Romana Exklusiv Band 322

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EINE BRAUT FÜR DEN KRONPRINZEN von REBECCA WINTERS

Alexandra glaubt zu träumen, als der gut aussehende Kronprinz Lucca sie spontan bittet, ihn zu heiraten. Er möchte seinem kranken Vater den letzten Wunsch erfüllen. Doch kann ein Leben in dem malerischen Fürstentum am Mittelmeer sie für eine Ehe ohne Liebe entschädigen?

DAS GEHEIMNIS DER ITALIENISCHEN BRAUT von FIONA HARPER

Mit gemischten Gefühlen kehrt Jackie zur Hochzeit ihrer Schwester in ihre italienische Heimat zurück. Die Feier soll im romantischen Palazzo der Familie ihrer Jugendliebe Romano stattfinden. Ein Wiedersehen ist unvermeidlich. Aber was wird Romano sagen, wenn er ihr Geheimnis erfährt?

STÜRMISCHE HOCHZEIT MIT DEM GRIECHISCHEN MILLIARDÄR von LYNNE GRAHAM

Auch das türkis glitzernde Wasser der Ägäis kann Billies Herz nicht beruhigen. Sie muss Alexei gestehen, dass ihre süße Liebesnacht vor einem Jahr, an die der griechische Milliardär sich wegen eines Unfalls nicht erinnert, süße Folgen hatte. Leider glaubt er ihr kein Wort …


  • Erscheinungstag 30.04.2020
  • Bandnummer 322
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748883
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Rebecca Winters, Fiona Harper, Lynne Graham

ROMANA EXKLUSIV BAND 322

1. KAPITEL

„Wie viel schulde ich den Gläubigern jetzt noch, Mr. Watkins?“

Bedauernd zog der weißhaarige Anwalt die buschigen Augenbrauen hoch: „Zwölf Millionen Dollar.“

Alexandra wurden die Knie weich. Noch so viel? Am unangenehmsten waren ihr die Schulden bei Manny Horowitz, dem ehemaligen Manager ihrer Mutter. Nicht einmal ihn hatte sie bezahlt, und dabei hatte er sich jahrelang für ihre Karriere aufgeopfert. Ich muss das Geld einfach zusammenbekommen!

„Nur den Diamantschmuck kann ich noch verkaufen. Alles andere habe ich schon versteigert. Hoffentlich reicht der Erlös aus, um die restlichen Schulden zu begleichen!“

Für Alexandra selbst schien von dem einstigen Millionenbesitz ihrer Mutter nichts übrig zu bleiben. Doch das war zweitrangig. Hauptsache die Regenbogenpresse bekam keinen Wind von ihrem Bankrott. Bloß nicht noch mehr Negativschlagzeilen! Als herauskam, dass eine Überdosis Schlafmittel Schuld am frühen Tod ihrer Mutter gewesen war, hatte man sie schon genug durch den Schmutz gezogen. Man munkelte, Kathryn Carlisle hätte nach der gescheiterten Ehe mit Scheich Mustafah Tahar aus lauter Verzweiflung Selbstmord begangen. Beweise gab es dafür allerdings keine. Und Alex wusste schone lange nicht mehr, was sie eigentlich noch glauben sollte.

„Ich bedauere sehr, dass Sie sich in Ihrem Alter schon mit derartigen Problemen herumschlagen müssen, Miss Grigory.“

„Danke, aber so jung bin ich nun auch wieder nicht mehr.“ Nach den letzten Monaten fühlte sie sich, ehrlich gesagt, sogar ziemlich alt. Aber als ungewolltes Kind der schönsten Frau der Welt hatte sie es im Leben schließlich nie leicht gehabt. Sehr früh schon hatte sie erwachsen werden müssen. Doch für den alten Anwalt klang fünfundzwanzig wahrscheinlich sehr jugendlich.

Seit dem Tod ihrer Mutter Weihnachten vor fünf Monaten hatte Mr. Watkins Tag und Nacht gearbeitet, um ihr zu helfen, den riesigen Schuldenberg abzutragen. Und das ohne dabei auch nur ein einziges abfälliges Wort über den ausschweifenden Lebenswandel der Diva zu verlieren, der letztlich wohl auch für ihren frühen Tod verantwortlich gewesen war. Hinterlassen hatte sie außer ihrer sträflichst vernachlässigten Tochter aus der ersten von sechs gescheiterten Ehen nicht viel. Von ihrem Schmuck, ein paar saftigen Klatschgeschichten und Waschkörben voll unbezahlter Rechnungen einmal abgesehen.

„Wo bekomme ich denn Ihrer Meinung nach den besten Preis für die Schmuckstücke?“

„Wenden Sie sich an das italienische Juweliergeschäft ‚Casa di Savoglia‘ an der Fifth Avenue in New York.“

„Oh, das kenne ich. Mein Vater hat dort für meine Mutter ein Diamantarmband gekauft und es ihr in der Hochzeitsnacht geschenkt.“ Das ist auch das Einzige, was sie mir je von meinem Vater erzählt hat, dachte Alex. Darüber dass Oleg Grigory eines der größten Casinos in Las Vegas besaß, hatte sie hingegen kein Wort verloren. Auch dass er sehr jung und unter mysteriösen Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, hatte sie nie erwähnt – geschweige denn dass es Gerüchte gab, er sei mit der russischen Mafia im Geschäft gewesen. All dass hatte sie erst sehr viel später selbst herausgefunden.

Mr. Watkins nickte. „Ja, die Juweliere dort sind zweifellos Experten im Diamanthandel und weltberühmt.“

Nachdenklich nagte sie an der Unterlippe. Das heißt, ich muss schnellstmöglich nach New York. Doch wie sollte sie das Flugticket bezahlen? Na, da würde ihr schon etwas einfallen. Hoffentlich war der Schmuck, den ihre Mutter über die Jahre von ihren unzähligen Ehemännern und Liebhabern bekommen hatte, tatsächlich so viel wert, wie sie immer geglaubt hatte. Dann könnten vielleicht schon bald alle Schulden Vergangenheit sein, und sie könnte endlich ein neues Leben beginnen.

„Sobald ich den Flug gebucht habe, melde ich mich bei Ihnen.“

„Sehr gut. Und machen Sie sich keine Sorgen. Die Angestellten der Casa die Savoglia haben den Ruf, bei allen Geschäften äußerste Diskretion zu wahren.“

Diskretion. Was würde sie dafür geben, keinerlei Verschwiegenheit nötig zu haben! Alex seufzte leise.

Mitleidig blickte Mr. Watkins seine junge Mandantin an. „Wenn das Flugdatum feststeht, mache ich für Sie einen Termin mit dem Geschäftsführer.“

Dankbar drückte sie dem alten Anwalt die Hand. Dann machte sie sich auf den Weg zur Arbeit. Ob sie wollte oder nicht, sie musste ihre Chefin um ein paar extra Urlaubstage bitten. Die ältere Dame, die das Kosmetikstudio leitete, in dem Alex als Maskenbildnerin arbeitete, hatte ihr bisher noch nie eine Bitte abgeschlagen. Bestimmt würde sie auch heute nicht Nein sagen. Angenehmer wurde die Situation dadurch aber auch nicht wirklich. Wie sie es hasste, andauernd um irgendetwas bitten zu müssen! Doch das würde sich ja hoffentlich bald ändern.

Prüfend sah Alexandra auf die Uhr, als das gelbe Taxi vor dem beeindruckenden weißen Gebäude hielt, über dessen Eingang das Firmenlogo „Casa di Savoglia“ prangte. Kurz vor halb elf. Sie lag gut in der Zeit!

Nachdem sie den Taxifahrer bezahlt hatte, nahm sie ihre Tasche und stieg aus. Die feuchte New Yorker Junihitze traf sie wie ein Schlag. Doch die riesige Menschenmenge, die vor dem Eingang des exklusiven Juweliergeschäftes wartete, brachte sie noch mehr aus dem Konzept.

„Entschuldigen Sie bitte“, wandte sie sich an einen der zahlreichen Wachmänner, „ist hier immer so ein Andrang?“

„Jedenfalls immer, wenn der Ligurische Diamant ausgestellt wird“, erwiderte der Sicherheitsbeamte, als ob damit alles gesagt sei.

Ligurischer Diamant? Nie gehört! Vom Hope Diamanten wusste sie. Und selbstverständlich auch von den sagenhaften englischen Kronjuwelen. Aber da erschöpfte sich ihr Wissen über Edelsteine auch schon. Kein Wunder. Sie selbst hatte ja auch nie welche besessen. Und was ihre Mutter betraf … kein Diamant der Welt hatte ihr das Glück geben können, das sie in sechs Ehen vergeblich gesucht hatte.

Energisch schob Alex die trüben Gedanken beiseite. Am Eingang erklärte sie einem weiteren Sicherheitsbeamten, dass sie einen wichtigen Termin mit Mr. Defore, dem Chefjuwelier, hatte. Einen kurzen Telefonanruf und einen gründlichen Sicherheitscheck später stieg sie von einem Wachmann begleitet in den gläsernen Aufzug. Was dieser Ligurische Diamant wohl wert war? Nach den Menschenmassen zu schließen, die sich im Foyer um die beleuchtete Vitrine drängten, musste es sich um eine unvorstellbare Summe handeln. Vielleicht sogar zwölf Millionen Dollar …

„Mr. Defores Büro befindet sich im vierten Stock“, riss die Stimme des Wachmanns sie aus den Gedanken. „Ich werde Sie noch bis zur Tür begleiten.“

Dort begrüßte der kleine, kompetent aussehende Juwelier sie freundlich: „Nach Ihnen kann man ja die Uhr stellen, Miss Grigory! Kommen Sie doch bitte herein. Hatten Sie einen angenehmen Flug?“

„Den hatte ich. Vielen Dank.“

„Bitte, nehmen Sie Platz“, sagte er lächelnd und wies auf einen schwarzen Ledersessel. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Tee? Ein Glas Wasser?“

„Nein danke. Als mein Anwalt den Termin mit Ihnen vereinbarte, wusste er nicht, dass in Ihrem Haus gerade eine Sonderausstellung stattfindet.“

„Ja, einmal im Jahr stellt uns die fürstliche Familie von Castelmare den Ligurischen Diamanten für einen Tag zur Verfügung. Der Andrang ist jedes Mal überwältigend.“

Castelmare. Vor ihrem inneren Auge stieg das Bild des kleinen Fürstentums an der Mittelmeerküste auf. Ihre Mutter hatte ihre erste Hochzeitsreise dorthin gemacht und so oft von der malerischen Berglandschaft und den verträumten Buchten geschwärmt, dass Alex beinahe das Gefühl hatte, selbst schon einmal dort gewesen zu sein. Seit ihrer Kindheit träumte sie insgeheim davon, irgendwann in dieses zauberhafte Land zu reisen und die kleinen, abgelegenen Bergdörfer, die sich seit Jahrhunderten Wind und Wasser trotzend an der Steilküste festklammern, mit eigenen Augen zu sehen.

