Romana Exklusiv Band 309

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  • Erscheinungstag 03.05.2019
  • Bandnummer 0309
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744922
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nikki Logan, Marian Mitchell, Margaret Barker

ROMANA EXKLUSIV BAND 309

1. KAPITEL

Hochachtungsvoll … Kate.

Grant schnaubte verächtlich. Wann hatte Kate Dickson im Umgang mit seinem Vater je Hochachtung bewiesen? Sie und ihre Bande von Ökofritzen waren ganz allein für die Verstümmelung von Leo McMurtries Farm verantwortlich. Und für seinen Tod, der bald darauf gefolgt war.

Die Leute in der Stadt mochten ja glauben, dass Leo ein schwaches Herz gehabt hatte, aber drei Menschen wussten es besser: Leos bester Freund, der Bürgermeister der Stadt, der Arzt und Grant, der einzige Sohn, der seinen Vater in der Garage auf dem Fahrersitz seines Autos gefunden hatte – bei laufendem Motor. Leo war an den Abgasen erstickt.

Kate Dicksons Brief lag offen auf Leos Küchentresen. Grant hatte das Schreiben, wie auch alles andere, unberührt gelassen, bis der Arzt gekommen und die Beerdigung vorbei war.

Jetzt ließ er den Blick darüber schweifen.

Lassen Sie uns über die Pufferzone verhandeln … die Robben schützen … die Farmtätigkeit einschränken … Bedaure …

Zuerst Hochachtung, jetzt Bedauern.

Wer’s glaubt …

Zeugte es etwa von Hochachtung, wenn man einem alten Mann so lange zusetzte, bis er einen auf sein Land ließ, und dann dafür sorgte, dass die fast dreißig Kilometer Küstenstrich auf seiner Farm mit strengen Naturschutzgesetzen belegt wurden? Oder wenn man einen Gefallen mit Verrat vergalt? Kate Dickson nannte sich Wissenschaftlerin und bezeichnete ihre Arbeit als Forschung, aber sie war nichts weiter als ein sentimentales Sensibelchen, das sich unbedingt einen Namen machen wollte.

Auf Kosten seines Vaters.

Grant entging die Ironie nicht, dass er sich erst nach dem Tod seines Vaters auf dessen Seite geschlagen hatte. Er zerknüllte den Brief mit der zierlichen Handschrift – wer schrieb denn heutzutage noch Briefe mit der Hand? – und verdrängte Kate Dickson aus seinen Gedanken.

Ein schrilles Klingeln ließ ihn zusammenzucken, und er griff ohne zu überlegen nach dem Telefon. „McMurtrie.“

Es herrschte kurz Stille. Der Anrufer schien zu zögern. „Mr. McMurtrie?“

Grant begriff die Verwirrung sofort. „McMurtrie junior.“

„Oh. Entschuldigen Sie. Ist Ihr Vater da? Könnte ich bitte mit ihm sprechen?“

Ihm war, als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Der Mann, der ihn aufgezogen hatte, war nie wirklich für ihn da gewesen und würde es auch jetzt nie mehr sein. „Nein.“

„Kommt er heute noch zurück? Ich hatte gehofft, ihn …“

Es musste der Stimme nach eine junge Frau sein, die etwas atemlos auf ihn einredete. Und ihm fiel nur eine Frau ein, die gestern nicht auf Leo McMurtries Beerdigung gewesen war. Nur ihr konnte sein Tod entgangen sein. Grants Blick fiel auf den Brief. „Miss Dickson, nehme ich an?“

„Ja.“

„Miss Dickson, mein Vater ist letzte Woche gestorben.“

Ihr schockiertes Aufkeuchen klang echt. „Das wusste ich nicht. Es tut mir so leid“, erwiderte sie mit erstickter Stimme.

Ja, das glaube ich gern. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor deinem Ziel, musste er sterben. Da er genau das sagen würde, wenn er den Mund aufmachte, antwortete er lieber gar nicht.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte sie leise. „Kann ich irgendetwas tun?“

Diese auf dem Land noch allgemein übliche nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft brachte ihn einen Moment aus der Fassung. Die Frau kannte ihn überhaupt nicht, und doch klang ihre Betroffenheit aufrichtig. Das ärgerte ihn fast noch mehr als alles andere. „Ja. Sie können Ihre Leute von meinem Grundstück fernhalten. Sie und Ihre Truppe sind hier nicht länger willkommen.“

„Mr. McMurtrie …“

„Sie mögen ja meinen Vater beschwatzt haben, Sie auf das Land zu lassen, aber diese Vereinbarung ist jetzt null und nichtig. Es wird keine weiteren Verhandlungen darüber geben.“

„Aber wir hatten ein Abkommen.“

„Wenn dieses Abkommen nicht schriftlich vorliegt und das fett gedruckte Wort ‚unbeschränkt‘ beinhaltet, haben Sie nichts.“

„Mr. McMurtrie.“ Ihre Stimme wurde hart.

Aha, jetzt zeigen wir also doch unsere Krallen.

„Bei dem Abkommen mit Ihrem Vater ging es nicht nur um ihn. Auch die Gemeinde unterstützt es und stellt außerdem die Geldmittel bereit. Sie können nicht einfach aussteigen, so tragisch die Umstände auch sein mögen.“

„Nein? Lassen Sie sich überraschen.“

Das Niederknallen des Hörers auf das altmodische Telefon war das Befriedigendste, das er in der letzten Woche getan hatte. Außerdem tat es gut, jemandem die Schuld zu geben. Dann brauchte er nicht den Mann zu beschuldigen, den er verloren und dem er sich schon im Alter von neunzehn Jahren völlig entfremdet hatte.

Nichts würde ihm seinen Vater zurückbringen, den er verlassen hatte, noch bevor er volljährig gewesen war. Aber eins konnte er für ihn tun – die Farm für ihn retten.

Er konnte sie nicht leiten. Dazu war er heute noch viel weniger in der Lage als damals, da er mit sechzehn Jahren alles hinter sich gelassen hatte. Aber er konnte sie einigermaßen in Schuss halten und an einen Interessenten verkaufen. Was wahrscheinlich nicht im Sinn des Verstorbenen war, doch Grant hatte sich nie nach Leos Vorstellungen gerichtet und würde auch jetzt nicht damit anfangen.

Obwohl er hier aufgewachsen war, hatte er nie Farmer werden wollen. Leo McMurtries Tod änderte daran nicht das Geringste.

Öfter, als ihr lieb war, hatte Kate Dickson auf dieser Veranda gestanden und sich für eine Diskussion gewappnet. Ganze zwölf Monate hartnäckigen Überredens – ja, fast Bettelns – waren nötig gewesen, bis Leo McMurtrie Kates Team auf sein Land gelassen und ihnen erlaubt hatte, eine drei Jahre dauernde Forschung auf seinem Grund und Boden durchzuführen. Und ausgerechnet jetzt, im letzten und entscheidenden Jahr, war sie wieder da, wo sie angefangen hatte.

Und zu allem Übel war ihr Gegner auch noch Anwalt.

Ihre Suche im Internet hatte sie über Leo McMurtries einzigen Sohn Grant aufgeklärt. Er war Fachanwalt für Vertragsrecht und kam aus der City.

Wenn sie Glück hatte, würde der persönliche Kontakt ihr helfen.

Sie klopfte an die frisch lackierte Holztür und strich unbewusst über ihr bestes Geschäftsoutfit. Kostüme mit engen Röcken und taillierten Blazern waren sonst gar nicht ihr Fall, aber für Anlässe wie diesen bewahrte sie gleich zwei davon in ihrem Schrank auf.

Es tat sich nichts. Kate blickte sich nervös um. Hätte sie besser vorher anrufen sollen, oder hätte er ihren Anruf doch nur ignoriert? Jemand war zu Hause, denn sie hörte Musik, die aus dem hinteren Teil des Farmhauses zu kommen schien. Also klopfte sie wieder und wartete.

„Komm schon, McMurtrie …“

Als sich noch immer niemand blicken ließ, probierte Kate die Klinke. Die Tür ließ sich tatsächlich öffnen. Die Lautstärke der Musik nahm zu.

„Hallo?“, rief sie und hoffte, man konnte sie über die kreischende Heavy-Metal-Musik hinweg hören.

Nichts.

Leise fluchend ging sie den Flur hinunter und auf den ohrenbetäubenden Lärm zu. Der Geruch von Farbe hing in der Luft, und die Möbel in den frisch gestrichenen Räumen, an denen sie vorbeikam, waren mit ausgeblichenen alten Laken mit Blümchenmuster bedeckt. Kate stutzte. Die Vorstellung, dass Leo McMurtrie in diesem altmodischen, romantisch geblümten Bettzeug geschlafen hatte, passte einfach nicht zu dem harten Mann, den sie gekannt hatte.

Andererseits hatte sie ihn ja kaum gekannt. Leo war kein Mensch gewesen, der einen an sich heranließ.

„Hallo?“ Lieber Himmel, wo steckt er denn bloß? Sie ging weiter.

„Was zum Teufel …“

Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Mann vor ihr, und Kate lief gegen ihn wie gegen eine feste, harte Wand. Der Aufprall war heftig genug, dass sie nach hinten taumelte. Instinktiv griff sie nach Halt und erwischte einen Farbeimer, der auf einem Tisch neben ihr stand. Der Eimer kippte, der Mann wollte ihn packen, und es gab ein kurzes Handgemenge, bevor sie es schafften, den Eimer wieder aufzustellen und zu verhindern, dass sich noch mehr Farbe auf die Holzdielen ergoss.

Das Nächste, was Kate bemerkte, nachdem ihr aufgefallen war, was für unglaublich gepflegte, kräftige Hände der Mann hatte, waren seine meergrünen Augen, mit denen er sie nicht gerade freundlich anstarrte.

Hastig versuchte sie, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Eine Farblache bildete sich zu ihren Füßen, Farbe tropfte von ihrer Kleidung auf den Boden.

„Oh …“

„Rühren Sie sich nicht vom Fleck!“, fuhr Leo McMurtries Sohn sie an und stellte den Eimer vorsichtig außer Reichweite. Es brauchte eine Weile, bis er den größten Teil der Lache zu ihren Füßen mithilfe einiger Lappen beseitigt hatte. Denn so schnell er auch wischte, von Kates Blazer tropfte die Farbe noch schneller.

„Ziehen Sie die Jacke aus.“

Kate gefiel sein herrischer Ton gar nicht, aber sie musste einsehen, dass ihr Blazer, der das meiste abbekommen hatte, das Problem war. Also zog sie ihn aus, knüllte ihn ohne weitere Umstände zusammen und warf ihn auf die voll gesogenen Wischtücher, die in der Ecke lagen.

