Reich & Schön - Best of Julia 2016

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Julia-Romane aus 2016.

EIN BOSS FÜR GEWISSE STUNDEN

Sie wird auf gar keinen Fall zu einer weiteren Kerbe in seinem Bettpfosten werden! Als Alice ihre neue Stelle als persönliche Assistentin von Gabriel Cabrera antritt, weiß sie um den Ruf ihres Chefs: Eiskalt und berechnend soll er sein und seine bisherigen Sekretärinnen mehr nach dem Aussehen als nach ihrem Können ausgesucht haben. Doch Alice ist gewarnt! Auch wenn Gabriels aufreizende Blicke ihr wahre Schauer der Lust über den Rücken jagen - sie wird ihm bestimmt nicht nachgeben. Schade nur, dass ihre Ablehnung den Millionär immer mehr zu reizen scheint ...

DER MILLIARDÄR UND DIE SCHÖNE DIEBIN

Milliardäre bestiehlt man nicht! Diese Lektion muss die schöne Charity erst lernen. Denn nachdem die Ex-Diebin ihrem Vater bei einem letzten Coup geholfen hat, rächt sexy Tycoon Rocco Amari sich auf seine Art … und raubt ihr die Unschuld! Eigentlich sollten damit ihre Schulden beglichen sein, aber die gefährlich heiße Nacht hat unerwartete Folgen. Und obwohl Charity die sinnlichen Küsse Roccos nicht vergessen kann - ein Familienleben mit diesem arroganten Playboy? Einfach absurd! Das sieht Rocco ganz anders, denn der stolze Italiener hat Pläne … mit ihr und seinem Erben!

JETZT UND FÜR ALLE ZEIT!

Als Charlotte die Nachricht erhält, dass Rafael Revaldi einen schweren Unfall nur knapp überlebt hat, bebt ihr ganzer Körper. Denn auch wenn ihre Ehe nur noch auf dem Papier existiert, denkt sie mit jedem Atemzug an ihn! Ausgerechnet jetzt verlangt Rafael, sie zu sehen, und Lottie ahnt, was er von ihr möchte: die Scheidung! Dabei hat der stolze Conte ganz andere Pläne: Er will ein Kind! Für Lotti eine völlig absurde Idee, denn seit einem tragischen Schicksalsschlag herrscht zwischen ihnen eisiges Schweigen … oder will Rafael ihrer Liebe wirklich eine zweite Chance geben?


  • Erscheinungstag 05.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775728
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Cathy Williams, Maisey Yates, Andie Brock

Reich & Schön - Best of Julia 2016

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Cathy Williams
Originaltitel: „To Sin with the Tycoon“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2218 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Anike Pahl

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706531

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Alice Morgan verlor zunehmend die Nerven. Jetzt war es schon halb elf! Seit eineinhalb Stunden saß sie in diesem Büro, und niemand konnte ihr sagen, wie lange sie hier noch abwechselnd mit dem Fuß wippen und auf die Uhr sehen würde … Zwei Stunden, drei Stunden oder vielleicht den ganzen Tag lang?

Offenbar hatte man sie schlicht vergessen. Mr Big spielte eben nach seinen eigenen Regeln, das hatte man ihr unter der Hand schon verraten. Er kam und ging, wie es ihm passte. Und er tat nur das, was er wollte. Ein unberechenbarer Mann, der seine eigenen Gesetze schrieb. All diese vertraulichen Informationen stammten von der zierlichen, blonden Barbiepuppe, die Alice vor fast zwei Stunden in das leere Büro geführt hatte.

„Vielleicht ist er bei einem anderen Termin?“, hatte Alice hoffnungsvoll gefragt. „Oder er hat vergessen, dass ich um neun komme? Wenn Sie seinen Kalender kurz überprüfen könnten? Dann wüsste ich wenigstens, wie lange ich hier noch auf ihn warten muss.“

Aber, nein! Mr Big hielt sich an keine Terminpläne oder Kalender. Augenscheinlich hatte er das nicht nötig, weil er clever genug war, sich alle wichtigen Dinge im Kopf zu merken. Laut der Barbie war er viel zu brillant, um sich auf schnöde schriftliche Erinnerungen zu verlassen.

Zweimal hatte sie bisher ihren Kopf zur Tür hereingesteckt, entschuldigend gelächelt und ihren kleinen Vortrag wiederholt. Dabei tat sie so, als wären Unpünktlichkeit und Unhöflichkeit vollkommen vertretbar. Und da die gesamte Mitarbeiterschaft es gelassen akzeptierte, wurde das Gleiche auch von Alice erwartet.

Missmutig presste sie die Lippen aufeinander und sah sich um. Aus ihrem kleinen Büro konnte sie durch eine Glaswand in das wesentlich größere, moderne Büro von Gabriel Cabrera blicken.

Als Alice gehört hatte, wo sie als Aushilfe eingesetzt werden sollte, war sie begeistert gewesen. Die Büros lagen nämlich in dem eindrucksvollsten Gebäude der ganzen Stadt. Das Shard war ein Meisterwerk architektonischer Baukunst und bot einen gigantischen Blick über London. Viele Menschen zahlten dafür, einmal nach oben ins Gebäude zu dürfen. Die Bars und Restaurants dort waren regelmäßig auf Wochen im Voraus ausgebucht.

Und nun würde sie dort arbeiten. Gut, ihr Vertrag war auf sechs Wochen befristet, aber es bestand die Chance, dass sie übernommen wurde, wenn sie sich bewährte. Der Chef stand zwar in dem Ruf, genauso schnell Leute zu feuern, wie er sie einstellte – auch das hatte sie von der Barbie erfahren –, aber Alice war gut in dem, was sie tat. Mehr als gut. Und seit sie um Punkt Viertel vor neun einen Fuß in dieses Gebäude gesetzt hatte, stand ihr Entschluss fest: Sie würde alles daran setzen, aus diesem vorübergehenden Aushilfsjob ein festes Arbeitsverhältnis zu machen.

Ihre letzte Anstellung war in Ordnung und auch anständig bezahlt gewesen. Allerdings hatte es so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten gegeben. Sollte sie sich aber diesen Arbeitsplatz hier langfristig sichern können, würde das ihrer Karriere den ultimativen Schub geben.

Doch im Augenblick sah es aus, als müsste sie irgendwann wieder unverrichteter Dinge in ihr kleines Häuschen nach Shepherd’s Bush zurückkehren – falls ihr neuer Boss nicht doch noch auftauchte. Wie frustrierend! Wahrscheinlich feuerte er seine Sekretärinnen gar nicht am laufenden Band, sondern sie verließen ihn, weil sie ihn und seine vermeintliche Brillanz nicht länger aushielten!

Nachdenklich betrachtete sie sich in der Spiegelwand am hinteren Ende des Büros. Ihre strenges Kostüm und ihr unauffälliges Äußeres passten nicht zu den mondänen, gestylten Mitarbeitern, die ihr bisher auf den Fluren der Geschäftsleitung über den Weg gelaufen waren. Man bekam fast den Eindruck, auf einem Filmset gelandet zu sein. Die Männer trugen lässige, teure Anzüge, und die Frauen waren meistens blond, umwerfend hübsch und nach der neuesten Mode gekleidet. Junge, urbane Karrieremenschen, die Schönheit, Ehrgeiz und Köpfchen in sich vereinten. Selbst die Sekretärinnen und das Empfangspersonal, die für den reibungslosen Ablauf in dem großen Bürokomplex sorgten, wirkten auffallend glamourös.

Alice dagegen …

Braune Augen, braunes schulterlanges Haar, und selbst in ihren flachen Schuhen war sie noch überdurchschnittlich groß. Ihrem grauen Kostüm und der schlichten weißen Bluse fehlten jegliches Flair, obwohl Alice heute Morgen beim Anziehen noch gefunden hatte, dass sie darin ausgesprochen professionell wirkte. Das Outfit war zwar anders als die legere Aufmachung, die an ihrem vorherigen Arbeitsplatz üblich gewesen war. Aber in diesen extravaganten Räumen sah es einfach nur noch langweilig aus!

Hastig verdrängte sie den Anflug von Minderwertigkeitsgefühl. Dies war schließlich keine Modenschau, und sie musste sich optisch mit niemandem vergleichen. Es war nur ein Job, und sie zweifelte absolut nicht an ihren beruflichen Fähigkeiten – allein darauf kam es an. Sie lernte schnell dazu und war in der Lage, eigenständig und gewissenhaft zu arbeiten. Disziplinen, die in jedem Büro zählten.

Karrieretechnisch arbeitete Alice auf den ganz großen Sprung hin. Sie wollte etwas erreichen, je früher, desto besser.

Es war fast Mittag, als sie beschloss, sich noch einmal nach dem Verbleib des Big Boss zu erkundigen, da wurde plötzlich die Tür geöffnet.

Und dort stand er: ihr neuer Chef Gabriel Cabrera. Auf jemanden wie ihn war sie absolut nicht gefasst gewesen! Groß – beeindruckend groß – und attraktiver als jeder Mann, der ihr jemals unter die Augen gekommen war. Sein Haar war einen Tick zu lang, was ihn leicht verrucht aussehen ließ, und sein schönes Gesicht wirkte makellos. Er strahlte Macht und Stärke aus … und eine prickelnde Energie, die Alice für einen Moment sprachlos machte.

Dann riss sie sich zusammen und streckte zur Begrüßung ihre rechte Hand aus.

„Wer sind Sie?“, fragte er und blieb unschlüssig vor ihr stehen. „Und was machen Sie hier?“

Alice ließ die Hand sinken und setzte ein höfliches Lächeln auf. Für diesen Mann würde sie in Zukunft arbeiten, und sie wollte ihre Beziehung nicht auf dem falschen Fuß beginnen. In ihrem Kopf wuchs die Liste mit seinen weniger wünschenswerten Eigenschaften allerdings in diesem Moment um die Eigenschaften rüde und überheblich.

„Ich bin Alice Morgan, Ihre neue Sekretärin. Die Agentur, mit der Ihre Firma zusammenarbeitet, hat mich verständigt. Meinen Lebenslauf habe ich auch dabei, und …“

„Nicht nötig.“ Er trat einen Schritt zurück, um sie genauer betrachten zu können. In aller Ruhe verschränkte er die Arme und legte den Kopf schief, während sie diese demütigende Prozedur schweigend über sich ergehen ließ.

Behandelt er etwa alle seine weiblichen Mitarbeiter so unmöglich? Mittlerweile hatte sie ja verstanden, dass er nur tat, was ihm passte. Ganz egal, was andere dazu sagten. Aber das hier ging eindeutig zu weit!

Sie könnte einfach gehen. Dafür hätte die Agentur bestimmt Verständnis, immerhin hatte Alice mehr als zwei Stunden auf ihn gewartet. Andererseits wurde dieser Job außerordentlich gut bezahlt, weit über dem Durchschnitt, und falls sie übernommen würde, bot ihr der langfristige Vertrag erstklassige Konditionen.

