Rendezvous am Mittelmeer

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Die junge Hollywood-Schönheit Victoria fühlt sich wie im Märchen, als Prinz Rodolfo sie auf sein Schloss am Mittelmeer einlädt. Während er ihr die schönsten Seiten seiner Heimat zeigt, verliebt sie sich unsterblich. Aber ihrem Glück scheint keine Zukunft vergönnt …


  • Erscheinungstag 24.08.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749965
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Oh, wie sie diesen ganzen Medienrummel hasste. Überall fielen die Fotografen mit Blitzlichtgewitter über sie her, jeder schien irgendetwas von ihr zu wollen …

Und jetzt sollte sie schon wieder auf dem Präsentierteller stehen!

Victoria Woodward atmete tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben. Hätte sie doch nur nie zugestimmt, in diesem Film mitzuspielen. Noch dazu in der Hauptrolle! Aber wie hätte sie auch ahnen können, dass dieser kleine Streifen ein potenzieller Gewinner bei den französischen Filmfestspielen werden könnte? Noch vor wenigen Monaten hätte sie es sich nicht einmal träumen lassen, überhaupt je nach Cannes zu kommen, in das elegante Hafenstädtchen, in dem die Filmwelt alljährlich ihre Werke prämiert. Und nun war sie selbst einer der am meist umjubelten Stars hier!

Victoria seufzte. Sie konnte sich noch so sehr in die Geborgenheit Hetheringtons zurückwünschen. In dem kleinen englischen Dorf hatte sie ihr ganzes Leben verbracht. Ein ruhiges, ereignisloses Leben. Damals kam ihr dieses Dasein langweilig vor, und sie hatte sich nach Veränderung, nach Abenteuer und dem Hauch der weiten Welt gesehnt. Und dann war die Veränderung plötzlich gekommen, schneller und gewaltiger, als sie es je für möglich gehalten hatte. Es war, als hätte das Schicksal ihren Wunsch erhört. Das neue Leben war ein rasanter Wirbelwind aus Hollywoodpartys, Privatflugzeugen und der ständigen Belagerung durch neugierige Fans.

Auch jetzt, auf dem Flughafen von Nizza, lauerte eine Horde aufdringlicher Reporter auf sie.

„Du musst lächeln“, zischte Anne Murphy, ihre Agentin. „Ed flippt aus, wenn er noch mehr Fotos sieht, auf denen du schmollst.“ Anne zog Victoria hinter sich her und steuerte den Ausgang der Flughafenhalle an. Sofort wurden die beiden Frauen von Presseleuten umzingelt.

„Stimmt es, dass Sie die Goldene Palme gewinnen werden, Miss Woodward?“ Aggressiv hielt ihr der Reporter ein Mikrofon unter die Nase.

„Haben Sie einen Freund, Miss Woodward? Stimmt es, dass Sie mit Peter Simmons liiert sind?“

Victoria spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte – ein Gefühl, das sie inzwischen nur zu gut kannte. Lähmende Angst machte sich in ihr breit, und sie hatte den Eindruck, weder sprechen noch weitergehen zu können.

„Bring mich hier weg“, murmelte sie Anne zu. Ihre Stimme zitterte leicht.

„Da drüben steht schon der Wagen.“ Anne fasste Victoria am Arm und führte sie zielstrebig durch die Menge.

Zwei kräftige junge Männer in schwarzen Anzügen hielten die Schaulustigen zurück, während Anne sich ihren Weg zu der Limousine bahnte, die Victoria wie ein sicherer Hafen erschien. Nur mit Mühe setzte sie einen Fuß vor den anderen und brachte ein flüchtiges Lächeln zustande, bevor sie sich in den Wagen sinken ließ. Dort kauerte sie sich in ihren Sitz und ignorierte die gierigen Gesichter, die sich an die Scheiben drückten.

„Victoria, du musst dich einfach an diese Situationen gewöhnen“, bemerkte Anne, als die Limousine endlich anfuhr. Anne war Mitte Dreißig und gebürtige New Yorkerin. Ihr energisches Auftreten stand in merkwürdigem Kontrast zu ihrer kleinen, zierlichen Gestalt.