Sie sah, dass Mr. McMurtrie den Blick auf ihren Rock heftete.

„Der bleibt an“, sagte sie fest.

Das Lächeln um seinen Mund verschwand, kaum dass es erschienen war. Er verbarg es hinter einer finsteren Miene und ging plötzlich vor Kate in die Hocke. Ohne ein Wort an sie fing er an, die Farbe mit bloßen Händen von ihrem Rock zu wischen. Schockiert spürte Kate die Berührung auf ihren Schenkeln und an der Hinterseite ihrer Beine, als er sie umschlang, um ihr Halt zu geben.

Wie erstarrt blieb sie stehen, stumm und beschämt, und kam sich wie das kleine Mädchen vor, das sie geglaubt hatte, ein für alle Mal hinter sich gelassen zu haben – das Mädchen, das gegen niemanden aufbegehrte. Als McMurtrie junior fertig war, richtete er sich auf und sah sie stumm an. Die faszinierenden Augen beherrschten ein ovales, ebenmäßiges Gesicht. Kurzes strohblondes Haar und ein unrasiertes Kinn rundeten das Bild ab. Sein Hemd, das die Farbe seiner Augen großartig zur Geltung brachte, wie Kate nebenbei auffiel, stand halb offen und enthüllte einen Goldring an einem Lederband, den er um den Hals trug, und noch mehr strohblondes Haar auf der breiten sonnengebräunten Brust.

Er presste die Lippen zusammen, als er sah, in welche Richtung Kates Blick gewandert war.

Verlegen beeilte sie sich, die Dinge auf eine professionelle Grundlage zurückzubringen. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und rückte ihre Brille zurecht. So gut es eine über und über mit Farbe bekleckerte Frau nur konnte, straffte sie sich und streckte McMurtrie die Hand entgegen.

Zu spät bemerkte sie die Farbe an ihren Fingern. Na prima, wahrscheinlich zierte Farbe jetzt auch ihr Haar und ihre Brille. Resigniert ließ Kate die Hand sinken.

„Mr. McMurtrie …“

„Noch nie was von Klopfen gehört?“, unterbrach er sie unbeeindruckt.

Sie sah ihn nachdenklich an. Vielleicht trauerte er gar nicht. Vielleicht war er einfach von Natur aus so mürrisch. Wie der Vater, so der Sohn. Obwohl sie allmählich richtige Zuneigung zu dem unerträglichen alten Herrn gefasst hatte, war er am Anfang wirklich sehr anstrengend gewesen.

„Noch nie was von einem geplatzten Trommelfell gehört?“, rief sie mit vielsagend gehobenen Augenbrauen.

Erst da schien ihm bewusst zu werden, in welcher Lautstärke die Musik aus den Boxen dröhnte. Er wandte sich um und stellte sie ab. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, hatte er zwei Knöpfe an seinem Hemd geschlossen. Was Kate einen winzigen Moment lang bedauerte.

„Danke.“ Ihre Stimme klang ein wenig zu laut in der plötzlichen Stille. „Hören Sie Ihre Rockmusik immer in voller Lautstärke?“

„Besser als zu trinken.“

Kate runzelte die Stirn. Was hatte das eine mit dem andern zu tun? Sie holte tief Luft und machte einen neuen Anlauf. „Ich bin Kate Dickson. Sie müssen Grant McMurtrie sein.“

„Und Sie müssen heute in Bestform sein, so schnell, wie Sie kapieren.“

Sie achtete nicht auf den Sarkasmus in seiner Stimme. „Sie haben meine Anrufe nicht beantwortet.“

„Nein.“

„Meine E-Mails auch nicht.“

„Nein.“

„Also bin ich persönlich gekommen.“

„Das sehe ich.“ Er ließ den Blick langsam über ihre ruinierte Bluse gleiten. „Tut mir leid wegen Ihres Kostüms.“

Kate zuckte die Achseln. „Es gefiel mir sowieso nicht.“

„Warum tragen Sie es dann?“

„Gesellschaftliche Erwartungen.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Was würden Sie denn lieber tragen?“

„Einen Taucheranzug.“

„Ach ja. Ihre Robben.“

Insgeheim gratulierte Kate sich zu ihrer geschickten Art, das Thema anzuschneiden, das ihr wichtig war. Sie hatte sehr viel zu verlieren, wenn dieses Gespräch nicht nach Wunsch verlief, und zwar nicht nur ihr Projekt. „Ich muss meine Forschungen fortsetzen, Mr. McMurtrie.“

„Dann werden Sie sich einen anderen Strand suchen müssen, Miss Dickson.“

„Der größte Teil der Untersuchungen hat aber hier stattgefunden. Ich kann jetzt nicht einfach an einen anderen Ort gehen. Ebenso wenig wie die Kolonie Robben, die ich untersuche. Sie kehren seit Jahren immer wieder zu dieser kleinen Bucht zurück.“

„Ich weiß. Ich bin hier aufgewachsen.“

Ach ja, das stimmt ja, dachte Kate. Erregung packte sie. „Erinnern Sie sich, wie die Kolonie damals war?“

Er schloss kurz die Augen, als langweile er sich. „Wie sollte ich nicht? Ich verbrachte schließlich fast jeden Tag mit den Tieren.“

Kate erstarrte. „Wirklich?“

Eine ganze Weile sah er sie nur an, bevor er sagte: „Machen Sie sich keine Hoffnungen, Miss Dickson. Das bedeutet nicht, dass ich irgendwelche Informationen für Sie habe. Meine Antwort ist und bleibt Nein.“

„Warum?“

„Ich brauche keinen Grund. Das ist ja das Schöne am australischen Eigentumsrecht – mein Land, meine Spielregeln.“

Kate holte ihre wirkungsvollste Waffe hervor. Ihre einzige Waffe. „Nein, das stimmt nicht ganz.“ Seine Miene verfinsterte sich, aber Kate ließ sich nicht aufhalten. „Technisch betrachtet, ist es nicht Ihr Land. Noch nicht.“

„Was Sie nicht sagen“, antwortete er fast drohend.

„Ich weiß, dass sechs bis acht Wochen vergehen können bis zur Eröffnung des Testaments und seinem Inkrafttreten. Bis dahin gehört diese Farm immer noch Ihrem Vater. Und seine Abmachung mit mir gilt.“

Jedenfalls hoffte sie das von ganzem Herzen.

Grant McMurtries wütender Gesichtsausdruck ließ sie unwillkürlich schützend die Arme vor der Brust verschränken. Er sah aus, als würde er sie am liebsten ermorden.

„Sie glauben, ich verfüge nicht über die nötigen Beziehungen, um die Prozedur schneller durchzuziehen? Ich bin Anwalt, Miss Dickson. Aber wahrscheinlich sollte ich Sie Dr. Dickson nennen, da es, wie mir scheint, besser ist, wenn wir im Umgang miteinander förmlich bleiben.“

„Dr. Dickson war mein Vater. Ich ziehe es vor, Sie nennen mich Miss Dickson oder Kate.“ Sie holte tief Luft. „Aber das ist völlig nebensächlich. Mir wurde gesagt, selbst mithilfe von Mauscheleien würden die Formalitäten nicht weniger als sechs Wochen dauern.“

„Ich nehme keine Zuflucht zu Mauscheleien, Miss Dickson“, warf er sichtlich verärgert ein. „Ich wende lediglich das Recht an.“ Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. „Was glauben Sie denn, wird sich in sechs Wochen ändern?“

„Vielleicht nichts. Aber vielleicht werden Sie erkennen, wie wichtig die Arbeit ist, die wir leisten.“

„Für wen?“

„Für die Wissenschaft. Für die Zukunft der Umweltforschung in den Ozeanen.“

„Für Sie.“

Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig unter ihren kurzen Atemstößen. „Ja, für mich. Die Robben sind mein Lebenswerk.“

Und alles, was sie hatte.

Sein leises Schnauben und das schiefe Lächeln wirkten seltsam sympathisch und doch gleichzeitig auch beleidigend. „Bringen Sie dieses Argument noch einmal vor, wenn ‚Lebenswerk‘ mehr bedeutet als fünf oder sechs Jahre.“

„Sagt wer? Methusalem? Wie alt sind Sie? Vierzig?“ Sie wusste natürlich, dass er jünger war.

Er holte Luft. „Fünfunddreißig.“

Recht jung, um so erfolgreich zu sein, wie die Informationen über ihn im Internet besagten. Irgendetwas musste ihn sehr angetrieben haben. Kate appellierte an diesen Ehrgeiz. „Hat Ihnen noch nie irgendetwas so viel bedeutet, dass Sie bereit gewesen wären, alles dafür aufzugeben?“

Grant sah sie finster an und vergrub die farbverschmierten Hände in den Hosentaschen. In seiner Jugend hatte er nur vor einer Zukunft auf dieser Farm fliehen wollen, die ihm wie ein Todesurteil vorgekommen war. Er hatte seinen eigenen Weg finden wollen. Zehn Jahre waren vergangen, bevor er begriffen hatte, dass ihm das nicht gelungen war. Und weitere neun Jahre, in denen er auf ein Zeichen gewartet hatte, das ihm zeigen würde, welchen Weg er als Nächstes einschlagen sollte.

Dieses Zeichen war in Form eines späten, beunruhigten Anrufs gekommen – vom Bürgermeister von Castleridge, der ihm mitteilte, dass Leo McMurtrie nicht an der Gemeindeversammlung teilgenommen hatte und weder ans Telefon noch an die Tür ging. Grant hatte die dreistündige Fahrt in zwei Stunden hinter sich gebracht und gemeinsam mit dem Bürgermeister die Tür aufgebrochen.

Nun wies Grant mit der ausgestreckten Hand auf besagte Tür – eigentlich war es eine neue, frisch lackierte – und ließ Miss Dickson vorausgehen. Ohne ihren ruinierten Blazer konnte er sehen, wie eng sich die cremefarbene Bluse an ihren Körper schmiegte. Einen Moment stockte ihm der Atem.

Nicht dass sie ihn mit ihrem Aufzug hätte bezirzen wollen. Ihr Outfit war angemessen für eine geschäftliche Besprechung. Dabei hätten die meisten Frauen mit einem solch aufregenden Dekolleté es auch garantiert zu ihrem Vorteil eingesetzt. Er selbst mit seinem halb offenen Hemd war viel unprofessioneller gewesen.

