Rio, die Liebe und du

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Im Rausch der Samba-Rhythmen reißt der heißblütige Roberto de Sa Moreira Ellen plötzlich an sich, um sie leidenschaftlich zu küssen. Hier in Rio de Janeiro werden Ellens Hoffnungen Wirklichkeit. Viele Jahre lang musste sie glauben, dass Roberto sie hasst - während sie ihn doch schon immer liebte … Doch lag ihm wirklich Ellen am Herzen, als er sie in die Stadt des Karnevals einlud?


  • Erscheinungstag 29.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775957
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sie erkannte ihn sofort wieder.

Ellen beeilte sich, um so schnell wie möglich in die Ankunftshalle zu kommen. Plötzlich blieb sie stehen. Dort stand er zwischen den vielen ungeduldig Wartenden – Roberto de Sa Moreira! Fast zehn Jahre waren seit ihrem letzten Treffen vergangen. Deshalb kam es ihr erstaunlich, ja fast unheimlich vor, dass ihr Blick sofort auf ihn gefallen war.

Oder vielleicht doch nicht? Durch seine Größe und seine elegante Erscheinung hob er sich von den anderen Menschen in der Flughafenhalle ab. Auch seine gebieterische Haltung, verbunden mit einem Hauch von Arroganz, trug dazu bei, dass er auffiel.

Als Ellen jedoch zu ihm hinübersah, lächelte er ganz plötzlich – ein verstecktes, gewinnendes Lächeln, das seinen dunkelbraunen Augen Wärme verlieh. Ellen lächelte zurück. Zwar war seine Einladung nach Rio eindeutig als Versöhnungsgeste zu verstehen, doch ihre Erinnerungen an ihr letztes Zusammensein verunsicherten sie.

Sie deutete mit den Lippen ein „Hallo“ an und winkte ihm zu.

Roberto blickte kurz nach links und rechts, als wollte er sich vergewissern, dass sie auch wirklich ihn meinte, dann nickte er.

Sie reihte sich wieder in die Schlange der Ankommenden ein und schob den Caddy am Absperrseil entlang. Nach dem Nachtflug, der über elf Stunden gedauert hatte, ging es jetzt nur schleppend voran.

Ellen sah erneut zu Roberto hinüber. Noch immer ein Lächeln auf den Lippen, hatte er sich in ihre Richtung gedrängt, um sie zu begrüßen, und sie bemerkte, dass er sie dabei von oben bis unten mit unverhohlenem männlichen Interesse musterte.

Ellen zog den rutschenden Gurt ihrer schweren Kameratasche hoch. Die üppige Fülle ihres weißblonden Haars und ihre gertenschlanke Figur zogen oft die Blicke der Männer an, obwohl sie es nie darauf anlegte. Endlich hatte sie das Ende der Absperrung erreicht und schob ihren Gepäckwagen in Robertos Richtung.

Mit seinem dichten dunklen Haar, seinem römischen Profil und seinem gutgeschnittenen Kinn strahlte Roberto eine große Anziehungskraft aus. Sie erinnerte sich, dass er vor zehn Jahren ein fast hübsch zu nennender junger Mann gewesen war, doch sein jetziges Gesicht, das inzwischen von einer gewissen Reife geprägt war, gefiel ihr besser.

Je näher Ellen ihm kam, desto schneller schlug ihr Herz. In Robertos Blick sah sie mehr als nur sexuelle Begierde. In diesem Blick lag etwas, das tiefer ging. Sie glaubte, in ihm eine geistige Übereinstimmung und Seelenverwandtschaft zu erkennen.

„Ich hab’s geschafft“, verkündete Ellen außer Atem.

Roberto zog die Augenbrauen hoch. „Sie sind wirklich eine entschlossene junge Dame“, sagte er.

Er hatte einen tiefen, weichen Bariton. Durch seine Studienzeit in Cambridge war sein Englisch perfekt, bis auf seinen südlichen Akzent, der unglaublich sexy war.

