Romana Exklusiv Band 331

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FEURIGE NÄCHTE IN ARGENTINIEN von CAROLE MORTIMER

Sie ist die lang verschollene Schwester eines argentinischen Milliardärs! Plötzlich darf die freiheitsliebende Beth keinen Schritt mehr ohne Bodyguard Raphael Cordoba machen. Eine Qual! Denn Raphael ist so arrogant wie attraktiv - und weckt verbotenes Verlangen in ihr!

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  • Erscheinungstag 08.01.2021
  • Bandnummer 331
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503143
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer, Natasha Oaklay, Janelle Denison

ROMANA EXKLUSIV BAND 331

1. KAPITEL

„Pardon, Señorita?“

Beth sah lächelnd zu dem attraktiven jungen Mann hoch. Bis vor ein paar Sekunden hatte er noch am Nachbartisch des Straßencafés in Buenos Aires gesessen und ihr bewundernde Blicke zugeworfen.

Bevor sie jedoch antworten konnte, nahm sie aus den Augenwinkeln bereits einen anderen Mann wahr. Er näherte sich ihrem Tisch mit einer Schnelligkeit und Behändigkeit, die man ihm bei seiner Größe und der muskulösen Statur gar nicht zugetraut hätte. Zwei Sekunden später hatte er dem jungen Mann vor ihrem Tisch bereits den Arm auf den Rücken gedreht und ihn somit völlig wehrlos gemacht.

„Raphael!“, protestierte Beth peinlich berührt und sprang auf. Sie war groß, schlank und trug ein schwarzes T-Shirt, Jeans sowie eine braune Lederjacke.

Raphael würdigte sie keines Blickes. „Hauen Sie ab!“, befahl er dem erschrockenen Mann in barschem Ton, lockerte seinen Griff jedoch nicht.

„Sie sind derjenige, der abhauen sollte!“ Beth war außer sich vor Wut. Da hatte sie nun geglaubt, ihm entwischt zu sein … Sie hätte wissen müssen, dass Raphael Cordoba sie aufspüren und ihr die wenigen ruhigen Minuten in Freiheit verderben würde.

„Werden Sie von diesem Mann belästigt?“ Der junge Argentinier sprach mit starkem Akzent. Tapfer widerstand er dem Zorn seines Angreifers.

Wurde sie von Raphael Cordoba belästigt?

Er machte ihr jedenfalls schon seit ihrer ersten Begegnung zu schaffen, und das nicht nur, weil er sie auf Schritt und Tritt verfolgte.

Er war fast zwei Meter groß, hatte dunkle Haare, die sein markantes Gesicht umrahmten, das von zwei strahlend blauen Augen dominiert wurde. Jedes männliche Model würde ihn um die breiten Schultern und den schlanken, durchtrainierten Körper beneiden, den nicht einmal die dreiteiligen Anzüge verbergen konnten, die Raphael normalerweise trug. Mit seinen dreiunddreißig Jahren strahlte der ehemalige Soldat Kraft und Furchtlosigkeit aus.

„Ich wollte nur mit Ihnen reden“, sagte der junge Mann irritiert zu Beth.

„Ich weiß.“ Sie sah Raphael strafend an.

„Sind Sie bei diesem Mann sicher?“, hakte der Argentinier erneut nach.

„Sicherer als bei Ihnen, Sie …“

„Raphael, bitte!“ Beth bewunderte den Mut des jungen Mannes angesichts Raphaels drohenden Verhaltens. „Es ist … kompliziert“, erklärte sie entschuldigend. „Er wird mir nicht wehtun.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich“, antworte Raphael grimmig auf die Frage des Mannes. Sie wusste, dass in seinen Augen hinter der verspiegelten Sonnenbrille ein gefährlicher Ausdruck stand.

Beth war sich dennoch völlig sicher, dass ihr Raphael Cordoba nichts antun würde. Ganz im Gegenteil, denn er war ihr Bodyguard. Cesar Navarro hatte ihn zu ihrem Schutz abgestellt.

Genauer gesagt, zum Schutz von Gabriela Navarro – der jungen Frau, für die Beth von allen gehalten wurde.

Nur sie selbst glaubte das nicht.