Allerdings hatte er sie ja nicht eingeladen, also musste sie nehmen, was sie kriegen konnte. „Bitten Sie mich nicht, Verständnis zu zeigen, Miss Dickson. Ihr Lebenswerk hat meinen Vater zerstört.“

Sie stand im Gegenlicht der untergehenden Sonne, sodass Grant nicht sehen konnte, ob sie blass wurde, aber sie erstarrte merklich. Eine ganze Weile verging, bevor sie antwortete, und in ihrer Stimme lag Betroffenheit. „Das kann nicht wahr sein.“

„Ist es aber.“

Es schien ihm, als wäre sie wirklich erschüttert. Sein Gewissen machte ihm ein wenig zu schaffen, weil er ihr einen solchen Schlag versetzte. Um ein Haar hätte er sogar behauptet, dass sie seinen Vater auf dem Gewissen hatte.

Sie strich nervös ihren Rock glatt und erinnerte Grant daran, wie seidig sich die Haut ihrer Beine unter seinen Händen angefühlt hatte. Hastig verdrängte er den Gedanken.

„Mr. McMurtrie“, sagte sie mit schmerzerstickter Stimme, „es war nicht leicht, mit Ihrem Vater auszukommen, aber ich respektierte ihn. Wir hatten oft miteinander zu tun, und ich bilde mir ein, dass wir am Ende zu einer Art Übereinstimmung gelangt waren.“

Das war mehr, als er von sich behaupten konnte. Am Ende waren Grant und sein Vater einander völlig entfremdet gewesen.

„Die Andeutung, meine Arbeit und die meines Teams könnten zu seinem Tod beigetragen haben, ist …“ Sie schluckte mühsam. „Trotz all seiner Fehler war Ihr Vater ein Mann, der sein Land und alles, was es an Lebendigem darauf gab, liebte. Zum Schluss war ihm die Robbenkolonie genauso wichtig wie sein Viehbestand. Er hatte ein Verantwortungsgefühl für die Tiere entwickelt. Die Robben machten ihm Freude, keinen Kummer.“

„Wunschdenken, Kate?“

Sie drehte sich leicht zur Seite, sodass Grant ihr Stirnrunzeln sehen konnte.

Und er griff mit methodischer Zielstrebigkeit an, wie er es gelernt hatte. „Vor knapp einem Monat erhielt mein Vater eine Benachrichtigung, in der es hieß, sechzig Quadratkilometer des Küstenstrichs würden gesperrt, bis man entschieden hätte, ob sie zum Naturschutzgebiet erklärt werden sollten. Dieses Gebiet erstreckt sich zwei Kilometer ins Land hinein, den ganzen Küstenstrich entlang. Das ist ein Drittel seines Grundbesitzes, Kate.“

Sie senkte den Blick und schien einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen. „Ja. Ich wusste von den Gesprächen.“

„Dann dürfte es Sie nicht überraschen, dass ihn das sogar dazu getrieben hat, sich …“

Grant hielt sich im letzten Moment zurück, als ihm bewusst wurde, was es für sie bedeuten würde, zu erfahren, dass sie für den Selbstmord eines Menschen verantwortlich war. „… sich große Sorgen zu machen“, endete er.

Sie nickte bedächtig. Ihre Miene drückte tiefen Kummer aus. „Wenn er es nicht gewollt hätte, könnte ich es mir vorstellen, dass er besorgt war. Aber er arbeitete mit uns zusammen.“

Aus welchem Grund, konnte nur sein Vater wissen. Alan Sefton jedoch verwahrte ein ausführliches Testament in seinen Akten, das nur wenige Wochen vor Leos Tod verfasst worden war und in dem er Grant Tulloquay überschrieb. Und in diesem Testament stand kein einziges Wort über den Schutz der Robben oder eine Teilnahme an irgendwelchen Forschungen. Soweit es Grant anging, vertraute er einem juristischen Dokument in jedem Fall mehr als einer Fremden.

„Niemals hätte mein Vater freiwillig ein Drittel seines Landes einem Haufen Ökofritzen überschrieben. Er liebte diese Farm.“

Wieder senkte sie den Blick. „Er war kein Mann, der irgendetwas halbherzig tat.“

Allmählich begann ihm aufzugehen, dass sein Vater und diese Frau eine Art Beziehung miteinander gehabt hatten. Keine herkömmliche, da war er sicher, denn sein Vater war ein schwieriger Mensch gewesen. Aber ihr Entsetzen am Telefon und die Traurigkeit, die er jetzt in ihren Augen erkannte, machten es Grant auf einmal deutlich bewusst. Und er vergaß seinen eigenen Kummer und seine Wut gerade lange genug, um zu erkennen, dass Leo McMurtries Tod diese junge Frau, die seit zwei Jahren mehrere Tage die Woche auf seiner Farm verbracht hatte, sehr wohl getroffen haben konnte.

Aber er durfte sich nicht von seinen Empfindungen beeinflussen lassen. Wahrscheinlich hatte sein Vater am Ende genau das getan – ihr Mitgefühl und väterliche Zuneigung entgegengebracht. Grants Blick ruhte auf der zierlichen, auf ungekünstelte Weise schönen jungen Frau. Vielleicht war die Zuneigung auch nicht nur väterlicher Natur gewesen.

Und man konnte ja sehen, wohin es ihn geführt hatte.

Entschlossen straffte Grant die Schultern. „Sobald das Testament für rechtsgültig erklärt wird, muss Ihr Team sich einen anderen Spielplatz für seine Forschungen suchen. Bitten Sie einen der anderen Farmer an der Küste um Zugang.“

„Glauben Sie nicht, dass ich das viel lieber getan hätte, als so lange mit Ihrem Vater zu verhandeln? Dieser Platz hier ist der einzig passende. Wir brauchen eine leicht zugängliche Bucht, in der wir schnell zwischen die Robben und das Wasser gelangen können.“

„Dann werden Sie sich etwas einfallen lassen müssen. Sobald es in meiner Macht steht, werde ich meine Gatter vor Ihren Robbenforschern verschließen. Es ist nur fair, Sie zu warnen.“

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Warnen, ja. Aber fair? Trotz all seiner Fehler war Ihr Vater wenigstens ein anständiger Mann.“

Damit drehte sie sich um, ging über die Veranda und die Treppe hinunter zu ihrem zerbeulten alten Kleintransporter.

Kaum die Art von Fortbewegungsmittel, die man mit einer so gut aussehenden Frau in Verbindung bringen würde. Sie stieg ein, ohne ihre langen Beine sonderlich zur Schau zu stellen.

In diesem Moment kam ihm die erste Ahnung, weswegen sein Vater sich schließlich doch noch von Kate Dickson hatte überreden lassen. Nicht, weil sie ihr Aussehen benutzt hatte, um ihren Willen durchzusetzen, sondern weil sie es nicht getan hatte.

Sie war eine faszinierende Mischung aus Verstand, Schönheit und Würde, und ganz offensichtlich liebte sie dieses Land.

Kein Wunder, dass sein Vater nachgegeben hatte. Genau diese Dinge hatte er an Grants Mutter geliebt.

2. KAPITEL

Die drohende Gefahr, ihre Robben bald zu verlieren, weckte ganz plötzlich die Sehnsucht in Kate, sie zu sehen. Ganz privat, selbst wenn das Timing falsch war.

Sie trug ungeeignete Schuhe und völlig unpassende Kleidung, und es war die falsche Tageszeit. Aber sie würde es trotzdem tun.

Die Robben waren in den vergangenen paar Jahren das Einzige gewesen, das ihr Halt gegeben hatte, und der Gedanke, sie verlassen zu müssen, machte ihr Angst.

Während sie in ihrem Wagen Rock und Bluse auszog und gegen ihren Taucheranzug tauschte, lauschte sie dem kräftigen Wind, der vom Antarktischen Ozean hereinwehte. An einem gewöhnlichen Arbeitstag trug sie meistens einen Overall – das Praktischste, das man je erfunden hatte, warm, trocken und bequem. Aber nicht besonders attraktiv.

Die Männer in ihrem Team sahen in ihr nicht die Frau, sondern eine Kollegin, bei der Geschlecht und Aussehen keine Rolle spielten. Wenn man sechs Stunden am Tag damit beschäftigt war, Robben-Ausscheidungen zu untersuchen, gerieten romantische Gedanken wohl automatisch in den Hintergrund. Kate konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal wie eine richtige Frau gefühlt hatte.

Vor etwa zwanzig Minuten.

Obwohl Grant McMurtrie wütend gewesen war, hatte er Gefühle in ihr geweckt, die sie fast schon vergessen hatte. Sie spürte ein aufregendes Kribbeln, seit er sie mit seinem frechen Blick gemustert hatte.

Die etwa dreißig Schafe, die auf dem kargen Weideland grasten, wandten sich gelangweilt von ihr ab, als sie ihre verschmutzten Sachen und die Schuhe auf den Rücksitz warf und den Reißverschluss an ihrem Taucheranzug hochzog. Barfuß tastete sie sich am Rand des Steilufers voran zum Anfang des kaum sichtbaren Pfades, der an den schroffen Felsen hinunterführte – der oft eingeschlagene Weg des Teams zur Bucht. Der Pfad war da gewesen, als sie ihn entdeckt hatten, und sicher schon seit Generationen benutzt worden. Aber er war gefährlich schmal, gerade breit genug für eine zierliche Frau.

Oder einen kleinen Jungen.

Grant McMurtrie musste als Kind unzählige Male hierhergekommen sein. Welcher abenteuerlustige kleine Bursche hätte nicht den Weg zu den Gefahren einer steilen Klippe gesucht, wo es alles gab, was das Herz begehrte – stürmische Windböen und wilde Tiere.

Etwa zwei Dutzend dunkler Köpfe hoben sich, als sie langsam den Pfad herunterkam. Die Robben hatten sich inzwischen an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt. Nur ein, zwei Tiere blieben wachsam, die übrigen ließen sich wieder auf die Felsen plumpsen und fuhren fort, sich träge in der Sonne zu rekeln. Kate musste über die typische Szene lächeln. Einige rundliche Jungtiere alberten am Wasserrand herum, grunzten, jagten einander und kämpften verspielt, als müssten sie all ihre Energie verbrauchen, bevor sie aufwuchsen und genauso schwerfällig wurden wie ihre Mütter, die faul auf den Felsen herumlagen.

Oder wie ihre älteren Brüder, die weiter oben an der Küste versammelt waren. Oder ihre Väter, die den größten Teil des Jahres ihrer eigenen Wege gingen, aber während der Paarungszeit mit den Weibchen zusammentrafen.

Eine der jungen Robben quietschte. Es war erstaunlich, dass sie die Menschen überhaupt duldeten, wenn man bedachte, dass Kate und ihr Team sie jeden Monat einmal einfingen und zum Wiegen in Wollsäcke packten. Aber die Jungtiere schienen es als einen normalen Teil ihres Lebens zu betrachten, ein Spiel.