„Das bin ich immer“, entgegnete Ellen.

Roberto sah sie amüsiert an. „So, und was geschieht nun als Nächstes?“, fragte er. Doch plötzlich beugte er sich ein wenig vor und murmelte etwas auf Portugiesisch. „Das bist ja du!“, rief er verblüfft aus.

Ellen musste vor Entrüstung tief Luft holen. Sie hatte geglaubt, dass er sie angelächelt habe, um sie willkommen zu heißen. Doch in Wirklichkeit hatte er sich für eine ihm völlig unbekannte blonde, junge Frau in einem pinkfarbenen T-Shirt und ausgewaschenen Jeans, die von irgendwo herkam, begeistert. Pure Begierde hatte seine Gefühle bestimmt, und ihre Vorstellungen von einer Seelenverwandtschaft waren lediglich die Auswüchse eines von der langen Reise überreizten Gehirns.

„Du dachtest wohl, ich wollte mich an dich heranmachen?“, fragte sie.

Roberto hob abwehrend die Hand. „Nun … ja.“

„Das gehört nicht zu meinen Angewohnheiten“, erklärte Ellen mit vernichtendem Blick.

Seine Mundwinkel zuckten belustigt. „Dann solltest du es vielleicht einmal versuchen. Ich kann dir eine überdurchschnittlich hohe Erfolgsrate garantieren.“ Er lächelte. „Aber ich bitte dich aufrichtig um Verzeihung“, fuhr er fort, „du siehst ganz anders aus als früher.“

Ellen lächelte nervös. Sie hatte sich in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich sehr verändert. „Bestimmt denkst du jetzt daran, dass ich bei unserem letzten Treffen Zahnspangen getragen habe und mit meinem Babyspeck zu kämpfen hatte.“

„Außerdem war dein Haar ganz kurz, und deine Kleidung war hoffnungslos zu weit und hing traurig an dir herunter. Und du hast noch kein Make-up benutzt.“

Ellen war erstaunt, dass er sich an solche Einzelheiten erinnerte. Nicht sehr schmeichelhafte Einzelheiten. „Ich wollte damals eben absolut natürlich sein“, verteidigte sie sich.

„Aber warum denn?“, fragte Roberto verwundert.

Ellen warf ihre weißblonden Locken nach hinten. „Als Teenager macht man eben solche Phasen durch“, erklärte sie wegwerfend.

„Aber jetzt bist du sechsundzwanzig“, sein Blick verweilte kurz auf ihren vollen Lippen und glitt dann über ihre Hüften zu ihren langen Beinen, „und hast einen traumhaft schönen Körper. Übrigens, mein Wagen steht draußen.“

Sein plötzlicher Themenwechsel erheiterte Ellen.

„Wenn du den Caddy hier stehen lässt, nehme ich dein Gepäck“, erklärte Roberto und warf sich bereits ihren Reisesack über die breite Schulter, während er ihren Koffer in die Hand nahm. „Bist du sicher, dass du für eine Woche genug eingepackt hast?“, fragte er mit ironischem Unterton, denn ihr Koffer war prall und schwer.

Ellen zögerte. Sollte sie ihm sagen, dass sie vorhatte, länger hierzubleiben? Doch das konnte sie später immer noch tun, schließlich war sie gerade erst angekommen. Also lenkte sie ab. „Ich hatte einen herrlichen Flug“, berichtete sie, als sie zum Ausgang gingen, „und ich konnte einen kurzen Blick auf die große Heilandsstatue werfen, bevor das Flugzeug landete. Es war atemberaubend! Der Blick auf die Stadt, die nahen Berge, das Meer und die Inseln vor der Küste – einfach wunderbar!“ Sie musste sich beeilen, um mit Roberto Schritt zu halten.