„Wissen Sie zufällig, ob der Diamant auch manchmal in Kalifornien ausgestellt wird?“, fragte sie schließlich. Ihre Chefin würde den kostbaren Stein sicherlich gern sehen.

Nachdenklich schüttelte der Juwelier den Kopf. „Soweit ich informiert bin, wird der Stein nur in New York, London, Rio, Sydney, Hongkong und Dubai gezeigt. Und auch dort jeweils nur für einen einzigen Tag im Jahr. Den Rest der Zeit befindet er sich im Nationalmuseum von Castelmare.“

„Dann ist es ja eine große Ehre, dass Sie den Diamanten in Ihrem Geschäft ausstellen dürfen.“

Mr. Defore zog die Augenbrauen hoch. „Ich glaube, Sie verstehen nicht, Miss Grigory. Fürst Vittorio von Castelmare entstammt der Herrscherfamilie di Savoglia‘. Dieses Geschäft – und viele weitere auf der ganzen Welt – gehört der Familie des Monarchen.“

„Ich hatte ja keine Ahnung“, erwiderte sie verblüfft. Kein Wunder, dass ihre Mutter vom Hochzeitsgeschenk ihres Vaters so begeistert gewesen war. Eine edlere Juwelierkette gab es schließlich nicht.

„Soll ich mir die Schmuckstücke Ihrer Mutter jetzt einmal anschauen?“

„Sehr gerne.“ Vorsichtig nahm Alex die unscheinbare Box aus ihrer Tasche, die sie einige Stunden zuvor aus dem Banksafe abgeholt hatte, in dem Kathryn Carlisles letzte Wertgegenstände verschlossen waren.

Konzentriert machte der Juwelier sich an die Arbeit. Nie zuvor hatte Alex den Schmuck ihrer Mutter mit eigenen Augen gesehen. Alles, was sie über ihn wusste, stand auf der Inventarliste, die sie von der Bank erhalten hatte: sieben Diamantringe, vier Paar Diamantohrringe, ein Diamantarmband, drei Diamantcolliers und zwei Diamantfußkettchen. Aber wie der Schmuck aussah und was genau er wert war, davon hatte sie überhaupt keine Vorstellung. Und ohne den riesigen Schuldenberg ihrer Mutter wäre ihr das auch ziemlich gleichgültig gewesen. Geld bedeutete ihr nichts.

Schweigend untersuchte Mr. Defore jedes Schmuckstück ein zweites Mal. Was das wohl zu bedeuten hatte? Jedenfalls schien er nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Wahrscheinlich weil er derartige Kollektionen jeden Tag sah.

Schließlich hob der Juwelier den Blick und sah ihr in die Augen. „Wer hat Ihnen gesagt, dass es sich hierbei um Diamantschmuck handelt?“, erkundigte er sich in sehr sachlichem Ton.

Überrascht starrte Alex ihn an. Was sollte denn diese Frage? „Mr. Watkins. Der Anwalt, der den Nachlass meiner Mutter verwaltet“, erwiderte sie verunsichert.

„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es sich um Imitationen handelt. Das ist kein echter Diamantschmuck.“

Was?

Der Schock verschlug ihr für einen Moment die Sprache. Dann stieß sie heftig hervor: „Aber das ist unmöglich!“

„Vielleicht bewahrte Ihre Mutter den echten Schmuck woanders auf?“

Sie schluckte. Woanders? Es gab doch nur noch den einen Banksafe. „Ich fürchte, nein“, flüsterte sie niedergeschlagen.

„Ich bedauere sehr, Miss Grigory. Aber wir handeln nicht mit nachgemachten Edelsteinen. Bestimmt gibt es in L. A. Geschäfte, die Ihnen zweitausend oder sogar zweitausendfünfhundert Dollar für diese Stücke bieten. Vielleicht sollten Sie sich dorthin wenden?“

„Ich hoffe doch sehr, dass dies nur ein schlechter Witz ist!“, brauste sie auf. Im Flieger hatte sie sich noch ausgemalt, wie sie bald alle Schulden tilgen würde. Und nun das!

„Ich versichere Ihnen, dass ich mir solche Scherze niemals erlauben würde. Mittlerweile gelingt es der Schmuckindustrie, täuschend ähnliche Imitationen herzustellen. Ja, sie sind derart ähnlich, dass selbst ein Experte mit bloßem Auge zweimal hinschauen muss, um den Unterschied zu erkennen. Aber in diesem Fall besteht kein Zweifel. Nachgemachte Diamanten haben einfach nicht dasselbe Funkeln.“

Ärgerlich sprang sie auf. „Ich möchte Ihren Vorgesetzten sprechen.“

„Ich bin hier der Chefjuwelier“, erwiderte Mr. Defore steif.

Natürlich. Das hatte sie ganz vergessen. Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. „Mein Vater, Oleg Grigory, hat das Diamantarmband, das sie gerade in der Hand halten, vor sechsundzwanzig Jahren in Ihrem Geschäft gekauft. Das müssen Sie doch irgendwo vermerkt haben. Führen Sie keine Kundenkartei?“

„Selbstverständlich. Das kann ich gleich nachprüfen. Einen Moment, bitte.“

Obwohl sie zum Stillsitzen eigentlich gerade viel zu unruhig war, setzte Alex sich wieder, während der Juwelier im Computer nachsah. Wie sehr ihr die Knie zitterten, musste er ja nicht unbedingt bemerken!

„Ah ja. Da ist es. Ihr Vater hat tatsächlich bei uns ein Diamantarmband gekauft. Allerdings nicht dieses hier, fürchte ich. Vielleicht hat Ihre Mutter die Imitationen in Auftrag gegeben und den echten Schmuck verkauft?“

Zuzutrauen wäre es ihr. Diese Erkenntnis versetzte Alex einen Stich. Beinahe trotzig erklärte sie: „Ich bleibe dabei. Ich bestehe auf einer zweiten Meinung. Wer ist der Geschäftsführer der Casa di Savoglia in New York?“

„Mr. Bernhard Hudson. Aber ich bezweifle, dass er heute Zeit hat. Wegen des Andrangs um den Ligurischen Diamanten ist er gerade sehr beschäftigt.“

„Dann sagen Sie ihm, dass es hier um die Juwelen von Kathryn Carlisle geht.“ Sonst benutzte sie den Namen ihrer Mutter nie, um sich Gehör zu verschaffen. Aber in ihrer Verzweiflung wusste sie einfach nicht, was sie noch tun konnte.

„Sie haben mich missverstanden, Miss Grigory. Er kann Sie heute wirklich nicht empfangen. Das ganze Geschäft ist momentan im Ausnahmezustand. Für morgen wird Ihnen meine Sekretärin aber bestimmt einen Termin organisieren.“

„Das dauert doch höchstens fünf Minuten.“ So leicht ließ sie sich nicht abschütteln! „Ich werde auf ihn warten.“

„Völlig unmöglich! Und ich muss sie auch bitten, mein Büro jetzt zu verlassen. Der nächste Kunde wartet bereits.“

„Bitte, Mr. Defore“, flehte sie, krampfhaft darum bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. „Ich bin extra aus Los Angeles hierhergeflogen. Wenn ich könnte, würde ich den Geschäftsführer morgen treffen, aber mein Rückflug geht bereits heute Abend.“

„Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, Miss. Mr. Hudson ist heute nicht erreichbar. Ich kann nichts weiter für Sie tun.“

„Oh doch! Das können Sie sehr wohl! Ihr Geschäftsführer muss schließlich irgendwann einmal eine Pause machen. Ist es nicht doch irgendwie möglich, dass ich ihn heute noch sprechen kann?“

„Nein, wirklich nicht.“

„Und das nennen Sie Kundenservice?“, rief sie wütend. „Sie könnten ihn ja wohl wenigstens einmal anrufen. Ihm erklären, wer ich bin. Sagen Sie ihm, es geht um Leben und Tod!“ Ihre Stimme überschlug sich förmlich.

Ungerührt drückte der Juwelier auf einen Knopf unter seiner Schreibtischplatte. Die Handbewegung war mehr als unauffällig, doch Alex entging sie trotzdem nicht. Sicherlich rief er jetzt das Wachpersonal, um sie hinauszuwerfen. Und wenn schon. Sie musste alles auf eine Karte setzen. Der Verkauf der Schmuckstücke war ihre letzte Chance, jemals wieder schuldenfrei zu sein. Dafür lohnte es sich ja wohl, zu kämpfen.

Schon als Kind hatte ihre Mutter immer gesagt, sie sei so hartnäckig und stur wie ihr Vater. Vielleicht schlugen da ja wirklich ihre Grigory-Gene durch. Mit ihrer Mutter hatte sie jedenfalls nie besonders viel gemeinsam gehabt. Nicht einmal äußerlich. Kathryn ähnelte mit ihrem platinblonden Haar, der kurvenreichen Figur und ihren ausgeprägten Starallüren der Monroe, während ihre schlanke, einen Meter fünfundsiebzig große Tochter oft mit Greta Garbo verglichen wurde. Alex selbst hatte darüber immer gelacht. Für sie war es kein Kompliment, mit Filmstars verglichen zu werden. Die Glitzerwelt zog sie nicht an. Viel lieber arbeitete sie hinter den Kulissen. Und für eine besondere Schönheit hatte sie sich auch nie gehalten. Vor allem ihre unkontrollierbaren Locken bereiteten ihr Kopfzerbrechen.

Das heißt, sofern sie überhaupt einmal einen Gedanken an ihr Aussehen verschwendete. Aufgrund des frühen Todes ihres Vaters und die eisige Gleichgültigkeit ihrer Mutter hatte sie meist andere Dinge im Kopf. So wie damals mit achtzehn, als Kathryn sie ohne einen Cent vor die Tür gesetzt hatte. Ohne ihr ehemaliges Kindermädchen Betty, das sie glücklicherweise nach einigem Suchen ausfindig gemacht hatte, hätte sie völlig allein dagestanden. Betty war es auch gewesen, die ihr den Job bei Michelle im Make-up-Studio verschafft hatte. Dafür würde sie ihr ewig dankbar sein. Auch wenn sie eigentlich bis heute von einem ganzen anderen Beruf träumte.

Aber diesen Traum würde sie sich endgültig aus dem Kopf schlagen müssen, wenn dieses Schmuckkästchen tatsächlich nur billige Imitationen enthielt. Dank der Schulden ihrer Mutter würde sie die Studiengebühren niemals aufbringen können.

Nein, Mr. Defore musste sich irren. Oder die Bank hatte sich geirrt, und es gab noch ein zweites Schmuckkästchen in dem Safe. Auf alle Fälle würde sie das aufklären!