Wie auch immer dieser Kerl sich als Chef gebärdete, der Lohn stimmte jedenfalls. Darauf würde Alice sich eben konzentrieren müssen. Seit sie vor drei Jahren von Devon – wo ihre Mutter lebte – nach London gezogen war, wohnte sie gemeinsam mit einer anderen jungen Frau zur Miete in einem kleinen Haus. Sie wünschte sich sehnlichst ihre eigenen vier Wände, aber ihre monatlichen Ausgaben ließen diesen Traum nicht zu.

Am Ende siegte das pragmatische Denken über den Impuls, die Flucht zu ergreifen.

Sie straffte die Schultern. „Ich bin seit Viertel vor neun hier.“

„In dem Fall hatten Sie ja reichlich Gelegenheit, sich über meine verschiedenen Firmen zu informieren.“ Mit dem Kopf nickte er in Richtung eines Aktenschranks, den Alice tatsächlich schon genauer unter die Lupe genommen hatte.

Ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Vielleicht können Sie mir einen kurzen Überblick hinsichtlich meiner Pflichten geben?“, bat sie steif. „Normalerweise werde ich am Arbeitsplatz von meiner Vorgängerin in die laufenden Prozesse eingewiesen, aber …“ Aber seine letzte Sekretärin war anscheinend davongelaufen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen.

„Ich habe keine Zeit, Ihnen zu erklären, was hier alles von Ihnen erwartet wird. Sie werden es sich beim Arbeiten selbst aneignen müssen. Ich gehe davon aus, dass die Agentur mir eine kompetente Kraft geschickt hat, die eigenständig zurechtkommt?“

Er beobachtete, wie sich ihre Wangen rot färbten und ihre Haltung noch etwas steifer als vorher wurde.

Alles in allem war das nicht die Reaktion, mit der Gabriel gerechnet hatte oder die er vom anderen Geschlecht gewöhnt war. Andererseits war es ein geschickter Zug der Agentur, ihm zur Abwechslung einmal jemanden zu empfehlen, der am Ende nicht sein Herz an ihn verlor. Miss Alice Morgan wirkte trotz ihrer Jugend nicht wie ein schwärmerisches Mädchen, sondern eher wie eine strenge Gouvernante!

„Punkt eins auf der Agenda ist: eine schöne Tasse Kaffee. Sie werden bald feststellen, dass diese Aufgabe von essentieller Bedeutung ist. Ich trinke meinen stark, schwarz und mit zwei Stück Zucker. Wenn Sie sich mal etwas locker machen und nach rechts drehen, sehen Sie gleich dort drüben eine Schiebetür. Dahinter finden Sie alles, was Sie zum Kaffeekochen benötigen.“

Bisher ging Alice alles, was dieser Mann von sich gab, gewaltig auf die Nerven. Außerdem gefiel ihr nicht, dass er offenbar der Meinung war, sie müsse sich etwas locker machen.

„Natürlich.“

„Danach nehmen Sie sich Ihr Notebook und kommen zu mir ins Büro. Dann starten wir richtig durch, ich habe nämlich ein paar große Deals am Wickel. Wahrscheinlich fühlt es sich für Sie an, als würden Sie ins kalte Wasser geworfen. Aber entspannen Sie sich, Miss Morgan! Ich verschlinge prinzipiell keine Sekretärinnen zum Frühstück.“

Nachdem er in seinem eigenen Büro verschwunden war, gelang es Alice endlich, ihre Starre zu lösen und sich in Bewegung zu setzen. Aufgabe Nummer eins: Kaffee kochen. Bei ihrer letzten Anstellung hatte sie ihrem Chef keinen Kaffee gemacht. Dort hatten alle in stillem Einvernehmen zusammengearbeitet, und manchmal war es sogar Tom Davis selbst gewesen, der ihr eine Tasse gebracht hatte. Allerdings war ziemlich deutlich geworden, dass sich Gabriel Cabrera nicht auf diese Art von Gleichberechtigung verstand.

Es lag nicht in ihrer Natur, auf Konfrontationskurs zu gehen. Trotzdem existierte eine kleine rebellische Seite in ihr, die gegen Gabriel Cabreras diktatorische Haltung aufbegehrte. Alice kochte innerlich, während sie sich mit der modernen Kaffeemaschine vertraut machte.

Vor ihrem inneren Auge wollte sein Bild einfach nicht verblassen. Dieses unfassbar attraktive Gesicht mit dem selbstgerechten Ausdruck in den hinreißenden Augen … Sein Verhalten grenzte an Unhöflichkeit. Er war reich, er war schön, und er kannte den Effekt seiner charismatischen Ausstrahlung ganz genau.

Als er gerade vor ihr gestanden hatte, war sie sich wie ein hilfloses Beutetier vorgekommen – belauert von einer Raubkatze. Ob das nun an seiner imposanten Größe und der muskulösen Statur lag oder ihr sein Verhalten den Atem raubte, das konnte sie beim besten Willen nicht beurteilen.

„Setzen Sie sich“, sagte er, als sie sein Büro betrat.

Der Raum war riesig. Dieser Eindruck wurde noch von der deckenhohen Glaswand verstärkt, auch wenn graue Jalousien sie zum Teil verdeckten. Neben einem geräumigen Arbeitsplatz stand noch eine bequeme Sitzecke zur Verfügung, vermutlich für geschäftliche Besprechungen im kleineren Rahmen. Hohe Pflanzen trennten diesen Bereich von der restlichen Büroeinrichtung.

„Verraten Sie mir zuerst, mit welchen Computerprogrammen Sie vertraut sind“, forderte er sie auf und klopfte leise mit einem Füller auf die gläserne Schreibtischplatte. Seine Aufmerksamkeit war komplett auf Alice gerichtet.

Sie stand kerzengerade vor ihm, die Beine fest zusammengepresst, und ihr Blick wich seinem geschickt aus. Gabriel fragte sich schon, ob er sie nicht wieder wegschicken und gegen jemanden auswechseln sollte, der ein bisschen dekorativer daherkam.

Er mochte gut aussehende Frauen, obwohl bei ihnen meistens die charakterlichen und intellektuellen Nachteile überwogen. Aussehen allein reichte eben bei Weitem nicht. Er war ein Mann, der alles haben konnte. Dazu gehörten auch zahllose, austauschbare Sekretärinnen.

Seit Gladys, die sieben Jahre als Assistentin für ihn gearbeitet hatte, mit sechzig nach Australien zu ihrer Tochter ausgewandert war, hatte Gabriel schon unzählige Ersatzkräfte verschlissen. Ihm war klar, dass jede Agentur ihn längst aus der Kundenkartei gestrichen hätte, wenn er jemand anders gewesen wäre. Aber sein Name öffnete ihm alle Türen, und obendrein zahlte er Spitzengehälter. Und war Gier nicht die effektivste Antriebsfeder der Menschen?

Verächtlich zog er die Mundwinkel herunter. Nein, in diesem Universum gab es nichts, das er nicht haben könnte …

Frauen umschwärmten ihn, wohin er auch ging. Große Geschäftsmänner verfielen in ehrfürchtiges Schweigen, sobald er auftauchte. Die Medien verfolgten jeden seiner Schritte, um keinen spektakulären Finanz-Deal und keinen Aspekt seines Privatlebens zu verpassen. Er war an der Spitze angekommen und beherrschte sein Spiel perfekt. Und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass seine Erfolgssträhne in absehbarer Zeit abreißen könnte.

Warum fühlt sich das Leben manchmal dann so verdammt unbefriedigend an? Manchmal fragte er sich, ob er seine Ressourcen für echte Emotionen während seines hartnäckigen Aufstiegs an die Spitze restlos aufgebraucht hatte. Vielleicht war allein der Kampf um Macht und Geld das ganz große Abenteuer! Aber jetzt, nachdem er das Spiel gespielt hatte und als Sieger daraus hervorgegangen war …

Ist das Abenteuer endgültig vorbei? Nicht einmal die brutalen Anforderungen seiner täglichen Arbeit lieferten ihm noch das Adrenalin, das er früher dabei in sich gespürt hatte. Weshalb noch über sich hinauswachsen, wenn er mittlerweile alles auch ohne Anstrengung erreichte? Früher war es von großer Bedeutung gewesen, sich ständig neu auszuprobieren, aber jetzt …

Die unscheinbare Assistentin war inzwischen in voller Fahrt. Sie erzählte ihm von ihrem letzten Job und ratterte eine lange Liste ihrer dortigen Aufgaben herunter.

In herrischer Manier hielt er eine Hand hoch und unterbrach sie mitten im Satz. „Sie können nur eine Verbesserung gegenüber dem letzten Mädchen sein“, erklärte er gedehnt. „Ich glaube, irgendwo entlang der Strecke hat die Agentur nämlich aus den Augen verloren, dass ich tatsächlich jemanden mit außerordentlichen Qualifikationen suche.“

Alice lächelte höflich und dachte im Stillen, dass die Agentur wahrscheinlich einfach früh begriffen hatte, wie viel Wert er darauf legte, mit außerordentlich hübschen Kandidatinnen zusammenzuarbeiten. Die beruflichen Fähigkeiten waren daraufhin sicherlich als zweitrangig eingestuft worden.

Ihr Lächeln machte Gabriel misstrauisch. Es passte irgendwie nicht zu ihrer abweisenden Haltung. „Auf dem Computer finden Sie den Ordner über den Hammonds-Fall“, erklärte er. „Öffnen Sie ihn, dann sage ich Ihnen, was darin zu tun ist.“

Die nächsten vier Stunden hatte Alice kaum Zeit, den Kopf zu heben. Gabriel hielt sie ziemlich auf Trab. Es gab auch keine Mittagspause, was vermutlich daran lag, dass er erst gegen Mittag aufgetaucht war. Offensichtlich nahm er an, sie wäre nicht hungrig. Er war es offenbar nicht, also warum sollte sie es sein?

Um halb fünf kam er an ihren Schreibtisch. „Sie sind flott dabei“, stellte er fest. „Neue Besen kehren gut, oder darf ich davon ausgehen, dass Sie diese Effizienz beibehalten?“

Im Dauerfeuer seiner permanenten Anweisungen hatte Alice während der vergangenen Stunden ganz vergessen, wie unmöglich sie ihren neuen Boss fand.

„Ich arbeite grundsätzlich hart, Mr Cabrera“, antwortete sie ruhig. „Und normalerweise komme ich mit den Anforderungen, die an mich gestellt werden, gut zurecht.“

Gabriel setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und streckte die Beine aus. Er wirkte unerträglich selbstbewusst und gelassen. Und sie musste zugeben, dass er obendrein – zumindest in beruflicher Hinsicht – ausgesprochen clever agierte. Seine Gedankengänge waren klug und präzise. Er untersuchte jedes Detail eines Prozesses, bis er an die entsprechende Stelle gelangte, an der sich entschied, ob man am Ende siegte oder versagte. Auch am Telefon führte er seine Gespräche kompromisslos und entschlossen. Kein Zweifel, dieser Mann bekam, worauf er es abgesehen hatte.