„Ich habe mir schon immer gewünscht, Rio zu besuchen, besonders in der Karnevalszeit. Also vielen Dank für deine Einladung. Das war wirklich sehr großzügig! Ich bin noch nie erster Klasse gereist und …“

„Noch nie?“, unterbrach er sie verwundert.

„Nein. Es war herrlich, so verwöhnt zu werden.“

„Ich bin froh, dass es dir so viel Spaß gemacht hat.“ Roberto dirigierte Ellen aus dem Flughafenterminal hinaus zu einem Platz, auf dem in wildem Durcheinander viele Autos abgestellt waren. Sie gingen an schnittigen, gepflegten Limousinen vorbei, an klapprigen Kleintransportern, an einem ganzen Schwarm von gelben Volkswagen-Käfern, die hier offensichtlich als Taxis dienten, bis sie plötzlich vor einem funkelnden scharlachroten Wagen mit schwarzem aufklappbaren Verdeck standen.

„So, hier wären wir.“ Roberto öffnete den Kofferraum und stellte ihr Gepäck hinein.

Ellen streckte ihre Arme in die Luft und reckte sich wohlig. „Es ist schon richtig warm hier“, bemerkte sie und genoss die sanfte Brise auf ihrer nackten Haut.

„Ein idealer Tag für den Strand“, stimmte Roberto zu.

„Aber du musst doch arbeiten?“, fragte sie zögernd.

„Das stimmt. Ich habe eine sehr wichtige geschäftliche Verabredung, die ich auf keinen Fall versäumen darf. Deshalb kann ich dich nur kurz nach Hause bringen und muss dich dann bis zum Abend allein lassen.“

„Das macht nichts“, beruhigte ihn Ellen. „Schließlich bin ich inzwischen eine erwachsene Frau.“

Roberto ließ den Blick bewundernd über ihren Körper gleiten. „Das sehe ich“, sagte er leise.

Ellen drehte sich herum und ging zur Beifahrertür. Ganz unbewusst hatte sie die Schultern gestrafft, als sie zu Roberto gesprochen hatte. Dadurch wurden die Rundungen ihrer hohen Brüste besonders hervorgehoben, und Robertos Aufmerksamkeit war geweckt. Sein bewundernder Blick löste in ihr ein aufflackerndes Gefühl von sinnlicher Befriedigung aus.

„Ich werde auch morgen und am Freitag beschäftigt sein“, fuhr Roberto fort, als er sich geschmeidig auf den Fahrersitz gleiten ließ, „aber danach bin ich frei. Das Büro schließt wegen des Karnevals.“

Ellen setzte sich neben ihn. Sie hatte nicht auf die Automarke geachtet, aber dieses Kabriolett war ein Traum auf Rädern, die Form der Karosserie war weich und fließend, die Lederpolster waren magnolienfarben, und in das Armaturenbrett aus glänzendem Mahagoniholz waren ein Telefon und ein Bordcomputer eingebaut. Ellen griff hinter sich und legte ihre unförmige Kameratasche auf den Rücksitz.

„Ich habe immer geglaubt, die Firma der Moreiras sei in Sao Paulo“, sagte sie, während sie den Sitzgurt befestigte.

„Die Hauptniederlassung der Moreira-Eisenerz-Company ist auch dort.“ Roberto zögerte kurz. „Aber vor einigen Jahren gründete mein Vater diese Firma in Rio, und ich muss jetzt sehen, wie ich mit diesem Problem fertig werde. Seit Monaten bin ich nun mindestens zwei Tage in der Woche hier.“

Als er seinen Vater erwähnte, bekam Ellens Gesicht einen traurigen Ausdruck. „Ich war so bestürzt, als ich den Brief erhielt, in dem du mir schriebst, dass Conrado gestorben sei. Das muss ein furchtbarer Schock gewesen sein.“

„Ja, das war es“, gab Roberto zu. „Conrado war erst sechzig Jahre alt und schien sich ausgezeichneter Gesundheit zu erfreuen“, berichtete er und ließ den Motor an. „Doch dann bekam er diese Herzattacke, und in wenigen Minuten war alles vorbei.“

„Es tut mir so leid“, sagte Ellen leise, und plötzlich schimmerten Tränen in ihren blauen Augen. „Er war ein wundervoller Mensch.“ Sie schluckte. „Ich mochte ihn sehr.“

„Ach, wirklich?“, fragte Roberto, während er nach hinten über die Schulter sah, um besser aus der engen Parklücke herauszukommen.

