Rendezvous im Himmelbett

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Auf keinen Fall will Harper allein zur Hochzeit ihrer Freunde fliegen und deren Mitleid spüren! Kurzerhand bittet sie einen umwerfend attraktiven Fremden, sie zu begleiten - und Sebastian West sagt tatsächlich Ja. Aber in dem irischen Schlosshotel, wo sie ein weiches Himmelbett teilen müssen, kommen Harper Zweifel. Dieses falsche Spiel fühlt sich so gut und so echt an! Und die Entscheidung zwischen Lust und Verstand ist nicht ihr einziges Problem: Irgendjemand in der Hochzeitsgesellschaft kennt ihr dunkelstes Geheimnis und erpresst sie …


  • Erscheinungstag 02.04.2019
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724863
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das kann doch wohl nicht wahr sein!“

Bereits zum dritten Mal hielt Sebastian West seine Zugangskarte vor den Scanner. Doch die Eingangstür von BioTech, der Firma für biomedizinische Technik, deren Mitbegründer er war, wollte einfach nicht aufgehen. Als er seine Angestellten durch das Glas hindurch sah, hämmerte er mit der Faust dagegen … und wurde geflissentlich ignoriert.

„Mir gehört diese Firma!“, schrie er, als seine Sekretärin vorbeilief, ohne ihn anzusehen. „Bringen Sie mich nicht dazu, Sie zu feuern, Virginia.“

Woraufhin sie stehen blieb und zu ihm zurückging.

„Endlich“, stieß er seufzend hervor.

Doch sie dachte gar nicht daran, ihm aufzumachen. Stattdessen schüttelte sie den Kopf. „Ich habe strikte Anweisungen von Dr. Solomon, Ihnen nicht die Tür zu öffnen, Sir.“

„Also bitte …“, ächzte Sebastian.

Virginia blieb standhaft. „Das müssen Sie mit ihm ausmachen, Sir.“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand.

„Finn!“, schrie er laut und trommelte mit der Faust gegen das Glas. „Lass mich rein, du verdammter Hurensohn!“

Kurze Zeit später erschien Finn Solomon, Sebastians Geschäftspartner und früherer Zimmergenosse vom College, stirnrunzelnd an der Tür.

„Du solltest im Urlaub sein“, sagte er durch die Glastür.

„Das hat der Arzt vielleicht gesagt, aber seit wann nehme ich Urlaub? Oder höre auf Ärzte?“ Die Antwort war nie. Auf Finn hörte er schon gar nicht. Und was den Urlaub betraf: Seit sie vor zehn Jahren die Firma gegründet hatten, hatte er sich nie freigenommen. Schließlich konnte man schlecht am Strand herumliegen und gleichzeitig bahnbrechende Errungenschaften in der Medizintechnologie erreichen.

„Genau darum geht’s, Sebastian. Muss ich dich daran erinnern, dass du vor zwei Tagen einen Herzinfarkt hattest? Du sollst mindestens zwei Wochen lang nicht ins Büro kommen.“

„Einen leichten Herzinfarkt. Ich war gerade mal ein paar Stunden im Krankenhaus. Und sie waren sich gar nicht sicher, ob es überhaupt einer war. Ich nehme doch jetzt diese blöden Pillen, was willst du also noch?“

„Ich will, dass du nach Hause gehst. Rein lasse ich dich sowieso nicht. Deine Karte wurde deaktiviert. Und ich habe allen ein Memo geschickt, dass jeder, der dich ins Büro lässt, auf der Stelle gefeuert wird.“

Also würde er auch nicht hinter irgendjemandem hineinschlüpfen können. Aber er hatte einen Laptop. Vielleicht konnte er Virginia dazu bringen, ihn rauszuschmuggeln. Er konnte ja auch einfach von zu Hause aus arbeiten …

„Ich habe auch deine E-Mail-Konten und deinen Fernzugriff vorübergehend gesperrt, damit du nicht von zu Hause aus arbeitest.“

