Romana Exklusiv Band 275

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ERBLÜHT DIE LIEBE IN PORTUGAL? von WOOD, SARA
Plantagenbesitzer Dex Fitzgerald ist entsetzt, als seine Freundin seit Kindertagen Maddy zugibt, es nur auf sein Geld abgesehen zu haben. Er tut alles, um sie aus Portugal und aus seinem Leben zu vertreiben … bis sie ihm eine andere Seite von sich zeigt. Warum nur hat sie ihm etwas vorgespielt?

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  • Erscheinungstag 23.09.2016
  • Bandnummer 0275
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743550
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Wood, Cara Colter, Nicola Marsh

ROMANA EXKLUSIV BAND 275

PROLOG

„Nennen wir das Kind doch ruhig beim Namen. Dein Großvater erwartet, dass wir heiraten, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte Madlyn, ohne mit der Wimper zu zucken. „Genau wie deine Großmutter.“

„Ich will ehrlich sein: Anfangs fand ich diese Idee geradezu haarsträubend.“

„Herzlichen Dank!“

„Ich sagte anfangs“, entgegnete Dexter grinsend und hauchte einen Kuss auf ihre Hand.

„Was … was soll das heißen? Hast du deine Meinung geändert?“

„Nein“, raunte er mit einem sonderbaren Unterton. „Du hast meine Meinung geändert!“

„Was, ich?“, rief sie entsetzt. „Wie denn das?“ Er fand sie doch wohl nicht etwa attraktiv? Das ging auf gar keinen Fall!

Genüsslich ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern. „Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er mit rauer Stimme. „Du bist einfach … unglaublich!“

1. KAPITEL

„Darf ich endlich gucken?“, fragte Madlyn ungeduldig. „Du hast mich jetzt wirklich lange genug auf die Folter gespannt!“

„Einen Moment noch“, sagte Debbie lachend. „Ohne Lipgloss geht es nicht. So, fertig. Du kannst dich umdrehen.“

Gespannt wandte Maddy sich um und schaute in den Spiegel, aus dem ihr eine völlig unbekannte Frau entgegensah. „Himmel! Bin ich das etwa?“, rief sie überrascht.

Nie hätte sie damit gerechnet, dass ihr das flammend rote Haar stehen würde. Doch die Farbe passte wunderbar zu ihren rauchgrauen Augen und schmeichelte ihrem hellen Teint. Auch der tiefrote Lippenstift wirkte nicht billig, wie eigentlich geplant, sondern eher sexy. Als hätte sie den halben Abend damit verbracht, wild herumzuknutschen.

Als ob! Der einzige Mann, der sie in letzter Zeit geküsst hatte, war ihr Großvater. Auf die Wange wohlgemerkt. Und auch das kam nur äußerst selten vor. Von derartigen Gefühlsbekundungen hielt Grandad nämlich nichts, auch wenn er sie sehr liebte.

Weshalb lag ihm sonst so viel daran, dass sie den Enkel seines ehemaligen Geschäftspartners heiratete? Um ihn nicht zu verletzen, musste sie das Spiel mitspielen und so tun, als wäre sie von diesem Plan vollkommen begeistert. Erst einmal zumindest. Aber sie würde schon dafür sorgen, dass Dexter Fitzgerald die Lust aufs Heiraten verging! Mit Debbies Hilfe hatte sie sich in eine Frau verwandelt, die als Braut für einen Multimillionär aus guter Familie absolut unpassend war. Trotzdem klopfte ihr Herz bei dem Gedanken daran, dass sie in nur wenigen Stunden nach Portugal fliegen würde, in das Land ihrer Kindheit, das sie vor beinahe fünfzehn Jahren verlassen hatte.

„Findest du meine Aufmachung nicht ein bisschen übertrieben?“, fragte Maddy und betrachtete kopfschüttelnd ihr Spiegelbild.

„Doch, schon! Aber genau das ist ja der Plan: Sexbombe mit leicht billigem Beigeschmack, ohne jegliche Manieren und Schamgefühl trifft auf stockkonservative Millionärsfamilie. Vertrau mir, wenn die Fitzgeralds dich so sehen, setzen sie dich gleich ins nächste Flugzeug zurück nach London!“

Ein hoffnungsvolles Lächeln umspielte Maddys Lippen. „Da könntest du allerdings recht haben.“

„Jetzt musst du nur noch lernen, dich wie ein Vamp zu bewegen. Los, schwing mal die Hüften beim Gehen“, kommandierte Debbie. „Nein, nicht so. So.

Kichernd imitierte Maddy den übertriebenen Hüftschwung ihrer Freundin, was mit der hautengen schwarzen Lederhose gar nicht so einfach war. „Nein, das ist wirklich zu lächerlich“, stöhnte sie schließlich und ließ sich in gespielter Verzweiflung aufs Sofa sinken. „So kann ich mich doch nicht in der Öffentlichkeit zeigen!“

„Ich fürchte, du musst. Sonst geht unser Plan nicht auf. Du darfst nicht einfach nur wie verkleidet wirken. Entweder du spielst die Rolle richtig, oder die Wirkung verpufft.“

Maddy seufzte. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

„Du hast keine andere Wahl“, sagte Debbie, die anscheinend ihre Gedanken gelesen hatte. „Dein Großvater ist so versessen darauf, dich mit diesem Dexter zu verheiraten – wenn du da einfach Nein sagst, kriegt er entweder einen Herzanfall oder macht dir das Leben zur Hölle. Oder beides. Nein, die Fitzgeralds müssen dich ablehnen, damit dein Großvater die Schuld auf keinen Fall bei dir sieht.“

„Eigentlich meint Grandad es ja nur gut“, gab Maddy zu bedenken. „Er glaubt, ich brauche einen Mann an meiner Seite. Vor allem jetzt, wo das Kinderheim geschlossen wurde und ich meinen Job verloren habe. Und ich weiß auch wirklich im Moment nicht so richtig, wie es weitergehen soll. Und er ist alt und krank. Er macht sich Sorgen, was aus mir wird, wenn er einmal nicht mehr da ist.“

„Trotzdem hat er sich aus deinem Liebesleben herauszuhalten! Aber nett, wie du bist, kannst du ihm das natürlich nicht ins Gesicht sagen. Also musst du das Millionärssöhnchen auf andere Weise loswerden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Dexter keine Frau will, die nur auf sein Geld aus ist. Zeig mir mal deinen verführerischsten Augenaufschlag!“

Gehorsam klimperte Maddy mit den Wimpern.

„Super!“

„Wirklich?“

„Ja, du bist die geborene Verführerin. Schau dich nur einmal an!“ Energisch zog Debbie ihre Freundin vor den Spiegel. „Und hör auf, an deinem Top herumzuzupfen! Der Ausschnitt ist genau richtig!“

„Ob das die alte Mrs. Fitzgerald auch finden wird? Soweit ich weiß, hat Dexters Großmutter schon immer etwas gegen geldgierige, aufgedonnerte Frauen gehabt.“

Und nach dem, was sie von Dexter selbst noch in Erinnerung hatte, bevorzugte er sicherlich auch eher zurückhaltende Frauen ohne provozierenden Hüftschwung.

Energisch schob Maddy alle Zweifel beiseite. Am Ende könnte die Sache sogar Spaß machen. Theater hatte sie schließlich schon immer gern gespielt. Und Grandad hatte gestern Herzschmerzen bekommen, als sie auch nur angedeutet hatte, was sie von den Hochzeitsplänen hielt. Entweder sie flog nach Portugal und tat wenigstens so, als würde sie auf seinen Vorschlag eingehen, oder sie würde ihn demnächst im Krankenhaus besuchen müssen. Nein, sie hatte wirklich keine Wahl. Aber sie musste absolut sichergehen, dass die Fitzgeralds sie auf direktem Weg wieder nach Hause schickten. So viel stand fest.

„Okay“, seufzte sie. „Sag mir, was ich tun soll, Debbie.“

Dafür brauchte ihre Freundin keine Extraeinladung. Am Ende ihrer Unterrichtsstunde gingen sie in die Stadt. In einer Londoner Fußgängerzone sollte Maddy üben, wie man provozierende Blicke warf und Männer anflirtete. Schüchtern, wie sie war, fiel ihr das anfangs gar nicht so leicht. Doch nach und nach wurde sie selbstbewusster.

Wow, das funktioniert ja wirklich, dachte sie erstaunt, als der dritte junge Mann auf ihre Flirtversuche einging. So fühlte es sich also an, eine Frau zu sein, die begehrt wurde. Und wer hätte gedacht, dass ich derart zwanglos sein kann, wunderte sich Maddy. Die Fitzgeralds würden bald ihr blaues Wunder erleben!

„Vergiss einfach für eine Weile, dass du ein liebenswerter, hilfsbereiter Mensch bist“, riet Debbie ihr auf dem Weg zum Flughafen. „Du interessierst dich nur für dich selbst und für Geld. Klar?“

„Ja, Dex findet das sicher abstoßend. Ich war zwar gerade erst sechs Jahre alt, als seine Eltern ihn auf ein englisches Internat schickten, aber ich weiß noch, dass ihn alle für einen außergewöhnlich lieben Jungen hielten. Wie alt mag er damals wohl gewesen sein? Zehn, glaube ich.“

„Was blieb ihm denn anderes übrig, als nett zu sein? Mit besonders gutem Aussehen konnte er ja schließlich nicht punkten“, erwiderte Debbie spöttisch.

„Er trug eine scheußliche Brille, hatte Sommersprossen und war noch dazu spindeldürr“, bestätigte Maddy. „Aber das hat mich nicht gestört. Hauptsache, der Charakter stimmt. Allerdings würde ich niemals jemanden heiraten, den ich nicht liebe.“

Ihr Ehemann müsste außerdem ganz besonders verständnisvoll sein. Jemand, dem es nichts ausmachte, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Mit dieser Tatsache hatte sie selbst sich schon vor Jahren abfinden müssen, auch wenn diese Sehnsucht nach einem Baby vermutlich nie ganz verschwinden würde. Doch welcher Mann würde sich nur mit ihr zufriedengeben, ohne die Aussicht auf eine eigene Familie?

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich bewundere“, sagte ihre Freundin anerkennend. „Seit Jahren kümmerst du dich hingebungsvoll um deinen Großvater. Dabei ist er überall als Tyrann verschrien. Manchmal muss das alles sehr schwer für dich sein.“

„Er braucht mich“, erwiderte Maddy schlicht. „Und ich habe gelernt, dass es nichts bringt, sich selbst zu bemitleiden. Damals schon, als Großvaters Firma bankrott machte und wir unser ganzes Vermögen verloren. Besser die Zähne zusammenbeißen und zusehen, dass es weitergeht.“

„Das muss schrecklich gewesen sein.“

„Für Grandad war es weitaus schlimmer als für mich.“ Lange hatte es gedauert, bis er sich an den Gedanken gewöhnen konnte, arm zu sein. Zwar hatten die Fitzgeralds ihm seinen Anteil an der Plantage zu einem fairen Preis abgekauft, doch die Schuldner ließen von der großen Summe kaum etwas für ihn und sein verwaistes Enkelkind übrig.

