Rivalen um Josie

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Josie kann sich nicht entscheiden. Kein Wunder! Wann erhält man schon zwei Heiratsanträge auf einmal? Allerdings stellt Rory sich als Schürzenjäger heraus. Und ob Bruce wirklich aus Liebe um ihre Hand anhält? Eher scheint er dringend eine Frau zu brauchen, um sein Erbe antreten zu können. Was soll sie nur tun?


  • Erscheinungstag 19.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757182
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Bruce McKenna fühlte ein leichtes Vibrieren unter den Sohlen seiner abgetragenen Cowboystiefel. Er hielt in der Arbeit inne und senkte die Heugabel. Während er angestrengt lauschte, ließ er die Augen durch die geöffnete Stalltür über das weite Land schweifen. Das Vibrieren wurde stärker, aber weit und breit war nichts zu sehen. Es klang wie ein näher kommender Tornado oder eine Viehherde oder …

Natürlich! Bruce McKenna warf die Heugabel achtlos zur Seite und lief nach draußen. Ein menschlicher Wirbelwind namens Sky Buchanan trieb sein Pferd die Zufahrt entlang. Kopf und Schultern waren vornübergebeugt.

Bruce fluchte leise, als er buchstäblich in letzter Sekunde das Gatter aufriss, damit Sky, immer noch in halsbrecherischem Tempo, hindurchpreschen konnte.

„Verflucht, Buchanan“, brummte Bruce, als Sky ein paar Zentimeter vor dem Stall zum Stehen kam. „Es kommt der Tag, an dem ich das Gatter nicht rechtzeitig aufkriege. Dann darf ich deine Überreste vom Holz abkratzen.“

Sky schwang sich aus dem Sattel und grinste. „Du scheinst nicht gerade bester Stimmung zu sein. Hat es Schwierigkeiten mit dem Testament gegeben?“

Nur das leise Schaben der Pferdehufe unterbrach die gespannte Stille.

Bruce nahm die Arbeit im Stall wieder auf. Seine Antwort war ein unverständliches Grunzen.

„Sag schon“, bohrte Sky. „Hat dein Vater dir nun die Ranch vermacht oder nicht?“

Bruce warf eine Heugabel voll Stroh in die Box. Ein Pferd wieherte. Bruce wusste, dass Sky ihn beobachtete. Und er wusste auch, dass sein bester Freund sich nicht von der Stelle rühren würde, bis er eine Antwort bekam. Sky war für seine Geduld ebenso bekannt wie Bruce für seine Entschlossenheit. Aber so verschieden die beiden auch waren, eins stand fest – sie konnten dem anderen ohne zu zögern ihr Leben anvertrauen.

Eine Zeit lang arbeitete Bruce wortlos weiter, doch dann spießte er die Heugabel in einen Strohballen und stützte sich darauf. „Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Er hat mir sozusagen ein Kuckucksei ins Nest gelegt.“

„Was soll das heißen?“

Bruce zuckte die Achseln. „Ganz einfach. Er hat mir im Prinzip alles vermacht – außer den einhundert Hektar Land am Sugar Creek.“

„Wie bitte? Aber …“

„Das ist noch nicht alles.“ Er sah den Freund an. „Die hundert Hektar bekomme ich nur, wenn ich bis zu meinem nächsten Geburtstag verheiratet bin.“

„Und wenn nicht?“

Bruce’ Blick verfinsterte sich. „Dann geht das fruchtbarste Stück Land der McKennas an die O’Gradys über.“

Sky fluchte selten. Er war der Ansicht, dass es kaum jemals einen Grund dazu gab. Aber jetzt machte er seinem Ärger Luft. „Eigentlich hätte man wissen sollen, dass der alte Mistkerl dir das Leben auch nach seinem Tod noch vermiest.“

Bruce ballte die Hände zu Fäusten. Die O’Gradys besaßen die größte Ranch im Umkreis von zweihundert Meilen. Und sie ließen keine Gelegenheit aus, den McKennas zu stecken, dass sie nur die zweite Geige spielten. Bruce hasste es, Zweiter zu sein. In jeder Hinsicht. Aber am meisten bei den O’Gradys.

„Hast du auch etwas gehört?“ Bruce horchte auf und blickte über die Schulter zurück in Richtung Stalltür.

Sky lauschte angestrengt. Die Arbeiter waren allesamt nach Pierre aufgebrochen, um das Wochenende zu feiern. Er hörte nur das Rauschen des Windes, und das war in South Dakota nichts Ungewöhnliches. „Du willst nicht vielleicht unauffällig das Thema wechseln?“

Bruce brummte vor sich hin.