Finn war erstaunlich gut darin, seine Gedanken zu lesen, was er schon am College gekonnt hatte. Für ihre gemeinsame Zusammenarbeit war das toll, nicht aber in dieser Situation. „Du bist krankgeschrieben, Sebastian, sorry. Ich komme hier zwei Wochen lang allein zurecht, aber ich kann die Firma nicht leiten, wenn du tot bist. Also mach Urlaub. Unternimm eine Reise. Lass dich massieren … oder dir einen runterholen. Ist mir egal. Aber ich will dich hier nicht sehen.“

Sebastian war ratlos. Finn und er hatten die Firma nach dem College gegründet und sich mit Leib und Seele der Entwicklung von Technologien zum Wohle der Menschheit verschrieben. Mit ihm als MIT-Ingenieur und Finn als Arzt bildeten sie ein Dreamteam, das bereits fortschrittliche Handprothesen und elektronische Rollstühle entwickelt hatte, die Patienten mittels ihrer Gehirnströme steuern konnten. Ein nobler Zweck, dem er sein Leben gewidmet hatte.

Aber offensichtlich forderte das Jahrzehnt, in dem er Schlaf und Gemüse gegen Koffein und Zucker eingetauscht hatte, jetzt seinen Tribut.

Natürlich wollte er nicht sterben. Schließlich war er erst achtunddreißig. Aber er stand auch kurz vor einem Durchbruch. Das Roboterskelett, an dem er arbeitete, würde Gelähmten wie seinem Bruder ermöglichen, wieder laufen zu können.

„Was ist mit dem neuen Prototypen für die Exo-Beine?“

Finn verschränkte die beeindruckenden Arme vor der Brust. „Diese Menschen sind schon ewig nicht mehr gelaufen. Bestimmt können sie noch zwei Wochen warten, während du dich erholst. Wenn du an deinem Schreibtisch zusammenbrichst, werden sie es nie wieder können. Übrigens habe ich einen Defibrillator vor deinem Büro anbringen lassen.“

Seufzend zuckte Sebastian mit den Schultern. Er wusste, wann er verloren hatte. Finn war genauso stur wie er selbst. Normalerweise funktionierten sie gut zusammen. Keiner von ihnen akzeptierte ein Nein. Trotzdem hätte er sich nie träumen lassen, dass Finn die Anweisungen seines Arztes so penibel umsetzen würde. Er hatte einfach angenommen, er würde zukünftig nur noch zehn Stunden pro Tag arbeiten anstatt der üblichen achtzehn.

„Kann ich wenigstens reinkommen und …?“

„Nein“, unterbrach Finn ihn. „Geh nach Hause. Geh shoppen. Aber geh einfach.“ Selbstzufrieden winkte Finn ihm durch die Glastür zu, drehte sich um und verschwand.

In der Hoffnung, dass Finn zurückkommen und sagen würde, er hätte nur Spaß gemacht, blieb Sebastian einen Moment lang stehen. Doch als klar wurde, dass dem nicht so war, kehrte er in die Lobby des Gebäudes zurück und trat auf den belebten Bürgersteig von Manhattan, ohne recht zu wissen, was er tun sollte. Eigentlich hatte er sich nur ein paar Tage schonen und dann wieder an die Arbeit gehen wollen. Jetzt lagen zwei volle Wochen Müßiggang vor ihm.

Die Möglichkeit, alles zu tun, was er wollte, hatte er. Wie zum Beispiel mit einem Privatjet nach Paris zu fliegen. Eine Luxuskreuzfahrt durch die Karibik. Karaoke singen in Tokio. Doch all das wollte er nicht.

Geld zu haben war ihm immer noch fremd. Im Gegensatz zu Finn hatte er nie welches besessen, während er aufwuchs. Seine Eltern waren einfache Arbeiter gewesen, die gerade so über die Runden kamen. Und nach dem Unfall seines Bruders waren sie aufgrund der Arztrechnungen nahezu bettelarm geworden.