Lucca von Castelmare, der vierunddreißigjährige Thronfolger des Fürstentums, saß in einem bequemen Ledersessel im Sicherheitszentrum der Casa di Savoglia in New York und beobachtete konzentriert, was auf den zahlreichen Monitoren vor sich ging. Die strategisch platzierten Überwachungskameras lieferten gestochen scharfe Bilder aus allen Räumen. Nichts Ungewöhnliches blieb hier unbemerkt.

New York war die letzte Station auf seiner langen Geschäftsreise, die ihn beinahe um die ganze Welt geführt hatte. Leider gab es jetzt wirklich keinen Grund mehr, die Rückreise nach Castelmare noch länger hinauszuzögern. Das Wiedersehen mit seinen Eltern, dem er schon seit Wochen aus dem Weg ging, stand unmittelbar bevor. Normalerweise kehrte er gern nach einer Reise in sein Elternhaus zurück. Diesmal aber würde die Rückkehr sein ganzes Leben verändern. Für immer.

Was ist denn da los? Plötzlich erregten die Geschehnisse auf einem der Monitore seine Aufmerksamkeit. Eine Kundin schien gerade seinem Chefjuwelier eine Szene zu machen. Er schaltete den Ton ein und hörte aufmerksam zu.

Hatte sie gerade den Namen Grigory erwähnt? Gehörte die junge Frau etwa zu der berühmten russischen Adelsfamilie? Neugierig begann er in der digitalen Kundenkartei zu recherchieren. Dann stutzte er ein weiteres Mal. Kathryn Carlisles Tochter? Er hatte nicht einmal gewusst, dass die Filmdiva ein Kind hatte. Von einer besonders ausgeprägten Ähnlichkeit konnte man auch nicht sprechen. Außer vielleicht, was die Temperamentsausbrüche betraf.

Defore machte keine Fehler. Genau deshalb hatte er ihn ja vor drei Jahren zum Chefjuwelier befördert. Aber die Entschlossenheit, mit der die junge Frau dem Experten entgegentrat, war mindestens ebenso bewundernswert wie dessen Kompetenz. Anscheinend hatte die Diva in einem finanziellen Engpass ihren Schmuck verkauft, ohne ihre Tochter darüber zu informieren.

Als der Chefjuwelier den Alarm auslöste, hielt Lucca den Wachmann, der sofort aufgesprungen war, mit einer lässigen Handbewegung zurück. „Lassen Sie nur. Ich mach das schon.“ Vor der Tür warteten seine beiden Bodyguards. Mit einem Nicken bedeutete er ihnen, ihm zum Ende des Ganges zu folgen, wo Defore sein Büro hatte.

„Warten Sie bitte hier auf mich. Und lassen Sie niemanden herein“, wies er sie, die Hand bereits auf der Klinke, an. Dann trat er ein.

Dem Juwelier blieb einen Moment der Mund offen stehen, als er sah, wer da anstelle des angeforderten Wachmanns zur Tür hereinkam.

Noch nie zuvor hatte Lucca sich in Defores Verhandlungen eingemischt. Bisher hatte es dazu auch keinen Grund gegeben. Aber irgendwie faszinierte ihn diese junge Frau mit der ungewöhnlichen Familiengeschichte.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, übernehme ich.“

„Se…selbstverständlich nicht, Sir.“

Als sein Chefjuwelier gegangen war, wandte Lucca sich der Besucherin zu. Ihre zorngeröteten Wangen und funkelnden Augen zeugten noch von dem heftigen Streit, der hier gerade stattgefunden hatte.

„Signora Grigory?“

Nach kurzem Zögern nahm Alex seine ausgestreckte Hand. Sie atmete tief durch und sagte mit zitternder Stimme: „Es ist mir schrecklich peinlich, dass Mr. Defore Sie rufen ließ. Aber alles, was ich verlangt habe, war eine kurze Unterredung mit dem Geschäftsführer.“

So so, sie hielt ihn also für einen Wachmann. Nur mühsam unterdrückte er ein Lächeln. Auch aus der Nähe betrachtet, sah sie ihrer Mutter nicht sehr ähnlich. Sie wirkte viel natürlicher und doch auf ungekünstelte Weise elegant. Besonders anziehend fand er die wilden dunkelblonden Locken, die ihr schmales Gesicht umspielten. Und nur eine Frau mit langen schlanken Beinen und zarten Kurven wie sie schaffte es, in einer dunkelblauen Plisseebluse und cremefarbenen Hosen im Vierziger-Jahre-Stil so feminin und anziehend auszusehen.

Nein, vorerst würde er das Missverständnis nicht aufklären. Dank der Regenbogenpresse und unzähliger erlogener Geschichten über den Playboy-Prinzen von Castelmare kam es viel zu selten vor, dass er nicht erkannt wurde. Was für eine Wohltat, wie ein normaler Mensch behandelt zu werden!

„Sie sagten, es ginge um Leben und Tod?“, fragte er schließlich.

Nervös strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. „Ja“, gab sie zu. „Aber ich hatte keine Ahnung, dass das gesamte Gespräch aufgezeichnet wurde.“

Er zuckte die Schultern. „In diesem Geschäft geht es nun einmal nicht anders. Wir müssen gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen.“

„Verstehe.“

„Warum setzen wir uns nicht einen Augenblick?“

„Danke. Heute haben Sie sicherlich besonders viel zu tun. Ich wollte Sie wirklich nicht von Ihrer Arbeit abhalten.“

Mit so viel Höflichkeit und Rücksichtnahme hatte er bei Kathryn Carlisles Tochter absolut nicht gerechnet. Jetzt, wo sie sich ein wenig beruhigt hatte, klang ihre Stimme tiefer und ein wenig heiser. Unglaublich sexy, wie er fand.

„Keine Sorge. Eine ganze Armee von Sicherheitsleuten ist allein mit der Bewachung des Ligurischen Diamanten beschäftigt“, beschwichtigte er sie. Dann zeigte er auf das Schmuckkästchen, das sie in den Händen hielt und bat: „Darf ich mir das einmal anschauen? Jeder Mitarbeiter der Casa di Savoglia wird dazu ausgebildet, einen echten von einem nachgemachten Diamanten unterscheiden zu können.“ Das war nicht einmal gelogen.

Als sie ihm das Kästchen gab, streiften ihre Finger für einen kurzen Moment die seinen. Noch als er das Armband mit der Lupe untersuchte, spürte er an der Stelle, wo sie ihn berührt hatte, ein Prickeln auf der Haut.

Sekunden später sagte er seufzend: „Ich fürchte, Mr. Defore hatte recht. Dieses Armband ist nicht echt.“ Er gab ihr die Schatulle zurück und fügte hinzu: „Genau genommen, ist es nicht einmal eine besonders gute Nachbildung.“ Dann stand er auf und schaltete die Überwachungskamera und das Mikrofon ab. Ein Sicherheitsrisiko bestand schließlich nicht, und er wollte etwas mehr Privatsphäre. Als er sich wieder setzte, war aus ihrem Gesicht sämtliche Farbe gewichen.

„A…aber mein Vater …“, stammelte sie.

„Ihr Vater hat bei uns vor Jahren tatsächlich ein solches Armband gekauft. Ich habe im Computer nachgesehen. Damals kostete es bereits eine halbe Million Dollar. Heute wäre es vermutlich mehrere Millionen wert.“

Wenn allein das Armband so viel wert ist, hätte ich die Schulden also durch den Verkauf des Schmuckes bezahlen können! Mutlos sank Alex auf dem Stuhl zusammen. Dass ihre Mutter Geheimnisse vor ihr hatte, war eigentlich nichts Neues. Doch dieses Geheimnis traf sie besonders hart.

„Es tut mir wirklich leid, Signora.“

Ein kaum unterdrücktes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht. Eine Geste, die ihn zutiefst berührte.

„Wissen Sie, ob es für die Schmuckstücke eine Versicherung gab?“

Fast eine Minute verstrich, ehe sie antworten konnte. Schließlich sah sie ihm in die Augen und erwiderte leise: „Der Anwalt wusste nichts von einer Versicherung.“

„Das muss ein ziemlicher Schlag für Sie sein.“

„Ein Schlag?“, rief Alex aufgelöst. „Sie machen sich gar keine Vorstellung, was das für mich bedeutet! Ich muss einfach einen Weg finden, ihre Schulden zu tilgen! Der Verkauf der Diamanten war meine letzte Rettung.“

„Kann Ihr Mann Ihnen nicht aushelfen?“

Sie senkte den Blick. „Nein, ich bin nicht verheiratet. Nach den sechs Ehen meiner Mutter ist mir daran die Lust vergangen.“

„Ich verstehe. Und einen Freund oder Lebenspartner haben Sie auch nicht?“

Energisch warf sie den Kopf in den Nacken, sodass die blonden Locken flogen. „Selbst wenn ich einen hätte, würde ich ihn nicht um Geld bitten. Schon gar nicht um zwölf Millionen.“

Für einen kurzen Moment blitzte so etwas wie Anerkennung in seinen Augen auf. „Haben Sie denn sonst noch Familie? Geschwister zum Beispiel?“

„Nein, ich bin ein Einzelkind.“

„Und Ihre Mutter hat Sie in Ihrem Testament als Erbin der Diamanten eingesetzt?“

„Nein. Ein Testament hat sie gar nicht gemacht.“

Verwundert starrte er sie an. Kathryn Carlisle mit all ihren Filmmillionen und steinreichen Ehemännern hatte kein Testament gemacht, um ihre Tochter abzusichern? „Wieso denn nicht?“, entfuhr es ihm.

„Wieso nicht? Fragen Sie lieber, warum Sie mich überhaupt in die Welt gesetzt hat! Schließlich hat sie mich nie gewollt – und übrigens auch nie öffentlich von mir gesprochen. Wahrscheinlich hatte sie irgendwann vergessen, dass es mich überhaupt noch gab.“ Mit einem resignierten Blick auf das Schmuckkästchen fügte sie hinzu: „Damit wollte ich retten, was von ihrem angeschlagenen Ruf noch übrig war. Ich kann es nicht ertragen, dass ihre Gläubiger sie sogar noch nach ihrem Tod durch den Schmutz ziehen. Furchtbar, wenn so über die eigene Mutter gesprochen wird! Ich habe es einfach satt, das ist alles.“

„Wie hoch war denn Ihre Mutter verschuldet?“

„Mit über zwölf Millionen Dollar.“

Nicht gerade eine Kleinigkeit! „Was ist mit Ihrem Vater? Mir ist bekannt, dass Ihre Eltern schon seit Langem getrennt sind, aber würde er Ihnen zuliebe nicht trotzdem einen Teil der Schulden übernehmen?“ An Geld mangelte es der Grigory-Familie schließlich nicht.