„Wenn er doch nur endlich aufhören würde, die Fitzgeralds zu hassen“, seufzte sie. „Seiner Ansicht nach steht mir die Hälfte von Dexters Vermögen zu. Darum ist er auch so versessen darauf, mich mit ihm zu verheiraten.“

„Du hast mir nie erzählt, weshalb er die Fitzgeralds so verachtet.“

Nach kurzem Schweigen erklärte Maddy: „Er gibt ihnen die Schuld an dem Autounfall, bei dem meine und Dexters Eltern ums Leben gekommen sind. Wie du weißt, haben unsere beiden Familien damals zusammen in einer riesigen alten Villa in Portugal gewohnt.“

Das Land meiner Kindheit! Vor ihrem geistigen Auge stieg das Bild der zerklüfteten Algarve auf, der weltberühmten Steilküste Portugals mit ihren unzähligen Grotten und bizarren Felsformationen, den weißen feinsandigen Stränden und kleinen Buchten, die teilweise nur mit dem Boot erreichbar waren. Wie sehnte sie sich danach, die majestätischen, gelb und rötlich braun schimmernden Felsen wiederzusehen. Oft hatte sie dort gesessen, ganz allein, und den Flamingoschwärmen zugesehen, die sich von Zeit zu Zeit wie eine rosa Wolke über den glitzernden Fluten des Atlantiks erhoben. Sie vermisste die jahrhundertealten Oliven- und Johannisbrotbäume. Und die herrlichen Pinienhaine, in denen sie als Kind so gern nach Chamäleons gesucht hatte. Wenn sie nur daran dachte, schmeckte sie das Aroma der Lorbeerbäume und Wildkräuter.

„Anscheinend hat Dexters Mutter sich irgendwann meinem Vater an den Hals geworfen“, fuhr sie schließlich mit belegter Stimme fort. „Großpapa sagt, ohne ihr schamloses Verhalten wäre der Unfall niemals passiert. Wir wären immer noch alle zusammen in Portugal, reich und glücklich.“

„Das kann niemand wissen. Vielleicht wäre dann irgendetwas anderes passiert“, antwortete Debbie achselzuckend. „Und jetzt ist deine Zukunft erst einmal wichtiger. Vergiss bloß nicht, dich auch auf andere Art danebenzubenehmen. Nicht nur, was Männer betrifft.“

„Soll ich vielleicht laut meine Suppe schlürfen?“

„Zum Beispiel. Schlürf deine Suppe, iss mit den Fingern, oder tanz auf dem Tisch. Ganz egal. Hauptsache, du kommst als Single nach London zurück!“

Als das Auto am Flughafen hielt, atmete Maddy noch einmal tief durch. Dann öffnete sie entschlossen die Tür und stieg aus. Langsam und vorsichtig, um mit ihren zwölf Zentimeter hohen Absätzen die Balance nicht zu verlieren. Sofort eilten ihr zwei Männer zu Hilfe und stritten sich beinahe, wer von ihnen ihren Koffer tragen durfte. Maddy bedankte sich grinsend und warf Debbie einen verschwörerischen Blick zu.

„Showtime“, flüsterte die und zwinkerte ihr zu. „Amüsier dich gut!“

„Ich glaube, das werde ich!“

Als Erstes würde sie jegliche Heiratspläne der Fitzgeralds zunichtemachen. Danach bot sich sicher eine Gelegenheit, mehr über die Ereignisse herauszufinden, die zu dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern geführt hatten.

Weshalb hatte ihr Vater damals mit Dexters Mutter durchbrennen wollen, ohne sich von seinem einzigen Kind zu verabschieden? Schon oft hatte sie versucht, Großvater darüber auszufragen. Doch aus ihm war rein gar nichts herauszukriegen. Dabei musste es einen guten Grund gegeben haben. Und jetzt bot sich ihr endlich eine Gelegenheit, etwas darüber in Erfahrung zu bringen.

Vor Aufregung begann ihr Herz heftig zu klopfen. Eine unerklärliche Vorfreude erfasste sie. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit nahm sie ihr Leben selbst in die Hand. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt wie heute.

Noch ein letztes Mal winkte sie Debbie zu. Dann erlaubte sie einem der Männer mit einem gnädigen Nicken, sich um ihr Gepäck zu kümmern, und stöckelte mit schwingenden Hüften zum Abfertigungsschalter.

Was für ein Abenteuer! Dexter, mach dich auf etwas gefasst!

2. KAPITEL

Nicht einmal zum Duschen und Rasieren hatte Dexter Zeit gehabt. Er hatte einfach viel zu viel zu tun. Ungeduldig wartete er, während die Passagiere des London-Fluges in die Wartehalle des kleinen internationalen Flughafens von Faro drängten. Kaum nahm er die Menschenmenge wahr, die um ihn herum brandete. Nicht einmal die bewundernden Blicke der Frauen bemerkte er. Dabei hätten viele von ihnen nicht das Geringste dagegen gehabt, von einem so gut aussehenden Mann abgeholt zu werden.

Seine Gedanken weilten ganz woanders: bei den verkohlten Ruinen der Quinta, der riesigen Plantage, auf der sich auch die wunderschöne alte Villa befand, die bis vor Kurzem noch das Zuhause der Fitzgeralds gewesen war.

Hier in Faro am Flughafen herumzustehen, passte ihm überhaupt nicht. Himmel, er wollte ja nicht einmal in Portugal sein!

Als eine dicke, schüchtern aussehende junge Frau in einem schlecht sitzenden Kleid herauskam, hielt er lustlos das Schild in die Höhe. Als sie ihn erblickte, lächelte sie ihn kurz an. Dann las sie, was er hastig mit schwarzem Filzstift auf ein Stück Pappe geschrieben hatte, und ging ein wenig enttäuscht weiter. Also doch nicht Madlyn Cook.

Genervt sah er auf die Uhr. Wo blieb sie denn? Vielleicht hatte sie sich ja umentschieden und kam gar nicht?

Gerade wollte er sich umdrehen und zum Wagen zurückgehen, als eine Gruppe johlender Männer, die anscheinend vom Zoll aufgehalten worden waren, seine Aufmerksamkeit erregte. Ein ganzes Rugbyteam in Begleitung seines Trainers und des Clubmaskottchens. Interessiert beobachtete er, wie die Rugbyspieler die hübsche junge Frau auf ihren Armen hochleben ließen, dass ihre roten Locken nur so flogen. Zum ersten Mal seit einer Woche machte der Anflug eines Lächelns den versteinerten Ausdruck seines Gesichts milder. Ein gutes Gefühl!

„Hey, Baby! Ich glaube, da drüben ist dein Empfangskomitee“, rief einer der breitschultrigen Sportler und wies mit dem Finger in Dexters Richtung.

Neugierig wandte Dexter sich um, doch hinter ihm stand keine Menschenseele. Verwirrt sah er den näher kommenden Muskelmännern entgegen. Zwischen ihnen schwebte das Maskottchen wie ein exotischer Schmetterling. Obwohl er es eigentlich eilig hatte, blieb er stehen und musterte sie.

Gar nicht sein Typ! Viel zu billig! Aber sie hatte etwas. Wahnsinn, diese langen, schlanken Beine! Und ein wirklich hübsches, offenes Gesicht – soweit man das unter dem ganzen Make-up erkennen konnte.

Ihr Blick traf seinen, dann las sie das Schild und kam lächelnd auf ihn zu.

Verdutzt starrte er sie an. Konnte es sein, dass …? Ach, Unsinn! Falsches Outfit, falsche Figur, falsche Frau!

„Hi“, hauchte sie. „Ich bin Maddy. Sind Sie der Chauffeur?“

Maddy? Er blinzelte ungläubig. Unmöglich! Aber diese großen grauen Augen kamen ihm irgendwie bekannt vor. Obwohl sie früher nicht so gefunkelt hatten. Auch ihre weichen Lippen erinnerten ihn an das sanfte Mädchen von damals. Trotz der hohen Wangenknochen und der fein geschwungenen Nase, die rein gar nichts mit dem pummeligen Kindergesicht gemein hatten, an das er sich dunkel erinnerte.

„Sind Sie der Chauffeur?“, wiederholte sie mit einem Lächeln, dem selbst ein Haremswächter nicht hätte widerstehen können, und deutete mit den Händen ein Lenkrad an.

„Hm?“, brummte er geistesabwesend und wunderte sich, wie zum Kuckuck aus dem unscheinbaren und stets verunsicherten Kind eine derart atemberaubende, selbstbewusste Frau geworden war.

Nachdenklich legte sie den Kopf auf die Seite und forschte in seinem Gesicht. Dann sagte sie langsam und überdeutlich: „Sie haben wahrscheinlich nicht die leiseste Ahnung, was ich gerade zu Ihnen gesagt habe. Stimmt’s? Leider ist mein Portugiesisch völlig eingerostet. Sprechen Sie Englisch?“

Hier stand er also, sprachlos vor Erstaunen – und dabei hatte er geglaubt, dass ihn im Leben nichts mehr aus der Fassung bringen konnte. Um die ganze Welt war er gereist. Ganz allein hatte er sich durch den tiefsten Dschungel gekämpft. Diverse Narben von offenen Knochenbrüchen und einem überaus schmerzhaften Schlangenbiss bezeugten dies. Zwei leidenschaftliche Affären und eine wundervolle, aber kurze Ehe hatte er hinter sich. Und die Trauer um seine geliebte Luisa, die kurz vor der Geburt ihres gemeinsamen Kindes an Denguefieber verstarb und ihr ungeborenes Baby mit sich nahm. Er biss die Zähne zusammen. Nur nicht wieder diese schmerzvollen Erinnerungen heraufbeschwören!

Vielleicht lag es daran, dass er sich von gefährlichen Situationen angezogen fühlte, dass das Leben ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht brachte. So wie jetzt zum Beispiel. Was für eine Verwandlung! Die kleine dicke Maddy Cook! Kopfschüttelnd strich er sich über die Stirn.

„Englisch … äh, ja“, murmelte er. Sie strahlte ihn sichtbar erleichtert an, machte auf den hohen Absätzen kehrt und schwebte zu den Rugbyspielern zurück. Glücklicherweise schien sie seine Verwirrung für mangelnde Sprachkenntnisse zu halten.