„Höchst empfehlenswert, Ihre Einstellung“, bemerkte er trocken.

„Vielen Dank. Könnten Sie mir bitte sagen, wie lange ich heute im Büro gebraucht werde?“

„So lange, bis ich mit Ihrem Tagwerk zufrieden bin“, gab er kühl zurück. „Ich sehe nicht ständig auf die Uhr, Miss Morgan. Es sei denn, Sie müssen unbedingt um Punkt fünf Feierabend machen, weil Sie dringende Verpflichtungen haben. Ist das der Fall?“

Mit zitternden Händen strich sie sich den Rock glatt. Sie hatte sich im Vorfeld gut über Gabriel Cabrera informiert. Von seinem umwerfenden Äußeren mal abgesehen, war er ein Milliardär, der gewaltigen Einfluss hatte. Und laut der blonden Barbie, mit der Alice heute gesprochen hatte, behandelte er seine Angestellten grundsätzlich, wie es ihm passte.

Zum Beispiel hatte er der Leiterin seiner Rechtsabteilung gerade erst mitgeteilt, dass sie am kommenden Wochenende wegen eines wichtigen Geschäftsabschlusses durcharbeiten müsse und damit die Hochzeit ihrer besten Freundin versäumen würde. Er hatte sich nicht einmal dazu herabgelassen, sich bei der Frau für diese Unannehmlichkeit zu entschuldigen.

Gabriel Cabrera bezahlte seinen Mitarbeitern ein kleines Vermögen, und dafür verkauften diese ihre Freiheit.

Das war ein Zug, auf den Alice nicht aufspringen wollte. Im Augenblick war sie noch eine kleine Aushilfe, was ihr die Möglichkeit verschaffte, ein paar Grenzen zu setzen. Sollte ihr dieser Job auf Dauer angeboten werden, hätte sie nicht mehr die Freiheit, klarzustellen, was sie zu tun bereit war und was nicht. Und Überstunden am Wochenende standen bei ihr definitiv nicht auf der Tagesordnung. Vor allem nicht angesichts der heiklen Situation ihrer Mutter.

„Ich hänge nicht an der Uhr, Mr Cabrera, und ich mache auch gern mal Überstunden, falls nötig. Trotzdem schätze ich mein Privatleben und würde gern im Voraus wissen, ob von mir erwartet wird, dass ich regelmäßig meine Freizeit opfere.“

Gabriel starrte sie an. „Auf diese Weise funktioniert mein Unternehmen nicht.“ Zumindest nicht in seinen Augen. Er tat grundsätzlich, was er wollte, und die Welt akzeptierte es. Das mochte zynisch klingen, aber es war die Realität. Er hatte sich seinen Platz an der Spitze hart erarbeitet und dabei seine Konkurrenz in den Staub getreten. Er war aus dem Nichts gestartet und hatte jetzt alles … und das war schließlich das Ziel des ganzen Spiels: irgendwann alles zu haben. Er war niemandem mehr Rechenschaft schuldig, am allerwenigsten einer Sekretärin, die kaum zwei Minuten in seiner Gegenwart verbracht hatte!

„Soweit ich informiert bin, verdienen Sie hier knapp das Doppelte von dem, was Sie in einer anderen Firma für dieselbe Arbeit erhalten würden, richtig?“

In einer anderen Firma hätte ich auch einen normalen Chef, dachte Alice.

„Das ist korrekt“, gab sie zu.

„Gefällt Ihnen das Gesamtpaket dieser Anstellung nicht? Ich kann es natürlich sofort einstampfen, wenn Sie mit mir jetzt schon über Arbeitszeiten diskutieren wollen. Es ist Ihr erster Tag, und Sie stellen Forderungen?“ Er lachte kurz und schüttelte den Kopf. „Unglaublich!“

So leicht ließ Alice sich nicht einschüchtern und hielt resolut dagegen. „Die Agentur deutete an, dass nach der Probezeit eine Festanstellung möglich ist. Doch soweit ich informiert bin, haben Sie mit Ihren bisherigen Sekretärinnen nicht gerade viel Glück gehabt.“

„Und nach einem einzigen gelungenen Tag glauben Sie, Sie hätten irgendwelchen Einfluss auf mich?“ Allerdings musste er zugeben, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Die meisten ihrer Vorgängerinnen hatten sich nämlich zu wenig auf ihre Aufgaben und zu viel auf ihren Boss konzentriert.

„Ich finde, Sie preschen ein bisschen zu sehr nach vorn“, stellte er fest. „Meinen Sie nicht auch?“

„Nein.“ Alice atmete tief durch und bereitete sich darauf vor, ihre Interessen konsequent zu vertreten, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte.

Ihre Blicke trafen sich, und sie verspürte einen enormen Effekt, so als ob die Luft aus ihrem Körper gesaugt wurde. Einerseits fand sie dieses Phänomen irritierend, andererseits war es ungeheuer belebend. Genauso hatte sie den gesamten heutigen Tag empfunden. Sie war unter dem Druck der neuen Arbeit regelrecht aufgeblüht und hatte schon jetzt Bereiche entdeckt, in denen sie möglicherweise zukünftig mehr Verantwortung übernehmen könnte.

Bin ich wirklich bereit, sechs hervorragend bezahlte Wochen aufs Spiel zu setzen, um Grundregeln für eine Festanstellung zu erörtern, die mir überhaupt nicht angeboten worden ist?

Noch während sie sich diese Frage stellte, wusste sie die Antwort darauf. Sie hatte nicht vor, sich von jemandem ihr Leben diktieren zu lassen, ganz gleich, wie gut sie dafür bezahlt wurde. Niemanden in dieser Firma schien der Verlust der privaten Freiheit zu stören. Die Hälfte der Frauen war wahrscheinlich in ihn verliebt und gab sich deshalb bereitwillig auf, aber sie ganz sicher nicht!

Außerdem brauchte sie dann und wann eine Auszeit von der Arbeit. Das Leben war schon schwer genug, und am Wochenende musste Alice regelmäßig nach Devon fahren, um ihre Mutter zu besuchen. Das ließ sich nicht mit unberechenbaren Arbeitszeiten vereinbaren.

„Ich bitte um Verzeihung?“ Gabriel konnte sich nicht daran erinnern, wann es zum letzten Mal jemand gewagt hatte, ihm offen zu widersprechen. Großer Reichtum bedeutete gleichzeitig große Freiheit und noch größeren Respekt – und war nicht genau das sein Lebensziel gewesen? Die dunklen Tage seiner Kindheit in unterschiedlichen Pflegefamilien, in denen seine Bedürfnisse nichts gezählt hatten, endlich für immer hinter sich zu lassen? Nie wieder sollten andere Menschen über sein Leben bestimmen dürfen!

„Ich bin zwar erst einen Tag hier, Mr Cabrera, aber an diesem ersten Tag musste ich volle drei Stunden auf Ihre Ankunft warten. Zugegeben, das hat mir reichlich Zeit gegeben, mich in die Details Ihrer Firmenstruktur einzuarbeiten. Doch ich war nicht darauf gefasst, meinen Vormittag auf diese Weise allein im Büro verbringen zu müssen.“

„Soll ich mich etwa rechtfertigen und erklären, wo ich heute Morgen gewesen bin?“, erkundigte er sich fassungslos.

An diesem kritischen Punkt hätte sie normalerweise haltgemacht, um sich ihre Chancen auf einen weiteren Tag im Unternehmen beziehungsweise auf die begehrte Festanstellung nicht zu verderben. Doch ihr neuer Boss schien es leid zu sein, ständig neue unfähige Sekretärinnen einstellen zu müssen, auch wenn er ihren schönen Anblick im Büro genoss. Alice war sich ihrer Kompetenz bewusst, darum wagte sie sich auch so weit vor …

„Natürlich nicht. Und mir ist auch bewusst, dass ich nicht in der Position bin, irgendwelche Bedingungen zu stellen …“

„Und trotzdem tun Sie es?“ Er hielt seinen Wutausbruch nur zurück, weil sie ihn heute mit einer außerordentlichen Leistung beeindruckt hatte. Allerdings war sein Geduldsfaden zum Zerreißen gespannt.

„Ich möchte lediglich klarstellen, dass ich Ihnen nicht meine Wochenenden opfern kann, Mr Cabrera.“

„Das habe ich, meines Wissens, auch gar nicht von Ihnen verlangt.“

„Nein, aber ich habe mitbekommen, dass die Leiterin Ihrer Rechtsabteilung die Hochzeit ihrer besten Freundin verpasst, weil sie an beiden Tagen für Sie arbeiten muss.“

„Claire Kirk ist extrem stolz darauf, eine der jüngsten Abteilungsleiterinnen dieser Firma zu sein. Sie macht ihren Job hervorragend, und es wäre ein Fehler, ihren Ehrgeiz zu untergraben, indem man sie schont. Wer es zu etwas bringen will, muss eben über sich hinauswachsen.“

Im Stillen fragte sich Alice, wo die Grenze zwischen über sich hinauswachsen und sich für seinen Job aufopfern lag.

„Im Grunde wollte ich das Thema gar nicht vertiefen“, ruderte sie zurück. „Aber ich dachte, Sie sollten von Anfang an wissen, wie ich zu Überstunden und Extra-Arbeitstagen stehe. Gegen gelegentliche Überstunden habe ich nichts einzuwenden, doch ich trenne mein berufliches Leben grundsätzlich von meinem privaten.“

„Eines würde mich interessieren“, sagte er. „Haben Sie Ihrem letzten Boss die gleiche Ansprache gehalten?“

„Das war nicht notwendig.“

„Weil er sich an die offiziellen Bürozeiten hält? Von neun bis fünf? Habe ich mir schon gedacht. Nun, ich bin aus anderem Holz geschnitzt, und dasselbe erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern.“ Es wäre eine Schande, eine vielversprechende Kraft wie Miss Morgan sofort wieder zu verlieren, andererseits war er mit seiner Geduld am Ende. „Angestellte wie Claire, die unbedingt die nächste Stufe der Karriereleiter erklimmen wollen, arbeiten auch am Wochenende, weil sie die Spielregeln für Erfolgsgeschichten verstanden haben. Dann und wann muss man ein Opfer bringen, um seine persönlichen Ziele zu erreichen. Sie dagegen sind keine Abteilungsleiterin und haben vermutlich auch keine größeren Ambitionen …“

„Auch ich will auf der Karriereleiter weiter nach oben kommen“, unterbrach Alice ihn mit fester Stimme, und ihre Wangen wurden rot.

