Romana Exklusiv Band 251

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ZÄRTLICHE NÄCHTE IM PARADIES von LEE, MIRANDA
Was Frauen betrifft, lässt der Milliardär Nick Coleman nichts anbrennen. Nur Sarah ist für ihn tabu. Koste es, was es wolle - er ist ihr Vormund! Dabei begehrt er sie grenzenlos. Womit er nicht allein ist: Ihre Schönheit - und ihr Erbe - zieht die Verehrer magisch an …

IM SCHLOSS DES MÄRCHENPRINZEN von COLTER, CARA
Ihr Leben lang hat Prudence auf einen Prinzen gewartet, der sie mit seiner unendlichen Liebe verzaubert. Nun arbeitet sie auf dem Märchenschloss des attraktiven Adeligen Ryan - und sie spürt genau, dass er sich zu ihr hingezogen fühlt! Doch irgendetwas lässt ihn zögern …

IM STRANDHAUS DER LIEBE von MATHER, ANNE
Ihre sinnlichen Lippen, ihr glänzendes Haar - alles an Eve zieht den Unternehmer Jake Romero unwiderstehlich an. Auch wenn sie ihm die kalte Schulter zeigt. Jake bleibt nur eine Hoffnung: Wird er in seinem romantischen Strandhaus auf San Felipe endlich ihr Herz erobern?


  • Erscheinungstag 21.11.2014
  • Bandnummer 0251
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740139
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Miranda Lee, Cara Colter, Anne Mather

ROMANA EXKLUSIV BAND 251

MIRANDA LEE

Zärtliche Nächte im Paradies

Hat Sarah überhaupt eine Chance gegen die Supermodels, mit denen sich der erfolgreiche Geschäftsmann Nick Coleman umgibt? Auf einem Familienfest will sie Nicks Gefühle testen – und schürt damit seine Eifersucht! So sehr, dass er sie prompt ins Paradies entführt: in ein Luxushotel auf seiner Privatinsel. Um sie zu verführen? Von Liebe spricht er nicht …

CARA COLTER

Im Schloss des Märchenprinzen

Nur eine Frau wie Prudence – so schön und klug – hat Prinz Ryan auf seinem Märchenschloss im Fürstentum Shannonderry noch gefehlt! Natürlich ist sie nicht sein Eigentum. Aber wenn er ihr Herz im Sturm gewinnen kann, steht einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege. Außer er selbst. Denn seine Vergangenheit wirft dunkle Schatten auf ihr gemeinsames Glück …

ANNE MATHER

Im Strandhaus der Liebe

Als Eve den gut aussehenden Geschäftsmann Jake in seinem luxuriösen Strandhaus in der Karibik wieder trifft, beginnt für sie ein Spiel mit dem Feuer. Schließlich ist Jake nicht nur charmant, sondern auch überaus gefährlich! Nur zu gern würde sie seinen zauberhaften Verführungskünsten erliegen – doch auf keinen Fall darf er ihr Geheimnis durchschauen …

PROLOG

„Noch etwas Kaffee?“

Nick lehnte dankend ab, dann schaute er seinen ehemaligen Boss und langjährigen besten Freund aufmerksam an.

Sie saßen, wie so oft, wenn Nick in Sydney war, bei einem gemütlichen Lunch auf der Terrasse von Rays großzügiger Villa in Point Piper.

Ray zeigte sich begeistert, als Nick von seinem neuen Projekt erzählte – der Umgestaltung und Bebauung einer Insel zu einem exklusiven Ferienort –, und war ganz zuversichtlich, was den Erfolg anging. Er versprach ihm auch, bald einmal hinzufliegen und sich die Sache anzusehen.

Nick aber spürte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte dieses Gespür für Schwierigkeiten schon seit seiner frühsten Kindheit.

„Ist etwas nicht in Ordnung, Ray?“, fragte er ruhig.

Ray sah Nick an, und der Blick seiner grauen Augen verschleierte sich.

„Nichts Greifbares“, antwortete er dann zögernd. „Aber ich habe so ein Gefühl, als ob die Welt mich nicht mehr lange ertragen müsste.“

Nick war völlig verblüfft. „Warst du bei einem Arzt?“

„Ich war erst vor Kurzem bei einer Vorsorgeuntersuchung.“

„Und?“

Ray zuckte die Schultern. „Ich soll ein paar Pfunde abnehmen und weniger trinken.“

„Aber dir fehlt nichts Ernsthaftes?“

„Nichts, was sie hätten finden können.“

„Fühlst du dich unwohl?“

„Nein, nicht richtig. Aber niemand lebt ewig, Nick.“

Daher weht also der Wind, dachte Nick. Ray hatte seine Midlife-Crisis, die die meisten Männer bereits mit vierzig oder fünfzig durchmachten.

„Ich habe beschlossen, mein Testament zu ändern“, kündigte Ray nun an. „Das hätte ich schon nach Jess’ Tod machen sollen, aber ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen.“

„Du hast hoffentlich nicht vor, mir etwas zu vererben!“, warnte Nick. „Für mich hast du nämlich schon genug getan.“

Ray hatte ihm vor vielen Jahren die Chance seines Lebens gegeben – indem er dafür gesorgt hatte, dass Nick eine Ausbildung erhielt. Später hatte er ihn eingestellt, als niemand sonst ihn nehmen wollte. Und das war nur der Anfang gewesen. Ray hatte ihm alles beigebracht, was man wissen musste, um als Unternehmer in der Medienwelt erfolgreich zu werden. Im Gegenzug hatte er durch Nick die einzigartige Möglichkeit bekommen, in einen Film zu investieren, der Australiens bislang erfolgreichster Spielfilm geworden war.

Outback Bride war einer der Titel im Kino, den vorher niemand hatte produzieren wollen und von dem sich hinterher jeder wünschte, er hätte es getan. Ray hatte damit ein Vermögen gemacht, und bei Nick mit seinen mageren fünf Prozent Beteiligung waren immerhin noch über zwanzig Millionen Dollar gelandet.

„Ich dachte, du hättest gerne den Rolls“, sagte Ray. „Er fährt noch immer hervorragend. Ich weiß, dass die jungen Leute heutzutage Sportwagen bevorzugen, aber nichts kommt an einen Rolls-Royce heran.“

Nick lächelte. „Okay, dann vererb mir eben den Rolls.“ Mann, wie er dieses Auto liebte! In seiner Jugend hatte er unzählige Stunden damit verbracht, den Wagen zu waschen und zu polieren, und er hatte sich wie ein König gefühlt, wann immer er hinter dem Steuer saß. Der einzige Wermutstropfen war stets die Chauffeuruniform, die er damals tragen musste.

Nick konnte sie nicht ausstehen, ebenso wenig wie er die Art und Weise nicht leiden konnte, in der einige Leute ihn behandelten, wenn er die Uniform trug. Als wäre er ihnen untergeordnet. Aber das hatte er Ray nie erzählt.

Ray hatte ihn immer als ebenbürtig behandelt, was ihm wieder einmal bewies, dass Ray ein Mensch war, wie es sie nur selten gab. Nick hielt wirklich sehr große Stücke auf ihn.

„Ich möchte dich als meinen Nachlassverwalter einsetzen“, fuhr Ray fort. „Falls du nichts dagegen hast.“

„Nein, natürlich nicht. Mach ich gern für dich.“

„Gut. Außerdem sähe ich dich gern als Sarahs Vormund, bis sie fünfundzwanzig ist.“

Nick versteifte sich einen Moment in seinem Stuhl, bis er sich in Erinnerung rief, dass diese Vereinbarungen rein hypothetisch waren. Dass Ray vor seinem siebzigsten Lebensjahr starb, erschien ihm mehr als unwahrscheinlich.

Obwohl natürlich nichts unmöglich war. Sollte Ray durch einen unfassbar unglücklichen Zufall tatsächlich in naher Zukunft sterben, würde es für Nick reichlich kompliziert werden. Er war der einzigen Tochter seines Freundes aus dem Weg gegangen, seit sie vor ein paar Jahren zum Weihnachtsessen erschienen war und so ganz anders aussah als das dünne schlaksige Mädchen, das er bis dahin gekannt hatte.

Wie war das mit dem hässlichen Entlein, das zu einem wunderschönen Schwan wurde?

Wo kamen auf einmal diese sinnlichen Kurven her? Wo das lange, blond schimmernde Haar? Und dieser unglaublich aufreizende Gang?

Und ihre Augen!

Bis dahin hatte Nick an Sarahs Augen nichts Außergewöhnliches gefunden. Sie waren dunkelgrün, hatten die Form von Katzenaugen, oft lagen dunkle Schatten darunter, und zusammen mit den breiten geraden Brauen hatten sie ihrem Gesicht häufig einen erschöpften Ausdruck verliehen.

Jetzt plötzlich, mit gezupften Augenbrauen und dem richtigen Make-up, wirkten sie exotisch und umwerfend schön.

Nick schaute in diese Augen und wurde augenblicklich von einer Lust erfasst, die selbst ihm Schuldgefühle einflößte. Was noch viel schlimmer wurde, als Sarah ihn unter einem Mistelzweig erwischte und ihm einen Kuss gab, der ebenso süß und unschuldig war wie sie selbst, ließ man ihre erstaunliche körperliche Entwicklung einmal außer Acht.

Seine Reaktion auf ihren Kuss war alles andere als unschuldig. Es kostete ihn all seine Willenskraft, diesen süßen Mund nicht leidenschaftlich zu küssen.

Hätte sie nur den Hauch einer Ahnung gehabt, welch verbotenen Gedanken er hegte, sie hätte gewiss nicht so schwärmerisch zu ihm aufgesehen.

Da er sich gut genug kannte, wich er Sarah von diesem Tag an in weitem Bogen aus und besuchte Ray nur noch, wenn er wusste, dass sie in ihrem Internat war.

Mit Ausnahme vom Weihnachtsfest, dem Tag, an dem es ihn unweigerlich in das Haus zurückzog, in dem er sich respektiert und akzeptiert fühlte.

Doch nach der Episode unter dem Mistelzweig hatte er immer eine Freundin mitgebracht, was nur vernünftig war, da er Sarah mit jedem Jahr begehrenswerter fand.

Als er während des Gespräches jetzt von seinem Platz aus den Blick zum Pool schweifen ließ, kam ihm ein weiterer Zwischenfall in den Sinn.

Es war letztes Jahr Weihnachten gewesen. Sarah stolzierte die Treppen zum Pool hinab, von einem außerordentlich knappen, smaragdgrünen Bikini mehr ent- als verhüllt, was Nicks Testosteronspiegel in unermessliche Höhen trieb.

Er selbst war schon im Wasser, um sich an diesem unglaublich heißen Weihnachtstag abzukühlen. Dummerweise war Jasmine – seine damalige Freundin – nicht bei ihm, weil sie ihr Haar nicht nass werden lassen wollte.

