Romana Exklusiv Band 327

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EINLADUNG IN DEN PALAST DES SCHEICHS von JACKIE BRAUN

Mit hohen Temperaturen kennt Emily sich als Köchin aus. Aber noch nie hat sie eine solche Hitze verspürt wie beim Anblick von Scheich Madani. Überraschend lädt er sie in seinen prunkvollen Palast ein. Sie soll für einen besonderen Anlass kochen: seine Hochzeit - mit einer anderen …

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ÜBERRASCHUNG IM SÜDSEEPARADIES von RAYE MORGAN

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  • Erscheinungstag 18.09.2020
  • Bandnummer 327
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748937
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Braun, Margaret Way, Raye Morgan

ROMANA EXKLUSIV BAND 327

1. KAPITEL

„Ich denke, ich weiß jetzt, wer hier heute Abend der Ehrengast ist“, raunte Arlene Williams und spähte neugierig durch den Türspalt in das elegante Esszimmer der Hendersons.

Bei Babs und Denby Hendersens Abendgesellschaften gaben sich bekannte Politiker, Professoren, Schauspieler und Angehörige des europäischen Hochadels die Klinke in die Hand. Emily Merit hatte keinen Zweifel, dass sich auch am heutigen Abend mindestens eine berühmte Persönlichkeit unter den Gästen befand. Schließlich machte sie schon seit fünf Jahren das Catering für diese Veranstaltungen, und bisher war es immer so gewesen. Warum also sollte es heute anders sein?

„Und? Wer ist es?“, fragte sie betont desinteressiert, während sie das Dessert anrichtete.

Ihre Assistentin grinste vielsagend. „Ich glaube, es ist dieses atemberaubende männliche Unterwäschemodel, dessen riesige Werbeposter gerade in ganz New York an allen U-Bahn-Stationen und Bushaltestellen hängen.“

„Ah, ja. Ich weiß schon.“

„Sieh mal an! Und ich dachte, du wärst gegen Männer immun.“

„Bin ich auch. Aber diese Poster kann man unmöglich übersehen, so groß, wie sie sind.“

Abermals spähte Arlene durch den Türspalt. Dann sagte sie nachdenklich: „Es könnte aber auch der Schauspieler sein, der in dieser neuen Fernsehserie Stürmische Nächte den CIA-Agenten spielt.“

Emily rollte mit den Augen. Arlene schwärmte jede Woche für einen anderen Star. „Kommen Sie jetzt bitte von der Tür weg, und helfen Sie mir beim Dessert! Es gibt Wichtigeres, als …“

„Oh, oh! Er ist auf dem Weg in die Küche!“

Emily verzog die Lippen. Ganz toll! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie mochte es nicht, wenn man ihr beim Arbeiten auf die Finger sah. Erst recht nicht, wenn die ungebetenen Zuschauer dabei eigentlich nur auf einen Flirt mit ihrer Assistentin aus waren.

„Er ist in Begleitung von Mrs. Hendersen“, wisperte Arlene aufgeregt und schloss blitzschnell die Tür.

Emily atmete auf. Dann wusste sie, weshalb er zu ihr in die Küche kam. Sie kannte Babs Hendersen schon seit Jahren. Ihr Exfreund Reed war ein Kollege von Mr. Hendersen gewesen. Und eines Tages, die Hendersens befanden sich in einer misslichen Lage, weil ihnen die Catering-Firma nur wenige Stunden vor dem geplanten Dinner absagte, vermittelte er sie an Emily weiter. Damals hatte sie gerade erst ihre Ausbildung beendet und wäre vor Aufregung fast gestorben. Aber ihre Kochkünste kamen bei allen Gästen hervorragend an, und seither taten die Hendersens ihr Bestes, um ihre Karriere zu fördern.

Auch wenn Mrs. Hendersen als Kundin schwer zufrieden zu stellen war, sie kannte halb New York und hatte ihr bis heute viele gute Aufträge verschafft. Nicht zuletzt durch sie hatte Emily vor kurzem die Küche in ihrem ansonsten sehr bescheidenen Apartment im New Yorker Stadtteil East Village renovieren und neu ausstatten können, ohne dabei ihre Ersparnisse angreifen zu müssen. Diese waren nämlich einzig und allein für die Verwirklichung ihres großen Traums gedacht, eines Tages ein eigenes Restaurant zu eröffnen.

Vermutlich wollte Babs Hendersen ihr also nur einen zukünftigen Kunden vorstellen. Als sich die Tür öffnete, schlüpfte Arlene mit dem Dessert hinaus. Ein Hauch von Chanel durchwehte die Küche. Unverkennbar Mrs. Hendersen!

„Emily, meine Liebe! Sie haben wie immer Großartiges geleistet“, rief sie in ihrer gewohnt überschwänglichen Art. „Meine Gäste sind ganz begeistert von Ihrem Lachs im Kräutermantel.“ Damit wandte sie sich um und winkte das vermeintliche Unterwäschemodel herein. „Und hier ist einer Ihrer größten Bewunderer, Sch…“

„Bitte, mein Name ist Dan“, unterbrach er sie höflich, aber bestimmt und fügte zu Emily gewandt hinzu: „Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen!“

Nein, das war nicht das Unterwäschemodel. Trotzdem musste Emily sich sehr beherrschen, ihn nicht ebenso bewundernd anzustarren, wie es ihre Assistentin durch den Türspalt getan hatte. Himmel, er sah wirklich unglaublich gut aus! Aber so ganz und gar nicht wie ein Dan. Dieser Name klang viel zu unspektakulär und zu … westlich.

„Dan?“, wiederholte sie verwirrt.

„Die Kurzform meines vollen Namens“, erklärte er.

Was mochte das für ein Akzent sein? Weich und angenehm wie seine Stimme. Aus unerfindlichen Gründen wurde ihr plötzlich ganz heiß. Anscheinend war sie doch noch nicht ganz immun gegen Männer. Kaum zu glauben, nach allem, was Reed ihr angetan hatte!

„Wenn ich in Amerika unterwegs bin, werde ich meist nur Dan genannt. Das ist einfach leichter auszusprechen.“

Das mochte wohl sein. Trotzdem passte Dan nicht zu ihm. Und wie Arlene ihn mit dem Unterwäschemodel verwechseln konnte, war ihr höchst schleierhaft – auch wenn er zugegebenermaßen den Körper dafür hatte. Groß, athletisch gebaut, und der teure Maßanzug ließ daran keinen Zweifel, muskulös. Sein Gesicht jedoch hatte gar keine Ähnlichkeit mit besagtem Dressman. Es war viel attraktiver und maskuliner, mit diesen dunklen Augenbrauen über den noch dunkleren, geheimnisvollen Augen. Sein schwarzbraunes Haar trug er eben noch kurz genug, um in der Geschäftswelt als respektabel durchzugehen, und lang genug, dass Emily Lust verspürte, ihre Finger hindurchgleiten zu lassen.

Errötend streckte sie die Hand aus – allerdings nur, um seine zu schütteln. „Ich heiße Emily Merit.“

Warm und stark umschlossen seine Finger die ihren. Sofort begann ihr Herz wild zu klopfen. Mussten ihre Hormone ausgerechnet in diesem Moment wieder zum Leben erwachen? Mitten in einer Geschäftssituation?

Nachdem er ihre Hand wieder losgelassen hatte, strich sie verlegen ihre weiße Küchenschürze glatt. Normalerweise war sie überhaupt nicht eitel, aber sein perfektes Aussehen erinnerte sie daran, dass ihr Haar in einem wenig attraktiven Knoten im Nacken zusammengebunden war. Und für Make-up hatte sie noch nie sonderlich viel übrig gehabt, schon gar nicht bei der Arbeit.

„Wie ich bereits vorhin erwähnte, Dan“, meldete sich Mrs. Hendersen wieder zu Wort, „mein Mann und ich würden nicht im Traum daran denken, jemals wieder eine andere Catering-Firma zu beauftragen. Unserer Meinung nach ist Miss Merit die beste Köchin in ganz Manhattan!“

Mit einem Lächeln, das Emilys Herz gleich noch ein wenig schneller schlagen ließ, erwiderte er: „Dann muss ich sie haben!“

Ob ihm bewusst war, dass man seine Worte auch ganz anders verstehen konnte? Seine Miene verriet jedenfalls nichts. Nur in seinen Augen lag ein sonderbares Schimmern.

„Aber … aber ich kenne doch noch nicht einmal Ihren Nachnamen“, stotterte Emily.

„Das kann man ja ändern“, erwiderte er amüsiert. „Ich heiße Tarim.“

Prima, jetzt machte sie sich auch noch lächerlich. Was zum Kuckuck war los mit ihr? Sich von einem Mann so aus der Fassung bringen zu lassen sah ihr gar nicht ähnlich. Außerdem war es unprofessionell. Eine Geschäftsfrau konnte sich doch nicht wie ein albernes Schulmädchen benehmen, das den Star der Football-Mannschaft anhimmelte!

Mrs. Hendersens hörbares Räuspern riss sie aus den Gedanken. „Ich muss mich leider entschuldigen. Versprechen Sie mir, ihn nicht zu lang mit Beschlag zu belegen, Emily. Meine anderen Gäste brennen darauf, sich mit Dan zu unterhalten.“

„Selbstverständlich!“ Sobald sie das Geschäftliche besprochen hatten, würde sie ihn vor die Küchentür setzen. „Also“, begann sie, ohne lange um den heißen Brei herumzureden, „was kann ich für Sie tun, Mr. Tarim?“

„Bitte nennen Sie mich Dan, und darf ich Sie Emily nennen?“

„Wie Sie wünschen.“ Eigentlich hatte sie ihren Namen nie besonders gemocht. Sie fand ihn viel zu altmodisch. Doch aus seinem Mund klang er wie Musik.

„Ich plane eine kleine Dinnerparty, ehe ich Manhattan verlasse und in mein Heimatland zurückkehre.“

„Sind Sie zum ersten Mal in New York?“, fragte sie höflich und blickte verstohlen auf die Uhr.

„Nein, ich bin jedes Jahr mehrmals hier. Meistens geschäftlich. Bisher habe ich immer eine andere Catering-Firma beauftragt, aber Ihr heutiges Menü hat mich davon überzeugt, dass es Zeit für eine Veränderung ist.“

„Vielen Dank. Ich bin geschmeichelt.“

Und wie. Jemand wie er konnte sich schließlich jede noch so exklusive Catering-Firma der Welt leisten! Ach was, vermutlich sogar ein halbes Dutzend Privatköche. Welche Firma er wohl sonst immer beschäftigt hatte? Fragen würde sie ihn nicht, auch wenn es nie verkehrt war, die Konkurrenz im Auge zu behalten. Und ihrem angeschlagenen Ego würde es auch guttun, zumindest wenn es sich um eine angesehene Catering-Firma handelte. Aber davon ging sie eigentlich aus.

In den letzten Jahren hatte sie kaum etwas anderes getan, als zu arbeiten und sich einen Namen zu machen – auf Kosten ihres Privatlebens. Jeder Art von Anerkennung war daher Balsam für ihre Seele.