„Wirklich? Ich bin ganz Ohr, denn auf den ersten Blick vermitteln Sie einen völlig anderen Eindruck.“

Nervös befeuchtete sie die Lippen und starrte ihn stumm an. Die plötzliche Stille zwischen ihnen war unheimlich. Zu gern hätte Alice sie mit etwas Smalltalk gefüllt, gleichzeitig wollte sie nicht zu viel Privates über sich preisgeben. Also entschied sie sich für ein höfliches Lächeln.

„Meine Ambitionen sind der Grund, weshalb ich mir eine neue Stelle gesucht habe. Mir gefiel es bei meinem vorigen Arbeitgeber, aber Tom – der Inhaber – hat die Führung vor Kurzem an seinen Sohn übergeben. Und Tom Junior hält nicht viel davon, Frauen beruflich zu fördern.“

Gabriel legte den Kopf schief und dachte nach. Sie klang wie ein beleidigtes Mauerblümchen, dem zu wenig Beachtung geschenkt worden war. Andererseits passte die Art, wie sie für sich einstand, ganz und gar nicht zu einem Mauerblümchen. Sie behauptete, Karriere machen zu wollen, hielt sich aber mit den konkreten Gründen zurück, weshalb sie die letzte Firma verlassen hatte.

Das war ungewöhnlich, da die meisten Frauen es nicht abwarten konnten, ihn in lange Geschichten über sich selbst zu verwickeln. Vor allem in lange Geschichten, die sie zu ihrem eigenen Vorteil beschönigten. Doch Alice Morgan war anders … Er hatte das Gefühl, dass sie präzise abwog, wie viel er über sie erfahren durfte.

Er betrachtete sie etwas genauer: die intelligenten Augen, die schlanke Figur und die ausgesprochen langweilige Frisur.

Seine Mitarbeiter verfügten alle über ein großzügiges Spesenkonto für ihre Bürogarderobe. Sie konnten sich nach Belieben sogar Designer-Stücke leisten, und das kam insbesondere den Mitarbeitern weiter unten in der Hackordnung zugute, deren Gehälter weniger beneidenswert waren. Jeder, unabhängig von der Rangfolge, entwarf ein bestimmtes Bild von sich und repräsentierte damit gleichzeitig das Unternehmen – eine Marketingstrategie, die Gabriel sehr gut gefiel.

Im Vergleich zu den Kollegen fehlte es der grauen Maus vor ihm leider etwas an Glanz, aber trotzdem hatte sie das gewisse Etwas …

„Also, wie wäre Ihre Karriere denn nun verlaufen, hätte Tommy Junior nicht die Nachfolge seines Vaters angetreten?“ Gabriel hatte keinen Respekt vor jemandem, dem eine Firma einfach so in den Schoß fiel. Er hatte sich seinen Erfolg mühsam erarbeitet und verachtete daher die gut gepflegten, verwöhnten Berufssöhne und – töchter, die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden waren.

Er selbst war ein kompromissloser Mensch, der einen harten Weg hinter sich hatte. Genau diese Erfahrung hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war: selbstständig und erfolgreich.

„Ich hatte zum Beispiel gehofft, eine Fortbildung im Bereich Buchhaltung machen zu können“, antwortete Alice. Finanzen hatten sie schon immer interessiert. Doch leider sah es aus, als erfüllten sich persönliche Träume niemals. Zumindest ihre nicht.

„Es sollte eben nicht sein“, seufzte sie abschließend. „Darum hielt ich es für eine gute Idee, mich einer größeren, wachsenden Firma anzuschließen.“

„Und noch ehe Sie den neuen Job richtig begonnen haben, fühlen Sie sich dazu bemüßigt, mich über Ihre begrenzten Arbeitszeiten aufzuklären?“

„Dabei geht es ausschließlich um meine Wochenenden.“ Mittlerweile bereute sie, dieses Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Sie hätte einfach mit gesenktem Kopf weiterarbeiten sollen, bis der Zeitpunkt kam, an dem Gabriel Cabrera das Unmögliche von ihr verlangte. Stattdessen verrannte sie sich in Mutmaßungen über die Art, wie er sein Unternehmen führte.

„Ein fester Freund?“

„Wie bitte?“ Sie zog die Augenbrauen hoch.

„Oder vielleicht ein Ehemann? Obwohl mir gar kein Ring aufgefallen ist.“

„Entschuldigung, aber wovon sprechen Sie da?“

„Ist es am Ende nicht immer der Lebensgefährte im Hintergrund, der einem die Arbeitszeiten diktiert?“, fragte er. Wenn er ehrlich war, imponierte ihm der Mut, gleich am ersten Tag Regeln aufstellen zu wollen, so als hätte sie ihm gegenüber irgendein Druckmittel, um ihre Interessen durchzusetzen. Und ihm gefiel das Rätselhafte an ihr. Höchst ungewöhnlich, zumindest im Vergleich zu den Ladies, die er bisher kennengelernt hatte. Sie waren wie langweilige, offene Bücher gewesen …

„Nicht in diesem Fall, Mr Cabrera“, teilte sie ihm stocksteif mit.

„Also, kein Freund?“

Alice zögerte. Vielleicht ist nur mein Timing falsch? Er schien ihr wirklich zuzuhören. Warum nicht aufs Ganze gehen und ihre Bedingungen etwas genauer festlegen? Nein, er würde sie wahrscheinlich an Ort und Stelle entlassen. Dann musste sie zurück zur Agentur, die nicht überrascht wäre, sie zu sehen, und eine andere Arbeit mit einem normalen Boss antreten … mit normalen Bürozeiten und in einer normalen Umgebung. Das klang fürchterlich unspektakulär!

„Ich sollte erwähnen …“ Sie hörte ihre eigene hölzerne Stimme und zuckte zusammen, weil sie mit ihren fünfundzwanzig wie jemand klang, der doppelt so alt war. „Ich schätze es nicht, über mein Privatleben zu reden.“

„Warum nicht? Haben Sie etwas zu verbergen?“

Alices Mund klappte auf, und im Gegenzug hob Gabriel eine Augenbraue, ohne ihr aus der peinlichen Stille zu helfen.

„Ich … ich leiste sehr gute Arbeit“, stammelte sie schließlich. „Und ich nehme meine Aufgaben ernst. Falls Sie sich entscheiden, mich fest einzustellen, werden Sie es nicht bereuen, Mr Cabrera. Ich bringe einhundert Prozent, soweit es meine Verantwortung im Büro betrifft.“

Schweigend betrachtete er sie und zuckte dann die Schultern. „Buchhaltungsseminare werden beispielsweise auch am Wochenende abgehalten. Selbst dafür könnten Sie Ihre wertvollen freien Tage nicht opfern?“

„Ich habe mich darüber informiert und könnte den Stoff selbstständig unter der Woche lernen. Zahlen liegen mir.“

„Wenn dem so ist, warum haben Sie dann nach der Schule nicht weiterstudiert? Und wo wir gerade dabei sind: Darf ich einmal einen Blick in den Lebenslauf werfen, den sie dabeihaben?“

In diesem Augenblick unterbrach sie das Telefon. Gabriel warf einen kurzen Blick auf das Display seines Handys. Dann drückte er das Gespräch weg und sah lächelnd hoch. „Ich mache Ihnen ein Angebot, Miss Morgan.“

Als er sich vorbeugte und mit den Ellenbogen auf dem Tisch abstützte, wich sie automatisch zurück. So nah war er ihr bis jetzt noch nicht gekommen, und sie wunderte sich über ihre empfindliche Reaktion. Ihr wurde heiß, und ihre Haut kribbelte.

Alice atmete durch. Wenn sie langfristig mit diesem Mann zusammenarbeiten wollte, musste sie lernen, seine unmittelbare Nähe auszuhalten. Dass sie ihn nicht mochte und trotzdem auf seine männliche Präsenz reagierte, durfte ihrer Karriere nicht im Weg stehen.

„Ich höre.“

„Zuerst werde ich mir Ihren Lebenslauf ansehen. Und vorausgesetzt, ich entdecke darin keine nennenswerten Lücken oder Unterlassungen, und ebenfalls vorausgesetzt, Ihre Referenzen sind einwandfrei, offeriere ich Ihnen einen Langzeitvertrag.“

„Das würden Sie tun?“

„Und noch mehr. Ich ermögliche Ihnen auch diese Fortbildung in Buchhaltung, auf die Sie es so stark abgesehen haben.“

„Wirklich?“ Tausend Gedanken wirbelten gleichzeitig durch Alices Kopf, doch einer von ihnen war stärker als alle anderen: Nun wird mein Leben endlich vorangehen! Das bot ihr die Möglichkeit, ein wenig Geld zu sparen … dringend benötigtes Geld.

„Und selbstverständlich verlangt niemand von Ihnen, das Wochenende durchzuarbeiten. Es sei denn, es ist zwingend notwendig.“

„Sie werden schnell feststellen, dass ich mit allem fertigwerde, was Sie von mir erwarten.“

„In dem Fall …“ Er griff nach dem Telefon auf ihrem Schreibtisch und wählte zügig eine Nummer. „Sie werden schnell feststellen, dass es zuweilen nötig ist, sich in mein Privatleben einzubringen“, erklärte er und reichte ihr den Hörer. „Ich werde mich nie wieder mit dieser Dame treffen, also machen Sie ihr das bitte endgültig klar! Dann werden wir sehen, ob Sie tatsächlich mit allem fertigwerden, was ich verlange.“

2. KAPITEL

Gabriel schlenderte zurück in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er war höchst zufrieden mit seiner Entscheidung, die neue Sekretärin an Ort und Stelle zu testen. Normalerweise würde er etwas derart Triviales seiner Personalabteilung überlassen, aber er hatte spontan die Gelegenheit ergriffen, und es hatte sich richtig angefühlt.

Einer Eingebung folgend, rief er das Unternehmen an, in dem sie zuletzt gearbeitet hatte. Das Gespräch mit dem Chef dauerte keine fünf Minuten, und dieser schwärmte in den höchsten Tönen von Alice Morgan.

Er selbst hatte eine endlose Reihe halbwegs fähiger Sekretärinnen verschlissen. Aber sie hatten alle extrem gut ausgesehen, und warum sollte er sich diesen kleinen Luxus nicht leisten? Einige von ihnen hätten es sogar bis zu dem Niveau bringen können, das er von seinen Partnerinnen verlangte, wären sie ihm nicht vorher zu unbequem geworden. Schmachtende Blicke, unzählige Überstunden, und die Röcke waren von Tag zu Tag kürzer ausgefallen. Alles in allem waren sie am Ende ziemlich nervig gewesen.

Im Stillen fragte er sich, wie die neue Bürokraft wohl mit seiner jüngsten Verflossenen umsprang. Er grinste in sich hinein, als er sich Miss Morgans stumme Missbilligung vorstellte.

Zu Beginn war Georgia noch aufregend gewesen. Sexy, begeisterungsfähig und ausgesprochen innovativ im Bett. Noch wichtiger: Sie hatte von Anfang an die Grundregel für eine Beziehung mit ihm akzeptiert: keinerlei langfristige Verpflichtungen.