„Ich hasse es einfach“,flüsterte Victoria und streckte ihre Beine aus. „Diese vielen Menschen machen mir Angst. Irgendwie bekomme ich keine Luft mehr und …“

„Jetzt ist nicht die Zeit für dramatische Offenbarungen“, erwiderte Anne mit strengem Blick. „Du bist auf Sendung, Schätzchen. Dafür gibt es schließlich auch ein paar Millionen Dollar.“

„Ich dachte, die Millionen seien für meine Rolle im Film“, erinnerte Victoria seufzend und senkte den Kopf, sodass ihr die blonden Haare wie ein Vorhang vors Gesicht fielen.

„Ach, sei doch nicht kindisch, Vic. Du weißt ganz genau, dass diese Rolle nur der Anfang war. Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich beschwerst. Jede andere Frau wäre glücklich, so schnell wie du berühmt zu werden.“

„Ich finde es anstrengend.“

„Und ich gebe es auf!“ Anne verdrehte genervt die Augen. Sie wünschte, Ed Banes, der Regisseur, hätte jemand anderes für die Rolle ausgewählt. Denn obwohl Victoria ein Naturtalent war, hatte man von Anfang an nur Scherereien mit ihr. Anne hatte Ed und die anderen gewarnt, dass es kein Zuckerschlecken sein würde mit diesem Mädchen. Aber hatten sie auf sie gehört? Nein. Und jetzt musste sie, Anne, das Schlammassel ausbaden. Wie immer. Sie mochte Victoria sehr, hielt sie für ein nettes, hübsches Ding und für eine großartige Schauspielerin. Aber das war einfach nicht genug. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit so schwer tat und die Medien derart scheute, nützte alles Talent der Welt nichts.

Anne warf einen Seitenblick auf ihren Schützling und beschloss, Victoria bis zur Ankunft im Carlton Hotel in Cannes in Ruhe zu lassen. Seufzend lehnte sie sich in ihrem Ledersitz zurück und blätterte durch das Programmheft der Filmfestspiele.

Am Abend sollte es ein elegantes Essen geben. Na, das konnte ja heiter werden. Ein erstklassiges Modehaus würde am Nachmittag Victorias Kleid liefern. Gott allein wusste, wie sie sich aufführen würde, falls es nicht passte. Anne sah auf die Liste der geladenen Gäste. Mehrere große Stars würden an dem Dinner teilnehmen. Gut so, dann drehte sich wenigstens nicht alles nur um Victoria. Außerdem waren noch zwei Staatsoberhäupter eingeladen, ein wenig Adel und ein paar berühmte Musiker, um dem Ganzen etwas Farbe zu verleihen. Noch ein Blick auf die Sitzordnung. Victoria würde neben Prinz Rodolfo von Malvarina sitzen. Er war das Oberhaupt eines winzigen Fürstentums auf einer Insel unweit der italienischen Küste.

Anne spielte mit ihrem Kugelschreiber und dachte über den Vorschlag der Bankberater nach, Victorias Wohnsitz zu verlegen. Malvarina wäre keine schlechte Wahl – ein Steuerparadies, leicht zu erreichen, attraktive Bankengesetze. Sie überlegte, ob sie das Thema ansprechen sollte. Doch ein Blick in Victorias verschlossene Miene, und Anne entschied sich dagegen. Im Moment wollte Victoria scheinbar nur eins: zurück in das kleine verschlafene Dorf in England, wo sie mit ihrer Mutter gelebt hatte. Sehr schnuckelig war es dort, aber kaum nach Annes Geschmack. Malvarina dagegen war schick und mondän. Einige der reichsten und schillerndsten Persönlichkeiten der Welt hatten dort ihren Wohnsitz. Und sie genossen nicht nur die Steuervorteile, sondern auch den Vorzug, sich beinahe anonym bewegen zu können.

Hmm. Anonymität. Damit konnte man Victoria die Sache vielleicht schmackhaft machen. Schließlich war in Malvarina jeder reich und berühmt. Ein Star mehr oder weniger würde dort gar nicht auffallen. Anne machte sich eine Notiz in ihren elektronischen Planer. Sie sollte das Thema besser in einem günstigeren Moment erwähnen. Dann blickte sie auf ihre Uhr. Gleich würden sie vor dem Hotel vorfahren, wo sie Victoria wieder einmal helfen musste, die wartende Reportermeute zu bewältigen.