„Hey, Dorset“, sagte Kate zu einer der Robben, die sie wiedererkannte, und setzte sich auf einen flachen Felsen. Das große Weibchen war eins von fünf Tieren, die diesen Monat einen Datenlogger trugen. Er registrierte den ganzen Tag lang ihre Position – alle fünf Sekunden, wenn sie trocken waren, und alle zwei Sekunden, wenn sie nass waren. Das Team verteilte die teuren Geräte abwechselnd unter der erwachsenen Kolonie, um Messdaten von möglichst vielen Tieren zu erhalten und somit genügend Informationen für die Forschung: wo die Robben ihr Futter fanden und wie lange und wie tief sie dafür tauchten.

Was sie fraßen, war eine andere Sache. Es gab kein praktisches Gerät, um das zu ermitteln, und deswegen untersuchte das Team auch so genau, was die Tiere ausschieden.

Dorset schnaufte unelegant und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Meer zu, nachdem sie ihrem Jungen Danny Boy einen eher flüchtigen Blick gegönnt hatte. Die Muttertiere waren schockierend schnell bereit, ihre Jungen aufzugeben, wenn sie bedroht wurden. Irgendwann in den Tiefen der Vergangenheit musste es der Robbenspezies aufgegangen sein, dass der Verlust eines Jungen nur den Verlust eines einzelnen Tieres bedeutete, während der Verlust eines Muttertiers die Spezies viel mehr in Gefahr brachte. Jungtiere waren verzichtbar und auf tragische Weise unendlich verwundbar.

Die Fischer der Gegend glaubten, dass Robben und Menschen die gleichen Fische jagten. Man fürchtete einen Rückgang der Bestände, den die Fischereiindustrie nicht hinzunehmen bereit war, weil Millionen Dollar im Jahr auf dem Spiel standen. Doch Kates Forschungsergebnisse zeigten, dass die Robben sich von ganz anderen Fischen ernährten, als allgemein angenommen wurde. Wenn sie das den Menschen in Castleridge, der Regierung und der ganzen Welt nur beweisen könnte!

„Ihr würdet euch wohl nicht dazu überreden lassen, Vegetarier zu werden, was, Jungs?“, fragte sie die Robben leise.

Ganz in ihrer Nähe stieß eins der Muttertiere einen missmutigen Grunzlaut aus, als wäre ihm schon die Vorstellung zuwider. Kate lachte. „Nur zu. Protestiert ruhig, so viel ihr wollt. Wenn ich das nächste Mal komme, müsst ihr euch von eurer charmantesten Seite zeigen.“

Denn sie würde McMurtrie junior im Schlepptau haben. Wenn er ihr mit dem Gesetz kam, musste sie sich mit dem schlagkräftigsten Argument verteidigen, das sie hatte – seine eigene Geschichte. Falls Grant McMurtrie als Junge etwas für diese Robben übrig gehabt hatte, konnte sie das vielleicht nutzen, um seine Meinung zu ändern.

Nicht nur wichtige Forschungsgelder hingen davon ab, sondern auch ihr Ruf als Wissenschaftlerin. Sie würde, wie es ihre Aufgabe war, dafür sorgen, dass die Untersuchung Ergebnisse brachte – komme, was wolle.

Diesem aufregenden, griesgrämigen, mit allen Wassern gewaschenen Anwalt zum Trotz.

„Und was ist die gute Nachricht?“ Grant leerte seine Kaffeetasse und sah den Bürgermeister von Castleridge abwartend an.

Alan Sefton lachte leise. „Zwölf Wochen sind recht wenig für die Regelung eines Testaments, und das wissen Sie. Sie sollten mir dankbar sein.“

Drei Monate, bis er Kate Dickson und ihr Team von seinem Land vertreiben durfte. Darüber konnte Grant sich nicht freuen.

„Danke, dass Sie zugestimmt haben, Dads Testamentsvollstrecker zu sein“, gab er nach.

„Wussten Sie, dass er Ihnen die Farm hinterlassen hat?“

„Ich hatte keine Ahnung.“

„Sie waren für ihn noch immer sein Sohn. Sein einziger Erbe. Weder die Zeit noch die Entfernung konnten das ändern.“

„Es hätte mich nicht überrascht, wenn er die Farm diesen Ökofritzen hinterlassen hätte, nur um mich zu ärgern.“

Alan runzelte die Stirn. „Boshaftigkeit passte nicht zu Ihrem Vater. Feindseligkeit schon eher. Aber er war kein Mann, der seine Zeit mit kleinlichem Groll verschwendete.“

Grant schluckte den Verweis. „Vielleicht ist er in den zwanzig Jahren, die wir uns nicht gesehen haben, weicher geworden.“

„Oder vielleicht Sie.“

Stille senkte sich über das Castleridge Café, das so früh am Tag noch leer war. Eine kurze Weile hörte man nur das Radio aus der Küche.

Alan räusperte sich. „Wie geht es Ihnen, mein Sohn?“

Es war lange her, dass ihn jemand mein Sohn genannt hatte. Von seiner viel zu früh verstorbenen Mutter war er so angeredet worden. Sein Vater hatte ihn immer nur mit Grant angesprochen, seine Lehrer mit dem Nachnamen und seine Angestellten mit „Sir“. Wenn ihn irgendjemand anders gefragt hätte, wie es ihm ging, hätte Grant sofort das Thema gewechselt.

Aber wenn zwei Männer gemeinsam einen Leichnam entdeckten, schweißte es sie irgendwie zusammen, selbst wenn sie sich eigentlich fremd waren. Die ehrliche Frage verdiente eine ehrliche Antwort.

„Ich komme zurecht.“

„Wie lebt es sich in seinem Haus?“

„Ganz gut.“ Und überraschenderweise stimmte das auch, trotz allem. „Es ist lange her, seit ich mit ihm zusammen dort gewohnt habe. Und es ist ja nicht so, als wären die Wände von seinem Geist durchdrungen.“

Alan nickte.

„Etwas anderes ist es mit seinem Tabak“, fügte Grant hinzu. „Der Geruch hat sich in den zwanzig Jahre überall breitgemacht.“ Und ließ ihn nicht schlafen. „Ich muss das ganze Haus neu streichen, um ihn loszuwerden.“

Ein Schatten legte sich ganz kurz über das Gesicht des Bürgermeisters.

„Was wollten Sie mir sonst noch sagen?“, fragte Grant.

Alan gab der jungen Kellnerin ein Zeichen, ihnen die Rechnung zu bringen. „Nicht sagen, sondern vielmehr Sie bitten“, betonte er. „Ich weiß, Sie haben keine Verbindungen mehr zu Castleridge.“

Das stimmte. Und Grant war mehr als verblüfft gewesen, zu sehen, wie viele Menschen zu Leos Beerdigung kamen und wie viele seinen Sohn mit Hilfsangeboten überschütteten. Die Leute hier kümmerten sich noch umeinander. „Ich bin in der Gegend aufgewachsen, wenn Sie sich erinnern. Viele der Gesichter sind mir vertraut.“

„Nun … das ist gut. Das erleichtert mir ein wenig, was ich Ihnen zu sagen habe. Es geht um das Forschungsteam …“

„Wenn man das Zählen von Robben Forschung nennen kann.“

Alan nickte bedächtig. „Leo hatte auch lange Zeit Bedenken, bevor er sich entschied, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“

„Darauf möchte ich wetten.“

„Ein Jahr Diskussionen, bevor er endlich weich wurde und …“

„Ich habe Kate Dickson kennengelernt und weiß, warum er weich wurde.“

„Kate war bei Ihnen?“

„Letzte Woche.“

„Welchen Eindruck hatten sie?“

Dass sie zu schön war für eine Wissenschaftlerin. Zu jung für die dunklen Schatten unter den Augen. „Sie kam mir vor wie jemand, der entschlossen ist, sich durchzusetzen.“

„Ja. Das sieht Kate ähnlich. Sie würde nicht zulassen, dass ihr Kummer sie von der Arbeit ablenkt.“

Grant presste gereizt die Lippen zusammen. Er hatte geglaubt, in Alan Sefton einen Verbündeten gefunden zu haben, aber der Mann schien genauso vernarrt in Dr. Dickson, wie offenbar auch sein Vater es gewesen war. „Das Einzige, was ihr Kummer bereitete, war meine Ankündigung, sie von meinem Land zu verbannen.“

„Aha.“ Alan nickte. „Ich habe mich schon gefragt, welche Wahl Sie treffen würden.“

„Da gab es keine Wahl. Diese Pufferzone verringert den ertragreichen Teil des Landes um ein Drittel und würde den Zugang zur Küste unmöglich machen. Ich habe kein Interesse daran, den Leuten zu helfen, die meinem Vater das Land stehlen wollten.“

Alan ließ ihn nicht aus den Augen. „Ach, jetzt ist Ihnen die Farm plötzlich wichtig?“

Die vielen Jahre Erfahrung an den Verhandlungstischen der Geschäftswelt hatten Grant gelehrt, sich keinen Schock anmerken zu lassen. Er schluckte den Schmerz und bedachte Alan nur mit einem kühlen Blick.

Der Bürgermeister gab als Erster nach. „Es tut mir leid. Das war nicht nötig. Aber ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass für Sie die zwanzig letzten Lebensjahre Ihres Vaters nicht wichtig waren, dass ich sie aber miterlebt habe. Hier, zusammen mit ihm. Ich habe seinen Geschichten gelauscht und seinen Träumen. Und so weiß ich, dass es seine freie Entscheidung war, das Programm der Universität zu unterstützen.“

Grant schnaubte spöttisch. „Ja, sicher. Keiner hat ihn mürbe gemacht.“

Der Bürgermeister errötete leicht. „Ich werde mich nicht für meine Haltung in dieser Sache entschuldigen.“

„Was? Wieso Ihre Haltung? Sie unterstützen die Naturschützer?“

„Ich unterstütze Castleridge und seine Bewohner. Dieses Programm verschafft uns erhebliche Gelder, Grant. Und wenn es uns helfen sollte, unsere Fischgründe zu erhalten und unseren Tourismus anzukurbeln, haben alle nur Vorteile davon.“

„Bis auf die McMurtries. Wir verlieren ein Drittel unseres Landes.“

Alan schürzte die Lippen. „Weideland vielleicht. Aber es eröffnet Ihnen ganz neue Möglichkeiten im Bezug auf Öko-Urlauber.“

Mehr war nicht nötig, um Grants Empörung auf die Spitze zu treiben. Er stieß ein gereiztes Geräusch aus, das an das Schnauben einer Robbe erinnerte. „Mein Vater wäre lieber gestorben, als auch nur einem einzigen Touristen zu erlauben, den Fuß auf sein Land zu setzen.“

Alan betrachtete ihn finster. „Wann hat Leo je etwas getan, weil man ihn darum bat?“

Einige Augenblicke konnte Grant ihn nur verdutzt ansehen. Als Jugendlicher hatte er immer wieder versucht, seinen Vater von einer einmal gefassten Meinung abzubringen, und es war ihm nie gelungen. Aber vielleicht hatte er ja nur nicht die richtigen Waffen besessen. „Ich habe eine Theorie.“

Alan sah ihn abwartend an.