Stipendien und Kredite hatten Sebastian durch das College gebracht. Danach konzentrierte er sich auf den Aufbau seiner Firma mit Finn. Irgendwann hatte sie angefangen, eine ganze Menge Geld abzuwerfen. Aber er war zu beschäftigt gewesen, um es zu merken. Oder es auszugeben. Luxusschlitten oder – urlaube waren nie sein Ding gewesen. Tatsächlich war er völlig unfähig darin, reich zu sein.

An einer Straßenecke zog er seine Brieftasche heraus und bemerkte, dass sich das Leder über die Jahre fast aufgelöst hatte. Wahrscheinlich trug er dieses Modell schon seit seiner Schulzeit mit sich herum. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblickte er ein Kaufhaus. Die würden doch sicher Brieftaschen verkaufen. Er lief über die Straße und hielt die Tür für eine Gruppe attraktiver Frauen auf, die genug Tüten bei sich trugen, um damit einen Studenten durch ein oder zwei Semester am College zu bringen. Sie kamen ihm bekannt vor, besonders die letzte, eine Dunkelhaarige mit stahlblauen Augen.

Kurz ließ sie den Blick über ihn gleiten. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Sein Puls dröhnte in seiner Kehle, als er erfolglos versuchte, den Kloß darin hinunterzuschlucken. Warum reagierte er so heftig auf diese Frau? Er wollte etwas sagen, aber da er nicht wusste, woher er die Frauen kannte, hielt er lieber den Mund. Kurz darauf sah sie wieder weg und lief mit ihren Freundinnen die Straße hinunter.

Mit einem Gefühl des Bedauerns sah Sebastian ihnen nach, dann zwang er sich, in das Kaufhaus zu gehen. Die Abteilung für Brieftaschen und das gewünschte Modell waren schnell gefunden. Schmal und aus schwarzem Leder, mit genug Platz für ein paar Karten und etwas Bargeld – das waren seine einzigen Auswahlkriterien.

Als er sich an der Kasse anstellte, fiel ihm eine umwerfende Brünette in der Schlange vor ihm auf. Plötzlich wurde ihm klar, dass es die Frau von vorhin war. Die mit den blaugrauen Augen. Er wünschte, er könnte sich erinnern, wer sie war, um sie anzusprechen. Wahrscheinlich waren sie sich bei irgendeiner Veranstaltung begegnet. Finn zwang ihn manchmal, zu so etwas zu gehen, doch Sebastian war sich nicht sicher. Der Großteil seines Hirns war von Robotertechnik und Maschinenbau belegt.

Wenn auch nicht alles. Er war Manns genug, um ihre schlanke Figur zu bemerken, ihr langes kastanienbraunes Haar, die großen blauen Augen und blutroten Lippen. Es war unmöglich, nicht zu erkennen, wie makellos sie war. Sie roch wie die Wiese nach einem warmen Sommerregen hinter dem Haus, in dem er aufgewachsen war. Bei dem Gedanken krampfte sich tief in ihm etwas zusammen.

Was hatte sie nur an sich? Doch wahrscheinlich lag es gar nicht an ihr. Der Arzt hatte ihm körperliche Anstrengungen verboten und betont: „Ja, das schließt Sex mit ein, Mr. West. Mindestens eine Woche lang.“ Es war eine Weile her, dass er die Gesellschaft einer Frau genossen hatte. Aber gerade weil es nicht infrage kam, konzentrierte sein Gehirn sich vielleicht auf das, was es nicht haben konnte.

Warum, zum Teufel, war sein Namensgedächtnis nur so schlecht?

Als Sebastian näher an die Kasse heranrückte, bemerkte er, dass die Frau alles, was sie in ihrer Tasche hatte, zurückgab. Das war merkwürdig. Es waren gerade gekaufte Klamotten im Wert von mindestens fünfzehnhundert Dollar.

Sofort regte sich Neugier in ihm. „Entschuldigung, Mi…“, begann er.