Warum also habe ich mich so schnell mit ihr gelangweilt? Gabriel kannte die Antwort: Sie hatte sich viel zu eifrig bemüht, ihm zu gefallen. Andererseits, welcher Mann wollte nicht, dass eine Frau bereit war, praktisch alles für ihn zu tun?

Vielleicht waren es auch schlicht zu viele Frauen, die sich um ihn rissen. Es waren herrlich sinnliche Frauen, deren Wortschatz sich weitgehend auf das Wörtchen ja beschränkte. Und in seiner schnelllebigen, anspruchsvollen Welt war bedingungslose Zustimmung bisher immer ein beruhigender Ausgleich gewesen, doch in letzter Zeit …

Er überflog einen Bericht, der vor ihm lag und eine weitere erfolgreiche Übernahme bestätigte, die es Gabriel ermöglichte, Teile eines seiner Technologie-Unternehmen in Europa anzusiedeln. Es war nicht übertrieben zu sagen, dass er sich vom trostlosen Heimkind zum Global Player entwickelt hatte. Aber früher hatte er mehr Freude und Genugtuung bei erfolgreichen Geschäftsabschlüssen dieser Art empfunden.

Als Sechzehnjähriger hatte er sich auf dem Börsenparkett seine ersten Sporen verdient. Seltsamerweise hatte er die unheimliche Fähigkeit, Trends vorauszuahnen und Marktbewegungen zu prognostizieren. Seine ersten echten Kicks hatte er bekommen, als die mächtigen Männer mit ihren glasklaren Akzenten und den teuren Landhäusern ausnahmslos auf seinen Rat hörten, sobald er etwas sagte. Sie liefen ihm scharenweise hinterher, und Gabriel lernte schnell, wie er seine Talente höchstbietend verkaufte. Er begriff, wann es besser war, Informationen zurückzuhalten, und wann man sie mit entsprechenden Partnern teilen musste. Geld und Macht sorgten dafür, dass er unangreifbar wurde. Inzwischen war er der Mann, der die Befehle erteilte, und genau so wollte er es haben. Er war zweiunddreißig, und niemand konnte ihm das Wasser reichen.

Das kräftige Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken, und er lehnte sich seufzend auf seinem Stuhl zurück, ehe er den Besucher hereinbat.

Energisch betrat Alice den Raum und hielt ihren Ärger nur mühsam im Zaum. Dieser Kerl hatte einfach eine Nummer gewählt und es ihr überlassen, mit einer gewissen Georgia zu sprechen. Die Frau mit der heiseren Stimme hatte Gabriel im Lauf der Unterhaltung mehrfach als unverbesserlichen Playboy beschimpft. Zu recht, wie Alice fand!

Andererseits war ihr der feste Job so gut wie sicher, und sie würde ihre Chancen niemals zunichtemachen, indem sie vor einer Herausforderung zurückschreckte. Ihr neuer Boss schien ihre Bitte um freie Wochenenden verstanden und akzeptiert zu haben, und er hatte ihr trotzdem einen Vertrag angeboten. Das war ein Zugeständnis. Demzufolge war sie bereit, ihm ihrerseits auch etwas entgegenzukommen.

Ihre Miene war allerdings angestrengt, als sie sich auf den Stuhl setzte, den er ihr zuwies.

„Vermutlich möchten Sie erfahren, wie mein Gespräch mit Ihrer Freundin verlaufen ist“, begann sie stockend.

„Meiner Exfreundin. Das ist der Punkt. Sie muss endlich begreifen, wie die Dinge liegen.“ Er musste sich ein Lachen verkneifen. Der Unwille war seiner neuen Sekretärin derart deutlich anzusehen, als hätte sie in eine Zitrone gebissen! „Ich habe übrigens mit Ihrem ehemaligen Arbeitgeber telefoniert. Ein netter Mann, wie es scheint. Er hat vermutlich nie von Ihnen verlangt, an seiner Stelle mit einer Verflossenen zu reden?“

Will er mich um jeden Preis provozieren? fragte sie sich ärgerlich.

Sein intensiver Blick und diese selbstherrliche Ausstrahlung machten Alice nervös. Unbewusst zog sie ihr Kostümjäckchen enger um sich und setzte sich gerade hin. Ihre gekreuzten Beine fühlten sich steif wie Holzbretter an, obwohl ganz allmählich eine unangenehme Wärme an ihnen hochkroch, die Alice allerdings entschlossen ignorierte. Äußerlich fand sie Gabriel zwar umwerfend sexy und anziehend, aber sein Charakter konnte ihr wirklich gestohlen bleiben!

In gewisser Hinsicht war dies sogar eine exzellente Voraussetzung für eine solide Arbeitsatmosphäre. Dem Gespräch mit der unglücklichen Georgia hatte sie entnommen, dass es ein großes Problem mit Gabriels Privatassistentinnen gegeben hatte: Offenbar waren sie allesamt früher oder später in ihren Boss verliebt gewesen.

„Ich kann nicht fassen, dass er seine Sekretärin für die Drecksarbeit einspannt“, hatte Georgia gewettert. „Tja, wenn Sie genauso drauf sind wie die anderen …“ Ein lautes Schluchzen, eine kurze Pause. „Wenn Sie hoffen, mit einem kurzen Rock und einem tiefen Ausschnitt bei ihm zu landen, haben Sie sich gründlich geschnitten! Er wird sich niemals auf Sie einlassen! Für ihn kommt es nämlich nicht infrage, Berufliches und Privates miteinander zu vermischen. Das hat er mir selbst gesagt – mehr als nur einmal. Also, vergessen Sie es!“

Georgias gemeinsame Zeit mit Gabriel war nach zwei Monaten, einer Woche und drei Tagen abgelaufen. Ob das seine durchschnittliche Beziehungsdauer ist, falls er sich überhaupt auf eine Verbindung einlässt? Knapp zweieinhalb Monate, ehe er sich langweilt und wieder den Reiz des Neuen sucht?

Alice dachte an ihren Vater. Daran, wie oft er nicht nach Hause gekommen war … wie er ihre Mutter betrogen und gedemütigt hatte, weil er zu pleite gewesen war, um die ungewollte Ehe durch eine Scheidung zu beenden.

Sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart zu richten.

„Tom war und ist ein glücklich verheirateter Mann“, betonte sie. „Demzufolge gab es keine zweifelhaften Telefonate mit enttäuschten Frauen.“

„Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, habe ich heute keine Sympathiepunkte gewonnen“, bemerkte Gabriel lachend. Und kümmert mich das? Wohl kaum.

Wenn sie langfristig zusammenarbeiten wollten, machte es ohnehin keinen Sinn, sich als Heiliger auszugeben. Miss Morgan würde schon bald den Frauen begegnen, die durch sein Leben flanierten, ohne jemals bemerkenswerten Eindruck zu hinterlassen. Sie musste sich daran gewöhnen, ihm lästige Anrufe vom Leib zu halten. Falls sie damit ein moralisches Problem hatte, wäre es ratsam, das sofort zu klären, bevor es später zu Missverständnissen kam.

„Sie war ziemlich aufgebracht“, informierte Alice ihn kühl, obwohl sie sich bemühte, dabei nicht allzu streng zu klingen. Was er in seiner Freizeit anstellte, ging sie schließlich nichts an. Und dass er damit öffentlich hausieren ging, hatte sie ebenfalls nicht zu bewerten und schon gar nicht zu verurteilen!

Trotzdem kam es ihr vor, als gäbe es da einige Seiten seines Charakters, die er mit niemandem teilte. Sie konnte es an nichts festmachen, aber dieser Mann signalisierte ihr eine gewisse Tiefe seiner Seele, die gleichzeitig weit im Verborgenen blieb … Vielleicht lag es an der Art, wie sich beim Sprechen häufig ein Schatten über seine Augen legte. Ihm war zwar egal, ob sie von seinen Frauengeschichten erfuhr, aber da schien es ein paar Dinge zu geben, die er instinktiv vor Alice geheim halten wollte.

Im Grunde kein Wunder! Man musste kein Genie sein, um zu erahnen, dass ein Mann von seinem Format gründlich gelernt hatte, nicht zu viel über sich preiszugeben. Er hatte die Kontrolle über alle Informationen, die seine Person betrafen, und setzte diese sicher gezielt zu seinem Vorteil ein.

„Ich weiß gar nicht warum“, antwortete er trocken. „Ich habe ihr längst gesagt, dass ich nicht länger an einer Beziehung mit ihr interessiert bin. Unglücklicherweise kann sie sich mit dieser Tatsache nur schwer anfreunden.“

„Ist es üblich, dass Sie schwierige Privatgespräche an Ihre Sekretärinnen delegieren?“

Die unverhohlene Kritik in ihrer Stimme sollte ihn ärgern, doch das tat sie nicht. Zum ersten Mal stand er einer jungen und fähigen Assistentin gegenüber, die nicht Gefahr lief, sich irgendwann in ihn zu verlieben. Ein Glücksgriff.

Außerdem war sie überhaupt nicht sein Typ. Er mochte kleine, kurvige Frauen mit einem charmanten Wesen. Kratzbürstig und fordernd … das waren keine Attribute, auf die er gesteigerten Wert legte.

„Während der letzten Monate gab es keine Gelegenheit dazu“, sagte er beiläufig.

Aus dieser Antwort schloss Alice, dass er sie tatsächlich nur hatte testen wollen. Vielleicht glaubte er, sie wäre einer solchen Aufgabe nicht gewachsen, weil sie etwas steif und konservativ wirkte. Er musste es nicht direkt ansprechen, sie wusste trotzdem genau, was er über sie dachte. Das kränkte sie zwar, andererseits stand sie zu ihrer Überzeugung, das Leben sehr ernst zu nehmen. Sie hatte es immer ernst nehmen müssen. Ihr war als Jugendliche kein Raum geblieben, um eine frivole Seite zu entwickeln, da sie permanent ihre Mutter unterstützt hatte.

Pamela Morgan hatte nie die Kraft aufgebracht, sich gegen den notorischen Schürzenjäger durchzusetzen, den sie geheiratete hatte und der sie vor aller Welt demütigte. Stattdessen verließ sie sich auf die moralische Unterstützung ihrer Tochter, und als Rex Morgan bei einem Autounfall starb, war von Pamela nur noch ein Schatten ihrer selbst übrig geblieben.

Alice hatte damals tapfer all ihre eigenen Träume auf Eis gelegt. Und rückblickend wusste sie, dass eben diese verkorkste Teenagerzeit sie zu der Person gemacht hatte, die sie heute war: reserviert, vorsichtig und ohne die unbeschwerte Fröhlichkeit, die unter anderen Umständen vielleicht ihr Wesensmerkmal hätte werden können.

Ohne Vertrauen und Optimismus war es sinnlos, an eine Beziehung zum anderen Geschlecht zu denken!

