Romana Exklusiv Band 305

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INSEL DER ZÄRTLICHEN TRÄUME von WYLIE, TRISH
Ein Paradies für Liebende - so kommt Keelin die Insel Valentia vor. Denn hier trifft sie den faszinierenden Garrett Kincaid. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch Keelin muss nach Dublin zurück und Garrett wird die Insel niemals verlassen. Wird es ein Abschied für immer?

URLAUBSFLIRT FÜR FORTGESCHRITTENE von BLAKE, ALLY
Die Wassertropfen glitzern auf seiner Haut, sein Körper ist durchtrainiert und sein Lächeln unverschämt sexy, als der Surfer Avery aus der wilden Brandung rettet. Nein, Avery hat sich geschworen, sich in diesem Urlaub nicht zu verlieben. Doch sie begegnet Jonah North immer wieder …

BITTERSÜß IST MEINE RACHE von LUCAS, JENNIE
Als Baroness im Luxus schwelgen oder doch in den Armen des unwiderstehlichen Griechen Alexandros Stunden des Glücks erleben? Ehe Rose sich entscheiden kann, überschlagen sich die Ereignisse …


  • Erscheinungstag 11.01.2019
  • Bandnummer 0305
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744885
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Wylie, Ally Blake, Kennie Lucas

ROMANA EXKLUSIV BAND 305

1. KAPITEL

Keelin O’Donnell war eigentlich ein Mensch, der den neuen Tag mit Schwung und Elan begann. Heute jedoch wurde ihre heitere Frühaufstehermentalität hart auf die Probe gestellt.

Sie blieb stehen, sah sich um und seufzte. Das Haus musste hier doch irgendwo sein. Hatte sie sich etwa verirrt?

Plötzlich ertönte in der Nähe Hundegebell.

„Na wunderbar.“ Keelin sah mit gerunzelter Stirn in die Richtung, aus der das Bellen kam. „Jetzt werde ich auch noch von wilden Hunden angefallen. Hier, mitten im Moor. Der Hund der Baskervilles ist also doch real.“

Das Bellen kam näher. Einem angriffslustigen Knurren glich es allerdings nicht, eher einem aufgeregten Kläffen. Das beruhigte Keelin immerhin ein wenig. Mit ihren blauen Augen suchte sie aufmerksam die Gegend ab. Jetzt, da die letzten Schwaden des Morgennebels sich lüfteten, konnte sie auch endlich die Umrisse von alten Steinmauern zu beiden Seiten der Straße, auf der sie ging, erkennen. Da lagen Felder, über denen noch milchige Dunstwölkchen standen, dort, wo der Morgentau sich in kleinen Kuhlen gesammelt hatte.

In der Ferne hörte Keelin das Rauschen der See, Salzgeruch lag in der Luft. Das rhythmische Schlagen der Brecher an die Felsen sollte eigentlich beruhigend wirken, doch Keelin kam sich verlassen vor wie der letzte Mensch auf Erden.

Bis sie aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahrnahm. Eine Gestalt kam durch den Nebel geradewegs auf sie zu. Das Hundegebell wurde lauter. Sie hörte eine Stimme – eindeutig männlich – nach den Hunden rufen, dann ein Pfeifen. Also war es ein Mann, der sich ihr näherte, und nicht irgendein gespenstischer Moorgeist.

Nebelfetzen waberten um seine Knie. Die Sonne trat aus den Wolken und warf ihr Licht auf sein dunkles Haar. Keelin blieb regungslos stehen und hielt den Atem an.

Der Mann sah faszinierend aus!

Er hätte direkt einem Modemagazin für rustikale Mode entstiegen sein können. Frauen kauften solche Sachen für ihre Männer, in der Hoffnung, den verweichlichten Städter in einen edlen Landlord zu verwandeln.

Zwei quicklebendige Springerspaniels liefen neben ihm her, und Keelin glaubte plötzlich, in die Vergangenheit zurückversetzt worden zu sein. Das musste an dem Aufzug des Mannes liegen, anders war es nicht zu erklären. Er trug einen langen gewachsten Mantel, das kragenlose Hemd stand am Hals offen, und er benutzte sogar einen langen Stock beim Gehen! Wenn Heathcliff, die Hauptfigur aus Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“, an jenem Morgen im Moor auch nur halb so gut ausgesehen hatte, war es völlig unverständlich, wie Catherine ihn jemals hatte verschmähen können!

Ohne den Blick von ihr zu wenden, näherte sich der Mann ihr. Keelins Mund wurde trocken. Wo versteckten sich solche Kerle denn ansonsten? Etwa hier auf dieser kleinen Insel vor der Küste von Kerry? Welch eine Verschwendung für die Frauenwelt!

„Guten Morgen.“

Himmel, selbst seine Stimme war ein Traum! Die tiefste, melodischste, sonorste, samtenste Stimme, die Keelin je gehört hatte. Geradezu die Symphonie einer Stimme! War dieser Mann überhaupt real oder eine Erscheinung?

Sie blinzelte und starrte ihn stumm an. Schließlich hatte sie schon immer eine Schwäche für große, dunkle, gut aussehende Männer gehabt. Welche Frau nicht?

Sag etwas, Keelin!

Schließlich räusperte sie sich und brachte ein heiseres „Hallo“ hervor.

Wie geistreich!

Der Mann schaute sie unverwandt an. „Haben Sie sich verlaufen?“

Wenn der Rest an ihm ebenso fantastisch war wie seine Augen, könnte ihr das durchaus noch passieren! „Nicht dass ich wüsste. Das heißt, wenn der Mann im Hotel mir die richtige Wegbeschreibung gegeben hat.“

„Patrick?“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, ließ eine Reihe perfekter weißer Zähne aufblitzen und zwei winzige Grübchen auf beiden Wangen, während er weiter auf sie zutrat. „Wahrscheinlich hat er auch behauptet, es sei nur ein kleines Stück zu laufen, gerade genug, um sich die Beine zu vertreten?“

Wenn man so lange Beine hatte wie dieser Mann, vielleicht. Keelin allerdings war knapp über 1,60 m groß, und das auch nur an den Tagen, an denen sie Schuhe mit hohen Absätzen trug. Valentia Island vor der Südwestküste Irlands war mit Sicherheit nicht der Ort für hohe Absätze.

Sie nickte ergeben. „Richtig. Ist das sein üblicher Streich für Leute, die sich hier nicht auskennen?“

„Ich fürchte, ja.“ Ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden, streichelte er einem Spaniel über den Kopf. Der Hund wedelte begeistert mit dem Schwanz. „Wohin wollten Sie denn?“

„Inishmore House.“ Keelin bemühte sich redlich, nicht eifersüchtig auf einen nassen Hund zu sein. Schließlich hatte ihr das letzte Mal jemand über den Kopf gestrichen, als sie neun gewesen war, und schon damals hatte sie es nicht leiden können. „Es soll hier irgendwo sein. Außerdem habe ich in der Broschüre gelesen, dass die Insel nur sieben Meilen lang ist. Also kann ich wohl nicht mehr lange laufen müssen, bis ich am Inselende von den Klippen stürze.“

„Keine Sorge, bevor das passiert, bleibt Ihnen noch eine gute Meile.“

„Das ist ungemein beruhigend.“

Der Fremde trat den letzten Schritt auf die niedrige Steinmauer zu, die jetzt eine Art Sperre zwischen ihnen bildete. Für einen Moment war Keelin abgelenkt, als einer der Hunde sich mit den Vorderpfoten auf die Mauer stützte und sie mit schief gelegtem Kopf musterte. Dann leckte er Keelin vertrauensselig über die Hand.

Mit einem weichen Lächeln richtete sie den Blick auf das Gesicht des Mannes. Und ertrank schier in dunkelbraunen warmen Augen, umrahmt von verboten langen Wimpern. Um nicht laut aufzuseufzen, konzentrierte sie sich darauf, den nassen Hundekopf zu tätscheln. Schöne Augen hatten sie schon immer einnehmen können, und dieser Mann da hatte sensationelle Augen. Nur … diese Vorliebe hatte ihr schon einmal Herzeleid eingebracht.

Außerdem … ein solcher Mann lebte bestimmt nicht allein auf der Insel.

„Was sucht jemand wie Sie in Inishmore House?“

Das kam einem ‚Was macht ein nettes Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?‘ recht nahe, oder? Und umwerfend aussehende Männer, die jeden einzelnen ihrer Sinne in Aufruhr versetzten, waren ihr auch schon lange nicht mehr begegnet. Keelin wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte.

Schließlich war sie nicht auf der Suche nach einem romantischen Abenteuer hergekommen, ganz gleich, wie dieser Mann aussehen mochte. Das war die Art Komplikation, die sie im Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte. Nein, sie durfte sich nicht vom Wesentlichen ablenken lassen.

Also atmete sie einmal durch und besann sich auf verbindliche Umgangsformen. Ließ ihre Stimme geschäftsmäßig klingen, machte deutlich, dass sie etwas zu erledigen hatte. „Ich suche jemanden. Ist es noch weit?“

„Gerade weit genug, um sich die Beine zu vertreten.“

Keelin fand das gar nicht lustig. „Sehr witzig.“

Er lachte auf, kurz nur, doch der angenehme Klang fuhr Keelin durch Mark und Bein, schlug Wellen in ihrem Innern wie ein Stein, der in einen Teich fällt.

Irgendetwas musste in dieser Luft liegen, ganz offensichtlich. Der Nebel, die frische Morgenluft, die Gestalt, die so dramatisch langsam herangekommen war … Es war die Szenerie, die sie reizte. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.

Möglicherweise auch die Furcht vor dem, was sie hier herausfinden würde.

Sie reckte die Schultern. Schließlich hatte sie die lange Reise nicht auf sich genommen, um dem erstbesten Mann zu erliegen, der ihr zufällig begegnete.

„Wenn Sie mir den richtigen Weg sagen könnten, wäre das sehr nett.“

„Ich tue sogar noch mehr. Ich bringe Sie hin.“

Oh nein, ganz bestimmt nicht! Keelin hatte genügend Krimis gelesen, um zu wissen, wie so etwas ablief. Und dieser Mann war auch so schon gefährlich genug, ohne dass sie sich ihm in dieser einsamen Gegend anvertraute. „Vielen Dank, das ist nicht nötig. Wenn Sie mir nur die Richtung weisen …“

„Ich gehe ebenfalls dorthin.“

Aber nicht mit ihr! „Wirklich, ich bin sicher, ich finde es …“

„Gibt es denn heute in der Stadt keine echten Gentlemen mehr?“

Viele sicher nicht, aber darum ging es hier nicht. „Ich kenne Sie doch gar nicht.“

„Dieser Mangel lässt sich leicht beheben.“ Er streckte die Hand aus. „Ich heiße Garrett …“

„Und ich muss Sie auch nicht kennen. Seien Sie mir nicht böse, aber ich will nur nach Inishmore House, mehr nicht. Ich habe es nicht nötig, mich von Fremden ansprechen zu lassen.“

Mit einem spöttischen Gesichtsausdruck ließ er die Hand sinken. „Ganz schön von sich selbst eingenommen, was?“ Ein amüsiertes Funkeln trat in seine Augen.