In diesem Moment drehte sie sich um und prallte direkt gegen seine Brust. Gezwungenermaßen fing er sie auf, bevor sie auf ihren atemberaubend hohen Absätzen rückwärts taumeln und hinfallen konnte. Er zog sie fest an sich, wobei ihre Brüste sich an seinen Oberkörper schmiegten, bis sie sich gefangen hatte. Irgendwie wollte er sie nur ungern wieder loslassen. Plötzlich fühlte er sich trunken von ihrem Duft und dem Gefühl ihrer weichen, an seinen harten Körper gepressten Kurven. Wie lange war es her, dass er einer Frau so nahe gekommen war? Einer, der er keine Prothese anpasste? Er hatte keine Ahnung.

Doch letztendlich musste er sie loslassen.

Die Frau machte einen unsicheren Schritt nach hinten. Ihre Wangen röteten sich. „Tut mir wirklich leid“, sagte sie. „Ich bin immer so in Eile, dass ich nie aufpasse, wo ich hinlaufe.“

Als sie ihn ansah, blitzten ihre blaugrauen Augen auf, so als ob sie ihn erkannte. Also waren sie sich tatsächlich schon einmal über den Weg gelaufen.

„Bitte entschuldigen Sie sich nicht.“ Sebastian lächelte schief. „Das war das Aufregendste, was mir diese Woche passiert ist.“

Ungläubig zog sie die Augenbrauen hoch.

Vielleicht sah er doch nicht so langweilig aus, wie er immer dachte.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Er lachte über ihre Besorgnis. Für eine Frau war sie zwar groß, besonders in diesen Stilettos, aber Schaden würde sie bei ihm nicht anrichten können. „Na klar. Und froh, dass ich Sie auffangen konnte.“

Sie schmunzelte und sah unsicher zu Boden. „Ich nehme an, es hätte schlimmer kommen können.“

„Ja, äh … Sie kommen mir so bekannt vor, aber ich kann mir einfach keine Namen merken. Ich bin Sebastian West.“ Lächelnd hielt er ihr die Hand hin.

Sie ergriff sie zögernd. Die Berührung ihrer geschmeidigen Haut, die sich an seiner rieb, ließ seine Nervenbahnen kribbeln. Normalerweise war er auf seine Arbeit konzentriert. Andere Interessen zu verfolgen wie etwa, sich sexuellen Freuden hinzugeben oder überhaupt mit Frauen auszugehen, nahm eine untergeordnete Rolle ein. Doch durch eine einzige, simple Berührung war sein körperliches Verlangen gerade entschieden in den Vordergrund gerückt.

Dieses Mal dauerte die Verbindung länger, und Sebastian genoss die prickelnde Spannung zwischen ihnen, die eindeutig spürbar war. So sehr, dass sie, nachdem sie ihre Hand zurückgezogen hatte, sie an ihrem dunkelroten Pullover rieb, als ob sie das Gefühl damit abschütteln wollte.

„Sie kommen mir auch bekannt vor“, erwiderte sie. „Ich bin Harper Drake. Wir müssen uns schon mal irgendwo begegnet sein. Kennen Sie vielleicht meinen Bruder Oliver? Von Orion Computers?“

Da klingelte es bei ihm. „Er und mein Freund Finn Solomon sind wahrscheinlich Kumpel. Finn kennt jeden.“

Nachdenklich runzelte Harper die Stirn. „Der Name kommt mir auch bekannt vor. Warten Sie … Arbeiten Sie nicht im Bereich medizinische Versorgung?“

Überrascht zog Sebastian die Augenbrauen hoch. So würde er es nicht gerade ausdrücken, aber die Tatsache, dass sie sich daran erinnerte, erstaunte ihn. Und ehrlicherweise schmeichelte es ihm auch ein bisschen. „Das könnte man so sagen.“ Er grinste.

Harper strahlte. Endlich wusste sie, woher sie den Kerl kannte. Er war ihr schon vorhin aufgefallen und bekannt vorgekommen, als er ihnen die Tür aufgehalten hatte. Leider war Violet derart in Eile gewesen, Aidans Hochzeitsgeschenk abzuholen, dass sie nicht stehen bleiben konnte.

Nachdem sie sich von ihren besten Freundinnen Lucy Drake, Violet Niarchos und Emma Flynn getrennt hatte, war sie ins Kaufhaus zurückgegangen, um alles Gekaufte wieder zurückzugeben. Sie hatte nicht erwartet, dem Mann erneut über den Weg zu laufen, schon gar nicht im wahrsten Sinne des Wortes.