Die riesige Suite im Carlton Hotel bot einen herrlichen Blick auf die berühmte Croisette-Promenade und das Mittelmeer. Victoria ließ sich auf ihr seidenbezogenes Kingsize-Bett fallen und seufzte tief. Sie hatte sich alles so ganz anders vorgestellt, als man sie damals entdeckte und ihr die Filmrolle anbot. Sie war schrecklich aufgeregt gewesen und hatte sich förmlich auf diese Chance gestürzt. Schauspielerin zu werden war schon immer ihr großer Traum gewesen, und mit nur zwanzig Jahren so ein Angebot zu bekommen, schien eine unglaubliche Gelegenheit. Warum tat sie sich nur mit dem ganzen Drum und Dran so schwer? Die meisten Leute wollten doch berühmt sein, als Star im Rampenlicht stehen, sich in Ruhm und Beifall sonnen. Aber für Victoria stellten der Medienrummel und der Erfolgsdruck mittlerweile schier unüberwindbare Hürden dar, und es fiel ihr immer schwerer, sich dem zu stellen.

Sie spürte, dass es Zeit wurde für eine ihrer Tabletten. Während sie aufstand und ins Bad ging, musste sie daran denken, wie sie Dr. Richard Browne kennengelernt hatte. Den Mann, der sie bei Sinnen hielt.

Es hatte bei einem großen Abendessen in Hollywood begonnen. Sie war auf die Damentoilette geflüchtet, wo sie sich mit geschlossenen Augen verzweifelt an das Waschbecken lehnte. Das junge Mädchen, das sich neben ihr die Hände wusch, schaute sie neugierig an.

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja“, antwortete Victoria und lächelte matt.

„Wirklich?“ Die junge Frau verzog das Gesicht. „Bestimmt fällt es dir schwer, mit dem ganzen Stress umzugehen. So ging es mir früher auch. Dann bin ich bei einem Seelenklempner gelandet. Gott sei Dank. Das hat mir das Leben gerettet.“ Sie trocknete sich die Hände an einem kleinen Papiertuch und warf es in den Korb neben dem Waschbecken.

„Hat er dir geholfen, dieser Seelenklempner?“

„Und ob“, erwiderte das Mädchen lachend. „Danach war alles wieder im Lot. Er hat mir ein Medikament verschrieben, das mein Leben um einiges erleichtert.“

„Das klingt ja wunderbar“, erwiderte Victoria erschöpft. Was hätte sie nicht alles für ein bisschen Erleichterung gegeben …

„Also, wenn du willst, kann ich dir seine Nummer geben. Der Mann ist schwer in Ordnung. Hast du was zu schreiben dabei?“

Victoria durchsuchte ihre Handtasche und reichte der Unbekannten einen Kugelschreiber und eine Papierserviette. Kurz darauf steckte sie die Serviette wieder ein, fest entschlossen, den Arzt am nächsten Tag anzurufen.

„Du wirst nicht enttäuscht sein. Dieser Mann hat viel Erfahrung mit Leuten aus dem Showbiz. Ein Besuch, und es wird dir bald besser gehen.“

Und das Mädchen sollte Recht behalten. Dr. Browne hatte Victorias Problem sofort erkannt und ihr ein Rezept für eine erhebliche Anzahl kleiner Kapseln ausgestellt. Die würden ihr schnell Linderung verschaffen, hatte er versprochen. Und wenn sie ein neues Rezept für weitere Kapseln benötigte, sollte sie einfach in der Praxis anrufen.

In der Tat, die Kapseln halfen, und schon bald rief Victoria wieder an – auch wenn das Medikament ziemlich teuer war. Allerdings war Geld schon lange kein Thema mehr für sie. Es schien quasi wie von selbst auf ihr Konto zu fließen.

Jetzt stand sie im Bad ihrer Suite und zögerte einen langen Moment, während sie die Kapsel in ihrer Handfläche betrachtete. Tief im Innern wusste sie, dass sie dieses Zeug nicht nehmen sollte. Sie hatte den Arzt nie gefragt, was die Tabletten eigentlich enthielten. Auf der anderen Seite: Wenn so viele Schauspieler Gebrauch davon machten, konnten sie so schädlich ja gar nicht sein. Und während Victoria an ihren nächsten öffentlichen Auftritt dachte und eine Panikwelle in sich aufsteigen spürte, schluckte sie die Pille eilig hinunter.