Sonderbar, dass sie ihn gar nicht wiedererkannt hatte. Allerdings hatte er sich seit seiner Kindheit auch ziemlich verändert. Und vielleicht war es ja sogar ganz gut so. Ob er ihr seine Identität noch ein Weilchen verheimlichen konnte? Die verschiedensten Möglichkeiten würden sich dadurch eröffnen.

Erwartet hatte er ein langweiliges, farbloses Mauerblümchen. Schließlich war sie von ihrem tyrannischen Großvater aufgezogen worden. Welches kleine Mädchen konnte sich da schon frei entfalten? Und soweit er wusste, lebte Maddy noch immer bei ihm. In seiner Vorstellung konnte nur eine abgestumpfte Frau das ertragen. Eine, die sich gleichmütig ihrem Schicksal ergab, den alten Mann von vorne bis hinten bediente und alles tat, was er von ihr verlangte. Selbst wenn es sich dabei um eine Ehe mit einem Mann handelte, den sie nicht liebte.

Die Maddy, die ihm jetzt gegenüberstand, würde sich wohl kaum so behandeln lassen. Diese Frau wusste ganz genau, was sie wollte. Davon war er überzeugt. Aber das ergab alles irgendwie keinen Sinn.

Oder war sie vielleicht freiwillig nach Portugal geflogen? Wollte sie ihn etwa heiraten? Diese kleine Verführerin? Na, er würde ihr schon zu verstehen geben, wie ihre Chancen standen! Zum Flughafen war er nur seiner Großmutter zuliebe gefahren. Anscheinend plagte sie das schlechte Gewissen. Jetzt, wo der alte Mr. Cook kränkelte und Maddy vielleicht bald ganz allein dastehen würde.

Eigentlich hatte er zwar anderes zu tun, als um irgendwelche Frauen herumzutanzen, die seine Großmutter ihm aufzudrängen versuchte, aber er war von Anfang an überzeugt gewesen, dass die alte Dame schon noch ihre Meinung ändern würde. Maddy Cook passte einfach nicht zu ihm!

Grinsend betrachtete er sie aus den Augenwinkeln. Sie passte tatsächlich nicht zu ihm. Wenn auch aus völlig anderen Gründen, als zuvor angenommen. Aus der kleinen schüchternen Maddy Cook war wider Erwarten eine äußerst sinnliche und schillernde Frau geworden. Eine, die seine Großmutter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in ihrer Familie würde haben wollen. Also konnte er sich entspannen. Dieses Problem löste sich ausnahmsweise einmal von allein. Sehr gut!

Ungeduldig wartete er, während Maddy sich von der Rugbymannschaft verabschiedete. Ein muskulöser Riese nach dem anderen beugte sich zu der schlanken, aber kurvenreichen jungen Frau hinunter und küsste sie auf die Wange. Man verabredete, sich bald wiederzusehen. Sie versprach, zu einem Match zu kommen, und prompt stritten sich sämtliche Spieler darum, wer von ihnen sie danach zum Essen einladen würde.

Mit einem strahlenden Lächeln kehrte Maddy schließlich zu ihm zurück. Beinahe hätte er ihr Lächeln automatisch erwidert. Doch er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass er nichts von ihr wollte.

„Entschuldigen Sie bitte“, säuselte sie. „Aber ich musste mich einfach noch schnell von den Jungs verabschieden. Während des Fluges haben sie sich wirklich rührend um mich gekümmert. Tut mir leid, dass ich Sie warten ließ.“

Nur mit größter Mühe konnte Dexter seine finstere Miene aufrechterhalten. All das Schmerzliche, Schwere, das ihn in der vergangenen Woche belastet hatte, schien sich in ihrer Gegenwart auf magische Weise in Luft aufzulösen. Trotzdem durfte er jetzt nicht leichtsinnig werden und sich ablenken lassen. Schließlich gab es auf der Quinta noch immer wahnsinnig viel zu tun.

„Ich dachte schon, Sie kommen gar nicht mehr“, sagte er mit rauer Stimme. Großartig, dank Aschestaub und Rauch, die er den ganzen Tag eingeatmet hatte, klang er jetzt wie ein Kettenraucher.

Sofort begannen seine Gedanken wieder, um die verkohlte Ruine zu kreisen, die einst sein Zuhause gewesen war. Entschlossen presste er die Lippen zusammen. Er musste zurück auf die Baustelle. Und zwar so schnell wie möglich!

„Auwei, Sie haben sich ganz schön geärgert, oder? Aber ich konnte wirklich nichts dafür, dass es so lange gedauert hat. Ich wurde am Zoll aufgehalten“, erklärte sie hastig. „Meinen ganzen Koffer haben sie durchwühlt. Und dann wollten sie auch noch mich durchsuchen. Keine Ahnung, wieso. Sehe ich vielleicht wie eine Drogenabhängige aus?“

Langsam ließ er seinen Blick über ihren verführerischen Körper schweifen. Das golden schimmernde Top schien die weiche Fülle ihrer Brüste kaum bändigen zu können. Nein. Nicht wie eine Drogenabhängige …

Plötzlich bemerkte er, dass sich sein Herzschlag bei ihrem Anblick merkwürdig beschleunigte. Ärgerlich runzelte er die Stirn. Wie lange hatte er sich schon für keine Frau mehr interessiert? Wieso mussten seine Hormone sich ausgerechnet jetzt dafür entscheiden, wieder lebendig zu werden?

Doch ihre Kurven waren wirklich atemberaubend. Und in diesem kurzen, engen Lederrock kamen ihre langen, schlanken Beine besonders gut zur Geltung. Viel zu gut für seinen Geschmack. Wie sollte ein Mann denn klar denken, wenn er derartigen Reizen ausgesetzt war?

Kopfschüttelnd erwiderte er: „Vielleicht dachten die Zollbeamten, Sie hätten irgendein Aufputschmittel genommen. Das soll bei hübschen Partygirls wie Ihnen ja vorkommen.“

Soso. Er hielt sie also für ein hübsches Partygirl. „Meine einzigen Aufputschmittel sind Kaffee und das Leben selbst. Mehr brauche ich nicht.“ Sie kicherte und breitete ihre Arme aus, als wollte sie die ganze Welt umarmen.

„Können wir dann jetzt endlich gehen?“, knurrte er. Weshalb war sie denn bloß so fröhlich?

Maddy warf ihm einen koketten Blick zu. „Sicher, wenn Sie so lieb wären, sich um mein Gepäck zu kümmern. Der Trolley zieht immer nach links, und ich habe Angst, jemanden zu überfahren. Ich will nicht noch mehr auffallen, als ich es ohnehin schon tue.“ Und mit einem vielsagenden Lächeln fügte sie hinzu: „Bei Ihren starken Armen wird Ihnen der Trolley aber sicher keine Schwierigkeiten machen.“

Typisch! Erst wickeln sie dich mit süßen Schmeicheleien um den kleinen Finger, und dann nehmen sie dich und dein Bankkonto aus wie eine Weihnachtsgans. Solche Frauen kannte er zur Genüge!

Trotzdem hatte ihr bewundernder Blick seine Wirkung nicht verfehlt. Sein Puls hatte sich spürbar beschleunigt. Verärgert, dass sein Körper plötzlich ein Eigenleben entwickelt hatte, schnappte er sich den eigensinnigen Trolley. Dabei wurde er auf ein Buch aufmerksam, das obenauf lag.

So angeln Sie sich einen Millionär, las er entsetzt. Sofort erstarb jedes Fünkchen Interesse an Maddy, das gewagt hatte, in ihm aufzuflammen.

„Folgen Sie mir“, brummte er, fest entschlossen, diese geldgierige Person so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

„Sehr gern. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich schon darauf freue, Ihren Chef kennenzulernen!“

Dexter grummelte etwas Unverständliches, während Maddy beschwingt neben ihm her tänzelte. Um sie herum blieben die Leute stehen und starrten sie mit offenem Mund an. Die Reaktionen der Männer, meist eine Mischung aus Bewunderung und Begierde, unterschied sich deutlich von denen der Frauen, die nur vernichtende Blicke und giftige Kommentare für sie übrig hatten.

Maddy schien dies jedoch nicht im Geringsten zu stören. Müde wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Da hatte er sich etwas eingehandelt!

„Wissen Sie“, zwitscherte sie fröhlich, „irgendwie sehen Sie Dexter sogar ein bisschen ähnlich.“

Ertappt! Erschrocken sah er sie an. Doch anscheinend glaubte sie, dass ihn dieser Vergleich beleidigt hatte. Denn sie fügte eilig hinzu: „Aber wirklich nur ein bisschen. Ihre Augen sind mir sonderbar vertraut. Allerdings bezweifle ich, dass er auch nur annähernd so gut gebaut ist wie Sie. Arbeiten Sie eigentlich schon lange für die Fitzgeralds?“

Offensichtlich fiel es ihr schwer, mit seinem Tempo mitzuhalten. Wieso er auf einmal wie ein Wahnsinniger über den Flughafen stürmte, konnte er sich auch nicht erklären. Widerwillig verlangsamte er seine Schritte.

„Hm“, brummte er vage. Vielleicht sollte er ihr doch sagen, wer er war?

„Sie haben mir auch noch gar nicht gesagt, wie Sie heißen.“

„Nein“, bestätigte er. Konnte sie etwa Gedanken lesen?

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen, seiner knappen Antwort noch etwas hinzuzufügen. Auf diese Weise wurde er wenigstens nicht in Versuchung geführt, irgendetwas zu sagen, das er später bereuen könnte.

Mit einem Seitenblick auf Maddy stellte er fest, dass sie irgendwie geknickt wirkte. Aber das konnte ja wohl kaum etwas mit ihm zu tun haben. Eine derart selbstbewusste Frau ließ sich bestimmt nicht von einem ungewaschenen Fahrer beeindrucken.

Bei diesem Gedanken fiel ein Schatten über sein Gesicht. Tag und Nacht hatte er in der vergangenen Woche auf der Quinta gearbeitet. Nicht einmal zum Essen hatte er sich Zeit genommen, und einmal war er sogar neben der rauchenden Ruine vor Erschöpfung auf dem Boden eingeschlafen.

Immer, wenn er für einen Moment die Augen schloss, sah er die kümmerlichen, verkohlten Balken und den schwarzen Schutthaufen, die von seinem früheren Zuhause übrig geblieben waren. An nichts anderes konnte er mehr denken. Dieses Feuer hatte weit mehr vernichtet als eine schöne alte Villa. Sein ganzes Leben hatte diese Katastrophe aus den Angeln gehoben!

Nur deshalb hatte er nach Portugal zurückkehren müssen. Wer außer ihm könnte die zerstörten Plantagen je wiederaufbauen? Tausende von kostbaren Pflanzen waren den Flammen zum Opfer gefallen. In den ausgedehnten Eukalyptuswäldern, die die Ländereien seiner Familie umsäumten, hatte der furchtbare Brand begonnen und sich dann kilometerweit ausgedehnt. Und als seine Großmutter das Ausmaß der Tragödie erkannte, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als ihren Enkel aus dem brasilianischen Dschungel zurückzuholen.