„Tja, vielleicht sind wir uns bei einer dieser Benefizveranstaltungen im Krankenhaus begegnet.“

Er nickte. „Ich glaube, bei einer von denen war ich. Finn sorgt dafür, dass ich ab und zu rauskomme.“

Sebastian West hatte ein Gesicht, das sie nie vergessen würde. Sein Kinn war markant mit einem nahezu pechschwarzen, nur seinen Mund umrahmenden Bart, und seine Augen waren beinah ebenso dunkel. Sein schiefes Lächeln verfehlte seine Wirkung auf sie nicht. Wenn sie einen Typ gehabt hätte, dann wäre er diesem gefährlich nahegekommen.

Schade, dass er nicht einer dieser reichen Firmenchefs war, mit denen ihr Bruder sich ständig umgab. Zwar wollte sie nicht so oberflächlich sein, aber ein Mann, der finanziell gut dastand, würde ihr in ihrer momentanen Situation enorm helfen. Und sie würde sich besser fühlen, wenn diese Situation sich an ihrem Geburtstag endlich änderte.

Die letzten sieben Jahre waren eine lange, harte Lehrzeit für Harper gewesen. Plötzlich war sie nicht mehr das kleine, reiche Mädchen gewesen. Ihr Vater hatte ihr immer alles gegeben, was sie wollte, und sie nach dem Tod ihrer Mutter schließlich total verwöhnt. Bis ihm irgendwann die Mittel ausgingen.

Harper hatte sich nie vorstellen können, dass diese Quelle einmal versiegen würde. Als es so weit kam, musste sie sich gezwungenermaßen an die neue Situation anpassen, zumindest heimlich. Es war peinlich genug, dass sie mit achtzehn ihr komplettes Erbe verjubelt hatte. Dabei war sie von Beruf Buchhalterin. Es brauchte niemand zu wissen, was sie getan hatte.

Nachdem sie auf den harten Boden der Realität aufgeschlagen war, hatte sie Geld ganz neu zu schätzen gelernt – und die Menschen, die gut darin waren, es zu verwalten. Und wenn sie bald wieder Geld hatte, wollte sie ebenfalls sehr umsichtig damit umgehen. Das beinhaltete, dass sie jeden Kerl, mit dem sie ausging, dreimal durchchecken würde. Nicht, dass sie vorhatte, mit Sebastian auszugehen.

„Na ja, ich bin froh, dass wir heute zusammengestoßen sind.“ Sebastian grinste verschmitzt.

Harper lachte. Als sie kurz zur Seite blickte, sah sie ausgerechnet Quentin, ihren Ex, auf sie zukommen. Rasch packte sie Sebastian am Arm und wandte sich mit ihm ab. Hoffentlich hatte Quentin sie nicht gesehen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich versuche nur …“

„Harper?“

Verdammt.

Sie drehte sich um. Während der letzten zwei Jahre hatte sie ihr Möglichstes getan, um ihren Ex zu meiden. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn höflich, aber steif. „Hallo, Quentin“, sagte sie möglichst desinteressiert. Sie wusste, es würde ihm nicht auffallen. Das war es nie.

„Wie ist es dir so ergangen?“

Ich war einsam. Von Angst zerfressen. „Einfach toll. Mir ging’s nie besser. Und dir?“

„Super. Ich habe mich gerade verlobt.“

Verlobt? Quentin, der Mann, der sich nicht binden wollte, war verlobt? Als ob Harper sich nicht schon mies genug gefühlt hätte, weil sie der letzte Single in ihrem Freundeskreis war. Dieser Augenblick setzte dem Ganzen noch die Krone auf. Sie täuschte ein Lächeln vor und nickte. „Das ist toll. Ich freue mich für dich.“

Quentin entging ihr Mangel an Aufrichtigkeit. „Danke. Ihr Name ist Josie. Sie ist unglaublich. Ich kann es kaum abwarten, sie dir vorzustellen. Bestimmt würdet ihr euch gut verstehen.“