Noch vor einer Woche hatte sie in England ein ganz normales Leben geführt. Sie hatte in einem Londoner Verlag gearbeitet und sich lediglich Sorgen um ihre Schwester Grace gemacht. Die war mit ihrem neuen Boss, dem atemberaubend attraktiven Milliardär Cesar Navarro, übers Wochenende nach Argentinien geflogen. Nichts hatte Beth darauf vorbereitet, welche drastischen Auswirkungen dieser Besuch auf ihr eigenes Leben haben würde!

Doch nur ein paar Tage später war sie selbst auch in Argentinien. Die Bluttests hatten bis auf Beth selbst alle davon überzeugt, dass sie Gabriela war, die Tochter von Carlos und Esther Navarro, die man vor zweiundzwanzig Jahren als Kind entführt hatte. Beth weigerte sich jedoch so lange, das zu glauben, bis die Nachforschungen von Cesar Navarro – ihrem vermeintlichen Bruder – weitere Beweise ergeben hatten.

Währenddessen überwachte Raphael Cordoba, der zuvor der persönliche Bodyguard von Cesar Navarro gewesen war, jeden ihrer Schritte. Scheinbar gehörte dazu auch, attraktive junge Männer einzuschüchtern, die nur mit ihr hatten reden wollen.

„Lassen Sie ihn los, Raphael“, verlangte Beth. „Ich wollte sowieso gerade gehen. Ich glaube, mir ist die Milch in meinem Kaffee sauer geworden.“ Sie holte ein paar Scheine aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Tisch. Dann wandte sie sich ab, ohne auch nur einem der beiden Männer noch einen Blick zu gönnen.

Sosehr sie Carlos und Esther Navarro während der letzten Tage auch schätzen gelernt hatte, so sehr war sie davon überzeugt, dass es sich bei allem um ein Missverständnis handeln musste. Ihre echten Eltern, James und Carla Lawrence, hatten sie geliebt. Auch ihre Adoptiveltern, die Blakes, hatten sie geliebt. Und jetzt sollte sie akzeptieren, dass sie in Wirklichkeit weder Elizabeth Lawrence noch Beth Blake, sondern jemand völlig anderes war? Das konnte man nicht von ihr erwarten.

Aber trotz ihres lautstarken Protests dachte sie viel und oft über diese Sache nach.

Um die Sache noch weiter zu verkomplizieren, würde ihre Adoptivschwester Grace nächsten Monat Cesar Navarro heiraten. Beth freute sich für sie, weil es offensichtlich war, dass Grace den attraktiven Argentinier aufrichtig liebte. Und diese Liebe wurde von dem ansonsten kühl wirkenden Mann leidenschaftlich erwidert. Dennoch gab die Situation Beth das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Sie hätte nichts lieber getan, als ihre Tasche zu packen und nach England zurückzufliegen, um zu vergessen, dass es die Familie Navarro überhaupt gab.

Was natürlich unmöglich war.

Wenigstens musste sie sich keine Gedanken darum machen, ob sie Raphael Cordobas Gefühle verletzte. „Können Sie nicht einfach verschwinden?“, schleuderte sie ihm entgegen, als sie ihn mit langen Schritten näher kommen hörte.

Stattdessen holte er sie ein und ging nun neben ihr her. „Es war sehr töricht von Ihnen, sich so aus Cesars Apartment wegzuschleichen.“

Sein tadelnder Ton ließ Beth zusammenzucken. „Ich hatte das Gefühl, langsam zu ersticken.“

„Trotzdem hätten Sie das Esther nicht antun dürfen.“

Wie machte er das bloß? Immer wusste er ganz genau, was er sagen musste, damit sie sich schuldig fühlte.

Denn ganz egal, wie unerträglich ihr die momentane Situation auch erschien, sie wollte keinesfalls Esther und Carlos Navarro verletzen, die schon so viel hatten ertragen müssen. Nachdem ihre kleine Tochter damals spurlos verschwunden war, hielten sie durch, bis ihr Sohn Cesar an der Universität angenommen wurde. Dann jedoch trennten sie sich trotz ihrer Liebe zueinander. Die Trauer über die verlorene Tochter hatte zu schmerzhaft zwischen ihnen gestanden.