„Sind Sie Kate Dickson schon begegnet?“

Ohne auf Grants Sarkasmus zu achten, nickte Alan. „Ja. Mehrere Male. Reizendes Mädchen. Ein bisschen zu sehr in die Arbeit vergraben.“

Das brachte Grant kurz aus der Fassung. „Inwiefern ‚vergraben‘?“

„Na ja.“ Alan machte eine vage Handbewegung. „Ich hatte einfach nur das Gefühl, dass außer ihrer Arbeit nicht viel los ist in ihrem Leben. Sie wissen schon. Familie, Kinder und so.“

Grant schnaubte wieder. „Dr. Dickson teilt Ihre Besorgnis in dieser Hinsicht bestimmt nicht.“

„Mir ist noch nie ein engagierterer und gewissenhafterer Mensch untergekommen“, versicherte Alan hastig. „Aber Leo ließ sich von niemandem etwas vormachen, und er sah etwas in ihr, das … Na ja, wie sie mit den Robben umgeht. Die Leidenschaft, mit der sie sie in Schutz nimmt. Die Entschlossenheit, mit der sie sich für die Tiere einsetzt.“

„Was soll das? Sind Sie der Vorsitzende des hiesigen Kate-Dickson-Fanklubs? Sie ist der Gegner, Alan.“

„Hier geht es nicht darum, Partei zu ergreifen.“

„Doch, wenn die Farm deines Vaters bedroht ist.“

Ach, jetzt ist die Farm Ihnen plötzlich wichtig? Alan brauchte es nicht zu wiederholen. Die Bemerkung hing noch immer in der Luft und war leider auch nicht ganz abwegig. Grant seufzte.

„Ich habe Tulloquay vor neunzehn Jahren verlassen, weil ich kein Farmer werden wollte. Meine ganze Jugend musste ich mir von meinem Vater Vorwürfe anhören, weil ich kein Interesse für das aufbrachte, was er aufgebaut hatte.“ Grant räusperte sich. „Er ließ mich lieber gehen, als noch ein weiteres Mal erleben zu müssen, wie ich selbst bei den simpelsten Aufgaben auf der Farm versagte … wie sehr ich ihn enttäuschte. Ich kann mir nur einen Grund denken, weswegen er mir die Farm vermacht hat: Ich sollte sie zum besten Preis an jemanden verkaufen, der sie wieder zur Blüte führen würde. Ganz ehrlich gesagt kann mich nichts glauben machen, dass er willens gewesen wäre, einem Haufen Baumknutschern ein Drittel seines Landes zu überlassen.“

Und wenn er es doch getan hatte, wäre es irgendwo in seinem Testament erwähnt. Davon war Grant überzeugt. Außerdem hatte sein Vater sich wegen dieser ganzen Angelegenheit das Leben genommen. Mehr Beweise brauchte Grant nicht.

„Na schön.“ Alan setzte sich aufrechter hin. „Da Sie Tulloquay also bald erben werden, möchte ich Ihnen hiermit mitteilen: Ich als Bürgermeister gebe meine Unterstützung, die Unterstützung der Stadt, heißt das, für das Forschungsprogramm, das unserer Gegend wichtige Investitionen sichern und den Öko-Tourimus fördern wird. Wir alle bitten Sie dringend, uns ebenfalls Ihre Unterstützung zu geben.“

Grant hob eine Augenbraue. „Bemerkenswerte Rede. Hat es lange gedauert, sie auswendig zu lernen?“

Alan lächelte. „Eine ganze Weile. Das war vor zwei Jahren, als ich zum ersten Mal ein ähnliches Gespräch mit Ihrem Vater führte.“

Nur mit Mühe hielt Grant sich zurück. Hatte Kate Dickson denn die ganze Stadt um den Finger gewickelt? Andererseits war Bürgermeister Sefton kein Mann, dem man leicht etwas vormachen konnte, genauso wenig, wie sein Vater es gewesen war. In den zwei Wochen, die Grant ihn kannte, hatte Sefton eher den Eindruck eines klugen Mannes mit starker Persönlichkeit auf ihn gemacht. Das hieß natürlich nicht, dass Alan nicht vielleicht eigene Interessen bei dieser Sache verfolgte.

Grant stand auf. „Ich werde darüber nachdenken.“

Nachdem Alan einige Geldscheine auf den Tisch gelegt hatte, erhob auch er sich und klopfte Grant auf die Schulter. „Mehr kann ich nicht verlangen.“

„Ich bin sicher, das könnten Sie doch.“

Und werden es wahrscheinlich auch bald tun, fügte er in Gedanken hinzu.

3. KAPITEL

Die kräftigen Arme vor der breiten Brust verschränkt, die dieses Mal zum Glück ein Hemd bedeckte und somit weniger ablenken würde, stand Grant vor seiner Haustür und sah Kate unverwandt an. Offensichtlich war er noch immer feindselig gestimmt – und noch immer umwerfend attraktiv.

„Wozu sollte ich eine Einladung brauchen, um mir meine eigene Bucht anzusehen?“

Einen Moment fehlten Kate die Worte, dann sagte sie: „Nicht Ihre Bucht, unsere Arbeit. Ich dachte, wenn Sie sie sehen könnten …“

„Würde ich von Faszination und Mitgefühl mitgerissen?“ Sein Lächeln war nicht herzlich. „Sie kennen mich nicht gut genug, Kate, also werde ich Ihnen nachsehen, dass Sie mir unterstellen, ich könnte auch nur das geringste Interesse an dem haben, was Sie da unten machen.“

Kate sah ihn wütend an. „Ich bin sicher, Sie wissen, dass der erste Schritt in einer erfolgreichen Verhandlung der Versuch ist, seinen Gegner besser kennenzulernen.“

„Wir verhandeln nicht.“

Allerdings leugnet er nicht, dass wir Gegner sind, dachte sie trocken.

„Das würde voraussetzen, dass Sie ein Druckmittel besitzen. Soweit mir bewusst ist, haben Sie nichts.“

Sie straffte die Schultern. „Ich habe zwölf Wochen.“

Das schien ihn zu verärgern. „Wie ich sehe, sprechen sich Neuigkeiten in dieser Gegend schnell herum.“

„Die Zeitspanne ist für mein Team sehr wichtig, also habe ich sie natürlich sofort in Erfahrung gebracht.“

„Was sollte mich davon abhalten, Ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sie erst wieder zu öffnen, wenn Ihre drei Monate vorbei sind?“

Kate klopfte das Herz wie wild. Nichts, das wusste sie. „Die Hoffnung, dass Sie tief im Innern doch ein anständiger Mensch sind und mein Team und mich nur aus Ignoranz schikanieren.“

„Sie sind zu mir gekommen, nicht umgekehrt“, erwiderte er steif. „Heute das zweite Mal.“

Frustriert stieß sie die Luft aus. „Mr. McMurtrie, es macht mir keinen Spaß, mich zu erniedrigen. Ich kann es mir nur nicht erlauben, einfach alles hinzuschmeißen, so gern ich es vielleicht täte.“ Sie schluckte mühsam. „Ich kämpfe hier um mein Lebenswerk.“

Es ist alles, was ich habe.

Das Herz trommelte ihr gegen die Rippen, und Kate verdrängte einen beunruhigenden Gedanken, der sich ihr aufdrängen wollte. Tief im Innern wusste sie, dass sie ein besseres Gleichgewicht in ihr Leben bringen musste. Sie hatte alles andere für dieses Projekt zurückgestellt, und im Lauf der vergangenen drei Jahre hatte sie allmählich angefangen, das normal zu finden.

Aber die Sache mit dem Gleichgewicht konnte warten. Wichtig war im Moment nur, Grant McMurtries Engstirnigkeit zu überwinden.

Sekundenlang starrte er sie feindselig an, dann sagte er knapp: „Ich gebe Ihnen eine Stunde.“

Kate wurde ganz schwach vor Erleichterung. „Danke.“

Er wandte sich ab. „Ich hole meine Schlüssel.“

Schnell streckte sie die Hand aus und umfasste sein Handgelenk. Eine seltsame Hitze erfüllte sie. „Ähm … kann ich Sie bitten, vorher noch kurz zu duschen?“

Er drehte sich langsam zu ihr um, und sie errötete leicht.

„Ich habe mit der Pumpe gekämpft“, sagte er finster. „Dass Ihre Robben sich an einem bisschen ehrlichem Schweiß stoßen würden, hätte ich nicht gedacht.“

„Tatsächlich ist es eher das Gegenteil. Sie riechen zu gut.“ Wieder errötete sie. „Ich meine, zu menschlich. Wir benutzen weder Deodorant noch sonstige Düfte wie parfümiertes Shampoo oder so, wenn wir arbeiten. So wittern uns die Robben nicht sofort.“

Kate wünschte, sie könnte im Erdboden versinken, und wich dem spöttischen Blick seiner grünen Augen aus.

„Das erklärt natürlich viel.“ Er klang fast belustigt. „Wenn ich mich allerdings mit Robbenmist beschmieren muss, um meinen Duft zu verdecken, komme ich nicht.“

Sein Versuch, einen Witz zu reißen, war wie ein Rettungsseil für Kate. Sie ergriff es dankbar. „Natürlich nicht. Wäre doch schade um die kostbare Probe.“

Er öffnete den Mund, um zu antworten, doch dann verzogen sich seine Lippen zu etwas, das fast wie ein Lächeln aussah. „Geben Sie mir fünfzehn Minuten.“

„Ich sehe Sie in der Bucht.“ Gefügig abzuwarten, bis Adonis geduscht hatte, gehörte nicht zu ihrem Plan. „Wissen Sie, wo Sie hinmüssen?“

„Dave’s Cove?“

Kate nickte und wandte sich zum Gehen, doch bevor sie sich auch nur im Ansatz entspannen konnte, rief er ihr etwas nach.

„Die Dusche wird Ihnen von Ihrer Stunde abgezogen.“

Sie musste sich zusammennehmen, um ihn ihre Unruhe nicht merken zu lassen. Reine Willenskraft hielt sie aufrecht und ließ sie ihm eine Gelassenheit vorspielen, die sie ganz und gar nicht empfand. Als hätte sie täglich mit hinreißenden, intelligenten, wütenden Männern zu tun, rief sie ihm lässig über die Schulter zu: „Schicken Sie mir einfach eine Rechnung!“

Kein Deodorant. Kein Parfüm.