Wenige Minuten später fühlte sie bereits, wie sich die dunkle Wolke in ihr lichtete. Plötzlich war sie entspannt und zuversichtlich. Aber vor dem Abendessen würde sie noch eine Tablette nehmen müssen, darüber war sie sich im Klaren.

Ob Anne wohl ahnte, dass sie ihre Ängste mithilfe von Medikamenten in Schach hielt? Victoria bezweifelte es. Sie war sehr darauf bedacht, diese Tatsache zu verheimlichen. Anne reagierte äußerst kritisch auf alles, was dem Ruf ihres Schützlings schaden konnte. Also sagte Victoria nichts und dachte sich, dass schon alles in Ordnung sei, solange niemand etwas wusste. Mit diesen Kapseln konnte sie sich schließlich so verhalten, wie es von ihr erwartet wurde, und nur darauf kam es an.

Sie trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Leute, die die Promenade entlangspazierten: schaulustige Fans, Möchtegern-Stars, die versuchten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und hohe Tiere aus der Filmindustrie. Einen Moment lang schämte Victoria sich fast. Was würden diese Leute da unten wohl geben, um auch nur für einen Tag mit ihr zu tauschen? Sie hatte doch alles, wovon die meisten Menschen nur träumten. Und doch hasste sie ihre Lage. Nicht das Schauspielern an sich – das hatte ihr sehr gefallen, obwohl die Dreharbeiten gnadenlos anstrengend gewesen waren. Das Filmset war ihr Element. Und als sie endlich die erste Rohfassung des Films sah, war sie wie verzaubert. Nein, es war der ganze Rummel um ihre Person, der ihr so zusetzte.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Gleich sollte es wieder losgehen. Ein volles Nachmittagsprogramm stand ihr bevor: Interviews, Friseur, Maske, Fototermin. Victoria schluckte. Es führte kein Weg daran vorbei.

„Herein“, rief sie und setzte ein Lächeln auf.

„Wie fühlst du dich, Vic?“ Anne musterte sie eingehend.

„Danke, gut. Ich bin startklar.“

„Sehr schön.“ Anne wirkte erleichtert. „Dann machen wir uns auf den Weg. Die Presse wartet im großen Konferenzraum, aber erst bringen wir dein Make-up und deine Frisur in Ordnung. Marci hat dein Kleid fertig.“

Victoria nickte. Sie war entschlossen, es durchzustehen. Sie würde es schaffen, und vielleicht würde sie sogar lernen, es etwas weniger zu hassen … Unauffällig ließ sie ihre Hand in die Tasche ihrer Designerjacke gleiten und tastete nach der Kapsel, die sie dort sicherheitshalber verstaut hatte. Dann schüttelte sie ihr langes Haar und probte noch einmal die verschiedenen Gesichtsausdrücke, die sie vor dem Spiegel geübt hatte. Ihre Masken, wie Victoria sie im Stillen nannte.

Kurz darauf fuhren die beiden Frauen mit dem Fahrstuhl hinunter in die Empfangshalle. Anne erteilte letzte Anweisungen über ihr Handy, dann öffneten sich die Fahrstuhltüren und alles begann von vorne.

„Okay“, meinte Anne einige Stunden später auf dem Weg zur Präsidentensuite, in der Ed eine Cocktailparty veranstaltete. „Du hast dich wacker geschlagen.“

Victoria verdrehte die Augen. „Aber ich muss noch das Dinner durchstehen. Mir graut jetzt schon davor.“

„Das wird schon werden. Alle wichtigen Leute werden da sein. Es ist wirklich eine äußerst exklusive Veranstaltung.“

„Wie beruhigend“, erwiderte Victoria trocken. „Muss ich denn unbedingt hingehen?“, murmelte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Sie hob den Saum ihres kunstvoll mit Flor abgenähten Abendkleides an, um auf der Treppe nicht zu stolpern. Hinter ihr bewachten zwei Sicherheitsleute jede ihrer Bewegungen. Keine Sekunde ließen sie die

150.000 Pfund teure Diamantenkette aus den Augen, die ein renommierter Juwelier Victoria für den heutigen Abend zur Verfügung gestellt hatte.