Für einen kurzen Augenblick dachte Emily an Reed. Sechs Jahre hatte ihre Beziehung gedauert. Und alle, inklusive sie selbst, hatten gedacht, dass sie eines Tages heiraten würden. Rückblickend erkannte sie, die tiefen Risse, die ihre Beziehung gehabt hatte und die nach und nach unüberwindbar geworden waren. Als das Catering nur eine kleine Nebenbeschäftigung gewesen war, hatte Reed sie noch darin unterstützt. Doch als sich das Hobby nach und nach zu einer lukrativen Karriere entwickelte und Emily sogar in der New York Times erwähnt wurde, kühlte sich seine Begeisterung sehr schnell ab. Ihren großen Traum, irgendwann ein eigenes Restaurant zu eröffnen, hatte er stets nur belächelt. Mehr noch, er tat sein Möglichstes, sie davon abzubringen. Kaum ein Tag verging, ohne dass er ihr irgendwelche Statistiken unter die Nase hielt, wie viele neu eröffnete Restaurants jedes Jahr Bankrott gingen. Und irgendwann ließ er sie einfach sitzen, weil er eine andere gefunden hatte: ihre Schwester.

„Die Gästeliste wird nicht sehr lang sein. Maximal sieben Personen“, holte Dans Stimme sie aus den unschönen Erinnerungen zurück in die Gegenwart.

„Und wann soll die Dinnerparty stattfinden?“

„Übernächsten Samstag. Ich weiß, es kommt ein wenig kurzfristig“, fügte er entschuldigend hinzu. „Wie gesagt, normalerweise beschäftige ich eine andere Firma. Aber ich hoffe, dass Sie es noch irgendwie einrichten können. Ich möchte nur die beste Köchin für meine Gäste. Und das sind Sie.“

Dan, der eigentlich Scheich Madani Abdul Tarim hieß, gab sich nie mit weniger als dem Besten zufrieden. Dank seines Reichtums hatte er dies auch nie nötig gehabt. Das heutige Dinner war erstklassig gewesen. Niemals hätte er eine so junge Köchin hinter diesem kulinarischen Meisterwerk vermutet. Und erst recht nicht eine so hübsche.

Selbst mit dieser unförmigen Schürze und dem strengen Haarknoten hatte sie einfach umwerfend ausgesehen. Nicht, dass es für ihn eine Rolle spielte, geschweige denn spielen sollte. Immerhin stand die Bekanntmachung seiner Verlobung kurz bevor. Trotzdem ging ihm Emily Merit nicht mehr aus dem Kopf, und er wünschte, seine Zukunft wäre nicht schon vor vielen Jahren für ihn entschieden worden.

Wahrscheinlich lag es an ihren Augen. Diesen unglaublichen blaugrünen Augen, die ihn an die Wellen des Mittelmeers erinnerten, wo seine Familie ihren herrschaftlichen Sommersitz hatte. Ihr Blick war direkt und unbefangen. Keine Spur von Schüchternheit oder gar Ehrfurcht.

Das gefiel ihm. Viel zu viele Menschen ließen sich von seinem Titel einschüchtern. Vielleicht hatte er es deshalb nicht zugelassen, dass er Emily mit seinem vollen Namen vorgestellt wurde, und ihr stattdessen seinen amerikanischen Spitznamen genannt. Ab und an bevorzugte er Anonymität, auch um selbst auf dem Teppich zu bleiben. Schließlich würde er sich eines Tages um die Belange seines ganzen Volkes kümmern müssen, wenn er erst einmal über Kashaqra herrschte.

Das bedeutete allerdings nicht, dass er nicht wusste, was er wollte. Ganz im Gegenteil! Darum hakte er nach: „Und?“

„Leider bin ich an diesem Tag schon für einen Kindergeburtstag gebucht.“

„Wird das den ganzen Tag beanspruchen?“ Torte, Pizza – für ihn klang das nicht nach sehr viel Arbeit.

„Normalerweise nicht“, erwiderte sie vorsichtig. „Aber diese Party findet nicht in New York statt, sondern circa zwei Stunden entfernt von hier. Außerdem bestehen die Eltern auf einer Art Mini-Bankett für Fünfjährige …“

„Anscheinend sind Sie mit den Menüvorstellungen nicht ganz einverstanden?“

Emily räusperte sich. Dann sagte sie diplomatisch: „Die Wünsche meiner Kunden zu kritisieren steht mir nicht zu.“

„Aber?“

Zögernd gestand sie nach einem kurzen Moment des Schweigens: „Aber ich bezweifle, dass durchschnittliche Kindergartenkinder viel Freude an diesem Geburtstagsessen haben werden.“

Amüsiert lachte Madani auf. Ihre Ehrlichkeit gefiel ihm. „Was haben sie denn bestellt? Blinis mit Kaviar?“

„So ungefähr.“ Gegen ihren Willen musste sie mitlachen. Dabei kam in ihrer linken Wange ein kleines Grübchen zum Vorschein, das ihrem Gesicht einen zusätzlichen Reiz verlieh. „Wenigstens konnte ich die Mutter von der Stopfleber abbringen und ein paar Schinkenröllchen zwischen Rinder-Carpaccio und Wurzelgemüsegratin schieben.“

„Also werden Sie für mich wirklich keine Zeit haben?“

Nachdenklich nagte sie an der Unterlippe. Ohne auch nur zu ahnen, wie sexy ihr potenzieller Kunde dies fand. „Vielleicht kann ich es ja doch einrichten“, sagte sie schließlich. „Meine Assistentin kann den Kindergeburtstag vor Ort betreuen. Aber um die Vorbereitungen werde ich nicht herumkommen. Darum hängt alles davon ab, um wie viel Uhr Ihre Dinnerparty stattfinden soll und was Sie anbieten möchten.“

„Oh, ich kann sehr genügsam sein, wenn es darauf ankommt“, rief er erfreut. Allerdings war er nicht ganz sicher, ob er sich mehr darüber freute, dass sie seine Dinnerparty ausrichtete oder dass er sie wiedersehen würde. „Wann wollen wir die Details besprechen?“

„Ich hätte morgen Vormittag Zeit. Wie sieht es bei Ihnen aus?“

Obwohl er bereits drei andere Meetings geplant hatte, nickte er zustimmend. Wie gesagt, er konnte sehr genügsam sein, wenn es die Situation erforderte. Und dies war so eine Situation. Auch wenn er lieber nicht darüber nachdenken wollte, wieso.

„Hier.“ Lächelnd reichte Emily ihm eine Visitenkarte. „Ich bin Frühaufsteherin. Ab neun Uhr bespreche ich gern mit Ihnen das Menü.“

Als er etwas später zu seinem Chauffeur in den Wagen stieg, hielt er die Karte noch immer in der Hand.

„Ich habe das Gefühl, du hattest einen schönen Abend“, stellte Azeem Harrah, sein langjähriger Chauffeur und Freund, schmunzelnd fest.

„Ja, sehr schön“, erwiderte er versonnen. „Die Hendersens sind hervorragende Gastgeber und das Essen war … unglaublich.“

„Dieses Lächeln kenne ich“, grinste Azeem und startete den Motor des Mercedes. „Wie heißt denn die Dame, die du heute kennengelernt hast?“

„Du irrst dich“, wehrte Madani ab. „Keine Dame.“

„Bist du sicher?“

„Diese Zeiten sind vorbei.“

„Aber wieso denn?“

„Du weißt ganz genau, wieso. Und wenn du meine Entscheidung zehnmal nicht nachvollziehen kannst.“

„Deine Entscheidung? Was hast du denn entschieden? Ich verstehe einfach nicht, weshalb du dich in eine Ehe fügst, die von deinen Eltern arrangiert wurde, als du noch Windeln trugst. Gerade du!“

In ganz Kashaqra kannte man Madani als modernen, weltoffenen jungen Mann, der sehr viel westlichere Ansichten hatte als sein Vater. Und das, obwohl Scheich Adil Hammad Tarim in den letzten dreißig Jahren seiner Herrschaft viele Reformen eingeführt hatte.

„Du kennst meine Gründe.“

„Deinem Vater geht es gut, sadiqi“, sagte Azeem, der ihn stets mit dem arabischen Wort für ‚Freund‘ anredete, eindringlich. „Der Herzanfall im letzten Herbst hat praktisch keine Spuren hinterlassen.“

Seufzend schloss Madani die Augen. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie sein Vater plötzlich aschfahl wurde und zusammenbrach. Damals hatten sie genau über dieses Thema gestritten. Derartige Verlobungen waren nicht in Stein gemeißelt. Unter bestimmten Umständen konnten sie annulliert werden. Allerdings traf keiner von ihnen auf seine Situation zu. Trotzdem hätte Adil die Verlobung lösen können, doch davon wollte er nichts wissen. Seine eigene Ehe sei schließlich auch auf diese Weise zustande gekommen, und er sei immer sehr glücklich gewesen.

„Meine Ehe mit Nawar ist der ausdrückliche Wunsch meines Vaters.“

Verständnislos schüttelte Azeem den Kopf. „Noch bist du nicht verheiratet. Wenigstens ein letztes … Abenteuer könntest du dir gönnen.“

Madani antwortete nicht. Stumm blickte er durch die getönten Scheiben hinaus. Noch war er nicht verheiratet. Das stimmte schon. Offiziell war er ja noch nicht einmal verlobt. Erst in ein paar Wochen würde seine Verlobung mit Nawar offiziell verkündet werden. Und trotzdem fühlte er sich nicht frei. Eigentlich hatte er sich noch nie wirklich frei gefühlt.

Kurz vor Mitternacht kam Emily zu Hause an. Nachdem sie den Wagen ausgeladen und alles in den vierten Stock transportiert hatte, ließ sie sich todmüde, aber glücklich aufs Sofa fallen. Außer Dan hatten sich noch zwei weitere Gäste ihre Visitenkarte geben lassen. Und wie immer hatten die Hendersens sie fürstlich bezahlt. Auch nach Abzug aller Kosten würde noch eine beachtliche Summe übrig bleiben, die sie für ihr Traumrestaurant zurücklegen würde.

Zufrieden streckte sie ihre schmerzenden Füße auf dem Couchtisch aus. Dann fiel ihr Blick auf einen ungeöffneten Brief. Heute Nachmittag hatte sie keine Zeit gehabt, ihn zu lesen. Sonst bekam sie fast nur Rechnungen und Werbung. Seufzend griff sie nach dem dicken Umschlag. Was er enthielt, wusste sie bereits: die Einladung zur Hochzeit ihrer jüngeren Schwester.

Lustlos riss sie den Umschlag auf und zog die auf elfenbeinfarbenem Büttenpapier gedruckte Hochzeitseinladung heraus. Sicher hatten ihre Eltern ein Vermögen dafür hingeblättert. Aber für Elle war ja schließlich nichts zu teuer.

