Romana Exklusiv Band 265

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KOMM AUF MEIN SCHLOSS IN CORNWALL von HART, JESSICA
Ein Schloss in Cornwall in eine romantische Kulisse für Hochzeiten verwandeln? Das ist eine Aufgabe, die Cassie nur zu gerne annimmt. Schade nur, dass sie und der attraktive Schlossbesitzer Jake das glückliche Brautpaar nur für die Werbefotos spielen …

BERAUSCHT VON DEINER LIEBE von LEE, MIRANDA
So arrogant, so sexy und so unwiderstehlich ist nur ein Mann: Gino Bortelli. Als Jordan den charismatischen Millionär wiedersieht, gerät sie in einen tiefen Gewissenskonflikt. Kann sie wirklich ihren Verlobten heiraten, wenn ihr Herz doch immer noch Gino gehört?

ICH WERDE ALLES FÜR DICH TUN von BROOKS, HELEN
Joanne glaubt, dass ihr neuer Boss, der smarte Verleger Hawk Mallen, sie nur befördert hat, um sie verführen zu können. Und in Paris, der Stadt der Liebe, bleibt sein heißer Flirt auch nicht ohne Wirkung. Dabei ist Hawk für seine unzähligen Affären nur zu bekannt …


  • Erscheinungstag 18.12.2015
  • Bandnummer 0265
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743659
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jessica Hart, Miranda Lee, Helen Brooks

ROMANA EXKLUSIV BAND 265

PROLOG

„Warte, ich will mit dir reden!“, rief Cassie, während sie die Freitreppe hinunterlief.

Viel hätte nicht gefehlt, und sie wäre gefallen, denn in ihrer Eile übersah sie die letzte Stufe. Sie geriet ins Wanken und konnte sich gerade noch vor einem Sturz bewahren. Dann stürmte sie weiter auf Jake Trevelyan zu, der sich auf sein Motorrad geschwungen hatte, um sich feige aus dem Staub zu machen.

In seiner abgewetzten Ledermontur schaute er genauso finster aus wie seine Höllenmaschine. Auch wirkte der Einundzwanzigjährige wie immer ein wenig bedrohlich, was sie normalerweise einschüchterte. Nur war sie heute viel zu wütend.

„Du hast Rupert die Nase gebrochen!“

Amüsiert beobachtete Jake, wie das Mädchen mit den zerzausten Locken auf ihn zukam. Die Tochter des Gutsverwalters war noch recht unscheinbar, würde aber wohl einmal eine hübsche Frau werden. Jetzt war sie jedoch erst siebzehn und erinnerte ihn an einen quirligen jungen Hund, der über seine Pfoten stolperte.

Momentan allerdings an einen unfreundlichen jungen Hund! Sie funkelte ihn zornig mit ihren braunen Augen an, die sonst zumeist verträumt dreinblickten. Nicht, dass es schwer zu erraten war, was sie aufgebracht hatte. Sie musste gerade ihren geliebten Rupert besucht haben.

„Er ist heute kein so attraktiver Kerl, oder?“ Jake lächelte, und Cassie ballte die Hände zu Fäusten.

„Nur zu gern würde ich dir die Nase brechen!“

Er lachte spöttisch. „Versuch’s!“

„Und dir damit einen Vorwand liefern, mich ebenfalls zusammenzuschlagen? Nein, vergiss es.“

„Ich habe Rupert nicht zusammengeschlagen. Hat er dir das erzählt?“

„Ich war soeben bei ihm. Er sieht schrecklich aus.“

Ihre Stimme hatte verräterisch brüchig geklungen. Schnell presste Cassie die Lippen aufeinander. Sie wollte sich nicht noch mehr demütigen und womöglich zu weinen anfangen.

Und dabei war sie so glücklich gewesen. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie von Rupert geträumt. Nun gehörte er ihr – oder hatte es zumindest getan. Seit der Party zum Allantide-Fest waren gerade einmal ein paar Tage vergangen. Trotzdem hatte Rupert eine fürchterliche Laune und sie an ihr ausgelassen. Alles war verdorben, und das war allein Jakes Schuld.

„Er wird dich wegen Körperverletzung anzeigen.“ Hoffentlich versetzte ihn diese Information in Angst und Schrecken.

Verächtlich blickte Jake sie an. „Das hat Sir Ian mir soeben mitgeteilt.“

Cassie hatte noch nie verstanden, warum Sir Ian so viel Zeit für einen Typ wie Jake erübrigte. Nun hatte dieser auch noch seinen Neffen zusammengeschlagen. Überhaupt waren die Trevelyans in Portrevick für ihre zweifelhaften Geschäfte bekannt. Das einzige Familienmitglied, das wohl je ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis gehabt hatte, war Jakes Mutter gewesen. Sie hatte bis zu ihrem frühen Tod vor zwei Jahren bei Sir Ian geputzt.

Jake stand in dem Ruf, ein Tunichtgut und Unruhestifter zu sein. Er war stets ein mürrischer, finsterer Junge und Teenager gewesen, vor dem man lieber die Straßenseite gewechselt hatte, um ihm nicht zu begegnen. Zu dumm, dass ich mich auf dem Allantide-Fest nicht daran erinnert habe, dachte Cassie.

Sie funkelte Jake an und wunderte sich über ihren Mut. „Aber wahrscheinlich schreckt dich der Gedanke nicht, im Gefängnis zu landen. Es ist ja gewissermaßen eine Familientradition, oder?“

Unfreundlich blitzte er sie an, und sie trat einen Schritt zurück. Vielleicht hatte sie den Bogen überspannt. Jake war ohnehin schon verärgert gewesen, das hatte sie gespürt. Vermutlich hätte sie ihn nicht weiter reizen sollen. Sie konnte nicht ausschließen, dass er seinen Unmut nun auch an ihr ausließ. Doch am Ende betrachtete er sie nur voller Abneigung.

„Was willst du?“

Tief atmete sie ein. „Ich möchte wissen, warum du Rupert geschlagen hast?“

„Wieso interessiert es dich?“

„Er sagte, es sei um mich gegangen, hat mir aber nichts Genaues erzählt.“

Jake lachte auf. „Das glaube ich gern.“

„Hatte es … damit zu tun, was … auf dem Allantide-Fest geschehen ist?“

„Als du dich mir quasi auf einem silbernen Tablett angeboten hast?“, fragte Jake, und Cassie errötete.

„Ich habe nur mit dir geredet.“ Nein, sie hatte mehr gemacht.

„Man trägt kein solches Kleid, bloß um sich zu unterhalten.“

Cassies Wangen wurden so rot wie das Kleid, das sie angehabt hatte. Sie hatte es sich eigens für das Fest gekauft, um Rupert zu überzeugen, dass sie inzwischen erwachsen geworden war.

Als sie es ihren Eltern zeigte, waren diese entsetzt gewesen. Sie selbst hatte ihr Anblick im Spiegel halb schockiert und halb entzückt. Das kurze Kleid mit dem gewagten, tiefen Ausschnitt war aus einer billigen elastischen Kunstfaser gearbeitet und hatte jede Rundung ihres Körpers offenbart. Cassie schauderte bei dem Gedanken, wie dick und ordinär sie neben all den schlanken Blondinen in schwarzen Outfits ausgesehen haben musste.

Aber ihre Taktik war aufgegangen. Rupert hatte sie bemerkt, als sie auf der Bildfläche erschien. Dies hatte ihr dann das Selbstvertrauen verliehen, ihren Plan weiter umzusetzen: ihn eifersüchtig zu machen, wie ihre beste Freundin Tina ihr geraten hatte.

Ermuntert von Ruperts Reaktion, hatte sie ihm kühl zugelächelt und war auf Jake zugestöckelt. Bis heute wusste sie nicht, woher sie den Mut dazu genommen hatte. Ausnahmsweise war er einmal nicht von Mädchen umringt gewesen, sondern hatte allein dagestanden und das Geschehen spöttisch beobachtet.

Das Allantide-Fest war eine alte Tradition in Cornwall, die Sir Ian wieder hatte aufleben lassen. Es war weniger eine formelle Veranstaltung, sondern eher eine große Party. Am einunddreißigsten Oktober, wenn andere Leute Halloween feierten, lud er die Einwohner von Portrevick ins Herrenhaus ein. Jeder war willkommen, egal welcher gesellschaftlichen Schicht er angehörte.

Jakes Miene war nicht unbedingt ermutigend gewesen. Trotzdem hatte Cassie mit ihm geflirtet. Zumindest hatte sie es geglaubt. Rückwirkend betrachtet, mussten ihre ungeschickten Versuche, mit den Wimpern zu klimpern und sich kokett zu geben, recht lachhaft gewesen sein.

„Okay, vielleicht habe ich geflirtet“, räumte sie ein. „Was kein Grund war, mich … mich …“

„Dich zu küssen? Aber wie wolltest du Rupert sonst eifersüchtig machen? Das war doch der ganze Sinn und Zweck deiner Aktion, oder?“, fragte Jake, und ihr Gesichtsausdruck war ihm Antwort genug. Spöttisch lächelte er sie an. „Es war eine gute Strategie. Rupert Branscombe Fox interessiert sich nur dafür, was jemand anderes besitzt. Es war sehr schlau von dir, es zu bemerken.“

„Das habe ich nicht.“ Sie hatte lediglich von Rupert beachtet werden wollen. Und es hatte bestens funktioniert.

Allerdings hatte sie nicht gedacht, dass Jake ihr Flirten so ernst nehmen würde. Er hatte sie mit sich nach draußen gezogen, worüber sie zunächst erfreut gewesen war, da Rupert es beobachtet hatte. Auch hatte sie damit gerechnet, dass er sie küssen würde, war vom Wie aber überrascht worden.

Erst hatte er sie reserviert und selbstbewusst geküsst, was völlig in Ordnung gewesen war. Doch dann hatte er sie heftiger geküsst und danach leidenschaftlich und unendlich zärtlich. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass sie im Meer stehen, der Sand unter ihren Füßen weggespült und sie immer tiefer in etwas Wildem, Unkontrollierbarem versinken würde. Es hatte ihr fürchterliche Angst eingejagt – und sie zugleich erregt. So sehr, dass sie gezittert hatte, als Jake sich schließlich von ihr löste.

Und dabei mochte sie ihn noch nicht einmal. Er war das genaue Gegenteil von Rupert, ihrem Traummann. Insgeheim betrachtete sie sich und Jake als die Schöne und das Biest. Nicht, dass er hässlich war. Aber er hatte kantige Gesichtszüge, einen verbitterten Mund und wütend blickende Augen. Rupert hingegen besaß einen umwerfenden Charme und war einfach ein Sonnyboy.