Grant hatte es ernst gemeint, als er sagte, das würde viel erklären. Kate Dickson sah ganz anders aus als bei ihrem ersten Treffen. Statt des Businesskostüms von neulich trug sie ein ausgeleiertes T-Shirt und Cargo-Shorts. Das widerspenstige dunkle Haar hatte sie zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden. Kein Make-up. Kein Deodorant. Kein Parfüm.

Nichts als eine hundert Prozent weibliche Frau, ohne Firlefanz, aber mit einem Gesicht, für das manch andere ihrer Geschlechtsgenossinnen töten würde.

Sie war die natürlichste, aufrichtigste Frau, die er je kennengelernt hatte. Als sie vor ihm gestanden und auf hoffnungslos ungeschickte Weise versucht hatte, mit ihm zu verhandeln, hätte er ihr am liebsten geholfen. Er wollte ihr beibringen, wie man in dieser Situation klüger vorging. Er wollte sie vor ihr selbst schützen.

Kate Dickson und ihre Kollegen brauchten jemanden wie ihn auf ihrer Seite, sonst würden sie unwiderruflich untergehen in dieser Welt. Aber die Vorstellung, den edlen Ritter für Kate zu spielen, als wäre sie ein Burgfräulein in Not, gefiel ihm ein wenig zu sehr.

Er stellte das Wasser etwas zu heftig ab und riss ein Badetuch vom Haken.

Und doch hatte sie erreicht, weswegen sie gekommen war. Er mochte ja nicht mit ihrer Methode einverstanden sein, aber ihre Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Vielleicht war er seinem Vater doch ähnlicher, als er gedacht hatte, wenn ein unsicheres Lächeln und reizend gerötete Wangen einer schönen Unschuld ihn dazu brachten, ihr aus der Hand zu fressen.

In seinem Zimmer schlüpfte er in eine saubere Jeans und ein Jeanshemd und zog ein Paar alter Reitstiefel an. Sie hatten seinem Vater gehört, passten ihm aber auch ganz gut. Leo McMurtrie würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, dass sein eleganter Sohn seine abgenutzten Jodhpurs trug.

Grant nahm seine Schlüssel vom Küchentresen, setzte sich die teure Sonnenbrille auf und eilte zu seinem Wagen, um Miss Dickson einzuholen. Er würde ihr und ihrem Team zeigen, wie nutzlos es war, im Meer schaukelnde Robben zu zählen. Wenn es Alan Sefton so am Herzen lag, ihnen zu helfen, konnte er ja eine andere Bucht für sie finden.

Tulloquay war tabu.

Kurz darauf parkte er neben Kates Kleintransporter und blickte sich um. Hier oben war niemand zu sehen, aber ein paar Meter entfernt stand ein dritter Wagen. Sechs Schafe lagen zufrieden in seinem Schatten – dem einzigen weit und breit. Grant hatte vergessen, was für ein kahler, stürmischer Flecken Erde dieser Küstenstrich war.

Feiner Sand wehte ihm ins Gesicht, sodass er sich versucht fühlte, dem Wind den Rücken zuzuwenden, wie die Schafe es taten. Sehr bemüht war die Dame ja nicht um ihn. Wie es aussah, würde er sich selbst zurechtfinden müssen.

Er warf einen Blick über den Rand der Klippe nach unten und riss erstaunt die Augen auf.

Kate lag der Länge nach auf einer großen, runden Robbe. Sie hatte sich Ellbogen- und Knieschützer angelegt und trug ihre Cargo-Shorts und das schmutzigste Hemd, das er je gesehen hatte. Mit den langen, sonnengebräunten Beinen hielt sie die mächtigen Flossen in Schach, damit das Tier sich nicht bewegen konnte. Zwei hochgewachsene junge Männer, genauso verschmutzt und nass wie Kate, machten sich von vorn an dem Tier zu schaffen und versuchten, etwas zwischen seinen Schulterblättern anzubringen. Kate hielt die Robbe gerade lange genug fest, damit sie eine kleine schwarze Box befestigen konnten. Dann wichen sie zurück und gesellten sich zu zwei weiteren Teammitgliedern am anderen Ende der Bucht. Ganz in der Nähe wippten zwei Robben, die auf eine Gruppe sehr kleiner Jungtiere aufpassten, unruhig auf und ab.

Grant stockte der Atem.

Es waren zwar keine Bullen, aber Robbenweibchen konnten einem sehr schmerzhafte Bisse beibringen, die gefährlich wurden, wenn sie einen mit giftigen Bakterien infizierten. Ein solcher Zusammenstoß, und Kate würde für den Rest der ihr verbliebenen drei Monate im Krankenhaus liegen. Selbst Grant wusste das, obwohl es zwanzig Jahre her war, seit er sich das letzte Mal damit beschäftigt hatte. Kate arbeitete doch täglich mit diesen Tieren zusammen. Was dachte sie sich nur, so unvorsichtig zu sein?

Er beobachtete, wie sie sich einen Moment zu sammeln schien, um dann mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung zur Seite zu springen und dann weiterzurollen, bis sie gegen die Felsen stieß. Die Robbe watschelte fort von ihr und in die Brandung, wo sie gleich darauf unter den Wellen verschwand. Grant glaubte beinahe das Knacken von Knochen zu spüren und war sicher, Kate aufstöhnen zu hören, als sie sich erschöpft auf den Rücken drehte und in den Himmel starrte.

Er sah sich um und entdeckte den schmalen Sandweg, den er immer benutzt hatte, um zu der felsigen Bucht zu gelangen, die als Dave’s Cove bekannt war. Zwei Jahrzehnte lösten sich in Nichts auf, als er auf die Stelle zulief, wo der Pfad begann. Es war sehr viel schwerer für einen erwachsenen Mann hinunterzukommen, als es für den furchtlosen, leichtfüßigen Jungen gewesen war. Aber Grant kam, wenn auch stolpernd, in dem Moment unten an, als Kate einen ihrer Ellbogenschützer abnahm. Blutige Kratzer verunzierten ihre perfekten langen Beine.

„Was zum Teufel war das denn?“, machte er seiner Wut Luft.

Kate sah verdutzt auf. Drei Männer ihres Teams drehten sich zu ihnen um. „Was?“

„Gehört das Reiten von Robben zu Ihren Untersuchungen?“

Einen Moment starrte sie ihn nur fassungslos an. „Das war kein Reiten. Ich musste das Tier festhalten.“

„Und das im Inlineskating-Outfit?“

Sie straffte die Schultern. „Als ich hier ankam, war Stella gerade an Land, und wir versuchen schon seit einer Woche, sie zu fassen zu kriegen. Ich hatte keine Zeit, meinen Overall anzuziehen.“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Männer ihres Teams ohne Ausnahme blaue Overalls trugen. Jedenfalls hatte er den Eindruck, dass die Anzüge blau waren unter all dem Schmutz.

„Und was war das, was Sie mit der Robbe angestellt haben?“

„Wir mussten ihr das Kontrollgerät auf dem Rücken befestigen. Sie wird es einen Monat lang tragen.“

Dass er sich wie ein Idiot vorkam, verbesserte seine gute Laune nicht gerade. Er runzelte die Stirn, bemühte sich aber, Kate nicht weiter anzuschreien. „Was ist das für ein Kontrollgerät?“

Sie betrachtete ihn zurückhaltend. „Ein Zeit- und Tiefenmesser. Er sammelt Daten über ihre Futtersuchgewohnheiten.“

Nachdem er einen Moment auf die Stelle im Meer hinausgeblickt hatte, wo Stella sich befinden musste, wandte er sich wieder Kate zu. „Das war gefährlich, Kate“, sagte er mit widerwilligem Respekt.

„Keine Angst, Sie sind nicht haftbar. Wir sind versichert, und wir haben Routine. Und Stella tut es nichts.“ Bei seinem skeptischen Blick räumte sie ein: „Na schön, vielleicht verletzt es ihren Stolz. Ein wenig. Sie wird mir vergeben. Das tun sie alle. Wir machen das seit zwei Jahren ein, zwei Mal im Monat.“

„Das ist es also, was Sie hier unten tun? Robben verfolgen?“

Kate lachte, und ein Mann aus ihrem Team fiel in ihr Gelächter ein. „Nein. Das ist nur der aufregende Teil unserer Untersuchungen.“ Sie sah zu den sich aneinanderdrängenden Jungtieren hinüber, die sich sichtlich entspannten, nun, da das Drama vorüber war. Sie rissen die dunklen Mäuler auf, um ein wenig verspätet ihren Mut zu demonstrieren. „Manchmal fangen wir die Jungen ein, um sie zu wiegen und ihren Zustand zu überprüfen. Aber vor allem nehmen wir Proben.“

„Proben?“

Kate zog den zweiten Ellbogenschützer ab, ließ die Knieschützer aber, wo sie waren. „Kommen sie, dann zeigen wir es Ihnen. Vielleicht möchten Sie helfen.“

Solange es nicht darum ging, den flauschigen kleinen Robbenbabys, die ihn so unschuldig anblinzelten, Blutproben abzunehmen …

„Klar, warum nicht?“

Kate warf ihm ein Paar Gummihandschuhe und einen Plastikbeutel zu. Als er bei ihr angekommen war, gab sie ihm noch einen großen Spatel. „Was ist Ihnen lieber, Erbrochenes oder Kot?“

Einer der Männer prustete los, Grant sah Kate nur wortlos an.

„Tut mir leid.“ Unschuldig erwiderte sie seinen Blick. „Sie wollten doch helfen, oder?“

Plötzlich erinnerte er sich, dass sie gesagt hatte, sie könne keine kostbare Probe vergeuden, um ihn mit Robbenmist einzuschmieren. „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“

Sie stützte die schmalen Hände in die Hüften. „Hatten Sie etwas Pikanteres erwartet? Schade, geritten sind wir heute schon.“

Mit einem spöttischen Lächeln bückte sie sich, nahm mit einer elegant ausholenden Bewegung einen Spatel voll von einem schmierigen silberschwarzen Haufen auf und füllte ihn in ihren Plastikbeutel. Grant drehte sich fast der Magen um. Sie reichte den Beutel einem Assistenten, der ihn beschriftete und in eine von insgesamt drei bereitstehenden Kühlboxen stellte.