Sarah hatte offenbar keine derartigen Bedenken. Sie sprang kopfüber in den Pool und tauchte verwirrend nah bei ihm wieder auf, ihre entzückenden grünen Augen funkelten vor Freude, während sie ihr Haar zurückstrich und ihn anlächelte.

„Lust auf ein Wettschwimmen?“, fragte sie und weckte damit die Erinnerung an die vielen Wettkämpfe, die sie einst ausgetragen hatten, als er der Chauffeur ihres Vaters gewesen war und sie noch ein Kind.

Doch sie war kein Kind mehr und er kein Chauffeur. Er konnte inzwischen jede Frau haben, die er wollte, nur nicht Sarah, die zwar aussah wie eine erwachsene Frau, jedoch noch längst keine war.

Aber zur Hölle … er begehrte sie in jenem Moment. Begehrte sie viel zu sehr.

In ihren Augen hatte er lesen können, wie verletzt sie war, als er eine lahme Entschuldigung murmelte und aus dem Pool kletterte. Und er spürte förmlich, wie sich ihre Blicke in seinen Rücken bohrten, als er nach einem Handtuch griff und sich entfernte.

Bis sie ebenfalls aus dem Pool gestiegen war, hatte er sich schon mit Jasmine zusammen aus dem Staub gemacht.

Seitdem hatte er Sarah nicht wieder gesehen.

Aber er würde sie häufig treffen, wenn Ray stürbe und er ihr Vormund wurde.

„Du machst nicht den Eindruck, als würde dir diese Aussicht gefallen“, sagte Ray. „Sieh mal, ich weiß, es ist viel verlangt, aber …“

„Ganz und gar nicht“, unterbrach Nick ihn eilig. „Du weißt, dass ich alles für dich tun würde. Ich frage mich nur, ob ich der Richtige für diese Aufgabe bin.“

„Warum? Weil du nicht weißt, wie es ist, Vater zu sein?“

„Unter anderem deshalb.“ Und weil ich genug damit zu tun haben werde, meine Finger von deiner Tochter zu lassen. Doch wie sollte er ihm das sagen?

Nick würde es nicht ertragen, wenn Ray ihn voller Abscheu ansehen musste. Es war ihm schrecklich wichtig, dass sein Mentor an ihn glaubte und ihm vertraute.

„Meinst du nicht, Flora und Jim wären besser geeignet?“

Flora war Rays Haushälterin und ihr Ehemann eine Art Hauswart; sie kümmerten sich schon seit ewigen Zeiten um den Besitz. Sie waren ein respektables Paar, kinderlos und ganz bestimmt ein besserer Elternersatz als ein ehemaliger Tunichtgut.

„Da kann ich dir nicht zustimmen, sie gehören nicht zur Familie.“

„Ich auch nicht.“

„Du bist wie ein Sohn für mich, Nick. Schau, ich weiß genau, was dich stört.“

Nicks Herz setzte einen Schlag aus. „Tatsächlich?“

„Ja. Man müsste schon taub, stumm und blind sein, um nicht zu bemerken, dass Sarah sich in dich verguckt hat. Vor Jahren schon. Aber sie wird darüber hinwegkommen, wenn sie erst das Internat hinter sich hat und die große, böse Welt kennenlernt. So wie sie aussieht, werden sich die Jungs um sie prügeln. Und vermutlich nicht nur Jungs. Auch Männer, die nicht allein aus sinnlicher Leidenschaft für sie entbrennen. Da kommt deine Lebenserfahrung sehr gelegen.“

„Ich weiß nicht genau, worauf du hinaus willst“, antwortete Nick und versuchte einen unerwarteten Anflug von Eifersucht niederzukämpfen. Er hatte, wenn er ehrlich zu sich war, nie darüber nachgedacht, wie er reagieren würde, wenn er Sarah mit einem Freund sähe. Oder, Gott bewahre, mit einem älteren Kerl …

Die Vorstellung gefiel ihm überhaupt nicht.

„Du kennst die Abgründe des Lebens“, erklärte Ray. „Und zwar aus erster Hand.“

Und habe mittendrin gesteckt, hätte Nick hinzufügen können.

„Du weißt, wozu manche Männer fähig wären, um an das Geld zu kommen, das Sarah eines Tages gehören wird.“

„Sicher.“

„Der Weg zum wahren Glück ist für eine Erbin sehr mühsam“, fuhr Ray fort. „Ich mag gar nicht daran denken, wie es ihr ergehen könnte, wenn ich nicht mehr bin und sie in ihrem zartem Alter viel zu viel Geld besitzt.“

„Ray, ich glaube, du sorgst dich umsonst. Wahrscheinlich wirst du hundert.“

Ray zuckte die Schultern. „Kann natürlich sein. Aber um sicherzugehen, werde ich mein Testament so abfassen, dass Sarah ihr Erbe erst antreten kann, wenn sie fünfundzwanzig ist. Bis dahin bekommt sie, was sie zum Leben braucht, und auch das nur so lange, bis sie einen Beruf gefunden hat und sich selbst versorgen kann.“

Nick runzelte die Stirn. „Das klingt ziemlich hart.“

„Ich halte nichts davon, Kindern derart große Summen an die Hand zu geben. Sarah soll lernen, dass Geld nicht an Bäumen wächst.“

„Was ist mit diesem Haus?“

„Ich lege fest, dass du hier mietfrei wohnen kannst, bis das Haus auf Sarah übergeht. Natürlich wirst du ihr gestatten, hier zu wohnen, wenn sie es möchte.“

„Ist dir klar, dass sie so ein Testament anfechten könnte?“

„Das wird sie nicht, es sei denn, sie fiele einem Halunken in die Finger. Deine Aufgabe wird es sein, mein kleines Mädchen vor solchen Männern zu beschützen, Nick. Vor Erbschleichern, Betrügern und sonstigen miesen Burschen.“

„Das ist vielleicht ein bisschen viel verlangt.“

„Ich vertraue dir voll und ganz. Du hast Sarah gern und bist intelligent und zynisch genug, um solche Kerle von ihr fernzuhalten.“

Nick zuckte zusammen. „Ich habe meinen Zynismus nie für eine Tugend gehalten.“

„Ist er auch normalerweise nicht, aber Sarah ist einfach zu vertrauensselig. Sie braucht einen Beschützer, der ihre Bewunderer argwöhnisch betrachtet und ihnen, wenn es sein muss, ohne mit der Wimper zu zucken einen Detektiv auf den Hals hetzt.“

Darüber musste Nick doch lachen. „Du willst also den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?“

Ray sah ihn überrascht an. „Sag nicht, du hältst dich noch immer für einen Halunken?“

Nick zuckte die Schultern. „Man kann vielleicht den Jungen aus der Gosse holen, aber du wirst niemals die Gosse aus dem Jungen herausbekommen.“

„Aber du bist kein Junge mehr. Du bist ein Mann – ein großartiger Mann. Ich kann gar nicht sagen, wie stolz ich auf dich bin.“

Nick wurde das Herz schwer. „Ich wünschte, du würdest aufhören zu reden, als könntest du jeden Moment tot umfallen, Ray. Du hast noch gut zwanzig Jahre vor dir.“

„Hoffentlich hast du recht. Aber wenn nicht, und ich … Versprich mir, dich um mein kleines Mädchen zu kümmern, bis sie fünfundzwanzig ist, Nick. Gib mir dein Wort.“

Er tat das Einzige, was er unter diesen Umständen tun konnte, er sah Ray in die Augen und gab ihm sein Wort. Doch tief drinnen hoffte und betete er, es werde nicht dazu kommen, dass er sein Wort je halten müsste …

Nick war erst seit drei Wochen wieder auf Happy Island, als er den Anruf von Rays Haushälterin bekam. Unter Schluchzen teilte Flora ihm mit, dass Ray in der Nacht von ihnen gegangen sei.

„Kannst du nach Hause kommen, Nick?“, bat sie ihn traurig. „Ich weiß, Ray hat dich als seinen Nachlassverwalter eingesetzt, er hat es mir erzählt. Auch, dass du Sarahs Vormund werden sollst.“

Nick schloss die Augen, von seinen Gefühlen übermannt. Schock. Trauer. Frustration.

Das Leben ist grausam und ungerecht, dachte er.

Allerdings hatte er das längst gewusst.

„Sarah braucht dich“, fügte Flora hinzu. „Sie hat sonst niemanden.“

Das stimmte. Ray und Jess hatten Sarah erst sehr spät bekommen, als sie ihren Kinderwunsch eigentlich schon aufgegeben hatten. Sarah war ein Einzelkind, und ihre Großeltern lebten alle nicht mehr. Ray hatte keine Geschwister und Jess’ einziger Bruder, das schwarze Schaf der Familie, kam nur vorbei, wenn er Geld brauchte. Das Ekel hatte nicht einmal an der Beerdigung seiner Schwester teilgenommen.

„Das arme Schätzchen ist völlig am Ende“, schluchzte Flora.

Nick wurde plötzlich klar, dass er sein Verlangen nach Sarah zügeln, einfach ignorieren musste, denn er wollte und durfte Ray nicht enttäuschen. Auch Sarah nicht. Das Letzte, was sie in ihrer Situation nun brauchte, war ein Beschützer mit Hintergedanken, ein Tunichtgut, der sich ihre Situation zunutze machte. Soweit Nick wusste, gehörte die Verführung Sarahs nicht zu den Dingen, die Ray von ihm erwartete.

„Ich werde sofort einen Flug buchen. Ist Sarah noch im Internat?“

„Ja.“

„Am besten bleibt sie dort, bis ich nach Hause komme. Und, Flora, mach dir keine Sorgen um die Beerdigung, ich werde mich darum kümmern.“

„Gott segne dich, Nick“.

Nick war sich nicht sicher, ob ihm jemals Gottes Segen zuteilwürde. Doch er hatte es auch nicht darauf abgesehen, sich der anderen Seite anzubiedern. Zum Teufel mit der Versuchung, wenn es um Sarah ging. Von diesem Moment an war sie in sexueller Hinsicht für ihn tabu.

Ray wollte, dass sie vor den Schurken dieser Welt beschützt wurde.

Nun, dachte Nick, das schließt mich mit ein!

1. KAPITEL

Sieben Jahre später …

Sarah sah Derek entgegen, als er mit einem Champagnerglas in jeder Hand zurück zu ihrem Tisch kam.

Während er noch an der Bar wartete, hatte sie sich gefragt, ob es richtig gewesen war, seine Einladung zu diesem Weihnachtsumtrunk anzunehmen.

Doch dann beruhigte sie sich. In den ganzen sechs Monaten, in denen er ihr persönlicher Trainer gewesen war, hatte er schließlich kein einziges Mal versucht, zudringlich zu werden oder die Grenze zwischen ihnen in irgendeiner Weise zu überschreiten.

Allerdings sah sie nun ein eindeutiges Funkeln in seinen Augen, als er ihr eines der Gläser reichte und sich hinsetzte.