„Keine Panik. Bis Juli hast du noch reichlich Zeit. Wir haben erst Anfang Mai. Du nimmst alles viel zu ernst.“

„Das ist ernst, verflucht. Überleg doch mal. Ein bisschen Ernsthaftigkeit würde dir auch ganz gut tun.“

„Ich bin ernst, aber nur, wenn es um etwas Wichtiges geht – um mein Pferd zum Beispiel oder um die Herde. Und ich bin ernsthaft dankbar dafür, dass Isaac McKenna nicht mein Vater war.“ Er drehte sich um und ging in Richtung Tür.

„Wo gehst du hin?“, rief Bruce ihm hinterher.

„Ich hole uns eine Flasche von dem Lieblingsrum deines Vaters, und dann kippen wir uns einen hinter die Binde und überlegen, wie wir die Sache anpacken.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas bringt, sich voll laufen zu lassen. Davon werde ich bestimmt kein glücklicher Ehemann.“

„Von ‚glücklich‘ war im Testament doch auch nicht die Rede, oder? Bin gleich zurück. Ich finde, du hast dir einen Schluck verdient.“

Bruce sah Sky nach, der auf das große, weiße Wohnhaus zuging. Isaac McKenna hatte das Haus und das angrenzende Land vor ungefähr vierzig Jahren gekauft, gleich nach seiner Hochzeit. Zehn Jahre danach hatte er noch einen Flügel anbauen lassen und das gesamte Gebäude mit einer Veranda umgeben. Kurz darauf war Bruce’ Mutter mit einem anderen Mann durchgebrannt.

Isaac hatte zwar mehr und mehr Land dazu gekauft, doch am Haus selbst wurde von jenem Tag an nichts mehr verändert. Es blieb nüchtern und ungastlich. Keine Blumenkästen vor den Fenstern, keine blühenden Büsche und Blumen im Vorgarten. Das Haus der McKennas war ein stattliches Haus, aber kein Zuhause.

Jetzt gehörte alles Bruce. Das Haus, das Land, die Tiere. Es gab da nur einen Haken – die Forderung im Testament seines Vaters.

Er ging um den Stall herum und setzte einen Fuß auf die unterste Latte des Zaunes. Am Horizont entdeckte er eine der besten Viehherden des Westens. Die Tiere waren auf dem Weg zum Wasserloch, wo sie die Nacht verbringen würden. Erst im Spätsommer würden sie sich zum Sugar Creek zurückziehen. Dort gab es auch in der trockensten Zeit noch genügend Wasser und Nahrung. Allerdings würden diese einhundert Hektar in diesem Spätsommer möglicherweise O’Grady gehören – wenn er, Bruce, nicht bis Juli eine Frau gefunden hatte.

Hoffentlich kam Sky bald mit der Flasche zurück.

Bruce schob den Hut in den Nacken und ließ sich den Wind durchs Haar wehen. Da waren Zäune zu flicken, Maschinen zu reparieren, um die Ernte musste er sich kümmern, und außerdem wurde es allmählich Zeit, die Jungtiere mit Brandzeichen zu versehen. Wo um Himmels willen sollte er da die Zeit hernehmen, sich nach einer Frau umzusehen?

In Jasper Gulch gab es sowieso keine alleinstehenden Frauen. Zumindest fast keine. Vor fünfzig Jahren hatten die ersten Frauen dem Ort den Rücken gekehrt, und in den letzten zwanzig Jahren schienen sie regelrecht die Flucht zu ergreifen. Man konnte es ihnen nicht verübeln. Die vielfältigen Angebote der Stadt waren mit Abstand verlockender als das Leben auf einer Ranch.

Vor ein paar Jahren hatte der Stadtrat in den Zeitungen inseriert, dass in Jasper Gulch verzweifelt Frauen gesucht würden. Ein paar Blätter hatten das Ganze zu einer Story ausgebaut, mit der Folge, dass ganze Busladungen voller neugieriger und heiratswilliger Frauen herkamen, um sich die braven Cowboys und Rancher anzusehen. Doch die meisten fuhren mit dem nächsten Bus wieder zurück. Ein Blick auf die mageren Ernten und die verstaubten Männer reichte ihnen.

Nur wenige hatten sich nicht abschrecken lassen. Sie hatten beim zweiten Hinsehen wohl doch Gefallen an den eingefleischten Junggesellen gefunden und waren inzwischen hier verheiratet.