„Gibt es noch etwas, das ich für Sie erledigen kann? Und wann darf ich morgen hier mit Ihnen rechnen? Ich kenne Ihren Tagesablauf ja noch nicht.“

Wahrscheinlich benutzt er überhaupt keinen Kalender, dachte sie im Stillen.

„Ich speichere alle Termine in meinem Smartphone und werde Ihnen eine Kopie schicken“, erwiderte er lässig. „Und morgen früh? Da komme ich … zur üblichen Zeit. Danach muss ich für drei Tage weg. Kommen Sie dann allein zurecht?“

„Wie ich bereits sagte, Mr Cabrera, ich werde mit allem fertig, was Sie von mir erwarten.“

Als sich Alice drei Wochen später gemeinsam mit einer Menschenmenge aus der U-Bahn zwängte, dachte sie darüber nach, wie sehr sie ihren neuen Job lieben gelernt hatte. Das war kein bisschen übertrieben: Sie genoss die Arbeit durch und durch. Morgens machte sie sich beschwingt auf den Weg und freute sich auf die Herausforderungen, die vor ihr lagen. Und sie war stolz auf jeden neuen Verantwortungsbereich, den man ihr anvertraute. Inzwischen war sie persönlich für drei Großkunden verantwortlich, außerdem hatte sie begonnen, für ihren Buchhaltungskurs zu lernen. Und für all das zahlte Gabriel ihr auch noch ein halbes Vermögen.

Es war erstaunlich, wie schnell sie sich in den Betrieb eingefügt hatte. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sie vieles von dem, wofür Gabriel stand, entschieden ablehnte. Sie missbilligte seine Frauengeschichten. Sie verachtete ihn dafür, dass er diese einfältigen Dinger zuerst verführte und dann wie heiße Kartoffeln fallen ließ. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich in seinem Privatleben genauso rücksichtslos verhielt wie bei der Arbeit. Er drehte sich nur um sich selbst, um niemanden sonst, und praktisch jede seiner weiblichen Angestellten ging vor ihm auf die Knie, sobald er ihr etwas Aufmerksamkeit schenkte.

Alice hasste sein grenzenloses Ego.

Fast täglich beantwortete sie Anrufe von Frauen, die ihn sprechen wollten, und gemessen an ihren hoffnungsvollen, atemlosen Stimmen war ein Gespräch nicht das Einzige, was sie sich von ihm erhofften.

Alice hasste diesen Aspekt ihrer Arbeit.

Der Mann musste sich in Bezug auf das andere Geschlecht offenbar keine Mühe geben, also tat er es auch nicht. Er wurde regelrecht verfolgt, und von Zeit zu Zeit ließ er sich wohl auch mal einfangen – was man allerdings nicht gerade als Verhältnis auf Augenhöhe bezeichnen konnte. In Beziehungsdingen war er unerträglich faul und überließ es obendrein ihr, hinter ihm die Scherben aufzusammeln.

Aber er ist auch wunderschön, erinnerte sie eine kleine Stimme in ihrem Kopf. Alice blieb für ein paar Sekunden stehen, sodass die Massen um sie herumgehen mussten. Einige Passanten murmelten ungeduldig vor sich hin oder fluchten leise.

Sie konnte nicht leugnen, dass Gabriel umwerfend aussah. Viel zu oft dachte sie über ihn nach, Tag für Tag. Und rechtfertigte diese Gedanken jedes Mal: Schließlich war er eine bemerkenswerte Person, und sie hatte in ihrem neuen Job bisher kaum Zeit gehabt, sich an ihn zu gewöhnen, man konnte vieles von ihm lernen … Alles nur Rechtfertigungen für die Tatsache, dass sie inzwischen regelrecht besessen von ihm war.

Zumindest wusste sie beispielsweise genau, wie lang seine dunklen Wimpern waren und wie diese den Ausdruck in seinen Augen verbargen … In der Sekunde, in der er das Büro betrat, strahlte er sofort eine ungeheure Kraft und Vitalität aus. Dann krempelte er die Ärmel seines Hemds hoch, ging an Alice vorbei und bat sie um den ersten Kaffee. Allerdings bezweifelte sie, dass er sie persönlich wirklich bemerkte. Für ihn war sie nur eine hocheffiziente Sekretärin, die in Lichtgeschwindigkeit alles erledigte, was er ihr auftrug. Meist würdigte er sie kaum eines Blickes. Leider!

Alice lief ein bisschen schneller, während ihre Gedanken eine unerwünschte Richtung einschlugen: Gabriel Cabrera beachtete sie nicht weiter, weil sie schlichtweg nicht in sein Beuteschema fiel.

Er stand mehr auf …

Nein, in diese Richtung darf ich nicht weiterdenken!

Inzwischen kannte sie sich in der imposanten Eingangshalle bestens aus und hatte sich auch an die Horden von Arbeitnehmern gewöhnt, zu denen sich im Lauf des Tages noch Touristen gesellten, die das berühmte Gebäude besichtigen wollten. Zielstrebig ging sie auf die Fahrstühle zu.

Es war noch nicht einmal acht Uhr. Das bedeutete, dass die drei Etagen von Gabriels Firma bis jetzt nur teilweise besetzt waren. Alice mochte die Ruhe am Morgen, wenn sie den Aufzug verließ und durch den langen Flur zu ihrem Büro ging. In ihrem Bauch kribbelte es immer schon vor Aufregung, und ihr Kopf war voll von dem, was sie an diesem Tag zu tun hatte.

Das Letzte, was sie erwartet hatte, war der Anblick von zwei Personen, die in Gabriels Büro miteinander stritten.

Durch die schmalen Glasscheiben sah sie Gabriels Gesicht, das vor Wut dunkel angelaufen war. Sie konnte nicht ausmachen, was er sagte, aber seine Stimme hatte einen leisen, gefährlichen Unterton angenommen. Die Frau dagegen keifte regelrecht.

Impulsiv nahm Alice sich vor, dazwischenzugehen. Sie wollte versuchen, die Situation zu schlichten. Das wäre schließlich nur eine Variante der Gespräche, die sie ohnehin am Telefon führen musste.

Es schien Gabriel im Allgemeinen nicht zu kümmern, ob Frauen ihm hinterherjagten oder nicht. Oder ob sie ihm Vorwürfe machten. Am Ende zog er immer eine scharfe Trennlinie zwischen der Arbeit und seinem Privatleben. Offensichtlich hielten sich aber einige arme Frauen nicht an diese Abmachung und mussten dann den Preis dafür bezahlen. Andererseits … warum soll er nicht mal selbst einen Konflikt wie diesen klären? Nur weil er unglaublich viel Geld und Macht hatte, bedeutete das nicht, dass er immer den einfachsten Weg gehen konnte, sobald ihm eine seiner Frauen die Meinung sagte!

In aller Ruhe zog Alice ihren leichten Mantel aus und hängte ihn in den Schiebeschrank. Dann machte sie sich einen Kaffee, setzte sich mit dem Becher in der Hand an ihren Schreibtisch und schaltete den Computer ein.

Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder wanderte ihr Blick vom Computerbildschirm zu der Szene, die sich hinter Gabriels geschlossener Milchglastür abspielte. Plötzlich flog die Tür auf, und eine Frau mit hüftlangen dunklen Haaren und porzellanweißer Haut rauschte durch den Raum. Ihr rotes Kleid war hauteng und die Absätze ihrer Schuhe mindestens sechs Zentimeter hoch. Über der Schulter trug sie einen rotschwarz geringelten Sommermantel.

Und sie war wütend. Außerordentlich wütend sogar. Sie hielt inne, gerade lange genug, um Alice durch einen Tränenschleier zuzublinzeln.

„Er ist ein Schwein!“ Dann warf sie einen Blick über die Schulter zu Gabriel, der mit verschränkten Armen in der Tür zu seinem Büro stand und die beiden Frauen aus kalten Augen anstarrte. Sie wandte sich wieder an Alice. „Wenigstens hat er dieses Mal keine seiner hübschen, verblödeten Plastikpuppen ins Vorzimmer gesetzt!“

„Georgia!“, sagte Gabriel in warnendem Ton und brachte sie damit zum Schweigen.

Er sprach so ruhig und herablassend mit dieser Frau, dass sie Alice fast leidtat.

„Wenn du meine Büroräume nicht augenblicklich verlässt, rufe ich den Sicherheitsdienst und lasse dich hinauswerfen“, drohte er und zeigte auf Alice. „Würden Sie Georgia bitte zum Ausgang begleiten und anschließend in mein Büro kommen?“

Auf dem Weg zum Lift war die Brünette außer sich vor Wut und Verbitterung. Verständlich, denn wahrscheinlich war sie noch nie zuvor derart gedemütigt worden. Frauen wie sie wurden von Männern verehrt und nicht abserviert!

„Tja, zumindest haben Sie nichts von ihm zu befürchten“, giftete Georgia, kurz bevor sie die Fahrstuhlkabine betrat. „Jemanden wie Sie würde er nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Und richten Sie ihm noch etwas von mir aus: Er soll in der Hölle verrecken!“

Schweigend geleitete Alice die Frau bis auf den Bürgersteig und kehrte anschließend an ihren Arbeitsplatz zurück. Die gute Laune vom Morgen war verflogen, und auf Georgias Beleidigungen hätte sie gern verzichtet. Gabriel machte es dann noch schlimmer.

„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, fuhr er Alice an, als sie zurückkam.

„Wie meinen Sie das?“

Er sprang von seinem Stuhl auf und kam um den Tisch herum auf sie zu. „Und diese Unschuldsmiene können Sie sich auch sparen! Ich habe genau gesehen, wie Sie in Ihr Büro geschlichen sind und sich mit einem Kaffee hinter Ihrem Computer versteckt haben.“

„Ich habe mich nicht hineingeschlichen, Gabriel“, widersprach sie. Es fühlte sich komisch an, ihn beim Vornamen zu nennen, aber er hatte nach wenigen Tagen auf der formlosen Anrede im Büro bestanden. „Und versteckt habe ich mich auch nicht!“

„Beides haben Sie getan! Sie wussten genau, dass ich in der Klemme stecke. Und anstatt diese unmögliche Person vor die Tür zu setzen, ducken Sie sich und sehen dem Spektakel tatenlos zu!“

„Sie nennen diese Frau eine unmögliche Person?“

Ärgerlich fuhr er sich durch die Haare. „Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für Spitzfindigkeiten.“

„Mir war nicht klar, dass ich spitzfindig bin“, erwiderte sie trocken und behielt den Rest ihrer Gedanken für sich. Allerdings fand sie seine Haltung Georgia gegenüber unmöglich.

„Ich kann mir denken, was gerade in Ihrem Kopf vor sich geht“, fuhr er gereizt fort. „Ob Sie Ihre Meinung nun laut kundtun oder nicht.“

Alice blieb stumm. Seine Nähe hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Wenn sie ihn direkt anblickte, spielten ihre Nerven sofort verrückt. Sie suchte automatisch nach den Stellen, wo sich seine eindrucksvollen Muskeln durch den Stoff seiner Kleidung abzeichneten. Dabei spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug und wie ihr Puls laut in ihren Ohren pochte.