Zwischen Ellens Augenbrauen erschien eine steile Falte. Robertos Frage hatte sarkastisch und beißend geklungen, so als glaubte er ihr nicht.

„Dein Vater hat mir viel bedeutet. Wann hatte er den Herzinfarkt?“

Roberto schaltete in den ersten Gang, und begleitet vom leisen Surren des Motors machte der Wagen einen Satz nach vorn wie ein kraftvoller Panther.

„Letzten September“, gab er zur Antwort.

„Im September?“, wiederholte Ellen überrascht.

Roberto hatte vor vierzehn Tagen geschrieben, deshalb hatte sie angenommen, dass sein Vater erst einige Wochen vorher gestorben sei.

Roberto nickte. „Hast du Vivienne informiert?“, fragte er.

„Ja, das habe ich, und sie bat mich, dir ihr tiefstes Mitgefühl zu übermitteln.“

„Vielen Dank. Wie geht es ihr?“

„Meiner Mutter geht es gut.“ Ellen zögerte. Sie war sich darüber klar, dass sie sich jetzt auf sehr unsicherem Boden bewegte. „Vor drei Jahren hat sie wieder geheiratet. Ihr Mann ist Franzose, und sie leben auf seinem Schloss in der Nähe von Toulouse.“

„Dann ist sie bestimmt überglücklich?“ Wieder hatte seine Stimme diesen sarkastischen Unterton.

„Sie ist zufrieden“, entgegnete sie vorsichtig.

„Es ist also nicht die große Liebe ihres Lebens?“

„Nein. Sie und Bernard sind schon seit vielen Jahren gute Freunde gewesen, und das wird auch immer so bleiben“, erwiderte Ellen und hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.

„Wie schön für sie“, bemerkte Roberto.

Ellen runzelte die Stirn. Robertos kurz angebundene Art passte aus ihrer Sicht nicht zu diesem Gespräch. Er schien verärgert, und sie hörte aus allem, was er sagte, eine unausgesprochene Missbilligung heraus. Ellen überlegte. Vielleicht gab es in der Vergangenheit etwas, das ihm jetzt noch zu schaffen machte?

Nein, jetzt sah sie wirklich schon Gespenster. Selbst wenn Conrado seinem Sohn etwas erzählt hätte, worüber dieser schockiert gewesen wäre, so blieb Roberto doch ein Mann von Welt. Er hätte sie niemals eingeladen, die Ferien in Rio zu verbringen, wenn er nicht die Absicht gehabt hätte, das Kriegsbeil zu begraben und ihr als Freund gegenüberzutreten. Robertos Verärgerung musste also eine andere Ursache haben. Aber welche?

Ellen beobachtete den dichten, ständig wachsenden Verkehr. Sie waren genau in den morgendlichen Berufsverkehr hineingeraten, und die Fahrt kostete sie vermutlich mehr Zeit, als Roberto ursprünglich eingeplant hatte.

„Da drüben ist der Zuckerhut“, sagte er plötzlich.

Ellen sah hinaus. Sie hatten eine Allee erreicht, gesäumt von Palmen und akkurat geschnittenem Rasen. Zwischen den auf der linken Seite stehenden Gebäuden konnte man das türkisblaue Meer schimmern sehen. Rechts stiegen sanfte Hügel empor, auf denen weiße Häuser mit roten Dächern standen. In der Ferne sah sie durch den Morgendunst einen kleinen Berg. Dünne schwarze Fäden schienen ihn mit einem tiefer gelegenen Hügel zu verbinden, und dazwischen schimmerte im Sonnenschein eine kleine Seilbahn.