„Sie machen keine Witze.“

Kate richtete sich auf. „Komme ich Ihnen wie ein Komiker vor?“

Nein, alles andere als das, dachte Grant gereizt. Aber er würde lieber sterben, als vor einem verdammten Naturapostel klein beizugeben. Er überlegte. So wie er die Sache sah, musste, was wieder hochkam, eigentlich besser sein als etwas, das ganz und gar durchgelaufen war. „Ich nehme das Erbrochene.“

Ihr Lächeln, erstaunt und ganz und gar echt, war mindestens genauso strahlend wie die Sonne, die auf sie herabbrannte. Es nahm ihm den Atem, doch im selben Moment erreichte ihn der Geruch aus seiner Probe. Sein Magen zog sich heftig zusammen.

„Wenn Sie sich übergeben müssen, dann bitte nicht auf unsere Proben. Wir wollen keine Verunreinigung.“ Damit wandte Kate sich wieder ihrer Arbeit zu und überließ ihn einem ihrer Assistenten, der ihm erklärte, was er zu tun hatte.

Er wurde nur zweimal von Brechreiz heimgesucht und war ziemlich stolz darauf. Außerdem hatte er ganze drei Proben gesammelt, bevor er widerwillig seine Neugier eingestand.

„Warum machen wir das eigentlich?“

Kate gab sich sichtlich Mühe, ihr triumphierendes kleines Lächeln zu unterdrücken, aber sie war nicht schnell genug. Seltsamerweise machte es ihm nichts aus. Stattdessen weckte es Zufriedenheit in ihm, weil er endlich etwas getan hatte, das ihr gefiel. Was sicher nur selten vorkam.

„Wir untersuchen die Futtersuchgewohnheiten der Weibchen, um bestimmen zu können, inwieweit die Robben tatsächlich eine Bedrohung für die kommerziellen Fischereigründe dieser Gegend darstellen.“

„Und wie können Sie das den ekelhaftesten Substanzen, die die Menschheit kennt, entnehmen?“

Kate ließ sich durch seinen sarkastischen Tonfall nicht beirren. „Schnabel und Ohrknöchelchen.“

Ich werde nicht fragen, nahm er sich grimmig vor. Aber die Neugier ließ ihm keine Ruhe. Nein, du fragst nicht! Finster sah er Kate an, entschlossen, keinen Ton von sich zu geben.

„Na schön, erklären Sie’s schon“, platzte er schließlich doch heraus.

Kates Gesicht leuchtete auf vor Leidenschaft, sodass sie trotz der Schmutzschlieren – der Himmel allein wusste, wovon die genau stammten – wunderschön aussah. „Wir sieben die Fäkalproben, um die Otolithen – die Ohrknöchelchen – aus dem Mageninhalt zu isolieren. Dann identifizieren und zählen wir die Otolithen, und das verrät uns, wie viele Fische jede Robbe gefressen hat und zu welcher Spezies sie gehören.“

Nichts auf der Welt würde ihn dazu bewegen zuzugeben, wie unglaublich brillant er ihre Vorgehensweise fand. Wie sonst sollte man herausfinden, was diese dunkle Masse einmal gewesen war? „Ihnen ist natürlich klar, dass das ausgesprochen ekelhaft ist?“

„Ganz und gar, aber es bringt Ergebnisse.“ Sie zuckte die Achseln. „Alles andere wird verdaut.“

Er füllte einen weiteren Beutel, wobei er versuchte, so viel wie möglich durch den Mund zu atmen, aber sein Magen rebellierte trotzdem noch ein wenig. „Und das Erbrochene?“

Sie kam näher und ging neben der anderen Probe in die Hocke. „Tintenfisch- und Oktopusschnäbel bleiben oft in ihrem Schließmuskel stecken. Das bringt die Robben zum Erbrechen.“

Natürlich, was sonst, dachte er leicht betäubt. Der bis vor Kurzem so gewöhnliche Tag wurde immer unwirklicher.

„Und man möchte sich ja keine Gehörsteinchen durch die Lappen gehen lassen“, sagte er mit gepresster Stimme, während er einen Beutel hochhielt und einen Blick riskierte.

Kate schien aufrichtig erfreut, dass er so schnell begriff. „Genau. Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen.“

Wenn es nicht aus dem Körper einer Robbe stammte und wenn es ihn von diesem Gestank fortbrachte, war Grant bereit, mit ihr bis in den Schlund der Hölle zu gehen. Er gab seine Probe an einen der Assistenten weiter und folgte Kate zu einer entfernten Ecke der Bucht. Sie wühlte einen Moment in einer Segeltuchtasche herum, die dort abgestellt war, und holte ein laminiertes Foto von einem kleinen, glänzenden Fisch mit vorstehenden Augen und schimmernden Flecken in seinem dunkelsilbernen Gesicht hervor. Ein ausgesprochen unattraktiver Fisch, aber Grant wurde zu seinem eigenen Erstaunen bewusst, dass er dieses Tier einordnen konnte.

„Ein Laternenfisch.“

„Stimmt“, rief sie verblüfft.

„Sie vergessen, dass ich hier in der Gegend aufgewachsen bin.“

„Trotzdem begegnet man einem solchen Fisch nicht sehr oft. Es ist ein Tiefseefisch. Wieso erkennen Sie ihn?“

Grant runzelte die Stirn. Das Gesicht seines Vaters erschien undeutlich vor seinem inneren Auge, aber er bekam die vage Erinnerung nicht recht zu greifen. „Keine Ahnung. Warum ist der Fisch so was Besonderes?“

„Meine Forschungen zeigen, dass der Speisezettel unserer Robben zu neunzig Prozent aus Laternenfischen besteht.“

„Und?“

„Und Menschen essen keine Laternenfische. Zu fett.“

Jetzt wurde ihm klar, warum das alles so wichtig für sie war. „Die Robben sind also keine Bedrohung für die Fischerei in der Gegend.“

„Nein. Wahrscheinlich helfen sie ihr sogar, weil unsere Fische und ihre sich von den gleichen kleineren Arten ernähren. Dass die Robben die Zahl der Laternenfische niedrig halten, garantiert, dass die übrigen Fische, von denen die Fischer hier leben, genügend Nahrung finden.“

„Und somit beschützen sie eine millionenschwere Industrie.“

„Genau.“

Wenn das stimmte, waren die Robben unentbehrlich für das Florieren der hiesigen Fischindustrie. Dieselbe Empfindung, die ihn überkam, wenn er einen schwachen Punkt im Vertrag eines Kontrahenten entdeckte, breitete sich in ihm aus – eine Art Hochgefühl. Allerdings folgte gleich darauf eine düstere Erkenntnis. „Wer weiß davon?“, fragte er behutsam.

„Bis jetzt? Mein Team. Leo wusste es auch. Und nun Sie.“

„Hat mein Vater Ihnen deswegen seine Unterstützung gegeben?“

„Ihr Vater war es, der mich überhaupt erst auf die Idee mit dem Laternenfisch brachte.“

Sein Magen zog sich wieder abrupt zusammen, was dieses Mal nichts mit dem Gestank zu tun hatte. „Blödsinn.“

Kate schien überrascht von seiner Heftigkeit. „Er glaubte nie, dass die Robben ein Problem sind, weil er sie beobachtet hatte. Schließlich ist er auch mit ihnen aufgewachsen.“

Das stimmte natürlich. Wie hatte er das vergessen können? War Leo genau wie er selbst in seiner Kindheit in die Bucht mit den Robben hinuntergeklettert, obwohl es verboten war? Hatte er dort Zuflucht gesucht, wenn er zu Hause Ärger gehabt hatte?

Kates Miene wurde weich. „Er war ganz aufgeregt, als unsere Ergebnisse bewiesen, dass er recht hatte.“

Das wollte sie ihm jedenfalls weismachen, um ihre Position zu stärken. „Sie behaupten, er war glücklich bei dem Gedanken, er könnte die Kontrolle über einen Teil seines Landes verlieren?“

Sie senkte den Blick.

„Ja, das konnte ich mir auch nicht vorstellen.“

Sofort sah sie wieder auf und blickte ihn mit ihren mandelförmigen braunen Augen fast flehend an. „Er war hin und her gerissen, Grant. Er wollte das Richtige tun. Aber er wusste, was das für den Wert seiner Farm bedeuten würde.“

Die allmächtige Farm, der Gott, den Leo McMurtrie immer angebetet hatte. Es hatte nie etwas anderes für ihn gegeben. Nur die Farm. „Und jetzt erwarten Sie von mir, einfach seinem Beispiel zu folgen?“

Kate packte das Foto fester, als könnte sie daran Halt finden. „Ich dachte …“

„Sie dachten, das Foto würde mich umstimmen? Wieso?“

„Weil Sie Anwalt sind. Sie wollen, dass die Gerechtigkeit siegt. Diese Tiere werden zu Unrecht verfolgt, und wir halten den Beweis dafür in Händen.“

„Ich bin Anwalt für Vertragsrecht, Kate. Dieser ganze ‚Sieg-der-Gerechtigkeit-Kram‘ fällt nicht in meinen Bereich. Ich kümmere mich um nüchterne Einzelheiten, die einen Vertrag verbessern, ich suche nach Schlupflöchern und sorge dafür, dass niemand so leicht einen Rückzieher machen kann, nachdem er unterschrieben hat. Oder, wie in unserem Fall, tue ich, was in meiner Macht steht, um aus der Abmachung herauszukommen, die mein Vater mit Ihnen getroffen hat.“

Kate wurde blass. „Aber wie können Sie nur, jetzt, da Sie Bescheid wissen? Es liegt in Ihrer Macht, diese Robben zu schützen. Uns zu helfen, sie zu retten. Ihr ganzer Besitz könnte ein Zufluchtsort werden.“

Ihr naiver Idealismus war für ihn wie eine fremde Sprache. „Ich kann die Tiere nicht schützen, Kate. Das Land, auf dem sie leben, wird mir bald nicht mehr gehören.“

Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Was meinen Sie damit? Ich habe gesehen, dass Sie das Haus renovieren. Tulloquay erwacht mit Ihnen wieder zu neuem Leben.“

„Weil ich die Farm verkaufen will. Ich werde sie verkaufen, sobald die Erbschaft an mich übergeht.“

Sie taumelte, fing sich aber hastig an einem Felsen. „Sie verkaufen die Farm? Aber die Robben …“

„Drei Monate, Kate. Ich hatte Sie gewarnt. Sie werden eben einfach früher fertig werden müssen.“

Die Panik in ihrem Blick traf ihn stärker, als er gedacht hätte. Aus irgendeinem Grund tat er sich schwer damit, wenn sie unglücklich war.

