch das Wissen, dass es nicht von Dauer sein konnte, verhinderte von vornherein, dass mehr daraus wurde.

Als er Lara kennenlernte, war es ihm unmöglich, etwas mit ihr anzufangen, wo er doch wusste, wie es enden würde. Wusste, dass er sie verletzen würde. Deswegen war es so wichtig, dem anderen gegenüber absolut offen zu sein, wenn sie diese Sache angingen. Sie mussten einander vertrauen.

„Es gibt etwas, worüber wir sprechen müssen“, sagte er. „Alle wissen, dass wir befreundet sind. Es hat mich nie daran gehindert, mit anderen Frauen auszugehen. Wenn die Leute glauben sollen, dass jetzt alles anders ist, dann muss es auch so aussehen, als wären wir … zusammen.“

„Das heißt?“

„Na ja, wir sollten uns vor Pips Hochzeit vielleicht über ein paar Details einigen. Unsere Geschichten abstimmen.“

„Um Himmels willen, Jannes. Wir brauchen keinen Vertrag. Ich werde dich nicht überreden, mit mir zu schlafen!“, erwiderte Lara lachend.

Daran hatte er keine Sekunde gedacht. Aber wäre das wirklich so schrecklich? Wäre Lara nicht seine beste Freundin, fände er den Gedanken eher … verlockend. Aber sie war einer der Menschen auf der Welt, die er am liebsten hatte. Und das hieß, er würde wegen so etwas Unwichtigem nicht riskieren, dass sie aus seinem Leben verschwand.

„Das weiß ich“, sagte er. „Das habe ich überhaupt nicht gemeint.“

Sie lachte, und er wurde rot.

„Du wolltest, dass wir unsere Geschichten abstimmen“, meinte Lara und wechselte das Thema. „Wie kompliziert soll unsere Geschichte denn sein?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nicht kompliziert. Aber wenn wir nach unserem ersten Date gefragt werden und das nicht wissen, dann ist unser Auftritt im Eimer.“

„Gut.“ Lara schlug die Beine übereinander, stützte die Ellbogen auf die Knie, beugte sich vor und sah ihn verschmitzt an. „Wo willst du mich an unserem imaginären ersten Date hinführen? Such dir etwas Ausgefallenes aus. Ich bin einverstanden.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „So großzügig?“

„Na ja, ich will dich wie eine Prinzessin behandeln“, meinte sie und grinste. „Du verdienst es, Baby.“

„Baby?“ Er sah sie streng an und versuchte, nicht zu lachen.

„Babe?“, schlug sie vor.

Er schüttelte den Kopf. „Ganz bestimmt nicht.“

„Darling? Sweetheart? Sahneschnittchen?“

Unvermittelt drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange, und er wusste, dass sie nur deshalb so feixte, weil er rot wurde.

„Da gibt es noch so einiges, was wir besprechen müssen, wenn wir so tun, als seien wir richtig zusammen. Wie das Küssen zum Beispiel“, platzte er heraus, während er sich die Wange rieb. „Es sähe doch komisch aus, wenn wir es nicht täten, oder?“

„Wahrscheinlich“, stimmte sie ihm zu. „Wenn du willst, dass die Geschichte durch die Presse geht, werden sie Fotos haben wollen.“

Daran hatte er auch gedacht. Aber Lara … seine beste Freundin küssen? Aber vielleicht machte er alles zu kompliziert. Wenn die Küsserei nicht ernst gemeint war, sollte es doch keine so große Sache sein. „Meinst du, wir sollten … üben?“, fragte er.

Sie sah ihn argwöhnisch an. „Wie kompliziert läuft das denn bei dir normalerweise ab?“

Er zog sie hoch, trat einen Schritt vor, sodass er dicht vor ihr stand und sie den Kopf in den Nacken legen musste, wenn sie ihm in die Augen sehen wollte.

„Hängt von der Gelegenheit ab. Und davon, wen ich küsse. Aber das Letzte, was wir wollen, ist doch ein Foto von uns, auf dem man sieht, dass wir es nicht ernst meinen. Wenn wir beide schon Hemmungen haben, darüber zu sprechen, wie kommt das dann erst für andere rüber?“

„Das ist ein Argument“, erwiderte Lara. „Also …“, sie zögerte. Jetzt wurde es ernst. Plötzlich fuhr Jannes sich mit der Zunge über die Unterlippe, und Lara merkte, dass sie sich auf die Zunge biss. Sie war sich nicht mehr sicher, ob das mit dem Kuss so eine gute Idee war. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie würde es auf jeden Fall tun.

Das hier war Jannes. Der liebe, zuverlässige Jannes. Der sie niemals verletzen würde. Der sie gar nicht verletzen konnte, denn sie beide wussten genau, dass alles nur gespielt war. Und sie konnte ihn auch nicht verletzen, denn schließlich war es seine Idee gewesen, so zu tun als ob.