„Das ist sehr nett von dir“, sagte sie vorsichtig.

Ihr sank das Herz, als er sie strahlend ansah.

„Ich bin nett“, erwiderte er. „Und nein, ich werde dich nicht anmachen.“

„Das habe ich auch nicht erwartet“, log sie, ehe sie erleichtert einen Schluck trank.

„Oh doch, hast du.“

„Na ja …“

Derek lachte. „Ich will nur ein wenig mit dir feiern, denn das hast du verdient nach all der harten Arbeit. Aber nimm dich über die Weihnachtstage in acht. Ich will nicht, dass du im Januar mit dem gleichen Gewicht zu mir zurückkommst wie vor sechs Monaten.“

Sarah verzog das Gesicht bei dieser Erinnerung. „Vertrau mir. Das wird mir nie wieder passieren.“

„Sag niemals nie.“

Kopfschüttelnd stellte sie ihr Glas auf den Tisch. „Ich habe viel nachgedacht, während du mir meine überflüssigen Pfunde wegtrainiert hast. Ich habe endlich den Grund für meinen Kummerspeck verstanden.“

„Also, wie heißt er?“

„Wer?“

„Der Grund für deinen Kummerspeck.“

Sarah lächelte. „Du bist ein sehr einfühlsamer Mann.“

Derek zuckte mit den Schultern. „Kein Wunder. Schwule Männer sind immer sehr einfühlsam in Herzensangelegenheiten.“

Beinahe hätte Sarah ihren Champagner verschüttet.

„Du hattest keine Ahnung, oder?“

Sarah starrte ihn über den Tisch hinweg an. „Himmel, nein!“ Selbst jetzt, da sie die Wahrheit kannte, konnte Sarah nichts eindeutig Schwules an Derek entdecken. So erging es wohl auch den anderen Frauen, die im Fitnessstudio trainierten; die meisten hielten ihn für einen Traummann.

Wenn sie auch zugeben musste, dass Derek sehr attraktiv war, fühlte sie selbst sich doch nie zu blonden Männern hingezogen.

„Also, da du jetzt weißt, dass ich nicht über dich herfallen werde“, fuhr Derek fort, „wie wäre es, wenn du meine Frage beantwortest? Oder willst du dein Liebesleben geheim halten?“

Sarah lachte. „Ich habe kein Liebesleben.“

„Was? Gar keins?“

„Seit einem Jahr nicht.“ Natürlich hatte sie schon Freunde gehabt, sowohl an der Universität als auch danach, aber es war immer schrecklich ausgegangen, sobald sie sie mit nach Hause brachte, um sie Nick vorzustellen.

Neben ihm verblassten ihre Freunde allesamt, und mit der Zeit war ihr klar geworden, dass sie niemals einen anderen Mann so sehr gewollt hatte wie Nick. Zudem besaß er das Talent, ironische oder hintersinnige Kommentare abzugeben, die immer wieder auf die Frage hinausliefen, ob ihr jeweiliger Freund sich wirklich für sie oder eher für ihr zukünftiges Erbe interessierte.

Dennoch glaubte Sarah nicht für einen Moment, Nick könnte sich aus persönlichen Motiven in ihre Beziehungen einmischen. Denn das würde bedeuten, dass es ihn ernsthaft interessierte, mit wem sie ausging. Das war aber offensichtlich nicht der Fall. Seit Nick ihr Vormund war, hatte er ihr überdeutlich gezeigt, dass er diese Aufgabe furchtbar langweilig fand und sie nur aus Zuneigung und Dankbarkeit ihrem Vater gegenüber ertrug.

Nun, natürlich tat er einiges für ihr Wohlergehen, doch von Anfang an hatte er jede Möglichkeit genutzt, sie an andere abzuschieben.

Das erste Weihnachten, nachdem sie die Schule beendet hatte, schickte er sie auf einen Überseeurlaub mit einer Freundin und deren Familie. Anschließend besorgte er ihr ein Zimmer auf dem Campus der Hochschule, wo sie Pädagogik studierte. Und als sie nach ihrem Abschluss an einer Vorschule im Westen Sydneys zu unterrichten begann, redete er ihr zu, sich dort eine Wohnung zu suchen, mit der Begründung, die tägliche Fahrt von Point Piper nach Parramatta würde sie viel zu viel Zeit kosten.

Zugegebenermaßen hatte er damit recht, und sie folgte seinem Vorschlag. Sie vermutete, er wolle sie so oft wie möglich aus dem Haus haben, um tun und lassen zu können, was er wollte und wann er es wollte. Zweifellos engte es ihn ein, sie in ihrem Schlafzimmer, zwei Türen von seinem eigenen entfernt, zu wissen.

Als notorischer Playboy verspeiste Nick Frauen sozusagen zum Frühstück und servierte sie mit atemberaubender Geschwindigkeit wieder ab. Jedes Mal, wenn Sarah nach Hause kam, hatte er eine andere Freundin am Arm und in seinem Bett, eine schöner und schlanker als die andere.

Sarah hasste es, Nick mit ihnen zu sehen.

Letztes Jahr hatte sie ihre Besuche auf Ostern, Weihnachten und die Winterferien beschränkt, denn in der Zeit war Nick zum Skifahren. Dieses Jahr war sie seit Ostern nicht zu Hause gewesen. Er beklagte sich nie über ihre Abwesenheit und akzeptierte ihre diversen Entschuldigungen äußerst bereitwillig. Wenn sie morgen zum Weihnachtsabend nach Hause führe, hatte sie ihn seit beinahe neun Monaten nicht mehr gesehen.

Und er sie nicht.

Der Gedanke an das Wiedersehen ließ ihr Herz heftig schlagen.

Was für ein Trottel du doch bist, Sarah, schalt sie sich selbst. Nichts wird sich ändern. Es wird sich niemals etwas ändern. Hast du das immer noch nicht kapiert?

Sie musste sich endlich der Wahrheit stellen. Endlich aufhören, auf ein Wunder zu hoffen.

„Sein Name ist Nick Coleman“, erklärte sie Derek. „Er ist mein Vormund, seit mein Vater starb. Da war ich siebzehn, und ich habe mich in ihn verknallt, als ich acht war.“ Sie weigerte sich, das Gefühl Liebe zu nennen. Wie konnte sie auch in jemanden wie Nick verliebt sein? Er mochte ja, seit er zu ihnen gekommen war, außerordentlich erfolgreich geworden sein – auch finanziell –, doch er hatte sich dabei zu einem kaltblütigen und gefühllosen Casanova entwickelt.

Manchmal fragte sie sich, ob sie sich die Freundlichkeit, die er ihr entgegengebracht hatte, als sie noch ein Kind war, nur eingebildet hatte.

„Sagtest du acht?“

„Ja. An meinem achten Geburtstag stellte mein Vater ihn als seinen Chauffeur ein.“

„Chauffeur!“

„Das ist eine lange Geschichte. Aber eigentlich war nicht Nick an meinen Fressattacken schuld“, gab sie zu. „Es lag an seiner Freundin.“ Letztes Jahr Weihnachten hatte er nämlich eine mitgebracht, die förmlich an ihm klebte, ein umwerfend schönes, superschlankes Topmodel, neben dem jede andere Frau völlig unzulänglich wirkte.

Zutiefst deprimiert hatte Sarah an jenem Tag zum Lunch gleich zwei Portionen gegessen und sich später noch eine weitere geholt. Wenn sie aß, fühlte sie sich wenigstens vorübergehend besser.

Bis Ostern – ihrem letzten Besuch zu Hause – hatte sie zehn Kilo zugenommen. Nick hatte sie nur angestarrt. Völlig entsetzt, vermutlich. Aber seine Freundin – dieses Mal eine fantastisch aussehende, ebenfalls superschlanke Schauspielerin – hielt sich nicht zurück, sondern machte einen sarkastischen Witz über die ständig steigende Zahl Fettleibiger in Australien. Spöttisch verzog Sarah die Lippen, als sie an das Ergebnis dachte: weitere fünf Kilo.

Irgendwann sah sie sich selbst auf einem Klassenfoto, zog endlich Bilanz und suchte bei Derek Hilfe.

Jetzt saß sie hier, gertenschlank, durchtrainiert, ohne auch nur ein einziges Gramm Fett am Leib und mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein.

„Nein, es waren zwei Freundinnen!“, fügte Sarah hinzu und erklärte Derek die näheren Umstände ihrer Beziehung zu ihrem Vormund und was sie dazu gebracht hatte, ein Fitnessstudio aufzusuchen.

„Erstaunlich“, meinte er, als Sarah fertig war.

„Was? Dass ich so fett geworden war?“

„Du warst niemals fett, Sarah. Hattest nur ein paar Kilos zu viel. Und schlaffe Muskulatur. Nein, ich meine, wegen deines Erbes. Du verhältst dich überhaupt nicht wie diese typischen reichen Weiber.“

„Ich bin ja auch nicht reich. Zumindest nicht, bis ich fünfundzwanzig bin. Mein Vater hat in seinem Testament sichergestellt, dass ich keinen Cent sehe, bis ich das erreicht habe, was er Reife nannte. Meine Ausbildung und mein Unterhalt wurden bezahlt, doch seit ich mein eigenes Geld verdiene, muss ich mich auch selbst ernähren – oder verhungern. Zuerst habe ich mich darüber geärgert, aber inzwischen verstehe ich seinen Standpunkt. Es ist nicht gut, wenn einem alles in den Schoß fällt.“

„Das kommt drauf an. Also, dieser Nick lebt im Haus deiner Familie, und zwar mietfrei?“

„Na ja, ja … mein Vater hat es in seinem Testament so verfügt.“

„Bis du fünfundzwanzig bist.“

„Ja.“

„Und wann ist es so weit?“

„Nächsten Februar. Am zweiten.“

„Und im gleichen Moment wirst du diesen Blutegel aus deinem Haus werfen und ihm sagen, dass du seinen erbärmlichen Hintern nie wieder sehen willst!“

Sarah blinzelte, dann lachte sie. „Du hast das völlig falsch verstanden, Derek. Nick ist auf die Wohnung nicht angewiesen. Er ist steinreich. Wenn er wollte, könnte er sich eine eigene Traumvilla leisten.“ Tatsächlich hatte er angeboten, ihre zu kaufen, aber sie hatte abgelehnt.

Sie wusste, dass das Haus für eine alleinstehende Frau viel zu groß war, doch es war die einzige Verbindung, die sie noch zu ihren Eltern hatte, und sie brachte es nicht fertig, sich davon zu trennen.

„Wieso ist dieser Nick so flüssig? Du sagtest, er war der Chauffeur deines Vaters.“

War ist das entscheidende Wort. Mein Vater nahm ihn unter seine Fittiche und zeigte ihm, wie man Geld macht, sowohl an der Börse als auch in der Geschäftswelt. Für Nick war es eine günstige Fügung, einen Mann wie meinen Vater zum Mentor zu haben.“ Sarah überlegte, ob sie Derek von Nicks Glück mit Outback Bride erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. Es könnte so aussehen, als hätte Nick seinen Erfolg nicht selbst erarbeitet. Was jedoch der Fall war. „Hast du schon mal Urlaub auf Happy Island gemacht?“, fragte sie stattdessen.