Selten waren sie einander so nah gewesen wie in diesem Moment.

„Erklären Sie mir Ihre freche Bemerkung doch bitte einmal!“

Unbewusst drückte sich Alice fester in den Stuhl, auf dem sie saß. „Welche Bemerkung?“, fragte sie zögernd und zuckte unter seinem scharfen Blick zusammen. „Das mit der Spitzfindigkeit? Mir war tatsächlich nicht klar, dass Sie es so auffassen würden.“

„Du solltest das wirklich lieber lassen“, murmelte er leise und wartete zwei volle Minuten ab, bevor er weitersprach. „Willst du mich denn gar nicht fragen, was ich damit meine?“, durchbrach er die Stille, und sein heiserer Ton ging ihr unter die Haut. „Nein, natürlich nicht, aber ich erkläre es dir trotzdem. Du solltest nicht versuchen, dich um die Antwort auf eine konkrete Frage herumzudrücken. Das facht nur meinen Jagdinstinkt weiter an, und ich werte ein solches Verhalten als Kriegserklärung. Oder als Herausforderung, um es etwas milder auszudrücken …“

Oh, ja, diese Frau verstand sich wirklich darauf, ihn zu provozieren!

Mutig blickte sie ihm direkt in die Augen. „Ich finde es nicht gerade nett von Ihnen, Ihre ehemalige Geliebte vor die Tür zu setzen, nur weil Sie eine Auseinandersetzung mit ihr haben.“ Zu dem Thema hätte sie noch weitaus mehr sagen können, behielt ihre Meinung jedoch wohlweislich für sich.

„Es war nicht gerade nett von ihr, ausgerechnet in meinem Büro einen derartigen Aufstand zu veranstalten“, konterte er. Er stand auf und durchquerte das Büro, das Alice sich in den vergangenen Wochen nach ihrem Geschmack eingerichtet hatte.

Mehrere Pflanzen standen jetzt auf dem Bücherregal, zwei weitere auf ihrem Schreibtisch und neben dem Telefon hockte eine kleine Buddha-Figur.

Gabriel schob die Hände in die Hosentaschen und straffte die Schultern.

„Ich nehme an, das war gar nicht ihre Absicht“, sagte Alice ruhig. „Ich glaube nicht, dass sie hierhergekommen ist, um Sie anzuschreien. Das hätte sie auch irgendwann am Telefon tun können, ohne die Demütigung zu riskieren, wie eine Verbrecherin aus dem Gebäude geworfen zu werden.“

„Aber wenn sie das Telefon benutzt hätte, wäre sie wohl kaum an meiner treuen und sehr tüchtigen Sekretärin vorbeigekommen, oder?“

Alice errötete und fragte sich, wie er es schaffte, dass zwei schmeichelnde Adjektive derart beleidigend klangen.

„Vielleicht musste sie sich einfach nur Luft machen“, überlegte er dann laut. „Kennen Sie das nicht auch?“

„Was genau?“ Alice zuckte mit den Schultern, ein paar Sekunden war ihr Mund trocken und ihr Gehirn völlig leer. Sie musste sich zwingen, gleichmäßig weiterzuatmen.

„Packende, überwältigende Leidenschaft, die einen dazu verleitet, sich total irrational aufzuführen …“

„Ich verlasse mich lieber auf Vernunft und Logik“, brachte sie mühsam hervor.

„Dann kennen Sie das also nicht?“

„Wie Sie sich bestimmt erinnern, möchte ich lieber nicht über mein Privatleben sprechen“, antwortete sie spitz.

„Haben wir das denn?“, fragte er mit Unschuldsmiene und streckte sich.

Eigentlich hätte er die Sache damit auf sich beruhen lassen sollen, aber er konnte es nicht. Georgias unerwarteter Besuch hatte seine Konzentration empfindlich gestört, und er fand es erholsam, sich ein bisschen mit seiner neuen Sekretärin zu kabbeln. Normalerweise suchte er sich keine Ablenkung, wenn er sich überfordert fühlte. In seinem perfekt geplanten Leben kam das schlicht zu selten vor.

Und auch heute wäre er nicht auf diese Idee gekommen, wenn Alice keine so ungewöhnliche Frau wäre.

Warum sollte er es leugnen? Sie weckte seine Neugier. Sie war zurückhaltend, geheimnisvoll und angenehm bodenständig. Außerdem war sie nicht bereit, auch nur die kleinsten Vertraulichkeiten mit ihm zu teilen. Zum Beispiel wollte sie ihm partout nicht verraten, was sie an ihren kostbaren Wochenenden trieb und warum sie keinesfalls davon abgehalten werden durfte.

Seine Neugier war geweckt. Er war ein Mann, der alles bekam, was er sich wünschte. Es gab nicht vieles, das ihn noch reizte – aber Alice tat es.

„Sie finden es vielleicht in Ordnung, Frauen so zu behandeln, wie Sie es tun. Aber jeder trägt seine eigene Geschichte mit sich herum, und Sie haben keine Ahnung, welchen emotionalen Schaden Sie Ihren Mitmenschen möglicherweise zufügen!“ Wütend wich sie seinem Blick aus und ärgerte sich maßlos darüber, dass er sie zu diesem unangemessenen Ausbruch verleitet hatte.

„Emotionalen Schaden?“, wiederholte er nachdenklich.

„Entschuldigen Sie bitte, das hätte ich nicht sagen sollen. Nichts von alledem.“ Zaghaft lächelte sie ihn an, doch sein Gesichtsausdruck blieb eisig.

„Wir arbeiten eng zusammen“, murmelte er. „Sie sollten mir grundsätzlich offen Ihre Meinung sagen.“

„Ihnen gefallen demnach Frauen, die offen ihre Meinung sagen?“, erkundigte sie sich mit ironischem Unterton und wäre beinahe in die Knie gegangen, als er sie plötzlich breit anlächelte.

Touché. Ich kann ziemlich fies sein, aber ich mache den Frauen, mit denen ich mich treffe, bestimmt keine falschen Hoffnungen. Darum haben sie anschließend auch keinen Grund, mich ihrerseits mit Vorwürfen zu bombardieren.“

Das sah Alice zwar anders, behielt es aber lieber für sich. Gabriel Cabreras Privatleben ging sie nichts an. Sie sollte sich lieber auf ihre Karrierepläne konzentrieren. Allerdings fiel ihr das ziemlich schwer, wenn er über die Frauen sprach, mit denen er seine Nächte verbrachte.

„Nachdem wir mein Liebesleben ausreichend beleuchtet haben, sollten wir uns produktiveren Dingen zuwenden, meinen Sie nicht?“, schloss er mit einem entwaffnenden Grinsen, und sie nickte erleichtert.

Es war fast sechs, als Alice ihre Aufgaben erledigt hatte. Gabriel war den Großteil des Tages mit wichtigen Konferenzen beschäftigt gewesen, was ihr genügend Zeit gab, über seine seltsamen Vorstöße in ihr Privatleben nachzudenken. Im Grunde wollte er professionell bleiben, trotzdem war er derjenige, der die klar gezogene Grenze zwischen ihnen ständig wieder übertrat.

Während sie ihren Schreibtisch aufräumte, zauberte ihre lebhafte Fantasie ein kleines Lächeln auf Alices Lippen. Dabei bildete sie sich nicht ein, dass er mehr über sie persönlich erfahren wollte. Es kümmerte ihn nicht, ob irgendwelche pikanten Geheimnisse hinter ihrer eisernen Rüstung schlummerten oder nicht. Nein, er genoss einfach den Kampf gegen vermeintlich unüberwindbare Hindernisse. Die Herausforderung, Widerstände zu brechen. So war sein Charakter, so agierte Gabriel Cabrera als Geschäftsmann: ehrgeizig, zielorientiert und erbarmungslos.

Als Frau oder potenzielle Geliebte war sie für ihn völlig uninteressant.

Sie dachte an Georgia und ihre raue, verführerische Stimme. Solche Frauen passten wesentlich besser zu ihm, und Männer blieben für gewöhnlich bei ihrem Beuteschema.

Ein Bild von Alan entstand in ihrem Kopf. Alan mit den weizenblonden Haaren und den braunen Augen, der sie für eine Version von Weiblichkeit verlassen hatte, die noch eine Million Meilen von Georgias Liga entfernt war. Auch Flora war klein und kurvenreich gewesen, aber lange nicht so atemberaubend oder forsch wie Georgia, die genau wusste, welche Macht sie über das andere Geschlecht hatte. Dennoch, die zwei hatten verblüffende Ähnlichkeit miteinander. Sie waren Männermagneten – ganz im Gegensatz zu ihr.

„Sie lächeln ja.“

Erschrocken drehte sie sich zu Gabriel um und wurde rot. Hastig zog sie ihre Jacke über.

„Die Woche neigt sich dem Ende zu“, antwortete sie und dachte daran, dass ihr Wochenende wesentlich anstrengender war als ihre Arbeitstage. Diese ermüdend langen Fahrten zu ihrer Mutter …

„Ist es eine solche Belastung, für mich zu schuften?“, fragte er verwundert.

Obwohl ihr das gleiche Spesenkonto zur Verfügung stand wie den anderen Mitarbeitern, trug sie immer noch die mausgrauen, schlecht sitzenden Kostüme und Hosenanzüge. Dabei würde ihr etwas Figurbetontes weitaus besser stehen!

„Natürlich nicht. Im Gegenteil, ich liebe es, hier zu arbeiten“, erwiderte sie, und ihre Stimme überschlug sich dabei fast.

Er lehnte am Türrahmen und sah wirklich unverschämt gut aus, genauso hinreißend wie am Morgen. Während andere Menschen nach einem langen Tag erschöpft und abgekämpft wirkten, strahlte er Frische und Dynamik aus.

„Freut mich zu hören. Vor allem, weil ich noch gar nicht dazu gekommen bin, Sie für Ihre außerordentlichen Leistungen gebührend zu loben.“

Sie bezweifelte, dass er seinen Mitarbeitern häufig Komplimente aussprach. Wer sich nicht bewährte, wurde früher oder später ausgetauscht – so einfach war das.

„Wahrscheinlich bin ich es nicht gewohnt, von meinen Assistentinnen angenehm überrascht zu werden“, fuhr er fort.

„Aus diesem Grund bleibt wohl kaum eine von ihnen länger als ein paar Tage?“, bemerkte sie scharfsinnig.

Ein elektrisierendes Kribbeln durchfuhr sie, als er laut loslachte. Seine Augen glitzerten vor Vergnügen. „Mag sein.“ Dann senkte er die Lider und sprach etwas leiser. „Haben Sie Pläne für heute Abend? Vielleicht auch deswegen dieses geheimnisvolle Lächeln vorhin?“

„Wie bitte?“ Sie spielte die Ahnungslose, um Zeit zu gewinnen. Denn solange er die Tür blockierte, konnte sie nicht gehen.