Mal überlegen, wer überhaupt noch infrage kam.

Der Kies knirschte unter Skys Stiefeln. Er stellte sich neben Bruce an den Zaun, öffnete die Flasche und schenkte zwei Gläser ein. Eins davon gab er seinem Freund. „Auf Isaac McKenna.“

Bruce verzichtete zwar darauf, seinen Vater zur Hölle zu wünschen – wahrscheinlich kam er auch ohne sein Dazutun dorthin –, doch auf ihn anzustoßen, war entschieden zu viel verlangt.

Er kippte das feurige Getränk in sich hinein und fühlte, wie das Brennen sich in Richtung Magen ausbreitete. Dann hielt er Sky das leere Glas hin.

„Ich habe nachgedacht“, begann Sky, während er nachschenkte.

„Kaum zu glauben“, brummte Bruce. „Und zu welchem Schluss bist du gekommen, Buchanan?“

„Ich würde sagen, deine Lage ist nicht so hoffnungslos, wie es im ersten Augenblick den Anschein hat.“

„Und wie kommst du darauf?“

Sky betrachtete den Freund von oben bis unten. „Ich kann mir zwar nicht erklären wieso, aber ich weiß, dass die Frauen auf dich fliegen. Ein paar von ihnen meinen allerdings, dass du genauso kaltherzig bist wie dein Vater. Vielleicht solltest du daran arbeiten, dieses Vorurteil aus dem Weg zu räumen. Du könntest dir zum Beispiel gelegentlich ein Lächeln abringen.“

„Ich lächle manchmal.“

„Aber sicher“, erwiderte der große, schlanke Cowboy mit den schwarzen Haaren und den grünen Augen amüsiert. „Wann denn? Wann hast du zum letzten Mal gelächelt?“

Bruce starrte in sein Glas. „Es ist einfach schon eine ganze Zeit her, seit ich etwas zu lächeln hatte.“

Sky zog eine Augenbraue hoch. Der Punkt ging an ihn.

„In einem irrst du, Sky. Die Situation ist hoffnungslos.“

„Unsinn, nicht, solange es noch unverheiratete Frauen in Jasper Gulch gibt. Und ein paar sind immer noch da.“

„Aber nur eine Handvoll.“

„Zum Beispiel Crystal Galloway.“

„Was soll Crystal Galloway mit einem Mann? Die interessiert sich nur für akademische Grade.“

„Stimmt. Aber warum ist sie dann damals auf das Inserat hin nach Jasper Gulch gekommen? Weil sie einen Mann suchte.“

„Wen hast du noch auf Lager?“

„Tracy Gentry.“

„Tracy Gentry? Die ist ja kaum aus den Windeln.“

„Immerhin ist sie einundzwanzig“, entgegnete Sky empört. „Für einen verzweifelten Mann bist du ganz schön wählerisch, McKenna. Brandy Schafer brauche ich dann wohl gar nicht erst zu erwähnen. Soviel ich weiß, ist sie sowieso seit Kurzem mit Jason Trucker liiert. Da fällt mir noch Meredith Warner ein. Erinnerst du dich? Sie ist eine entfernte Verwandte von Wes Strykers. Aber offen gestanden bin ich in dem Fall selbst interessiert.“

„Bist du jetzt fertig?“ Bruce drehte langsam den Kopf und sah Sky an. Er hatte das Gefühl, dass der Rum allmählich wirkte.

„Noch nicht ganz. Es gibt noch eine unverheiratete Frau in Jasper Gulch“, fuhr Sky sichtlich erleichtert fort.

„Wen?“ Bruce trank das nächste Glas Rum in einem Zug.

„Josie Callahan.“

„Jo…“ Bruce hätte sich beinahe verschluckt.

„Sieh an, sieh an. Es verschlägt dir ja schon den Atem, wenn du nur ihren Namen hörst.“

„Josie Callahan?“ Bruce hustete. „Was Dümmeres konnte dir wohl nicht einfallen.“

„Was für ein Problem hast du mit Josie Callahan?“

„Sie ist scheu wie eine Maus und ungefähr genauso ansprechend. Außerdem lebt sie jetzt seit über einem Jahr in Jasper Gulch. Wenn sie heiraten wollte, hätte sie das schon getan.“

„Hast du eine bessere Idee?“

Bruce dachte an die zierliche Rothaarige mit der hellen Haut. Sie war genau der Typ, der interessiert die eigenen Schuhe betrachtete anstatt ihm in die Augen zu sehen, wenn er mit ihr sprach.