„Nein, aber ich kenne es.“

„Nick hat sich Geld geliehen und diese heruntergekommene Ferieninsel für einen Apfel und ein Ei gekauft, als sie sonst keiner haben wollte. Er plante und beaufsichtigte die Erschließungsarbeiten, ließ einen Flughafen auf der Insel bauen und verkaufte schließlich die ganze Chose an eine große Kapitalgesellschaft.“

„Glückspilz.“

„Dad sagte immer, Glück beginnt und endet mit harter Arbeit. Und er erklärte ihm außerdem, dass man nie reich wird, wenn man für andere arbeitet.“ Darum hatte Nick vor einigen Jahren seine eigene Filmproduktionsfirma gegründet. Auch davor hatte er schon Erfolge gehabt, Outback Bride jedoch schlug alles.

„Dein Dad hatte recht“, sagte Derek. „Ich hasste es derart, einen Boss zu haben, dass ich schließlich mein eigenes Fitnessstudio aufgemacht habe.“

„Das New You gehört dir?“

Derek warf ihr einen fassungslosen Blick zu. „Sag bloß, das hast du nicht gewusst!“

„Nein.“

Er lächelte, dass seine Zähne nur so blitzten. „Das nenne ich Tunnelblick!“

„Tut mir leid“, entschuldigte Sarah sich. „Manchmal bin ich ein bisschen introvertiert. Ich bin eher eine Einzelgängerin“, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. „Es fällt mir nicht leicht, Freunde zu finden. Ich schätze, das kommt daher, dass ich ein Einzelkind bin.“

„Ich bin auch ein Einzelkind“, räumte Derek ein. „Deshalb ist es umso schwerer für meine Eltern, zu akzeptieren, dass ich schwul bin. Keine Enkel, auf die sie sich freuen könnten. Ich habe es ihnen erzählt, als mir die Drängelei meiner Mutter, endlich zu heiraten, ein bisschen zu viel wurde. Mein Dad spricht seitdem nicht mehr mit mir“, fügte er sichtlich angespannt hinzu.

„Wie traurig. Was ist mit deiner Mum?“

„Sie ruft an. Aber sie will nicht, dass ich nach Hause komme, nicht einmal zu Weihnachten.“

„Oje. Vielleicht besinnen sie sich ja noch mal.“

„Vielleicht, ich werde nur nicht verbissen darauf warten. Mein Vater ist ein sehr stolzer und sturer Mann. Er nimmt nie eine Entscheidung zurück. Ach, zurück zu dir, Süße. Du bist völlig verrückt nach diesem Nick, nicht wahr?“

Sarahs Herz machte einen Satz. „‚Verrückt‘ beschreibt meine Gefühle für ihn ziemlich gut. Wenn ich in seiner Nähe bin, will ich nur noch ihn. Doch er will mich nicht. Und er wird mich niemals wollen. Das sollte ich allmählich akzeptieren.“

„Aber bestimmt nicht, bevor du nicht einen letzten Versuch wagst.“

„Wie meinst du das?“

„Du hast dir schließlich deine Pfunde nicht abtrainiert, weil ein verhungertes Model gesagt hat, du seist fett! Du willst Nick imponieren; er soll dich anziehend finden.“

Sarah mochte das nicht offen zugeben, aber natürlich hatte Derek recht. Sie würde alles dafür tun, damit Nick sie voller Begehren ansah. Wenigstens ein einziges Mal.

Nein, nicht einmal, sondern wieder. Denn sie war sich sehr sicher, dass sie schon früher Begehren in seinen Augen hatte aufblitzen sehen. Weihnachten, als sie sechzehn war und vom Pool zurückkam, in einem winzig kleinen Bikini, den sie mit dem Gedanken an Nick gekauft hatte.

Oder hatte sie sich diesen Moment nur eingebildet? Vielleicht redete sie sich in ihrer Verzweiflung ein, er habe sich einen einzigen Tag lang nach ihr gesehnt, ungeachtet seines sonstigen Verhaltens. Teenager neigen zu solchen Ausflügen in die Fantasie – und Vierundzwanzigjährige nicht weniger, dachte sie kläglich. Und so hatte sie die ganze letzte Woche damit verbracht, sich Kleidungsstücke zu kaufen, die selbst einen achtzigjährigen Mann in Wallung bringen mussten.

Das Problem war nur, Nick war nicht achtzig. Er war erst sechsunddreißig und sorgte mit aller gebotenen Aufmerksamkeit dafür, dass er keinen Hormonstau erlitt. Seine Schauspielerfreundin hatte er längst wieder abgeschossen und durch eine Werbeagentur-Chefin im Karrierelook ersetzt.

All das wusste Sarah, weil sie jede Woche zu Hause anrief. Flora setzte sie stets über sämtliche Ereignisse in Kenntnis, ehe sie das Telefon an Nick weiterreichte. Wenn er denn einmal zu Hause war! Dieser Partylöwe vergnügte sich oft genug anderswo mit unzähligen Freunden. Oder Kontakten, wie er es bevorzugt nannte.

Derek riss sie aus ihren Gedanken: „Ich nehme an, du verbringst die Weihnachtsferien zu Hause?“

„Ja“, antwortete sie seufzend. „Normalerweise fahre ich sofort bei Ferienbeginn heim, nur dieses Mal nicht. Aber morgen muss ich mich sehen lassen. Ich schmücke nämlich jedes Jahr den Weihnachtsbaum. Wenn ich es nicht tue, macht es keiner. Außerdem helfe ich Flora, einiges für den nächsten Tag vorzubereiten. Der Lunch wird normalerweise vom Partyservice geliefert, aber Flora kocht gern noch zusätzlich einige ihrer Spezialitäten. Sie ist unsere Haushälterin“, fügte sie hinzu, als sie Dereks fragenden Blick sah. „Sie ist schon ewig bei unserer Familie.“

„Zugegeben, deinen Nick hätte ich mir nicht mit einer Frau namens Flora vorstellen können.“

„Das stimmt! Nicks Freundinnen haben Namen wie Jasmine, Saphira oder Chloe.“ Chloe hieß seine aktuelle. „Aber nicht nur das“, fuhr sie giftig fort, „sie helfen nie. Immer erscheinen sie auf die letzte Minute, mit perfekten Fingernägeln und nicht erwähnenswertem Appetit. Es regt mich jedes Mal auf, wenn sie bei Tisch sitzen und an ihrem Mineralwasser nippen, ohne auch nur einen Bissen anzurühren.“

„Hmm.“ Dereks Kommentar war äußerst vage.

Sarah verzog das Gesicht. „Vermutlich denkst du, ich werde mich wieder furchtbar aufregen und mich zum Affen machen.“

„Nicht ganz unwahrscheinlich, so wie sich das anhört. Eigentlich habe ich aber gedacht, dass du bei diesem Weihnachtsessen jemanden an deiner Seite brauchst. Einen eigenen Freund.“

„Ach! Ich habe in den letzten Jahren schon hin und wieder Freunde mitgebracht“, informierte Sarah ihn trocken. „Im Handumdrehen hat Derek sie alle wie Idioten aussehen lassen – oder wie Mitgiftjäger.“

„Vielleicht waren sie das ja. Aber möglicherweise waren sie einfach nur zu jung und von der Situation vollkommen überfordert. Du brauchst jemanden, der älter ist, jemanden mit Stil, jemanden, der erfolgreich und weltgewandt ist und sich nicht durch deinen Playboyvormund aus der Fassung bringen lässt. Kurz gesagt, einen Mann, der das Objekt deiner Begierde aufhorchen und hinsehen lässt. Auf dich.“

„Die Idee gefällt mir. In der Theorie. Allerdings glaube ich trotz meines neuen Aussehens nicht, dass ich so einen Traummann auf den letzten Drücker auftreiben kann. Weihnachten ist schon in zwei Tagen.“

„In diesem Fall könnte ich dir aushelfen. Ich kenne da so ein Individuum, das an Weihnachten noch nicht weiß, wohin, und glücklich wäre, dir helfen zu können.“

„Du kennst so jemanden? Wen?“

„Du siehst ihn grade vor dir.“

Sarah blinzelte, dann lachte sie. „Du machst doch Witze. Wie kannst du mein Freund sein, Derek? Du bist schwul!“

„Das wusstest du nicht, bis ich es dir gesagt habe“, erinnerte er sie. „Dein Nick wird es ebenfalls nicht merken, erst recht nicht, wenn du mich als deinen Freund vorstellst. Normalerweise glauben die Leute, was man ihnen erzählt.“

Sarah starrte Derek an. Er hatte vollkommen recht.

„Also, was meinst du?“, fragte Derek mit einem schelmischen Glitzern in den Augen. „Eins kannst du mir glauben: Nichts erregt das Interesse eines Mannes an einer Frau mehr als die Aufmerksamkeit eines anderen Mannes.“

Noch immer zögerte sie.

„Wovor hast du denn Angst? Dass du Erfolg haben könntest?“

„Natürlich nicht!“

„Was hast du schon zu verlieren?“

Gar nichts, erkannte Sarah aufgeregt. Zumindest würde sie sich nicht so allein fühlen wie sonst oft an Weihnachten, besonders während dieses fürchterlichen Dinners.

Dieses Jahr würde sie nicht nur besser aussehen denn je, sondern an ihrer Seite wäre zudem noch ein ausgesprochen attraktiver Mann.

„In Ordnung“, sagte sie, und ein kleiner Schauer der Vorfreude lief ihr über den Rücken. „Du bist engagiert.“

2. KAPITEL

Sarahs positive Grundstimmung verflog, als sie am nächsten Morgen in die Einfahrt zur Villa Goldmine bog und Nicks roten Sportwagen vor den Garagen stehen sah.

„Verflixt“, murmelte sie, während sie die Fernbedienung für die elektrischen Tore drückte.

Sie hatte Nick beim Golfspielen vermutet, was er sonst jeden Samstag machte, ganz gleich, ob es regnete, hagelte oder die Sonne schien. Oder ob zufällig Weihnachten war.

Wäre ihr auch nur einen Moment in den Sinn gekommen, Nick könnte zu Hause sein, hätte sie eines ihrer neuen hübschen Sommerkleider angezogen – etwa das schwarz-weiße mit dem Neckholder-Top, in dem ihre schlanken, gebräunten Arme und Schultern so gut zur Geltung kamen. Nun trug sie verwaschene Jeans und ein gelb gestreiftes T-Shirt, genau richtig, um den Weihnachtsbaum zu schmücken, aber absolut falsch, um einen Mann zu beeindrucken. Besonders wenn der eine Vorliebe für Frauen hatte, die zu jeder Tageszeit aussahen, als kämen sie gerade aus dem Schönheitssalon.