„Also los“, sagte sie, den Blick fest auf seine Lippen gerichtet. Zum ersten Mal bemerkte sie, wie das Licht sich in seinem Amorbogen fing, sah den leichten Schatten unter der vollen Unterlippe.

Er schob ihr die Haare hinters Ohr, eine zufällige, freundschaftliche Geste. Etwas, bei dem normalerweise ihr Puls nicht ins Stottern geriet und sie nicht den Atem anhielt. Er hielt in der Bewegung inne, seine Finger berührten einen empfindsamen Punkt hinter ihrem Ohr, und Lara biss sich auf die Lippen.

Das hatte nichts zu bedeuten. Sie waren Freunde, und das hier war ein freundschaftlicher Kuss. Nein, noch nicht einmal das. Nur das Üben eines freundschaftlichen Kusses.

Bis seine Hand ihr durchs Haar fuhr, ihren Nacken umfasste und sie plötzlich gegen ihn taumelte. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, streckte sie die Hand nach einem Halt aus und geriet nur noch mehr aus der Balance, als ihre Hand auf Jannes’ Hüfte landete. Erschrocken riss sie den Blick von seinen Lippen los und blickte ihm in die Augen. Er hatte die Lider halb geschlossen, die Spitzen seiner langen blonden Wimpern schimmerten golden im Sonnenlicht.

„Jannes …“, war alles, was sie sagen konnte. Er senkte den Kopf, schloss die Augen.

Eine Sekunde lang konnte Lara sich nicht rühren, spürte nur das sanfte Streicheln seiner Lippen. Dann schmiegte sie sich instinktiv an ihn.

Ihre andere Hand fand seine Taille, sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt sich an ihm fest, um sich noch enger an ihn drücken zu können.

Ihre Zunge strich über seine Lippen. Jannes bog ihren Kopf zurück und neigte sich über sie. Sie öffnete den Mund, stöhnte leise, als seine Zunge ihre berührte, selbstbewusst und leidenschaftlich.

Er hielt sie fest an sich gedrückt, und sie spürte seine starken Muskeln, die Muskeln eines trainierten Sportlers.

Das war ein Kuss.

In ihrem Kopf kämpfte es, um mit dieser Situation fertig zu werden, während ihr Körper sich Freiheiten erlaubte. Sie ließ die Finger durch Jannes’ Haare gleiten, packte ihn bei den Hüften. Der Stoff seine Jeans rieb an ihren Beinen. Ihr Bauch wurde gegen seine harte Gürtelschnalle gepresst, gegen …

Lara wich plötzlich zurück. Jannes’ Hand war immer noch in ihrem Haar, sein Arm lag fest um ihre Taille. Seine Wangen waren gerötet, seine Lippen rot, geschwollen, zerbissen und seine Augen immer noch geschlossen, als er zitternd Luft holte.

2. KAPITEL

„Na, bist du jetzt nicht froh, dass das nicht auf einer Familienfeier passiert ist?“, fragte Lara. Ihr Lachen klang etwas zittrig.

Jannes blickte sich um. Das Leben im Park hatte nicht aufgehört, nur weil es sie beide … fortgerissen hatte. „Ein ziemlich öffentlicher Ort.“

„Und deshalb sicherer. Stell dir vor, wir wären …“ Allein gewesen. Sie konnte es sich vorstellen. Und bekam es mit der Angst zu tun, weil sie wusste, wo es hätte enden können, wären sie nicht zur Besinnung gekommen.

Es war nur der Schock, das Neue, deswegen hat es eine so explosive Wirkung, redete sie sich ein. Und weil sie jetzt wussten, was sie erwartete, würden sie sich das nächste Mal nicht fortreißen lassen.

„So.“ Sie löste die Finger von seiner Hüfte und lehnte sich gegen seinen Arm, der ihre Taille umfing. „Jetzt haben wir eine ‚Der erste Kuss’-Geschichte.“

„Ja, im Grunde genommen brauchen wir gar nicht erfinderisch zu werden.“

„Wir erzählen den Leuten … Freunde, Gefühle füreinander, Kuss im Park. Bitte sehr.“

„Das klingt plausibel“, meinte er. Natürlich klang das plausibel. Wenn sie keine so große Angst hätte, ihn zu verletzen oder von ihm verletzt zu werden, wäre genau das jetzt Realität gewesen.

„Wollen wir spazieren gehen?“, fragte Lara und trat einen Schritt zurück. Sie wollte zurück zu ihrer vertrauten Freundschaft, bevor einer von ihnen etwas sagte, was nicht zurückgenommen werden konnte. „Ich könnte jetzt einen Kaffee gebrauchen.“

„Gute Idee“, erwiderte Jannes und vermied es, sie anzusehen.

Sie gingen in Richtung Park, folgten einem Weg vorbei an einem Spielplatz voll quietschender Kleinkinder und wichen Joggern aus, die in der Frühlingssonne schwitzten. Lara erschrak, als Jannes plötzlich ihre Hand ergriff. Erstaunt sah sie ihn an.

Autor

Ellie Darkins
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