„Ja.“ Er hielt Sky sein Glas hin. „Habe ich. Gieß noch mal ein.“

Josie Callahan – lächerlich.

„Hoffentlich habe ich mich verrechnet!“ Josie Callahan addierte die Zahlen in ihrem Kassenbuch wohl zum dritten Mal. Doch sie wusste, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Ihre Rechnung stimmte haargenau. Ihre Einnahmen reichten hinten und vorne nicht, um die nötigen Ausgaben zu decken. Diese Tatsache war genauso wenig zu leugnen wie die Sommersprossen auf ihrer Nase.

Mist. Mist. Mist.

Jetzt nur nicht in Panik geraten. Leicht gesagt, wenn das Geld nicht ausreichte, um genug zu essen zu kaufen, geschweige denn die Miete und die angefallenen Rechnungen zu bezahlen.

Denk nach, Josie. Streng dich an.

Seit ihr Mann Tom vor zwei Jahren überraschend gestorben war und sie mit ihrer fünfjährigen Tochter Kelsey zurückgelassen hatte, war es immer weiter bergab gegangen. Josie war perfekt im Addieren und Subtrahieren, aber Planen war absolut nicht ihre Stärke.

Tom hatte immer gesagt, sie plane mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand. Und genau das hatte er an ihr geliebt. Nur so hatte es geschehen können, dass sie mit knapp neunzehn Jahren mit ihm vor dem Altar stand. Auch ihr Umzug nach Jasper Gulch vor einem Jahr war nicht mehr als eine Eingebung gewesen. Aus Vernunftgründen wäre sie niemals in diesem seltsamen kleinen Nest gelandet.

Dennoch bereute sie keine ihrer Entscheidungen. Tom geheiratet zu haben, war das Beste, was ihr jemals widerfahren war. Und jetzt wollte sie einfach nicht glauben, dass ihr Umzug nach Jasper Gulch ein Fehler gewesen war.

„Hab ich recht, Tom?“, flüsterte sie.

Du hast recht, Josie. Immer wenn sie verzweifelt war, wandte sie sich an Tom. Sie hielt Zwiesprache mit ihm, um Trost und Verständnis zu finden. Manchmal – so wie jetzt – glaubte sie tatsächlich, seine Stimme zu hören. Und das war gut so. Es war beruhigend, ihn in ihrer Nähe zu wissen.

Lächelnd schlug sie die frischgebackenen Brote in Zellophan ein. Gestern hatte er ihr beispielsweise den Vorschlag gemacht, wieder zu heiraten. Er wollte ihr sogar dabei helfen, den richtigen Mann zu finden. Josie hatte nur die Augen verdreht und gelacht. Konnte er ihr nicht lieber die Lottozahlen für die nächste Woche verraten?

Sie lächelte immer noch, als sie die Brote fertig verpackt ins Schaufenster legte. In Wirklichkeit wollte sie gar keinen anderen Mann haben. Seltsam nur, dass sie die Eingangstür zu ihrem Laden ausgerechnet seit gestern kaum noch aus den Augen gelassen hatte.

Es hatten einige Leute ihren Laden betreten. Unglücklicherweise schienen die Bewohner von Jasper Gulch nur zu ihr zu kommen, um untereinander den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Kaufen taten sie in ihrem kombinierten Bäcker-, Blumen- und Ramschladen allerdings nichts. Wenn sie Eintrittsgeld für das Betreten ihres Ladens verlangen würde, würde sie jetzt garantiert nicht in solchen Schwierigkeiten stecken. So jedoch blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzuhören und zu versuchen, die Sorgen um ihre Zukunft zu verdrängen.

Im Augenblick machte es ihr richtig Spaß, auf einen Wink von Tom zu warten. Allerdings war unter den Junggesellen, die in ihren Laden kamen, nicht einer, den sie sich als Ehemann vorstellen konnte.

Als die Glocke über der Tür klingelte, schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Ein breitschultriger, muskulös gebauter Mann kam herein. Josie schluckte, wich seinem Blick aus. Er war mit Abstand der Letzte, den sie heiraten wollte.

Bruce McKenna. Der ganze Mann war so hart wie sein Name. Er hatte dunkelbraune Augen, und sein Haar war noch dunkler. Obwohl er es länger trug, als es für die Männer in dieser Gegend üblich war, half das in keiner Weise, sein kantiges Gesicht weicher erscheinen zu lassen. Und was noch schlimmer war – jedes zufällige Zusammentreffen mit diesem Mann zerrte an ihren Nerven.