Na ja, mit ein wenig Glück gelang es ihr vielleicht, ungesehen hoch in ihr Schlafzimmer zu huschen und sich umzuziehen, bevor sie auf Nick traf. Groß genug war das Haus schließlich.

Die Villa Goldmine war 1920 von einem wohlhabenden Erzgrubenbesitzer erbaut und seitdem immer wieder renoviert und modernisiert worden. Die Ziegelmauern trugen inzwischen einen weißen Verputz, was dem Anwesen zusammen mit den tiefen Bogenfenstern und den zahlreichen Balkonen ein mediterranes Flair verlieh.

Von der Straße aus sah man zwei Stockwerke, doch das Haus war an einem Hang gebaut. Es gab auf der Rückseite noch ein Untergeschoss, das mit seinen großen Fensterflächen einen wunderbaren Blick auf den Hafen von Sydney bot.

Genau genommen konnte man den Hafen von fast jedem Raum aus sehen – ein einzigartiges Panorama, das die Sydney Harbour Bridge und das weltberühmte Opernhaus einschloss. Außerdem zeigten alle Balkone im Obergeschoss zur Wasserseite, und das Schlafzimmer des Hausherrn ging in eine verglaste Veranda über, auf der exquisite Korbmöbel zum Verweilen einluden.

Die schönste Aussicht hatte man allerdings von der riesigen Gartenterrasse auf der Rückseite des Hauses, weshalb das große Weihnachtsessen jedes Jahr dort stattfand. Dann wurden lange Tische, beschattet von großen weißen Sonnensegeln, aufgebaut, an denen sich eine Unmenge von Gästen einfand. Seit Sarah sich erinnern konnte, war es nur einmal so heiß gewesen, dass man es draußen nicht aushalten konnte und alle im Haus essen mussten, im Wohnzimmer, dem einzigen Raum, der groß genug war, um die vielen Gäste zu fassen, die der Einladung auf Goldmine gern Folge leisteten.

Das erste Mal luden Sarahs Eltern vor fast dreißig Jahren zu diesem Essen ein, kurz nachdem sie das Haus gekauft hatten. Als seine Frau starb, mochte ihr Vater die Tradition nicht aufgeben, und seit dessen Tod führte Nick sie zu seinem ehrendem Gedenken fort.

Natürlich flüsterte eine kleine zynische Stimme in Sarahs Kopf ihr zu, dass das Weihnachtsdinner inzwischen eher ein Geschäftsessen als die Zusammenkunft von Familie und alten Freunden war. Auch heute würde es um wertvolle Kontakte gehen, und die meisten Gäste waren wahrscheinlich Geschäftsfreunde von Nick, deren Gedanken hauptsächlich darum kreisten, die nächste Million zusammenzuraffen.

Sarah war nicht so weltfremd zu glauben, dass Nick sich von diesen Leuten in irgendeiner Weise unterschied. Er mochte Geld ebenso sehr wie sie – wenn nicht mehr.

Bei diesem Gedanken fiel ihr ein, was Derek am vergangenen Abend gesagt hatte: Nick profitierte durchaus von seiner Position als Nachlassverwalter und Vormund, denn er lebte mietfrei in diesem Haus. Und auch wenn sie Nick in dieser Hinsicht verteidigt hatte, musste sie zugeben, dass es für ihn in gesellschaftlicher Hinsicht außerordentlich vorteilhaft war, in der Villa zu wohnen. Nicht wegen der Größe – einige Nachbarhäuser waren weitaus größer –, sondern wegen der Lage. Ganz ohne Zweifel standen ihm mit dieser Adresse sämtliche Türen der Businesswelt offen. Aus ebendiesem Grund wollte er ihr das Haus ja auch abkaufen.

Mittlerweile hatte Sarah die automatischen Tore passiert und parkte ihr Auto neben Nicks Sportflitzer. Sie war immer noch verblüfft, dass er nicht zum Golfen gefahren war.

Bei diesem Gedanken kam ihr das Geschenk in den Sinn, das sie für Nick gekauft hatte. Es war die Miniaturnachbildung einer Golftasche, aus feinstem rotem Leder handgefertigt. Darin steckten winzige Golfschläger aus Ebenholz, deren Schlagfläche aus echtem Silber bestand. Sie hatte es bei eBay erstanden, zu einem Preis von einigen Hundert Dollar, weit mehr, als sie sonst für Nick auszugeben pflegte. Doch auf den ersten Blick hatte sie gewusst, dass ihm die Miniatur gefallen würde.

Ob es ihm komisch vorkommen würde, wenn sie ihm ein so teures Geschenk machte?

Hoffentlich nicht.

Sie verzog das Gesicht, als ihr aufging, dass er es weitaus seltsamer finden würde, wenn sie kein Geschenk für ihren neuen ‚Freund‘ hätte. Himmel! Alles hatte sie mit Derek besprochen – wann er am nächsten Tag kommen und was er anziehen sollte, nur über Geschenke war kein Wort gefallen.

Sarah seufzte; ihr Vertrauen in diesen Plan verflüchtigte sich allmählich.

Nicht, dass das allzu viel ausmachte. Sie konnte ohnehin nicht ernsthaft erwarten, dass Nick sie ansah und plötzlich von einer Flut der Begierde überwältigt wurde. Warum sollte das auch gerade jetzt passieren, nach all den Jahren? Immerhin putzte sie sich nicht zum ersten Mal für ihn heraus. Das hatte sie in früheren Jahren auch schon getan, jedes Mal völlig erfolglos.

Vermutlich war sie einfach nicht sein Typ. Obwohl sie sich ihre Rundungen weitgehend abtrainiert hatte, würde sie niemals so aussehen oder so sein wie die Frauen, die er offenkundig bevorzugte: nicht bloß furchtbar dünn, sondern auch furchtbar schick und ebenso blasiert.

Eine Vorschullehrerin konnte bei ihm eben keinen Punkt machen, nicht einmal als zukünftige Erbin. Wenn ihn diese Erbschaft nicht sogar abstieß. Wahrscheinlich mochte er nicht daran erinnert werden, dass er seinen Erfolg nicht allein sich selbst verdankte. Oder daran, dass sie ihn schon gekannt hatte, als er noch ein Niemand war.

Seine Lebensgeschichte kannten seine wechselnden Freundinnen natürlich nicht.

Auch seine neueste Eroberung Chloe wusste mit Sicherheit weder von seinem Aufenthalt im Jugendgefängnis noch von der Großzügigkeit seines Mentors. Bestimmt stellte Nick ihren Vater als einen langjährigen Freund dar und erklärte damit seine Vormundschaft über sie.

Sarah akzeptierte diese harten Fakten mit gemischten Gefühlen. Ja, sie war enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert; denn ihr wurde klar, dass ihre Hoffnung, Nicks Aufmerksamkeit zu gewinnen, reine Selbsttäuschung war, die sie aus Verzweiflung aufrechterhielt. Der Plan würde nicht aufgehen.

Obwohl diese Erkenntnis sie schmerzte – wer sah schon gern seinen größten und sehnlichsten Wunsch wie eine Seifenblase platzen –, löste sie doch den Anspannungsknoten in ihrem Magen. Welches Kleid sie heute trug, spielte keine Rolle. Sie konnte sich entspannen und Nick völlig normal begegnen, was ihr in ihrer Verkrampfung, die sie ständig mit sich herumgetragen hatte, nicht gelungen wäre.

Am liebsten hätte sie auf der Stelle Derek angerufen und ihm abgesagt, doch sie hatte Flora schon gestern Abend darüber informiert, dass ein weiterer Gast kommen würde, ihr neuer Freund, und ganz bestimmt hatte Flora Nick beim Frühstück alles brühwarm erzählt. Flora war ein Schatz, aber sie liebte Klatsch und Tratsch.

Nein, es blieb ihr keine Wahl, als dieses Theaterspiel mit Anstand über die Bühne zu bringen.

Vermutlich bist du morgen sogar froh darüber, sagte Sarah sich selbst, während sie aus dem Auto stieg und den Kofferraum öffnete. Wenn man Floras Menschenkenntnis trauen konnte, musste Nicks Freundin eine grässliche Person sein. Sie hatte auf Sarahs Frage nur gemeint: „Überheblich. Karrierefrau.“ Um dann hinzuzufügen: „Ebenso hübsch wie die letzte, aber intelligenter. Und das weiß sie auch! Trotzdem wird sie nicht länger bleiben als die anderen. Sechs Monate ist viel für unseren Nick. Danach ist es vorbei und die nächste an der Reihe. Wenn der Junge sich jemals auf eine festlegt, fresse ich meinen Hut.“

Und ich mit! dachte Sarah und zog eine Grimasse, während sie ihre zwei großen Reisetaschen aus dem Kofferraum hievte.

Nick war definitiv kein Mann zum Heiraten; war er nie gewesen und würde er auch nie sein. Selbst Romantik war seine Sache nicht. Was Frauen betraf, ging es ihm lediglich um seine sexuelle Befriedigung.

Begann eine ihn zu langweilen, kam die Nächste an die Reihe.

Als Sarah zwölf war, schauten sie einmal eine Romanze im Fernsehen an, und danach gestand er ihr, dass er sich niemals verlieben könnte. Und er hatte zugegeben, nicht einmal zu wissen, wie dieses Gefühl war.

Sarah vermutete, seine Unfähigkeit, Frauen derartige Gefühle entgegenzubringen, resultierte daraus, dass er in seiner Kindheit nie Liebe erfahren hatte. Nick hatte höllisch unter dem Missbrauch seines trinkenden Vaters gelitten, ehe er mit gerade dreizehn fortgelaufen war, um auf der Straße zu leben, wo er sich um des reinen Überlebens willen gezwungen sah, ganz abscheuliche Dinge zu tun.

Was genau, wusste Sarah bis heute nicht, doch sie konnte es sich vorstellen.

Als er gerade achtzehn war, wurde er wegen Autodiebstahls zu zwei Jahren Haft verurteilt. Erst da erlebte er zum ersten Mal, dass jemand ihm freundlich begegnete und ihm echte Hilfe anbot.

Er war damals in ein Erziehungsprogramm für junge Häftlinge aufgenommen worden, wo er intensive Förderung bekam. Jemand erkannte Nicks hohe Intelligenz, ein Mann, der seit Langem einen Großteil seiner Zeit darauf verwendete, weniger vom Glück begünstigten jungen Menschen zu helfen. Nick war einer der erfolgreichsten Absolventen dieses Programms und konnte in Rekordzeit seinen Hochschulabschluss nachholen.

Der Wohltäter war Sarahs Vater gewesen.

„Sarah!“

Sarah erschrak fast zu Tode, als sie ihren Namen hörte.

Doch sie lächelte, als sie sah, wer sie angesprochen hatte.

„Hallo, Jim. Gut siehst du aus.“ Floras Mann war inzwischen über sechzig, doch er gehörte zu den drahtigen elastischen Typen, denen man das Alter nicht ansah.