„Du verschwendest deine Zeit mit ihm. Rupert wird sich nie mit einem netten Mädchen wie dir abgeben“, behauptete er jetzt.

„Da irrst du dich. Vielleicht wollte ich tatsächlich seine Aufmerksamkeit erregen. Und es hat funktioniert, oder?“

„Ich soll nicht wirklich glauben, dass du seine neue Freundin bist?“

Herausfordernd hob Cassie das Kinn. „Glaub, was du möchtest. Es ist zufällig wahr.“

Jake lachte. „Mit ihm zu schlafen macht dich nicht zu seiner Freundin, wie du bald feststellen wirst. Werd erwachsen, Cassie. Anscheinend lebst du immer noch in einer Fantasiewelt. Es wird Zeit, dass du aufwachst und die Realität siehst.“

„Du bist nur eifersüchtig auf Rupert.“ Ihre Stimme bebte vor Zorn.

„Deinetwegen?“ Verächtlich zog Jake die Brauen hoch. „Wohl kaum.“

„Weil er attraktiv ist und charmant und reich und Sir Ians Neffe. Wohingegen du einfach … einfach …“ Cassie war zu wütend und fühlte sich zu gedemütigt, um vorsichtig zu sein. „Einfach ein Tier bist.“

Den ganzen Tag über hatte Jake bereits um Beherrschung ringen müssen. Jetzt verlor er sie. Er packte Cassie, die unmittelbar vor ihm stand, und zog sie so heftig zu sich, dass sie gegen seine Brust fiel. Glücklicherweise war das Motorrad noch aufgebockt, sonst wären sie wohl samt der Maschine auf dem Boden gelandet.

„Du glaubst also, ich wäre eifersüchtig auf Rupert?“, fragte er bissig, während er ihr in die Locken fasste. „Vielleicht bin ich es.“

Schon presste er seinen Mund hart auf ihren. Sie wehrte sich und stemmte die Hände gegen die Lederjacke. Als er sie weiter küsste, begann ihr Widerstand zu erlahmen. Sie merkte, wie er seinen Griff lockerte, während er den Kuss vertiefte.

Wie auf dem Allantide-Fest empfand Cassie sowohl Furcht als auch Erregung und meinte wieder, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Unwillkürlich suchte sie Halt, indem sie sich an seiner Jacke festhielt.

Und irgendwann – was sie noch Jahre später schaudern lassen würde – bemerkte sie, dass sie sich an Jake schmiegte und den Kuss erwiderte. Im nächsten Moment schob er sie so energisch von sich, dass sie gegen den Lenker taumelte.

„Was fällt dir ein?“ Sie schlug eine bebende Hand vor den Mund und wollte zur Seite ausweichen. Doch ihre Jacke hatte sich an der Lenkstange verhakt. Hektisch zerrte sie an dem Kleidungsstück. „Ich will dich nie wiedersehen!“

„Keine Sorge, das musst du auch nicht.“ Er beugte sich gelassen vor und befreite sie. Sogleich machte sie einen Schritt von ihm weg und wäre vor lauter Hast fast aus dem Gleichgewicht geraten. „Ich fahre weg. Verharr du nur in deiner Fantasiewelt“, erklärte er, während sie die Arme schützend um sich legte. „Ich verlasse Portrevick.“

Er setzte den Helm auf, trat den Motorradständer weg und startete die Maschine. Dann donnerte er die lange Zufahrt entlang. Geschockt und gedemütigt blickte Cassie ihm hinterher, während die Erinnerung an die prickelnde, gefährliche Erregung sie nicht losließ.

1. KAPITEL

Zehn Jahre später

„Jake Trevelyan?“, wiederholte Cassie verblüfft. „Bist du sicher?“

„Ich habe mir den Namen notiert.“ Joss wühlte in den Papieren auf ihrem Schreibtisch. „Hier steht es. Jake Trevelyan. Jemand in Portrevick hat uns empfohlen. Sag, bist du da nicht aufgewachsen?“

Verwirrt setzte sich Cassie auf ihren Stuhl. Es war seltsam, Jakes Namen nach so langer Zeit wieder zu hören. Mit erschreckender Klarheit konnte sie ihn noch immer auf seinem Motorrad sitzen sehen, als wäre es erst gestern gewesen. Und die Erinnerung an seinen Kuss ließ sie sogar nach all den Jahren noch erschauern.

„Er will heiraten?“

„Warum sollte er sich sonst an eine Hochzeitsplanerin wenden?“

„Ich kann es mir nur einfach nicht vorstellen.“ Der Jake Trevelyan, den sie gekannt hatte, war kein Mann, der sich band.

„Er es sich zu unserem Glück offenbar schon“, erwiderte Joss. „Jedenfalls klang er sehr interessiert. Deshalb habe ich ihm auch erklärt, dass du heute Nachmittag bei ihm vorbeikämst.“

„Ich?“ Entsetzt blickte Cassie ihre Chefin an. „Du führst doch immer die Erstgespräche.“

„Aber ich kann heute nicht. Ich muss nachher zum Steuerberater, worauf ich mich nicht gerade freue. Außerdem kennt er dich.“

„Ja. Allerdings hasst er mich.“ Kurz berichtete sie Joss von ihrer letzten Begegnung auf Sir Ians Landsitz Portrevick Hall. „Und was soll seine Verlobte davon halten? Ich jedenfalls wollte meine Hochzeit nicht von einer Frau planen lassen, die meinen Zukünftigen schon geküsst hat.“

„Küsse aus Teenagerzeiten zählen nicht. Das Ganze liegt jetzt zehn Jahre zurück. Wahrscheinlich erinnert er sich gar nicht mehr daran.“

Cassie war nicht sicher, ob sie sich dann besser oder schlechter fühlen würde. Einerseits wäre es ihr lieb, er würde sich nicht an das linkische Mädchen erinnern, das sich ihm auf dem Allantide-Fest an den Hals geworfen hatte. Nur welche Frau wollte andererseits feststellen, dass man sie vergessen hatte.

„Wenn er dich nicht mag, warum hat er hier bei Avalon angerufen und nach dir gefragt? Cassie, wir können es uns nicht leisten, uns einen möglichen Klienten entgehen zu lassen. Du weißt, wie angespannt die Lage momentan ist. Dies ist die beste Gelegenheit seit Wochen, einen neuen Auftrag an Land zu ziehen. Wenn es für dich peinlich ist, dann muss es das leider sein. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie lange ich dich sonst noch behalten kann.“

Genau deshalb stand Cassie an diesem Septembernachmittag vor einem imposanten Bürogebäude. Sie verrenkte sich fast den Hals, um bis zum obersten Stock hinaufzuschauen. Jake musste es zu etwas gebracht haben, wenn er hier arbeitete.

Zumindest zu mehr als du, dachte sie mit Hinblick auf Avalons chaotisches Büro über dem Chinarestaurant. Nicht, dass die Unordnung sie störte. Sie war erst seit acht Monaten bei Joss beschäftigt und liebte ihren Job als Hochzeitsplanerin. Es war der beste, den sie je gehabt hatte, und sie hatte schon so einige hinter sich. Sie würde alles tun, um ihn nicht zu verlieren. Es wäre ihr unerträglich, ihrer Familie zu erzählen, dass sie – wieder einmal – arbeitslos war.

Ihre Mutter würde enttäuscht seufzen und ihr Vater ihr erneut erklären, dass sie wie ihre Geschwister die Uni hätte besuchen sollen. Ihre zwei Brüder und die ältere Schwester waren unglaublich erfolgreich.

Tief atmete Cassie ein und ging die Marmorstufen hoch. Es war lächerlich, nervös zu sein, weil sie Jake wiedersah. Sie war jetzt kein verträumter Teenager mehr, sondern eine gestandene Frau von siebenundzwanzig Jahren. Und sie hatte einen anspruchsvollen Job, der Taktgefühl, Diplomatie und ein ausgezeichnetes Organisationstalent erforderte.

Wie gut, dass sie heute schick angezogen war. Sie hatte am Vormittag einen Termin in einem Luxushotel gehabt, in dem Klienten ihre Hochzeit feiern wollten. In dem grünblauen Blazer und dem blauen engen Rock konnte sie sich zweifellos blicken lassen. Auch die High Heels aus Wildleder passten perfekt zu ihrem Outfit. Allerdings war sie es nicht gewohnt, auf so hohen Absätzen zu laufen, und der glänzende Boden der Lobby wirkte sehr glatt. Doch sie schaffte es, ohne den kleinsten Ausrutscher auf die Dame am Empfangstresen zuzugehen.

„Könnten Sie mir bitte sagen, in welchem Stock ich Primordia finde?“

Die junge Frau zog kaum merklich die Brauen hoch. „Dies ist Primordia.“

„Das ganze Gebäude?“, fragte Cassie entgeistert. Joss hatte davon geredet, dass Jake der Chef irgendeines Ladens namens Primordia sei. „Ich … ich möchte zu einem Jake Trevelyan und weiß nicht, in welcher Abteilung er ist.“

Wieder zog die Frau die Brauen hoch, jetzt aber deutlich. „Zu Jake Trevelyan, unserem Generaldirektor? Erwartet er Sie?“

Generaldirektor? Cassie schluckte. „Ich schätze, ja.“

Die Empfangsdame telefonierte kurz, und wenig später fuhr Cassie in einem der Lifts nach oben. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass der verrufenste Junge von Portrevick zum Generaldirektor aufgestiegen war.

Vielleicht liegt doch ein Irrtum vor, überlegte sie, als die Aufzugtüren auseinander glitten. Nein, das tat es wohl nicht. Eine elegante Dame lächelte ihr entgegen und geleitete sie über den hochflorigen Teppichboden in ein modernes, schickes Büro.

„Mr Trevelyan wird Sie gleich empfangen.“

Mr Trevelyan! Cassie dachte an den mürrischen Rowdy von einst und versuchte, nicht zu überrascht dreinzublicken. Hoffentlich erinnerte sich Jake – Pardon, Mr Trevelyan – nicht an das unmögliche Kleid, in dem sie mit ihm geflirtet hatte. Oder dass sie ihm gesagt hatte, sie wolle ihn nie wiedersehen. Alles in allem war es nicht unbedingt die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Andererseits war er derjenige gewesen, der sie hatte sprechen wollen. Sollte er sich noch an die verheerenden Küsse erinnern, hätte er kaum angerufen. Joss musste recht haben. Er hatte höchstwahrscheinlich alles vergessen. Und wenn nicht, würde er vermutlich die Küsse vor seiner Verlobten nicht erwähnen, oder? Ihm würde wohl so viel wie ihr selbst daran liegen, das Ganze totzuschweigen.