„Mein Vater kann mir leider auch nicht helfen.“

„Weiß er denn von Ihrer Situation?“

„Er starb, als ich noch ein Baby war.“

Trotzdem wollte Lucca nicht aufgeben. Irgendeine Lösung musste es doch geben. „Haben Sie überhaupt keine Verwandten? Einen Onkel oder Großeltern?“

„Nein, meine Mutter ist im Waisenhaus aufgewachsen. Hören Sie, es ist nett, dass Sie mir helfen wollen. Doch es gibt niemanden, der mich aus dieser Situation befreien könnte. Ich habe bereits den gesamten Besitz meiner Mutter verkauft. Bis auf die Filme, für die ich leider nicht das Copyright habe, existiert nichts, das noch an die Existenz von Kathryn Carlisle erinnert.“

Entschlossen streckte sie ihm das Schmuckkästchen hin. „Würden Sie Mr. Defore bitten, das hier samt Inhalt zu entsorgen? Ich möchte es nie wieder sehen, und ich weiß, ich kann mich auf seine Verschwiegenheit verlassen.“

Ehe Lucca noch etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: „Vielen Dank, dass Sie so verständnisvoll waren. Jeder andere hätte mich festgenommen. Und sagen Sie Mr. Defore auch, dass ich mich vielmals für mein unpassendes Verhalten entschuldige. Ich finde, der Mann verdient eine Gehaltserhöhung für seine Geduld!“

„Ich werde es ausrichten.“

„Danke. Auch wenn ich es nur ungern zugebe. Einige Carlisle-Eigenschaften habe ich wohl doch geerbt.“

Er lächelte amüsiert.

„Wissen Sie, während unserer Unterhaltung habe ich ausgerechnet, wie lange ich brauchen werde, die Schulden meiner Mutter abzustottern und ihren Ruf wenigstens halbwegs wiederherzustellen.“

Sein Gesicht wurde ernst.

„Wenn ich jeden Monat fünfhundert Dollar abzahle – mehr kann ich mir bei meinem Gehalt einfach nicht leisten – wird es nur zweitausend Jahre dauern, bis ich schuldenfrei bin. Das ist doch eine wundervolle Aussicht.“ Ihr Lachen klang bitter, doch sie bemühte sich, Haltung zu bewahren.

Schließlich stand sie auf, nahm ihre Tasche und verkündete: „Eigentlich hätte ich wissen sollen, dass die Diamanten Fälschungen sind. Im Leben meiner Mutter war ja alles nur schöner Schein. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so lange mit meinen Problemen aufgehalten habe. Ich weiß selbst nicht einmal, warum ich Ihnen das alles erzähle.“ Mit großen Schritten ging sie zur Tür.

„Nicht so schnell, Signorina Grigory“, hielt er sie zurück. „Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.“ So gebieterisch hatte es gar nicht klingen sollen. Aber das war eben ein Erbteil seines Vaters, den er genauso wenig kontrollieren konnte wie sie ihre Carlisle-Gene.

Überrascht wandte sie sich um. „Also werden Sie mich doch für mein Verhalten zur Verantwortung ziehen?“

„Unsinn!“, erwiderte er knapp. Nichts lag ihm ferner. Bei so vielen Schicksalsschlägen konnte er ihren kleinen Ausraster nur zu gut verstehen. „Sie haben sich nichts zu Schulden kommen lassen. Ich würde nur gern noch etwas mehr über Ihre Situation erfahren.“

Skeptisch zog sie die Augenbrauen hoch. „Und was soll das bringen? Das ist ganz allein meine Sache! Falls Sie auf ein signiertes Foto meiner Mutter aus sind, muss ich Sie enttäuschen. Ich habe keins und hatte auch nie welche.“

„Was ich will, hat mit Ihrer Mutter nicht das Geringste zu tun“, sagte er und stand auf. „Das können Sie mir glauben. Hören Sie mir nur ein paar Minuten zu. Mehr verlange ich gar nicht.“ Als sie zögerte, fügte er hinzu: „Für Ihr Problem gibt es nämlich sehr wohl eine Lösung.“

Sie lachte ungläubig. „Ach ja? Können Sie etwa die Lotterie so manipulieren, dass ich gewinne?“

„Im gewissen Sinne schon.“

Verwirrt starrte sie ihn an.

„Ich finde, wir sollten uns erst einmal wieder setzen, ehe wir weiterdiskutieren.“

Sie schwankte. Was sollte sie dazu sagen? Sie brauchte Hilfe, er war davon überzeugt, dass er sie ihr geben konnte. Vielleicht sollte sie es auf einen Versuch ankommen lassen?

„Als Erstes möchte ich mich jedoch vorstellen. Mein Name ist Lucca Umberto Schiaparelli Vittorio.“

2. KAPITEL

Sprachlos betrachtete Alex den gut aussehenden schwarzhaarigen Mann. Eine geschlagene Viertelstunde hatte sie mit ihm über sehr persönliche Einzelheiten ihres Lebens gesprochen, ohne auch nur zu ahnen, wer da vor ihr saß.

Dabei hätte sie eigentlich darauf kommen können, dass Wachmänner in der Regel keine Maßanzüge aus hellgrauer Seide trugen. Auch seine Umgangsformen erschienen bei genauerer Betrachtung viel zu geschliffen, seine Gesten zu gesetzt, als dass er zum Sicherheitsdienst des Geschäfts gehören konnte. Alles an ihm wirkte aristokratisch. Einmal davon abgesehen, dass er auch noch der attraktivste Mann war, dem sie je begegnet war.

Jetzt erinnerte sie sich auch, sein Bild öfter auf den Titelseiten diverser Klatschmagazine gesehen zu haben. Aber weil in den gleichen Blättern auch immer irgendwelche Skandalgeschichten über ihre Mutter standen, hatte sie sich nie sonderlich dafür interessiert. Außerdem hatte sie aus den Erfahrungen ihrer Mutter gelernt, dass die bestaussehenden Männer nicht unbedingt auch die liebenswertesten waren. Und mit der Glitzerwelt der High Society wollte sie sowieso nichts zu tun haben. Trotzdem musste sie zugeben, dass der Thronfolger von Castelmare eine außergewöhnliche Ausstrahlung hatte. Und dass sie sich seinem Charme nur schwer entziehen konnte.

Klar, dass ein Mitglied der Fürstenfamilie hier war, immerhin wurde heute der Ligurische Diamant gezeigt. Oh Mann! Und sie hatte ihm einfach ihr Herz ausgeschüttet. Wie peinlich!

„Sie haben mich angelogen“, stieß sie ärgerlich hervor.

„Wenn Sie damit meinen, dass ich Sie nicht berichtigt habe, als Sie mich für einen Wachmann hielten, bekenne ich mich schuldig.“

„Machen Seine Playboy-Hoheit das öfter so? Oder fanden Sie es besonders spaßig, Kathryn Carlisles Tochter auszuhorchen, während sie am Boden ist?“ Wütend funkelte sie ihn an. „Gratuliere, bis eben habe ich noch geglaubt, dass mein Tag nicht noch schlimmer werden könnte!“

Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür. Energisch riss sie sie auf und erstarrte. Vor ihr stand ein zwei Meter großer Bodyguard mit Schultern so breit wie ein Wandschrank und versperrte ihr den Weg. Und als ob das nicht genügte, stand dahinter noch ein zweiter von ähnlichem Format.

Natürlich! Wütend knallte sie die Tür wieder zu. Der Thronfolger von Castelmare machte selbstverständlich keinen Schritt ohne seine Leibwächter. Nicht einmal, wenn er sich üble Scherze erlaubte.

Als sie sich umwandte, blickte sie direkt in sein amüsiertes Gesicht. Die starken Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er lässig an Mr. Defores Schreibtisch.

Das genügte, um sie vollends auf die Palme zu bringen. „Lassen Sie mich raten. Sie sind der Lottogewinn? Vorausgesetzt, ich lasse mich auf gewisse Gegenleistungen ein, versteht sich. Fehlt Ihnen der Typ ‚Tochter einer Filmdiva‘ noch in der Sammlung Ihrer Gespielinnen?“ Verächtlich musterte sie ihn von oben bis unten. „Meine Mutter mag auf Kerle wie Sie hereingefallen sein. Ich für meinen Teil bin nicht käuflich. Für kein Geld der Welt!“

„Ich bin froh, das zu hören“, erwiderte er gelassen. „Aber so anziehend ich Sie finde, ich bin nicht auf die Art von Gegenleistung aus, an die Sie dachten. Allerdings muss ich zugeben, dass ich tatsächlich etwas sehr dringend brauche, das Sie mir geben können. Wenn Sie meinem Vorschlag zustimmen, wäre das größte Problem meines Lebens gelöst. Und Ihres auch. Also kommen Sie zurück, und setzen Sie sich, damit ich es Ihnen erklären kann. Es wird nämlich ein Weilchen dauern.“

„Ich soll etwas haben, das Sie brauchen? Kann ich mir nicht vorstellen!“

„Das glaube ich Ihnen gern.“ Er lachte. „Geben Sie mir trotzdem eine halbe Stunde Zeit?“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Mein Rückflug geht noch heute Abend. Ich kann leider nicht.“

„Nicht einmal, wenn dieses Gespräch die Schulden Ihrer Mutter ein für alle Mal beseitigen würde? Als Sie vorhin riefen, es ginge um Leben und Tod, da glaubte ich, sie meinten es ernst.“

„Das tue ich auch.“

Er atmete tief durch. „Vielleicht macht es für Sie ja einen Unterschied, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich in einer ebenso schwierigen Situation befinde wie Sie?“

Irgendetwas, der Ausdruck in seinen dunklen Augen, die ernste Tonlage seiner angenehmen, männlichen Stimme, überzeugte sie, dass er es ernst meinte. Sie konnte sich seinen Vorschlag ja wenigstens einmal anhören.

„Also gut. Ich gebe Ihnen fünf Minuten.“

Mille grazie! Bitte setzen Sie sich.“

Widerstrebend kam sie seiner Aufforderung nach, während er sein Mobiltelefon aus der Tasche zog und ein kurzes Gespräch auf Italienisch führte. Dann ging er zum Computer, druckte etwas aus und gab es ihr.

„Ihre Mutter war mit einem Aristokraten verheiratet. Einem Fürsten. Wussten Sie das?“

„Vier der Ehemänner meiner Mutter führten irgendeinen Titel. Allerdings haben sich später alle als Hochstapler herausgestellt. Wie ich schon sagte: In ihrem Leben war alles nur schöner Schein.“

Nachdenklich blickte er sie an. „Ihr Vater war kein Hochstapler.“

„Nein, der war ein echter Casino-Besitzer und vermutlich mit der russischen Mafia im Geschäft.“

„Alles nur Gerüchte“, wischte er ihren Kommentar ungeduldig beiseite. „Lesen Sie, was auf dem Papier steht. Ich bin sicher, das interessiert Sie.“

Widerwillig las Alex den Zeitungsartikel:

Mit der Oktoberrevolution von 1917 wurde der Adel in Russland offiziell abgeschafft. Unzählige Mitglieder der russischen Aristokratie sahen sich daher gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie emigrierten in aller Herren Länder: nach England, Frankreich und in die USA.