„Wie viel Gepäck du hast, Mädchen!“, sagte er, während er auf sie zukam und die zwei großen Reisetaschen betrachtete. „Endlich für immer zu Hause, was?“

„Noch nicht, Jim. Hast du den Weihnachtsbaum gekauft?“

„Habe ich. Ein Prachtstück! Steht schon im Wohnzimmer am selben Fleck wie immer. Und die Lichterketten sind auch schon draußen aufgehängt.“

„Großartig, danke, Jim.“

Jim nickte. Im Gegensatz zu seiner Frau war er eher schweigsam. Am glücklichsten fühlte er sich, wenn er mit seinen Händen arbeiten konnte. Hingebungsvoll hielt er den weitläufigen Besitz in Ordnung, was allerdings nicht sonderlich viel Aufwand erforderte, seitdem ihr Vater sich nach einer Tokioreise für einen Garten im japanischen Stil begeistert hatte. Damals ließ er die traditionellen Blumenbeete und den Rasen einebnen und stattdessen wurden Kiespfade, Felsgruppen, Teiche und Wasserspiele angelegt, deren exotisches Flair von einzelnen bizarren Pflanzen und Bäumen unterstrichen wurde.

Zunächst war Jim nicht begeistert gewesen, doch mittlerweile schätzte er die einzigartige Schönheit und Ruhe des Gartens.

Sarahs Plan, unbemerkt durch die Garagen ins Haus zu schlüpfen, wurde zunichtegemacht, als Jim, ohne zu fragen, ihre Taschen nahm und mit dem Gepäck auf den vorderen Eingang zusteuerte.

Um ehrlich zu sein, hätte sie trotz ihrer klugen Einsichten eben gern schicker ausgesehen, wenn sie Nick gegenüberstand. Sein überraschtes Gesicht wäre der schönste Lohn für ihre ganze Schufterei im Fitnessstudio.

Seufzend nahm sie ihre Handtasche vom Beifahrersitz, schloss das Auto ab und folgte Jim, der längst am Eingang stand und geklingelt hatte.

„Ich habe Schlüssel dabei“, sagte sie und begann, in ihrer Tasche zu wühlen, doch in diesem Moment wurde die Tür geöffnet.

Nicht von Flora – sondern von Nick.

Wenn Sarah jemals froh darüber gewesen war, eine Sonnenbrille zu tragen, dann jetzt – nicht, weil sie Angst vor Nicks Reaktion hatte, sondern vor ihrer eigenen auf ihn.

Sie war so beschäftigt damit gewesen, sich über ihre eigene Erscheinung Gedanken zu machen, dass sie völlig vergessen hatte, wie umwerfend attraktiv sie ihn fand, besonders wenn er so sommerlich bekleidet war wie heute: nur knappe weiße Shorts und ein weißes Muskelshirt, das den strahlenden Ton seiner bronzebraunen Haut unterstrich.

Glücklicherweise waren ihre Augen hinter der Sonnenbrille verborgen, denn ihr Blick glitt sehnsüchtig über seine Gestalt.

Seine Lippen waren voll und sinnlich, und beim Lächeln blitzten strahlend weiße Zähne auf. Sein Mund allein hätte ihn einfach zu einem hübschen Burschen gemacht, wären seine Gesichtszüge nicht so auffallend maskulin und der Ausdruck seiner schwarzen Augen nicht so fest gewesen.

Das Einzige, was Sarah an ihm nicht gefiel, waren seine Haare, die er in ihren Augen viel zu kurz trug. Diese kurz geschorene Frisur ließ ihn einschüchternd wirken, was in der Businesswelt wahrscheinlich nicht das Schlechteste war.

„Hallo, Fremde“, sagte er, wobei er sie mit seinen dunklen Augen von Kopf bis Fuß betrachtete.

Nicht einmal ein Hauch von Bewunderung oder wenigstens Überraschung zeigte sich in seiner Miene. Einfach gar nichts. Null.

Das völlige Ausbleiben irgendeiner Reaktion – sie hatte zumindest ein Kompliment erwartet – machte Sarah wirklich wütend. Was, zur Hölle, sollte sie denn noch tun, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen?

„Danke, Jim, die nehme ich jetzt“, sagte Nick und griff nach Sarahs Reisetaschen.

„Ja, danke, Jim“, brachte auch Sarah hervor.

Jim nickte nur und wandte sich ab, während Nick bereits die Koffer genommen hatte und ins Haus ging.

Sarah hätte ihn schlagen können. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und konnte es plötzlich nicht mehr erwarten, bis sie endlich fünfundzwanzig wurde. Aus den Augen, aus dem Sinn – das war es, worauf sie setzte. Je eher Nick aus ihrem Leben verschwand, desto besser. Er war wie ein ständig bohrender Stachel in ihrem Fleisch! Wie konnte sie je ihren größten Wunsch – nämlich Kinder zu haben – erfüllen, wenn er ihr durch seine bloße Gegenwart immer alles verdarb? Nie würde sie glücklich werden können, solange sie zwanghaft jeden anderen Mann mit ihm verglich!

Sarah schloss die Tür hinter sich und sah, wie Nick schon mit ihren Sachen auf die Treppe zuging.

„Ich kann das selbst raufbringen.“ Sie musste dringend Abstand von diesem Mann gewinnen.

Unterbewusst hatte sie schon immer geahnt, dass ihre heimlich gehegten Wünsche sich niemals erfüllen würden, doch mit aller Klarheit zu erkennen, wie vergeblich ihre Fantasien waren, erschütterte sie zutiefst.

Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie abgenommen hatte.

Die ganze Mühe. Für nichts!

„Nicht der Rede wert“, warf er ihr über die Schulter hinweg zu und ging weiter die Treppe hinauf.

Eilig lief sie hinter ihm her. „Warum bist du nicht beim Golfen?“

„Ich wollte mit dir sprechen“, entgegnete er. „Vertraulich.“

„Worüber denn?“

Er ging weiter, ohne zu antworten.

„Worüber, Nick?“, wiederholte sie, als sie zu ihm aufgeholt hatte.

Auf dem Flur oben blieb er stehen, stellte ihre Taschen ab und drehte sich zu ihr um.

„Über Flora, unter anderem.“

„Was ist mit ihr? Sie ist doch nicht krank?“

„Nein, aber sie kann nicht mehr so arbeiten wie früher. Während des letzten Jahres kam sie nur noch schwer zurecht. Sie ist ziemlich erschöpft. Ich habe einen Reinigungsdienst bestellt, der jetzt zweimal in der Woche jemanden für die groben Arbeiten herschickt.“

„Das wusste ich gar nicht.“

„Wenn du hin und wieder mal nach Hause gekommen wärst, hättest du es vielleicht bemerkt“, sagte er trocken.

Damit hatte er recht, und es löste eine gehörige Portion Schuldgefühle in ihr aus. Sie musste zugeben, dass sie im letzten Jahr hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Sie hatte sich mit aller Energie ihrer Mission gewidmet. Einer ziemlich nutzlosen, wie sie jetzt wusste.

„Ich … ich war sehr beschäftigt“, versuchte sie sich zu entschuldigen.

„Mit deinem neuen Freund, nehme ich an?“, war sein nächster Kommentar, dieses Mal in einem sarkastischen Ton.

Sarah schnaubte verärgert. „Ich habe das Recht auf ein Liebesleben“, gab sie zurück. Sie nahm die Sonnenbrille ab und starrte ihn wütend an. „Du hast auch eins.“

„In der Tat. Aber daneben existieren für mich auch noch andere Dinge.“

Diese Bemerkung war so typisch für Nick, wenn es um ihre Beziehungen ging! Seine überkritischen Bemerkungen machten sie jedes Mal so wütend, dass sie sich nicht im Zaum halten konnte. Das war heute nicht anders als bei früheren Gelegenheiten.

„Derek und ich sind sehr verliebt. Das könnte dir natürlich nie passieren. Wenn man verliebt ist, will man jede Minute und jeden Tag miteinander verbringen.“

„Umso mehr überrascht es mich, dass du heute trotzdem hier bist“, erwiderte er scharf. „Oder wird dein Lover später noch auftauchen?“

Sarah errötete. „Derek arbeitet heute.“

„Was denn?“

„Er besitzt ein Fitnessstudio.“

„Ah, das erklärt es.“

„Erklärt was?“

„Deine Figur.“

Also hatte er es bemerkt! „Du sagst das, als wäre irgendetwas nicht in Ordnung damit.“

„Du sahst gut aus, so wie du warst.“

Sarah fiel die Kinnlade herunter. „Du machst Witze! Ich war fett!“

„Sei nicht albern.“

Sie verdrehte die Augen. Entweder war er blind oder er interessierte sich so wenig für sie, dass er sie nie richtig angesehen hatte.

„Vielleicht ist es dir nur nicht aufgefallen.“

Lässig zuckte er die Schultern. „Vielleicht nicht. Aber es ist schließlich nicht meine Aufgabe, dir zu sagen, was du tun sollst.“

„Wie schön, dass du das endlich begriffen hast.“

„Wie meinst du das?“

„Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft du dich in mein Leben und meine Beziehungen eingemischt hast. Wann immer ich einen Freund mitgebracht habe, hast du dir redlich Mühe gegeben, ihn dumm dastehen zu lassen. Und mich obendrein.“

„Ich habe nur getan, worum dein Vater mich gebeten hat, Sarah. Dich vor den geldgierigen Widerlingen dieser Welt zu beschützen.“

„Sie waren nicht geldgierig!“

„Natürlich waren sie das.“

„Das werde ich von nun an selbst beurteilen, vielen Dank auch.“

„Nicht bis zu deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Ich habe nicht die Absicht, dich noch im letzten Moment in die Hände eines Gigolos fallen zu lassen, der nur an deine Dollars denkt. Ich könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich das zuließe.“

„Huch. Bisher ist mir noch nicht aufgefallen, dass du wegen mir je schlaflose Nächte hattest.“

„Womit du vollkommen falschliegst, Schätzchen.“

Als ihre Blicke sich trafen, sah Sarah die geballte Wut in seinen Augen. Sie sog scharf die Luft ein, als ihr dämmerte, wie sehr er es die ganze Zeit über gehasst haben musste, ihr Vormund zu sein. Zweifelsohne würde er sehr erleichtert sein, wenn sie endlich fünfundzwanzig wurde und er seine Verpflichtung los war, die er nur ihrem Vater zuliebe auf sich genommen hatte.

„So viel Mühe habe ich dir doch nicht gemacht, oder?“ In ihrer leisen Stimme hörte man die Niedergeschlagenheit, die sie auf einmal empfand.