Einigermaßen beruhigt, zauberte Cassie ein Lächeln auf ihre Lippen, als Jakes persönliche Assistentin die Tür zu einem noch eleganteren Büro öffnete. „Cassandra Grey“, kündigte sie sie an.

Sie betrat einen riesigen, an zwei Seiten verglasten Raum mit einer herrlichen Sicht auf die Themse und das Parlamentsgebäude. Nicht, dass Cassie den Blick wirklich in sich aufnahm. Sie hatte die Augen auf Jake gerichtet. Er war aufgestanden und knöpfte das Jackett zu, während er um den Schreibtisch herumkam, um sie zu begrüßen.

Er hatte noch immer dunkle Haare, sich aber ansonsten sehr verändert. Er war ein unglaublich attraktiver Mann geworden mit markanten Gesichtszügen, die enorme Entschlossenheit und Willenskraft verrieten. Obgleich er wahrscheinlich nicht mehr gewachsen war, wirkte er trotzdem größer. Und sein Mund, den er einst verächtlich verzogen hatte, drückte nun Distanz und Beherrschtheit aus.

Seine Verlobte kann sich glücklich schätzen, dachte Cassie, nachdem sie sich von der ersten Überraschung erholt hatte. Sie zwang sich, weiter zu lächeln, und machte mit ausgestreckter Hand einen Schritt auf ihn zu.

„Hal…“, begann sie und verstummte unvermittelt, als sie auf den ungewohnt hohen Absätzen umknickte. Im nächsten Moment verhakten sich ihre Schuhe, und ehe sie wusste, was geschah, stolperte sie nach vorne und ließ den Aktenkoffer fallen.

Sie selbst wäre sicher neben ihm auf dem Boden gelandet, hätten nicht zwei starke Hände sie an den Armen festgehalten. Cassie hatte keine Ahnung, wie es Jake gelungen war, so schnell bei ihr zu sein und sie aufzufangen. Doch fand sie sich an seiner breiten Brust wieder und krallte die Finger unwillkürlich in sein Jackett – wie vor zehn Jahren in seine Lederjacke.

„Hallo, Cassie.“

Warum, in aller Welt, war sie nur so tollpatschig? Trotz ihres Entsetzens nahm sie Jakes herrlichen Duft wahr. Auch fühlte sich sein Körper wie ein Fels in der Brandung an. Ein, zwei Sekunden lang war sie versucht, sich der wunderbaren Illusion von Sicherheit hinzugeben.

Nein, das wäre höchst unpassend, wenn du ihn mit deiner Professionalität beeindrucken willst, dachte sie. Außerdem war er verlobt. Widerstrebend hob sie den Kopf und bemühte sich, wieder auf ihren Beinen zu stehen. „Bitte entschuldige.“

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

Sie spürte seine starken Hände durch den Stoff ihres Blazers. Ähnlich hatte er sie bei ihrer letzten Begegnung festgehalten, als es zu dem Kuss gekommen war. Starr sah Cassie ihn an. Damals hatte sich Wut in den dunkelblauen Augen gespiegelt, heute schien es Amüsement zu sein. Doch konnte sie nicht sagen, ob auch er sich an den Kuss erinnerte oder ihr Auftritt ihn belustigte.

„Ich bin okay.“ Sie machte einen Schritt zurück und hoffte, dass ihre Wangen bald zu glühen aufhörten.

„Setzen wir uns.“ Jake deutete zu den Designersofas aus Leder, nachdem er den Aktenkoffer aufgehoben und ihn ihr gereicht hatte. „In Anbetracht deiner Schuhe könnte es sicherer sein.“

Cassie ließ sich auf einem der Sitzmöbel nieder und stellte den Koffer auf den Couchtisch. „Ich werfe mich normalerweise unseren Klienten nicht bei der ersten Begegnung an den Hals.“ Nervös lächelte sie Jake an und fand das Zucken seiner Mundwinkel entnervend attraktiv.

„Es ist stets gut, sich einen spektakulären Auftritt zu verschaffen … Aber du hattest ja schon immer eine besondere Art.“

Es konnte nur eine sarkastische Anspielung darauf sein, dass sie seit jeher tollpatschig und ungeschickt war. „Ich hatte gehofft, du würdest mich nicht erkennen.“

Er schaute sie prüfend an. Ihr ovales, bezauberndes Gesicht war leicht gerötet, und Verlegenheit spiegelte sich in ihren braunen Augen. Sie trug die Haare etwas kürzer, wodurch sich die einst wirren Locken wohl besser bändigen ließen. Außerdem hatte sie abgenommen und sich schick gemacht.

Als er sie eben auf der Türschwelle erblickt hatte, war sie ihm wie eine sehr hübsche Fremde erschienen, und er hatte ein seltsames Kribbeln gespürt. Dann war sie gestolpert und ihm in die Arme gefallen. War er enttäuscht oder erleichtert darüber, dass sie sich letztlich nicht so stark verändert hatte?

Sie hatte sich seltsamerweise erstaunlich vertraut angefühlt, obwohl er sie vorher nur zweimal im Arm gehalten hatte. Plötzlich war ihm gewesen, als wäre er wieder auf dem Allantide-Fest. Er hatte Cassie vor sich gesehen, wie sie im engen roten Kleid auf fast so albernen High Heels wie heute auf ihn zugestöckelt war. Damals hatte er zum ersten Mal ihren sinnlichen Mund bemerkt und sich gefragt, wie sie als junge Frau aussehen würde.

Der Mund ist noch immer der gleiche, dachte er und erinnerte sich, wie warm und unschuldig er ihm vor zehn Jahren vorgekommen war. Und er erinnerte sich ebenfalls, wie überrascht er von dem Zauber gewesen war, der sie beide einen Moment gefangen genommen hatte.

Er sollte sie nicht wiedererkennen? Jake lächelte. „Keine Chance.“

Große Güte! Das hatte sie bestimmt nicht hören wollen. Widerstrebend sah sie ihn an und spürte ein Prickeln auf der Haut, als sie den amüsierten Ausdruck in seinen Augen las. Zweifellos erinnerte er sich an den linkischen Teenager, der sie gewesen war. Die beiden Küsse mochten für sie weltbewegend gewesen sein. Für ihn mussten sie ihre Unbeholfenheit und mangelnde Raffinesse unterstrichen haben.

„Es ist schon so lange her. Ich hatte geglaubt, dass du dich nicht an mich erinnern würdest.“

„Du wärst überrascht, woran ich mich erinnere.“

Er brauchte nicht mehr zu sagen. Sein Blick sprach Bände. Zweifellos dachte er an ihre armseligen Flirtversuche sowie an die Ungeschicklichkeit, mit der sie seinen Kuss erwidert hatte.

Cassie spürte, wie sie errötete, und schaute schnell beiseite. „Also …“ Sie räusperte sich, denn ihre Stimme hatte sich plötzlich hoch und dünn angehört. „Also …“ Verflixt, nun hatte sie heiser geklungen. „Was hat dich nach Portrevick zurückgeführt?“ Sie atmete insgeheim auf. Endlich war ihre Tonlage halbwegs normal gewesen.

„Sir Ians Tod.“

„Oh ja. Es hat mir so leidgetan, als meine Eltern es mir erzählt haben.“ Wenn das kein unverfängliches Thema war! „Er war so ein netter Mann. Mum und Dad sind zu seiner Beerdigung gegangen. Aber ich war verhindert, da einer unserer Klienten an dem Tag geheiratet hat.“

Fast unbemerkt, betrat Jakes persönliche Assistentin mit einem Tablett das Büro. Nachdem sie es auf den Tisch gestellt und zwei Tassen Kaffee eingeschenkt hatte, zog sie sich leise wieder zurück.

Warum kann ich nicht auch so unauffällig tüchtig sein, fragte sich Cassie, während Jake ihr eine der Tassen aus feinstem Porzellan reichte. Vorsichtig nahm sie sie und dachte unwillkürlich an die angeschlagenen Becher, aus denen Joss und sie immer tranken.

„Ich hatte am Freitag ein Treffen mit Sir Ians Anwältin.“ Jake schob ihr das Milchkännchen zu. „Ich bin im Pub von Portrevick abgestiegen, und dort wurde dein Name im Zusammenhang mit Hochzeiten erwähnt. Tina, eine deiner alten Freundinnen, sagte, du seist auf dem Gebiet tätig.“

„So, hat sie das?“ Warum hatte Tina sie nicht informiert, dass Jake wieder aufgetaucht war? Die Freundin wusste alles über den Kuss auf dem Allantide-Fest. Von dem zweiten hatte sie allerdings niemandem erzählt.

Offenbar war ihr Ton etwas seltsam gewesen, denn Jake zog ein wenig die Brauen hoch. „Ja, es stimmt“, fügte sie schnell hinzu und goss die Hälfte der Milch auf die Untertasse. Verflixt, sie musste das Fußbad unbedingt beseitigen, sonst tropfte sie beim Trinken alles voll. Außerdem sollte sie nicht so einsilbig sein. Es galt, einen Klienten zu gewinnen.

Hektisch nahm sie ein Papiertaschentuch aus der Handtasche, um die Flüssigkeit damit aufzusaugen. „Ja, ich arbeite als Hochzeitsplanerin.“ Sie sah sich nach einem Papierkorb um, um das Taschentuch zu entsorgen. Schließlich konnte sie es unmöglich auf der Untertasse liegen lassen.

Doch in Jakes modernem, elegantem Büro, in dem nicht das kleinste Staubkörnchen lag, schien es keinen zu geben. Wie hatte der Rebell in der abgewetzten Ledermontur es bloß bis hierhin geschafft?

Cassie bemerkte, dass er das Taschentuch entsetzt betrachtete. Offenbar war ihm jede Art von Unordnung zuwider. Sie musste es schleunigst loswerden, wollte sie nicht schon gleich am Anfang alles vermasseln. Es ging um ihre Zukunft bei Joss.

Schnell schob sie es in die Handtasche – zu all den Schokoriegelverpackungen und Stiftkappen, die sie immer wieder daraus zu entfernen vergaß. Hoffentlich erinnerte sie sich daran, wenn sie das nächste Mal hineinfasste, um etwas herauszuholen.

Mit leicht angeekelter Miene bot Jake ihr die Schale mit Keksen an. Cassie hatte seit Stunden nichts mehr gegessen und hätte nur zu gern zugegriffen. Aber sie sollte es besser lassen, sonst krümelte sie noch überallhin. Ihr professionelles Image war bereits beschädigt genug.

„Nein, vielen Dank.“ Am besten trank sie auch den Kaffee nicht. Womöglich schüttete sie ihn über sich oder gar das teure Ledersofa.