„Warum haben Sie gerade gelächelt?“

Wenn er wüsste, dachte Alice. Ich habe mich über meine eigene Dummheit amüsiert, auch nur im Entferntesten anzunehmen, er könnte mich eines zweiten Blickes würdigen. Ich habe gelächelt, weil ich eine Idiotin bin, die ihre eigene Fantasie nicht im Griff hat.

Er würde wahrscheinlich ausgehen: Kino, Dinner in einem Londoner Luxusrestaurant, gefolgt von …

Alice wurde unerträglich heiß bei dem Gedanken an ungezügelten Sex mit diesem sinnlichen Mann, der ihr den Weg nach draußen versperrte. Wie würde es sich anfühlen, wenn seine Hände über ihren Körper glitten? Wenn sein Mund ihre Lippen eroberte? Wenn er ihr mit dieser tiefen Stimme Zärtlichkeiten ins Ohr flüsterte?

Sie verkrampfte sich und presste die Oberschenkel fest aneinander, so fest, dass ihre Knie zitterten. Die Intensität ihrer plötzlichen Lust erschreckte Alice und störte ihre Auffassung einer professionellen Arbeitshaltung im Büro ganz gewaltig! Sie konnte sich nicht mehr rühren. Ihre Beine fühlten sich an, als würden sie in Zement stecken. Und die ganze Zeit spürte sie den glühenden Blick aus Gabriels dunklen Augen auf sich.

„Ich muss los“, sagte sie leise. Und dann nahm sie all ihre Willenskraft zusammen, um sich vorwärtszubewegen. Ihre kühle Fassade war endgültig dahin.

Er ist doch nur ein Mann, den ich respektiere, aber eigentlich gar nicht mag, oder? Alice bewunderte in erster Linie sein brillantes Talent. Sein Desinteresse an ihr ließ sie kalt … Es musste sie einfach kaltlassen!

3. KAPITEL

Mit einem Ruck fuhr Alice aus dem Schlaf hoch. Im Traum war sie durch einen endlos langen Korridor gelaufen … hinter Gabriel her, der von Zeit zu Zeit kurz über die Schulter gesehen hatte. Dann hatte er sich immer wieder abgewandt und war weiter vorweggerannt.

Sie hatte keine Ahnung gehabt, ob dieser Korridor irgendwo endete oder was sie an dessen möglichem Ende erwartete. Trotzdem hatte sie Gabriel unbedingt einholen wollen, um mit ihm zusammen dieses imaginäre Ziel zu erreichen …

Schweißnass und ohne Orientierung versuchte sie, wieder zu Atem zu kommen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, dass ihr Handy klingelte.

„Gut, Sie sind wach“, tönte es aus dem Gerät, nachdem sie das Gespräch angenommen hatte.

Gabriels Stimme riss die restlichen Schleier ihres Albtraums beiseite. Es war, als würde ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht schütten. Kerzengerade richtete sie sich auf und sah auf ihren Wecker. Es war noch nicht einmal halb sieben.

„Sind Sie das, Gabriel?“

„Von wie vielen Männern werden Sie denn in dieser Herrgottsfrühe angerufen? Nein, beantworten Sie diese Frage lieber nicht!“

„Was ist mit Ihrer Stimme los?“, wunderte sie sich. „Sie klingen komisch.“

Es war das erste Mal, dass er sie zu Hause anrief. Argwöhnisch blickte sie sich um, als könnte er jeden Augenblick aus den Schatten hervortreten.

Doch ihr kleines Schlafzimmer sah aus wie immer: Magnolientapete an den Wänden, farblose Vorhänge und zwei bunte Cornwall-Impressionen – Werke einer lokalen Künstlerin, mit der ihre Mutter befreundet war. Ein ganz passabler Raum in einem winzigen, unspektakulären Haus, dessen einziger Vorteil die Nähe zur U-Bahn-Station war.

Im Raum nebenan schlief ihre Mitbewohnerin Lucy.

„Scheint, als wäre ich krank geworden.“

„Sie sind krank?“ In ihrer Vorstellung war er unendlich stark und unverwundbar. Wenn er von Krankheit sprach, musste es ernst sein. Gabriel gehörte nicht zu den Männern, die sich von einem simplen Virus niederstrecken ließen. Im Grunde konnte sie sich kaum eine Krankheit vorstellen, die ihn in die Knie zwang.

„Was haben Sie denn?“ Selbst für ihre eigenen Ohren klang sie übertrieben besorgt. „Haben Sie schon einen Arzt konsultiert?“

„Natürlich nicht.“

„Was meinen Sie mit: natürlich nicht?“

Er antwortete mit einer Gegenfrage. „Sind Sie schon angezogen?“

Zwar hatte sie sich längst an seinen ungeduldigen Tonfall gewöhnt, trotzdem fand sie ihn zu so früher Stunde ziemlich unangebracht. Sie warf einen Blick in den Spiegel über der Kommode und betrachtete ihr verschlafenes Gesicht. Das Haar stand in alle Richtungen ab, und ihr übergroßes T-Shirt hing weit über eine Schulter herunter und zeigte damit den Ansatz ihrer linken Brust.

Müde zog sie den Stoff wieder hoch und sank zurück ins Kopfkissen. „Gabriel, mein Wecker klingelt erst in fünfundvierzig Minuten …“

„In dem Fall schalten Sie ihn besser aus und kommen ruckzuck aus dem Bett!“

„Wozu? Was ist denn los?“

„Rauer Hals, Kopfschmerzen, hohes Fieber. Ich habe Grippe.“

„Sie rufen mich um zwanzig nach sechs an, um mir zu erzählen, dass Sie erkältet sind?“

„Was ich habe, ist um einiges ernster als eine bloße Erkältung! Sie müssen dringend aufstehen, ins Büro fahren und mir zwei Akten bringen, die auf meinem Tisch liegen. Leider kann ich mit dem Computer nicht auf alle Infos zugreifen, die ich brauche.“

Alice war immer noch nicht ganz klar, weshalb er sie um diese Uhrzeit aus dem Bett warf. „Ich soll Ihnen Akten bringen?“

„Korrekt. Zu mir nach Hause. Und nehmen Sie Ihren Laptop mit! Sie müssen heute von hier aus arbeiten, ich schaffe es nicht ins Büro.“

„Sie können doch bestimmt einen Tag freinehmen, wenn Sie krank sind“, schlug Alice vor. „Sagen Sie mir einfach, was ich mir heute vornehmen soll, dann erledige ich das in der Firma und halte Sie gleichzeitig per E-Mail auf dem Laufenden. Das heißt, falls Sie sich überhaupt in der Lage fühlen, heute zu arbeiten.“

„Wäre ich mit dem Plan einverstanden, hätte ich ihn selbst vorgeschlagen“, bemerkte er trocken. „Und ich kann nicht mehr lange sprechen, mein Hals tut entsetzlich weh. Wenn Sie jetzt aufbrechen, können Sie in etwa eineinhalb Stunden mit den Akten bei mir sein. Haben Sie etwas zum Schreiben zur Hand?“

„Zum Schreiben?“, wiederholte Alice und malte sich aus, wie fürchterlich anstrengend dieser Tag für sie noch werden konnte.

„Ja, einen Stift und Papier! Sind Sie bereit? Sie müssen sich meine Adresse aufschreiben. Und nehmen Sie sich um Himmels Willen ein Taxi, Alice! Ich weiß, wie viel Sie von öffentlichen Verkehrsmitteln halten, aber wir beide müssen so schnell wie möglich an die Arbeit gehen. Es gibt viel zu tun, und ich kann schwer einschätzen, wie viel Energie ich heute aufbringen kann … Wirklich lachhaft, ich war seit Jahren nicht mehr krank. Bestimmt habe ich mich bei Ihnen angesteckt.“

„Absolut ausgeschlossen“, protestierte sie sofort. „Ich bin topfit!“

„Gut, denn wir haben eine Menge zu erledigen. Und nun schreiben Sie sich die Adresse auf!“

Gehorsam notierte sie außerdem noch ein paar Anweisungen fürs Büro, danach legte Gabriel auf, ohne sich richtig zu verabschieden.

Fürs Frühstück blieb keine Zeit mehr. Alice beeilte sich im Bad, zog sich in Windeseile an, nahm sich aber noch die Zeit, eine Spur Make-up aufzulegen. Dann rief sie ein Taxi und machte sich auf den Weg.

Dieser Kerl war wirklich unmöglich. Ihm schien es völlig egal zu sein, wie viel er seinen Mitmenschen zumutete. Er zerstörte die Pläne anderer Leute mit einem Handstreich und tat das Ganze dann mit einem gleichgültigen Schulterzucken ab. Und wer würde es wagen, dem großen Herrn und Meister zu widersprechen?

Nur eine Stunde später stieg sie vor Gabriels Haus aus dem Taxi, und ihr wurde augenblicklich übel vor Aufregung. Dies war fremdes Terrain für sie. War überhaupt schon einmal jemand aus dem Büro in seinem Haus gewesen? Unternehmer führten ihre Gäste meistens in Restaurants oder teure Clubs aus, von Zeit zu Zeit bestimmt auch in Begleitung ihrer Assistenten. Und Gabriel gehörte sicher nicht zu der Art von Chef, die vertrauliche Betriebsfeiern im eigenen Heim organisierte, damit alle Mitarbeiter sich näher kennenlernten.

Sie starrte auf die beeindruckende Fassade des Hauses und zögerte. Was hatte sie denn erwartet? Sie wusste es nicht. Vielleicht etwas weit weniger Großes – eher eine Penthouse-Wohnung. Schließlich lebte er allein, auch wenn er unermesslich reich war. Wozu brauchte er ein Londoner Herrenhaus?

Das schwarze Messinggeländer vor dem Eingang passte zu den Messinggeländern der Villen daneben.

Alice fühlte sich, als ob sie jeden Augenblick verhaftet werden könnte, weil sie einfach nicht in diese elegante Umgebung hineinpasste.

Sie atmete tief durch und drückte auf die Klingel. Aus dem Lautsprecher drang Gabriels verzerrte Stimme. „Einfach gegen die Tür drücken, Sie finden mich oben!“

„Wo genau soll ich denn …“ Doch die Leitung war tot, dafür surrte der Türöffner. Schön, also musste sie sich wohl selbst auf die Suche nach ihm machen.

Ihr Herz schlug wie verrückt, während sie sich unten im Haus umsah. Die Eingangshalle war absolut riesig, fast so groß wie das gesamte Erdgeschoss ihrer Wohngemeinschaft. Viktorianische Fliesen wurden teilweise von einem blassen Perserteppich bedeckt. Vor ihr führte eine elegante Treppe nach oben.

Was macht er im ersten Stock? Liegt dort sein Arbeitszimmer?

Autor

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