Himmel, der Mann war aber auch zum Anbeißen. Auf einer Skala von 1 bis 10 stand er mindestens bei 9,9! Trotzdem, sie würde sich nicht von ihm einwickeln lassen. Ihrer Mutter war es damals genauso ergangen, und man brauchte sich nur anzusehen, wohin das geführt hatte.

„Sehen Sie, Mr. …“

„Garrett.“

Ihre dezente Abfuhr hatte nicht gewirkt, also musste sie deutlicher werden. „Ich bin sicher, unter den Touristen, die herkommen, gibt es mehr als genügend weibliche Abwechslung, um Sie für ein paar Monate beschäftigt zu halten. Aber ich bin keine Touristin. Und ich bin auch nicht auf der Suche nach einem Abenteuer. Ich werde nicht einmal lange genug hier sein, um Ihrem Charme zu erliegen, also können Sie sich das sparen. Bevor ich abfahre, werde ich im Fremdenverkehrsbüro eine Beurteilung über meinen Aufenthalt abgeben und betonen, wie freundlich und zuvorkommend die hiesigen Einwohner sind.“

„Sagten Sie nicht, Sie seien keine Touristin?“

Sein sachlicher Ton nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Bin ich auch nicht.“

„Wieso wollen Sie dann eine Beurteilung im Fremdenverkehrsbüro abgeben?“

Was für ein äußerst cleveres Exemplar von Mann! Keelin seufzte. „Vergessen Sie’s einfach. Ich finde den Weg allein.“

Er ließ sich jedoch nicht abwimmeln und lief ungeachtet ihres Protestes neben ihr her. Als sie ihm einen bösen Blick zuwarf, wäre sie fast über einen der Hunde gestolpert. Blitzschnell stützte Garrett sie, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Mit einem Ruck entzog sie ihm den Arm. „Würden Sie bitte gehen?“, fauchte sie unfreundlich.

„Ich sagte doch schon, ich habe den gleichen Weg.“

„Dann warte ich eben hier, bis Sie außer Sicht sind, bevor ich mich in Bewegung setze!“

Es zuckte um seine Mundwinkel, als sie resolut die Arme vor der Brust verschränkte. „Sind Sie eigentlich immer so unhöflich zu einem Gentleman? Oder sehe ich aus wie ein Serienkiller?“

„Sie brauchen gar kein Serienkiller zu sein. Schließlich gibt es hier nur mich.“

Seine Augen blitzten auf. „Ich bin harmlos, ehrlich. Außerdem … wenn ich Sie allein weiterlaufen lasse, stürzen sie am Ende noch ins Meer, und damit wäre mein Ruf ruiniert.“

Er neckte sie, wie Keelin plötzlich erkannte. Die Situation war regelrecht surreal. Sie brauchte dringend einen Kaffee, einen heißen, cremigen Cappuccino vielleicht. Und das stetige Summen von Straßenverkehr. Das würde diese „Niemand-hört-dich-wenn-du-schreist“-Stille füllen. Schön wäre es auch, wenn sie am frühen Morgen nicht schon einen solchen Gewaltmarsch hinter sich hätte. Oder wenn sie in der Nacht wenigstens ein Auge hätte zutun können.

Noch immer zuckte es amüsiert um Garretts Mundwinkel, während sie stur vor sich hin schwieg. Offensichtlich hatte der Mann ein simples Gemüt und war leicht zu erheitern!

Einer der Spaniels schien zu spüren, dass Spannung in der Luft lag, und betätigte sich als Friedenstifter. Mit nassen Vorderpfoten sprang er an Keelin hoch, um Hallo zu sagen, und hinterließ natürlich zwei lehmige Abdrücke auf ihrer beigefarbenen Hose. Keelin zuckte zusammen, eigentlich eher erschreckt als alles andere. Sie mochte Hunde. Normalerweise.

„Aus, Ben!“ Die scharfe Stimme ließ den Hund sofort aufhorchen. Der Spaniel setzte sich zu Garretts Füßen und hob entschuldigend den Blick zu seinem Herrn auf. „Manchmal sind sie ein wenig zu freundlich“, entschuldigte Garrett sich.

„Das scheint in dieser Gegend üblich zu sein!“ Keelin sah an ihrer Hose herunter.

„Sollen das da etwa Gummistiefel sein?“

„Das sind Gummistiefel.“ Sie musste es wissen, schließlich hatte sie sie extra für diese Reise gekauft. In Dublin hatte man nicht oft Gelegenheit, solches Schuhwerk zu tragen.

Garrett studierte nachdenklich ihre Schuhe. „Da sind Blümchen aufgedruckt.“

„Sehr scharf beobachtet.“ Keelin betonte jede Silbe. „Ich bin nämlich ein Mädchen.“

Er hob den Blick. „Ich weiß, ist mir aufgefallen.“

Keelins Wangen begannen zu brennen.

„Es ist nur … Normalerweise sind Gummistiefel grün oder schwarz.“

„Oder dunkelblau?“, flötete sie überfreundlich und klimperte mit den Wimpern.

„Richtig. Manchmal sind sie auch dunkelblau.“

Eine Weile blieb es still, während Keelin in seinen nougatbraunen Augen versank und damit zu denken vergaß. Sie konnte ihren eigenen Herzschlag hören und das Pochen an ihren Rippen fühlen. Also wirklich, jetzt erregte sie schon ein unsinniges Gespräch über Gummistiefel? Meine Güte, sie musste sich zusammenreißen! „Sie sollten öfter mal von dieser Insel runter, wissen Sie das?“

„Damit ich Erfahrungen über die Gummistiefel dieser Welt sammeln kann?“

„Genau. Man muss seinen Horizont erweitern.“

„Sehen Sie“, Garrett senkte die Stimme, „würde ich ja. Aber ich bin ein Junge. Und Jungen ziehen nun mal grün, schwarz oder dunkelblau vor. Das ist praktischer. Also“, er lächelte, „jetzt, da wir geklärt haben, wie wir zum Thema Gummistiefel stehen, sind Sie bereit, noch ein wenig zu gehen?“

„Sie werden mich nicht in Ruhe allein weitergehen lassen, was?“

Er schüttelte grinsend den Kopf. „Keine Chance.“

Verflucht sei die Ritterlichkeit! Welchen Wert hatte so etwas denn noch in modernen Zeiten?! Frauen wie sie waren an ein solches Benehmen von einem Mann einfach nicht gewöhnt! Keelin seufzte schwer. „Na schön, gehen Sie also voraus, wenn Sie sich partout nicht davon abbringen lassen wollen. Aber ich warne Sie – ich habe mehrere Selbstverteidigungskurse besucht.“

„Ich denke, Sie leben schon zu lange in der Stadt.“

„Woher wollen Sie wissen, dass ich in der Stadt lebe?“

„Das sieht man Ihnen an.“ Er drehte den Kopf und studierte ihr Profil. „Sie sehen … anspruchsvoll aus.“

Keelin legte den Kopf leicht schief. „Wollen Sie mir damit unterstellen, dass ich verwöhnt bin?“

Seine Mundwinkel zuckten. „Sind Sie das nicht?“

Wenn er wüsste! „Würden Sie mich besser kennen, dann wäre Ihnen klar, dass ich eine der am wenigsten verwöhnten Frauen auf diesem Erdball bin. Aber bitte, wer bin ich, dass ich Sie aufhalten würde, voreilige Schlüsse zu ziehen.“

„Deshalb sind Sie auch so freundlich und genießen Ihren Aufenthalt auf der Insel, nicht wahr?“

Nein, dass sie sich hier unwohl fühlte, hatte einen ganz anderen Grund. Keelin hielt den Blick stur geradeaus gerichtet. „Das liegt nicht an der Insel“, setzte sie schließlich mit einem Seufzer zu einer Erklärung an. „Ich bin immer gereizt, wenn ich nervös bin.“

„Mache ich Sie nervös?“

Sie warf ihm einen hämischen Seitenblick zu. „Und wer ist jetzt von sich eingenommen?“

Ein Lächeln zog auf sein Gesicht, ein strahlendes, wunderbares Lächeln, das die beiden Grübchen zum Vorschein brachte. Keelin konnte nicht anders, sie musste lachen.

Garrett beugte sich zu ihr herunter. „Na also, jetzt sehen Sie schon wesentlich weniger verwöhnt aus.“

„Flirten Sie eigentlich mit jeder Frau, die sich auf dieser Insel verläuft?“, fragte sie, noch immer lächelnd.

Als er sie jetzt ansah, war sein Blick so intensiv, dass es ihr den Atem raubte. „Vielleicht bringen Sie diese Seite an mir zum Vorschein.“

Keelin verzog theatralisch das Gesicht.

Eine Weile gingen sie in nahezu einvernehmlichem Schweigen nebeneinander her, bis Garrett fragte: „Also, warum sind Sie nervös?“

Keine einfache Frage. „Ich bin mir immer noch nicht so ganz sicher, warum ich hergekommen bin.“

„Kennen Sie jemanden auf Inishmore?“

„Nein, noch nicht.“

„Werden Sie erwartet?“

„Wohl kaum.“

„Dann bringen Sie schlechte Nachrichten?“

Auch wenn sie wusste, dass er nur nach einer logischen Erklärung für ihre Nervosität suchte, zögerte Keelin. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah den davonziehenden Wolken nach. Der Himmel wurde immer blauer. „So etwas in der Art“, antwortete sie schließlich leise.

Garrett musterte ihr emporgehobenes Gesicht. Und lächelte aufmunternd, als sie seinem Blick begegnete. „Niemand ist gern der Überbringer schlechter Nachrichten. Kein Wunder, dass Sie nervös sind.“ Mit einer Hand drückte er beruhigend ihren Ellbogen. „Auf Inishmore leben nette Leute. Sie werden dem Boten nicht den Kopf abreißen.“

„Das kommt auf die Nachricht an.“

Er hob eine dunkle Augenbraue. „Ist es die Schuld des Boten?“

„Nein“, flüsterte sie. Plötzlich schlugen Emotionen über ihr zusammen, von denen sie geglaubt hatte, sie unter Kontrolle zu haben. Sie würde sich zusammenreißen müssen, denn sie hatte sich hier weiter als jemals zuvor vorgewagt. Und es ängstigte sie halb zu Tode. Als sie sagte, dass sie nicht recht wüsste, warum sie hergekommen war, entsprach das sehr genau der Wahrheit.