Jake bediente sich problemlos mit Milch und Zucker, rührte um und strich den Löffel an der Tasse ab, bevor er ihn auf den Unterteller legte. Dann blickte er Cassie an, und ihr Herz schlug sogleich höher, als sie in die blauen Augen sah. „Fangen wir an?“

„Ja, eine gute Idee.“ Erleichtert darüber, endlich die Vergangenheit hinter sich zu lassen, öffnete sie den Aktenkoffer, nahm eine Broschüre heraus und reichte sie Jake. „Sie vermittelt dir einen Eindruck, was wir machen“, erklärte sie geschäftsmäßig, während sie sich fragte, warum seine Verlobte nicht anwesend war. Joss richtete ihr Hauptaugenmerk stets auf die Braut in spe. „Natürlich organisieren wir alles nach den Wünschen der Klienten.“ Sie zögerte einen Moment. „Wir reden für gewöhnlich immer mit beiden Partnern. Wird deine Verlobte noch zu uns stoßen?“

„Meine Verlobte?“ Jake schaute von dem Booklet auf, das er durchgeblättert hatte.

„Die Braut hat im Allgemeinen eine recht klare Vorstellung davon, wie die Hochzeit sein sollte. Unserer Erfahrung nach interessieren sich die Bräutigame nicht so sehr für die Gestaltung als solche.“

„Ich fürchte, da liegt ein Missverständnis vor.“ Jake runzelte die Stirn. „Ich bin nicht verlobt.“

Entgeistert blickte Cassie ihn an. „Du willst nicht heiraten?“ Hoffentlich hatte sie sich verhört.

„Nein.“

Wie, in aller Welt, sollte sie sich dann ihren Job erhalten? „Du brauchst also niemanden, der dich bei der Hochzeitsplanung unterstützt?“

„Nein.“

„Aber … warum hast du uns dann kontaktiert?“

„Als Tina mir erzählte, du habest mit Hochzeiten zu tun, dachte ich, du seist Managerin einer Hochzeitslocation. Mir war nicht bewusst, dass du das Fest selbst organisierst.“

„Wir arbeiten natürlich mit diversen Locations zusammen“, erwiderte sie und bemühte sich verzweifelt, noch irgendetwas zu retten. „Wir sind den Brautleuten in jeder Hinsicht behilflich. Sowohl was die Hochzeit angeht als auch die Flitterwochen. Und …“

„Ich suche jemanden, der sich gut damit auskennt, was erforderlich ist, um ein Haus in eine Hochzeitslocation umzuwandeln. Es tut mir leid.“ Jake legte die Broschüre auf den Tisch, um aufzustehen. „Mir scheint, ich habe deine Zeit verschwendet.“

Nein, sie würde jetzt noch nicht aufgeben! „Das machen wir auch“, erklärte sie schnell.

„Was? Zeit verschwenden?“

„Hochzeitslocations gestalten.“ Sie sah ihn so unschuldsvoll an, dass er fast sicher war, sie würde lügen. „Joss und ich haben regelmäßig mit solchen Örtlichkeiten zu tun. Wir wissen bestens, was dort gebraucht wird. Wo liegt das Haus?“

„Es ist Portrevick Hall.“

„Portrevick Hall?“, wiederholte sie verblüfft.

„Ja.“

„Aber … gehört das Landgut nicht jetzt Rupert?“

„Nein. Sir Ian hat es unter treuhänderische Verwaltung gestellt. Und ich bin der Treuhänder.“

„Du?“ Ungläubig blickte Cassie ihn an, und Jake lächelte grimmig.

„Ja, ich.“

„Was ist mit Rupert?“ Sie war viel zu überrascht, um taktvoll zu sein.

„Sir Ian hat ihm sein Geld als Treuhandvermögen hinterlassen. Rupert hat sich nicht gerade als sehr zuverlässig erwiesen, wie du vielleicht weißt.“

Ja, das tat sie. Bilder von ihm tauchten regelmäßig in der Boulevardpresse auf. Welche Ironie, dass Jake inzwischen ein erfolgreicher Mann war, während Rupert in dem Ruf stand, ein blendend aussehender, charmanter Windhund zu sein.

„Sir Ian war besorgt, dass Rupert das Geld ähnlich wie das Erbe seiner Eltern einfach durchbringen könnte.“

„Es scheint irgendwie unfair“, sagte Cassie zögerlich. „Rupert ist schließlich Sir Ians Neffe. Sicher hat er damit gerechnet, Portrevick Hall zu erben.“

„Ja, zweifellos“, bestätigte Jake trocken. „In Erwartung seines Erbes hat er sich in den letzten Jahren viel Geld geborgt. Deshalb hat Sir Ian das Landgut auch unter treuhänderische Verwaltung gestellt. Er befürchtete, Rupert würde es sonst einfach dem Meistbietenden verkaufen.“

„Aber warum hat er dich zum Treuhänder gemacht?“, fragte Cassie spontan.

„Ich habe mich nicht darum gerissen“, antwortete Jake mit deutlicher Schärfe. „Ich verdanke Sir Ian jedoch sehr viel. Deshalb habe ich mich einverstanden erklärt, als er mich darum bat. Ich nahm an, er hätte noch viel Zeit, um es sich wieder anders zu überlegen. Was er vermutlich auch getan hätte. Er war erst in den Sechzigern und hatte bis dahin keine Herzprobleme. Wenn er nur länger gelebt hätte …“

Jake stand auf. Es war sinnlos, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn. „Tatsache ist jedenfalls, dass ich nun für Portrevick Hall verantwortlich bin. Ich habe Sir Ian versprochen, dafür zu sorgen, dass das Landgut als Ganzes erhalten bleibt. Er empfand den Gedanken als unerträglich, man könnte das Herrenhaus in Wohneinheiten unterteilen oder Ferienhäuser auf dem Grundstück bauen.“

Jake ging zu einer der Glasfronten und blickte nach draußen. „Ich muss seinen Wünschen nachkommen, kann ein solches Anwesen aber nicht einfach sich selbst überlassen. Es muss genutzt und unterhalten werden. Deshalb gilt es, einen Weg zu finden, damit es sich selbst trägt. Als ich letzte Woche in Portrevick bei Sir Ians Anwältin war, hat sie vorgeschlagen, das Landgut in eine Hochzeitslocation umzuwandeln. Es schien mir keine schlechte Idee. Abends habe ich es im Pub erwähnt, und da ist dein Name gefallen. Doch nach der Broschüre zu schließen, befasst sich Avalon eher mit der Organisation von Hochzeiten und nicht mit dem Management entsprechender Örtlichkeiten.“

„Ja, das stimmt.“ Irgendwie musste sie ihren Job retten. „Aber eine entsprechende Örtlichkeit zu managen hängt eng mit dem zusammen, was wir machen. Deshalb haben wir auch vor, auf dem Gebiet tätig zu werden.“ Sie durfte nicht vergessen, Joss über die gerade aus der Taufe gehobenen Expansionspläne zu informieren. „Wir haben große Erfahrung im Umgang mit diesen Locations und wissen somit genau, welche Erfordernisse sie erfüllen müssen.“

„Hm.“ Jake wandte sich ihr zu. „Du kennst das Anwesen. Wie würdest du, angesichts eurer großen Erfahrung, sein Potenzial einschätzen?“

„Hervorragend“, antwortete Cassie und ignorierte seinen Sarkasmus. „Es ist ein herrliches altes Landgut, das unmittelbar am Meer liegt. Einen romantischeren Platz gibt es wohl kaum. Die Paare aus dem Südwesten dürften Schlange stehen, um dort zu heiraten.“

Jake setzte sich wieder ihr gegenüber hin und trommelte geistesabwesend mit den Fingern auf den Tisch. „Es ist jedenfalls ermutigend“, sagte er schließlich, „dass du es für geeignet hältst.“

„Das tue ich absolut. Und ich bin sicher, Sir Ian würde die Idee gefallen. Er hat die Menschen so gemocht. Bestimmt hätte er seine Freude daran, wenn dort Hochzeiten gefeiert würden. Es sind so glückliche Feste.“

„Wenn du meinst.“ Jake klang wenig überzeugt.

Kritisch betrachtete er sie. War er verrückt, dass er auch nur erwog, sie als Beraterin zu engagieren? Cassie war zumindest früher eine Träumerin gewesen und wirkte trotz ihres geschäftsmäßigen Outfits wie eine kleine, wenngleich warmherzige Chaotin. Selbst während sie jetzt ruhig auf dem Sofa saß, vermittelte sie den Eindruck, ihr könnte jeden Moment ein Missgeschick passieren.

Du liebe Güte, sie konnte noch nicht einmal einen Raum betreten, ohne über die eigenen Füße zu stolpern! Er selbst hatte in den letzten Jahren einen ausgeprägten Ordnungssinn entwickelt und stets darauf geachtet, nicht die Kontrolle zu verlieren. Cassies Ausstrahlung von Unberechenbarkeit machte ihn irgendwie nervös.

Außerdem hegte er den starken Verdacht, dass ihre Erfahrung in puncto Management einer Hochzeitslocation nicht größer war als seine. Sie suchte eindeutig dringend einen Auftrag und würde alles sagen, was er ihrer Ansicht nach hören wollte.

Wenn er noch recht bei Verstand war, würde er die Unterredung hier und jetzt beenden.

2. KAPITEL

Andererseits hat Sir Ian Cassie sehr gemocht, überlegte Jake, und dass sie das Anwesen kennt, ist zweifellos von Vorteil. Er könnte ihr zumindest die Gelegenheit geben, ihm zu beweisen, dass sie wusste, wovon sie sprach. Um der alten Zeiten willen, dachte er, während er ihren Mund betrachtete.

„Was wäre erforderlich, um Portrevick Hall in eine Hochzeitslocation umzuwandeln? Vermutlich benötigen wir eine Genehmigung.“

„Ja, natürlich.“ Cassie klang zuversichtlicher, als sie war. „Außerdem muss das Haus wohl renoviert werden. Du kannst ein beträchtliches Entgelt für die Bereitstellung verlangen, aber die Paare erwarten dann auch Perfektion. Wahrscheinlich müssen die Haupträume neu gestaltet und alle schäbigen, abgenutzten Möbel daraus entfernt werden.“

Cassie ließ ihrer Fantasie freien Lauf und baute darauf, dass Jake weniger als sie darüber wusste, was bei Hochzeiten gefragt war. Und so schwierig konnte das Ganze nicht sein. Sie würde sich nicht von der Nebensächlichkeit irritieren lassen, dass sie letztlich keine Ahnung hatte, wovon sie redete. Nicht, wenn die Alternative hieß, den Job zu verlieren und ihrer Familie zu erklären, dass sie erneut versagt hatte.