Und jetzt waren sie davon überzeugt, in Beth diese verlorene Tochter wiedergefunden zu haben.

Obwohl sie sich weigerte, das zu akzeptieren, war sie sich – genau wie Raphael – durchaus bewusst, welche Auswirkungen ihr Erscheinen hier auf die beiden älteren Navarros gehabt hatte. Esther war nach der Trennung zurück in die USA gegangen, wo sie aufgewachsen war. Carlos dagegen blieb in Buenos Aires. Jetzt teilten sich die beiden jedoch wieder ein Schlafzimmer in Cesars Apartment.

Beth seufzte. „Es tut mir leid, okay? Ich habe einfach mal ein bisschen Zeit allein gebraucht.“

Raphael konnte mühelos die Emotionen lesen, die sich in ihrem ausdrucksvollen und wunderschönen Gesicht spiegelten. Bis zu einem gewissen Punkt verstand er ihre Verwirrung sogar. Da er seit frühester Kindheit mit Cesar befreundet war, wusste er genau, wie wichtig diese junge Frau für die Navarros war. Er liebte sie alle – den ruhigen und beständigen Carlos, die warmherzige und liebevolle Esther und den kühlen und distanzierten Cesar. Sie hatten Raphael aufgenommen, nachdem dieser vor vielen Jahren das Anwesen seines Vaters hatte verlassen müssen.

Ob nun die eigensinnige und unabhängige Beth ihre neue Identität akzeptierte oder nicht – Raphael würde dafür sorgen, dass sie unter seiner Obhut sicher war. Und das umfasste alle vierundzwanzig Stunden ihres Tages.

„Gabriela …“

„Mein Name ist Beth, verdammt noch mal!“ Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecken, die Augen blitzten wütend.

Dabei waren diese Wangen normalerweise zart und hell und ihre Augen schokoladenbraun. Ihr Mund war sanft geschwungen, und diese langen, seidigen Haare … Raphael kannte nur eine einzige andere Frau mit solchen Haaren, die alle Schattierungen von Gold- bis zu Platinblond enthielten, und das war Esther Navarro.

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Für mich sind Sie jetzt Gabriela Navarro.“ Da sie bei ihrer Entführung erst zwei Jahre alt gewesen war, erinnerte sich Gabriela natürlich genauso wenig an Raphael wie an die Navarros. Er konnte sich allerdings noch gut an sie erinnern, da er bereits damals schon viel Zeit mit Cesars Familie verbracht hatte. Gabriela war immer Cesars geliebte kleine Schwester gewesen, ein kleiner Engel mit goldenen Haaren. Die beiden älteren Jungen hatten sie liebevoll verwöhnt.

Momentan sah Beth Blake jedoch gar nicht aus wie ein Engel. „Zum Glück ist es mir aber ganz egal, für wen Sie mich halten.“

„Ich halte Sie nicht nur für Gabriela, sondern es wurde medizinisch bewiesen, dass Sie Gabriela Navarro sind. Und glücklicherweise ist es mir genauso egal, was Sie von mir halten.“ Raphael lächelte spöttisch. Er wusste ganz genau, das würde Beth ärgern.

Sie enttäuschte ihn nicht. „Sie wollen ganz sicher nicht wissen, was ich von Ihnen halte, Raphael.“

Als Bodyguard mochte sie vielleicht nichts von ihm halten, aber als Mann? Er hatte sehr wohl bemerkt, welche sinnlichen Blicke sie ihm unter ihren langen, dunklen Wimpern zuwarf, wenn sie glaubte, er sähe es nicht. Sie nahm ihn durchaus als Mann wahr. Aber Raphael war entschlossen, seinen Status als Beschützer nicht zu vergessen. Angesichts ihres verführerischen Hüftschwungs war das nicht ganz einfach. Alles andere würde jedoch nur ihre Sicherheit gefährden.