Natürlich war er sofort gekommen. Egal, welche Probleme sie früher miteinander gehabt hatten. Wenn seine Familie ihn brauchte, trat alles andere in den Hintergrund.

Trotzdem fühlte er sich gefangen, eingeengt. Er vermisste es, zu reisen, in den abgeschiedensten Teilen der Erde nach seltenen Pflanzen zu suchen, Samen zu sammeln und seine wissenschaftlichen Studien voranzutreiben. Vor allem aber vermisste er sein freies, ungebundenes Leben. Das Leben, das er gewählt hatte, als seine geliebte Mutter ihn wegen Maddys Vater im Stich gelassen hatte. Damals, als seine Welt schon einmal durch eine furchtbare Katastrophe aus den Angeln gehoben worden war.

Völlig verzweifelt vor Trauer und Schmerz hatte er allem, was er einmal so sehr geliebt hatte, den Rücken gekehrt. Seinen autoritären Macho-Vater hatte er überhaupt nicht vermisst. Jeden einzelnen Tag seiner Kindheit hatte dieser ihm nur gezeigt, wie sehr er von seinem stillen, schüchternen Sohn enttäuscht war. Ganz anders seine Mutter. Sie hatte seine Liebe zu Pflanzen verstanden und ihn ermutigt. Jedenfalls bis Jim Cook ihr den Kopf verdrehte.

Ohne das Feuer wäre er nicht zurückgekommen. Und dann hätte seine Großmutter ihn auch nicht mit der absurden Vorstellung belästigen können, die Tochter des Mannes zu heiraten, der für den Tod seiner Mutter verantwortlich war. Was interessierte es ihn, ob der Fitzgerald-Clan einen Erben hatte oder nicht?

Energisch biss er die Zähne zusammen. Nein, er durfte gar nicht so genau über all diese Ereignisse nachdenken. Das schürte nur den Schmerz. Außerdem entschied er immer noch selbst, wen er heiratete! Und Maddy Cook stand überhaupt nicht zur Debatte.

Aber er würde schon dafür sorgen, dass sie sich bei der Familie Fitzgerald alles andere als zu Hause fühlte! Spätestens morgen saß sie wieder im Flugzeug Richtung London. Als ob er so dumm wäre, eine Frau zu heiraten, der er schon von Weitem ansah, dass sie nur auf sein Geld aus war!

Nein, Maddy Cook! Du wirst niemals meine Frau!

3. KAPITEL

Mit finsterer Miene warf Dexter Maddys Gepäck auf die Ladefläche des Lastwagens, wo schon allerlei schmutziges Werkzeug und schweres Gerät von der Baustelle lag.

„Wow“, sagte sie mit einem amüsierten Kichern. „Sie haben wohl früher beim Gepäckdienst vom Flughafen gearbeitet? Wenn nicht, sollten Sie sich bewerben. Ich bin sicher, die würden Sie sofort einstellen.“

Er ignorierte ihre ironische Bemerkung, bewunderte aber insgeheim ihre Schlagfertigkeit. Wie sehr sie sich doch verändert hatte! Als Kind hatte sie sich kaum einmal getraut, den Mund aufzumachen. Und jetzt …

„Steigen Sie ein“, knurrte er und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass er kein Gentleman war. Fast hätte er ihr die Tür aufgehalten! Kam gar nicht infrage, dass er ihr in den Wagen half. Sie durfte sich auf keinen Fall willkommen fühlen. Auch wenn die hohe Stufe zur Fahrerkabine in ihrem engen Minirock ohne Hilfe beinahe unüberwindbar sein musste.

„Okay“, flötete sie scheinbar unbeeindruckt von seiner ruppigen Art. „Das wird sicher lustig. Ich bin noch nie in einem Lastwagen gefahren. Also los.“ Sie atmete tief durch und verlangte: „Drehen Sie sich mal kurz um, bitte.“

Er dachte gar nicht daran! Fasziniert beobachtete er, wie Maddy die hohen Schuhe auszog und den weichen Lederrock so weit hinaufschob, dass ihm beinahe das Herz stehen blieb. Dann stieg sie entschlossen zur Fahrerkabine hinauf.

Perfekt geformte, schlanke Schenkel. Wahrscheinlich verbrachte sie ihre gesamte Freizeit im Fitnessstudio. Unglaublich, die kleine, pummelige Maddy Cook!

„Uh! Hier drinnen ist es aber schmutzig“, stellte sie fest und ließ sich zögernd auf dem Beifahrersitz nieder.

Wortlos setzte Dexter sich hinter das Lenkrad. Aus einem unerfindlichen Grund ärgerte ihn ihre Bemerkung, obwohl sie ganz klar den Tatsachen entsprach.

„Liegt an dem Feuer“, brummte er schließlich.

„Oh, hat es bei Ihnen gebrannt?“

„Nein. War ein Waldbrand.“

„Und Sie mittendrin?“

„Nein.“

„Bloß gut!“

Irrte er sich, oder klang sie wirklich erleichtert? Und warum sagte sie nichts zu dem Feuer, dass das Haus ihrer Kindheit zerstört hatte? Seine Großmutter hatte dem alten Mr. Cook doch mit Sicherheit davon erzählt.

Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. Maddy wusste wahrscheinlich, dass der Reichtum der Fitzgeralds diese Katastrophe spielend überwinden würde. Darum hatte sie sich auch nicht von der Aussicht abschrecken lassen, erst einmal in einem winzigen alten Häuschen auf der Plantage wohnen zu müssen. Ganz offensichtlich würde sie alles tun, um reich zu heiraten!

Neugierig schaute Maddy aus dem Fenster, während Dexter den riesigen LKW vorsichtig durch die von mächtigen Festungsmauern umfriedete historische Altstadt von Faro lenkte. Maddy wusste, dass die Hauptstadt der Algarve schon zu Zeiten der Römer existiert und später 500 Jahre lang von den Mauren beherrscht worden war. Als sie an der Kathedrale vorbeifuhren, hob sie den Blick bewundernd zu dem massiven Glockenturm. Schade, dass sie jetzt keine Zeit hatten! Sie wäre gern hinaufgestiegen! Von dort oben hatte man sicherlich einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und die blaugrünen Lagunen an der felsigen Küste, die sich dahinter erstreckte.

Viel zu schnell ließen sie die kleine Stadt hinter sich und bogen in eine holprige Landstraße ein. Für eine Weile herrschte Schweigen.

Dann riss Dexter plötzlich ein lautes Gähnen aus den Gedanken. „Ich bin vielleicht geschafft!“, erklärte sie und rekelte sich aufreizend in ihrem Sitz. „Wundern Sie sich also nicht, wenn ich unterwegs kurz einnicke. Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ziemlich anstrengend, so im Rampenlicht zu stehen“, fügte sie wie zu sich selbst hinzu.

Was zum Henker meinte sie denn damit? Energisch drückte Dexter aufs Gaspedal. Je eher diese Fahrt zu Ende war, desto besser! Doch die von Schlaglöchern übersäte Straße ließ dieses Tempo nicht zu.

Als sie zum dritten Mal unsanft durchgeschüttelt wurde, quietschte Maddy erschrocken.

Leider machte er den Fehler, sie anzusehen. Der Anblick ihrer verführerischen festen Brüste, die durch die Erschütterungen der holprigen Straße beinahe aus dem engen Top hüpften, machte es unsagbar schwierig, sich aufs Fahren zu konzentrieren.

„Halten Sie sich fest“, knurrte er ärgerlich. „Dieses Fahrzeug ist nicht für Frauen konzipiert.“

„Das habe ich auch schon festgestellt“, erwiderte sie und zog ihr Oberteil zurecht. „Ich frage mich, warum Dexter ausgerechnet einen Lastwagen geschickt hat, um mich abzuholen.“

„Das ergab sich so. Ich war sowieso unterwegs, weil ich in Faro eine Lieferung abholen musste. Wozu zwei Autos schicken? Die Fahrt zur Quinta dauert immerhin zwei Stunden.“

Stöhnend rieb sie sich den schmerzenden Rücken. „Zwei Stunden halte ich so aber nicht durch. Vielleicht könnten Sie ja ausnahmsweise ein paar Schlaglöcher auslassen oder wenigstens etwas langsamer fahren. Sonst habe ich überall blaue Flecken, wenn wir ankommen.“

In diesem Fall war ihm Maddys Wunsch Befehl. Noch mehr Showeinlagen mit ihrem Dekolleté in der Hauptrolle, und er würde kalt duschen müssen!

„Ich habe es eilig. Noch viel zu tun heute“, murmelte er entschuldigend.

„Was denn?“

„Verschiedenes.“

Einen Augenblick wirkte sie gekränkt, dass er einer Unterhaltung so offensichtlich aus dem Weg ging. Dann sagte sie fröhlich: „Wissen Sie, dass ich früher einmal hier gelebt habe?“

„Hm.“ Auch das noch! Als ob er jetzt mit ihr in alten Erinnerungen schwelgen wollte!

„Mein Großvater hat zusammen mit Dexters Großvater die Plantage aufgebaut. Seit ihrer Kindheit waren sie gute Freunde. Und irgendwann beschlossen sie kurzerhand, zusammen nach Portugal auszuwandern und Geschäftspartner zu werden.“

Sie schwieg einen Moment. Wortlos starrte er auf die Straße. Vielleicht verlor sie ja die Lust am Reden, wenn er nicht reagierte.

„Grandad war ein As in der Geschäftsführung, und Mr. Fitzgerald wusste alles über Pflanzen. Beide heirateten Portugiesinnen. Mein Vater übrigens auch, also bin ich bei genauerer Betrachtung mindestens Halbportugiesin“, verkündete sie lachend. „Genau wie Dexter bin ich auf der Quinta geboren. Die ersten elf Jahre meines Lebens habe ich hier verbracht.“

„Aha“, sagte er betont gleichgültig. Hielt sie eigentlich nie den Mund? Jahre hatte er gebraucht, um die Erinnerungen an diese Zeit aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Und jetzt kam sie daher und riss alle alten Wunden wieder auf!

„Unsere beiden Familien haben zusammen in einer großen Villa gewohnt, weil sie so mehr Geld in das Geschäft stecken konnten. Außerdem waren wir alle sehr gut miteinander befreundet.“

Nachdem sie das gesagt hatte, blickte sie nachdenklich aus dem Fenster. Trotz aller Freundschaft hatte es immer auch einige Spannungen gegeben. „Mein Großvater hat mir erzählt, dass Mr. Fitzgerald im letzten Jahr verstorben ist.“

„Ja, das stimmt.“

„Schade, ich hätte ihn gern noch einmal wiedergesehen. Als Kind habe ich ihn sehr gemocht. Überhaupt hatte ich eine schöne Kindheit hier in Portugal.“

Ja, wunderschön! Bis dein Vater sich an meine Mutter herangemacht hat, dachte er verächtlich.