„Tag“, grüßte er und berührte die Krempe seines schwarzen Stetsons flüchtig mit dem Finger.

„Hallo, kann ich …“ Josie räusperte sich leise. „… kann ich Ihnen helfen?“

„Das hoffe ich.“

Josie wusste nicht, was sie nervöser machte, seine Antwort oder die Art und Weise, wie er sie anstarrte. Sein Blick war abschätzend und direkt.

„Was wünschen Sie?“ Sie bemühte sich um einen freundlichen geschäftsmäßigen Tonfall. „Brot, einen Strauß Blumen oder irgendetwas von den Spielwaren?“

Ja, was wollte er eigentlich? Bruce war sich selbst nicht mehr so sicher. Er kam näher und sah sich um. Sein Blick glitt über die Blumensträuße, das Brot, das im Schaufenster lag, und die Kiste mit den Gummibällen und den billigen Drachen aus Plastik.

„Mr. McKenna?“

Er kam noch einen Schritt näher und wollte gerade das Lächeln ausprobieren, das er zu Hause vor dem Spiegel geübt hatte, als eine Kinderstimme seine Aufmerksamkeit erregte. „Mit dem Malen bin ich fertig, Mama, was kann ich denn …“

Ein kleines Mädchen kam hinter dem Vorhang hervor, der den Laden vom hinteren Teil des Raumes trennte. Die Kleine hielt mitten im Satz inne, als sie Bruce bemerkte. „Hallo“, sagte sie und schenkte ihm ein unwiderstehliches Lächeln.

Das Kind mochte so etwa fünf oder sechs Jahre alt sein. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber sie war durch und durch ein Mädchen – vom Scheitel bis zu den abgelaufenen Tennisschuhen.

„Mama“, sagte sie, ohne Bruce dabei aus den Augen zu lassen. „Ich weiß ein Rätsel.“

„Ich habe Kundschaft, Liebling. Heb dir das Rätsel für später auf.“

„Möchten Sie es vielleicht hören?“ Der Augenaufschlag, mit dem sie Bruce bedachte, war so gekonnt, dass er vermutete, eine solche Begabung müsse angeboren sein. Vielleicht sollte Josie Callahan bei ihrer Tochter in die Schule gehen.

„Kelsey, ich glaube nicht, dass Mr. McKenna Zeit für solche Sachen hat“, schaltete Josie sich ein.

„Haben Sie Zeit?“

„Wie lang ist dein Rätsel denn?“

„Ganz kurz.“

„Okay. Schieß los.“

„Welcher Bus überquert den Ozean?“

„Der Airbus“, erwiderte Bruce wie aus der Pistole geschossen.

„Falsch! Falsch!“, rief Kelsey begeistert. „Es war der Kolumbus.“

Bruce verzog die Mundwinkel und erstarrte. Ein tiefes, kehliges Lachen schlug ihn in seinen Bann. Josie hatte sich zu ihrer Tochter hinuntergebeugt, das ungebändigte rote Haar fiel nach vorn. Wie hatte er nur denken können, sie wäre scheu und langweilig? Das Glucksen ging in ein überschäumendes Lachen über – und das war alles andere als schüchtern und zurückhaltend. Ihr Lachen war wunderbar – fröhlich und ausgelassen. Eine Frau, die so lachen konnte, war sicher auch im Bett umwerfend leidenschaftlich.

Bruce’ Kehle war mit einem Mal wie zugeschnürt. Josephine Callahan war vielleicht keine klassische Schönheit, aber wenn er sie jemals für farblos gehalten hatte, musste das daran gelegen haben, dass sie sich nicht wie andere Frauen ihres Alters mit Make-up vollklatschte. Das Grün ihrer Augen war unglaublich, und ihr Haar war von einem derart außergewöhnlichen Rot, dass es unmöglich gefärbt sein konnte. Darauf hätte er glatt seine Ranch verwettet.

Die Ranch. Ach ja, deswegen war er ja überhaupt gekommen. Deswegen und wegen Skys verrückter Idee, die ihm allerdings jetzt gar nicht mehr so abwegig erschien.