„Wir können nicht früher fertig werden. Die Paarungszeit beginnt in zwei Monaten, und wir müssen feststellen, wohin die Robben sich für diesen Zweck begeben. Der Schlüssel zu allem ist, ein ganzes Jahr ihre Nahrungssuchgewohnheiten festzuhalten.“

„Dann hätten Sie früher damit anfangen sollen.“

Heiße Röte stieg ihr in die Wangen. „Glauben Sie, das haben wir nicht versucht? Seit zwei Jahren sind wir schon auf der Suche nach ihrem Paarungsort. Es ist ungewöhnlich für die Tiere, sich irgendwo anders fortzupflanzen als an ihrem normalen Aufenthaltsort, aber diese hier tun es. Die Messgeräte, die wir an ihnen befestigen, ermitteln leider keine geografische Position, nur die Wassertiefe. Zweimal haben wir die ganze Kolonie während der Fortpflanzungsperiode aus den Augen verloren.“

„Wer garantiert Ihnen, dass das nicht dieses Jahr auch wieder passiert? Ich bin sicher, dass Ihre Forschungsergebnisse trotzdem hieb- und stichfest sind. Was Sie ermittelt haben, ist mehr, als die Wissenschaft bisher wusste. Zwei Jahre sind ein langer Zeitraum.“

Ihr vorwurfsvoller Blick erinnerte ihn an den der kleinen Robben. „Wie können Sie sich nur so sehr von Ihrem Vater unterscheiden?“

Er wirbelte zu ihr herum, als hätte sie ihn geschlagen. „Was immer Sie zu wissen glauben, Kate, Sie irren sich. Für meinen Vater war diese Farm sein Leben. Er hätte nicht tatenlos dabei zugesehen, wie man sie zerstückelt.“

„Und trotzdem wollen Sie sie an einen Fremden verkaufen?“

„An jemanden, der das Land zu dem macht, wozu es bestimmt war.“

In ihrer Erregung hob sie die Stimme. „Das Land war nie dazu bestimmt, eine Farm zu sein. Es ist ein empfindliches Ökosystem, das einmal allen Geschöpfen Platz zum Leben bot. Aber dann haben wir die Südküste besiedelt und mit Huftieren bevölkert!“

„Die Leute kaufen nun einmal keine empfindlichen Ökosysteme.“

Man sah ihr an, dass er sie verletzt und enttäuscht hatte. „Wenn Sie uns vorzeitig wegschicken, wird es nicht leicht sein, die Forschungen abzuschließen, es setzt die Studie allerdings nicht ganz außer Kraft. Sie wird trotzdem Gehör finden. Das können Sie nicht verhindern.“

Im nächsten Moment ging ihr offensichtlich ein Licht auf. Sie schnappte entsetzt nach Luft. „Aber Sie werden der Genehmigung der Naturschutzkommission zuvorkommen. Sie wollen den Verkauf vorantreiben, bevor der Naturschutzstatus der Farm sich ändert.“

Die Verachtung in ihrem Blick machte ihm mehr zu schaffen, als ihm lieb war. „Ich habe es Ihnen gesagt, Kate. Schlupflöcher und Schwachstellen sind mein Geschäft. Sie hätten Ihre Karten nicht auf den Tisch legen sollen.“ Er zog die Handschuhe aus und warf sie in eine Tasche zu ihren Füßen, wobei er sich in etwa so fühlte wie die schleimige Masse, die hier untersucht wurde.

„Sie haben drei Monate.“

4. KAPITEL

Im folgenden Monat begann Kates Tag um halb fünf Uhr morgens mit der Fahrt nach Tulloquay, wo sie meist kurz nach Sonnenaufgang ankam, und endete bei Einbruch der Dunkelheit. Das Ende der Frist, die Grant ihr eingeräumt hatte, stand ihr jede Minute bedrohlich vor Augen. Wie oft musste sie noch erleben, dass ihre ganze Welt ins Chaos zu geraten drohte?

Deswegen war sie Wissenschaftlerin geworden. Denn hier ging es um Ursache und Wirkung, logische Verläufe und vorhersehbare Ergebnisse. Ihre Arbeit entzog sich nur selten ihrer Kontrolle.

Bis jetzt.

Doch sie tat ihr Bestes, um die Ordnung einigermaßen wiederherzustellen. Sie hatte ihr Team aufgeteilt – in eine Gruppe von drei Leuten, die sich im Labor in der Stadt um die Analyse der Proben kümmerten, und eine weitere Gruppe aus zwei Mitarbeitern, zu denen auch Kate sich gesellte und die in Schichten fortfuhr, so viele Proben wie nur möglich zu sammeln. Sie selbst übernahm die längste Schicht. Die Arbeit war anstrengend und entmutigend, und Kate fürchtete, dass sie, wenn sie gehen mussten, die Studie nicht beendet haben würde. Und den neuen Besitzer auf ihre Seite ziehen zu können war nichts als eine vage Hoffnung.

Sie durfte gar nicht daran denken, wie viel kostbare Zeit ihr Team mit dem Hin- und Herfahren verlor – drei Stunden morgens und drei Stunden abends. Aber es ließ sich nicht vermeiden. Sie mussten weiter vor Ort arbeiten und konnten sich keinen Wohnwagen leisten.

Hinzu kam, dass Stella noch immer verschwunden war. Für das Projekt bedeutete der Verlust des Zwanzigtausend-Dollar-Messgeräts, das sie auf dem Rücken trug, einen finanziellen Tiefschlag. Aber auch die wichtigen Daten, die es während eines Monats gesammelt hatte, würden verloren gehen, wenn die Robbe nicht wieder auftauchte.

Um keine unnötige Zeit zu verlieren, hatte Kate beschlossen, über Nacht vor Ort zu bleiben. Nach der anstrengenden Arbeit an einem Bericht für die Naturschutzkommission war sie allerdings gestern Abend nicht mehr in der Lage gewesen, das mitgebrachte Zelt aufzustellen. Sie hatte sich, lange, nachdem ihre Mitarbeiter gegangen waren, auf dem voll gepackten Rücksitz ihres Transporters erschöpft in ihrem Schlafsack zusammengerollt und war frierend und bedrückt eingeschlafen.

Jetzt kletterte sie benommen aus dem Auto.

„Sagen Sie mir bitte, dass Sie nicht in der Bucht geschlafen haben.“

Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie so unerwartet die vertraute tiefe Stimme hörte. Noch nie war ihr so bewusst gewesen, wie unordentlich sie in ihrer Arbeitskleidung aussah, die nach der Nacht im Auto besonders zerknittert sein musste.

„Grant.“ Unwillkürlich griff sie nach ihrem offenen Haar, das vom nicht nachlassenden Wind zerzaust wurde. „Was machen Sie hier so früh am Morgen?“

„Ich wollte nach den Tränken sehen, bevor es zu stürmisch wird. Und dann entdeckte ich Ihren Wagen.“ Er warf einen Blick ins Innere. „Haben Sie im Auto geschlafen, Kate?“

„Ich war gestern Abend zu müde zum Fahren.“

Er betrachtete sie aus leicht zusammengekniffenen Augen. „Sie sehen fürchterlich aus.“

In einem hoffnungslosen Versuch, sich präsentabel zu machen, strich sie über den Overall. Im Gegensatz zu ihr sah Grant aus wie frisch aus der Dusche gekommen – das Inbild eines australischen Farmers, obwohl sie wusste, dass er keiner war. Kleider machten wohl doch Leute, wie es aussah. Und seine Schultern waren breit und eindrucksvoll wie immer. „Wir haben eben viel zu tun. Jede Minute zählt.“

Einen Moment presste er die Lippen zusammen. „Wo ist Ihr Team?“

„Ich lasse nur die Hälfte kommen, die anderen bleiben im Labor und analysieren die Proben.“ Ihr fiel die Anspannung in ihrer Stimme auf, und so zwang sie sich zu einem strahlenden Lächeln. „Aber wir schaffen es. Alles in Ordnung.“

Er zog die Hutkrempe tiefer, um die Augen gegen die aufgehende Sonne zu beschatten. „Nein, das stimmt nicht. Nicht, wenn Sie gezwungen sind, im Auto zu übernachten.“

Sie konnte ihre aufgestaute Verbitterung nicht mehr unterdrücken. „Leider reicht mein Budget nicht aus für ein Labor vor Ort oder einen Wohnwagen. Ich kann nur in dem Rahmen arbeiten, der mir gegeben ist.“

„Würde das helfen? Ein Labor vor Ort?“

„Theorien helfen jedenfalls nicht.“

Er wartete ruhig ab, bis sie seufzte und ihm antwortete: „Na schön, natürlich würde es helfen. Wir könnten die Proben während der heißesten Stunden des Tages überprüfen und morgens und am späten Nachmittag bei den Tieren sein. Dann könnte ich auch mein ganzes Team wieder herholen.“

Grant zögerte nur einen Moment. „Was für ein Gebäude brauchen Sie? Muss es klinisch sauber sein?“

Ihr Herz klopfte schneller. Meinte er das ernst? Bot Grant McMurtrie ihr seine Hilfe an? „Nein. Nur trocken und einigermaßen sauber. Solange die Laborgeräte steril bleiben, können wir überall arbeiten, wo es Strom gibt und man abschließen kann.“

„Wie wäre es mit meiner Garage? Sie muss zwar gründlich gereinigt werden …“

„Aber brauchen Sie sie nicht für Ihren Jeep?“

„Nein. Sie ist nicht … geeignet“, sagte er mit finsterer Miene.

„Es ist eine Garage“, wandte sie verblüfft ein. Natürlich ist sie geeignet.

„Wollen Sie sie haben oder nicht?“

Kate atmete tief ein. „Warum tun Sie das? Sie wollen uns doch loswerden.“

„Im Gegensatz zu dem, was Sie glauben, bin ich nicht völlig herzlos. Ich bin mit diesen Robben aufgewachsen und möchte ebenso wenig wie Sie, dass den Tieren Schaden zugefügt wird. Aber so wie ich die Sache sehe, schaffen Sie es sowieso nicht, die Daten für ein ganzes Jahr zu sammeln, egal was geschieht. Wenn ich Ihnen also Ihre tägliche Arbeit erleichtern kann, ist das für mich kein großer Aufwand.“

Er hatte recht. Ihre Forschung hing entscheidend auch von der Menge der Daten ab, die sie einreichen konnte. „Und wenn Sie sich irren?“

Autor

Nikki Logan
Nikki Logan lebt mit ihrem Partner in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Australiens. Sie ist eine große Tierfreundin. In ihrer Menagerie tummeln sich zahlreiche gefiederte und pelzige Freunde. Nach ihrem Studium der Film- und Theaterwissenschaften war Nikki zunächst in der Werbung tätig. Doch dann widmete sie sich ihrem Hauptinteresse: dem...
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