„Selbstverständlich muss man das Anwesen auf Vordermann bringen, um Klienten und ein Renommee zu gewinnen“, meinte sie und genoss ihren energischen Ton. Wenn sie so weitermachte, überzeugte sie sich noch selbst! „Auch muss man sich mit dem Catering befassen, dem Blumenschmuck sowie mit Tanzkapellen. Es gilt, alles zu bedenken, was Brautleute sich wünschen könnten. Schließlich bezahlen sie viel Geld für ihren großen Tag, weshalb er etwas total Besonderes sein sollte.

Manche Paare organisieren gern alles selbst“, erzählte sie Jake, der ihr entsetzt und zugleich fasziniert zuhörte. „Aber wenn Portrevick Hall ein voller Erfolg werden soll, muss es ebenfalls möglich sein, dass die Klienten dem Personal alle Vorbereitungen überlassen. Egal, ob es eine kleine oder große Hochzeit ist oder nach welchen religiösen Riten sie ablaufen soll.“

Cassie redete sich in Fahrt und war von ihrer eigenen Wortgewalt begeistert. „Die Brautleute werden sich auch irgendwo umziehen wollen. Vielleicht möchten sie sogar das ganze Haus für die Feier nutzen. Man wird eine neue Küche brauchen und zusätzliche Gästetoiletten. Natürlich wird man mehr Personal benötigen und Kontakte zu den Caterern in der Umgebung knüpfen müssen sowie den Floristen, Fotografen und dergleichen. Auch gilt es, Werbekampagnen durchzuführen, bis dann irgendwann die Mund-zu-Mund-Propaganda reicht.“

„Ich hatte keine Ahnung, dass es ein solches Unterfangen ist“, gestand er ehrlich ein. „Es genügt also nicht, im Festsaal Platz zum Tanzen zu schaffen und die Tische schön zu decken?“

„Ich fürchte, nein.“

Jake schwieg und schien die ganze Sache noch einmal zu überdenken. Cassie biss sich auf die Lippe. Hatte sie eine zu große Show abgezogen und ihm die Idee verleidet?

Du gehst immer ein wenig zu weit. Wie oft hatte ihre Mutter dies früher zu ihr gesagt. Ihr war, als würde sie es erneut hören, während sie Jake besorgt betrachtete. Seine Miene war unergründlich.

„Wir reden hier von einer beträchtlichen Investition“, meinte er schließlich.

Cassie atmete aus. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte. „Sicher, aber es wird sich lohnen.“ Ja, es war ihr gelungen, ihre Erleichterung zu verbergen. „Mit dem Ausrichten von Hochzeiten kann man viel Geld verdienen. Sobald Portrevick Hall sich einen Namen gemacht hat, wird es sich selbst tragen.“

Jake war noch nicht völlig überzeugt. „Das ganze Projekt wird mich viel Zeit und Arbeit kosten.“

„Nicht, wenn du es in unsere Hände legst. Wir würden alles organisieren und überwachen. Wenn der Betrieb dann angelaufen ist, könntest du das Anwesen einem geeigneten Manager übergeben.“

Cassie beglückwünschte sich insgeheim zu ihrer brillanten Idee. Warum war Joss eigentlich noch nicht der Gedanke gekommen, dass sie sich auf dem Gebiet betätigen könnten?

Jake sah sie an, doch war es ihr unmöglich zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging. Sie versuchte, zuversichtlich dreinzublicken, obwohl sie damit rechnete, dass er sie gleich – zu Recht – beschuldigte, zu bluffen. Aber sie hatte sich getäuscht, denn er fragte danach, wie sie die Honorare gestalteten.

„Darüber müsste ich mit Joss reden, wenn klarer ist, was im Einzelnen zu tun sein wird“, erklärte sie ausweichend.

„Okay. Sobald mir ein detailliertes Angebot vorliegt, werde ich es prüfen.“

„Prima“, erwiderte Cassie und spürte, wie Panik sie überfiel. Worauf, in aller Welt, hatte sie sich da eingelassen?

„Und was nun?“

Ja, was nun? Sie schluckte. „Ich sollte mir schätzungsweise das Anwesen anschauen und eine Liste der erforderlichen Arbeiten erstellen“, meinte sie, und Jake nickte zu ihrer Erleichterung. Offenbar war ihre Antwort akzeptabel gewesen.

„Das ergibt einen Sinn. Kannst du am Donnerstag nach Cornwall kommen? Ich muss selbst noch einmal hin, um mit der Anwältin zu sprechen. Falls es dir passt, könnten wir zusammen fahren.“

Nein, es passte ihr nicht, doch hütete sie sich, es offen zu sagen. Viele Stunden neben Jake im Wagen zu sitzen war nicht gerade eine erfreuliche Aussicht. Aber wenn sie am Ende einen Auftrag an Land ziehen konnte, würde sich ihr Einsatz lohnen.

„Natürlich, gerne. Ich bin bereits fertig, wann immer du aufbrechen willst.“

Mit diversen Plastiktüten beladen, kämpfte Cassie sich mit ihrem Köfferchen auf Rädern über die Türschwelle. Jake seufzte und stieg aus dem Auto. In der Hoffnung, gleich wieder starten zu können, hatte er es in der zweiten Reihe geparkt. Aber daraus würde eindeutig nichts werden.

Er hatte in den letzten zehn Jahren nicht viele Fehler gemacht. Cassie mit der Umwandlung von Portrevick Hall zu betrauen war jedoch wohl einer davon. Insgeheim war er beeindruckt von ihrer Wortgewalt gewesen, hatte aber auch ihre mangelnde Erfahrung erkannt. Dann hatte er sich von ihren großen braunen Augen und dem sinnlichen Mund in den Bann ziehen lassen. Und bevor er so richtig gewusst hatte, was er tat, hatte er ihr die Aufgabe übertragen.

Du musst kurzfristig verrückt gewesen sein, beschloss er, als er Cassie das Köfferchen abnahm. Sie musste die am wenigsten organisierte Organisatorin sein, der er je begegnet war.

Sie ist die Unordnung in Person, dachte er missbilligend. Ihre braunen Locken waren zerzaust, und ihr buntes Outfit wirkte zusammengewürfelt. An Schick und Eleganz schien sie keinen Gedanken verschwendet zu haben. Sie hatte sich zweifellos zu einer hübschen Frau entwickelt. Allerdings könnte es nicht schaden, würde sie ein wenig von der Gepflegtheit seiner Freundin Natasha besitzen.

„Wozu brauchst du das ganze Zeug?“, fragte er, während er die Plastiktüten in den Kofferraum lud. „Wir fahren übermorgen wieder zurück.“

„Das meiste gehört Tina. Sie hat mich vor etlichen Monaten besucht und die Hälfte ihrer Klamotten bei mir gelassen. Da sie mich zu sich eingeladen hat, nutze ich die Gelegenheit, sie ihr zurückzubringen.“

Dankend hatte Cassie Jakes Angebot abgelehnt, ebenfalls im Landsitz zu übernachten. Die Nähe war ihr zu groß erschienen. Zwar gab es dort Zimmer zuhauf, aber sie würden letztlich unter demselben Dach schlafen. Was, wenn sie morgens im Pyjama in die Küche ging, um sich einen Tee zuzubereiten, und dort auf ihn traf? Sie wollte ihm bestimmt nicht ohne Make-up begegnen.

„Ich dachte, wenn ich schon einmal dort bin, könnte ich gleich übers Wochenende bleiben.“ Sie schlenderte zur Beifahrertür. „Es ist eine Ewigkeit her, dass Tina und ich gemütlich zusammengesessen und erzählt haben. Am Montag kann ich dann mit einigen Fachleuten vor Ort sprechen und danach mit dem Zug zurückkehren.“

Verflixt, sie redete wieder einmal zu viel. Die anstehende lange Fahrt mit Jake machte sie lächerlicherweise nervös. Ihn nach zehn Jahren wiederzusehen hatte sich seltsam angefühlt und sie verwirrt. Zwar war er ihr äußerlich noch vertraut, doch verhielt er sich wie ein Fremder.

Was es ihr in gewisser Hinsicht erleichterte, ihn und den Jake von früher voneinander zu trennen. Der einst wütende, mürrische Rebell war nun die Beherrschtheit in Person und weniger bedrohlich, allerdings genauso einschüchternd.

Offenbar kam er direkt aus dem Büro, denn er trug einen Anzug und ein weißes Hemd. Bevor er sich aber wieder hinters Steuer schwang, zog er das Jackett aus, band die Krawatte ab und krempelte die Ärmel hoch.

„Okay, auf geht’s.“ Jake startete den Motor.

Cassie legte den Sicherheitsgurt an. Und obwohl es ein großer, luxuriös mit Ledersitzen ausgestatteter Wagen war, fühlte sie sich beengt und unbehaglich. Jake saß nur Zentimeter von ihr entfernt und schien mit seiner Gegenwart den ganzen Innenraum auszufüllen. Sie meinte, kaum atmen zu können, und öffnete das Fenster.

„Die Klimaanlage ist in Betrieb“, erklärte er und drückte auf einen Knopf, sodass es sich wieder schloss.

„Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass du auf einem Motorrad kommen würdest“, erwiderte sie im Plauderton, um ihre Nervosität zu verbergen.

„Wie gut, dass nicht, in Anbetracht deines Gepäcks.“ Er reihte sich in den Straßenverkehr ein.

„Ich wollte schon immer mal gern auf dem Sozius sitzen.“

„Bis runter nach Cornwall dürfte dir der Spaß bestimmt vergangen sein. Im Auto hast du es doch viel bequemer. Außerdem besitze ich kein Motorrad mehr. Diese Zeiten habe ich hinter mir gelassen.“

„Du hast dich verändert.“

„Das hoffe ich sehr.“

Warum ist es mir nicht gelungen, überlegte Cassie unwillkürlich und beneidete ihn. Sie könnte heute eine elegante, beruflich erfolgreiche Frau sein, die sich nicht nur mehr schlecht als recht durchs Leben schlug und zumeist fühlte wie einst als Siebzehnjährige. Wie hatte er es geschafft?

„Was hast du in den letzten zehn Jahren getan?“

„Ich war lange in den Staaten, habe Betriebswirtschaft studiert und schließlich meinen Abschluss dann in Harvard gemacht.“

„Wirklich?“ Sie hatte sich oft gefragt, was aus Jake geworden war, sich ihn aber nie auf der Universität vorgestellt. Sie hatte gedacht, dass er sich vielleicht mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt oder irgendwo eine Strandbar leitete. Dass er ein Harvardabsolvent war, würde sogar ihren Vater beeindrucken.