Obwohl sie nun endlich begriffen hatte, dass sie für Nick niemals attraktiv sein würde, hatte sie doch geglaubt, dass er sie im Grunde gern hatte. Nicht nur, weil sie die Tochter ihres Vaters war, sondern um ihrer selbst willen. Als sie noch jünger war, hatte er ihr oft gesagt, sie sei ein so tolles Kind. Er sagte, sie habe Charakter und ein gutes Herz. Sie hätten so viel Spaß miteinander, fand er und zeigte, dass er das ehrlich meinte, indem er den größten Teil seiner Freizeit mit ihr verbrachte.

Selbstverständlich war das schon ewig her, lange bevor er Erfolg im Geschäftsleben hatte. Je erfolgreicher er wurde, desto häufiger ignorierte er sie. Nach dem Tod ihres Vaters ging er ihr förmlich aus dem Weg. Da verkörperte sie offensichtlich nur noch eine Verantwortung für ihn, noch dazu eine, die er nicht nur öde, sondern obendrein lästig fand.

„Weiß er, wie reich du bald sein wirst?“

Sarah presste die Lippen aufeinander. Jetzt geht das schon wieder los, dachte sie verärgert.

Aber es hatte wohl keinen Sinn, zu lügen. Besser sie antwortete jetzt, sonst würde er Derek am Weihnachtstag einer hochnotpeinlichen Befragung unterziehen.

„Er weiß, dass ich erben werde“, gab sie ruppig zurück. „Aber er hat keine Ahnung, wie viel.“

„Es wird ihm klar sein, sobald er morgen hier aufkreuzt. Wer in dieser Straße lebt, muss mindestens Multimillionär sein. Im Nu wird er eins und eins zusammengezählt haben.“

„Derek ist kein Erbschleicher, Nick. Er ist ein sehr anständiger Mann.“

„Und woher weißt du das?“

„Ich weiß es einfach.“

„Mein Gott, du weißt gar nichts!“, schleuderte er ihr entgegen. „Dein Vater dachte, diese Form des Testaments könnte dich schützen. Stattdessen hat er dir nur Schwierigkeiten eingebrockt. Er hätte einen Großteil seines Geldes weggeben sollen, spenden oder so, aber es nicht in die Hände eines Mädchens wie dir geben sollen.“

„Was meinst du damit? Einem Mädchen wie mir?“

Er öffnete den Mund, überlegte es sich dann aber anders und schwieg. Schließlich nahm er ihr Gepäck auf und trug es in ihr Zimmer. Seine steife Haltung sagte alles. Kaum dass er die Taschen abgestellt hatte, trat er wieder hinaus auf den Flur.

„Lass uns später weiterreden“, sagte er mit der trügerisch ruhigen Haltung, die er in den Momenten annahm, wenn er Gefahr lief, die Nerven zu verlieren.

Über die Jahre hatte Sarah gelernt, diese Taktik zu ignorieren. Nick hasste es, wütend zu werden. Hasste es, die Beherrschung zu verlieren. Er zog es vor, sich ungerührt zu geben, sowohl beruflich als auch privat. Sie hatte ihn selten herumschreien gehört. Er fluchte nicht einmal mehr, so wie er es früher immerhin getan hatte.

Aber seine Körperhaltung sprach Bände, ebenso wie seine Augen.

Eine solche Offenheit lag längst nicht immer in seinem Blick. Manchmal konnte er völlig ausdruckslos dreinschauen; und nur wenn man ihn scharf beobachtete, sah man, kurz bevor der Vorhang fiel, was in ihm vorging.

„Lass uns gleich in der Küche frühstücken“, sagte er. „Danach können wir in mein Arbeitszimmer gehen und dort reden.“

„Nicht über Derek“, erwiderte Sarah. „Ich habe keine Lust, mir dein Genörgel über jemanden anzuhören, den du noch nicht einmal kennst.“

„Kein Problem. Aber es gibt noch genug andere Dinge, die ich mit dir besprechen muss. Ein paar wichtige Sachen, die dein Erbe betreffen. Ich will das alles vor Weihnachten erledigt haben.“

„Aber ich habe erst im Februar Geburtstag“, protestierte sie. „Das können wir doch noch während meiner restlichen Ferien erledigen!“

„Nein, können wir nicht. Ich werde nicht da sein.“

„Wo bist du denn?“

„Ich verbringe fast den ganzen Januar auf Happy Island.“

Sarah sank das Herz. Sicher, Nick besaß dort ein Ferienhaus, doch eigentlich benutzte er es zu dieser Jahreszeit nur selten.

„Flora hat nichts davon gesagt, als ich angerufen habe.“

„Vermutlich kam das Thema nie auf.“

„Wir haben immer noch die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr“, fuhr sie gereizt fort. Die Vorstellung, dass Nick so lange weg sein würde, behagte ihr überhaupt nicht.

„Ja. Aber in der Woche habe ich einen Gast. Und du möchtest ja bestimmt jede Minute und jeden Tag mit deinem neuen Freund verbringen. Also regeln wir besser alles vorher.“

„Heute muss ich aber den Weihnachtsbaum schmücken.“

„Du sollst mir nur ein paar Stunden überlassen, Sarah. Nicht den ganzen Tag.“

„Was ist mit heute Abend? Kann das nicht bis dahin warten?“

„Heute Abend muss ich Geschenke kaufen.“

Sarah seufzte. War es nicht typisch Mann, Geschenke auf den letzten Drücker zu besorgen?

„Komm schon“, sagte er knapp. „Lass uns runtergehen.“

„Ich muss erst ins Bad.“

„Gut“, meinte er mit einem Schulterzucken. „Dann gehe ich schon mal vor und sage Flora, sie soll das Wasser aufsetzen.“

Kopfschüttelnd blickte Sarah ihm hinterher. Derek hatte keine Ahnung, wie Nick wirklich war. Sich morgen zum Weihnachtsessen in Schale zu werfen und ihren angeblichen Freund anzuhimmeln, würde überhaupt nichts bewirken. Für Nick war und blieb sie nur eine Verpflichtung, die er im Februar mit Kusshand abgeben würde.

Plötzlich empfand sie auch eine Art Vorfreude. Sie war es so leid, sich von ihren Gefühlen für Nick verrückt machen zu lassen. Sie war es leid, auf etwas zu hoffen, das niemals eintreten würde.

Es wird Zeit, nach vorn zu sehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen, Mädchen. Zeit, dein eigenes Leben zu leben.

Eines, in dem Nick keine Rolle spielt!

3. KAPITEL

Flora schnitt in der Küche den selbst gebackenen Karamellkuchen auf, als Nick mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter hereinkam.

„War das gerade Sarah an der Tür?“, fragte sie.

„Ja. Sie ist gleich da. Du kannst schon das Teewasser aufsetzen.“

Flora stellte den Kuchen zurück in den Kühlschrank und stellte die Herdplatte an. „Schön, dass sie wieder da ist, nicht wahr?“

Nick schob sich auf einen der Hocker an der marmornen Küchentheke und stützte die Ellbogen auf. Finster sah er Flora an. „Du musst mir nicht deine Gedanken in den Mund legen, Flora.“

„Ach, komm, Nick. Du hast sie auch vermisst. Gib’s zu.“

„Gar nichts gebe ich zu. Ray muss verrückt gewesen sein, als er mich als ihren Vormund einsetzte. Ich mache drei Kreuze, wenn endlich Februar ist, das kannst du mir glauben.“

„Ja, es war eine große Verantwortung“, meinte Flora. „Besonders, wenn man das ganze Geld bedenkt, das sie erben wird. Was hältst du von ihrem neuen Freund? Denkst du, er meint es ehrlich?“

„Wer weiß das schon?“

„Es ist seltsam, dass sie ihn vor gestern Abend nie erwähnt hat, nicht? Ich frage mich, ob mit ihm etwas nicht stimmt.“

„Genau das habe ich auch gedacht. Vermutlich können wir nur abwarten.“

„Vermutlich“, stimmte Flora zu. „Also, wie sieht sie aus?“

„Wie meinst du das?“

„Sie hat mir gestern erzählt, sie hätte trainiert und abgenommen. Erzähl mir nicht, du hast das nicht bemerkt.“

„Doch, habe ich.“

„Und?“, fragte sie weiter, beinahe aufgebracht über Nicks knappe Antwort. Er war genauso schlimm wie Jim manchmal. Weshalb redeten Männer nur so ungern? Es wäre so nett, wenn Sarah wieder daheim wäre, dann hätte sie wenigstens ab und an jemanden zum Plaudern.

„Ich fand, sie sah vorher gut genug aus.“

„Ist das nicht typisch Mann? Sie wollen nie, dass die Frauen in ihrem Leben sich ändern. Ah, da ist sie ja. Komm her, Liebes, und lass dich umarmen.“

Sarah wurde ganz sentimental, als Flora sie fest in die Arme schloss. Wie lange war sie schon nicht mehr so herzlich gedrückt worden!

Nick hatte sie vorhin nicht umarmt. Nicht einmal zu einem Küsschen auf die Wange hatte er sich herabgelassen. Er berührte sie ohnehin nie, höchstens versehentlich.

Über Floras Schulter hinweg warf sie Nick einen Blick zu, doch er sah nicht zu ihr hin, sondern starrte schlecht gelaunt auf die dunkel glänzende Arbeitsplatte vor ihm.

Vermutlich wünschte er sich, er wäre beim Golfen.

„Meine Güte“, meinte Flora, während sie Sarah nun auf Armeslänge von sich hielt und sie aufmerksam betrachtete. „Du hast abgenommen, einige Pfunde, nicht wahr? Also, dann kannst du jetzt ganz ohne Schuldgefühle ein großes Stück von deinem Lieblingskuchen essen“, fügte sie hinzu, ehe sie den Kuchen wieder aus dem Kühlschrank holte. „Ich habe ihn heute in der Früh extra für dich gemacht.“

„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Unsinn. Was habe ich denn sonst zu tun? Weißt du, dieses Jahr wird das gesamte Weihnachtsessen von einem Partyservice gebracht! Nick behauptet, das alles wäre zu viel für mich. Ich darf nur ein paar mickrige Desserts machen. Ich bitte dich!“

Sie verdrehte die Augen und sah Sarah an, die bei sich dachte, dass Flora im vergangenen Jahr tatsächlich gealtert war. Ihr Haar war nun vollkommen ergraut, und ihr freundliches Gesicht hatte einige Falten mehr.

„Ich will mich nicht beschweren, Nick“, fuhr Flora fort. „Ich weiß, ich werde älter. Aber völlig nutzlos bin ich schließlich noch nicht. Einen Truthahn und einen schönen Schinken hätte ich allemal noch in den Ofen schieben können. Na, lassen wir das, es ist ja nicht mehr zu ändern. Nun komm, Sarah, setz dich hier neben Nick und erzähl uns von deinem neuen Freund, während ich den Tee mache.“

Widerwillig tat sie, was Flora gesagt hatte, ließ jedoch zwischen sich und Nick einen Stuhl frei.

„Was willst du denn wissen?“, fragte sie scheinbar unbekümmert.

„Wie alt er ist, zum Beispiel.“

Sarah hatte keine Ahnung.