Harper musste sich auf die Zunge beißen, um ihn nicht zu fragen, warum seine Ex daran interessiert sein sollte, mit seiner Verlobten abzuhängen. „Da bin ich mir sicher.“

„Also, Harper …“ Quentin beugte sich vor. Bei seinem arroganten Lächeln verkrampften sich ihre Schultern. Der Geruch seines widerlichen, teuren Rasierwassers brachte ihr Nächte in Erinnerung, die sie lieber vergessen wollte. „Sehe ich dich auf Violets Hochzeit? Wie ich hörte, ist sie das Event des Jahres. Ich kann kaum glauben, dass sie alle ihre Gäste dafür nach Dublin fliegen lässt. Und ein Schloss gemietet hat. Verrückt. Vielleicht hätte ich mit ihr ausgehen sollen anstatt mit dir.“ Er lachte.

Harpers Hände ballten sich zu Fäusten. „Natürlich fahre ich hin“, erwiderte sie mit einem strahlenden Lächeln, das hoffentlich ihre Besorgnis über die bevorstehende Reise kaschierte. „Schließlich bin ich eine der Brautjungfern.“

„Fährst du allein?“ Bei Quentins mitleidigem Blick stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Dachte er etwa, sie wäre in den zwei Jahren seit ihrer Trennung nicht in der Lage gewesen, ihn zu ersetzen? Was sie tatsächlich nicht getan hatte, aber immerhin gekonnt hätte. „Nein, ich fahre nicht allein. Ich nehme meinen Freund mit.“

In dem Moment, als sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie sie schon. Warum hatte sie das gesagt? Quentin erwähnte seine Verlobte, und schon verlor sie den Verstand. Sie hatte keinen Freund. Nicht einmal eine Zimmerpflanze. Wie sollte sie da in ein paar Tagen einen Freund präsentieren?

Ungläubig kniff Quentin die Augen zusammen. „Oh, tatsächlich? Ich habe gar nicht gehört, dass du mit jemandem zusammen bist.“

Harper war überrascht, dass er darauf geachtet hatte. „Ich habe gelernt, mein Privatleben unter Verschluss zu halten“, blaffte sie. Nach ihrer schmutzigen, öffentlichen Trennung hatte sie eine weitere Lektion lernen müssen. Die ganze Angelegenheit war traumatisierend gewesen.

„Also, wer ist der Glückliche? Kenne ich ihn? Oder lerne ich ihn auf der Hochzeit kennen?“

Ein Name. Sie brauchte einen Namen. Als sie sich umsah, fiel ihr Blick auf Sebastian, der gerade in der Nähe eine Auswahl Herrenslipper begutachtete.

„Du kannst ihn gleich kennenlernen. Sebastian, Liebling, könntest du kurz herkommen? Ich möchte dir jemanden vorstellen.“

Fragend hob Sebastian eine Augenbraue.

Bitte, formte Harper lautlos mit den Lippen.

Augenblicklich kam er zu ihnen herüber. „Ja, Liebes?“

„Sebastian, dies ist mein Ex Quentin Stuart. Ich hatte ihn doch mal erwähnt, oder? Na, jedenfalls habe ich ihm gerade erzählt, dass wir beide zu Violets und Aidans Hochzeit nach Irland fliegen.“

Quentin hielt Sebastian die Hand hin. „Freut mich, Sebastian …?“

„West. Sebastian West.“ Er schüttelte Quentin die Hand und zog sie dann rasch wieder weg.

„Sebastian West von BioTech?“

„Ja, genau.“

Harper kannte den Namen der Firma nicht, aber was wusste sie auch schon über Sebastian? Sie erinnerte sich an ein kurzes Gespräch auf einer Party über ihn. Angeblich war er im Medizinartikelgeschäft und ging nicht oft aus. Sie hatte angenommen, er würde so etwas wie Rollstühle und Krankenhausbetten verkaufen. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Quentin war nicht der Typ, der sein Gehirnschmalz darauf verschwendete, sich an Dinge zu erinnern, die ihm nicht imponierten.