„Ich hatte keine Ahnung.“

Jake zuckte die Schultern. „Ich hatte Glück. Ich habe einen Job in einer kleineren Firma in Seattle angetreten, als sie gerade anfing zu expandieren. Es war eine aufregende Zeit, in der ich viele wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Das Unternehmen war einer der Marktführer auf dem Gebiet der Digitaltechnik. Primordia ist in derselben Branche tätig, was vorteilhaft für mich gewesen ist, als man dort einen neuen Generaldirektor suchte. Allerdings bedurfte es einiger Verhandlungen, um mich nach London zurückzuholen.“

„Wolltest du nicht gern wieder herkommen?“

„Nicht sonderlich. Doch dann hat man mir ein Angebot unterbreitet, das selbst ich nicht ablehnen konnte.“

„Du wurdest von einem Headhunter abgeworben?“

„So läuft das“, antwortete Jake gleichmütig. „Was ist mit dir? Wie lange bist du bei Avalon?“

„Seit Anfang des Jahres. Vorher habe ich als Rezeptionistin gearbeitet. Ich habe schon diverse Jobs gemacht. Mal als Verkäuferin oder Aushilfskraft oder Bedienung …“ Sie seufzte. „Nicht gerade eine beeindruckende Karriere, wie mein Vater mich immer wieder erinnert. Ich bin eine riesige Enttäuschung für meine Eltern. Meine Geschwister haben alle in Cambridge studiert. Liz ist Ärztin, Tom Architekt und Jack Rechtsanwalt. Sie stehen erfolgreich mit beiden Beinen im Leben, während ich schlichtweg das Problemkind der Familie bin.“ Verflixt, sie hatte nicht, wie beabsichtigt, witzig geklungen, sondern ziemlich lahm. Als würde sie es nicht unbedingt für einen solch gelungenen Scherz halten. „Sie telefonieren ständig miteinander und beratschlagen, was sie meinetwegen unternehmen sollen.“

Aber das würde sich jetzt ändern! Sie würde Portrevick Hall in ein Hochzeitsparadies verwandeln. Berühmtheiten würden sich darum reißen, dort zu heiraten. Nach ein oder zwei Jahren könnte man auf Werbekampagnen verzichten, da das Anwesen bei jedermann bekannt für seine unübertrefflichen Hochzeitsfeiern wäre.

War es nicht Cassandra Grey, die Portrevick Hall zum Inbegriff eleganter, exklusiver Hochzeiten gemacht hat? würden die Leute sagen. Und sie selbst würde von Headhuntern mit Anrufen bombardiert werden. Nicht schon wieder, würde sie seufzen. Wann werden die Typen endlich begreifen, dass ich keine Festanstellung will.

Denn zu dem Zeitpunkt würde sie eine angesehene Beraterin sein, deren Dienste Manager von Luxushotels auf der ganzen Welt nachfragten. Cassie setzte sich bequemer hin und genoss ihre Fantasien.

Irgendwann würde sie es sicher leid sein, nach New York, Dubai oder Sydney zu jetten. Doch ihre Geschwister würden weiter miteinander telefonieren – aber um sich darüber zu beklagen, wie öde ihr Berufsalltag im Vergleich zu dem glamourösen Leben der kleinen Schwester war.

„Und was unternimmt Cassie in eigener Sache?“, erkundigte sich Jake und riss sie aus ihren Träumereien.

„Ich werde weiter bei Avalon arbeiten. Es ist der beste Job, den ich je hatte. Ich werde alles tun, um ihn zu behalten.“ Was auch einschließt, vorzugeben, dass ich etwas von Projektmanagement verstehe, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Was macht eigentlich eine Heiratsplanerin den ganzen Tag über?“

„Alles und jedes. Sei es, ein Streichquartett zu buchen, nach dem genauen Farbton für ein Band zu suchen oder eine ausgefallene Kuchenverzierung zu finden. Es ist ungeheuer abwechslungsreich. In der einen Minute hilft man der Braut bei der Auswahl ihres Kleids, und in der nächsten kümmert man sich um die Hotelreservierungen für die Gäste. Und natürlich bin ich bei allen Hochzeiten dabei.“

Jake verzog das Gesicht. „Das klingt schrecklich. Wird es dir nicht langweilig?“

„Nie und nimmer! Ich liebe Hochzeiten und muss jedes Mal weinen. Ganz im Ernst“, fügte sie hinzu, als er sie ungläubig ansah.

„Warum? Es sind Klienten, keine Freunde.“

„Wenn man über Monate hinweg gemeinsam die Hochzeit plant, werden sie gewissermaßen zu Freunden. Doch spielt es für mich keine Rolle, ob ich die Brautleute kenne oder nicht. Wenn ich an einem Standesamt vorbeigehe und dort kommt gerade ein frisch getrautes Paar heraus, könnte ich zu weinen anfangen. Eine Hochzeit ist solch ein freudiges, hoffnungsfrohes Ereignis.“

„Allen gegenteiligen Beweisen zum Trotz“, erwiderte Jake bissig. „Wie viele der Jungvermählten, auf deren Hochzeit du dieses Jahr Tränen vergossen hast, enden nach Ablauf des nächsten vor dem Scheidungsrichter?“

„Viele Leute heiraten mehr als einmal. Sie wissen, wie schwer eine Ehe sein kann, binden sich aber dennoch und wollen es wagen. Ich finde das wunderbar. Sag, was hast du gegen das Heiraten?“

„Nichts. Ich finde nur die Kosten und den ganzen Aufwand sinnlos. Zu heiraten ist eine ernste Angelegenheit und sollte entsprechend angegangen werden. Ohne das inzwischen übliche pompöse Drumherum.“

„Eine Hochzeit ist ein Fest. Was sollen Braut und Bräutigam deiner Meinung nach tun? Sich zusammensetzen und eine Checkliste anfertigen?“

„Dann würden sie zumindest wissen, ob sie zueinanderpassen.“

Cassie verdrehte die Augen. „Was würde auf deiner Liste stehen?“

„Für mich wäre bedeutsam, dass meine Frau in spe intelligent, vernünftig und … vertrauenswürdig ist. Noch wichtiger wäre mir jedoch, dass wir die gleichen Ziele hätten und dieselbe Einstellung, was den beruflichen Erfolg betrifft … und den Sex natürlich … und die kleinen Dinge des Lebens, wie zum Beispiel Ordnung und Sauberkeit, die einer Beziehung schnell den Todesstoß versetzen können.“

„Weiter nichts?“, fragte sie bissig. Sie würde auf seiner Liste nicht viele Häkchen erhalten. Eigentlich hatte er eine Frau beschrieben, die das genaue Gegenteil von ihr war. „Und wo wirst du dieses Musterexemplar finden?“

„Das habe ich bereits.“

„Tatsächlich.“ Warum war sie ärgerlich? „Wie heißt sie?“

„Natasha. Wir sind seit sechs Monaten zusammen.“

„Wieso hast du sie noch nicht geheiratet, wenn sie so perfekt ist?“

„Wir sind einfach noch nicht dazu gekommen, darüber zu reden. Es wäre aber sicher gut. Ja, es scheint mir vernünftig.“

„Vernünftig?“, wiederholte Cassie ungläubig. „Man sollte aus Liebe heiraten, nicht aus Vernunft.“

„Den Bund fürs Leben aus Liebe zu schließen ist in meinen Augen unvernünftig.“

Wo blieb da die Romantik? Cassie schüttelte den Kopf. „Solltest du je zu der Ansicht gelangen, dass es nicht ganz genügt, gemeinsam eine Checkliste anzufertigen, dann erinnere dich, dass Avalon dir bei der Hochzeitsplanung helfen kann.“

„Ich werde es mir merken. Natasha wird schätzungsweise eine wie auch immer geartete Feier wollen. Sie ist allerdings eine sehr erfolgreiche Anwältin und dürfte kaum Zeit haben, sich viel um die Organisation zu kümmern.“

Natürlich ist sie in ihrem Beruf erfolgreich, dachte Cassie und fasste sogleich eine Abneigung gegen seine perfekte Freundin. Fast könnte man meinen, du wärst eifersüchtig, überlegte sie. Nein, das war total lächerlich.

„Ich würde ganz bestimmt nicht wissen, wo ich anfangen sollte“, fuhr Jake fort. „Mit Hochzeiten kenne ich mich absolut nicht aus.“

„Du bist doch sicher schon auf vielen solcher Feierlichkeiten gewesen, oder?“

„Nur auf zweien. Da ich bis letztes Jahr noch in den Staaten lebte, habe ich mehrere Hochzeiten in der eigenen Familie verpasst.“

„Was ist mit denen deiner Freunde? Meine scheinen alle in den letzten zwölf Monaten die Ehe eingegangen zu sein. Ich hatte zeitweilig das Gefühl, ich würde jedes zweite Wochenende auf der Hochzeit eines Bekannten sein. Als wäre es ansteckend, waren sie plötzlich alle verheiratet.“

„Jeder außer dir?“

„Zumindest kommt es mir so vor.“ Cassie seufzte.

„Warum bist du es nicht?“

„Vermutlich, weil ich den Richtigen noch nicht gefunden habe. Natürlich hatte ich schon Freunde. Aber keiner besaß das gewisse Etwas.“

„Sag nicht, du stehst immer noch auf Rupert?“ Süffisant blickte Jake sie von der Seite an, bevor er sich wieder auf den Straßenverkehr konzentrierte.

„Natürlich nicht.“

Cassie errötete vor Verlegenheit, als sie sich daran erinnerte, wie sehr sie einst für Rupert geschwärmt hatte. Nicht, dass sie es sich verübelte. Welche Siebzehnjährige erlag nicht der tödlichen Kombination aus Glamour, blendendem Aussehen und imposantem Gehabe? Und Rupert konnte sehr charmant sein, wenn er wollte. Wesentlich weniger jedoch, wenn ihm nicht danach war, wie sie festgestellt hatte, bevor Jake sie zum zweiten Mal geküsst hatte.

Verflixt, du willst nicht an den Kuss denken, ermahnte sie sich und schaute zum Fenster hinaus, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Aber es gelang ihr nicht, sich abzulenken. Sie meinte, wieder Jakes muskulösen Körper zu spüren und den Duft seiner Lederjacke zu riechen.

Angestrengt versuchte sie, Londons Häuserfronten zu betrachten. Doch ihr Blick schweifte ein ums andere Mal zu Jake hin, der sich voll auf den regen Straßenverkehr konzentrierte. Schließlich gab sie es auf, ihre Augen kontrollieren zu wollen. Sie studierte sein markantes Profil und spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, als sie bei seinem Mund angelangt war.