„Ob du hingehen musst? Das soll wohl ein Witz sein?“, erkundigte sich Anne mit hochgezogenen Augenbrauen.

Victoria schnitt eine Grimasse. „Sicher.“ Sie zuckte mit den Schultern und blickte auf ihre mit Edelsteinen besetzte Handtasche, um sicherzugehen, dass diese auch ja fest verschlossen war. Sollte ihr die Lage zu heikel werden, konnte sie jederzeit auf die Toilette flüchten und einen ihrer „Lebensretter“ schlucken.

„Gut. Also nicht vergessen: immer schön höflich und charmant sein, dann kann dir nichts passieren. Das ist deine große Chance, Victoria. Vermassle es nicht“, ermahnte Anne. „Ach, und da ist noch etwas. Unsere Finanzberater möchten etwas mit dir besprechen. Du könntest eine Menge Steuern sparen, wenn du deinen Wohnsitz verlegst. Ist dir Malvarina ein Begriff?“

Victoria runzelte die Stirn. „Ist das nicht so eine Insel irgendwo im Mittelmeer?“ Immer noch war sie sorgfältig darauf bedacht, nicht auf den hauchdünnen Saum ihres Kleides zu treten.

„Genau. Außerdem ist es ein wahres Steuerparadies. Und heute Abend sitzt du sogar neben dem …“

Doch mehr hörte Victoria nicht, denn schon erschien Ed in der Tür zur Präsidentensuite, bot ihr seinen Arm an und marschierte mit ihr davon.

Anne hielt inne und verschaffte sich einen schnellen Überblick über die elegante Umgebung. Zufrieden nahm sie buntes Stimmengewirr, schrilles Lachen und das Klirren teurer Kristallgläser wahr. Victoria würde es schon schaffen, beruhigte sie sich. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf, um ein paar der wichtigsten Reporter des Landes für Exklusivinterviews zu gewinnen.

2. KAPITEL

Ein Fürstentum zu regieren ist wie ein großes Unternehmen zu leiten, überlegte er, während sein Page ihm den weißen Seidenschal reichte. Leger warf Rodolfo ihn sich um den Hals, bevor er die elegante Suite verließ, um die nächste Veranstaltung zu besuchen. Mittlerweile langweilten ihn die unzähligen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die Filmfestspiele von Cannes waren da keine Ausnahme. Doch nur so ließen sich Kontakte knüpfen und Geschäfte machen, die für die Insel so wichtig waren.

Sein Großvater, der verstorbene Fürst, hatte viel Wert auf Exklusivität im Inselstaat gelegt. Steuerbegünstigungen erhielten zu seinen Lebzeiten nur die alteingesessenen aristokratischen Familien, die schon seit Jahrhunderten auf der Insel lebten. Doch vor drei Jahren war dieser Großvater gestorben. Und nun gab sich Rodolfo alle Mühe, aus Malvarina einen modernen, unabhängigen Staat zu machen.

Die Einwohner von Malvarina brauchten Arbeit, um auf der Insel bleiben und sich dort ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Rodolfo war fest entschlossen, seinem Volk einen besseren Lebensstandard zu bieten. Und er wusste auch wie: Mit mehr Touristen und vor allem mit finanzstarker Prominenz, die ihren Wohnsitz auf die Insel verlegte. Sein Plan ging tatsächlich auf. Zahlreiche wohlhabende Geschäftsleute, Stars und Sternchen waren in den letzten Jahren nach Malvarina gezogen. Sowohl die Abgeschiedenheit des Fürstentums als auch die attraktiven neuen Steuergesetze schienen sie magisch anzuziehen.

Genau darum war er auch hier bei den Filmfestspielen in Cannes. Denn ob es ihm gefiel oder nicht, als Prinz war Rodolfo einfach der beste Werbeträger für Malvarina.

Auf diese wichtige Rolle hatte er sich mehrere Jahre vorbereitet. Studiert hatte er zunächst an der Oxford Universität in England und anschließend in Harvard an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Ihm war immer klar gewesen, dass er niemals die altmodischen Ansichten seines Großvaters würde ändern können. Also übte er sich in Geduld und versuchte, dem alten Herrn den nötigen Respekt zu zollen. Bis die Zeit für Veränderungen reif war, konnte er reichlich Arbeits- und Lebenserfahrung sammeln. Er arbeitete bei großen Unternehmen in London und New York und kostete sein Leben in vollen Zügen aus. Dennoch war er sich immer bewusst, dass er eines Tages das kleine Fürstentum regieren würde. Und als es endlich so weit war, nahmen die Inselbewohner misstrauisch zur Kenntnis, wie Rodolfo seine Reformen einführte und neue Gesetze verabschiedete.