„Ich habe das Gefühl, das alles interessiert Sie gar nicht“, bemerkte sie sichtlich enttäuscht.

Er schnaubte nur zur Antwort und starrte stur geradeaus.

Kopfschüttelnd betrachtete Maddy den großen, gut gebauten Mann, der trotz seines wirren Haars und der schwarzen Streifen auf der Stirn sehr anziehend wirkte. Warum er wohl so schlecht gelaunt war?

Er roch nach Rauch, und offensichtlich hatte er in den vergangenen Tagen weder seine Kleidung gewaschen noch seine Fingernägel gesäubert. Seine Stimme klang rau wie die eines Kettenrauchers.

Aber dieses Gesicht! Über seinen intelligenten dunklen Augen wölbten sich dichte schwarze Augenbrauen. Die markante Nase und den männlich sinnlichen Mund hätte selbst ein Künstler wie Michelangelo nicht schöner modellieren können. Allerdings hätte er wahrscheinlich auf den Dreitagebart verzichtet, auch wenn sie persönlich ihn sehr sexy fand.

Ein richtiger Arbeiter, der nicht lange über etwas redete, sondern zupackte! Und trotzdem lag unendlich viel Leidenschaft in seinen Augen. Zu schade, dass Dex nicht so aussah. Dann wäre das bevorstehende Wiedersehen gleich um einiges angenehmer. Bei diesem Gedanken erschauerte sie.

„Wenn Ihnen kalt ist, auf der Ladefläche liegt eine alte Decke. Die können Sie sich umwickeln.“

Was für ein großzügiges Angebot! Doch Debbie hatte ihr ja eingeschärft, ihre Rolle bis ins kleinste Detail zu spielen, also erwiderte sie mit gespieltem Entsetzen: „Wissen Sie eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, dieses Outfit zusammenzustellen? Da werde ich doch jetzt nicht alles ruinieren und mir eine Decke umhängen. Schon gar keine alte!“ Damit klappte sie ihren Ratgeber So angeln Sie sich einen Millionär auf und begann, ihn eifrig zu studieren.

Aus irgendeinem Grund trat ihr wortkarger Fahrer nun noch heftiger aufs Gaspedal, ohne sich auch nur im Geringsten um die Schlaglöcher zu scheren. Erst wollte sie aufbegehren, doch dann entschied sie, dass sie sich auf Wichtigeres konzentrieren musste. Wenn sie das genaue Gegenteil dessen tat, was der Ratgeber empfahl, um einen reichen Ehemann zu ergattern, würde sie bestimmt schon sehr bald wieder nach Hause fliegen.

Konzentriert runzelte sie die Stirn, während sie las: ‚Stimmen Sie ihm immer zu. Bestehen Sie nicht auf Ihrer Meinung.‘

Hmm. Das Gegenteil von dieser Empfehlung würde ihr sicher Spaß machen! Und wie sie Dexters Großmutter in Erinnerung hatte, würde eine stille, nachgiebige Frau in dieser Familie sowieso untergehen.

Maddy grinste. Sie selbst konnte auch keinen schüchternen Mann gebrauchen, dem gleich die Knie schlackerten, wenn Grandad einmal die Stimme hob. Bisher hatte keine ihrer Beziehungen den ‚Großvatertest‘ überstanden. Doch wenn sie ehrlich war, hatte auch keiner ihrer Exfreunde wirklich Format gehabt.

Aber welcher Mann mit Format interessiert sich schon für ein Mauerblümchen wie mich? Bei diesem Gedanken verging ihr das Lachen. Klar, sie würde es in ihrer jetzigen Aufmachung sicherlich schaffen, kurzfristig einen Mann für sich zu begeistern. Doch wohin sollte das führen? Schließlich war sie in Wirklichkeit still und schüchtern. Und sie wollte nicht bis ans Ende ihrer Tage eine Lüge leben.

Doch weshalb zerbrach sie sich darüber eigentlich den Kopf? Selbst die Idee, dass jemand sie heiraten wollte, war absurd. Dazu würde es niemals kommen.

Traurig klappte sie das Buch zu. Und dabei gab es nichts, was sie sich sehnlicher wünschte. Wie gerne hätte sie einen Ehemann, den sie lieben und verwöhnen konnte! Und Kinder. Am liebsten ein halbes Dutzend! So wie ihre Freundinnen, die seit Jahren mit nichts anderem beschäftigt zu sein schienen, als schwanger zu werden, Babys zu bekommen und sich über schlaflose Nächte zu beschweren.

Sie selbst konnte keine Kinder bekommen. An dieser Tatsache gab es nichts zu beschönigen. Vor knapp sechs Jahren, damals war sie gerade zwanzig gewesen, hatte eine schwere Unterleibsinfektion all ihre Hoffnung auf eine eigene Familie zerstört.

Obwohl sie sich die größte Mühe gab, nicht daran zu denken, hatte sie sofort wieder das Bild vor Augen. Wie der Arzt sich an ihr Bett setzte, sie mitleidig anblickte und sagte …

„Alles in Ordnung?“, erkundigte der Fahrer sich zu ihrer größten Verwunderung.

Hastig wandte sie sich ab. Hatte er etwa bemerkt, mit was für schweren Gedanken sie sich gerade gequält hatte? Sonderbar, bis eben hatte sie noch das Gefühl gehabt, er würde sie ignorieren.

„Ja, alles okay“, murmelte sie wenig überzeugend. Und versuchte krampfhaft, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Was war denn nur auf einmal mit ihr los? Sie hatte sich doch schon vor Jahren damit abgefunden, niemals ein Baby zu haben. Irgendwie schien ihre Rückkehr nach Portugal sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Tapfer biss sie die Zähne zusammen und versuchte, sich auf andere Gedanken zu bringen. Vergeblich. Sie würde alles dafür geben, ein Kind zu haben. Alles!

Wortlos bog Dexter von der Hauptstraße in einen holprigen Kopfsteinpflasterweg ein, der zu einem hübschen kleinen Dörfchen führte. Völlig in ihrem Gefühlschaos gefangen, erkannte Maddy es nicht wieder. Und dennoch hatten die gewundenen engen Straßen und die weißen Häuschen am Straßenrand etwas unglaublich Tröstendes. Ganz offensichtlich hatte dieses Dorf schon einmal bessere Tage gesehen. Doch überall in den Gärten blühten Rosen, und leuchtende Geranien schmückten die Balkons.

Und auf einmal erinnerte sie sich wieder an alles. Ja, das war das Portugal, das sie kannte. Das Portugal ihrer Kindheit.

An einem kleinen Marktplatz, der von blühenden Orangenbäumen umsäumt wurde, hielt der Lastwagen schließlich an. Eine wunderbare Stille, die nur von fröhlich zwitschernden Vögeln unterbrochen wurde, senkte sich herab. So musste sich das Paradies anhören!

Plötzlich wandte der Fahrer sich zu ihr um und sagte barsch: „Los, raus mit Ihnen!“ Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, stieg er aus, marschierte um den LKW herum und riss die Beifahrertür auf.

Erschrocken starrte sie in sein unfreundliches Gesicht. Anscheinend hatte er genug davon, eine weinende Frau durch die Landschaft zu fahren, und deshalb beschlossen, sie hier auszusetzen. Mit seinem stechenden Blick schien er sie förmlich durchbohren zu wollen.

Jetzt reichte es aber! Wütend schoss sie in die Höhe, kletterte auf den Fahrersitz hinüber und ließ den Motor an. Ebenso schnell legte er seine starke, warme Hand auf ihre und zwang sie, den Motor wieder abzuschalten.

„Was zur Hölle tun Sie denn da?“, knurrte er ungeduldig.

„Sieht man das nicht?“, erwiderte sie spitz.

„Können Sie denn überhaupt einen LKW fahren?“

„Nein.“

„Und wieso wollen Sie es dann unbedingt jetzt ausprobieren?“

„Weil Sie mir keine andere Wahl lassen. Wenn Sie glauben, Sie können mich einfach hier am Straßenrand zurücklassen, haben Sie sich gründlich getäuscht!“

Verwirrt zog er die Brauen zusammen. „Was?“

„Tun Sie doch nicht so! Ich weiß genau, dass Sie mich hier aussetzen wollten!“

„Unsinn! Da drüben ist eine kleine Bar. Ich dachte, Sie könnten vielleicht einen Kaffee oder Brandy vertragen.“

Überrascht sah sie sich um. Tatsächlich. Auf der anderen Seite des Marktplatzes war eine Bar. Beschämt senkte sie den Blick.

„Wie kommen Sie denn darauf, dass ich einen Kaffee brauche?“, fragte sie schließlich.

„Ich sehe doch, dass Sie müde sind. Oder traurig. Oder beides. Und etwas Besseres ist mir nicht eingefallen, um Sie aufzumuntern.“

„Oh!“ Was sollte man dazu sagen! Sofort versiegte ihre Wut. Auf seine eigene Höhlenmenschenweise versuchte er also, nett zu ihr zu sein. Sie lächelte dankbar. „Entschuldigen Sie meinen Irrtum. Einen Kaffee hätte ich wirklich gern. Vielen Dank!“

Stumm forschte er in ihren Augen. Ein heißer Schauer prickelte über ihren Körper, als sich ihre Blicke trafen. Bisher hatten nicht viele gut aussehende Männer ihr so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Kein Wunder, dass es sie aus dem Konzept brachte!

„Wären Sie wirklich einfach losgefahren, obwohl Sie noch nie zuvor einen LKW gesteuert haben?“, fragte er, offensichtlich beeindruckt.

„Ja, natürlich“, erklärte sie mit Nachdruck. „Wie wäre ich denn sonst zur Quinta gekommen?“

Plötzlich lachte er laut auf, doch schon eine Sekunde später wurde sein Gesicht wieder mürrisch. Sonderbar. Als ob er nicht lachen wollte.

„Ich brauche jetzt erst einmal einen Brandy“, murmelte er und sprang vom Wagen.

Die eigentliche Maddy hätte ihm den Drink wohl zugestanden. Aber die Maddy, die sie spielte, musste darauf ganz anders reagieren. „Lieber Himmel“, kreischte sie mit gespieltem Entsetzen. „Sie fahren ja jetzt schon wie ein Henker. Auf keinen Fall werden Sie nun auch noch Alkohol trinken!“

„Ich habe jetzt Mittagspause“, erwiderte er ruhig. „Der Alkohol wird also in bester Gesellschaft einer großen Portion frischer gegrillter Sardinen mit pão integral sein und keine allzu große Wirkung entfalten.“

Pão integral. Wie sehr hatte sie als Kind dieses knusprige Vollkornbrot geliebt! „Das klingt köstlich. Sie dürfen mich gern zum Mittagessen einladen.“ Damit schnappte sie sich ihre Schuhe und kletterte die Stufen der Fahrerkabine hinunter. Auf der letzten Stufe bemerkte sie, dass sich genau vor dem LKW eine riesige Pfütze befand.