Elle. Was auch immer sie tat, ihre Eltern fanden es großartig. Selbst jetzt, wo sie meinen Exfreund heiratet, dachte Emily. So war es schon in ihrer Kindheit gewesen. Egal was Elle wollte, sie bekam es. Emily hingegen sollte „Verständnis zeigen“ und sich „am Glück der Schwester freuen“.

Elle Lauren Merit und Reed David Benedict laden herzlich zu ihrer Hochzeit ein …

Weiter kam Emily nicht. Wütend zerknüllte sie das Papier und warf es in den Mülleimer. Sie dachte gar nicht daran, auf dieser Hochzeit zu erscheinen! Egal wie herzlich sie eingeladen wurde. Oder wie oft ihre Mutter sie noch dazu drängen würde, für Elle die Brautjungfer zu spielen.

Dass sie ihrem Ex nicht vergeben konnte, spielte dabei weniger eine Rolle. Mittlerweile stand sie über den Dingen, auch wenn sie sich zu Recht betrogen und hintergangen fühlte. Aber dass weder Reed noch Elle sich auch nur ein einziges Mal dafür entschuldigt hatten und dann auch noch überall herumposaunten, wahre Liebe sei eben nicht aufzuhalten, das war zu viel!

„Das Schicksal hat gesprochen, Emily. Meine Gebete wurden erhört. Reed und ich sind wie füreinander geschaffen“, hatte sie sich anhören dürfen und mit der Tatsache fertig werden müssen, dass ihre Schwester von Anfang an ein Auge auf ihren Freund geworfen hatte.

Reeds Argumente waren weniger romantisch gewesen. Kurzerhand hatte er die ganze Schuld auf Emily geschoben. „Wenn du nicht immer so beschäftigt gewesen wärest, Essen für andere Leute zu kochen, wäre dir vielleicht aufgefallen, wie unglücklich ich mich in unserer Beziehung fühlte.“ Mehr hatte er zu seiner Rechtfertigung nicht für nötig gehalten.

Wie Peitschenhiebe hatten seine Worte sie getroffen. „Ich habe eine Firma, Reed“, hatte sie sich verteidigt.

„Erinnere mich bloß nicht daran. Für etwas anderes hast du ja kaum noch Zeit.“

„Soll ich mich etwa dafür entschuldigen, dass ich erfolgreich bin?“

„Nein, aber dann musst du eben damit rechnen, dass ich meine Freizeit ohne dich gestalte. Und dabei habe ich eben eine neue Frau gefunden.“

„Ja, meine Schwester!“

Doch er hatte nur achselzuckend erwidert: „Elle versteht mich. Sie will nicht rund um die Uhr arbeiten und Karriere machen. Stattdessen unterstützt sich mich bei meiner.“

War Reed eigentlich immer schon so ein widerlicher Macho gewesen? Oder hatte er sich erst zu einem entwickelt, als ihr kleines Unternehmen immer erfolgreicher wurde? Egal, jedenfalls hatte sie ihm entgegengeschleudert: „Also, eine Frau kann nicht erfolgreich sein und eine Karriere haben, ohne dass der Mann an ihrer Seite fremdgeht? Ist es das, was du mir zu sagen versuchst?“

„Ich will damit sagen, dass kein Mann gern die zweite Geige spielt.“

Danach hatte Emily nichts mehr geantwortet. Welchen Zweck hatte es auch? Außerdem lag ein Fünkchen Wahrheit in Reeds Worten. Kochen war ihre einzige große Liebe. Reed verblasste daneben.

Seufzend stand sie auf und begann, ihr weißes Küchenoutfit auszuziehen. Dann ging sie langsam in Richtung Schlafzimmer, das sie noch vor einem Jahr mit dem Mann geteilt hatte, der sehr bald mit ihrer Schwester verheiratet sein würde.

2. KAPITEL

Obwohl sie erst sehr spät schlafen gegangen war, stand Emily wie gewohnt kurz vor acht auf. Allerdings brauchte sie mittlerweile ziemlich viel Kaffee, um die langen Arbeitstage und kurzen Nächte einigermaßen heil zu überstehen.

Bloß gut, dass ihr kleines Apartment zugleich als Büro diente. Sonst käme sie vermutlich nur noch zum Schlafen nach Hause. Außer dem winzigen Schlafzimmer, dessen Fenster auf die düstere kleine Nebenstraße blickte, gab es noch das enge Wohnzimmer, in dem sie auch Kundengespräche führte, und ein noch engeres, renovierungsbedürftiges Badezimmer. Die Küche jedoch war ein absoluter Traum.

Zusammen mit Reed hatte sie vor ein paar Jahren dieses Apartment angemietet. Damals hatte die Küche allerdings noch nicht die Hälfte der Wohnung eingenommen. Das hatte sich erst im Zuge der umfangreichen Umbau- und Renovierungsarbeiten ergeben, die Emily nach Reeds Auszug in Auftrag gegeben hatte. Und wenn sie heute zwischen der neuen Küche und Reeds Anwesenheit wählen müsste, fiele die Entscheidung ganz eindeutig zugunsten der Küche aus.

Die Wand zum Wohnzimmer hatte sie versetzen lassen, sodass sich endlich genug Arbeitsfläche und Stauraum ergaben. Danach hatte sie den winzigen Kühlschrank und den uralten Elektroherd durch hochmoderne Geräte ersetzt. Anschließend hatte sie eine völlig neue Ausstattung an Töpfen, Pfannen, Messern und anderen Utensilien gekauft. Kurz, sie hatte ihre Wohnung an ihre Prioritäten angepasst, und sie bereute es nicht.

Der größte Vorteil war jedoch, dass sie keine langen Strecken fahren musste, um zur Arbeit zu gelangen. Zwölf schlaftrunkene Schritte ab der Schlafzimmertür, und schon saß sie an ihrem Computer und konnte noch im Pyjama die Tagesplanung einsehen sowie die Menüs, Einkaufslisten und Rezepte abrufen. Gerade als sie die Zutatenliste für ein Entengericht überarbeitete, klopfte es plötzlich an der Tür. Ein kurzer Blick durch den Spion, und sie wich erschrocken zurück.

„Verdammt!“ Was machte Dan denn hier?

Er sah genauso umwerfend aus wie am Abend zuvor, als sie ihn bei den Hendersens kennengelernt hatte. Offensichtlich war er frisch rasiert. Eine Krawatte trug er auch, während sie in einem übergroßen, zerknitterten weißen T-Shirt steckte. Noch dazu ohne BH! Von ihrem wild zerzausten Haar ganz zu schweigen.

Kaum vorstellbar, dass sie sich gestern Gedanken über ihr wenig attraktives Outfit gemacht hatte! Als sie ihm sagte, sie hätte ab neun Uhr Zeit, das Menü zu besprechen, hätte sie wohl etwas genauer sein sollen. Sie hatte gedacht, er würde anrufen. Wieso zum Kuckuck hatte sie eigentlich ihre Adresse auf die Visitenkarten drucken lassen?

Für einen kurzen Moment wollte Emily einfach so tun, als sei sie nicht da. Schließlich konnte sie Mrs. Hendersen später um Dans Telefonnummer bitten und sich entschuldigen. Doch was, wenn es schiefging? Was, wenn er sich dann für eine andere Catering-Firma entschied? Was, wenn sie nie wieder von ihm hörte?

Okay, sie hatte vielleicht eine überschießende Fantasie, aber sie wusste aus Erfahrung, dass es sich immer auszahlte, seine Kunden gut zu behandeln.

Also fuhr sie sich fieberhaft mit den Fingern durchs Haar, in der Hoffnung, es ein wenig in Form zu bringen, schob den Sicherheitsriegel beiseite und öffnete die Tür. Jedoch nur einen Spaltbreit, sodass sie halb dahinter verborgen blieb.

Mit einem strahlenden Lächeln rief sie: „Dan, guten Morgen. Was für eine schöne Überraschung!“

„Guten Morgen“, erwiderte er mit seiner tiefen warmen Stimme, die sofort Emilys lange und erfolgreich unterdrückte Hormone wieder auf den Plan rief. Doch sein fröhlicher Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. „Oh, ich komme ungelegen.“

„Nein, nein“, versuchte sie, ihn zu beschwichtigen. Als er nicht überzeugt schien, entschied sie sich für die Wahrheit. „Ich hatte nur nicht mit Ihnen gerechnet.“

„Aber ich dachte, wir hätten uns gestern für heute früh verabredet? Sagten Sie nicht, Sie könnten ab neun Uhr mit mir das Menü besprechen?“

„Ja“, gab sie verlegen zu. „Das stimmt. Doch ich dachte dabei mehr an ein Telefonat.“

„Oh!“ Jetzt war es an ihm, verlegen zu sein. „Natürlich. Sie wollten es telefonisch besprechen. Bitte entschuldigen Sie! Mein Fehler. Ich werde Sie nachher anrufen.“

Damit nickte er ihr zu und wandte sich zum Gehen.

Ohne nachzudenken, legte sie ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück: „Bitte bleiben Sie doch! Wo Sie schon einmal hier sind, können wir das Menü ja auch persönlich besprechen. Geben Sie mir nur ein paar Minuten, um mich anzuziehen.“

„Sind Sie sicher? Wir können unser Meeting auch verschieben. Ich möchte nicht rücksichtslos erscheinen.“

Ein Mann der, Rücksicht auf sie nehmen wollte! Sind Sie verheiratet? Um ein Haar hätte sie diesen lächerlichen Gedanken ausgesprochen. Mit einer wegwerfenden Geste rief sie: „Unsinn! Kommen Sie bitte herein, und nehmen Sie Platz.“

Dann wandte sie sich blitzschnell ab und rannte in ihr Schlafzimmer. Ehe die Wohnungstür ins Schloss fiel, war sie schon an ihrem Kleiderschrank und suchte fieberhaft nach einem halbwegs angemessenen Outfit.

Als ältestes Kind und einziger Sohn der kashaqrischen Herrscherfamilie sowie als Vorstandschef eines sehr erfolgreichen Exportgeschäftes reiste Madani schon seit Jahren in der ganzen Welt herum. Unzählige Male war er sowohl privat als auch geschäftlich in New York gewesen. Studiert hatte er in Harvard und Oxford, und er sprach sieben Sprachen fließend. Und trotzdem musste ihm, dem weltgewandten Geschäftsmann, dieses dumme Missverständnis passieren!

Aber woher hätte er denn wissen sollen, dass die Adresse auf der Visitenkarte Emilys Privatadresse war? Oder dass sie ihm nur mit einem kurzen Sleepshirt bekleidet und mit sexy verwuscheltem Haar die Tür öffnen würde?

Als er heute früh aufwachte, war sein erster Gedanke Emily gewesen. Jetzt, nachdem er beobachtet hatte, wie sich der dünne weiße Stoff des Shirts an ihre Kurven schmiegte, während sie in ihr Schlafzimmer eilte, würde er wohl den ganzen Tag an nichts anderes mehr denken können.