Sollte man sie abweisen, so würde sie damit fertig werden. Das hatte sie sich immer wieder vorgesagt. Und dennoch … ein Teil von ihr würde zutiefst verletzt zurückbleiben, das wusste sie. Noch mehr Schmerz auf Kummer und Leid, die sie jahrelang verschlossen gehalten hatte. Vielleicht hätte sie den Plan aufgeben, hätte Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und sich auf die Zukunft konzentrieren sollen.

Der leichte Druck an ihrem Ellbogen riss sie aus ihren grüblerischen Gedanken. Garrett lächelte sie voller Wärme und Verständnis an. Seltsam, es beruhigte und tröstete sie. Einen Mann wie ihn hatte sie noch nie getroffen. Sie konnte es nicht mehr nur auf den Nebel und die Gegend schieben. Nein, an diesem Mann war etwas Besonderes, etwas, das sie mehr faszinierte als bei jedem anderen.

Er hatte … eine zwingende Aura. Charismatisch. Ja, das war eine gute Beschreibung.

Die braunen Augen musterten sie erneut aufmerksam. Garrett nahm die Hand von ihrem Arm. „Dermot Kincaid ist ein guter Mann. Er wird sich anhören, was immer Sie zu sagen haben.“

Keelin riss die Augen auf. „Sie kennen ihn?“

„Ja“, antwortete er schlicht. „Und Ihrem Gesichtausdruck nach zu urteilen, muss es wichtig sein, was Sie ihm mitteilen wollen. Er wird das verstehen, wenn Sie ihm die Chance dazu geben. Hier auf unserer Insel sind wir nicht alle potenzielle Serienmörder.“

Mit einem Mal fiel ihr das Atmen schwer. Deshalb dauerte es einen Augenblick, bevor sie die Frage aussprechen konnte, die ganz oben auf ihrer Liste von Fragen stand. „Wie ist er denn so?“

Garrett blickte nachdenklich in die Ferne. „Wie jeder Mann in seinem Alter. Er hat sein Leben in vollen Zügen genossen, Erfahrungen gesammelt und einen ausgesprochen gesunden Menschverstand geschärft. Das geht einem manchmal ganz schön auf die Nerven, vor allem, wenn man überzeugt ist, recht zu haben, und er es dann letztendlich doch besser weiß. Mit der Zeit haben sich seine Ansichten fest geformt, er kann also ein ziemlich sturer Bock sein, wenn er es darauf anlegt, der keinen Zentimeter von seiner Meinung abweicht.“ Er grinste Keelin an. „Aber den Anblick eines hübschen Mädchens weiß er zu schätzen, also werden Sie keine Schwierigkeiten mit ihm haben.“ Er lachte auf, als Keelin das Blut in die Wangen schoss. „Ich bin sicher, er wird Sie mögen, auch wenn er alt genug ist, Ihr Vater zu sein.“

Keelin dankte dem Himmel, dass der Ire sie nicht ansah, als er diese letzte Bemerkung machte.

„Da drüben liegt das Haus.“

Sie folgte dem ausgestreckten Arm mit den Blicken und konnte nun ein großes Farmhaus aus alten grauen Steinen erspähen. Garrett blieb vor ihr stehen und sah sie fragend an. „Was ist?“

Keelin runzelte die Stirn. Einen Moment lang war sie so versunken in die Betrachtung des Hauses gewesen, dass sie seine Anwesenheit völlig vergessen hatte. Sie würde ihm auch nicht erklären, warum es plötzlich so schwer war, die letzten Schritte auf das Haus zu zu tun. Wie sollte er verstehen können, dass es für sie ihr ganzes Leben gedauert hatte, um hierherzukommen?

Also flüchtete sie sich in eine ausweichende Antwort. „Hätten Sie mir nicht einfach sagen können, dass Inishmore hinter der nächsten Wegbiegung liegt?“

„Und mir damit den ganzen Spaß verderben?“, meinte er schmunzelnd.

Pikiert hob Keelin das Kinn und marschierte an ihm vorbei. „Sie müssen wirklich mal was anderes als diese Insel sehen.“

Zunächst nahm sie gar nicht wahr, dass er ihr noch immer folgte, bis die Hunde vor dem Tor stehen blieben, mit wedelndem Schwanz, und auf Einlass warteten. Verdattert sah Keelin erst auf die Hunde, dann auf Garrett, der nach dem Riegel griff.

„Sie brauchen mich nicht bis zur Tür zu bringen. Ich bin sicher, die finde ich jetzt allein.“

„Ich sagte Ihnen doch, dass ich den gleichen Weg habe.“

„Allerdings dachte ich nicht, dass Sie bis ins Haus mitkommen würden.“

Er stieß das Tor auf, die Hunde jagten über den schmalen Pfad. Garrett lehnte sich ein wenig vor und grinste. „Muss ich aber. Ich wohne nämlich hier.“

Fassungslos riss Keelin die Augen auf. „Sie wohnen hier?“

Garrett nickte langsam. „Ja, noch. Ich baue ein eigenes Haus, ganz in der Nähe. Inishmore House ist lange Zeit mein Zuhause gewesen. Ich wollte mich Ihnen vorstellen, aber davon wollten Sie ja nichts wissen.“ Eine dunkle Augenbraue wurde spöttisch angehoben. „Und Ihren Namen habe ich auch nicht richtig verstanden.“

Keelin schluckte. „Wahrscheinlich, weil ich ihn nicht genannt habe. Sie haben auch nicht gefragt.“

„Na, das lässt sich nachholen, oder?“ Lächelnd streckte ihr seine Hand entgegen. Als sie zögerte, einzuschlagen, zuckte es spöttisch um seine Mundwinkel.

Keelin fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, dann holte sie tief Luft und erwiderte seine Geste. Bei der Berührung schoss ein Stromstoß ihren Arm hinauf. „Ich heiße Keelin O’Donnell.“

„Nett, Sie kennenzulernen, Keelin O’Donnell.“ Ohne ihre Hand freizugeben, legte er den Kopf leicht schief. „Ich bin Garrett Kincaid.“

„Kincaid?“ Keelin zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie starrte ihn an und rieb sich die Handfläche an der Jeans.

Garrett hielt das Tor auf und bedeutete ihr voranzugehen. „Mein Vater sitzt wahrscheinlich in der Küche.“

Sein Vater! Wie ein Roboter trat Keelin durch das Tor. Sie war also den ganzen Weg hergekommen, um letztlich seinem Vater gegenüberzustehen. Das war mal wieder typisch! Da traf sie den ersten Mann seit langer Zeit, den sie faszinierend fand, fühlte das Falsche im falschen Moment, wenn sie solche Komplikationen überhaupt nicht gebrauchen konnte, weil ihr Leben im Moment schon chaotisch genug war, und dann musste sie feststellen, dass dieser umwerfende Fremde nicht etwa ein Serienmörder war, sondern ein potenzielles Familienmitglied.

Er könnte sogar ihr Bruder sein.

2. KAPITEL

Während die Hunde über den Fliesenboden hin zu ihrem Körbchen schlitterten und es sich dort gemütlich machten, betrachtete Garrett die zierliche Blondine, die unsicher auf der Schwelle stehen blieb, mit dem Ausdruck blanker Hilflosigkeit auf dem Gesicht.

Eine äußerst rätselhafte Frau.

Das hatte er schon gedacht, als er noch nicht wusste, wohin sie wollte. Es geschah nicht oft, dass er frühmorgens mitten im Nichts einer schönen Frau begegnete. Vor allem keiner, zu der er sich sofort hingezogen fühlte. Irgendetwas war an ihr, etwas Besonderes. Aber was?

„Hast du die Herde überprüft?“ Sein Vater stand bei dem großen Herd, mit dem Rücken zur Tür. „Sind sie noch alle da?“

„Ja, ich habe nachgezählt, alle Tiere vollzählig.“ Garrett drehte den Kopf. „Kommen Sie doch herein, Keelin.“

Mit einem tiefen Atemzug machte sie einen Schritt vor, dann noch einen, den Blick starr auf die andere Person im Raum gerichtet.

In diesem Moment wandte Dermot Kincaid sich um und sah neugierig zu Keelin hinüber. „Wo hast du denn dieses hübsche Ding gefunden, Garrett? Seit Jahren schicke ich dich los, um nach der Herde zu sehen, aber so etwas Schönes hast du noch nie mit nach Hause gebracht.“

„Sie ist nicht meinetwegen hier, sondern will zu dir.“

Ein schalkhaftes Funkeln trat in die Augen des Älteren. Er blinzelte Keelin zu und schlug dann seinem Sohn auf die Schulter. „Wirklich, Garrett, das wäre nicht nötig gewesen. Mein Geburtstag ist erst nächsten Monat.“

Keelin schien keinen Spaß zu verstehen. Stattdessen wurde sie mit jeder Sekunde blasser. Was ihr ein nahezu ätherisches Aussehen verlieh mit dem hellen Haar und den großen blauen Augen. Bis Dermot ihr die Hand zur Begrüßung hinstreckte, wirkte sie fast wie aus Glas, so als würde sie bei der kleinsten Erschütterung zerbrechen.

Im Stillen fragte Garrett sich, wer denn die wahre Keelin O’Donnell sein mochte. Das kesse Citygirl oder das eingeschüchterte Mädchen? Diese Frau war voller Widersprüche.

Er räusperte sich. „Paddy McIlroy hat sie vom Hotel hierher geschickt.“

„Zu Fuß?“ Mit einem ungläubigen Lächeln sah Dermot zu seinem Sohn, als Keelin endlich seinen Händedruck erwiderte. „Das ist aber ein ziemliches Stück.“

Keelin beruhigte sich langsam wieder. „Hätte er etwas von ‚ziemlich‘ oder gar ‚weit‘ gesagt, wäre ich mit dem Wagen gekommen.“

„Paddy hat einen ganz eigenen Sinn für Humor.“

„Das weiß ich inzwischen auch.“

„Nun, was bringt Sie her? Nicht, dass der Anblick eines so hübschen Dings mir unangenehm wäre.“

Garrett konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als er den langen Mantel auszog. „Ich sagte Ihnen doch, Keelin, Sie werden ihm gefallen.“

War sie vorhin noch blass gewesen, so schoss ihr jetzt die Röte in die Wangen. Und Garretts Grinsen wurde breiter. Es gefiel ihm, dass sie so leicht rot wurde. Heutzutage sah man das nur noch selten bei Frauen. Vor allen bei jenen, die in der Stadt lebten.

Noch ein Widerspruch. Frauen aus der Stadt waren zu selbstsicher, um zu erröten, zumindest Garretts Erfahrung nach. Zugegeben, früher einmal hatte er dieses Selbstbewusstsein sexy gefunden.