In den Zwanzigern und Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts gründeten sie in ihrer neuen Heimat exklusive Clubs wie zum Beispiel die Russian Nobility Association in New York. Mitglieder können nur Nachfahren von Personen werden, die in den Verzeichnissen des Adelsarchivs gelistet sind. Titel, Stammbäume und Fotos sind auf Anfrage von Angehörigen einsehbar.

Was hatte das zu bedeuten? Verwirrt blätterte sie um. Auf dem nächsten Blatt stand eine lange Liste von Namen. Auf einmal stutzte sie. Fürst Oleg Rostokov Grigory, geboren 1958 in New York als Sohn des Fürsten Nicholas Grigory und der Fürstin Vladmila Rostokova.

Mein Vater!

Mit zitternden Fingern zog sie die letzte Seite hervor und starrte wie versteinert auf das Bild eines attraktiven dunkelblonden Mannes, der kaum älter als achtzehn Jahre sein konnte. Die Ähnlichkeit ließ keinen Zweifel zu. Das war wirklich ihr Vater! Unglaublich!

Während sie noch versuchte, diese unerwartete Entdeckung zu verdauen, kam ein Butler herein und stellte zwei Gläser mit Zitronenlimonade auf den Tisch.

„Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, dass Ihr Vater etwas mit der Mafia zu tun hatte?“, erkundigte sich Lucca und schob ihr eines der Gläser zu.

„Eines meiner Kindermädchen hat mir das erzählt. Später, als ich begriff, was das bedeutete, schämte ich mich deswegen. Und Angst hatte ich, ehrlich gesagt, auch. Nachforschungen habe ich nie angestellt. Ich befürchtete, dass ich dadurch vielleicht die Aufmerksamkeit irgendwelcher Mafiosi auf mich lenken würde. Das klingt jetzt vielleicht dumm, aber meine Mutter hatte meine ganze Kindheit hindurch in der Wahl ihrer Ehemänner einen so schlechten Geschmack bewiesen …“ Sie stockte kurz. „Jedenfalls hielt ich es durchaus für möglich, dass mein Vater ein Verbrecher gewesen sein könnte. Und mehr wollte ich gar nicht wissen.“

Schweigend nahm er einen Schluck von seinem Getränk. Dann sagte er leise: „Sie haben wirklich viel durchgemacht, Signorina Grigory! Nichts kann all dies ungeschehen machen. Doch je eher die Schulden Ihrer Mutter beglichen sind, desto eher können Sie ein neues Leben beginnen.“

Auf einmal stieg wieder die Wut in ihr hoch. „Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Empfehlen Sie mir etwa, plötzlich wie die verschollene Prinzessin Anastasia an der Tür der Grigorys aufzutauchen und sie um Geld zu bitten? Das würde ich niemals tun!“

„Das wollte ich damit auch gar nicht sagen“, erwiderte er ruhig. „Ich dachte nur, es würde Sie vielleicht ein wenig trösten, dass Sie nicht völlig ohne Familie dastehen. Leider leben Ihre Großeltern nicht mehr. Aber der Bruder Ihres Großvaters, Ihr Großonkel Jurij, lebt noch. Er wohnt hier in New York. Wenn Sie möchten, kann ich ein Treffen mit ihm arrangieren.“

Und wieder hatte er es geschafft, sie sprachlos zu machen. Um wenigstens irgendwie zu reagieren, nahm sie ihr Glas und leerte es in einem Zug. Danach hatte sie ihre Stimme wieder halbwegs im Griff. „Dank Ihnen habe ich jetzt eine Identität, von der ich bis vor einer halben Stunde nicht einmal ahnte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet! Aber ich verstehe immer noch nicht, was das alles mit Ihnen zu tun hat.“ Und wie das sein Problem lösen sollte – was auch immer es sein mochte.

Einen Augenblick schwieg er. Dann räusperte er sich und begann: „Mein bisheriges Leben war so ziemlich das genau Gegenteil von Ihrem. Ich wuchs im Kreis einer liebevollen Familie auf, hatte immer gute Freunde, auf die ich mich blind verlassen konnte. Alles war perfekt, bis auf eine unangenehme Pflicht, die mir auferlegt wurde und deren noch ausstehende Erfüllung bis heute zwischen mir und meinem Vater steht.“

„Verlangt er etwa, dass Sie Ihr fröhliches Junggesellendasein aufgeben und sich auf eine einzige Frau beschränken?“

Er ignorierte ihre spitze Bemerkung und fuhr fort: „Schon vor meiner Geburt stand fest, dass ich nur eine Frau aus höchsten Adelskreisen heiraten können würde. Als kleiner Junge war ich überzeugt, dass alle Prinzessinnen eingebildet, hässlich und gemein waren außer meiner Schwester, versteht sich.“

Obwohl sie sich krampfhaft bemühte, ernst zu bleiben, lachte Alex laut auf. „Ich habe in der Zeitung Bilder der Prinzessinnen gesehen, mit denen Sie ausgegangen sind, und keine einzige von ihnen war hässlich.“

„Das stimmt schon“, räumte er grinsend ein. „Die meisten Damen, die meine Eltern für passende Ehefrauen hielten, waren hübsch, gebildet und nicht halb so gemein wie befürchtet. Sie hatten nur einen Fehler: In keine von ihnen habe ich mich je verliebt.“

Wieso sah er sie plötzlich so seltsam an? Oder bildete sie sich das nur ein?

„Ist Ihnen das auch schon einmal passiert?“, fragte er schließlich. „Dass sie jemanden kennenlernen, der all die richtigen Eigenschaften hat und für den sie trotzdem nichts empfinden? Der einfach Ihr Herz nicht zum Klopfen bringt?“

Einmal? Mindestens zehnmal! „Um ehrlich zu sein, gab es bisher nur einen einzigen Mann, der mir Herzklopfen bereitet hat. Und zwar der Schauspieler Errol Flynn. Als ich ihn in ‚Robin Hood – König der Vagabunden‘ sah, war ich derart begeistert, dass mein Kindermädchen immer wieder mit mir den Film schauen musste. So an die zwanzigmal, schätze ich.“

Lucca lachte laut auf. „Dass er sogar so viele Jahre nach seinem Tod noch eine solche Wirkung auf Mädchenherzen hat. Wirklich beneidenswert!“

„Ja, manche Menschen sind so. Einfach faszinierend.“ So wie der umwerfend gut aussehende und auffallend intelligente Prinz, der gerade vor ihr saß.

„Faszinierend“, wiederholte er nachdenklich. „Was meinen Sie damit? Die richtige Mischung aus körperlicher und geistiger Anziehung?“

„Genau“, sagte sie leise und spürte, wie sie unter seinem intensiven Blick errötete.

„Danach suche ich auch in meiner zukünftigen Ehefrau. Bisher allerdings leider ohne Erfolg. Vielleicht ist meine Auswahl einfach zu eingeschränkt.“

Zwar hatte Alexandra sich noch nie Gedanken über königliche Heiratspolitik gemacht, aber auf einmal wurde ihr klar, welchen Zwängen der Thronfolger von Castelmare unterworfen war. Seinen Lebenspartner nicht frei wählen zu dürfen! Und dann ein Leben lang an jemanden gekettet zu sein, den man nicht liebt! Eine furchtbare Vorstellung, auch wenn ihr selbst die glühende Leidenschaft bisher fremd war, die ihre Mutter unzählige Male auf der Leinwand verkörpert hatte.

„Vielleicht haben Sie ja nur noch nicht die Richtige getroffen“, versuchte sie, ihn aufzumuntern. „Theoretisch könnte doch jeden Tag eine Prinzessin in ihrem Leben auftauchen, die sowohl Ihnen als auch Ihren Eltern gefällt. Wie alt sind Sie denn?“

„Vierunddreißig.“

Also neun Jahre älter als ich. „Da haben Sie doch noch genügend Zeit zum Heiraten.“

„Eigentlich schon. Aber meine Eltern warten schon seit meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag darauf, dass ich mich endlich für eine Prinzessin entscheide und eine Familie gründe. Meine Mutter sagt immer: ‚Unverheiratet und kinderlos! Und das in deinem Alter! Das gehört sich einfach nicht für einen zukünftigen Fürsten, Lucca!‘“

Alex lachte. Ob sich wohl so viel Humor und schauspielerisches Talent für einen zukünftigen Fürsten gehörten? Doch dann wurde sie ernst. „Wenigstens ist es Ihrer Mutter nicht völlig egal, was Sie tun.“

„Das ist richtig. Allerdings geht es dabei auch noch um etwas anderes. Meinem Vater geht es gesundheitlich nicht gut. Für ihn wäre es das Beste, schnellstmöglich abzudanken und sich zur Ruhe zu setzen. Ich kann aber erst den Thron besteigen und ihn von der Last der Verantwortung für ein ganzes Land befreien, wenn ich eine Frau gefunden habe und verheiratet bin. So ist nun einmal das Gesetz.“

„Kann man das Gesetz nicht ändern?“

„Leider nein“, sagte er seufzend. „Deshalb erinnern meine Mutter und Schwester mich auch quasi täglich daran, dass nur ich als der einzige Sohn und Thronfolger das Leben meines Vaters verlängern kann. Und zwar indem ich so schnell wie möglich heirate.“

Und sie hatte gedacht, ihre Lage wäre verzwickt! „Was fehlt Ihrem Vater denn?“, erkundigte sie sich mitfühlend.

„Er hatte Lungenkrebs und ist von der langen Krankheit sehr geschwächt.“

„Wie schrecklich!“

Er nickte. „Deshalb habe ich keine Wahl. Ich muss schnellstmöglich eine Frau finden.“

Alex räusperte sich. „Gibt es denn in ihrem adeligen Bekanntenkreis keine Frau, für die Sie etwas empfinden? Es muss ja nicht unbedingt Liebe sein. Freundschaft wäre doch zumindest schon einmal ein Anfang.“

Die gab es wohl. Kronprinzessin Sofia, eine langjährige Freundin. Doch weder er noch sie hatten jemals irgendwelche romantischen Ideen bezüglich einer gemeinsamen Zukunft im Kopf gehabt. Auch wenn seine Eltern natürlich gehofft und eine Zeit lang sogar erwartet hatten, dass er früher oder später um ihre Hand anhalten würde. Niemand, nicht einmal Sofias Familie, wusste, dass sie vorhatte zugunsten ihrer jüngeren Schwester auf ihren Titel zu verzichten und als Entwicklungshelferin nach Afrika zu gehen. Mit der offiziellen Verkündung ihrer Entscheidung wollte sie allerdings bis nach Luccas Hochzeit warten. Und er respektierte ihren Wunsch.