Nach und nach konnte er die Bewohner Malvarinas von seinen Plänen überzeugen. Inzwischen gab es eine hervorragende Tourismus- und Hotelfachschule auf der Insel, eine Reihe hochkarätiger Kulturveranstaltungen und ein überzeugendes Angebot an Luxushotels und exklusiven Sportklubs, was Prominenz aus aller Welt anzog. Rodolfo wollte dabei stets nur das Beste für sein Volk. Gleichzeitig erwartete er von den Inselbewohnern aber auch erstklassigen Service für die Neuankömmlinge, die er einlud, auf der Insel zu leben.

Kritisch blickte Rodolfo nun in sein sonnengebräuntes Gesicht im Korridorspiegel und rückte seine Krawatte zurecht. Er war gealtert in den letzten Jahren. Die immense Verantwortung hatte winzige Krähenfüße um seine dunklen Augen gezeichnet, und an den Schläfen wurden einzelne silbergraue Strähnen erkennbar. Nun ja, c’est la vie, dachte er. Und während er seine Manschettenknöpfe überprüfte, fragte er sich, mit welchem Filmstar er heute Abend plaudern und wie viel arrogantes Getue er diesmal ertragen musste.

Der ganze Glanz und Glitter in Cannes interessierte ihn nicht besonders. Aber genau hier konnte man potenzielle Geldgeber finden. Die Leute fühlten sich zum Adel hingezogen wie die Bienen zum Honig. Ein ironisches Lächeln umspielte seine Lippen. Wie viele Frauen hatten sich ihm schon aufgedrängt, in der Hoffnung, eine einzige Nacht mit ihm verbringen zu dürfen. Nur, um damit prahlen zu können, eine Affäre mit einem der begehrtesten Junggesellen Europas gehabt zu haben. Manche hatten sicher von einem Liebesmärchen à la Grace Kelly geträumt. Aber all die aufgedonnerten Blondinen mit ihrem vielen Make-up ließen ihn kalt. Auch die geistlosen Topmodels, mit denen er sich in der Vergangenheit hin und wieder eingelassen hatte, waren ihm mittlerweile egal. Ganz zu schweigen von dem Medienrummel, den seine zahlreichen Liebeleien stets aufs Neue auslösten.

Jetzt ging es nicht mehr nur um ihn, sondern auch um Malvarinas Zukunft. Der Inselrat suchte aktiv nach einer passenden Gattin und hatte ihm bereits mehrere adelige Frauen vorgestellt. Rodolfo seufzte. Allein der Gedanke deprimierte ihn. Sein Leben mit einer Frau zu verbringen, die er nicht liebte, das schien zu viel verlangt. Andrerseits hielt er sich sowieso für liebesunfähig, seit Giada vor sieben Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Vielleicht wäre es wirklich besser, nicht mehr auf die große Liebe zu hoffen und eine Zweckehe einzugehen. Zum Beispiel mit der spanischen Herzogin, von der die Mitglieder des Inselrats so begeistert waren. Oder auch mit dieser Gräfin aus Luxemburg.

Er warf einen Blick auf die schmale Golduhr an seinem Handgelenk. Es wurde Zeit. Noch so ein elegantes Abendessen. Wie viele davon würden die Leute hier wohl noch ausrichten wollen, fragte er sich und schnitt eine Grimasse.

Victoria spielte mit dem Stiel ihres Champagnerglases und versuchte, Interesse vorzutäuschen. Ein Schauspieler erzählte ihr langweilige Geschichten über seine Rolle in irgendeinem Actionstreifen. Der Film würde nächstes Jahr ganz sicherlich einen Preis beim Sundance-Filmfestival gewinnen, versicherte er, auch wenn man sich hier in Cannes nicht gerade begeistert zeigte. Während sie etwas gezwungen zu lächeln versuchte, hielt Victoria nach Anne Ausschau und hoffte, ihre Agentin würde sie retten.

Autor

Fiona Hood Stewart
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