Ein Mal. Aber das hatte ihm gereicht.

„Wenn er das weiß, da sollte man annehmen, er hätte Sie für sich behalten, was?“ Dermot winkte mit der Hand in Garretts Richtung. „Biete dem Mädchen wenigstens eine Tasse Tee an. Die Kanne steht auf dem Herd.“

Garrett sah fragend zu Keelin. „Milch, aber kein Zucker, nehme ich an?“ Auch das war seiner Erfahrung nach bei Frauen aus der Stadt die Norm.

„Ja, danke.“

„Setzen Sie sich doch bitte.“ Dermot zog einen Stuhl für sie unter dem langen Küchentisch hervor. „Sie heißen Keelin, sagten Sie? Ein hübscher Name. Machen Sie Urlaub hier? Kennen Sie die Insel? Ein großartiger Ort, nicht wahr?“

„Vielleicht würde sie dir deine Fragen beantworten, wenn du sie auch mal zu Wort kommen ließest.“ Garrett goss dampfenden Tee in einen Becher und sah über die Schulter zu seinem Vater. Nicht, dass er Zweifel an Keelins Fähigkeit hätte, für sich selbst zu sprechen. Aber etwas an ihr hatte sich verändert, seit sie über die Schwelle getreten war. Solange sein Vater den charmanten Gastgeber spielte, würde sie es nicht zur Sprache bringen. Und Garrett kam halb um vor Neugier.

„Nein, ich bin nicht in Urlaub.“ Sie nahm die Schultertasche ab und kramte darin. „Ich kam her, um Ihnen etwas zu geben, von dem ich glaube, dass es Ihnen gehört.“

„Mir?“ Dermot riss überrascht die Augen auf. „Sind Sie da sicher?“

„Ja.“ Sie sah Dermot an, dann Garrett, der den dampfenden Becher vor sie hinstellte. „Danke vielmals.“

Garrett lächelte. „Es ist nur etwas Tee, Keelin O’Donnell, keine große Sache.“

Auf die jähe Stille im Raum folgte nun ein verdattertes „O’Donnell?“

Garrett kniff die Augen zusammen. Was ging hier vor? Sein Vater hatte den Namen ebenso überrascht wiederholt wie Keelin, als er sich als „Kincaid“ vorgestellt hatte.

Offenbar hatte sie jetzt gefunden, wonach sie gesucht hatte. Sie legte ein Bündel Briefe auf den Tisch und strich mit beiden Händen darüber. „Ja, O’Donnell.“

Die Reaktionen, die sich auf Dermots Miene abspielten, waren dramatisch. Unverwandt musterte er Keelin, als suche er etwas, und brachte keinen Ton hervor. Es war das erste Mal, dass Garrett ihn sprachlos sah. Und als er Keelin anschaute, betrachtete sie Dermot mit genau dem gleichen Blick.

Dann wandte sie den Kopf ab, und ein seltsamer Druck legte sich auf Garretts Brust. Sie wirkte verloren. Er entsann sich, dass er ihr versichert hatte, sein Vater würde ihr zuhören. Dass dem Boten nicht der Kopf abgerissen werden würde.

Garrett log nie. Und er würde nicht zulassen, dass sein alter Herr jetzt einen Lügner aus ihm machte.

Deshalb setzte er ein strahlendes Lächeln auf und zog auch sich einen Stuhl heran. „Ihr beide kennt euch?“ Er sah erwartungsvoll von einem zum andern, doch Dermot starrte nur auf die Briefe, auf denen Keelins Hände lagen.

„Kürzlich?“

Keelin schluckte, Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie antwortete. „Vor sechs Wochen.“

„Es tut mir so leid, Kind.“

Sie nickte, sah auf ihre Hände, um sich zu sammeln, dann schob sie das säuberlich verschnürte Bündel über den Tisch zu Dermot hin. „Ich dachte, Sie würden sie vielleicht gern haben.“

Jetzt nickte Dermot stumm. Und obwohl Garrett mindestens tausend Fragen hatte, stellte er keine einzige. Er fühlte sich wie ein Eindringling, schon allein durch seine Anwesenheit.

Schweigend beobachtete er, wie sein Vater die Briefe zu sich heranzog und darüber strich, genau, wie Keelin es getan hatte. So als seien sie etwas unschätzbar Wertvolles.

„Danke, dass Sie sie hergebracht haben.“ Dermots Blick ruhte versunken auf Keelin. „Sie sind ihr wie aus dem Gesicht geschnitten“, sagte er leise.

„Ich weiß.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Das höre ich immer wieder.“

„Aye. Sie war damals so alt wie Sie jetzt …“ Er brach ab und räusperte sich. „Garrett, biete unserem Gast etwas zu essen an. Sicher hat sie Hunger nach dem langen Marsch.“

„Danke, das ist nett. Aber ich habe im Hotel gut gefrühstückt.“

Garrett nickte nur lächelnd. Bei ihrem Anblick fiel ihm nichts ein, was er sagen könnte. Grundgütiger, war sie schön! Und die Reaktion, die sie in ihm auslöste, versetzte ihn zurück in eine Zeit, als er ein anderer gewesen war, in einem anderen Leben. Die, der sie ähnelte, musste vor langer Zeit einen ebensolchen Eindruck auf seinen Vater gemacht haben.

Dermot schob seinen Stuhl zurück, das Bündel Briefe in einer Hand. „Entschuldigen Sie mich.“

Verdutzt sah Garrett seinem Vater nach, der jetzt die Küche verließ. Als er das schabende Geräusch von Stuhlbeinen auf dem Boden hörte, drehte er abrupt den Kopf zu Keelin.

Sie war aufgestanden und hängte sich gerade ihre Tasche über die Schulter. „Es war ein Fehler“, murmelte sie.

„Warten Sie.“ Garrett griff nach ihrer Hand. „Er kommt sicher gleich zurück. Dieses Verhalten sieht ihm so gar nicht ähnlich.“ Aber Dermot wäre nicht der erste Kincaid, der sich in Gegenwart dieser Frau ungewöhnlich benahm, oder?

Keelin entzog ihm ihre Finger. „Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich glaube, ich wusste es schon vorher.“

Garrett hörte das Beben in ihrer Stimme, sah das Schimmern der feuchten Augen, als sie zur Tür blickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, er wusste nur, dass er sie nicht gehen lassen wollte. Zum Teil lag die Schuld bei ihm, dass sie so aufgewühlt war. Hatte er ihr nicht versichert, sein Vater würde sie freundlich empfangen, ganz gleich, wie die Nachricht lautete? Und er hatte noch immer nicht die geringste Ahnung, um was für eine Nachricht es sich handelte. „Von wem ist eigentlich die Rede?“

Keelin schluckte, hielt den Blick auf ihre geblümten Gummistiefel gesenkt. „Von meiner Mutter.“

Vor sechs Wochen. Garrett begann zwei und zwei zusammenzuzählen. „Sie ist gestorben?“

Ein einzelnes Nicken, ein einzelnes Wort. „Krebs.“

Innerlich zuckte er zusammen. Er suchte nach passenden Worten und war wütend auf sich selbst, weil er keine fand. Sie war nicht die Erste, für die er passende Worte zum Verlust der Mutter finden musste.

Doch während seine Gedanken noch in die Vergangenheit zurückwanderten, war Keelin schon zur Tür hinaus.

Als dann endlich Bewegung in ihn kam, rannte er hinter ihr her. Ihre Finger lagen bereits auf dem Riegel des Gartentors.

„So warten Sie doch!“ Eine Hand an ihrer Schulter, drehte er sie zu sich um und fluchte leise, als er die Tränen sah, die ihr über die Wangen strömten.

Sie machte sich los und kämpfte mit dem Riegel. „Ich muss hier weg.“ Heftig rüttelte sie an dem Eisenstab. „Was für ein dummes Schloss ist das eigentlich!“

Garrett beobachtete ihre fruchtlosen Bemühungen und rang mit sich. Sollte er tun, was der Anstand verlangte, oder das, was sie jetzt am meisten brauchte?

Ihr ersticktes Schluchzen fällte die Entscheidung für ihn. „Kommen Sie her, Keelin.“ Er trat einen Schritt vor und zog sie in seine Arme. „Ich kann Sie nicht gehen lassen. In Ihrem jetzigen Zustand schlagen Sie die falsche Richtung ein und stürzen doch noch ins Meer.“

Sie wehrte sich gegen seine Umarmung. „Lassen Sie mich los, Garrett.“

„Nein. Halten Sie eine Minute still. Geben Sie sich Zeit, ruhiger zu werden.“

Noch immer versuchte sie sich zu befreien, doch er hielt sie nur fester, und irgendwann gab sie auf, barg ihr Gesicht an seiner Brust und ließ den Tränen freien Lauf.

So standen sie da, minutenlang, und Keelin weinte an Garretts Brust, während er ihr tröstend über den Rücken strich.

Ihre Stimme klang gedämpft, aber wieder fester, als sie endlich sprach. „Na, das war das erste Mal.“

„Was? Dass Sie weinen?“ Er sah auf ihren Schopf hinunter und versuchte ein wenig Humor in seine Stimme zu legen. „Tun das denn nicht alle Frauen?“

Sie hob den Kopf an. „Das habe ich schon unter Kontrolle gebracht, nachdem ich meinen ersten Lassie-Film sah. Nein, aber ich habe noch nie jemanden vollgeheult, den ich erst seit einer halben Stunde kenne.“

„Sie haben Ihre Mutter verloren. Sie haben jedes Recht der Welt, Tränen zu vergießen. Ich war nur zufällig gerade hier.“

Keelin trat von ihm weg und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Ich hätte nicht kommen sollen. Ich wusste es. Es war eine miserable Idee.“

Garrett hatte das Gefühl, als seien seine Arme plötzlich unnütz. Also vergrub er die Hände in den Hosentaschen, weil er nicht wusste, was er sonst mit ihnen machen sollte. „Dermot hat Ihre Mutter gekannt?“

„Ja, vor langer Zeit.“

„Vergessen hat er sie aber nicht.“

Ein Lächeln huschte über ihre Miene. „Meine Mutter hatte diese Wirkung auf andere. Sie hinterließ bleibenden Eindruck.“

„Also stimmt es, wenn er sagt, dass Sie ihr aus dem Gesicht geschnitten sind.“

Irritiert runzelte sie die Stirn und sah weg. „Ich mache mich besser zurück auf den Weg zum Hotel.“

„Ich fahre Sie hin.“

„Das ist nicht nötig, danke.“

„Seien Sie nicht albern. Inzwischen wissen Sie doch, wie weit es ist.“

„Das Laufen wird mir gut tun.“

„Pech.“

Als sie ihn jetzt ansah, war die selbstbewusste Fassade des Citygirls wieder an die Stelle des unschuldigen Mädchens getreten. „Sind Sie eigentlich immer so despotisch?“

„Ja.“ Er grinste schief. „Sie werden sich schon noch dran gewöhnen.“

„Ich werde nicht lange genug hier sein, um mich daran zu gewöhnen.“

„Warten Sie hier, nur eine Minute. Ich hole meinen Autoschlüssel.“

„Ich kann laufen.“

„Sicher können Sie das. Aber dann habe ich Sie in zwei Minuten eingeholt. Sehen Sie’s doch einfach mal so – dann sind Sie mich schneller los. Sonst fahre ich im Schritttempo die ganze Zeit neben Ihnen her und nerve Sie. Im Nerven bin ich sogar noch besser als im Herumkommandieren.“

Als sie gerade losfahren wollten, tauchte Dermot wieder auf.