Von innerer Unruhe getrieben, stand er auf. „Das ist keine Lösung“, rief er. „Ich brauche eine Frau, die die Situation realistisch sieht und sich damit abfindet. Keine Illusionen, keine Lügen, kein falsches Spiel. Das mag ich nicht.“

„Sie meinen, eine Frau, die weiß, dass Sie sie nur auf Wunsch Ihrer Eltern heiraten und deshalb auch keine Liebe von Ihnen erwartet? Gibt es denn so jemanden?“

„Nicht unter den Heiratskandidatinnen, die mein Vater im Auge hat“, erwiderte er und sah ihr in die Augen, sodass ihr aus unerfindlichen Gründen plötzlich ganz heiß wurde. „Aber heute ist etwas Unglaubliches passiert“, fuhr er mit fester Stimme fort. „Ich habe eine Frau kennengelernt, die mich aus meinem Dilemma befreien kann. Sie ist adelig, Single und macht sich keine Illusionen, dass ich auf eine Liebesheirat aus bin. Im Gegenzug könnte ich ihr aus einer schwierigen Situation helfen, die sie allein nicht bewältigen kann.“

Mit einmal dämmerte es Alex, worauf er hinauswollte. Entsetzt starrte sie ihn an. Dann sprang sie kopfschüttelnd auf. „Sie sind verrückt! Das können Sie doch unmöglich ernst meinen!“

„Ich meine immer, was ich sage“, erwiderte er lässig. „Aber das werden Sie schon merken, wenn Sie mich erst ein wenig besser kennenlernen.“

„Sie schlagen also ernsthaft vor, die Schulden meiner Mutter zu begleichen, wenn ich dafür Ihre Ehefrau werde? Zwei wildfremde Menschen sollen heiraten und bis an ihr Lebensende eine unglückliche Scheinehe führen? Ohne Aussicht auf Liebe, Kinder und eine richtige Familie, damit Sie den Thron von Castelmare besteigen können?“

„Sie sehen das viel zu pessimistisch.“

„Wie ich das sehe, kann ich Ihnen sagen: Das Ganze ist absolut absurd!“

„Ach ja? Auf einen Schlag zwölf Millionen Dollar Schulden loszuwerden, anstatt zweitausend Jahre dafür zu schuften, kann ich überhaupt nicht absurd finden. Das Geld wäre mein Hochzeitsgeschenk, und im Gegenzug spielen Sie vor meinen Eltern und in der Öffentlichkeit die liebende Ehefrau.“

„Ich denke ja nicht im Traum daran“, schnaubte sie empört. Wofür hielt er sie eigentlich? Ihre Mutter wäre vielleicht auf einen solchen Kuhhandel eingegangen. Aber sie doch nicht! Sie hatte schließlich so etwas wie Selbstachtung!

Unbeeindruckt von ihrer Entrüstung, sagte er beinahe sanft: „Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sind für mich wie ein Geschenk des Himmels. Völlig unerwartet in mein Leben getreten, um uns beide aus einer scheußlichen Zwangslage zu befreien.“

Scheußlich war in der Tat das richtige Wort. Dass sie heute Abend nach Kalifornien zurückkehren und den Gläubigern ihrer Mutter mit leeren Händen entgegentreten musste, daran wollte sie am liebsten gar nicht denken.

„Unser Arrangement braucht ja gar nicht ewig zu gelten“, versuchte er, sie zu überzeugen.

„Nein, nur ‚bis dass der Tod uns scheidet‘. Wann soll die Hochzeit denn eigentlich stattfinden?“

„Am besten vorgestern“, erwiderte er und verdrehte die Augen.

„Natürlich.“ Vergeblich versuchte sie, ein Lächeln zu unterdrücken. Wie konnte dieser Mann nur gleichzeitig so charmant und so unmöglich sein?

„Der Hochzeitstermin steht schon fest: genau heute in einem Monat. Nach der Trauung in der Kathedrale soll gleich die Krönung stattfinden, da mein Vater vorher abdanken wird.“

„Kann man denn eine königliche Hochzeit in nur vier Wochen organisieren?“

„Nein. Aber das ist auch nicht nötig. Alles ist längst vorbereitet. Nur ein winziges Detail fehlt noch. Die Braut.“

„Wie schade, dass ich Ihnen da nicht helfen kann. Entschuldigen Sie, aber ich muss jetzt wirklich los. Ich habe einen Job in L. A. und kann es mir nicht erlauben, meinen Flieger zu verpassen.“ Das Bedauern in ihrer Stimme brauchte sie nicht einmal vorzutäuschen. Damit wandte sie sich zur Tür.

„Was haben Sie denn für einen Job?“

„Ich bin Visagistin in Hollywood.“

„Ihr Traumberuf?“, erkundigte er sich und folgte ihr zur Tür.

„Die Gesichter von Filmstars zu bemalen? Nein, nicht wirklich. Aber so kann ich mir wenigstens meinen Lebensunterhalt verdienen.“

Plötzlich kam er ganz nah zu ihr heran. So nah, dass ihr Herz auf einmal schneller schlug. „Verraten Sie mir, welchen Beruf Sie eigentlich gerne hätten?“

„Ich wäre gern …“, begann sie. Dann brach sie ab. Wozu Luftschlösser bauen? Das hatte ihr im Leben schließlich noch nie weitergeholfen.

„Ist es so etwas Außergewöhnliches, dass sie es nicht laut sagen können?“, neckte Lucca.

„Für mich schon.“

„Wollen Sie Astronautin werden und in einem Raumschiff um die Erde fliegen?“

Alex musste lachen. „Nein, ich will etwas sehr Bodenständiges.“

„Sie machen es aber spannend! Nun sagen Sie schon!“

„In meiner Situation ist das zwar ebenso unwahrscheinlich, wie einen echten Prinzen zu treffen, aber ich würde gern studieren und Schönheitschirurgin werden.“

„Und wieso ist das ein so unrealistisches Ziel?“

„Erstens müsste ich einen Job finden, bei dem ich genügend Geld verdiene, um sowohl die Studiengebühren als auch die Schulden meiner Mutter zu bezahlen.“

„Und zweitens?“

„Ich weiß nicht, ob ich den Aufnahmetest an der Universität bestehen kann.“

Einen Moment betrachtete er sie schweigend. Dann fragte er: „Was reizt sie eigentlich so sehr an der Schönheitschirurgie?“

„Meine Mutter wurde mehrfach zur schönsten Frau der Welt gekürt. Und ihre Eitelkeit brach sämtliche Rekorde. Aber es gibt viele Menschen, die entstellt sind und alles dafür geben würden, einfach nur ohne Abscheu in den Spiegel schauen zu können. Und genau diesen Menschen möchte ich helfen. Ihnen mit einem neuen Aussehen ein besseres Leben ermöglichen. Das ist mein Traum.“

„Ein sehr nobler Traum!“, sagte er und nickte anerkennend. „Warum verwirklichen Sie ihn nicht, wenn wir verheiratet sind?“

Wie bitte? Jetzt halluzinierte sie wohl!

„Wieso denn nicht?“ Anscheinend hatte er ihre Gedanken gelesen. „Sie könnten ohne Weiteres an der Universität von Castelmare in Capriccio Medizin studieren und ihren großen Traum wahr machen.“

Ein verlockendes Angebot! Beinahe unwiderstehlich. Aber sie konnte doch nicht einfach einen wildfremden Mann heiraten!

„Nicht alle Träume gehen in Erfüllung“, wischte sie ihre Zweifel beiseite. „Und ganz ehrlich, Sie wissen gar nicht, worauf Sie sich da einlassen. Ich würde jedenfalls nicht mit mir verheiratet sein wollen! Und Sie vergessen auch, dass ich kein Italienisch spreche und erst einmal die Sprache lernen müsste, bevor ich ein so anspruchsvolles Studium machen könnte. Im Moment beherrsche ich nämlich nur ein einziges Wort: Ciao!

Damit öffnete sie die Tür und wollte endgültig hinaus. Herrgott noch mal! Den Schrank von einem Bodyguard, der natürlich immer noch den Weg versperrte, hatte sie ganz vergessen. „Jetzt habe ich aber genug von diesem Unsinn!“, rief sie ärgerlich. „Wären Sie wohl so freundlich, Ihren Salvatore zurückzupfeifen? Ich …“

Ein lautes Lachen unterbrach ihren Wutausbruch. Anscheinend hatte er ihre Anspielung auf den berühmten Mafia-Bodyguard Salvatore Bartolotti verstanden, der in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts seinem Boss mehr als einmal mit spektakulären Aktionen das Leben gerettet hatte. Respekt! Der Prinz schien eine wirklich gute Allgemeinbildung zu haben. Und wenn er lachte, wirkte er noch anziehender. Soweit das überhaupt möglich war.

„Sein Name ist Carlo“, korrigierte er, noch immer grinsend.

„Von mir aus, Carlo. Ich muss jetzt wirklich gehen.“

„Was, wenn ich Sie nicht gehen lassen möchte? Ich warne Sie, ich bin noch hartnäckiger, als ich aussehe. Bitte denken Sie doch noch einmal darüber nach.“

Sie sind derjenige, der besser noch einmal nachdenken sollte“, versetzte sie. „Glauben Sie denn ernsthaft, Ihre Eltern würden in Jubel ausbrechen, wenn Sie mich als Ihre Braut vorstellen? Die Tochter von Kathryn Carlisle, die in ihrem Leben nur Skandale gemacht hat?“ Warum stand sie eigentlich noch immer hier und diskutierte mit ihm, anstatt lautstark darauf zu pochen, dass er sie endlich durchließ? Wieso ging sie nicht einfach?

„Ist das nicht mein Problem?“

„Nein, das ist es nicht. Und wird es auch niemals sein, denn ich werde Sie nicht heiraten! Stellen Sie sich nur einmal vor, was die Medien daraus machen würden! ‚Geld oder Liebe? Die bettelarme Tochter der gefallenen Filmgöttin Kathryn Carlisle angelt sich den millionenschweren Thronfolger von Castelmare‘“, zitierte sie.