„Ich wollte schon immer mit einer Seilbahn …“ Erst in diesem Augenblick bemerkte Ellen, was um sie her vorging, und sie umklammerte erschrocken den Sicherheitsgurt.

Die Autos schoben sich auf der zweispurigen Allee aneinander vorbei, als sich ein altes, verbeultes Taxi, das von einem lässig wirkenden Mann mit einer tief in die Stirn gezogenen Baseballmütze und grüner, verspiegelter Sonnenbrille gefahren wurde, zwischen sie und den neben ihnen fahrenden Mercedes drängte. Der Spielraum zwischen ihnen und dem Taxi betrug nur wenige Zentimeter. Ellen saß stocksteif in ihrem Sitz. Nur der Geschicklichkeit und den guten Nerven Robertos hatten sie es zu verdanken, dass es zu keinem Zusammenstoß kam.

Roberto musste lächeln. „Jetzt weißt du, warum so viele berühmte Rennfahrer aus Brasilien kommen“, bemerkte er beiläufig.

„Ich weiß jetzt auch, warum es in Brasilien so viele Staus und Auffahrunfälle gibt“, erwiderte Ellen und dachte dabei an einen Unfall, von dem Robertos Vater ihr einmal erzählt hatte. Sie traute sich kaum zu atmen. Aus dem heruntergekurbelten Fenster des Taxis ertönte laute Sambamusik, und zu ihrem Entsetzen begann der Fahrer, dazu rhythmisch hin- und herzuschaukeln. „Ich bin nicht den weiten Weg hierher geflogen, um bei einem Übungsrennen für den Grand Prix umzukommen.“ Sie versuchte, witzig zu sein, aber ihre Stimme klang zittrig.

Roberto griff nach Ellens Hand. „Du musst keine Angst haben, Querida“, beruhigte er sie, führte ihre Finger an seine Lippen und küsste sie.

Für einen Augenblick war ihre Furcht verschwunden. Ihr Herz klopfte dumpf, als er mit seinem Mund ihre Hand berührte.

Sie zog sie zurück. „Mir wäre es lieber, wenn du das Steuer mit beiden Händen festhieltest.“ Sie zitterte noch immer.

„Gut, wie Madame befehlen.“ Roberto lachte und kam ihrem Wunsch nach.

Unmittelbar danach verlangsamte das Taxi seine Fahrt und fuhr jetzt hinter ihnen.

Ellen faltete die Hände fest in ihrem Schoß. Beruhige dich, sagte sie zu sich selbst. Du reagierst übertrieben. Selbst wenn Roberto mich „Querida“ genannt hat, was übersetzt so viel wie „Liebling“ heißt, so war doch sein Kuss nicht mehr als die charmante, aber übliche Geste eines Brasilianers. Es hatte gar nichts zu bedeuten. Trotzdem blieb die sexuelle Anziehungskraft bestehen, und sie spürte, wie es zwischen ihnen knisterte. Sie hatte das Aufflackern in seinen Augen bemerkt und fühlte gleichzeitig ihre eigene Reaktion in dem schmerzhaften Ziehen in ihren Brüsten. Ein Schmerz, der plötzlich das heftige Verlangen in ihr auslöste, mit Roberto zu schlafen.

Ellen hielt den Atem an. Eigentlich wurde sie nicht so schnell zum Opfer solcher Begierden. Vermutlich war der lange Flug daran schuld, dass ihre Hormone ihr einen Streich spielten.