Er klopfte an das Beifahrerfenster des Range Rovers, und Keelin ließ die Scheibe herunter. „Es hat etwas gedauert, bis ich sie gefunden habe. Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ.“ Er reichte ihr ein zweites Bündel Briefe durchs Fenster und lächelte traurig. „Nennen Sie es sentimental, aber ich habe ihre Briefe auch aufbewahrt. Sie sollten sie haben, dann kennen Sie beide Seiten der Geschichte.“

Keelin konnte kaum sprechen. „Danke“, flüsterte sie ergriffen.

„Kommen Sie heute Abend zum Dinner. Garrett wird Sie abholen. Ich würde Caitlins Tochter gerne näher kennenlernen. Wenn Sie nichts dagegen haben.“

Garrett war nicht klar, dass er den Atem angehalten hatte, bis Keelin nickte. Dann ließ er mit einem stillen Lächeln den Motor an und lenkte den Wagen auf die Straße.

„Ich sagte Ihnen, er kommt zurück. Jetzt haben Sie doch noch Zeit, sich an meine herrische Art zu gewöhnen.“

„Ich bezweifle, dass ein Dinner dazu ausreicht.“

„Dann muss ich Dermot dazu bringen, Sie zu überreden, länger zu bleiben. Ihn scheinen Sie ja mehr zu mögen als mich.“

Die Bemerkung brachte ihm ein kleines Lächeln ein. „Er sieht eben besser aus als Sie.“

Garrett schüttelte den Kopf, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Nein, würde ich nicht sagen.“

Als sie es nicht bestritt, schmunzelte er verhalten. Es freute ihn, dass ihre Stimmung sich aufgehellt hatte. Immerhin – welcher Mann fühlte sich schon wohl mit einer weinenden Frau?

Während sie sich Knightstown näherten, warf er einen Blick auf das Bündel Briefe in ihrem Schoß. Er würde wirklich gern die Geschichte erfahren, die damit zusammenhing. Und nicht nur, weil es dabei um seinen Vater und ihre Mutter ging.

Nein, er wollte wissen, warum die nächste Generation der Kincaids und O’Donnells ebenso voneinander fasziniert war wie die vorherige. Wobei der Kincaid aus der zweiten Generation besser die Finger von einer Frau aus der Stadt lassen sollte. Eine Frau, die nicht an einen Ort wie Valentia passte. Citygirls und die Insel waren wie Feuer und Wasser. Garrett wusste das, er hatte sich schon einmal verbrannt.

Er entschied, dass er diese Faszination sofort vergessen würde, sobald er auch nur den Schatten des Schon-Einmal-Dagewesenen erkannte. Er würde den gleichen Fehler nicht wiederholen, ganz gleich, wie faszinierend Keelin O’Donnell auch sein mochte.

Selbst wenn er dumm genug sein und in Versuchung kommen sollte … Jetzt trug er nicht nur die Verantwortung für sein eigenes Seelenheil, sondern auch für Terris. Und Terri war der wichtigste Mensch in seinem Leben, wichtiger, als jemand anders je sein könnte.

Faszination hin oder her.

3. KAPITEL

Keelin überlegte, ob sie ihre Koffer packen und die nächste Fähre nehmen sollte. Aber da war ein Teil in ihr, der bleiben und die Wahrheit herausfinden wollte, ganz gleich, wie diese aussehen mochte. Damit das Kapitel ein für alle Mal abgeschlossen war und sie mit ihrem Leben weitermachen konnte.

Allerdings hatte sie nicht mit Garrett Kincaid gerechnet.

Er musste Anfang dreißig sein. Was bedeutete, dass Dermot Kincaid verheiratet gewesen sein musste, als Caitlin ihn kennengelernt hatte. Auch wenn ihre Mutter immer eine Lebenskünstlerin gewesen war … eine Beziehung mit einem verheirateten Mann hinterließ irgendwie einen bitteren Beigeschmack.

Genauso wenig passte es Keelin, dass sie sich zu jemandem hingezogen fühlte, der sich möglicherweise als ihr Halbbruder entpuppen würde.

Außerdem wusste sie nicht hundertprozentig, ob Dermot Kincaid wirklich ihr Vater war. Sie wusste nur, dass die Daten passten. Und die Hinweise aus den Briefen an ihre Mutter.

Diejenigen, die Caitlin geschrieben hatte, warfen vielleicht ein anderes Licht auf die Sache.

So saß Keelin hier, auf einer Bank im Hafen von Valentia, und nahm den wunderbaren Anblick der üppigen grünen Landschaft in sich auf. Das Farbspiel war so intensiv, es erinnerte sie an die Bilder, die sie vom Beginn der Karriere ihrer Mutter kannte.

Noch brachte sie es nicht über sich, die Briefe aus ihrer Tasche zu holen. Es würde eine direkte Verbindung zu einem Lebensabschnitt Caitlin O’Donnells herstellen, von dem sie absolut nichts wusste. Was nur ein weiterer Beweis war, wie sehr die Beziehung zwischen Mutter und Tochter zu wünschen übrig gelassen hatte. Keelin hatte immer das Gefühl gehabt, um etwas Wichtiges betrogen worden zu sein, etwas, das dem exzentrischen Künstlerleben geopfert worden war. Und sie war immer wütend darüber gewesen. Vor dem Tode ihrer Mutter hatten sie sich zwar ausgesöhnt, und dennoch war Keelin mit einer großen inneren Leere zurückgeblieben. Eine Leere, die sie hatte füllen wollen mit Dingen, von denen sie bis dahin nichts gewusst hatte. Weil sie glaubte, dass es dann leichter werden würde fortzufahren …

Die Reise nach Valentia Island war der Versuch, die einzelnen Teilchen zusammenzufügen. Damit sie sich nicht ständig vorkam, als würde sie ziellos durchs Leben treiben und auf etwas warten, das sie nicht benennen konnte.

„Du hast viel mehr von deinem Vater als von mir“, hatte ihre Mutter immer gesagt, wenn der krasse Gegensatz ihrer Persönlichkeiten wieder einmal zum Streit führte.

Keelin war ein aufsässiger Teenager gewesen, und niemand hatte sie von der Überzeugung abbringen können, dass Caitlins Lebensstil ihr eigenes Leben ruinierte. „Woher sollte ich das wissen? Du erzählst mir ja nichts von ihm“, war dann ihre Standardantwort gewesen.

Jetzt griff sie in ihre Tasche und zog das Bündel hervor. Diese Briefe waren die einzige Chance, die Mutter zu verstehen, die ihre Tochter nie wirklich verstanden hatte. Und das Puzzle zu dem Bild zusammenzufügen, das ihre heutige Existenz war.

Keelin versuchte sich einzureden, dass es ihr völlig gleich sei, was Garrett von ihrem Aussehen am heutigen Abend hielt. Trotzdem verbrachte sie ausnehmend lange damit, sich für das bevorstehende Dinner zurechtzumachen. Es würde schon schwierig genug werden, Dermots Erinnerung von ihrer auffallend schönen Mutter zu entsprechen.

Doch der bewundernde Ausdruck, der in Garretts Augen trat, als er sie von ihrem Hotel abholte, gab ihrem Selbstbewusstsein erheblichen Auftrieb.

Schweigend musterte er sie von Kopf bis Fuß, und Keelin konnte nur hoffen, dass es ihr gelingen würde, diese seltsame Anziehungskraft, die sie bei ihm verspürte, unter Kontrolle zu halten.

„Wir müssen unterwegs noch einmal kurz anhalten.“

„Kein Problem.“ Sie setzte ein unbeschwertes Lächeln auf.

„Machen Sie sich schon mal auf tausend Fragen gefasst.“ Ein schiefes Lächeln brachte Garretts Grübchen zum Vorschein. „Terri wird völlig hingerissen von Ihnen sein.“

Er nicht? Natürlich legte sie keinen übermäßigen Wert darauf, aber war er nicht wenigstens neugierig, nachdem er Zeuge des Treffens zwischen ihr und seinem Vater geworden war?

So wie sie jetzt neugierig auf diesen mysteriösen Terri war. „Er kommt auch nicht öfter von der Insel herunter als Sie, nehme ich an?“

„Es ist eine ‚Sie‘. Und nein, oft verlassen wir nicht Valentia Island, ganz gleich, wie sehr sie mich auch tagtäglich damit nervt.“

Aha, Theresa also. Keelin interessierte es brennend, mit was für einer Sorte Frau Garrett tagtäglich zusammen war. Wahrscheinlich eine Inselschönheit, die den ganzen Tag draußen an der frischen Luft verbrachte. Natürlich in „richtigen“ Gummistiefeln. Nun, wenn diese Terri am Stadtleben interessiert war, dann hatte Keelin wenigstens ein Gesprächsthema. Dann würde sie sich auch nicht so seltsam hilflos und allein angesichts der beiden charismatischen Kincaid-Männer fühlen. Vielleicht würde es ihr dann auch leichter fallen, in Garrett den netten Halbbruder zu sehen anstatt eines Prachtexemplars von Mann.

„Sie sollten sie zu einem romantischen Abend in die Stadt ausführen. Das würde ihr bestimmt gefallen.“

Garrett lachte leise. „Ich glaube kaum, dass das Mitschleppen ihres alten Dads zu ihrer Vorstellung von einem Abend in der Stadt gehört.“

Ruckartig wandte Keelin ihm das Gesicht zu. „Sie haben eine Tochter? Wie alt ist sie?“

„Vierzehn.“

Jetzt stand ihr der Mund offen. Der Mann hatte sich offensichtlich gut gehalten! Er musste älter sein, als sie angenommen hatte.