Josie wusste eigentlich gar nicht, wieso sie so lachen musste. Der Witz war ziemlich albern gewesen, und doch konnte sie kaum aufhören. Offenbar steckte ihr Lachen an, denn Kelsey konnte plötzlich auch nicht mehr an sich halten. Von einer Sekunde zur nächsten herrschte eine ganz merkwürdige Atmosphäre in dem kleinen Laden.

Nachdem Josie sich endlich beruhigt hatte, hob sie den Kopf und sah Bruce an. Als sie bemerkte, dass er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte, wandte sie den Blick hastig wieder ab. Sie schluckte. Er hatte sie angesehen, wie nur ein Mann eine Frau ansehen konnte. Und sie reagierte darauf. Ohne es zu wollen, suchte sie erneut seinen Blick.

Sie fühlte sich unbehaglich. Was geschah da mit ihr? „Wie wär’s mit selbst gemachtem Pie, Mr. McKenna?“, fragte sie.

„Eigentlich bin ich gekommen, um mit Ihnen zu reden.“ Er kam näher, und sein Blick blieb an ihrem Mund hängen, wanderte zu ihrem Hals, zu den Schultern … „Über etwas Wichtiges.“

Josie stockte der Atem. Sie fühlte sich noch unbehaglicher.

„Na gut.“ Sie räusperte sich. „Worum geht es?“

„Es ist eine private Angelegenheit.“ Bruce blickte vielsagend in Kelseys Richtung.

„Ich verstehe. Wenn es so privat ist, müssten Sie allerdings später wiederkommen. Kelsey geht gegen acht Uhr schlafen.“

„In Ordnung, dann heute Abend. Sie wohnen doch in dem Apartment über dem Laden?“ Wieder verwirrte sie sein abschätzender Blick.

„Ja, aber ich glaube nicht …“ Um Himmels willen. Wieso konnte sie sich nicht konzentrieren? Hilflos starrte sie in seine dunklen Augen. Ob er wohl jemals lächelte? Ihre Wangen wurden heiß. Wenn sie jetzt nicht höllisch aufpasste, würde sie noch rot werden. Warum sah er nicht endlich woanders hin?

Er zog seine Brieftasche aus der Hosentasche. „Ich hätte gern vier Brote.“

„Wie bitte?“

„Ich hätte gern vier von den selbst gebackenen Broten. Die sind doch zu verkaufen, oder nicht?“

Josie kam endlich wieder zu sich. „Ja. Natürlich.“ Froh darüber, etwas tun zu können, nahm sie die Brote aus dem Fenster und packte sie in eine Tüte. Dann tippte sie die Preise in die alte Registrierkasse ein.

„Das macht …“

Bevor sie ausreden konnte, hatte er ihr einen Zwanzig-Dollar-Schein in die Hand gedrückt und ging zur Tür.

„Warten Sie, Sie bekommen doch noch etwas zurück, Mr. McKenna.“

Er drehte sich langsam um. Seine Bewegung war gleichzeitig geschmeidig und kraftvoll, wie man es von einem echten Cowboy erwartete. Diese Mischung war so faszinierend, dass Josie regelrecht nach Luft schnappte.

„Behalten Sie’s.“

Er stand schon in der Tür, als ihre Augen sich trafen. Josie wurde schlagartig bewusst, dass er ganz genau wusste, was er tat. Und das verwirrte sie, weil sie keine Ahnung hatte, worum es hier überhaupt ging.

Sein Stetson war abgetragen, und auch die Stiefel sahen aus, als hätte er Tausende von Meilen in ihnen zurückgelegt. Dennoch sah man den Sachen an, dass sie teuer gewesen waren. Die McKennas konnten sich einiges leisten, während Josie sich fragen musste, wie sie das Geld für Kelseys Schuhe aufbringen sollte. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie ein Almosen annehmen würde.

Sie nahm das Wechselgeld aus der Kasse, ging zu ihm hinüber und gab es ihm, wobei sie sich die größte Mühe gab, jeden auch noch so geringen Körperkontakt zu vermeiden. „Lassen Sie sich das Brot gut schmecken, Mr. McKenna. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“

„Wiedersehen, Mr. McKenna!“, rief Kelsey.

Autor

Sandra Steffen
<p>Sandra Steffen ist in einer idyllischen Gegend aufgewachsen, die sie schon im jungen Alter zum Schreiben inspiriert hat. Später heiratete sie ihre Jugendliebe, und gemeinsam bekamen sie und ihr Mann vier Söhne, die Sandras erklärte Helden sind. Inzwischen haben diese ihrer Mutter auch schon bezaubernde Enkel geschenkt, um die sie...
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