Eigentlich sollte er besser gehen. Doch er tat das genaue Gegenteil, er trat ein. Durch das kleine Wohnzimmer gelangte man in eine erstaunlich riesige Küche. Der Traum eines jeden Kochs, mit zwei Backöfen und einem stählernen Gasherd mit acht Kochflammen. Von den vielen Geräten auf der Arbeitsplatte erkannte er nur die Espressomaschine. Auch wenn er ein gutes Essen sehr zu schätzen wusste, hatte er in seinem ganzen Leben noch keines zubereitet.

Alles in allem dürfte das ganze Apartment kaum halb so groß sein wie das kleinere Zimmer meiner Suite im Ritz Carlton Hotel, überlegte er. Aber sie wusste sich zu helfen und hatte alles sehr geschickt eingerichtet. In der Küche reichten sämtliche Schränke und Regale bis unter die Decke. Und Computer und Drucker hatte sie im Wohnzimmer in einem Schrank mit ausklappbarer Tischplatte verstaut. Im Moment standen die Schranktüren weit offen und erlaubten ungehinderte Blicke auf eine Unmenge von gelben Notizzetteln und einen Schokoladensoufflé-Bildschirmschoner.

Stapel von Kochbüchern bildeten den Unterbau für die ovale Glasplatte, die als Couchtisch diente. In diesem sonst vollkommen funktionalen Raum, war das Sofa der einzige Gegenstand, der nicht nur praktisch, sondern auch gemütlich erschien. Besonders faszinierte ihn die bunte Wolldecke, die über der Armlehne lag. Das Muster erkannte er unter tausenden! Kein Zweifel, dies musste eine Handarbeit aus seinem Heimatland sein. Aus Kashaqra.

„Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“, riss ihre Stimme ihn aus den Gedanken.

„Ja, gern.“ Er folgte ihr in die Küche, wo sie ihm eine Tasse einschenkte und ihre eigene wieder auffüllte.

„Milch und Zucker?“

„Danke, schwarz ist mir lieber.“ Und das, obwohl in Kashaqra eigentlich sehr stark gesüßter Kaffee bevorzugt wurde.

Inzwischen hatte sie ihr kastanienbraunes Haar wieder im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Allerdings wirkte es jetzt weniger streng als gestern Abend. Trotzdem wünschte er, sie hätte das Haar offen gelassen. Er mochte es, wenn es ihr Gesicht umspielte. Die rosa Wickelbluse betonte ihre schmale Taille, während die helle schmal geschnittene Hose ihre langen schlanken Beine zur Geltung brachte.

Als er bemerkte, dass er sie anstarrte, ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. „Eine beeindruckende Küche haben Sie hier!“

„Danke, ich bin damit sehr zufrieden.“

„Haben Sie sie selbst einbauen lassen?“

„Ja, vor knapp einem Jahr.“ Bei diesen Worten wandelte sich ihr Gesichtsausdruck. Beinahe verteidigend fügte sie hinzu: „Meine Firma wächst kontinuierlich, und deswegen brauchte ich bessere Arbeitsbedingungen. Schließlich verbringe ich die meiste Zeit des Tages hier und koche für meine Kunden oder zu meinem eigenen Vergnügen.“

Damit setzte sie sich auf einen der Barhocker an die Arbeitsplatte. Ohne zu zögern, nahm Madani neben ihr Platz.

„Sie kochen zum Vergnügen? Einfach nur, weil es Ihnen Spaß macht?“

„Ja. Ich kann mir nicht helfen, ich liebe gutes Essen!“

Nachdenklich blickte er sie an. „Und trotzdem sind Sie so … schlank.“

Er klang so verwundert, dass Emily sich fast ausschüttete vor Lachen.

„Oh, entschuldigen Sie bitte, dieser Kommentar stand mir nicht zu.“

„Nein, nein. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Auf der ganzen Welt gibt es wohl keine Frau, die nicht gern hört, dass sie schlank ist.“

So, jetzt hatte er es also geschafft, sich innerhalb von einer halben Stunde zweimal zu blamieren! Ein äußerst ungewohntes Gefühl für Madani. Und es gefiel ihm gar nicht. Doch das fröhliche Funkeln in Emilys Augen half ihm schnell darüber hinweg.

„Ich wunderte mich nur, weil die meisten Köche und Köchinnen, die ich kenne, etwas, äh … großzügiger proportioniert sind“, erklärte er diplomatisch.

„Ja, das ist leider das Berufsrisiko. All die kleinen Häppchen beim Probieren und Abschmecken summieren sich einfach.“

„Und was ist Ihr Geheimnis?“

„Sport und schwache Nerven.“ Als er verwirrt die Stirn runzelte, erläuterte sie: „Ich gehe drei Mal pro Woche ins Fitnessstudio und gerate jeden Tag mindestens drei Mal wegen irgendetwas grundlos in Panik. Jedenfalls behauptet das meine Assistentin. Das verbrennt Kalorien.“

Grundlose Panik? Das konnte er sich bei ihr gar nicht vorstellen. „Wie lange gibt es Ihre Catering-Firma denn schon?“

„Wieso fragen Sie? Haben Sie es sich jetzt doch anders überlegt und wollen mich lieber nicht engagieren?“, fragte sie mit einem schalkhaften Lächeln.

„Nein, auf mein Wort ist immer hundertprozentig Verlass!“

„Aber Sie haben mir doch gar nicht Ihr Wort gegeben, geschweige denn einen Vertrag mit mir gemacht.“

Wehmütig dachte Madani an seine zukünftige Braut. Auch mit Nawar gab es keinen Vertrag, trotzdem wurde erwartet, dass er das Versprechen seines Vaters einhielt. „Manchmal“, sagte er leise, „genügt ein einziges Wort.“

„Eine Unterschrift ist mir aber ehrlich gesagt lieber“, erwiderte sie scherzend. „Erfahrungsgemäß ist das besser fürs Geschäft. Denn leider hat nicht jeder ein so ausgeprägtes Ehrgefühl wie Sie.“

„Das ist wohl wahr. Rein rechtlich gesehen ist es immer besser, alles schriftlich festzuhalten. Ich leite ein Exportgeschäft. Unter anderem …“

„Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?“ Er nickte. „Ich finde Ihren Akzent sehr charmant, aber ich kann ihn ganz und gar nicht einordnen. Woher kommen Sie?“

„Aus Kashaqra.“ Vor seinem geistigen Auge stieg sein Heimatland auf. Die hohen Berge, die auch im heißesten Sommer noch von Schnee bedeckt waren, die unendlichen Stein- und Sandwüsten, die das Land von Osten her umgrenzten, und das herrliche tiefblaue Meer im Süden. Seit einem Monat hatte er es nicht mehr gesehen, und er begann, es zu vermissen. Wie sehnte er sich nach den wogenden Gräsern und immer blühenden Sträuchern, nach den smaragdgrünen Oasen am Fuß der Berge und den majestätischen Dattelpalmen, die seinem Volk in der Vergangenheit auch durch die größten Hungersnöte geholfen hatten. Am liebsten mochte er jedoch Kashaqras üppigen Norden, der für seine tropischen Wälder, unzähligen Wässerfälle und seinen unschätzbaren Reichtum an anderswo bereits ausgestorbenen Reptilien- und Vogelarten bekannt war. Außerdem befanden sich hier viele uralte Gebäude, Paläste und Festungen, die das soziale und kulturelle Erbe der Region widerspiegelten. Dank der besonnenen Herrschaft seines Vaters, war Kashaqra friedlich und wirtschaftlich wesentlich stärker als andere Länder der Region. Und er selbst hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Wirtschaftskraft seines Landes noch weiter auszubauen, sie mit seinem Exportgeschäft an den Weltmarkt anzubinden und so die Lebensbedingungen seines Volkes zu verbessern.

Nachdenklich krauste Emily die Stirn. „Geografie war noch nie meine Stärke. Aber das liegt im Mittleren Osten, nicht wahr?“

„Ja. Wir haben zwar nicht den Ölreichtum unserer Nachbarn, aber wir verfügen über andere Ressourcen.“

„Welche denn?“

„Unsere Handwerker und Künstler zum Beispiel. Sie sind weltweit einzigartig.“

„Ihrer eigenen, unparteiischen Meinung nach“, neckte sie und grinste, sodass das Grübchen in ihrer linken Wange zum Vorschein kam.

Er lächelte. „Wenn es um kashaqrisches Kunstgewerbe geht, ist Bescheidenheit auch fehl am Platz. Ich hoffe sehr, dass es mir eines Tages gelingt, die traditionellen Muster und Ziergegenstände in der westlichen Welt bekannt zu machen und Touristen für unser schönes Land zu begeistern.“

„Sie machen mich ganz neugierig. Haben Sie zufällig eine Kostprobe dabei?“

„Nein, aber das ist auch gar nicht notwendig. Ganz offensichtlich sind Sie bereits eine Liebhaberin kashaqrischer Volkskunst.“

Verwundert blickte sie ihn an. Was meinte er nur?

„Die Wolldecke, die auf Ihrem Sofa liegt, ist echte kashaqrische Handarbeit. Sie wurde in einem Dorf namens Sakala angefertigt. Das Muster ist etwa siebenhundert Jahre alt und wird immer von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Diese Decke ist das traditionelle Hochzeitsgeschenk. Sie soll dem jungen Paar Glück bringen.“

Madani sah, wie Emilys Miene plötzlich erstaunlich kühl wurde. „Dann sollte ich sie vielleicht meiner Schwester schenken.“

„Wird Ihre Schwester demnächst heiraten?“

„Ja“, erwiderte sie knapp und trank einen Schluck Kaffee. Dann wechselte sie das Thema: „Ich hatte ja keine Ahnung, dass diese Wolldecke eine so fantastische Geschichte birgt. Ich habe sie in einem kleinen Laden hier um die Ecke gekauft.“

Selims Schatzkiste nehme ich an?“ Die Frau des Ladenbesitzers stammt aus Kashaqra.

„Genau. Die Decke war auch ziemlich teuer. Doch ich musste sie einfach haben. Die Farben haben mir sofort gefallen. Sie sind so lebendig.“

„Lebendig“, wiederholte er sanft und sah ihr tief in die Augen. „So lebendig, dass man sich selbst ganz lebendig fühlt, wenn man sie anschaut.“

Endlose Sekunden verstrichen, dann senkte sie den Blick. War sie verlegen? Geschmeichelt? Vielleicht entschuldigte er sich besser?

„Wir sollten jetzt das Geschäftliche besprechen“, beendete Emily das Schweigen. „Punkt eins: Haben Sie schon eine Vorstellung, was Sie servieren möchten?“

Nachdem Dan Tarim gegangen war, schwebte Emily förmlich durch das Apartment. So gut hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Natürlich hatte dies rein gar nichts mit Dan zu tun. So viel stand fest, auch wenn sie ihn sexy fand mit seinem exotischen Akzent und den tiefschwarzen Augen. Ihre gute Laune war einzig und allein auf den neuen Catering-Auftrag zurückzuführen, der es ihr erlauben würde, abermals eine beträchtliche Summe für ihr Traumrestaurant zu sparen. Halbe Sachen schien es für Dan jedenfalls nicht zu geben.