Lächelnd winkte sie dem Fahrer zu. Doch der schien sie nicht zu verstehen. Oder vielleicht wollte er sie auch nicht verstehen. Ein Gentleman würde einer Dame in einer solchen Situation helfen. Aber wahrscheinlich konnte sie das von einem solch ungehobelten Burschen nicht erwarten.

Gerade als sie resigniert hatte und sich für den großen Sprung bereit machte, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts eine Gruppe unrasierter Männer auf. Laut johlend breiteten sie die Arme aus und forderten sie auf, hineinzuspringen.

„Oh, das ist nett von Ihnen“, sagte sie verlegen. „Aber …“

Ehe sie den Satz zu Ende bringen konnte, legten sich ihr zwei starke Arme um die Taille, hoben sie mühelos über die Pfütze und setzten sie sanft auf dem trockenen Bürgersteig ab. Aus unerfindlichen Gründen hatte ihr Fahrer sich nun doch entschieden, ihr herunterzuhelfen.

„Danke“, flüsterte sie errötend und schlüpfte in ihre Pumps. Wieso war ihr nur auf einmal so schwindelig? Lag es an der schroffen, aufregend maskulinen Art des Fahrers oder daran, dass sie seit Stunden nichts gegessen hatte?

Wahrscheinlich an beidem.

„Kommen Sie“, forderte er sie auf.

Wortlos folgte sie ihm in die Bar. Genau wie die Männer des Dorfes, die sich anscheinend in ihrem Leben selten so gut amüsiert hatten und nicht bereit waren, auf das ‚Unterhaltungsprogramm Maddy‘ so schnell wieder zu verzichten. Sie suchten sich einen Tisch in ihrer Nähe und prosteten ihr zu, kaum dass die Getränke serviert worden waren.

Als sie die Beine übereinanderschlug, ertönte ein vielstimmiges Raunen. Wie hatte sie nur vergessen können, dass sie einen kurzen engen Rock trug und nicht wie gewohnt eine formlose graue Jeans?

„Ich gehe mir mal die Hände waschen. Auf dem Weg dahin kann ich gern etwas für Sie bestellen“, verkündete der Fahrer höflich.

„Oh“, flüsterte sie nervös. „Mir wäre es lieber, wenn Sie mich nicht allein ließen. Ich fühle mich wie eine Jahrmarktskuriosität.“

Er schnaubte. „Ist doch kein Wunder, dass man Sie anstarrt in diesem Aufzug! Ich werde deswegen jedenfalls nicht mit ungewaschenen Händen essen.“

Sieh an, ein paar Manieren hatte er also doch! Nachdenklich beobachtete sie, wie er zur Bar marschierte und die Bestellung aufgab. Er machte eine Miene, als bestellte er statt gegrillter Sardinen zwei Portionen Giftpilze. Die arme Kellnerin! Eben noch hatte sie ihm bewundernde Blicke zugeworfen und ihn angestrahlt. Jetzt wirkte sie völlig verschüchtert.

Nicht mit mir! Wie praktisch, dass ihre Rolle als schamlose Verführerin es erlaubte, in aller Seelenruhe seine äußerst ansprechende Rückseite zu betrachten! Wenn er sich bewegte, traten seine Rückenmuskeln deutlich hervor. Sehr sexy! Und einen knackigeren Hintern hatte sie noch an keinem Mann gesehen.

Auf einmal hatte sie eine herrlich boshafte Idee. Was, wenn sie Dexters Großmutter gegenüber fallen ließ, wie unglaublich attraktiv sie den LKW-Fahrer gefunden hatte? Sie unterdrückte ein Kichern. Die Sache begann ihr richtig Spaß zu machen!

Als er zurückkam, tat sie, als sei sie hoch konzentriert mit ihrem Buch beschäftigt. Doch schon das Geräusch seiner schweren Arbeitsstiefel beschleunigte ihren Herzschlag um ein Vielfaches. Scheinbar ungerührt las sie weiter und wickelte eine Locke um ihren Finger, was einen vielstimmigen Seufzer der Bewunderung am Nebentisch auslöste.

„Versuchen Sie, sämtliche Männer in dieser Bar zu provozieren?“, fragte er mit scharfem Unterton.

Sofort ließ sie die Locke los und richtete sich auf. In letzter Sekunde schluckte sie ein entrüstetes „Nein, natürlich nicht!“ hinunter und überlegte, was besser zu ihrer Rolle passen würde.

„Nein, das muss ich gar nicht versuchen“, hauchte sie und klimperte mit den Wimpern. „Das passiert von ganz allein.“

„Haben Sie Ihr Haar eigentlich gefärbt?“, fragte er, anstatt auf ihre herausfordernde Bemerkung einzugehen.

„Ja. Gefällt Ihnen die Farbe?“

„Blond würde Ihnen viel besser stehen!“

Ihre natürliche Haarfarbe! Aber ehe sie sich über dieses unbeabsichtigte Kompliment freute, war erst einmal sie an der Reihe, eine direkte Frage zu stellen. Was er konnte, das konnte sie schon lange!

Ganz offensichtlich hatte er seine Fingernägel geschrubbt und den gröbsten Staub aus seinem dunklen Haar gebürstet. Trotzdem war er noch immer alles andere als sauber.

„Mögen Sie kein Wasser, oder gibt es einen anderen Grund, weshalb sie so schmutzig sind?“, fragte sie neugierig.

Er runzelte die Stirn. „Ich hatte einfach keine Zeit. Ich habe gearbeitet, bin dann nach Faro zur Baufirma gefahren und anschließend direkt zum Flughafen.“

„Sie hätten eher aufstehen können“, bemerkte sie spitz und stellte entsetzt fest, dass sie auf einmal wie ihr Großvater klang.

Ehe sie sich entschuldigen konnte, sah sie, wie seine dunklen Augen noch dunkler wurden. Auf einmal wirkte er sehr müde.

„Vier Uhr morgens ist, glaube ich, früh genug“, knurrte er.

„Vier!“ Erschrocken starrte sie ihn an. Die Fitzgeralds behandelten ihren Fahrer ja wie einen Sklaven! „Das ist ja unglaublich!“, rief sie aufgebracht und vergaß völlig, dass die Maddy, die sie spielte, sich für die Probleme anderer nicht interessierte. „Ich werde mit Dexter reden und ihm sagen, dass er aufhören soll, Sie so auszubeuten!“

„Das wäre reine Zeitverschwendung. Die Arbeit macht sich schließlich nicht von allein. Da muss ich jetzt einfach durch.“

Auf einmal ergriff sie ein tiefes Mitgefühl. Wahrscheinlich rackerte er sich von morgens bis abends für seine Familie ab. Seine dunkelhaarige Frau, hübsch, aber von Sorgen gezeichnet – und ihre Kinder. Mindestens vier. Vielleicht sogar noch eine alte, fast blinde Großmutter.

„Ich muss doch irgendetwas für Sie tun können“, sagte sie besorgt.

„Maddy …“

„Sardinhas, aguardiente“, verkündete der Barmann und stellte zwei riesige Teller und ein Glas Brandy auf den Tisch.

Der Fahrer stürzte sich auf das Essen, als hätte er tagelang gehungert, und aß, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Maddy war enttäuscht. Einen Augenblick hatte sie gedacht, er würde sich ihr anvertrauen. Und jetzt ignorierte er sie mehr denn je. Er sah nicht einmal auf, als der Barmann ihr eine Flasche Wasser und einen Kaffee brachte.

Egal, sie würde sich trotzdem für ihn einsetzen! Auch falls er keine Familie hatte. Auf einmal spürte sie wieder, wie die Traurigkeit in ihr aufstieg. Sie selbst würde niemals eine Familie haben.

„Was haben Sie denn?“, fragte er barsch.

Verärgert, dass sie ihre Gefühle heute so wenig unter Kontrolle hatte, senkte sie den Blick. Was war denn nur auf einmal mit ihr los?

„Gar nichts“, murmelte sie und nahm ein Stück Brot.

Mit einem warmen, rauen Finger hob er ihr Kinn. Doch sie wich seinem Blick trotzdem aus.

„Ihre Augen sind feucht“, stellte er fest.

„Muss an der hohen Luftfeuchtigkeit hier drinnen liegen.“

Er lachte amüsiert. Überrascht sah sie ihn an. Sofort begann ihr Herz wie wild zu rasen. Wenn er lachte, sah er einfach umwerfend aus! Seine Zähne waren so weiß und regelmäßig wie die eines Werbestars für Zahnpasta.

„Wir sind in Portugal“, erinnerte er sie. „Die Luft ist hier im Allgemeinen eher trocken.“

„Okay, okay. Ich habe an etwas Trauriges gedacht“, gab sie zu. „Meine Eltern sind hier gestorben.“

Sein Gesicht wurde ernst. „Sind Sie deshalb nach England gegangen?“

„Mein Großvater wollte Portugal unbedingt verlassen, und er hat mich mitgenommen.“

Nach einer langen Pause sagte er leise: „Das muss sehr schwer für Sie gewesen sein.“

Achselzuckend erwiderte sie: „Wir haben es überlebt. Irgendwie.“

„Ja, aber es ist nicht leicht, sich an ein völlig anderes Klima und eine andere Kultur zu gewöhnen. Vor allem, wenn man gerade einen so schweren Schicksalsschlag erlitten hat.“

„Wir hatten nicht viel Zeit, darüber nachzudenken“, sagte sie schnell. An die schreckliche Zeit kurz nach dem Tod ihrer Eltern wollte sie nicht erinnert werden. „Es gab so viel anderes zu tun, um unser tägliches Überleben zu sichern.“

Einen Moment blitzte so etwas wie Anerkennung in seinen Augen auf. „Und doch schmerzen Sie diese Erinnerungen noch immer so sehr, dass Sie eben den Tränen nahe waren.“

„Nur ein kurzer Moment der Schwäche. Schon wieder vorbei“, versicherte sie. „Ich hätte wohl damit rechnen müssen, dass das Land meiner Kindheit auch die traurigen Ereignisse der Vergangenheit wieder aufwirbelt.“

„Ja, das Leben ist hart genug, ohne dass man auf diese Weise an all seine Schattenseiten erinnert wird.“

Seine Worte berührten ihr Herz. „Wenn Sie mir von den Schattenseiten Ihres Lebens erzählen, kann ich Ihnen vielleicht helfen, sie ein wenig aufzuhellen.“

Verwundert starrte er sie an, und Maddy bemerkte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Eine geldgierige Verführerin zeigte weder ihre weiche Seite, noch bot sie anderen Hilfe an. Egoistisch zu sein war wirklich schwieriger, als sie gedacht hatte!