Sie wusste, wie er sich anfühlte und schmeckte. Wie warm und überzeugend die festen und zugleich weichen Lippen sein konnten. Sie erinnerte sich so lebhaft an jenen Kuss, dass ihr einen Moment schwindelig wurde.

Cassie schluckte. „Ich habe als Teenager für Rupert geschwärmt. Das ist lange her.“ Sie zwang sich, geradeaus zu schauen. „Weißt du noch, wie unscheinbar ich war? Ich habe die Fantasie, dass er mich nicht wiedererkennen würde, sollte ich ihm je über den Weg laufen.“

„Ich habe dich wiedererkannt“, antwortete Jake wenig hilfreich.

„Nun ja, so ist das eben mit Fantasien“, erwiderte sie schroff. „Sie entsprechen nicht der Wirklichkeit. Rupert lebt in einer anderen Welt. Ich werde ihn vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen – außer auf einem Bild in einem Hochglanzmagazin, wo er eine strahlend schöne Berühmtheit im Arm hält. Selbst wenn ich ihm aufgrund eines unwahrscheinlichen Zufalls begegnen sollte, würde er mich bestimmt nicht bemerken, geschweige denn erkennen.“

„Warum nicht?“

„Ich bin viel zu gewöhnlich für Leute wie Rupert.“ Cassie seufzte. „Damit hattest du recht.“

Jake blickte überrascht drein. „Wann habe ich je gesagt, du seist gewöhnlich?“

„Du weißt, wann.“ Vorwurfsvoll funkelte sie ihn an. „Nach dem Allantide-Fest.“ Nachdem du mich geküsst hast. „Bevor du Rupert auf die Nase geboxt hast. Du meintest wohl, ihm erzählen zu müssen, dass ich ihm nicht annähernd ebenbürtig sei.“ Selbst nach all den Jahren nagte es noch an ihr.

„Das warst du nicht.“

„Warum habt ihr euch dann geprügelt?“

„Nicht, weil Rupert deine Ebenbürtigkeit verteidigt hat und deine Bereitwilligkeit, eine heiße Affäre mit ihm anzufangen, falls du das angenommen hast.“

„Er hat gesagt, du seist beleidigend gewesen.“

„So?“ Jake klang leicht erbittert.

Die Wahrheit zu verdrehen – typisch Rupert, dachte Jake. Er hatte an der Bar gesessen und etwas getrunken, als Rupert mit seinem wie üblich recht stummen Gefolge hereingekommen war. Schon immer hatte er Schwierigkeiten mit dessen arrogantem Verhalten gehabt. An jenem Abend war es ihm besonders unerträglich erschienen.

Oft hatte er sich seither gefragt, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte er sich in einer besseren Stimmung befunden. Cassies ungeschickter, süßer Kuss hatte ihn überrascht. Zu wissen, dass sie ihn nur benutzt hatte, um Ruperts Aufmerksamkeit zu erregen, hatte ihm nicht im Geringsten geholfen. Er war gereizt gewesen und wütend auf sich, weil er geglaubt hatte, es könnte mehr dahinterstecken.

Dann hatte Rupert wie gewöhnlich angegeben und damit geprahlt, dass er mit der linkischen Tochter des Gutsverwalters geschlafen habe. Natürlich hatten seine „Getreuen“ gelacht. Jake hatte die Finger um sein Glas gekrallt. Cassie war noch so jung und verdiente es nicht, dass ihr erstes sexuelles Erlebnis im Pub breitgetreten wurde.

Rupert hatte sich immer weiter gebrüstet und seinen Anhang amüsiert. Schließlich hatte es Jake gereicht. Er war aufgestanden und hatte Rupert zur Rede gestellt. Seine Gefolgsleute hatten höhnisch gejohlt, als er ihm erklärte, er solle sich von Cassie fernhalten. Aber zumindest hatte er sich die Genugtuung verschaffen können, dass ihnen allen das Grinsen vergangen war.

Am meisten Rupert. Jake lächelte grimmig, während er sich daran erinnerte, wie er den jahrelang aufgestauten Groll abreagiert hatte. Rupert auf die Nase zu boxen war ein wunderbarer Moment gewesen und es wert, dass man ihm ein Lokalverbot erteilt hatte.

Wäre er Rupert gegenüber nicht handgreiflich geworden, hätte dieser ihn nicht wegen Körperverletzung anzeigen wollen und Sir Ian nichts von dem Vorfall gehört. Und dann wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Ja, das Ganze hatte sich zweifellos gelohnt.

3. KAPITEL

„Vermutlich steht mein Wort gegen das von Rupert“, sagte Jake zu Cassie. „Doch ich versichere dir, ich habe mich nie beleidigend über dich geäußert. Und gewöhnlich zu sein ist etwas anderes, als nicht ebenbürtig zu sein. Glaub mir, du bist mir nie gewöhnlich vorgekommen.“

„Aber das bin ich“, erwiderte sie niedergeschlagen. „Zumindest im Vergleich mit Rupert. Er ist so toll. Selbst du musst das zugeben“, fuhr sie fort, und er schnaubte verächtlich.

Sie konnte nachvollziehen, dass er nichts für ihn übrighatte. Rupert sah zwar blendend aus, aber selbst, als sie total für ihn geschwärmt hatte, war ihr seine Arroganz nicht entgangen. Damals hatte sie gemeint, diese Überheblichkeit würde ihn nur noch reizvoller machen.

Die Wahrheit war, dass sie immer noch eine Schwäche für den Sonnyboy mit dem schlechten Benehmen hatte. Er war vielleicht kein Mann zum Heiraten, doch war und blieb er ungemein attraktiv.

Cassie seufzte wehmütig. „Rupert konnte sehr charmant sein“, erklärte sie, obwohl sie wusste, dass Jake sich wohl kaum überzeugen lassen würde.

Sie hatten den Londoner Stadtverkehr hinter sich gelassen und endlich die Autobahn erreicht. Allerdings leuchteten schon die ersten Warnzeichen auf, die Staus ankündigten. Frustriert drosselte Jake das Tempo.

„Was ist so charmant daran, das Erbe der Eltern zu vergeuden und danach seinem Onkel auf der Tasche zu liegen? Sir Ian war es schließlich leid, ihm aus der Klemme zu helfen. Aber er hat sein Bestes getan, um Rupert zu ermutigen, ein geregeltes Leben zu führen. Er hat verfügt, dass sein Vermögen treuhänderisch verwaltet werden soll, bis Rupert vierzig und hoffentlich vernünftig geworden ist.“

„Vierzig?“ Cassie schnappte nach Luft. Rupert war jetzt zweiunddreißig und es gewohnt, auf großem Fuß zu leben. „Wie schrecklich!“, stieß sie, ohne nachzudenken, hervor. „Was soll er bloß machen?“

„Er könnte es wie der Rest von uns mit Arbeiten versuchen. Oder wenn er sich nicht dazu überwinden kann, bleibt ihm immer noch die Möglichkeit zu heiraten. Sir Ian hat nämlich testamentarisch festgelegt, dass Rupert das Treuhandvermögen erhalten könnte, wenn er heiratet und ein geregeltes Leben führt. Nur kann er nicht einfach irgendwen heiraten, um an das Geld zu kommen. Er muss mich als Treuhänder überzeugen, dass es keine Scheinehe und seine Partnerin eine vernünftige Frau ist, bevor ich das Vermögen freigebe.“

„Rupert war bestimmt sehr wütend, als er davon erfahren hat.“

„Er war nicht sonderlich begeistert und hat probiert, den Letzten Willen seines Onkels anzufechten. Als ihn das nicht weiterbrachte, schlug er vor, wir sollten uns zusammensetzen und ‚zivilisiert‘ miteinander reden. Womit er vermutlich gemeint hat, dass ich Sir Ians Wünsche ignoriere und ihm das Erbe auszahle. Selbstverständlich war ich bereit, mich zivilisiert zu zeigen. Ich habe ihn auf einen Drink eingeladen, und Rupert benahm sich wie in alten Zeiten. Er war arrogant und herablassend. Ich hätte ihm am liebsten die Nase erneut gebrochen.“

„Was du aber nicht getan hast!“

„Nein. Allerdings weiß ich nicht, was passiert wäre, wenn Natasha nicht da gewesen wäre.“

„Was hat sie von ihm gehalten?“

„Sie fand ihn oberflächlich.“

„Und sicher auch hinreißend.“ Provozierend sah Cassie ihn an.

„Sie ist viel zu vernünftig, um die Leute nach ihrem Äußeren zu beurteilen“, erwiderte er steif.

Natürlich! Cassie verdrehte die Augen. „Wieso ist sie dann mit dir zusammen, wenn sie ach so vernünftig ist?“, fragte sie und vergaß kurzfristig, welch wichtiger Klient Jake war.

„Wir verstehen uns sehr gut.“

„Was, genau, soll das heißen?“

Vor ihnen leuchteten rote Bremslichter auf, und Jake lenkte den Wagen auf die mittlere Fahrspur. „Dass wir bestens zueinanderpassen.“

Natasha war alles, was er sich von einer Partnerin erhoffte. Sie war bildschön und hatte einen ausgesprochen wachen Verstand. Anders als seine früheren Freundinnen verlangte sie nicht permanent nach gefühlsmäßiger Rückversicherung. Sie konzentrierte sich auf ihre eigene Karriere und verstand es, wenn er oft sehr lange arbeitete. Darüber hatte sie sich noch nie beklagt.

Doch vor allem besaß sie enorm viel Klasse. Sie strahlte die Selbstsicherheit aus, die man zumeist gewann, wenn man in privilegierten Verhältnissen aufwuchs. Jedes Mal, wenn er Natasha ansah, wusste er, dass er Portrevick und die Vergangenheit endlich hinter sich gelassen hatte.

Jake schaltete in einen niedrigeren Gang, denn sie kamen nur noch im Schneckentempo voran. „Hoffentlich entspannt sich die Verkehrslage, wenn wir den Großraum London hinter uns haben. Sonst dauert die Fahrt eine Ewigkeit.“

Bloß nicht, dachte Cassie. Sie empfand seine Nähe schon jetzt als fast erdrückend. Außerdem hatte sie Hunger. Aus Angst, nicht rechtzeitig fertig zu sein, hatte sie nicht gefrühstückt. Irgendwann würde Jake sicher tanken müssen und auch etwas essen wollen. Aber wenn sie weiter lediglich vorwärtskrochen, würden sie noch Stunden bis zur nächsten Tankstelle brauchen.

Mal ging es auf der rechten Spur schneller als auf der mittleren oder linken, dann wieder umgekehrt. Sie überholten immer dieselben Wagen oder wurden von diesen passiert. Erneut schob sich eine blaue Limousine an ihnen vorbei. Die beiden Insassen blickten stur geradeaus und redeten nicht miteinander.