Er grinste. „Ja, das gäbe in der Tat die eine oder andere Schlagzeile. Aber das bin ich gewöhnt. Und dass man diesen Blättern keine Beachtung schenken sollte, weil ohnehin nur lauter Lügen darin stehen, das wissen Sie doch ebenso gut wie ich.“

„In diesem Fall wäre es aber die Wahrheit. Und ich kann und will kein Geld von Ihnen annehmen. Erst recht keine zwölf Millionen Dollar.“

„Dann betrachten Sie es als ein Darlehen, Alexandra! Werden Sie Chirurgin, und zahlen Sie es mir zurück.“ Endlich einmal eine Frau, die ihm Paroli bot! Lucca konnte sich nicht erinnern, wann ihn das letzte Mal etwas so sehr fasziniert hatte wie diese dunkelblonde Schönheit. Dabei schien sie sich ihrer sinnlichen Ausstrahlung gar nicht bewusst zu sein.

Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, dass ihre Locken flogen. „Selbst wenn ich Italienisch lernen und die Aufnahmeprüfung der Universität schaffen würde, könnte ich frühestens in acht Jahren zu praktizieren beginnen.“

„Das macht nichts. Die Studiengebühren würde ich erst einmal übernehmen. Und später, wenn Sie anfangen zu arbeiten, zahlen sie sie nach und nach ab. So wie es Tausende von Studenten nach dem Studium mit ihren Bildungskrediten tun. Nur dass Sie natürlich bei mir wesentlich bessere Konditionen bekommen als bei irgendeiner Bank, versteht sich.“

Sie runzelte die Stirn. Anscheinend hatte er auf alles eine Antwort. „Ein Medizinstudium gehört wohl kaum zu den normalen Beschäftigungen einer Fürstin.“

„Meine Fürstin kann tun und lassen, was sie möchte – von ein paar repräsentativen Verpflichtungen einmal abgesehen.“

„Verstehe.“

„Außerdem werde ich ja auch kein normaler Fürst sein“, fügte er mit einem jungenhaften Grinsen, das ihren ohnehin schon heftigen Herzschlag noch spürbar beschleunigte, hinzu.

Was er damit wohl meinte?

„Wenn Sie wollen, können Sie schon morgen Ihre erste Italienischstunde nehmen. Ich werde alles für Sie arrangieren. In sechs Wochen beginnt das nächste Semester. Also direkt nach unserer Hochzeitsreise. Passt doch perfekt.“

„Ja, Ihnen vielleicht. Erstens bin ich im Erlernen von Fremdsprachen ganz furchtbar, und zweitens gehe ich nirgendwo mit Ihnen hin. Schon gar nicht auf Hochzeitsreise! Wie stellen Sie sich das denn vor? Ich habe eine Wohnung und einen Job in L. A.!“

„Darüber lassen Sie uns später reden“, erwiderte er mit einem Blick auf die Uhr. „Was halten Sie davon, wenn wir jetzt ihren Großonkel Jurij besuchen? Er ist Konsul des Russischen Generalkonsulates in New York und wird sicher vor Freude außer sich sein, die Enkelin seines Bruders kennenzulernen.“

Ehe sie noch widersprechen konnte, nahm er sie am Ellbogen und schob sie an seinem Bodyguard vorbei in den Flur.

„Falls Sie sich vorher noch etwas frischmachen wollen, die Damentoilette ist am Ende des Ganges links. Aber beeilen Sie sich! Wir haben noch viel zu besprechen, ehe wir heute Abend an Bord meines Privatjets gehen. Oh, und noch etwas: Mein Name ist Lucca. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich ab jetzt so nennen würden!“

3. KAPITEL

„Darf ich vorstellen? Ihre Großnichte Alexandra Carlisle Grigory.“

„Alexandra, mein Kind! Was für eine Freude!“ Bewegt küsste der große weißhaarige Mann sie auf beide Wangen. „Willkommen in unserer Familie!“

„Vielen Dank, Mr. Grigory!“, flüsterte sie, von dieser unerwarteten Herzlichkeit zu Tränen gerührt. „Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich wirklich eine Familie habe!“ Und ohne Lucca hätte sie das vermutlich auch nie herausgefunden. Ewig würde sie ihm dafür dankbar sein!

„Glaub es ruhig“, versicherte der alte Herr. „Wir sind ein ziemlich großer Clan. Also lassen wir die Förmlichkeiten. Nenn mich einfach Onkel Jurij.“

„Wenn Sie … du nichts dagegen hast.“

„Was sollte ich denn dagegen haben? Was für ein Tag! Weißt du eigentlich, wie ähnlich du deinem Vater siehst? Das genaue Abbild von Oleg. Nur um einiges hübscher. Aber das ist natürlich ein Erbteil deiner wunderschönen Mutter. Ach, dass dein Großvater diesen Augenblick nicht mehr erleben durfte!“

„Ja, ich hätte ihn auch sehr gern kennengelernt!“

„Nun, dann werde ich dir eben alles über ihn erzählen. Am besten jetzt gleich beim Mittagessen“, sagte er wieder fröhlich und bot ihr, ganz Kavalier der alten Schule, den Arm.

Schmunzelnd folgte Lucca den beiden in das Speisezimmer des Konsuls, wo der Tisch bereits für drei Personen gedeckt war.

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Onkel Jurij, der zu ihrer größten Freude ein altes Fotoalbum aus seiner Schreibtischschublade zauberte, war der geborene Geschichtenerzähler. Binnen kürzester Zeit gab er ihr das überwältigende Gefühl, Teil einer großen und großartigen Familie zu sein. Besonders sympathisch fand sie, dass er über ihre Mutter und deren zweifelhaften Lebenswandel nicht ein einziges abfälliges Wort verlor. Eher im Gegenteil. Er rühmte ihre Schönheit und ihren Charme.

„Nachdem erst seine Mutter Vladmila und dann auch noch sein Vater an Lungenentzündung gestorben war, hat Oleg New York verlassen. ‚Ich will auf eigenen Beinen stehen und herausfinden, was ich mit meinem Leben machen möchte‘, hat er gesagt. Dann hat er in Las Vegas ein Casino eröffnet, und ich habe nur noch wenig von ihm gehört. Bis die schreckliche Nachricht kam, dass er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sei. Dabei war er noch so jung.“ Bedrückt schüttelte Jurij den Kopf. „Deshalb haben wir auch nie von deiner Geburt erfahren. Hätte ich gewusst, dass Oleg eine kleine Tochter hat … Gott, du armes Kind, dass du ohne Vater aufwachsen musstest!“

Dankbar blickte er den Prinzen an. „Die ganze Familie Grigory steht tief in Ihrer Schuld. Wie können wir Ihnen nur danken?“

„Ein Dank ist gar nicht nötig“, wehrte Lucca ab. „Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen und Ihrer Familie diesen Dienst erweisen konnte. Allerdings“, fügte er mit einem vielsagenden Lächeln in Alexandras Richtung hinzu, „gäbe es durchaus eine Möglichkeit für Sie, sich zu revanchieren.“

Alex spürte, wie ihr das Herz in die Schuhe rutschte. Da konnte jetzt nichts Gutes kommen!

„Ich habe Ihre Großnichte gebeten, meine Frau zu werden, und möchte hiermit ganz offiziell bei Ihnen um ihre Hand anhalten.“

„Das ist ja eine wunderbare Neuigkeit“, rief der alte Mann begeistert.

„Ich … ich habe doch noch gar nicht Ja gesagt“, stieß Alex hastig hervor, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

„Ja, aber wieso denn nicht, liebes Kind?“

Vielleicht, weil ich diesen Mann vor gerade einmal sechs Stunden kennengelernt habe? „Wir, äh … Wir kennen uns noch nicht besonders gut“, stotterte sie verlegen. Nach allem, was er für sie getan hatte, konnte sie Lucca schließlich jetzt nicht bloßstellen.

„Ach was! Man lernt sich sowieso erst in der Ehe richtig kennen. Ihr habt euer ganzes Leben, um die kleinen Eigenheiten des anderen zu entdecken und herauszufinden, wie ihr euch gegenseitig glücklich machen könnt.“

Nervös strich sie sich eine Locke aus der Stirn. „Du verstehst nicht, Onkel Jurij. Meine Mutter hat sechsmal geheiratet.“

„Ah, und du machst dir Sorgen, dass könnte in der Familie liegen?“ Beruhigend tätschelte er ihr die Hand. „Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Nimm zum Beispiel mich. Deine Großtante Natascha und ich waren ganze fünfzig Jahre glücklich miteinander verheiratet. Und ich wüsste nicht, weshalb das bei euch beiden anders sein sollte.“

Na, das lief ja großartig! Unter anderen Umständen hätte sie dem alten Mann für seine liebevollen Worte einen Kuss gegeben. So aber trieb er sie unwissentlich immer weiter in die Enge. Und es half auch nichts, das Lucca sie mit seinem triumphierenden Grinsen noch zusätzlich aus dem Konzept brachte.

„Ich werde jedenfalls alles tun, um meine Frau glücklich zu machen.“

„Da siehst du es.“ Onkel Jurij nickte zufrieden. „Ihr zwei seid ein wunderbares Paar!“

„Das finde ich auch“, gab Lucca ihm recht. „Schon als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass sie die perfekte Frau für mich ist.“

Irrte sie sich, oder klang seine Stimme auf einmal viel zärtlicher, beinahe sinnlich? Eins musste sie ihm jedenfalls lassen: Er war ein hervorragender Schauspieler. Ihr armer Onkel glaubte jetzt bestimmt, er sei Hals über Kopf in sie verliebt.

„Bitte seien Sie nicht böse, wenn ich unseren Besuch so abrupt beende, aber Alexandra und ich müssen dringend zum Flughafen.“ Während er das sagte, nahm er sie wie selbstverständlich bei der Hand und zog sie mit sich zur Tür.

Die kurze Berührung genügte, um sie völlig zu verwirren. Ihr ganzer Körper begann zu kribbeln, und ihr Herz schlug so heftig, als würde es jeden Moment zerspringen.

Zum Abschied drückte Onkel Jurij sie fest an sich. „Ruf mich an, wenn ihr gut in Castelmare angekommen seid! Ich würde mich freuen, wenn ich von jetzt an öfter von dir hören würde. Auf so eine liebe und wunderschöne Großnichte möchte ich auf keinen Fall wieder verzichten!“

„Und ich nicht auf einen so wunderbaren Großonkel“, erwiderte sie gerührt. „Du weißt gar nicht, was das für mich bedeutet!“

„Passen Sie ja gut auf sie auf, Prinz Lucca!“, sagte er und drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger.

„Keine Sorge. Das habe ich vor.“ Zu ihrem Entsetzen legte der daraufhin seinen muskulösen Arm um ihre Schulter und zog sie noch fester an sich als zuvor ihr Onkel. „Ich werde Sie und Ihre Familie selbstverständlich mit meinem Privatjet zur Hochzeit einfliegen lassen.“

„Bitte, das ist wirklich nicht nötig.“

„Ich bestehe darauf.“

„Wenn das so ist, nehme ich das Angebot natürlich gerne an. Dann sehen wir uns also zur Hochzeit.“

Nach einem letzten herzlichen Händedruck stiegen sie in die mittlere der drei kugelsicheren schwarzen Limousinen, die hinter dem Konsulat in einer ruhigen Seitenstraße auf sie warteten.