Doch sie verstand ihn, denn sie empfand genauso, wenn es um ihr zukünftiges Restaurant ging. The Merit sollte es heißen, und jeden Tag kam seine Eröffnung ein Stückchen näher. In etwa einem Jahr würde sie sich mit ihrem Geschäftsplan um einen Kredit bewerben. Aufgrund der Tatsache, dass neu eröffnete Restaurants keine große Überlebenschance hatten, würde sie der Bank einige Sicherheiten bieten müssen.

Kaum eine Nacht verging, ohne dass sie von ihrem Restaurant träumte. Dann sah sie alles ganz deutlich vor sich. Die ledergebundenen Menükarten und die weiß gedeckten Tische mit hohen silbernen Kerzenleuchtern, die romantisches Licht verbreiteten. Das Essen aber würde weitaus weniger konventionell sein. Ein atemberaubendes multikulturelles Geschmackserlebnis, das ihre ganz persönliche, unverkennbare Note tragen sollte. Und es musste in Manhattan sein. Nirgendwo anders würde man The Merit so zu würdigen wissen wie dort.

Aber zunächst einmal musste sie Dans Auftrag ausführen, ehe sie überlegte, was sie mit ihrem Verdienst anfangen würde. Am Ende ihres Meetings hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie einige Menüvorschläge vorbereiten und dann mit ihm besprechen würde. Er ließ ihr freie Hand und vertraute vollkommen auf ihr Urteil. Solche Kunden waren Emily die liebsten. So konnte sie kreativ sein und experimentieren. Nur eine einzige Bedingung hatte er gestellt, die ihr sehr recht war, schließlich übernahm er die Kosten für die Zutaten. Da er eine Schwäche für weiße Trüffel hatte, sollte mindestens ein Gericht den kostbaren Pilz enthalten.

Diese italienische Delikatesse hatte den stolzen Preis von 10.000 Dollar pro Pfund, weshalb Emily bisher nur selten Gelegenheit gehabt hatte, damit zu kochen. Selbst die Hendersens, die ihren Gästen nur die erlesensten Speisen servierten, hatten bisher nie weißen Trüffel bestellt.

„Ich fühle mich wie im Paradies!“, seufzte sie glücklich und schleppte einen Stapel ihrer Lieblingskochbücher in die Küche.

Doch schon ein harsches Telefonklingeln später kehrte sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Und als sie die Stimme ihrer Mutter erkannte, sank ihre Laune gleich noch ein wenig tiefer.

„Lieber Himmel, ich dachte schon, ich kriege dich gar nicht mehr ans Telefon“, beschwerte sich Miranda Merit anstelle einer Begrüßung.

„So?“ Wenn Mutter Höflichkeit nicht für nötig hält, kann ich wohl auch darauf verzichten.

„Du brauchst gar nicht die Unschuldige zu spielen, Emily! Und wenn du zehnmal versuchst, meinen Anrufen aus dem Weg zu gehen, Tatsache ist, dass deine Schwester im August heiraten wird.“

Und natürlich musst du mir das bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben. „Das weiß ich, Mom.“

„Und ich weiß, dass es für dich sehr schwer zu akzeptieren ist, aber, glaub mir, so ist es für alle das Beste. Reed passt einfach viel besser zu Elle als zu dir. Wann wirst du ihnen endlich verzeihen?“

Wenn sie mich darum bitten!

„Zu ihrer Silberhochzeit?“

„Das ist reichlich optimistisch.“

„Du musst über den Dingen stehen. Deine Schwester ist so glücklich. Dein Vater und ich haben Elle noch nie so ausgeglichen gesehen. Seit Jahren haben wir darauf gehofft. Kannst du dich nicht einfach an ihrem Glück freuen?“

Aus unerfindlichen Gründen bekam Emily auf einmal ein schlechtes Gewissen. Ihre Mutter war wirklich sehr geschickt darin, sie zu manipulieren, und seit Elle einen Verlobungsring an ihrem Finger trug, bearbeitete sie sie auf diese Weise.

„Ich habe leider gerade keine Zeit, das länger zu diskutieren, Mom.“

„Nächsten Sonntag findet Elles Junggesellinnenparty statt.“

„Und ich habe dir schon zigmal gesagt, dass ich arbeiten muss.“ Was nicht stimmte. Genau an diesem Tag hatte sie frei.

„Bitte versuche, dir wenigstens ein paar Stündchen frei zu nehmen. Um des Familienfriedens willen.“

Ärgerlich legte Emily auf. Wieso war sie eigentlich als Einzige für den Familienfrieden verantwortlich?

Während Azeem den Mercedes durch den dichten Verkehr in Manhattan steuerte, hörte Dan die Mailbox seines Mobiltelefons ab. Schon wieder seine Mutter. Wenn man bedachte, dass es in Kashaqra gerade mitten in der Nacht war, musste Fadilah wohl etwas Dringendes zu besprechen haben. Was bedeutete, dass er ihren Anrufen nicht mehr länger aus dem Weg gehen konnte.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Azeem. „Ist etwas mit deinem Vater?“

„Kann ich mir nicht vorstellen.“ Sonst hätte seine Mutter wahrscheinlich nicht so vage Nachrichten hinterlassen. „Sie will mit mir sprechen, mehr hat sie nicht gesagt.“

Azeem grinste. „Fadilah ist die einzige Frau, die ich kenne, die dich nervös macht. Aber nicht mehr lang, sadiqi. Wenn du nicht bald deine Meinung änderst, wird Nawar das Gleiche mit dir tun.“

Trotz des scherzhaften Tones war die Provokation unüberhörbar.

„Lass mich bitte an der nächsten Ampel aussteigen.“

„Aber das nächste Meeting ist in der 5th Avenue.“

„Ich weiß, aber ich laufe lieber.“ Als sein Fahrer die Stirn runzelte, erklärte er: „Seit einer Woche regnet es entweder oder ich bin in irgendwelchen Büros eingesperrt. Ich würde gerne die Sonne ein wenig genießen, ehe ich das nächste Konferenzzimmer betrete.“

„Wie du willst“, erwiderte Azeem achselzuckend, doch sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er dieser Erklärung keinen Glauben schenkte.

Nachdem er ausgestiegen war, schaute Madani auf die Uhr. Zwanzig nach elf. Also hatte er noch über eine halbe Stunde bis zu dem Meeting mit dem Vorstand eines großen Vertriebsunternehmens, mit dem er in Zukunft zusammenarbeiten wollte.

Wie sehr genoss er es, endlich einmal wieder an der frischen Luft zu sein. In Kashaqra machte er regelmäßig Spaziergänge, um seine Gedanken zu ordnen und Pläne zu schmieden. Genau das musste er auch jetzt tun, dank der mysteriösen Mailboxnachrichten seiner Mutter.

Langsam schlenderte er in Richtung 5th Avenue. Er mochte den quirligen New Yorker Stadtteil Manhattan. Hier fühlte er sich mittlerweile fast wie zu Hause. Dort drüben lag der Central Park, die grüne Lunge der Stadt, die ganz im Norden an die 5th Avenue angrenzte und Manhattan in Ost und West teilte. Hier joggte halb New York zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit um den Belvedere Lake. Egal wie oft er die schmiedeeisernen Brücken der kleinen Bäche in der Nähe des Hudson Rivers überquerte, jedes Mal genoss er den Blick auf die Wolkenkratzer des Bankenviertels. Und wem konnte schon die wohl berühmteste Einkaufsstraße der Welt, die 5th Avenue, langweilig werden? Zwischen Rockefeller Center und Empire State Building, St. Patricks Cathedral und dem Guggenheim Museum waren hier täglich Hunderttausende von Menschen unterschiedlichster Hautfarbe und Herkunft unterwegs. Durch sie erst wurde New York zu einer Stadt, die an Lebendigkeit durch keine andere übertroffen wurde.

Wahrscheinlich wollte seine Mutter mit ihm über die öffentliche Ankündigung seiner Verlobung sprechen. Oder gar über die Hochzeit. Er schluckte. Allein der Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu. Seine Eltern wurden nicht müde, ihn daran zu erinnern, dass die Ehe der nächste logische Schritt in seinem Leben sei. Zweiunddreißig Jahre war er alt, hervorragend ausgebildet und Chef eines erfolgreichen Unternehmens. Worauf wartete er also noch? Warum wollte er sich noch immer nicht häuslich niederlassen und eine Familie gründen? Als Thronfolger der kashaqrischen Herrscherfamilie war das nichts weniger als seine Pflicht. Aber gerade diese Tatsache machte es ihm so schwer. Er wollte nicht nur aus Pflichtgefühl heiraten.

Dabei hatte er eigentlich keinen Grund, sich zu beklagen. Nawar, die Braut, die seine Eltern für ihn ausgesucht hatten, galt als große Schönheit. Und darüber hinaus schrieb sie gerade ihre Doktorarbeit in Volkswirtschaft an der besten Universität Kashaqras. Auf ihren Wunsch war die Hochzeit aufgeschoben worden, bis sie ihre Ausbildung beendet hatte. Manchmal fragte er sich, ob sie das Promotionsstudium nicht nur begonnen hatte, weil auch sie sich mit den Hochzeitsplänen ihrer Eltern nicht anfreunden konnte. Sollte eine Ehe nicht einzig die beiden Menschen etwas angehen, die sie betraf?

Azeem jedenfalls schien davon überzeugt zu sein. Und er machte auch keinen Hehl daraus, dass er die Entscheidung seines Freundes, den Wunsch seiner Eltern zu erfüllen, missbilligte.

„Du könntest dem ganzen Land ein Vorbild sein, noch bevor du den Thron besteigst“, hatte er gesagt. „Wenn du dich gegen arrangierte Ehen stellst, werden viele andere deinem Beispiel folgen.“

Darüber nachgedacht hatte er. Gründlich sogar. Aber seine Entscheidung stand fest. Er hatte keine andere Wahl. Auf keinen Fall durfte er die Gesundheit seines Vaters aufs Spiel setzen. Nawar würde nicht die schlechteste Ehefrau abgeben, und außerdem standen für ihn die Chancen auf eine Liebesheirat außerordentlich schlecht. Schließlich hatte er sie noch nie empfunden, diese Liebe, von der die Dichter schwärmten.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund dachte er plötzlich an Emily Merit.

„Ich hätte nicht geglaubt, dass du in diesem Teil der Stadt Bekanntschaften pflegst“, hatte Azeem gesagt, als er ihn vor ihrem Apartment absetzte. „Wenn du für sie um diese Uhrzeit aufstehst, muss sie unglaublich hübsch sein. Kann ich daraus schließen, dass du deine Meinung wenigstens bezüglich eines letzten Abenteuers geändert hast?“

„Das hier ist ein Geschäftstermin“, hatte er ärgerlich erwidert. „Weiter nichts.“

Und das war es ja auch gewesen. Rein geschäftlich. Auch wenn er sich von der hübschen jungen Geschäftsfrau, die seine Abschiedsparty ausrichten würde, geradezu magisch angezogen fühlte.