Wie dumm von ihr, vor dem LKW-Fahrer ihr wahres Ich zu zeigen! Wenn sie so weitermachte, würde man ihr Spiel durchschauen, bevor sie Dexter überhaupt getroffen hatte!

Jetzt half nur noch eins: sich extrem danebenbenehmen, um den forschenden Blicken des Fahrers zu entgehen! Glücklicherweise stimmte gerade jemand ein Lied auf dem verstimmten Klavier an, das neben der Theke stand.

Sie seufzte erleichtert. Dann raunte sie dem Fahrer zu: „Auch wenn Sie es vielleicht für merkwürdig halten: Mir macht es Spaß, Männer um den kleinen Finger zu wickeln. Also, wenn ich weiß, was Sie bedrückt, kann ich Dexter bearbeiten, damit er es schleunigst aus Ihrem Leben entfernt. Denken Sie einmal darüber nach. So, und jetzt entschuldigen Sie mich kurz. Die Tanzfläche ruft!“

Damit sprang sie auf, streckte die Arme in die Luft und rief: „Salsa“. Der Pianist verstand sofort, was sie wollte, und tat ihr den Gefallen, ein paar heiße Rhythmen zu spielen. Bis vor wenigen Minuten hatte sie zwar noch nie Salsa getanzt, aber sie hatte ‚Dirty Dancing‘ ungefähr ein Dutzend Mal gesehen und dabei anscheinend mehr gelernt, als sie es je für möglich gehalten hätte. Und es machte ihr einen unglaublichen Spaß!

Genau wie den Dorfbewohnern. Wenig später wirbelte sie bald mit dem einen, bald mit dem anderen über die Tanzfläche. Zwischendurch wanderte ihr Blick immer wieder verstohlen zu ihrem Fahrer hinüber, der sie mit finsterer Miene beobachtete.

Plötzlich stand er auf, leerte sein Glas und bedeutete ihr mit der uralten Macho-Kopfbewegung Richtung Tür, dass er gehen wollte. Und dann ging er einfach hinaus, ohne sich zu versichern, ob sie ihm folgte.

Atemlos und mit vom Tanzen geröteten Wangen rannte sie ihm hinterher. „Warten Sie!“, keuchte Maddy. Als er sich umwandte, erschrak sie erst über seinen erbosten Gesichtsausdruck. Doch dann erinnerte sie sich an ihre Rolle und bemerkte spitz: „Ich war noch nicht fertig!“

„Amüsieren Sie sich in Ihrer Freizeit! Meine Mittagspause ist vorbei“, grollte er und stieg, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, die Stufen zur Fahrerkabine des LKWs hinauf.

„Spielverderber“, provozierte sie zickig.

„Das Leben ist kein Wunschkonzert.“

Nein, das wusste sie selbst. Umso wichtiger war es, jede Gelegenheit zu nutzen, um ein bisschen Spaß zu haben. Ein Lächeln konnte die ganze Welt verändern!

Und seit sie in diesem übertriebenen Outfit durchs Leben tänzelte, hatten ihr viele Menschen zugelächelt. Vielleicht hatten sie auch nur über sie gelächelt, doch das machte keinen wirklichen Unterschied. Endlich einmal umgaben sie fröhliche Gesichter!

Aber es hatte vermutlich keinen Sinn, das ihrem verbitterten Fahrer zu erzählen. Außerdem hatte er ihr mittlerweile oft genug zu verstehen gegeben, dass er gern darauf verzichtete, sich mit ihr zu unterhalten. Wenn sie ihm helfen wollte, musste sie auf anderem Weg herausfinden, weshalb er so verstimmt war.

Im Wagen herrschte eisiges Schweigen. Doch Maddy fühlte sich auf einmal viel zu müde, um sich daran zu stören. Irgendwann schlief sie erschöpft ein.

Als sie wieder erwachte, erkannte sie an den Straßenschildern, dass sie das alte Fischerdörfchen Luz bereits hinter sich gelassen haben mussten. Schade, sie hatte sich darauf gefreut, das ganz nahe an der Felsenküste gelegene Dörfchen wiederzusehen. Schon als Kind hatte sie dessen wunderschöne Altstadt geliebt. Die verwinkelten, romantischen Gässchen, blau-violett blühenden Palisanderbäume und die weiß getünchten Villen mit üppigen Gärten. Hier wuchsen Pflanzen, die in England nur bei sorgfältigster Pflege in der Wohnung überlebten. Vielleicht würde sie ja in den nächsten Tagen noch einmal hierherkommen. Jetzt musste sie aber erst einmal herausfinden, wo ihr Fahrer sie hinbrachte.

„Das ist aber nicht der Weg zu Quinta, oder?“, fragte sie ein wenig unsicher.

„Nein.“

Nein? Jetzt reichte es ihr aber langsam! „Und wären Sie vielleicht so freundlich, mich darüber aufzuklären, wohin Sie mich bringen?“

„Hotel Caterina.“

Erschrocken starrte sie ihn an. „Aber ich kann mir kein Hotelzimmer leisten.“

„Sind Sie so arm?“, fragte er mit unverhohlenem Erstaunen.

„Lassen Sie sich von meinem glamourösen Äußeren nicht täuschen!“ Das bisschen Geld, das sie besaß, hatte sie sich hart erarbeitet. Und seit das Kinderheim geschlossen war, war ihre einzige Geldquelle versiegt. „Bitte“, flehte sie eindringlich, „fahren Sie mich zur Quinta, wo ich kostenlos übernachten kann.“

„Mrs. Fitzgerald zahlt Ihr Hotelzimmer“, informierte er sie knapp. „Heute Nacht werden Sie im Hotel bleiben. Erst morgen geht es weiter zur Plantage. Mrs. Fitzgerald ist übrigens auch im Hotel.“

„Aber wieso denn?“ Darauf konnte sie sich nun wirklich keinen Reim machen.

„Weil es das beste Hotel der Gegend ist, natürlich.“ Sein Blick war mindestens so verwirrt wie ihrer. „Heute Abend wird dort Ihnen zu Ehren eine Dinnerparty gegeben.“

Bevor sie sich ins Gedächtnis rufen konnte, dass sie als Partygirl nichts mehr liebte, als bei einem rauschenden Fest im Mittelpunkt zu stehen, stöhnte Maddy laut auf.

„Ich hab doch gar nichts zum Anziehen“, erklärte sie hastig.

„Wieso? Sie haben doch gerade etwas an“, bemerkte er trocken und bog in einen schmalen Weg ein, der von Oleanderbäumen gesäumt war. „Mehr brauchen Sie nicht. Und weniger auch nicht.“

„Warum können Sie mich eigentlich nicht leiden?“

„Frauen wie Sie sind mir zu oberflächlich.“

Sieh an, er hatte Geschmack! Wer hätte das gedacht! Amüsiert schaute sie aus dem Fenster. Als sie das elegante Hotel inmitten der üppigen, penibel gepflegten Parkanlagen erblickte, begannen ihre Augen zu strahlen. Was für ein Luxus! Eine Nacht hier zu verbringen würde ein wundervolles Erlebnis werden.

Nachdem der Fahrer den Motor abgeschaltet hatte, sprang er aus dem Wagen und holte ihr Gepäck von der Ladefläche. Ganz offensichtlich hatte er es eilig, sie loszuwerden. Kaum war sie ausgestiegen, ließ er sie ohne ein Wort des Abschieds in der Hoteleinfahrt stehen und brauste davon.

Verblüfft starrte sie ihm nach. Verglichen mit diesem Mann war ein Neandertaler wirklich ein Gentleman! Sollte sie ihm noch einmal begegnen, würde sie ihm gehörig die Meinung sagen! Darauf konnte er Gift nehmen!

Schon seit Stunden arbeitete Dexter mit ein paar Männern auf der Quinta, räumte Schutt beiseite und wühlte sich durch die verkohlten Überreste der Villa. Wie sehr hoffte er, noch irgendetwas zu finden, das ihn an seine Kindheit erinnerte! An seine Mutter. Alles, was er von ihr besaß, war ein verknicktes altes Foto in seinem Portemonnaie.

Langsam wurde es dunkel. Eine ganze Weile arbeiteten die Männer noch im Licht der LKW-Scheinwerfer, dann mussten sie für heute aufhören. Deprimiert, weil er wieder nichts gefunden hatte, schleppte Dexter sich auf schmerzenden Beinen zu seinem Auto, einem schicken Sportwagen, und fuhr zum Hotel. Ein heißes Bad würde ihm jetzt sicher guttun.

Eine halbe Stunde später streckte er sich wohlig in der Wanne aus und stellte sich vor, was für ein Gesicht seine Großmutter wohl machen würde, wenn sie zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren auf Maddy Cook traf. Unwillkürlich musste er grinsen. Zu schade, dass er nicht dabei sein würde. Andererseits konnte er ihr so heute Abend eine besondere Überraschung bereiten. Wie er sich darauf freute, sie über seine wahre Identität aufzuklären!

Dass aus dem pummeligen kleinen Mädchen, das sich kaum zu reden getraute, eine derart attraktive und selbstbewusste junge Frau hatte werden können, konnte er noch immer kaum glauben. Arme Grandma! Sie würde Maddys provokanten Aufzug als persönliche Beleidigung empfinden.

Insgeheim hatte er den Verdacht, seine Großmutter hatte Maddy nur für ihn als Heiratskandidatin auserkoren, weil sie als Kind so still und nachgiebig gewesen war.

Abermals musste er grinsen. Bald würde die alte Dame ihr blaues Wunder erleben! Wahrscheinlich verfluchte sie schon nach wenigen Minuten ihre Idee, Maddy ganze drei Wochen auf die Quinta einzuladen. Aber das geschah ihr ganz recht! Was mischte sie sich auch in seine Privatangelegenheiten ein?

Noch immer grinsend, stieg er aus der Wanne und trocknete sich ab. Wie gut es tat, einmal nicht nur über die verwüstete Plantage nachzudenken!

Als er das frische Hemd zuknöpfte, hatte er plötzlich eine wunderbare Idee. Vielleicht sollte er so tun, als sei er von Maddy Cook geradezu hingerissen. Und wenn sie felsenfest überzeugt war, dass sie sich erfolgreich einen Millionär geangelt hatte, würde er sie fallen lassen. Auf diese Weise könnte er dieser geldgierigen kleinen Verführerin eine Lehre erteilen, die sie so schnell nicht wieder vergaß.