„Bestimmt haben die zwei sich gestritten“, sagte Cassie.

„Wer?“

„Das Paar in dem Auto links vor uns. Ich weiß nicht, ob sie wieder einmal die Zahnpastatube nicht zugemacht hat oder sehr besitzergreifend ist und schmollt, weil er eben eine SMS von seiner Sekretärin erhalten hat.“

Ungläubig sah Jake kurz zu ihr hin. „Was ist falsch daran, wenn die Sekretärin einem etwas simst?“

„Die Frau denkt, er habe eine Affäre mit ihr“, antwortete Cassie unverzüglich. „Sie besteht darauf, dass sie sein Handy bedient, während er hinterm Steuer sitzt. Natürlich war die Nachricht harmlos. Möglicherweise ging es nur um die Bestätigung von einem Meeting oder dergleichen. Doch seine Frau weiß einfach, dass es ein Code ist.“

Sie fuhren gerade an dem Wagen vorbei, und Jake wandte unwillkürlich den Kopf. Cassie hatte recht. Die beiden saßen reglos nebeneinander und blickten stumm nach vorne. „Vielleicht sind sie unterwegs zu den Schwiegereltern“, hörte er sich zu seiner Verwunderung sagen.

Kurz schaute sie noch einmal hin. „Ja, das könnte sein. Zu ihren oder seinen Eltern?“

„Vermutlich zu seinen. Ihre Miene ist eisig. Sie tut wahrscheinlich etwas, das sie nicht will. Seine Eltern haben wohl keine hohe Meinung von ihr.“

„Hey, du bist gut darin.“ Cassie lachte und sah nach rechts. Sie überholten einen Kombi mit zwei älteren Leuten. Der Mann umklammerte das Lenkrad, und die Frau neben ihm redete gerade. „Großeltern, die ihre Tochter besuchen wollen“, erklärte sie. „Nein, das ist zu leicht.“

„Möglicherweise haben sie eine heiße Affäre und brennen zusammen durch.“ Jake klang ironisch.

„Die Idee gefällt mir. Aber die beiden wirken viel zu gelassen miteinander. Bestimmt hat sie ihm ständig etwas erzählt, und er hat kein Wort mitbekommen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist“, erwiderte er kaum hörbar, und sie blickte kurz zu ihm hin.

„Was denkt man wohl über uns?“

„Ich bezweifle stark, dass sich jemand über uns Gedanken macht.“

„Wir müssen wie jedes andere Paar aussehen, das die Stadt für ein längeres Wochenende verlässt“, sagte Cassie unbeirrt.

Vielleicht fühlt es sich deshalb so seltsam vertraut an, neben ihm zu sitzen, überlegte sie. Wären sie ein Paar, könnte sie die Hand auf seinen Schenkel legen. Sie könnte ein Bonbon auswickeln und es ihm einfach in den Mund schieben. Auch könnte sie Jake zusetzen, dass er anhielt und sie etwas aßen.

Lass das, ermahnte sie sich. Sie konnte nichts dergleichen tun. Vor allem nicht ihm die Hand aufs Bein legen! Eilig richtete sie die Aufmerksamkeit wieder darauf, die Leute in den anderen Fahrzeugen zu beobachten.

„Wen haben wir denn da“, meinte sie, als sie einen abgespannt wirkenden Mittvierziger allein im Wagen entdeckte. Im Nu erfand sie eine komplizierte Geschichte. Er war ein Familienvater, der ein Doppelleben führte. Sie benannte sogar die beiden Frauen sowie die fünf Kinder und den Hamster, ohne kaum eine Atempause zu machen.

Jake schüttelte den Kopf. Vergebens versuchte er, sich vorzustellen, dass Natasha über die Insassen in anderen Autos spekulierte. Sie würde es als kindisch betrachten. Und das war es auch.

Andererseits ödete ihn der Stop-and-go-Verkehr längst nicht so an wie sonst immer. Was eindeutig mit Cassie zusammenhing. Gerade schnitt sie einem kleinen Jungen auf dem Rücksitz eines Kombis eine Grimasse. Der Kleine hielt sich die Augen zu und streckte ihr die Zunge heraus. Cassie legte die Daumen an die Ohren und wackelte mit den Fingern.

Jake war hin und her gerissen zwischen Entnervung und Amüsement. Wie kam sie bloß auf die Idee, sie könnte gewöhnlich sein? Er kannte niemanden, der es weniger war.

Ungeduldig blickte er auf die Armbanduhr. Es war noch nicht einmal Mittag, und trotzdem herrschte bereits so viel Betrieb. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Schon jetzt hatte er das Gefühl, sie wären seit einer Ewigkeit unterwegs.

Cassie hatte endlich zu reden aufgehört. Doch seltsamerweise vermisste er ihre albernen Geschichten. Plötzlich erfüllte ein durchdringendes Knurren die Stille im Wagen. Überrascht sah er Cassie an, die errötete und die Arme vor dem Bauch verschränkte.

„Entschuldige, das war ich. Ich hatte keine Zeit, um zu frühstücken.“ Verflixt, Natashas Magen hätte bestimmt nicht rumort.

„Wir halten und essen etwas, sobald der Stau vorbei ist.“

Nach zwanzig Minuten hatten sie schließlich freie Fahrt, ohne dass die Ursache für den stockenden Verkehr ersichtlich gewesen war. Zu Cassies Enttäuschung stoppten sie aber weder an der ersten Tankstelle noch an der zweiten.

„Wir müssen die Gelegenheit nutzen, so viele Kilometer wie möglich hinter uns zu bringen“, erklärte Jake. Als das Knurren dann aber immer öfter zu hören war, verließ er bei der dritten die Autobahn.

„Lass uns draußen in der Sonne sitzen“, sagte Cassie, nachdem sie sich Kaffee und Sandwiches gekauft hatten. Sie ging auf einen Holztisch zu und ließ sich auf einer der beiden Bänke nieder. „Es ist schön, aus London herauszukommen.“ Sie packte das Eiersandwich aus und biss hinein. „Ich freue mich richtig auf Portrevick. Seit meine Eltern weggezogen sind, bin ich nicht mehr dort gewesen. Doch wo man aufgewachsen ist, fühlt man sich immer zu Hause.“

„Nein.“

„Nicht?“ Cassie, die gerade ein paar Eikrümel von ihrem Rock entfernte, blickte auf. „Fehlt es dir kein bisschen?“

„Manchmal vermisse ich das Meer … aber nicht Portrevick. Dort wohnt es sich nicht unbedingt traumhaft, wenn man nie Geld hat. Oder, wenn die Polizei vor der Tür steht, sobald es irgendwo Ärger gegeben hat, und wissen will, wo man gewesen ist und was man getan hat.“

Von so etwas hatte Cassie keine Ahnung. Sie war in dem behaglichen Heim einer gutbürgerlichen Familie groß geworden. Er und sie hatten zwar im selben Ort gelebt, allerdings gleichzeitig auch in zwei verschiedenen Welten. Nein, ihm ging Portrevick nicht ab. Er hatte zehn Jahre versucht, es hinter sich zu lassen.

„Du hast bestimmt noch Verwandte dort, oder?“ Im Dorf waren früher viele Trevelyans ansässig gewesen. Sie hatten alle den Ruf gehabt, es mit dem Gesetz nicht so genau zu nehmen.

„Nein. Dort ist keine Arbeit mehr für sie vorhanden.“ Außerdem ist Newquay oder Penzance für sie ein weit lohnenderes Pflaster, fügte er insgeheim hinzu. „Sie sind alle weggezogen. Und ich fahre nur wegen der Treuhandangelegenheit hin. Sobald ich alles geregelt habe, werde ich nie mehr dorthin zurückkehren.“

Cassie kämpfte mit dem Sandwich, aus dem an allen Seiten Eikrümel und Mayonnaise herausquollen. Hätte sie sich nur wie Jake für ein Baguette mit Schinken und Käse entschieden, das offenbar problemlos zu essen war.

Verstohlen sah sie zu ihm hin, während sie die Finger ableckte. Sie hatte damals nie den Eindruck gehabt, dass er unglücklich wäre. Er schien immer mit der Gefahr zu flirten. Sei es, indem er mit dem Motorrad durch die Gegend gebraust war oder noch bei enorm rauer See gesurft hatte.

Was war aus jenem wilden, verwegenen jungen Kerl von einst geworden? Der Jake, der ihr jetzt gegenübersaß, wirkte wie die personifizierte Vernunft und Beherrschtheit.

„Wenn du Portrevick so überhaupt nicht magst, warum hast du eingewilligt, Sir Ians Testamentsvollstrecker zu werden?“

„Weil ich es ihm schuldete.“ Jake hatte das Sandwich aufgegessen und strich die Krümel von den Händen. „Ich verdanke es Sir Ian, dass ich Portrevick hinter mir lassen konnte. Er war immer gut zu meiner Mutter. Nach ihrem Tod hat er mir verschiedentlich Jobs aufs Auge gedrückt, damit ich mir etwas Geld verdienen konnte. Er war ein ganz besonderer Mensch und der Einzige im Dorf, der mit einem redete, als würde ihn wirklich interessieren, was man zu sagen hatte. Ich war ein schwieriges Kind aus einer Problemfamilie. Doch Sir Ian gab mir nie das Gefühl, auf mich herabzublicken.“ Anders als Rupert, der wohl jeden Morgen aufstand, in den Spiegel schaute und sich für perfekt hielt.

„Ja, Sir Ian war sehr nett und ein wenig exzentrisch. Aber er vermittelte einem immer den Eindruck, dass man genau derjenige war, den er gerade sehen wollte.“

Jake nickte. Auch er hatte es so empfunden. „Nach der Sache mit Rupert bin ich tags darauf bei ihm gewesen. Wie du weißt, wollte Rupert mich wegen Körperverletzung anzeigen. Sir Ian meinte, er würde seinen Neffen davon abbringen, und wollte, dass ich Portrevick verließ. Wenn ich bliebe, hat er mir erklärt, würde ich nie den schlechten Ruf meiner Familie abschütteln können. Es würde andere Zwischenfälle geben und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Schließlich würde ich wie mein Vater im Gefängnis landen.“

Autor

Jessica Hart
Bisher hat die britische Autorin Jessica Hart insgesamt 60 Romances veröffentlicht. Mit ihren romantischen Romanen gewann sie bereits den US-amerikanischen RITA Award sowie in Großbritannien den RoNa Award. Ihren Abschluss in Französisch machte sie an der University of Edinburgh in Schottland. Seitdem reiste sie durch zahlreiche Länder, da sie sich...
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