Als sie nichts erwiderte, warf Garrett ihr einen Seitenblick zu und schmunzelte bei ihrem verdatterten Gesichtsausdruck vor sich hin. „Sie sehen überrascht aus.“

Das war sie auch. „Sie wirken nicht alt genug, um eine vierzehnjährige Tochter zu haben.“

„Das ist ja fast ein Kompliment.“

„Wie alt sind Sie überhaupt?“

„Frauen lieben es, einem Mann diese Frage zu stellen. Umgekehrt reagieren sie allerdings äußerst unwillig, die gleiche Frage zu beantworten.“

„In zwei Monaten werde ich siebenundzwanzig.“ Als er sie ansah, lächelte sie ihn zuckersüß an. „Sehen Sie, ich habe kein Problem damit, mein Alter zuzugeben.“

„Weil Sie erst siebenundzwanzig sind.“

„Noch bin ich sechsundzwanzig, bitte!“

Er lachte leise auf. „Ja, ganz eindeutig keine Probleme mit dem Alter.“

Trotzig schob sie ihr Kinn ein wenig vor. „Und das von dem Mann, der sein Alter bisher noch nicht preisgegeben hat. Eine vierzehnjährige Tochter zu haben macht Sie alt.“

„Darauf können Sie Gift nehmen!“ Garrett bog durch ein Tor auf einen schmalen Feldweg ein.

Keelin lächelte traurig. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war, einen Teenager um sich zu haben. Oder generell ein Kind. Obwohl sie sich eine Zeit lang ein Baby gewünscht hatte. Ihr Nachwuchs würde es bei ihr besser haben als sie bei ihrer Mutter. Aber zu einem Kind gehörte nach Keelins Meinung auch immer ein Vater. Bisher war ihr noch kein Mann begegnet, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Denn so sollte es sein. Vielleicht war das altmodisch, aber nachdem sie mit verschiedenen „Onkeln“, als Vaterersatz groß geworden war …

Außerdem musste sie erst ihr eigenes Leben in Ordnung bringen. Ein solches Durcheinander konnte sie keinem anderen Menschen zumuten, das wäre nicht fair. Heutzutage hatte sowieso niemand mehr Zeit, sich um die Probleme des anderen zu kümmern. Wenn sie also eine Beziehung einging, dann als in sich gefestigte, unabhängige Person, die auf der gleichen Stufe stand mit dem potenziellen Vater ihrer Kinder. Schließlich mussten zwei Leute an einer guten Ehe arbeiten.

Der Range Rover fuhr jetzt vor ein zweistöckiges Ziegelsteinhaus, und Garrett drückte auf die Hupe.

„Ich war zwanzig, als sie geboren wurde. Das Rechnen überlasse ich Ihnen.“

Unwillkürlich dachte Keelin an die Zeit zurück, als sie zwanzig gewesen war. Damals war sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um die Verantwortung für ein Baby zu übernehmen.

Die Haustür ging auf, und Keelin musterte neugierig Garretts Tochter. Das Mädchen war die weibliche Ausgabe von Garrett, wer der Vater war, daran konnte kein Zweifel bestehen. Sie war groß für ihr Alter, auf jeden Fall schon größer als Keelin. Nun, das war ja kein Kunststück. Dabei hatte Keelin sich, als Garrett sie abholte, so gut gefühlt. Sie trug höhere Absätze und reichte ihm sogar bis an die Schulter. Allerdings besaß dieser Mann die Gabe, sie sich zierlich und extrem feminin vorkommen zu lassen.

„Du kommt zu spät, Dad.“

„Ich dachte mir, ich hole Keelin zuerst ab, damit ich sie vor dir warnen kann.“

„Haha!“ Terri stieg hinten ein und beugte sich zwischen den Sitzen vor. Warme braune Augen glitten neugierig über Keelin. „Wow, Sie sehen toll aus! Ihr Haar gefällt mir. Ich habe auch schon daran gedacht, meines blond färben zu lassen.“

„Benehmen tust du dich auf jeden Fall schon wie eine Blondine.“ Bei Keelins pikiert hochgezogenen Augenbrauen musste Garrett lachen. „Das war nicht persönlich gemeint.“

„Nun, ich könnte es aber sehr leicht persönlich nehmen.“ Sie bemühte sich redlich, sich das Lächeln zu verkneifen, hatte aber keine Chance gegen Garretts Grinsen. Also grinste sie zurück.

„Ach, hören Sie nicht auf ihn. Ich tu das auch nie“, kam es von hinten von Terri, und Keelin lachte laut auf. „Ich habe gehört, dass Grandpa und Ihre Mutter sich kannten. Sie haben sich Briefe geschrieben und das alles. Himmel, das ist ja so romantisch!“

„Sehen Sie, sie hört doch hin und wieder zu“, brummte Garrett an Keelins Seite. „Vor allem dann, wenn es sie überhaupt nichts angeht.“

„Mann, das ist doch das Interessanteste, was hier seit Langem passiert ist. Seit Sean Learys Kuh letzten Winter über die Klippen gestürzt ist.“

„Das ist nicht wahr!“ Keelin drehte sich abrupt zu Terri um, halb amüsiert, halb ungläubig. „Die Kuh ist wirklich von den Klippen gefallen?“

„Ich sagte Ihnen doch, dass es in meiner Verantwortung liegt, damit Ihnen nicht das Gleiche passiert.“

Keelin warf nur einen kurzen Seitenblick auf Garrett, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf Terri richtete.

„Wir hatten einen tierischen Schneesturm hier, und das dumme Viech hatte keine Ahnung mehr, wo es war. Sean sagte, sie hätte ausgesehen wie eine Fliege auf der Windschutzscheibe.“

„Sean war aber gar nicht dabei. Sein Vater hat das tote Tier gefunden.“

„Na, dann hat sein Dad eben gesagt, dass die Kuh völlig zermatscht war.“

„Kann ich mir gut vorstellen.“ Keelin schmunzelte. „Ich weiß nicht viel über Kühe, aber ich bin sicher, fliegen können sie nicht.“

Jetzt grinste auch Terri. „Das macht es einfacher beim Melken. Dann schwirren sie einem nicht ständig um den Kopf herum. Sagen Sie, woher kommen Sie genau?“

„Noch bevor der Abend vorüber ist, werden Sie einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen müssen“, flüsterte Garrett Keelin zu.

„Du hast ja nicht viel erzählt.“ Der Vorwurf galt ihrem Vater, dann wandte Terri sich wesentlich freundlicher an Keelin: „Ich habe ihn gefragt, wie Sie denn so sind, und er hat keinen Ton gesagt, nicht einmal ein Wort davon, wie toll Sie aussehen. Und dabei ist es ja nicht so, als würde Dad jeden Tag mit schönen Frauen herumhängen.“

„Mach nur weiter so, ruinier ruhig meinen Ruf als Herzensbrecher!“

Keelin spürte, wie die Anspannung Stück für Stück von ihr abfiel, und beschloss, bei dem unbeschwerten Geplänkel mitzumachen. „Sagten Sie nicht, Sie seien einer von den Guten?“

„Oh …“ Er bremste am Ende der Straße ab und bedachte Keelin mit einem Blick, bei dem es ihr im Nacken zu prickeln begann. „Ich bin auf jeden Fall gut.“

Keelin riss entsetzt die Augen auf. Die Doppeldeutigkeit war nicht zu überhören gewesen. Welcher verheiratete Mann flirtete so hemmungslos direkt unter den Augen seiner Teenager-Tochter? Sie drehte sich zu Terri um, doch glücklicherweise schaute das Mädchen völlig ungerührt aus dem Fenster. Trotzdem, das war schlechter Stil. Und dabei hatte Keelin einen so guten Eindruck von ihm gehabt. Sie war regelrecht enttäuscht. Und dann tat er jetzt auch noch völlig unschuldig.

Terri hatte scheinbar genug von der Landschaft und wandte sich wieder an Keelin. „Also, woher kommen Sie?“

„Ich wohne in Dublin.“

„Cool! Wenn ich mit der Schule fertig bin, gehe ich auch nach Dublin.“

„Vielleicht“, kam es von ihrem Vater.

Das Mädchen starrte wütend auf seinen Hinterkopf. „Ich gehe nach Dublin. Ich wollte schon immer in der Stadt leben. Hier ist es endlos öde.“

In gewisser Hinsicht konnte Keelin diese Einstellung bei einem Teenager, der sein ganzes Leben auf der Insel verbracht hatte, sogar verstehen. Für sie jedoch wäre ein stabiles Familienleben in einer Gemeinde, die so eng miteinander verbunden war wie die hier auf Valentia, das Paradies auf Erden gewesen.

„Aber es wird schön sein zu wissen, dass du immer ein Zuhause hast, zu dem du zurückkommen kannst. Während meiner ganzen Kindheit bin ich von einem Ort zum nächsten geschleift worden und hätte mir gewünscht, einen Platz zu haben, den ich Zuhause nennen kann.“

Grundgütiger, hatte sie das gerade wirklich laut ausgesprochen? Sie spürte Garretts Blick mehr, als dass sie ihn sah. Und er war nicht der Einzige, der die Trauer herausgehört hatte.

„Hatten Sie denn kein Zuhause?“

Keelin beschloss, sich lieber auf Terri zu konzentrieren, das war ungefährlicher. „Doch natürlich, viele sogar. Überall dort, wo die Arbeit meine Mutter hinführte und wo sie glaubte, Inspiration zu finden. Sie hat immer darauf geachtet, ganz gleich, wo wir hingingen, dass es den Anschein eines Zuhauses hatte.“

„Wo waren Sie überall?“

„London, New York, Paris, Rom … eigentlich in jeder größeren Stadt auf der Welt.“

Terri riss die Augen auf. „Wow! Das muss unglaublich cool gewesen sein.“

Cool war sicherlich ein Wort dafür. Keelin fielen allerdings ganz andere Beschreibungen ein. „Na ja. Langweilig war es auf jeden Fall nicht.“

„Oooh, warum fahren wir nie in solche Städte, Dad?“, schmollte Terri.

„Weil ich arbeiten muss und du in die Schule. Außerdem warst du in London.“

„Das ist aber nicht das Gleiche, wie dort zu leben.“

Als Keelin auf Garretts Profil schaute, erhaschte sie gerade noch, wie seine Wangenmuskeln arbeiteten. Vermutlich war Terris Reiselust des Öfteren Diskussionsthema zwischen Vater und Tochter. Aber Garrett musste doch verstehen, dass einer Vierzehnjährigen die Welt wie ein riesiges Abenteuer erschien, das es zu erleben galt? Dennoch, offensichtlich war sie hier in ein Fettnäpfchen getreten, und sie musste versuchen, es wieder gutzumachen. Außerdem fiel ihr auf, dass ihr bisher noch eine wesentliche Information fehlte.

„Wart ihr auf Klassenfahrt in London, oder bist du mit deiner Mum und deinem Dad hingefahren?“

Die Stimmung im Wagen kippte augenblicklich um. Doch bevor Keelin noch begreifen konnte, was sie falsch gemacht hatte, hielt Garrett vor Inishmore House und stellte den Motor ab.