Nachdenklich sah er in den Spiegel. Unsinn! Wahrscheinlich würde sie ihr Spiel so lange treiben, bis sie irgendeinen alternden Millionär fand, dem es nichts ausmachte, eine Frau zu heiraten, die nur hinter seinem Geld her war.

Seltsamerweise bereitete ihm dieser Gedanke keinerlei Befriedigung. Die Vorstellung, dass ein lüsterner Greis Maddys schönen jungen Körper berührte, stieß ihn geradezu ab. Auf keinen Fall durfte sie ihr Leben so verschwenden! Sie brauchte einen Mann mit klaren Grundsätzen, der ihr zeigte, was wirklich wichtig war im Leben!

Verdammt noch mal! Warum zerbrach er sich darüber eigentlich den Kopf? Er hatte doch wirklich genug eigene Probleme! Und als Allererstes musste er seiner Großmutter klarmachen, dass er nicht vorhatte, sich von irgendwem Vorschriften machen zu lassen. Nicht beruflich und erst recht nicht privat!

Wie oft hatte er ihr schon gesagt, dass eine zweite Ehe für ihn nicht infrage kam? Dass er frei sein und weiterhin das ungezwungene Leben eines Weltenbummlers führen wollte? Nie wieder würde er eine Frau den Gefahren des Dschungels aussetzen wie damals Luisa.

Wie immer, wenn er an sie dachte, verspürte er einen stechenden Schmerz. Er hatte sie so sehr geliebt. Viel zu sehr. Als sie schwanger wurde, konnte er sein Glück kaum fassen. Endlich, endlich würde er eine richtige Familie haben! Menschen, die er bis an sein Lebensende lieben würde und die ihn liebten. Das hatte er jedenfalls gedacht.

Doch dann erkrankte seine Frau an Denguefieber. Als sie kurz darauf starb, versank er in so tiefer Verzweiflung, dass er ihr beinahe gefolgt wäre.

Bis heute versuchte er, jeden Gedanken an seine geliebte Luisa zu vermeiden. Der Schmerz war einfach zu groß. Darüber geredet hatte er noch mit niemandem.

Vielleicht sollte er seiner Großmutter sagen, was wirklich in ihm vorging? Dass er in seinem Leben schon genug gelitten hatte und dass er nie wieder eine andere Frau lieben konnte? Bestimmt ergab sich nachher beim Dinner eine Gelegenheit, sie kurz unter vier Augen zu sprechen.

Noch ein letzter Blick in den Spiegel. Im Handumdrehen hatte der schwarze Smoking aus dem schmutzigen LKW-Fahrer einen millionenschweren Erben eines weltweiten Erfolgsunternehmens gemacht. Übermütig zwinkerte Dexter seinem Spiegelbild zu. Warte nur, Maddy! Gleich wirst du dein blaues Wunder erleben!

4. KAPITEL

Die Partygäste hatten sich bereits alle auf der großen Dachterrasse des Hotels versammelt. Schon immer waren die Freunde der alten Mrs. Fitzgerald eher trockene Zeitgenossen gewesen. Doch wegen der Brandkatastrophe auf der Quinta herrschte nun unter den Gästen eine richtige Beerdigungsstimmung. Trotz des atemberaubenden Ausblicks auf den Park und den wunderschön beleuchteten Swimmingpool des Hotels getraute sich niemand, auch nur ein annähernd fröhliches Gesicht zu machen. Niemand außer Madlyn.

Wie ein funkelnder Rubin inmitten von grauen Feldsteinen zog sie alle Blicke auf sich. Sie lachte und redete, gestikulierte lebhaft mit den Händen und schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern, dass die Leute hinter ihrem Rücken missbilligend den Kopf schüttelten.

Dexter, der sie halb verborgen hinter einer riesigen Topfpflanze aus einiger Entfernung beobachtete, konnte nicht anders, als sie dafür zu bewundern. Und wenn er die Sache richtig einschätzte, ging es nicht nur ihm so. Sämtliche Kellner sprachen von nichts anderem mehr als von der schönen jungen Frau, die so gar nicht zu den Fitzgeralds passte. Maddy hatte ihnen allen den Kopf verdreht.

Kein Wunder! Heute Abend trug sie ihr Haar hochgesteckt. Nur im Nacken ringelten sich ein paar schimmernde rote Locken und bildeten einen reizvollen Kontrast zur hellen Haut ihres schlanken Halses. Die Krönung ihrer Frisur war jedoch eine feuerrote künstliche Hibiskusblüte, die den Haarknoten an ihrem Hinterkopf zusammenhielt. Sonderbar, wie gut ihr das stand! Keine andere könnte so etwas tragen, ohne völlig lächerlich zu wirken!

Auch ihr Outfit erforderte eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Langsam ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern. Das blutrote trägerlose Top betonte ihre sinnlichen Kurven. Auf ihrem Dekolleté hatte sie ein Tattoo, das eine Schlange darstellte. Aber er zweifelte, dass es echt war. So etwas wäre ihm doch heute Vormittag nicht entgangen. Seine Großmutter hatte es jedenfalls sofort bemerkt. Zum Totlachen, wie sie immer wieder entsetzt in Maddys Richtung schaute!

Was die alte Dame wohl am meisten schockierte? Die hochhackigen roten Sandaletten? Der knappe Minirock, der ihre schmalen Hüften betonte? Oder die schwarzen Netzstrümpfe, die ihre langen, schlanken Beine umhüllten?

Er grinste. Maddy selbst würde in wenigen Sekunden ziemlich schockiert sein. Nämlich wenn sie herausfand, dass der schmutzige Fahrer von heute Vormittag der millionenschwere Fitzgerald-Erbe war.

Freundlich in alle Richtungen grüßend, ging er auf seine Großmutter zu und küsste sie auf die Wange.

„Mal wieder zu spät! Aber in diesem Fall verstehe ich, weshalb. Die Quinta nimmt dich zurzeit sehr in Anspruch. Jetzt lass mich dir erst einmal unseren Gast aus England vorstellen.“ Die alte Dame klang erstaunlich gefasst.

„Danke, nicht nötig. Wir haben uns bereits kennengelernt. Ich habe sie vom Flughafen in Faro abgeholt.“

Dann ging er zu Madlyn hinüber, ergriff mit beiden Händen ihre Rechte und sagte herzlich: „Guten Abend! Sie sehen einfach wundervoll aus!“

„Ach, wirklich?“, erwiderte sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Irgendwie schien sie über das Kompliment alles andere als erfreut.

„Umwerfend!“, versicherte er und blickte ihr tief in die Augen.

Sie schluckte. Dann klimperte sie heftig mit den Wimpern und hauchte: „Sie Schlimmer! Sie wissen genau, was eine Frau hören will!“ Dabei ließ sie ihre Finger kokett über seinen Oberarm streifen. „Wie muskulös Sie sind! Ich liebe große und starke Männer!“

Um sie herum herrschte atemloses Stille. Alle Gäste beobachteten die Szene.

Dexter ignorierte seinen rasenden Puls und wandte sich lächelnd zu seiner Großmutter um. „Ist sie nicht wundervoll?“

„Ja, ganz reizend“, presste die mühsam hervor.

„Ich kann mir schon vorstellen, was du jetzt denkst, Sofia“, kicherte Maddy. „Aber ich fand Männer, die körperlich arbeiten, schon immer sexy. Viel attraktiver als Akademiker. Die sind mir meist viel zu dünn. An einem Mann muss etwas dran sein, findest du nicht auch?“

Nur mit größter Mühe konnte Dexter einen ernsthaften Gesichtsausdruck bewahren. Wenn Maddy so weitermachte, brauchte er gar nichts mehr zu tun. Seine Großmutter würde ganz von selbst einsehen, dass diese Hochzeit eine absolute Schnapsidee war.

„Ich … Ich denke, es ist Zeit zum Abendessen“, wechselte Mrs. Fitzgerald das Thema.

„Sehr gut!“, stellte er fest und nahm Maddys Arm. „Wir sitzen zusammen! Gehen wir?“

Bevor seine Großmutter antworten konnte, verschwanden sie durch die großen Flügeltüren in den festlich geschmückten Speisesaal. Die anderen Gäste folgten ihnen.

„Erstaunlich“, flüsterte Maddy, während man Stühle rückend an der langen weißen Tafel Platz nahm. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Fitzgeralds ihren Fahrer zur Party einladen würden. Auch wenn Sie in diesem sauberen Zustand kaum wiederzuerkennen sind.“

Also ahnte sie noch immer nicht, wer er war. „Möchten Sie ein Stück Baguette?“, fragte er mit Unschuldsmiene.

„Ja, bitte. Dexter ist noch nicht gekommen. Ehrlich gesagt kann ich es kaum erwarten, ihn endlich zu treffen!“

„So?“ Demonstrativ schob er den Ärmel seiner dunkelgrauen Anzugjacke ein Stück hoch und sah auf seine kostbare Platinuhr. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Maddy, die sichtlich verwirrt schien.

„Was für eine schöne Uhr“, bemerkte sie. „Dass Sie sich so etwas leisten können!“

„War ein Geschenk“, flunkerte er.

„Ah, verstehe. Von einer Frau, wette ich.“

Er lächelte nur geheimnisvoll, was sie offensichtlich für eine Zustimmung hielt.

„Wow! Sie muss ziemlich reich sein, wenn sie Ihnen ein so teures Geschenk macht. Wie schön für Sie.“

Klar! Geld war für Maddy Cook ja auch der wichtigste Faktor in einer Beziehung. Grässlich, diese Geldgier!

Sein Gesichtsausdruck schien seine Abneigung verraten zu haben, denn sie fragte besorgt: „Oh, bin ich Ihnen zu nahe getreten? Tut mir leid. Ich weiß einfach nicht, wann ich besser den Mund halten sollte!“

So viel Feingefühl hätte er ihr gar nicht zugetraut. Irgendetwas an ihrem Verhalten war seltsam. Schon am Vormittag hatte er den Eindruck gehabt, dass hinter der glitzernden Fassade ein sensibler Mensch steckte. Etwas von der alten Maddy, die er früher gekannt hatte.

Nachdenklich forschte er in ihrem Gesicht und versank für einen Moment in ihren rauchgrauen Augen. Sofort beschleunigte sich sein Herzschlag. Hastig wandte er den Blick ab, sah abermals auf die Uhr und schob das neben dem Teller fein säuberlich aufgereihte Besteck zurecht.

Doch irgendwann konnte er die brennende Frage nicht länger zurückhalten: „Wie ist die wahre Maddy Cook? Verraten Sie es mir?“

Als sie erschrocken zusammenzuckte, wusste er, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Er sah sie an. Sie schien in Panik. Ganz offensichtlich suchte sie nach einer passenden Antwort.

Interessant!

Autor

Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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