„Wow, Harper. Da hast du ja einen tollen Fang gemacht.“ Für einen kurzen Moment wirkte Quentins Blick etwas gequält. „Tja, ich muss los. Ich treffe mich mit Josie und bin spät dran. Ich sehe euch zwei Turteltauben in Dublin. Dann können wir uns ein bisschen unterhalten, Sebastian.“

Harper beobachtete, wie Quentin das Geschäft verließ. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht. Sie wusste, dass sie vor Verlegenheit knallrot geworden war. „Es tut mir so leid“, murmelte sie zwischen ihren Fingern hindurch.

Sebastian überraschte sie, als er in Gelächter ausbrach. „Wollen Sie mir das vielleicht erklären?“

Sie schielte durch ihre Finger. „Äh … Quentin ist mein Ex. Es war eine schlimme Trennung, aber wir bewegen uns manchmal noch in denselben Kreisen. Ist eine lange Geschichte. Als er fragte, ob ich jemanden zur Hochzeit mitbringe, habe ich Panik bekommen und ihm gesagt, Sie wären mein Freund. Ich hätte Sie da nicht mit hineinziehen dürfen. Ich bin so eine Idiotin.“

„Das bezweifle ich.“ Sebastians dunkelbraune Augen funkelten immer noch amüsiert.

„Doch, das bin ich. Ich habe die ganze Sache zehnmal schlimmer gemacht, denn jetzt muss ich ohne Sie bei der Hochzeit auftauchen, und dann weiß er, dass ich gelogen habe. Aber er wird mit seiner schönen neuen Verlobten kommen, und ich werde mich noch schlechter fühlen, als ich es schon tue.“

Harper wusste, sie hätte einfach zugeben sollen, dass sie Single war. Was war schon dabei? Es war immerhin besser, als mit dem Falschen zusammen zu sein. Okay, zwar war sie schon fast dreißig, aber das bedeutete nicht das Ende der Welt. Tatsächlich konnte ihr dreißigster Geburtstag gar nicht schnell genug kommen. Er würde ihr eine Auszahlung von achtundzwanzig Millionen Dollar bringen, die sie dringend brauchte.

„Machen Sie sich keine Gedanken darüber, was er denkt“, sagte Sebastian. „Er scheint ein Schwachkopf zu sein.“

„Ich bin nicht gut, wenn es um Männer geht. Ich habe einen fragwürdigen Geschmack“, gab Harper zu. „Daher ist es wohl besser, ich erfinde einen Freund, anstatt mir wirklich einen zu suchen.“

Sebastian nickte unbehaglich. „Freut mich, dass ich helfen konnte. Tja, ich hoffe, die Hochzeit läuft gut für Sie.“

„Danke.“ Sie beobachtete, wie er ging. Aber bei jedem Schritt nahm ihre Panik zu. Wenn er erst einmal aus der Tür war, würde es schwierig werden, ihn wieder zu kontaktieren. Und aus irgendwelchen Gründen, über die sie nicht näher nachdenken mochte, wollte sie ihn nicht gehen lassen.

„Sebastian?“, rief sie, bevor er außer Hörweite war.

Er lieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Ja?“

„Möchten Sie zu einer Reise nach Irland eingeladen werden?“

2. KAPITEL

Sebastian wusste nicht, was er sagen sollte. Noch nie hatte ihn eine Frau – und schon gar keine, die er kaum kannte – zu einer Reise eingeladen. Nicht, dass er überhaupt Frauen kannte, die ihm irgendetwas anboten. Sein Leben spielte sich beinah ausschließlich im Labor ab. Die einzige Frau, mit der er täglich zu tun hatte, war seine Assistentin Virginia, die Ende fünfzig und verheiratet war.

„Äh, könnten Sie mir das etwas näher erläutern?“

Mit einem verführerischen Hüftschwung und einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen überbrückte Harper den Abstand zwischen ihnen. So viel an ihr war beinah maskulin: die stechend blauen Augen, die hohen Wangenknochen und ihre markante Nase. Und doch wirkte sie kein bisschen männlich. Ihre Augen unter den fein geschwungenen Brauen erinnerten ihn an die stürmische See vor Maine, wo er geboren worden war.