„Fünfunddreißig.“ Das war geschätzt. Ein Jahr jünger als Nick.

Nick schaute sie an. „Sieht er gut aus?“

„Sehr, wie ein Filmstar.“

Fantasierte sie, oder hatten Nicks Augen wütend geblitzt, als sie das sagte?

„Wie lange kennt ihr euch schon?“, fragte Flora.

Sarah beschloss, weitestgehend bei der Wahrheit zu bleiben. „Wir haben uns kurz nach Ostern kennengelernt. Er war mein persönlicher Trainer.“

Nick gab ein leises spöttisches Schnauben von sich.

Sarah beachtete es nicht.

„Warum hast du ihn vorher nie erwähnt?“, fragte Flora.

Unmerklich zuckte Sarah zusammen. Ihr hätte klar sein müssen, dass Flora und auch Nick sie wegen Derek verhören würden. Sie sollte besser so wahrheitsgetreu antworten wie nur möglich, damit sie sich nicht in Lügengeschichten verstrickte.

„Wir waren nicht die ganze Zeit ein Paar“, antwortete sie. „Es hat sich erst kürzlich ergeben. Eines Abends nach dem Training lud er mich auf einen Drink ein, eins führte zum anderen und … na ja, was soll ich sagen? Ich bin sehr glücklich.“

Sie lächelte, ungeachtet des Kloßes in ihrem Hals.

„Und so gesund siehst du aus!“, sagte Flora und erwiderte Sarahs Lächeln. „Findest du nicht auch, Nick?“

„Ich finde, sie sieht aus, als könnte sie noch ein Stück von dem Karamellkuchen vertragen.“

Irgendwie brachte Sarah ein Lachen zustande. „Lustig, dass das ausgerechnet von dir kommt. Deine Freundinnen sehen alle aus wie Bohnenstangen.“

„Nicht alle. Du hast Chloe noch nicht gesehen.“

„Stimmt, ich hatte noch nicht das Vergnügen.“

„Das wirst du haben. Morgen.“

„Wie schön.“

„Du wirst sie mögen.“

„Oh, das bezweifle ich. Ich mochte noch nicht eine deiner Freundinnen. Ebenso wie du nie einen meiner Freunde mochtest. Ich habe Derek schon gewarnt.“

„Sollte ich Chloe auch warnen?“

Sarah zuckte mit den Achseln. „Wozu die Mühe? Das ändert doch nichts.“

„Werdet ihr zwei wohl aufhören, euch zu streiten?“, ging Flora dazwischen. „Es ist Weihnachten. Die Zeit des Friedens und der Liebe.“

Fast wäre Sarah herausgerutscht, dass Nick nicht an Liebe glaubte, doch sie riss sich zusammen. Ihn hinterhältig anzuschießen passte nicht zu ihrem Beschluss, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Bedauerlicherweise hatte er sie mit seiner Bemerkung über ihre Figur wirklich getroffen. Dürr war sie schließlich nicht.

Als Flora ihr die Kuchenplatte direkt vor die Nase stellte, konnte sie nicht widerstehen, nahm jedoch das kleinste Stück und aß es langsam, Bissen für Bissen, zwischen großen Schlucken Tee. Nick nahm das größte Stück, verschlang es förmlich binnen Sekunden und griff, wie um sie zu ärgern, gleich nach dem nächsten. Der Glückspilz konnte essen was er wollte, ohne dabei zuzunehmen. Aber natürlich machte er auch jeden Morgen sein Krafttraining und schwamm regelmäßig.

Obwohl er inzwischen sechsunddreißig war, hatte er kein Gramm Fett an seinem sehnigen Körper. Inzwischen war er viel muskulöser und kräftiger als früher, doch ansonsten hatte er sich körperlich kaum verändert, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten.

Zumindest, was das Äußere betraf. In anderer Hinsicht war die Veränderung umso stärker. Wie ein Chamäleon passte er sich den Menschen an, in deren Gesellschaft er sich befand; manchmal verhielt er sich herzlich und charmant, manchmal spielte er den kühl blasierten, weltgewandten Lebemann. Beide Persönlichkeiten jedoch hatten nichts mehr gemein mit dem introvertierten, wütenden jungen Mann, der damals in das Haus ihres Vaters eingezogen war.

Obwohl er mir gegenüber nie wütend oder ungehalten war, rief Sarah sich in Erinnerung. Niemals. Er hat mir einsamem kleinen Mädchen das Leben verschönert, denn er war immer freundlich und nett zu mir und hat mir viel Zeit geopfert.

Oh, wie sie ihn dafür geliebt hatte!

Der Nick von damals war Sarah um einiges lieber als der, der heute neben ihr saß.

Als er begann, sich in der Geschäftswelt zu betätigen, hatte sie seinen Ehrgeiz bewundert, doch der Erfolg hatte Nick nur gieriger gemacht. Gierig nach dem Luxusleben hing er den flüchtigen seichten Genüssen rein materieller Art nach. Neben einem Ferienhaus auf Happy Island besaß er ein Penthouse an der Gold Coast und zum Skifahren ein Chalet im Süden des Landes. Wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, noch mehr Geld zu machen, flatterte er von einem Feriendomizil zum anderen, stets von seiner aktuellen Herzensdame begleitet.

Hoppla, nein, falsches Wort – sein Herz war daran natürlich nie beteiligt.

Ihr Vater hatte immer gesagt, wie stolz er auf Nick war. Er lobte seine Arbeitsmoral, seine Intelligenz und seine Visionen als Unternehmer.

Sarah fand auch, dass es im geschäftlichen Bereich allerhand Grund gab, auf Nick stolz zu sein. Jedoch wäre ihr Vater bestimmt enttäuscht, wenn er sehen könnte, wie Nick sich jetzt in seinem Privatleben verhielt. Es sprach nicht unbedingt für einen Mann, wenn keine seiner Beziehungen länger als sechs Monate dauerte und er damit prahlte, niemals heiraten zu wollen.

Nein, das war unfair. Geprahlt hatte Nick nie damit, dass er sich nicht verlieben konnte. Er hatte es einfach als eine Tatsache hingestellt.

Eins musste sie ihm lassen: Nick log nicht. Zu keiner Zeit hatte er seinen Freundinnen falsche Hoffnungen gemacht; allen war von Anfang an klar, dass sie für ihn nur sexuell interessant waren, und das auch nur für eine begrenzte Zeit.

„Schön zu sehen, dass du immer noch dein Essen genießen kannst.“

Nicks merkwürdige Bemerkung riss Sarah aus ihren Gedanken; ihr Magen zog sich vor Schreck zusammen, als sie merkte, dass sie unbewusst ein zweites Stück Kuchen verzehrt hatte.

„Wer könnte Floras Karamellkuchen auch widerstehen?“, gab sie gelassen zurück. „Nächstes Jahr feiern wir Weihnachten mal wieder im kleineren Kreis, Flora, dann kannst du kochen, was immer du möchtest.“

„Du willst die Tradition nicht fortführen, die deinem Vater so wichtig war?“, fragte Nick herausfordernd.

„Findest du denn, du tust das, Nick?“, erwiderte sie. „Als mein Vater noch lebte, fanden sich zu diesem Weihnachtsessen echte Freunde zusammen, jetzt ist es sozusagen ein Geschäftsessen.“

„Meinst du? Ich glaube, da irrst du dich. Die meisten sogenannten Freunde deines Vaters waren Geschäftsleute.“

Nick hatte recht, natürlich. Aber diese Leute hatten ihren Vater dennoch um seiner selbst willen gemocht, nicht wegen der lukrativen Kontakte. Das wollte sie jedenfalls glauben.

Doch möglicherweise lag sie damit falsch. Vielleicht hatte sie das durch eine rosarote Brille betrachtet, und er war hinter seiner Jovialität ebenso hart und zynisch gewesen wie Nick.

Nein, das konnte nicht wahr sein. Er war ein freundlicher und großzügiger Mann gewesen, wenn auch kein brillanter Vater. Während ihrer Jahre auf dem Internat hatte er wegen seiner Geschäfte oft keine Zeit gehabt, die Schulveranstaltungen zu besuchen, und kam sie dann in den Ferien nach Hause, war sie größtenteils sich selbst überlassen.

Um die Wahrheit zu sagen, war es auch nicht viel besser gewesen, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Jess Steinway war eine Karrierefrau, als sie mit vierzig unerwartet schwanger wurde, und gewiss nicht auf die Einschränkungen vorbereitet gewesen, die eine Mutterschaft mit sich brachte. Also wurde Sarah, bis sie in den Kindergarten kam, von einer Reihe Kindermädchen aufgezogen und anschließend, während ihrer Schulzeit, übernahm Flora deren Rolle. Doch so herzlich und redefreudig Flora auch war, die Arbeit, die das große Haus machte, forderte sie so sehr, dass sie sich nur selten um mehr kümmern konnte, als die Mahlzeiten zuzubereiten und darauf zu achten, dass Sarah ihre Hausaufgaben erledigte.

Niemand hatte sich Zeit für sie genommen oder mit ihr gespielt, bis Nick zu ihnen kam.

Eine Welle von Traurigkeit überkam sie, als sie ihn ansah. Oh, wie sehr sie wünschte, er wäre noch ihr Chauffeur und sie das kleine Mädchen, das ihn vorbehaltlos geliebt hatte.

Tränen stiegen ihr in die Augen; und eben in diesem Moment drehte Nick sich zu ihr um. Rasch blinzelte sie die Tränen weg, doch offenbar nicht schnell genug, wie sie an Nicks reuigem Blick erkannte.

„Tut mir leid“, murmelte er. „Ich wollte deinem Vater gegenüber nicht respektlos sein. Er war ein guter und großzügiger Mann. Weihnachten war für ihn die schönste Zeit des Jahres. Wusstest du, dass er jedes Jahr eine große Summe für die Obdachlosen in Sydney gespendet hat? Dank seiner Spende hatten sie immer ein schönes Weihnachtsessen. Und jeder bekam ein Geschenk.“

Sarah schaute auf. „Das wusste ich wirklich nicht.“ Sie wusste von seinem Einsatz für junge Häftlinge und von den großen Spenden für die Krebsforschung und für Selbsthilfegruppen von Krebspatienten. Einige Kliniken hatten ganze Abteilungen nach ihm benannt, doch diese weihnachtlichen Spenden hatte er nie erwähnt. „Ich hoffe, dass auch diese Tradition weitergeführt wird, Nick. Weißt du darüber Bescheid?“

„Es stand nicht im Testament, also spende ich jedes Jahr in seinem Namen.“

„Du?“

„Wieso bist du so überrascht? Ich bin nicht völlig egoistisch und durchaus zu großzügigen Gesten fähig.“

„Das … das habe ich auch nie anders gesagt.“

„Aber gedacht. Und allgemein betrachtet hast du ja recht.“

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney. Miranda ging auf eine Klosterschule....
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