„Du möchtest also mit der Seilbahn fahren?“, unterbrach er ihre Gedanken. „Und was würdest du außerdem gern tun?“

„Ich würde gern auf den Corcovado fahren, um die Christusstatue aus der Nähe zu sehen“, antwortete Ellen bereitwillig, dankbar für diese sachliche Unterhaltung. „Außerdem möchte ich die berühmten Strände besuchen und …“

Sie zählte eine ganze Reihe von Orten auf, die sie aus ihrem Reiseführer ausgesucht hatte. Roberto schlug ihr noch weitere Ausflugsziele vor und gab ihr wertvolle Informationen.

„Ich nehme nicht an, dass dein Vater noch einmal geheiratet hat?“, bemerkte Ellen, als sich ihr Gespräch über die Ausflugsmöglichkeiten erschöpft hatte. Sie hatte die Frage nur zögernd gestellt. Schließlich wollte sie nicht zu tief in der Vergangenheit wühlen und Dinge zutage fördern, die besser begraben blieben.

Roberto blinzelte in die Sonne. „Doch, er hat wieder geheiratet.“

Auf Ellens Gesicht erschien ein Lächeln. „Das ist ja wunderbar! Das freut mich wirklich!“ Sie zögerte, und ihr Ausdruck verfinsterte sich. „Hatten Conrado und seine Frau denn genug Zeit füreinander, bevor er starb?“

„Sie hatten mehr als neun Jahre.“

„Neun Jahre?“, wiederholte Ellen erstaunt.

„Conrado heiratete, kurz nachdem die Beziehung zu deiner Mutter …“ Roberto zögerte, als suche er nach einem passenden Ausdruck. „… zu Ende gegangen war.“

„Ich hatte gehofft, dass er eine neue Liebe finden würde, aber ich hatte meine Zweifel. Auf jeden Fall hätte ich mir nie vorgestellt, dass es so schnell passieren würde.“ Eine Weile war Ellen still und nachdenklich. „Wie ist seine Frau – seine Witwe – denn?“, fragte sie neugierig.

„Yolanda ist wie die meisten Brasilianerinnen brünett. Sie ist viel jünger als Conrado – und ganz anders als Vivienne.“ In Robertos Stimme hatte sich wieder ein scharfer Unterton eingeschlichen.

„Aber nun ist Conrado tot“, sagte sie traurig, „und seine Frau muss vor Schmerz außer sich sein.“

Roberto bog von der Allee in eine Straße, die sich zwischen den aufragenden Klippen zu der dicht bebauten Innenstadt schlängelte. „Yolandas größte Sorge sind die Kinder“, erklärte er.

„Dein Vater hatte also noch mehr Kinder?“

„Drei.“ Robertos Gesichtsausdruck war ernst gewesen, aber jetzt lächelte er. „Luiz, der jetzt neun Jahre alt wird, und die zwei kleinen Mädchen, Julia und Natalya, die sieben und sechs Jahre alt sind.“

Ellen zog die Augenbrauen hoch. Die Überraschungen kamen wirklich gebündelt und schnell hintereinander, obwohl die letzte Nachricht eigentlich nicht so erstaunlich war. Schließlich hatte sie gewusst, wie sehr Conrado, der Witwer gewesen war, immer gehofft hatte, dass seine Familie noch wachsen möge und Roberto kein Einzelkind bliebe.

„Die Kinder haben ihren Vater sehr früh verloren“, sagte Ellen voller Mitgefühl. „Mein Vater starb auch, als ich noch ein Baby war …“

„So lang ist das schon her?“, unterbrach Roberto sie. „Das habe ich gar nicht gewusst.“

„Ich war ein Jahr alt und habe deshalb gar keine Erinnerung an ihn“, sagte sie wehmütig und sah durch das Wagenfenster auf die Straße vor ihnen.

Der Berufsverkehr schien immer chaotischer zu werden. Rote Ampeln wurden ständig ignoriert, die Spuren unentwegt gewechselt, fahrlässig abgestellte Fahrzeuge bildeten immer wieder eine Gefahr für die Vorbeifahrenden, doch der Verkehrsfluss geriet trotz allem nicht ins Stocken.