Er starrte grimmig auf das Lenkrad, und Keelin runzelte verwirrt die Stirn. Erst als sie sich zu Terri umdrehte, sah sie den traurigen Ausdruck in den jungen Augen.

„Meine Mum ist tot“, sagte das Mädchen mit einem tiefen Seufzer. „Sie starb, als ich noch klein war.“

Keelin schnappte unwillkürlich nach Luft. Doch bevor sie etwas sagen konnte, löste Terri den Sicherheitsgurt und öffnete die Wagentür. „Dad redet nicht gern über sie.“

„Terri …“

Als Antwort auf den warnenden Ton folgte nur ein Schulterzucken. „Sie können ihn ja fragen, aber er erzählt nie viel von ihr.“ Damit stieg das Mädchen aus und schlug die Tür zu.

Keelin blieb verlegen mit Garrett im Wagen zurück. „Es tut mir leid, ich wusste nicht …“

„Woher auch? Uns steht es ja nicht auf der Stirn geschrieben.“ Er zuckte mit einer Achsel, genau wie seine Tochter. „Es ist lange her.“

Sie wartete, bis er ihr das Gesicht zuwandte. „Sie haben sie also allein aufgezogen?“

„Nein, mit Dermots Hilfe.“

„Das kann nicht einfach gewesen sein.“

„Auch nicht schlimmer, als quer durch die Weltgeschichte geschleift zu werden.“

Keelin starrte auf ihre im Schoß verschränkten Finger. „Wir alle haben unser Kreuz zu tragen.“

„Ja.“ Das Wort schien aus den Tiefen seiner Seele zu kommen und in der Enge des Wageninneren nachzuhallen. „Ja, das tun wir.“

Keelin sah auf, ihr Blick wanderte langsam an seinem Hemd empor, hinauf zu seinem Hals, an dem der erste Knopf offen stand, weiter zu den sinnlich geschwungenen Lippen, bis direkt zu seinen schokoladenbraunen Augen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen.

Es traf sie mit solcher Wucht, dass sie fast die Kontrolle über sich verloren hätte. Nie zuvor war sie sich eines anderen Menschen so bewusst gewesen, hatte noch nie das Geräusch des Atmens so klar wahrgenommen, war noch nie in die vibrierende Aura eines anderen eingehüllt gewesen, hatte sich noch nie so lebendig gefühlt.

Oh nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Doch nicht ausgerechnet er!

Sie straffte die Schultern, streckte den Rücken durch und fasste nach dem Türgriff. Im gleichen Augenblick wandte auch Garrett sich zur Tür.

„Dermot wird sich wundern, wo wir bleiben“, sagte er, und seine Stimme klang plötzlich auffallend kühl.

4. KAPITEL

„Warum nennen Sie Ihren Vater eigentlich ständig beim Vornamen? Ist das hier auf der Insel üblich?“

Garrett versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren, sein Griff um das Lenkrad wurde fester. Als sie aus dem Haus gekommen waren, hatte dichter Nebel über dem Land gelegen. Doch seine innere Anspannung rührte nicht von den schlechten Sichtverhältnissen her. Nein, es lag einzig und allein an Keelins Gegenwart.

Ganz gleich, wie viel Mühe er sich auch gab, er war sich ihrer ständig bewusst. Selbst als Keelin nach dem Dinner im Wohnzimmer am entgegengesetzten Ende des Raumes gesessen hatte, war er wie hypnotisiert von ihrem hellen Lachen gewesen, ihren schimmernden Augen, ihrem Duft. Und jetzt hing dieser Duft auch noch in seinem Wagen.

Deshalb wurde er auch immer ärgerlicher. Sie hatte kein Recht, so verdammt präsent zu sein.

„Tue ich das?“, stellte er mit gerunzelter Stirn die Gegenfrage. „Nun, so heißt er schließlich, oder?“

„Schon. Sie hätten nichts dagegen, wenn Terri Sie mit ‚Garrett‘ ansprechen würde?“

„Doch. Ich bin ihr Dad, und an sieben Tagen in der Woche arbeite ich hart für diesen Titel. Vor allem, seit sie in die Pubertät gekommen ist.“

„Den Titel haben Sie sich längst verdient.“ Keelins Stimme wurde weicher, war wie eine Liebkosung.

Überhaupt … sie hatte die sinnlichste Stimme, die er je gehört hatte. Eine Schlafzimmerstimme. Eine Stimme, die ausreichte, um zu verführen, auch ohne dieses umwerfende Aussehen. Vorhin im Foyer des Hotels hätte sie ihn fast umgehauen, als sie die Treppe heruntergekommen war. Eine ätherische Schönheit, umgeben von einer Aura von Unschuld, die ihre sicherlich sehr weltliche Erziehung Lügen strafte.

„Meinen Sie nicht, Dermot hat es ebenfalls verdient?“

Es wäre ein Leichtes für Garrett gewesen, die Sache richtigzustellen. Und ob Dermot es verdiente! Das war ja auch der Grund, warum Garrett seinen Namen angenommen hatte. Doch weil dieses Unbehagen in Keelins Anwesenheit den ganzen Abend über stetig in ihm gewachsen war, sträubte er sich, sie aufzuklären. „Er hat sich noch nie beschwert.“

Die Fahrt in dem grauen Dunst verlangte wirklich seine ganze Aufmerksamkeit, er konnte es sich nicht leisten, die Augen von der Straße zu nehmen und Keelin anzusehen. Aber er spürte die Veränderung, hörte das Rascheln ihres Kleides, als sie sich umsetzte. Und als sie zu sprechen anhob, sagte ihm ihr Tonfall mehr als jedes Wort.

„Wollen Sie mich nicht wissen lassen, was ich verkehrt gemacht habe? Oder soll ich einfach Fragen stellen und Sie antworten nur mit Ja oder Nein? Vielleicht treffe ich ja irgendwann zufällig die richtige.“

Ihr Ton war kühl, aber unterschwellig hörte Garrett auch das Verletztsein heraus. Prompt fühlte er sich schuldig.

„Liegt es daran, dass ich Terris Mutter erwähnt habe?“

„Nein.“

„Woran dann?“

Er spreizte die Finger am Steuer, griff wieder zu. „Wieso glauben Sie, etwas falsch gemacht zu haben?“

„Vielleicht, weil Sie mich fast den ganzen Abend über mit einem grimmigen Stirnrunzeln angesehen haben? Sie sollten wirklich daran arbeiten, sich besser zu beherrschen und Ihre Gefühle nicht für jedermann offensichtlich werden zu lassen.“

„Nicht jeder auf dieser Welt fühlt sich genötigt, seine Gefühle zu verbergen.“ Er hörte sie nach Luft schnappen und wusste, er hatte einen wunden Punkt getroffen. Nun warf er ihr doch einen kurzen Seitenblick zu. Sie starrte regungslos geradeaus, die Lippen fest zusammengepresst. „Denn das ist es doch, was Sie tun, nicht wahr? Seit ich Ihnen heute Morgen begegnet bin.“

Keelin schwieg beharrlich.

„Ich bin übrigens nicht der Einzige, der an seiner Mimik arbeiten muss.“

Noch immer sagte sie nichts. Dann: „Und Sie sind sicher, dass es nicht wegen Ihrer Frau ist? Denn wenn doch, dann möchte ich mich erneut entschuldigen. Ich ahnte ja nicht …“

„Ja, ich bin ganz sicher. Und sie war nicht meine Frau.“

„Sie waren gar nicht verheiratet?“

„Sie wollte nicht. Eine Heirat hätte bedeutet, sesshaft zu werden, ein beschauliches Leben zu führen, und dazu war sie nicht bereit.“ Warum hatte er das Keelin jetzt gesagt? Es ging sie doch gar nichts an. Damit hatte er eine Tür aufgestoßen für weitere Fragen zu diesem Thema, und das war nun wirklich das Letzte, was er wollte. „Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, es ist wegen Terri. Ich bemühe mich, ihr ein sicheres, stabiles Heim zu geben, da brauche ich keine Fremde, die meine Tochter noch in dem abstrusen Wunsch bestärkt, in der Stadt nach dem großen Abenteuer zu suchen.“

Keelin schwieg eine Weile. „Sie glauben, ein Abend mit mir bringt sie dazu wegzulaufen?“, fragte sie schließlich.

„Na, geholfen hat der Abend auf jeden Fall nicht. Herrgott, sie ist vierzehn! Und verdammt empfänglich für Schilderungen über die aufregende Stadt, in der angeblich alles besser ist. Denn genau das haben Sie getan. Es ist auch so schon schwer genug, die jungen Leute hier auf der Insel zu halten.“

„Es war nie meine Absicht …“

„Mag sein. Dennoch ist es Fakt.“

Wieder Stille. Dann räusperte Keelin sich umständlich. „Ich verstehe.“

Und Garretts Groll wuchs. Weil sie jetzt zu verbergen versuchte, dass seine Worte sie verletzt hatten. „Ich erwarte nicht, dass Sie meine Gründe verstehen. Ich bitte Sie lediglich, das Thema ‚fantastische Stadt‘ in Terris Gegenwart zu vermeiden.“

„Kein Problem.“

Er riskierte einen weiteren Seitenblick auf sie. Und hätte den Wagen fast in die niedrige Steinmauer gesteuert. In Gedanken verfluchte er den Nebel, der ihn zwang, in diesem Schneckentempo zu fahren. So musste er nur unnötig lang mit Keelin auf engstem Raum zusammensitzen.

Irgendetwas drängte ihn, sich zu rechtfertigen. „Für einen Teenager, der Spaß haben und Partys feiern will, ist es schwierig, auf einer kleinen Insel wie Valentia zu leben.“

„Ich hab’s kapiert.“

„Seit Monaten debattieren wir darüber, wie oft und wie lange sie mit ihren Freunden aufs Festland fahren darf.“

„Sie haben Ihren Standpunkt klargemacht, Garrett. Sie können das Thema jetzt fallen lassen.“

Sie hatte recht, er übertrieb. Dabei gab es nicht den geringsten Grund, Keelin O’Donnell zu erklären, wie er seine Tochter erzog. Er brauchte weder ihre Zustimmung noch ihr Verständnis, auch wenn zwischen Terri und ihr sofort ein Band entstanden war, kaum dass Terri den Tod ihrer Mutter erwähnte. Keelin schien auf Terris Wellenlänge zu liegen, ohne sich überhaupt darum bemüht zu haben. Und er hatte das ganze letzte Jahr über zu verarbeiten versucht, dass sein kleines Mädchen zu den ersten Schritten ansetzte, die es von ihm wegführen würden. Was zu erheblichen Spannungen zwischen Vater und Tochter geführt hatte. Keelin dagegen hatte Terri schlicht von vornherein als Heranwachsende akzeptiert, als junge Erwachsene. Für Garrett war Terri noch immer sein kleines Mädchen.