3. KAPITEL

Auch in der nächsten Woche kehrten seine Gedanken immer wieder zu Emily Merit zurück, was nicht nur an der Tatsache lag, dass seine Sekretärin ihm die Menüvorschläge für die Dinnerparty übergeben hatte.

Kurz entschlossen griff Madani zum Telefon. Beim vierten Klingeln antwortete sie. Ihre Stimme klang fröhlich, beinahe atemlos.

„Hallo, Emily. Hier ist Dan Tarim.“

„Dan, hallo. Was für ein Zufall! Gerade habe ich an Sie gedacht“, sagte sie lachend.

„Sie haben an mich gedacht?“ Wieso freute er sich nur so sehr über diese einfache Bemerkung?

„Ja. Was halten Sie von meinen Menüvorschlägen? Ich finde, ich habe ein paar tolle Gerichte für Ihre Gäste zusammengestellt.“

„Menü?“, wiederholte er fast ein wenig enttäuscht. „Richtig.“

„Sind Sie mit allen Zutaten einverstanden? Die weißen Trüffel sind in diesem Jahr besonders teuer.“

„Selbstverständlich bin ich einverstanden.“

„Und ich benötige auch noch die genaue Personenzahl.“

„Aus diesem Grund rufe ich an. Einer meiner Geschäftspartner und seine Frau sind leider verhindert. Dementsprechend wird es nur eine kleine Dinnerparty. Vier Gäste und ich.“

„Oh, wie schade. Fünf Personen also? Haben Sie an diesem Abend keine Begleitung?“

„Wie bitte?“

„Ich frage, weil Babs Hendersen eine ungerade Gästezahl immer um jeden Preis verhindern möchte. Manchmal muss deswegen sogar ihre Sekretärin am Dinner teilnehmen.“

„Ich habe keine Begleitung, nein.“

„Wirklich nicht?“, fragte sie erstaunt. „Okay.“

„Sollte ich eine haben?“

„Ein Muss ist es natürlich nicht. Ich dachte nur, dass jemand wie Sie immer mindestens eine Frau an seiner Seite hätte.“ Oh, Gott! Hatte sie das etwa laut ausgesprochen? „Entschuldigen Sie bitte, das war unpassend.“

Madani lächelte. Natürlich kannte er genügend Frauen in New York, die sich um eine Einladung zu seiner Dinnerparty reißen würden. Die alles stehen und liegen lassen würden, um ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Aber er verspürte keinerlei Lust auf diese Art weiblicher Gesellschaft.

Nicht, dass er sich Nawar gegenüber verpflichtet fühlte. Schließlich waren sie bisher noch nicht einmal offiziell verlobt. Außerdem hatten sie sich höchstens drei oder vier Mal gesehen. Und auch das nie allein.

Unwillig schob er den Gedanken an Nawar beiseite. „Wann hätten Sie denn Zeit, die letzten Details zu besprechen?“

„Persönlich meinen Sie?“, erkundigte sie sich vorsichtig, um weitere Missverständnisse zu verhindern. „Wir können das auch telefonisch oder per E-Mail regeln.“

„Machen Ihre anderen Kunden das so?“

„Die meisten“, gestand sie lachend. „Aber eigentlich gibt es keinen Standardkunden. Manche verlangen ein Probemenü, andere überlassen alles mir. Und wieder andere bestehen sogar darauf, mich zu begleiten, wenn ich die Zutaten einkaufe.“

„Und das lassen Sie zu?“

„Ich ermutige die Kunden zwar nicht unbedingt dazu, aber …“ Sie räusperte sich. „Sie sind doch Geschäftsmann. Der Kunde ist eben König, nicht wahr?“

„Allerdings. Also, wann haben Sie Zeit für ein persönliches Meeting? Und ein Probemenü fände ich auch sehr gut.“ Grinsend fügte er hinzu: „Wenn ich es mir recht überlege, könnte ich mir sogar vorstellen, mit Ihnen einkaufen zu gehen. Ich bin im Allgemeinen als anspruchsvoller Kunde bekannt.“

„Meinen Sie das ernst?“

„Selbstverständlich“, behauptete er, auch wenn sie ihn gerade erst auf die Idee gebracht hatte. „Hätten Sie am Samstagabend Zeit?“

„Ich habe eine Catering-Firma“, erinnerte sie ihn trocken.

„Gut, Samstagnachmittag.“ Umso besser, Samstagabend sähe vielleicht doch ein wenig verdächtig aus. Schließlich handelte es sich nicht um ein Rendezvous.

„Um sieben Uhr habe ich eine Dinnerparty für zwölf Personen, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird.“

„Samstagvormittag ist mir auch recht.“

Amüsiert lachte Emily auf. „Ein Nein akzeptieren Sie wohl nicht?“

„Korrekt. Außerdem ist der Kunde König.“

„Absolut. Also, kommen Sie bitte zwischen zehn und zwölf bei mir vorbei. Kostproben kann ich zwar nicht versprechen, aber wir können noch einmal die Einzelheiten durchgehen und das Menü endgültig festlegen.“

„Sehr gut. Also dann bis Samstag.“

Ohne genau zu wissen, weshalb, lächelte er noch lange nachdem er aufgelegt hatte.

Punkt zehn Uhr stand Madani vor Emilys Tür. Dieses Mal hatte sie ihn erwartet. Haar, Make-up, Kleidung – alles war perfekt und sehr geschmackvoll aufeinander abgestimmt.

Tatsächlich hatte sie heute wesentlich mehr Zeit in ihr Aussehen investiert als sonst. Immerhin hatte sie ein Meeting mit einem wichtigen Kunden, und da wollte sie natürlich so professionell wie möglich aussehen. Weshalb sie dann allerdings eine sehr feminine hellblaue Seidenbluse ausgewählt hatte, die das Blau ihrer Augen besonders gut zur Geltung brachte, konnte sie auch nicht erklären. Und schon gar nicht, warum sie beim Vorbereiten der Vorspeisen für den Abend am liebsten auf die Schürze verzichtet hätte.

„Guten Morgen, Emily.“ Seine Stimme klang genauso tief und samtig, wie sie sie in Erinnerung gehabt hatte.

„Guten Morgen.“

Anscheinend hatte er sich heute mehr auf Freizeit eingestellt, denn er trug eine naturfarbene Leinenhose, helle Slipper und ein weißes Poloshirt. Auf ein Jackett und eine Krawatte hatte er verzichtet. Trotzdem strahlte er nicht weniger Autorität und Eleganz aus als im teuren Maßanzug.

Als sie bemerkte, dass ihm ihr prüfender Blick nicht entgangen war, trat sie hastig beiseite und ließ ihn herein.

Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, stellte sie fest, dass sein Blick nicht minder intensiv über ihren Körper wanderte.

„Sie arbeiten bereits?“, fragte er erstaunt und zeigte auf ihre Schürze.

„Schon seit Stunden. Um sechs Uhr bin ich aufgestanden. Allerdings musste ich erst einmal einen Espresso trinken, ehe ich etwas Vernünftiges zustande gebracht habe. Gestern Abend ist es mal wieder etwas spät geworden. Die Kundin, deren Menü ich gerade vorbereite, rief gestern Nachmittag mit ein paar Änderungswünschen an, die meine Planung ein wenig durcheinandergebracht haben. Anscheinend hat einer ihrer Gäste eine Allergie gegen Krustentiere, also musste ich mir schnell eine Alternative für den Meeresfrüchte-Salat überlegen und die fehlenden Zutaten besorgen.“

„Der alltägliche Wahnsinn des Geschäftslebens.“

„Ganz genau.“ Lachend ging sie ihm in die Küche voraus.

„Sieht bei Ihnen denn jedes Wochenende so aus?“, erkundigte er sich.

„Wenn ich Glück habe, ja.“

Nachdenklich runzelte Dan die Stirn. „Vielleicht sollten Sie noch eine weitere Assistentin einstellen. Anscheinend haben Sie sehr viel zu tun.“

Das stimmte. Aber sie konnte es sich schlicht nicht leisten, eine weitere Hilfskraft zu bezahlen. Schließlich wollte sie ihr Restaurant nicht erst in zehn Jahren eröffnen. Und außerdem hatte sie an den Wochenenden im Moment sowieso nichts Besonderes vor. Sobald The Merit erst einmal lief, würde sie natürlich genügend Personal einstellen, damit sie hin und wieder ein paar Tage frei nehmen konnte. Doch bis dahin würde Kaffee ihr bester Freund sein.

Bei diesem Gedanken fiel ihr ein: „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Espresso? Kaffee? Oder vielleicht einen Tee?“

„Espresso, bitte. Den haben Sie ja schon fertig“, erwiderte er und zeigte auf die professionelle Espressomaschine, die Emily sich zu Weihnachten gegönnt hatte.

„Ja, aber ich wechsele gern zu Milchkaffee, wenn Sie möchten. Ich denke, ich sollte meinen Koffeinkonsum ein wenig zügeln, da ich noch den ganzen Tag mit scharfen Messern arbeiten muss. Zittrige Finger sind da gefährlich“, fügte sie scherzend hinzu.

Lächelnd setzte er sich auf einen der Barhocker an die Arbeitsplatte, auf der eine bunte Mischung aus frischem Gemüse lag. Einige Zutaten waren für einen Salat gedacht, andere als Beilagen für die Hauptspeise.

Nachdem Emily zwei Milchkaffees bereitet hatte, setzte sie sich auch. „Übrigens“, begann sie nachdenklich, „Sie haben vollkommen recht, dass ich eigentlich noch mehr Personal benötige, aber … ich liebe es, zu kochen und neue Gerichte zu erfinden. Deswegen habe ich diesen Beruf gewählt. Viel zu arbeiten macht mir wirklich nichts aus.“ Das war die volle Wahrheit. Und über ihre finanzielle Situation brauchte sie mit einem Kunden ja nicht zu sprechen. Das wäre schlicht unprofessionell.

„Und was ist mit Ihrem Privatleben?“, fragte er und sah ihr tief in die Augen.

Irrte sie sich oder wurde es auf einmal wärmer in der Küche? „In … in … in meiner Freizeit lese ich viel“, stammelte sie. In meiner Freizeit lese ich viel? Lieber Himmel, was für eine dämliche Antwort! Ein Blinder konnte sehen, wie kultiviert und gebildet Dan war. Vermutlich konnte er aus dem Stegreif eine Rede über sämtliche Kunstepochen und ihre Hauptvertreter halten oder alle Vivaldi-Opern aufzählen. Davon abgesehen, dass er sein Privatleben vermutlich noch mit weitaus aufregenderen Dingen füllte. Daneben wirkte sie langweilig und ungesellig.

Doch überraschenderweise erwiderte er: „Ich lese auch sehr gern. Haben Sie einen Lieblingsautor?“

Irgendwie hatte Emily das ungute Gefühl, dass er sie nur noch langweiliger finden würde, wenn sie jetzt mit der Wahrheit herausrückte und einige berühmte Chefköche aufzählte. Wahrscheinlich hielt er sie eh schon für einen Workaholic.