„Bist du verheiratet?“, fragte Ellen, während sie weiterfuhren.

Sie warf einen kurzen Blick auf seine Hände – er trug keinen Ehering. Aber das hatte nichts zu bedeuten, wenn man sein Aussehen, seinen Sex-Appeal und sein Vermögen zusammennahm, stellte Roberto de Sa Moreira einen höchst begehrenswerten Mann dar.

„Nein“, antwortete er.

„Lebst du mit jemandem zusammen?“

„Momentan nicht, auch wenn ich es früher getan habe.“ Auf Robertos Gesicht erschien ein Lächeln. „Und ich hatte bereits verschiedene Geliebte.“

„Viele, nehme ich an“, warf Ellen mit einem scharfen Unterton ein.

„Da irrst du dich, ich bin schließlich kein Frauenheld“, korrigierte er sie und wirkte leicht beleidigt. Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Aber ich bin fünfunddreißig Jahre alt und habe ganz normale Bedürfnisse.“

„Du meinst also, längere Beziehungen reizen dich nicht, sondern nur kurze Affären.“

„Ich meine damit, dass ich bisher noch nicht die richtige Frau gefunden habe.“

„Bitte erspar mir derartige Klischees“, seufzte Ellen.

„Es ist wahr“, sagte er sanft.

„Darf ich fragen, was du dir unter der ‚richtigen Frau‘ vorstellst?“

Roberto dachte einen Augenblick nach. „Ich möchte eine Frau, die intelligent und sexy ist. Eine Frau, die ihre eigenen Interessen hat, denn ich möchte nicht, dass sie nur durch mich und für mich lebt. Sie muss unbedingt treu sein, so wie ich ihr treu sein werde. Aber im Moment …“ Er zuckte die Schultern. „Ich bin erwachsen und allein, ist es in diesem Fall ein Verbrechen, hin und wieder Spaß an Sex zu haben? Wenn es um dieses spezielle Thema geht, verhalten sich die Menschen häufig schizophren. Sie sind verrückt nach Sex, trotzdem haben sie diesbezüglich die unterschiedlichsten Schuldkomplexe. Leute wie du zum Beispiel.“

„Wie kommst du auf mich?“, fragte Ellen abwehrend.

„Wir würden wohl kaum dieses Gespräch führen, wenn du nicht so eine prüde, zugeknöpfte Engländerin wärst.“

Ellen verzog das Gesicht. Ihre Freunde und Arbeitskollegen hatten sie schon oft geneckt und ihr gesagt, wie aufsehenerregend ihr Liebesleben sein könnte, wenn sie die Gelegenheiten, die sich ihr ständig boten, endlich wahrnehmen würde. Es war ärgerlich, nun feststellen zu müssen, dass auch Roberto in ihr das sittsame, anständige Mädchen sah. Sie hatte ganz normale körperliche und sexuelle Bedürfnisse, nur war sie etwas zurückhaltender als andere Frauen.

„Wo sind wir hier?“, fragte sie, bewusst das Thema wechselnd.

Nachdem sie durch die Straßen der Innenstadt gefahren waren, wo Bürohäuser aus den Fünfzigerjahren mit alten Kirchen und modernen Einkaufspassagen konkurrierten, hatten sie eine T-förmige Straßenkreuzung erreicht, und vor ihnen lag glitzernd das Meer.

Roberto sah kurz zu ihr hinüber und sagte nur „Copacabana“.

Ein prickelndes Gefühl ergriff Ellen. Der Strand, der sich über eine Länge von zwei oder drei Meilen in sanftem Bogen in der Ferne zu verlieren schien, strahlte einen magischen Zauber aus. Auf der dem Land zugewandten Seite gab es viele Straßencafés, elegante Geschäfte und Hotels, hinter denen prunkvolle, mächtige Wolkenkratzer aufragten. Auf der anderen Seite führte ein breiter, mit schwarzen und weißen Mosaiken ausgelegter Gehweg zu einem perlweißen Sandstrand von schier unermesslicher Weite.