Er stellte sich vor, welch widerstreitende Gefühle in ihr toben mussten, um einem völlig Fremden ein solches Angebot zu unterbreiten. Sicher konnte sie überall jemanden finden. Doch so, wie sie ihn ansah, wollte er plötzlich zu allem Ja sagen, was sie ihm vorschlug.

„Meine Freunde heiraten nächstes Wochenende in Irland. Sie lassen alle Gäste einfliegen und bringen sie in einem Schlosshotel unter. Es würde Sie nichts kosten. Sie müssten sich nur eine Woche freinehmen. Ich weiß nicht, wie Ihr Chef das sieht. Schließlich ist es sehr kurzfristig. Aber ich hoffe, Sie haben Interesse.“

„Daran, nach Irland zu fliegen?“

Sie nickte. „Mit mir. Als mein Freund. So habe ich Sie Quentin vorgestellt. Er erwartet, dass Sie mitkommen.“

Sebastian runzelte die Stirn. Als ihr Freund? Eine Woche lang? In Irland? Was konnte da schon schiefgehen? Absolut alles! Es würde kompliziert werden, sich als ihr Lover auszugeben. Aber was, wenn es gut lief? Anerkennend ließ er den Blick über ihre große, schlanke Figur gleiten. Es könnte auch alles gut laufen.

Moment mal, er sollte doch nicht „aktiv“ sein. So ein verdammtes Pech. „Nur um das klarzustellen: Möchten oder erwarten Sie, dass wir … äh …“

„Nein!“ Harper riss die Augen auf. „Ich meine, nicht wirklich. Wir müssen allen vorspielen, dass wir ein Paar sind. Uns küssen, liebevoll miteinander umgehen … Sie wissen schon. Aber wenn wir allein sind, ist Anfassen verboten. So verzweifelt bin ich nicht. Ich kann dort nur nicht allein hinfahren. Nicht nachdem ich Quentin getroffen und von seiner Verlobung erfahren habe.“

Sebastian blinzelte kurz, um seine Enttäuschung zu überspielen. Er war sich nicht sicher, ob er den Schalter so schnell umlegen konnte, wenn er mit ihr allein war. Zwar war das genau das, was der Arzt ihm geraten hatte, aber er war noch nie gut darin gewesen, ärztliche Anweisungen zu befolgen.

Der heutige Tag warf ihn ganz hübsch aus der Bahn. Zuerst war er bei der Arbeit ausgesperrt und gegen seinen Willen in Urlaub geschickt worden – und jetzt das. Eine wunderschöne Frau wollte, dass er mit ihr nach Irland flog und so tat, als sei er ihr Liebhaber. Es erschien ihm unklug, ihrem Vorschlag zuzustimmen. Und regelrecht bescheuert, Nein zu sagen.

„Ich zahle Ihnen zweitausend Dollar dafür. Das ist alles, was ich auf meinem Sparkonto habe.“ Harper schien sein Zögern zu bemerken und wollte ihm die Sache offenbar schmackhaft machen.

So selbstsicher und gut gekleidet, wie sie war, kam ihm ihre Nervosität merkwürdig vor. Warum war ihr das hier so wichtig? Bei der Sache mit ihrem Ex schien es um mehr zu gehen, als sie preisgab. „Werden sich Ihre Freunde nicht wundern, wo ich so plötzlich herkomme? Sie haben noch nie von mir gesprochen, und plötzlich fahre ich mit zur Hochzeit?“

Autor

Andrea Laurence
Bereits im Alter von zehn Jahren begann Andrea Laurence damit, Geschichten zu schreiben – damals noch in ihrem Kinderzimmer, wo sie an einer alten Schreibmaschine saß. Sie hat immer davon geträumt, ihre Romane eines Tages in der Hand halten zu können, und sie arbeitete jahrelang hart, bis sich ihr Traum...
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