„Ach, ich will mich da gar nicht so festlegen“, sagte sie leichthin. „Wenn ein Buch den Anschein erweckt, dass es mich interessieren könnte, dann lese ich es. Egal wer es geschrieben hat.“

„Sehr experimentierfreudig.“

„Ja. Und Sie? Wer ist denn Ihr Lieblingsschriftsteller?“ Vermutlich las er am liebsten Klassiker. Oder Philosophie.

„Stephen King, ehrlich gesagt.“

„Stephen King?“ Vor Überraschung wäre ihr fast die Kaffeetasse aus der Hand gerutscht.

„Erstaunt Sie das etwa?“

Diese unübersehbare Tatsache schien ihn sehr zu amüsieren. Emily zog die Nase kraus. „Na ja, ich könnte jedenfalls nach dieser Lektüre die ganze Nacht kein Auge zukriegen.“

„Ich schlafe wie ein Baby“, stellte er grinsend fest.

Jedes Mal, wenn er lächelte, musste sie sich ernsthaft zusammennehmen, um nicht dahinzuschmelzen wie ein Eis unter der Wüstensonne. Ihre Assistentin hatte wirklich recht gehabt, Dan hatte sehr sinnliche Lippen. Und bei seinen Worten stellte sie sich sofort vor, wie er im Bett lag und schlief. Allerdings nicht wie ein Baby, sondern mehr wie ein vollkommen erwachsener Mann, der in nachtblauer seidener Bettwäsche darauf wartete, dass sie sich zu ihm legte.

Jetzt reiß dich aber zusammen! ermahnte sie sich selbst. Was war denn nur los mit ihr? „Wie sind wir denn eigentlich auf dieses Thema gekommen?“, fragte sie nervös.

„Wir sprachen über Ihre langen Arbeitstage und darüber, was Sie in Ihrem Privatle…“

„Ah, richtig“, unterbrach sie ihn heftig. Die Art, wie Dan Privatleben sagte, erweckte in ihr längst vergessen geglaubte Sehnsüchte. Wie sonst sollte sie sich erklären, dass sie den Blick kaum von seinen Lippen nehmen konnte und in welch unpassende Richtung ihre Gedanken gerade abgeschweift waren? „Wie ich bereits erwähnte, ich liebe meine Arbeit!“

Genau. Arbeit. Sprich mit ihm über Geschäftliches, befahl sie sich selbst und begann, Karotten zu schneiden.

„Aber wenn Sie mehr Personal hätten, könnten Sie auch mehr Aufträge annehmen und trotzdem bliebe noch mehr Freizeit. Ich kenne mich ja mit Ihrer Firma nicht so gut aus. Machen Sie auch Catering für große Events?“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ein paar Großveranstaltungen habe ich zwar auch schon übernommen, aber das ist wie Fließbandarbeit und macht nicht sonderlich viel Spaß. Kleinere Veranstaltungen sind mehr nach meinem Geschmack. Da habe ich außerdem wesentlich mehr Einfluss auf das Endprodukt.“

„Ah!“ Er nickte verständnisvoll. „Eine Perfektionistin.“

Lachend erwiderte sie: „Meine Assistentin würde Ihnen da wohl zustimmen.“

Nach kurzem Schweigen fragte er leise: „Also Ihre Firma ist Ihr Lebenstraum?“

„Im Moment jedenfalls.“

„Im Moment? Jetzt bin ich aber neugierig. Was wollen Sie denn noch, Emily?“

Diese Frage aus dem Mund eines so gut aussehenden Mannes würde sicher in jeder Frau so manchen Traum erwecken. Wünsche und Sehnsüchte, die sie selbst für unerreichbar befunden hatte und über die sie im Alltag nur noch selten nachdachte. Einen Ehemann. Eine Familie. Ein Zuhause.

Über ihre eigenen Gedanken entsetzt, schüttelte sie den Kopf. „Davon erzähle ich Ihnen besser ein andermal.“

„Sehr gern.“

In diesem Moment erklang ein feiner Glockenton. Einer ihrer Backöfen verkündete, dass die Quiches fertig waren. Erleichtert sprang Emily auf, stülpte die langen Ofenhandschuhe über und zog die dampfende Vorspeise heraus. Vor dem Servieren mussten sie nur noch einmal kurz im Ofen erhitzt werden.

„Das riecht wundervoll“, stellte Dan fest und kam zu ihr herüber. „Ist das Spinat?“

„Spinat und Lachs.“

„Und was für eine hübsche Form die Quiches haben. Fast zu schade zum Essen!“

„Warten Sie nur, bis Sie sehen, was ich mir für Ihre Dinnerparty ausgedacht habe. Als Dessert soll es eine Birnen-Karamellmousse mit Vanilleschlagsahne geben. Die zergeht richtig auf der Zunge.“

„Da bekomme ich gleich Appetit“, sagte er leise und fixierte sie so intensiv, dass sie Gänsehaut bekam.

„Das … das freut mich“, stotterte sie verlegen. Meinte er es so zweideutig, wie sie es auffasste? Knisterte die Luft zwischen ihnen tatsächlich vor erotischer Spannung, oder bildete sie sich das nur ein?

Obwohl sie den Backofen längst ausgeschaltet hatte, wurde ihr immer heißer. Wahrscheinlich lag es an der Warmwetterfront, die seit kurzem die Temperaturen in New York in die Höhe trieb. Vielleicht sollte sie besser die Klimaanlage einschalten? Mit einem Seitenblick auf Dan stellte sie fest, dass es ihm ganz offensichtlich nicht zu warm war.

Gut, dann eben zurück zum Geschäftlichen. „Wenn Ihnen das Dessert schon so gut gefällt, werden Ihnen sicher auch die anderen Gänge des Menüs zusagen.“ Damit zog sie einen Hefter aus der Küchenschublade und setzte sich wieder auf den Barhocker.

Was war da bloß eben passiert? Wie konnte eine Unterhaltung über ein Dessert zu einem erotischen Intermezzo werden? Jedenfalls hatte Madani es so empfunden. Nur seiner guten Erziehung hatte er es zu verdanken, dass er seine Gefühle so gut verbergen konnte.

Sonderbarerweise fiel es ihm in Emilys Anwesenheit nämlich wahnsinnig schwer, sich zu konzentrieren. Seit er dieses Apartment betreten hatte, fühlte er sich so stark zu ihr hingezogen, dass er sich kaum zurückhalten konnte. Am liebsten hätte er sie pausenlos mit privaten Fragen gelöchert, und einige zweideutige Anspielungen hatte er sich leider auch nicht verkneifen können.

Wahrscheinlich lag es daran, dass er für seine Verhältnisse schon erstaunlich lange Single war. Und die Tatsache, dass diese hellblaue Bluse Emilys zarte weiße Haut wie Elfenbein schimmern ließ, half auch nicht gerade. Unter der heißen Sonne seines Heimatlandes würde sie ohne Schutz sicher verbrennen. Ob sie sich wohl auch so seidenweich anfühlte, wie sie aussah?

Hastig trank er einen Schluck von seinem Kaffee, der mittlerweile abgekühlt war. Er selbst hingegen fühlte sich heißer denn je. Zum Glück hatte sie das Thema gewechselt, sonst hätte er sich noch bis auf die Knochen blamiert.

Als Emily neben ihm Platz nahm, schien sie ganz offensichtlich darauf bedacht, möglichst großen Abstand zu ihm zu halten. Vielleicht sollte er sich besser entschuldigen? Ach nein, damit würde er die Sache vermutlich nur verschlimmern.

In geschäftlichem Ton begann Emily schließlich: „Lassen Sie uns mit den Vorspeisen beginnen. Zwei hatten Sie gewünscht. Nach dem, was Sie mir von Ihren Gästen erzählt haben, schlage ich als warme Vorspeise ein Pastagericht vor: hausgemachte Bandnudeln mit grünem Spargel und Basilikum. Da Sie auf einen Salat verzichten wollten, werden die Portionen ein wenig größer sein. Als kalte Vorspeise hatte ich an eine Hummusvariation gedacht, eine kleine kulinarische Anspielung auf Ihr Heimatland. Ich werde es wie gewohnt mit Kichererbsen und Zitrone anrichten, aber statt Sesampaste Joghurt verwenden. Dazu werden wie üblich geröstete Tomaten und Pitabrot gereicht.“

Als sie fragend zu ihm aufblickte, nickte er zustimmend: „Perfekt.“

„Als Hauptgericht hatten Sie sich für Fisch entschieden. Ich weiß, Sie mochten den Lachs, wie ich ihn für die Hendersens zubereitet hatte. Darum hoffe ich, dass auch mein Wolfsbarsch in Weißweinsoße nach Ihrem Geschmack ist.“ Dabei deutete sie auf ein Foto, das an eines der Rezepte geheftet war. „Wie Sie sehen, plane ich als Beilage ein Risotto, das in kleine Küchlein geformt und leicht angebraten wird. Das passt auch von der Textur hervorragend.“

„Textur?“

„Ja, der Fisch ist gabelfest, das Risottoküchlein knusprig. Das ist ein schöner Kontrast.“

„Jedenfalls klingt es so“, pflichtete Madani ihr bei. Erstaunlich, wie viele Gedanken sie sich dazu gemacht hatte!

„Zu guter Letzt gibt es gedämpfte grüne Bohnen mit fein geraspeltem weißem Trüffel. Für die Bohnen habe ich mich entschieden, weil ich das Trüffelaroma nicht mit zu vielen anderen Geschmacksnoten übertünchen wollte.“

„Der Trüffel als Star des Abends.“

„Genau. Sonst kommt er einfach nicht genug zur Geltung. Und das wäre sehr schade.“

Lächelnd sah Emily von ihrem Hefter auf. Wie immer, wenn sie über Essen redete, fühlte sie sich sehr wohl in ihrer Haut. „Im Großen und Ganzen ist es ein sehr leichtes Menü. Dadurch ist auch das kalorienreiche Dessert, von dem ich Ihnen vorhin erzählte, ganz ohne schlechtes Gewissen möglich.“

„Sehr beeindruckend“, sagte Dan beifällig. „Anscheinend haben Sie an alles gedacht.“

„Dafür bezahlen Sie mich ja schließlich auch. Apropos“, fuhr sie fort und blätterte in ihrem Hefter, „da Sie ja nur zu Besuch in New York sind, habe ich mir erlaubt, eine Preisliste für Geschirr und Silberbesteck anzufügen, falls Sie es für den Abend ausleihen möchten.“

„Vielen Dank, aber meine Unterkunft in Manhattan ist vollständig ausgestattet.“

„Wunderbar. Außerdem habe ich eine Auswahl von roten und weißen Weinen zusammengestellt, die hervorragend zu den einzelnen Gängen des Menüs passen. Wenn Sie möchten, kann ich Sie zusammen mit den Zutaten für Sie besorgen und mit auf die Rechnung setzen. Natürlich können Sie den Wein auch separat kaufen, falls Ihnen das lieber ist. In diesem Fall kann ich Ihnen einen hervorragenden Weinhändler empfehlen. Da ich mit ihm befreundet bin, würde er Ihnen auch einen Preisnachlass gewähren, wenn Sie erwähnen, dass Sie einer meiner Kunden sind.“

Aufmerksam las Madani die Liste, die sie ihm reichte. Wie schon zuvor war er von ihrem Wissen beeindruckt. „Sie sind eine echte Weinkennerin, wie ich sehe.“

„Wein ist oft ein wichtiger Bestandteil des Menüs. Wenn er gut auf die Gerichte abgestimmt ist, kann er die einzelnen Geschmacksnoten noch besser zur Geltung bringen. Ist dies jedoch nicht der Fall, kann er ein sonst perfektes Essen aber auch ruinieren.“

„Wie ich schon sagte: Sie sind eine Perfektionistin.“ Obwohl Madani wusste, dass er sich damit auf sehr dünnes Eis begab, streckte er die Hand aus und strich ihr sanft über die Wange. Nur ganz kurz wollte er sie mit den Fingerspitzen berühren. Nur einmal ihre zarte helle Haut spüren. „Und eine hinreißende Perfektionistin noch dazu, gamila“, raunte er und hob ihr Kinn, sodass sie ihm in die Augen sehen musste.