Nahm man hinzu, dass Keelin in gewisser Hinsicht an die junge Frau erinnerte, die ihn und seine Tochter verlassen hatte, war der Grund für seinen Ärger schon gegeben. Ob nun vernünftig oder nicht, stand hier nicht zur Debatte …

Keelin schwieg. Und Garrett war froh darum.

Allerdings nicht für lange. „Haben Sie eigentlich schon einmal versucht, es von Terris Seite her zu betrachten? Haben Sie sich um einen Kompromiss bemüht? Sonst hasst sie Sie irgendwann, weil Sie ihr das verweigern, was für sie im Moment am wichtigsten ist.“

Garrett hob skeptisch eine Augenbraue. „Über wessen Leben reden wir hier genau?“

„Halten Sie an.“

„Was?“ Überrascht sah er zu ihr. Was zur Folge hatte, dass er wild am Lenkrad drehen musste, um den Wagen wieder auf die Straße zurückzulenken.

„Halten Sie diesen verdammten Wagen an!“

„Wieso? Bis ins Dorf sind es noch gute anderthalb Meilen. Falls ich das richtig einschätze.“

„Wenn Sie nicht sofort anhalten, steige ich während der Fahrt aus.“

„Und wohin genau wollen Sie? Bei diesem Nebel kommen Sie keine drei Meter weit.“ Das Innenlicht flammte auf, als Keelin die Tür öffnete. Garrett stieß einen Fluch aus und trat auf die Bremse. „Wagen Sie es nicht!“

Doch da war sie schon hinausgesprungen. „Keelin!“ Fluchend riss Garrett die Handbremse an und machte sich aus dem Sicherheitsgurt los, um ihr zu folgen. Solange er sie noch sehen konnte. „Steigen Sie sofort wieder ein! Sie benehmen sich albern!“

„Na und?“

Garretts Stimme wurde lauter. „Wenn Sie nicht in zwei Sekunden wieder im Wagen sitzen, packe ich Sie ins Auto.“

Wütend schwang sie zu ihm herum. „Natürlich, ein Hüne wie Sie kann sich immer auf rohe Gewalt berufen, wenn nichts anderes mehr funktioniert!“

Das war die lächerlichste Herausforderung, die ihm je jemand hingeworfen hatte. Es begann verdächtig um Garretts Mundwinkel zu zucken.

„Na kommen Sie, Sie Rüpel, versuchen Sie es nur!“

Das Zucken breitete sich zu einem echten Grinsen aus. Es wäre ein Kinderspiel, sie hochzuheben und sich über die Schulter zu werfen, bei ihrer grazilen Figur. Doch was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie durch Schneid wieder wett. Höchstwahrscheinlich würde sie sich wie eine Wildkatze wehren, sollte er es versuchen, sie in den Wagen zu bugsieren. Also musste er sich etwas anderes einfallen lassen. „Steigen Sie wieder ein. Bitte.“

„Nein.“

Er konnte ihr trotziges Schmollen regelrecht hören. „Sie wollen also ernsthaft in dieser Suppe und mitten in der Nacht über eine Insel wandern, die Sie kaum kennen?“

„Immerhin weiß ich – seit ich mir heute Morgen die Beine vertreten habe –, dass diese Straße nur in eine Richtung führt.“

„Und weiter zum Hafen.“

„Wenn ich nasse Füße bekomme, bleibe ich stehen.“

„Ich wette, Sie wünschen, Sie würden jetzt Ihre lächerlichen Gummistiefel tragen.“ Auf ihr böses Knurren hin konnte er sich nicht mehr beherrschen. Bevor er noch richtig nachgedacht hatte, war sein Lachen zu hören. Immerhin brachte das Keelin wieder näher heran, sodass er die Umrisse ihrer Gestalt im Nebel auf sich zukommen sah, und dann war ihr Gesicht auch schon direkt von ihm.

„Sie machen sich lustig über mich?“

„Nein … nein.“ Er nahm sich zusammen und schüttelte den Kopf.

„Lügner!“

„Es ist die Situation, die ich lustig finde, nicht Sie.“

„Eine Situation, für die Sie verantwortlich sind.“

„Habe ich Sie etwa gebeten auszusteigen?!“ Das Lachen erstarb so rasant, wie der Ärger zurückkam. „Sie haben mir eine Frage gestellt, und ich habe Ihnen eine Antwort gegeben.“ Was so nicht ganz der Wahrheit entsprach. Allerdings, gäbe er die Wahrheit zu, würde das unweigerlich zu einer viel heftigeren Debatte führen, auf die er, ehrlich gesagt, lieber verzichtete.

„Oh Sie …!“ Keelin zeigte mit einem Arm an ihm vorbei. „Die Klippen liegen in die Richtung, wenn mich nicht alles täuscht. Warum springen Sie nicht einfach ins Meer?“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und wollte losmarschieren, doch sie kam keine zwei Schritte weit. Eine Hand fasste sie beim Arm, wirbelte sie herum, und dann fand sie sich an eine harte Brust gezogen und in einer festen Umarmung wieder.

Sie wehrte sich wie eine Wildkatze.

Als das nichts half, hob sie den Kopf und schaute Garrett in die Augen. Sie rang nach Luft und atmete mit offenem Mund, spürte seinen Herzschlag hart an ihren Brüsten.

Garrett schluckte. Nie, niemals zuvor hatte eine Frau eine solche Wirkung auf seine Libido gehabt. Im milchigen Licht der Scheinwerfer konnte er sehen, wie sie leicht den Kopf zur Seite neigte und ihn anlächelte. Er hielt es für ein Zeichen ihrer Kapitulation. Also lockerte er seine Umarmung ein wenig und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er sie jetzt küsste. Er hatte nie die Gelegenheit, es herauszufinden.

Denn sie trat ihm mit ihrem Pfennigabsatz mit voller Wucht auf den Fuß.

Abrupt ließ er sie los und fluchte unflätig.

„Wenn Sie diese Rüpeltaktik auch bei Ihrer Tochter anwenden, ist es kein Wunder, dass das Mädchen unbedingt von der Insel weg will!“

Vorsichtig belastete Garrett den schmerzenden Fuß und richtete sich vor Keelin zu seiner vollen Größe auf. Ihrem herausfordernden Blick begegnete er mit eiserner Entschlossenheit. „Steigen – Sie – in – den – Wagen.“

Keelin verschränkte die Arme vor der Brust. „Erst entschuldigen Sie sich.“

„Wofür? Weil ich ehrlich war?“

„Oh nein, Garrett.“ Sie lachte ihm ins Gesicht. „Wir beide wissen, dass Sie nicht ehrlich waren.“

Innerlich krümmte Garrett sich. War er so durchschaubar?

„Die Wahrheit ist nämlich, dass Sie mich nicht leiden können, so viel ist mir klar. Unklar ist mir nur, warum.“ Sie holte tief Luft. „Aber im Grunde ist das gleich. Ich kam schließlich nicht hierher, damit Sie mich sympathisch finden. Ich wusste ja nicht einmal von Ihnen.“

„Warum sind Sie dann gekommen? Denn das ist ja wohl das größte Geheimnis, oder? Um ein Paket Briefe abzugeben bestimmt nicht. Die hätten Sie auch mit der Post schicken können. Also, warum?“ Vielleicht, um ihn innerhalb eines einzigen Tages in den Wahnsinn zu treiben?

„Ich kam her, um den Mann zu treffen, der diese Briefe geschrieben hat“, stieß Keelin in hilfloser Wut hervor. „Ich wollte begreifen, warum meine Mutter einen Mann verlassen hat, der sie offensichtlich mehr liebte als jeder andere Mann vor oder nach ihm. Und wenn Sie es unbedingt wissen wollen … ich wollte herausfinden, ob er mein Vater ist!“

Garrett erstarrte, als der Sinn ihrer Worte ihm mit einem Schlag klar wurde. Keelin zog sich kopfschüttelnd von ihm zurück, so als bereue sie schon, die Worte ausgesprochen zu haben.

„Dermot ist nicht Ihr Vater, Keelin“, sagte er schließlich leise. „Das kann ich Ihnen versichern.“

„Woher wollen Sie das wissen?“ Ihre Stimme bebte. „Sie können es genauso wenig sagen wie ich.“

„Doch, das kann ich.“ Er schluckte. „Ich weiß es, weil ich Dermot kenne. Er ist kein Mann, der ein Kind in die Welt setzen und es dann allein lassen würde. Und ich weiß es, weil Dermot keine eigenen Kinder zeugen kann.“

Keelin schnappte nach Luft. „Aber Sie …“

„Er heiratete meine Mutter, als ich elf war. Ich nahm seinen Namen aus Respekt für ihn an, als ich volljährig wurde. Er war mir ein guter Vater, der beste, den man sich wünschen kann. Aber er ist genauso wenig mein leiblicher Vater wie er Ihrer ist.“

Lange herrschte gespanntes Schweigen, bevor Keelin nachdenklich flüsterte: „Deshalb sprechen Sie ihn also ständig mit seinem Vornamen an.“

„Richtig.“

Er hörte das unterdrückte Stöhnen und trat auf sie zu, wollte sie tröstend in seine Arme nehmen wie am Morgen, doch sie wich ihm aus.

„Bitte bringen Sie mich zum Hotel zurück. Ich werde morgen früh abreisen. Ich habe nichts mehr auf dieser Insel verloren. Nicht, wenn ich mich hier so schrecklich zum Narren gemacht habe.“

5. KAPITEL

„Sie wollen das Zimmer also nicht bis Ende der Woche behalten?“

„Nein, ich möchte die Rechnung begleichen.“

„Und Sie werden auch nicht bis zum Ende der Woche zurückkommen?“

„Nein, ich komme überhaupt nicht mehr zurück.“ Keelin musste sich zusammennehmen, um höflich zu bleiben. Deshalb nannte man es ja auch wohl „Rechnung begleichen“, oder?

Doch die Hotelwirtin gab nicht so schnell auf. „Sie können auch ein größeres Zimmer bekommen. Heute Morgen ist jemand abgereist.“

Am liebsten hätte Keelin laut geschrien. Nach dieser Blamage wollte sie nichts anderes als weg von hier, und zwar so weit wie nur irgend möglich. Doch sie schrie nicht, sondern schüttelte nur den Kopf. „Ich brauche kein größeres Zimmer. Ich würde jetzt gern die Rechnung bezahlen und dann abreisen.“

„Aha.“ Die alte Dame beäugte respektvoll die Kreditkarte, die vor ihr auf dem Tresen lag. „Sie zahlen mit Karte. Da muss ich Patrick holen. Ich kenne mich mit dieser neuen Maschine nicht aus, die er angeschafft hat. Warten Sie, ich bin gleich zurück.“

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen. Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges...
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