„Im vorderen Wagen fährt Carlo, im hinteren ein weiterer Bodyguard namens Paolo. Sie geben uns Geleitschutz“, erklärte Lucca, der ihren verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt hatte. Allerdings lag dieser weniger an der Anzahl schwarzer Limousinen als an der Tatsache, dass er so dicht neben ihr saß, dass sein warmer Oberschenkel den ihren berührte.

„Warum haben Sie Onkel Jurij vorgegaukelt, wir würden heiraten? Ich kann mich nicht erinnern, Ja gesagt zu haben! Außerdem habe ich noch nicht einmal einen Reisepass.“

„Das macht nichts. Wer ins Land gelassen wird, bestimme sowieso ich.“

Demonstrativ rückte sie ein Stück von ihm weg. Wenn er ihr so nah war, konnte sie einfach nicht klar denken. „Aber mein Onkel glaubt jetzt, dass Sie es ernst meinen.“

„Das tue ich doch auch. Ich wünschte nur, Sie würden endlich einsehen, dass dies auch für Sie die beste Lösung ist.“

„Nur des Geldes wegen zu heiraten? Wirklich eine großartige Lösung! Alle werden denken, ich sei genau wie meine Mutter.“

„Was kümmert es Sie, was die Leute denken? Sie sind eine Grigory und haben Anspruch auf den Fürstentitel. Weshalb also sollten Sie mein Geld brauchen?“, erwiderte er achselzuckend. „Wie Ihre finanzielle Situation tatsächlich aussieht, werden nur wir beide wissen. Das schwöre ich.“

„Selbst wenn die Medien darauf hereinfallen, Ihren Eltern werden wir bestimmt nichts vormachen können“, gab sie zu bedenken.

„Das müssen wir auch gar nicht. Schließlich wissen sie, dass ich aus Pflichtgefühl heirate. Weil eben von mir erwartet wird, dass ich eine Adlige zur Frau nehme.“

„Also gibt es eine nichtadelige Frau in Ihrem Leben?“ Wieso zitterte denn ihre Stimme auf einmal so?

„Ja“, murmelte er leise und wich ihrem forschenden Blick aus.

Eigentlich überraschte sie das nicht. Natürlich. Er liebte eine Frau, mit der er nicht offiziell zusammen sein durfte. Weil eine Ehe mit ihr aus Standesgründen ausgeschlossen war, musste er seine Gefühle in der Öffentlichkeit verstecken. Wie schrecklich!

„Außer Ihnen kennt niemand die Wahrheit“, fügte er in verschwörerischem Ton hinzu. „Nicht einmal meine Schwester. Und die kennt mich eigentlich in- und auswendig.“

„Was für eine furchtbare Situation! Sie sind wirklich nicht zu beneiden.“

„Sie ja auch nicht. Allein gelassen mit den Millionenschulden Ihrer Mutter. Und deshalb finde ich, dass wir einander helfen sollten. Aber wenn Sie sich ganz und gar nicht mit der Idee anfreunden können, mit mir vor den Altar zu treten, werde ich natürlich nicht weiter drängen.“

Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster. Vielleicht hatte er recht? Vielleicht war sein Vorschlag letztendlich doch nicht so irrwitzig, wie er zunächst geklungen hatte? Wenn sie ihn heiratete, würde sie nicht nur die Schulden ihrer Mutter auf einen Schlag zurückzahlen können, auch der Traum vom Medizinstudium und einer Karriere als Schönheitschirurgin rückte in greifbare Nähe. Im Gegenzug würde sie ihm helfen, seine offiziellen Pflichten zu erfüllen. Was jedoch das Wichtigste war, sie konnte seine Beziehung zu der Frau decken, die er liebte. Ihm sogar Wege eröffnen, mit ihr zusammen zu sein. Eigentlich ein fairer Handel. Und ein ehrlicher noch dazu. Keiner von ihnen erwartete, dass der andere ihm ewige Liebe und Treue schwor. Wie hatte er es vorhin ausgedrückt? ‚Keine Illusionen, keine Lügen, kein falsches Spiel.‘

„Da vorne ist schon der Flughafen“, riss er sie plötzlich aus den Gedanken. „Von welchem Terminal geht denn Ihr Flieger? Dann sage ich dem Fahrer, wo er halten soll.“

Anstelle einer Antwort fragte sie: „Für welche Prinzessin werden Sie sich denn entscheiden, wenn ich endgültig Nein sage?“

„Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht die leiseste Ahnung. Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten Sie mir einen Tipp geben. So werde ich meine Wahl wohl irgendwo über dem Atlantik treffen. Terminal A für inneramerikanische Flüge?“

Sie schloss die Augen und atmete tief durch. „Und Sie glauben wirklich, Ihr Plan ist die beste Lösung?“

Sanft nahm er ihre Hand. „Sonst hätte ich Ihnen niemals diesen Vorschlag gemacht. Die Frage ist, ob Sie es auch glauben?“

Nach kurzem Schweigen nickte sie entschlossen. „Ja, das tue ich.“

Kaum hatte sie ausgesprochen, da presste er schon ihre Hand an seine Lippen. Und Alex spürte, wie er sie in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzte.

Lucca spürte, wie sie erbebte. Natürlich hatte sie Angst vor dem großen Schritt in ein neues, unbekanntes Leben. Trotzdem hatte sie seinem Vorschlag zugestimmt. Wenn nur diese Notlüge über seine unerfüllte Liebe zu einer anderen Frau nicht nötig gewesen wäre! Schon jetzt hatte er deswegen ein schlechtes Gewissen, obwohl das Gefühl eines hart erkämpften Triumphes eindeutig überwog. Wie hieß es so schön? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt!

Den Rest des Weges schwiegen beide. Noch konnte sie jeden Moment einen Rückzieher machen. Erst wenn sie mit ihm an Bord war und der Jet abhob, würde er sich ein wenig entspannen können.

Auf Geschäftsreisen wurde er stets von zwölf Angestellten begleitet. Seine persönlichen Bodyguards und die beiden Piloten nicht mitgerechnet. Als die Limousine an der Rollbahn vorfuhr, standen bereits alle vor dem Flugzeug.

Aufmunternd lächelte er Alex zu. Die letzten Strahlen der Abendsonne schimmerten auf ihren wilden blonden Locken. Sein erster Eindruck von ihr hatte sich noch verstärkt: Sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie anziehend sie war! Genau das reizte ihn so sehr an ihr. Außerdem hatte seine Braut etwas, was er bisher an den meisten Frauen aus Adelskreisen schmerzlich vermisst hatte: einen ungekünstelten Charakter, gepaart mit natürlicher Schönheit. Bei ihren vollen, sinnlich geschwungenen Lippen und den großen grauen Augen brauchte sie allerdings auch kein Make-up.

Als er die Crew stolz mit der Frau an seiner Seite bekannt machte, erhob sich ein Raunen. Die junge Dame war also nicht nur die Tochter der berühmten Kathryn Carlisle, sondern auch die zukünftige Fürstin von Castelmare!

Nachdem er ein paar Worte mit dem Piloten gewechselt hatte, ließ Lucca sich neben Alexandra in den weichen Ledersitz sinken. „Wenn wir die Reisehöhe erreicht haben, wird Ihnen der Steward zeigen, wo Sie sich ein wenig frisch machen können.“

„Vielen Dank“, hauchte sie, ohne ihn anzusehen.

Sollte sie kalte Füße bekommen, war es jetzt bereits zu spät. Die Türen wurden gerade geschlossen, über den Sitzen leuchteten die Anschnallzeichen auf. Das Klicken ihres Gurtes klang wie Musik in seinen Ohren. Zum ersten Mal an diesem langen, ereignisreichen Tag ließ seine Anspannung ein wenig nach.

„Falls Sie Hunger haben, kann ich auch bald das Dinner servieren lassen.“

„Danke, aber ich bin noch satt vom Mittagessen.“

„Gut, dann etwas später.“

Als der Jet von der Startbahn abhob, überkam Lucca eine innere Aufregung, die er zuletzt als Teenager verspürt hatte. Sein ganzes Leben lang hatte er sich geistig darauf eingestellt, irgendwann eine Zweckehe mit einer Frau führen zu müssen, die zwar den Ansprüchen der Monarchie genügte, nicht aber seinen eigenen. Seit heute schien es auf einmal, als könne er diesem Schicksal doch noch entrinnen. War es da verwunderlich, dass er sich fühlte, als sei er gerade aus einem schrecklichen Albtraum erwacht?

Und wer hätte gedacht, dass er seine Traumfrau auf so außergewöhnliche Weise kennenlernen würde? Wirklich, es grenzte an ein Wunder! Seine Freundin Sofia würde sich ebenfalls freuen. Nicht nur, weil er endlich eine Frau gefunden hatte, die ihn faszinierte und elektrisierte. Jetzt mussten ihre Eltern die Hoffnung auf eine Hochzeit ihrer Tochter mit dem Kronprinzen von Castelmare endgültig aufgeben, und sie konnte endlich als Entwicklungshelferin nach Afrika gehen.

„Veni, vidi, vici“, murmelte er. „Ich kam, ich sah, ich siegte.“ So musste sich der berühmte römische Feldherr Julius Cäsar gefühlt haben, nachdem er die wichtigste Schlacht seines Lebens gewonnen hatte!

„Reden Sie mit mir?“, erkundigte sich Alexandra und blickte ihm zum ersten Mal wieder in die Augen.

„Ich sagte nur, dass die Anschnallzeichen jetzt erloschen sind.“ Schon wieder eine Notlüge! Aber die Wahrheit hätte ihm wohl keine Pluspunkte eingebracht. Vorerst hielt er es für besser, sie über seine Gefühle noch eine Weile im Unklaren zu lassen. „Soll ich den Steward für Sie rufen?“

„Ja bitte. Das wäre nett.“

Kaum hatte sie die Kabine verlassen, griff er schon zum Bordtelefon. Als Thronfolger mit einer unbekannten Braut heimzukehren, erforderte eine wahre Flut an Vorkehrungen. Minuten später brachte ihm sein Bodyguard Carlo den schweren Koffer aus glänzendem Stahl, den er verlangt hatte. Beinahe zeitgleich kam eine Stewardess mit einem Tablett Obst, kleinen belegten Ciabatta-Broten und gekühlten Getränken herein. Mit einem freundlichen Nicken dankte er beiden, dann rief er seinen Sekretär in Castelmare an.

Als Alexandra zurückkam, hielt er für einen Augenblick den Atem an. Also hatte er nicht halluziniert. Sie war tatsächlich mit ihm an Bord gegangen und würde in wenigen Wochen seine Frau sein!

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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