Noch ehe er selbst wusste, was er eigentlich gerade vorhatte, neigte er sich zu ihr herab und küsste sie zärtlich auf die Wange. Langsam wich er zurück. Welche Verrücktheit! Hatte er sich denn überhaupt nicht mehr unter Kontrolle? Emily war eine Geschäftspartnerin! Anscheinend hatte er den Verstand verloren, denn am liebsten hätte er sie gleich noch einmal geküsst. Allerdings dieses Mal nicht nur auf die Wange …

Emily wirkte wie erstarrt. Mit großen Augen blickte sie ihn an. „Was bedeutet das?“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er ehrlich. Wie sollte er ihr auch erklären, was in seinem Leben gerade vor sich ging? In welchem Zwiespalt der Gefühle er steckte, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war.

„Sie wissen es nicht?“, fragte sie verwundert. „Aber Sie haben es doch gerade gesagt.“

„Was habe ich gesagt? Ah“, jetzt verstand er, was sie meinte. „Gamila heißt ‚wunderschön‘ auf Arabisch.“

Verlegen sah sie zu Boden. „Oh.“

„Sie sind wunderschön, Emily.“

„Ich bin Köchin.“

„Und Köchinnen können nicht schön sein?“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens wechselte sie das Thema: „Haben Sie sich schon bezüglich des Weins entschieden?“

„Ich kümmere mich um den Wein“, knurrte er irritiert. Wieso wich sie ihm aus?

„Okay.“

In ruhigerem Ton fügte er hinzu: „Einige der Weine auf der Liste habe ich bereits in meinem Weinkeller. Außerdem würde ich meinen Gästen gern einige Flaschen von meinem Lieblingswein anbieten. Ich bin sicher, dass er Ihre Zustimmung finden wird.“

„Gut“, stimmte sie zu und stand auf. „Dann hätten wir wohl alles besprochen. Das heißt, wenn Sie keine Änderungswünsche oder Verbesserungsvorschläge mehr haben.“

„Perfektion kann man nicht verbessern.“ Damit stand auch er auf.

„Auf der ersten Seite habe ich die Kosten aufgelistet“, erklärte sie und reichte ihm den Hefter. „Ich benötige fünfzig Prozent des Gesamtpreises als Anzahlung. Diese ist nicht rückerstattbar, sobald ich die Zutaten für das Menü gekauft habe. Der restliche Betrag ist am Abend der Dinnerparty fällig.“

„Akzeptieren Sie Schecks?“

„Selbstverständlich.“

Sofort zog er sein Scheckheft aus der Hosentasche, stellte einen Scheck aus und gab ihn ihr. Währenddessen herrschte peinliche Stille. Was hatte er nur angerichtet? Irgendetwas musste er doch sagen oder tun können, um die Situation aufzulockern – oder wenigstens noch etwas länger in ihrer Nähe zu bleiben. Vielleicht würde er dann herausfinden, was ihn an ihr so unbeschreiblich faszinierte.

Doch ein Blick auf seine Uhr zeigte, dass er sie bereits viel zu lange von der Arbeit abgehalten hatte. Unglaublich, wie schnell eine Stunde vergehen konnte!

„Ich schätze, Sie müssen an Ihre Arbeit zurückkehren“, sagte er bedauernd.

„Ja, leider. Ich habe noch unheimlich viel zu tun bis heute Abend. Kommen Sie, ich begleite Sie noch hinaus.“

Höflich hielt sie ihm die Wohnungstür auf. „Ich melde mich“, versprach sie lächelnd.

„Also, Emily! Ich dachte, dieser Spruch wird am Morgen danach nur von Männern benutzt“, knurrte ein blonder Mann, der soeben aus dem Fahrstuhl trat, in unverschämtem Ton. Er war beinahe so groß wie Dan. „Und die arme Elle macht sich Sorgen, dass du nicht zu unserer Hochzeit kommen willst, weil du noch nicht über mich hinweg bist!“ Abschätzig musterte er Madani von oben bis unten.

„Passen Sie auf, was Sie sagen!“, warnte der den Blonden leise. „Wer ist dieser Typ, Emily?“

„Was willst du hier, Reed? Es gibt nichts mehr, das ich mit dir zu besprechen hätte.“

Doch anstatt auf ihre Frage einzugehen, grinste ihr Ex nur dreist. „Willst du mir deinen neuen Freund denn gar nicht vorstellen? Vielleicht kann ich ihm ein paar Tipps geben. Schließlich kennt keiner deine Vorlieben so gut wie ich.“

Sofort machte Madani einen Schritt auf ihn zu, doch Emily hielt ihn am Arm zurück. „Tut mir wirklich leid, Dan. Dieser abscheuliche Mensch ist Reed Benedict. Der Verlobte meiner Schwester.“

Der Verlobte ihrer Schwester? Wieso hatte der Typ dann angedeutet, dass er und Emily ein Paar gewesen waren?

„Ja, ich bin gewissermaßen der Familie treu geblieben“, erläuterte Reed feixend, als er die Verwirrung im Gesicht des anderen Mannes sah. „Sie verstehen schon.“ Damit streckte er Dan die Hand hin.

Emily hatte diesen Typen als abscheulichen Menschen bezeichnet. Ihm selbst fielen noch ein paar weniger höfliche Ausdrücke für ihn ein. Und obwohl er Gewalt jeder Art eigentlich verabscheute, verspürte er plötzlich den inneren Drang, seine Faust mitten in diesem arroganten Gesicht zu platzieren. Schon ballte er die Hände, doch dann beherrschte er sich.

„Sie haben gehört, was Emily gesagt hat. Sie will nicht mit Ihnen sprechen. Ich denke, Sie sollten lieber gehen.“

Überrascht ließ Reed die Hand sinken, die Madani nicht hatte schütteln wollen. „Kleiner Tipp für die Zukunft, Kumpel! Emily hasst es, wenn ihr Mann für sie spricht. Dafür ist sie viel zu emanzipiert.“

So wie er es sagte, schien er dies für etwas Schlechtes zu halten. Ungeduldig wandte sich Dan an Emily: „Soll ich ihn hinauswerfen?“

„Ein sehr verlockendes Angebot! Aber ich gebe ihm fünf Minuten, um mir zu erklären, was er vor meiner Wohnungstür verloren hat. Wir hören uns dann später.“

Wenn sie es so wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gehen. Aber gern tat er es nicht!

4. KAPITEL

Sobald sie allein waren, konnte Emily ihren Ärger nicht mehr länger unterdrücken: „Was willst du hier, Reed?“, zischte sie. Ohne dass sie ihn hereingebeten hatte, war er ihr ins Apartment gefolgt.

„Elle bat mich, mit dir zu sprechen.“ Wie selbstverständlich schlüpfte er aus seiner Golfjacke und warf sie über die Armlehne des Sofas, als hätte sie ihn gebeten, es sich bei ihr gemütlich zu machen. „Wie ich sehe, hat sich hier einiges verändert, seit ich ausgezogen bin.“

Er grinste, sodass die strahlend weißen Porzellanverblendungen seiner Zähne nur so blitzten. Schon bei ihrem Anblick stieg in Emily die Wut hoch. Immerhin hatte sie mehrere Monate lang sämtliche Rechnungen dafür gezahlt. Nur so hatte er sich diese extravagante Zahnbehandlung überhaupt leisten können.

„Ja, ich habe das Apartment meinen Bedürfnissen angepasst.“

„Deinen Bedürfnissen“, echote er zynisch. „Ich dachte immer, du hättest gar keine Bedürfnisse.“

Klar, dass Reed nicht ohne Schläge unter die Gürtellinie auskam. Schon immer hatte er sie mit Angriffen auf ihre angeblich fehlende Weiblichkeit verletzt. Bloß weil sie sich nicht damit zufriedengeben wollte, eine Trophäe in seiner Sammlung zu sein. Weil sie eigene Ideen hatte, eigene Ziele.

Auf einmal fiel Emily auf, dass sie sich bei Dan ganz als Frau fühlen konnte. Gut, sie kannte ihn auch noch nicht lange, aber sie hatte sich noch nie so sexy gefühlt wie in seiner Nähe.

Bei diesem Gedanken kehrte ihr Selbstbewusstsein zurück. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sagte resolut: „Ich habe noch zu arbeiten, also komm bitte auf den Punkt. Was willst du hier?“

„Beschäftigt wie immer“, seufzte er. „Anscheinend zu beschäftigt, um etwas Zeit für deine Familie zu erübrigen.“

„Versuche erst gar nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, Reed. Was dich und Elle angeht, habe ich mir rein gar nichts vorzuwerfen.“ Stolz hob sie das Kinn, eine Geste, die er schon immer irritierend gefunden hatte.

Wie erwartet, ärgerte er sich darüber. „Deine Schwester möchte dich morgen bei ihrem Junggesellinnenabschied dabeihaben, Emily. Weiß der Himmel, weshalb. Neidisch und verbittert, wie du bist, wirst du ihr wahrscheinlich sowieso nur den Tag verderben.“

In gespielter Verwunderung zog Emily die Augenbrauen hoch. „Ist das deine Art, mich zu überreden, doch zu dieser Veranstaltung zu gehen?“, fragte sie halb verärgert, halb amüsiert. „Wirklich, Reed, du solltest Verkäufer werden.“

„Wie konnte ich nur all die Jahre übersehen, wie nachtragend und rachsüchtig du bist?“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Raye Morgan
Raye Morgan wuchs in so unterschiedlichen Ländern wie Holland, Guam und Kalifornien auf und verbrachte später einige Jahre in Washington, D.C. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann, der Geologe und Informatiker ist, und zwei ihrer vier Söhne in Los Angeles. „Die beiden Jungen zu Hause halten mich immer auf dem...
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<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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