Es war erst neun Uhr vormittags, aber das Strandleben war bereits voll im Gang. Jogger kamen von beiden Richtungen, Jugendliche spielten schwungvoll Volleyball, sparsam bekleidete Sonnenanbeter rieben sich mit Sonnenöl ein. Die Vermischung der vielen Rassen hatte Hautfarben in allen Schattierungen hervorgebracht.

„Hier in Brasilien sagt man, dass die ‚Paulistas‘ in Sao Paulo arbeiten und Steuern zahlen, während die ‚Cariocas‘ in Rio Samba tanzen und sich am Strand vergnügen“, erklärte Roberto.

Ellen lachte. „Und hier ist der Beweis. Es war übrigens nicht ganz leicht für mich, so kurzfristig hierherzukommen“, fuhr sie fort, wobei sie von einer Seite zur anderen sah, so als wolle sie die herrliche Aussicht um sich her tief in sich aufnehmen, „aber ich danke dir nochmals dafür, dass du mir diese Ferien ermöglicht hast.“

„Eigentlich müsstest du Conrado dafür danken.“

„Conrado?“, fragte sie erstaunt.

„Er hinterließ mir einen Brief, in dem er mir mitteilte, dass du dir schon immer gewünscht hättest, einmal Rio zu sehen“, erklärte Roberto.

Ellens Mundwinkel zuckte. „Als du mir schriebst, hast du also lediglich seine Anordnungen befolgt.“

„Nein, ich bin auf seine Anregung eingegangen“, verbesserte Roberto sie.

Ellen blickte unverwandt zum Strand hinüber, obwohl sie ihn diesmal gar nicht wahrnahm. Zu erfahren, dass Roberto sie nur eingeladen hatte, weil er es als seine Sohnespflicht ansah, änderte alles. Das machte ihre Versöhnungstheorie mit einem Schlag zunichte.

Ellen spürte heiße Wut in sich aufsteigen. Sie fühlte sich herabgesetzt und hintergangen. Hätte sie nicht diesen Ärger empfunden, wäre sie bestimmt in Tränen ausgebrochen.

„War es auch Conrado, der dir die Anweisung gab – verzeih, den Vorschlag machte –, mir ein Ticket erster Klasse zu schicken und …“ Sie sah aus dem Wagenfenster, als sie gerade am Copacabana-Palace-Hotel vorbeifuhren, das wie eine riesengroße weiße Geburtstagstorte aussah. „… und mich in einem Fünfsternehotel unterzubringen?“ Ein dünnes Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen. „Vielleicht hat er in seinen Brief auch noch ein Bündel Geldscheine hineingelegt, damit es dir leichter fällt, für meine Ferien aufzukommen?“

Roberto nahm seine Sonnenbrille ab und blickte sie scharf an. „Die Reise erster Klasse war meine Idee, und ich finanziere alles selbst.“ Er klappte seine Brille zusammen und steckte sie in seine Westentasche. „Und du wirst nicht im Hotel wohnen, sondern bei mir.“

„Bei dir?“ Ellen hörte, dass ihre Stimme viel zu hoch klang. Sie versuchte, in einer etwas tieferen Tonlage weiterzusprechen. „Wo bei dir?“

„In dem Apartment, das ich hier in Rio gemietet habe. Dort gibt es zwei Schlafzimmer und reichlich Platz.“

„Aber …“

„Als ich dich anrief, um dir die Flugzeiten durchzugeben, erwähntest du, dass du sehr intensiv an deiner Karriere arbeitetest. Also nahm ich an, dass du keinen Ehemann hast, der dagegen Einspruch erheben könnte. Und ich bezweifle auch, dass du mit einem Liebhaber zusammenlebst.“ Roberto sah spöttisch zu ihr hinüber.

Autor

Elizabeth Oldfield
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