„Wollen wir zurück zum Apartment gehen?“

Sie schaute ihn resigniert an. „Warum fragen Sie mich überhaupt, wo wir doch zurückgehen werden, ob ich will oder nicht?“

„Und warum kämpfen Sie ständig gegen Ihr Schicksal an?“

„Vielleicht weil ich es nicht für mein Schicksal halte?“

„Grace scheint keine Schwierigkeiten zu haben, die Navarros als ihre neue Familie zu akzeptieren.“

Beth seufzte. „Bei Grace ist das anders. Sie hat sich bewusst dafür entschieden, ein Mitglied der Familie zu werden. Ihre Liebe zu Cesar ist der Grund, sich seinem Lebensstil anzupassen.“

„Aber Sie verspüren nicht genug Liebe für Cesar und Ihre Eltern, um das Gleiche zu versuchen?“

Der missbilligende Ton in Raphaels Frage war nicht zu überhören. Den gleichen missbilligenden Ausdruck würde sie gewiss auch in seinen Augen sehen, wenn er endlich einmal diese verdammte Sonnenbrille abnähme. „Sie drehen mir das Wort im Mund herum“, murmelte sie. „Wie soll ich denn drei Menschen lieben können, von deren Existenz ich noch vor ein paar Wochen gar nichts wusste?“ Und genau darum hatte Beth keine Ahnung, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollte.

Sie wünschte, sie könnte sich daran erinnern, dass Carlos und Esther ihre Eltern waren, oder an den anmaßenden Cesar als ihren Bruder, aber sie alle waren Beth fremd.

Das würde sich mit der Zeit bestimmt ändern, hatten ihr die beiden älteren Navarros versichert. Und offenbar erwarteten sie, dass Beth diese Zeit hier in Argentinien verbrachte, um sie alle besser kennenzulernen.

„Ich hatte bereits zwei Elternpaare, die ich sehr geliebt habe. Jetzt noch ein drittes – das ist ein bisschen viel.“

Raphaels Augen verengten sich. „Der Unterschied ist, diesmal sind es Ihre leiblichen Eltern.“

„Warum versteht denn niemand, dass ich das einfach nicht akzeptieren kann?“ Ihre Augen wurden fast so schwarz wie Cesars, wenn er wütend oder verärgert war. „Und warum ich nach England zurückmuss.“

„Jeder versucht, Sie zu verstehen.“ Raphael biss sich auf die Zunge, um weitere Vorwürfe zu verhindern. Ein Streit mit der Person, die er eigentlich schützen sollte, würde nicht gerade zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses beitragen. Beth Blake vertraute ihm sowieso nicht. Darüber musste er unbedingt mit Cesar sprechen. „Wenn Sie schon nicht für die Navarros in Argentinien bleiben wollen, dann tun Sie es für Grace. Sie bereitet doch gerade ihre Hochzeit vor.“

„Jetzt greifen Sie aber ganz schön tief in die Trickkiste. Wenn sonst nichts mehr nützt, versuchen Sie mir einzureden, ich wäre eine schlechte Schwester?“

Er lächelte ungerührt. „Funktioniert es?“

„Natürlich.“

Ihr niedergeschlagener Gesichtsausdruck ließ Raphael nicht kalt. „Wenn es Sie tröstet, Grace hat sich anfangs auch ständig mit Cesar gestritten.“

Überrascht blickte Beth ihn an. „Und was wollen Sie mir damit sagen?“

In diesem Moment sah sie ihrem älteren Bruder so ähnlich, dass Raphael Mühe hatte, ein Lachen zu unterdrücken. Und da behauptete sie beharrlich, sie könne gar nicht mit den Navarros verwandt sein!

„Ich meine damit, dass die Navarros keine schlechten Menschen sein können, wenn Grace so schnell gelernt hat, sie zu lieben.“

Beth neigte den Kopf und musterte ihn. „Sie mögen meine große Schwester …“, stellte sie schließlich fest.

„Ja“, gab Raphael zu, ohne zu zögern. Grace Blake war genauso resolut und geradeheraus wie ihre Adoptivschwester und somit zweifellos die perfekte Partnerin für den oft unnahbaren Cesar.

Beth lächelte spöttisch. „Dann gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für Sie, Raphael.“

Er sah sie fragend an. „Wie meinen Sie das?“

„Vielleicht sind Sie ja doch nicht so ein emotionsloser Roboter, wie ich dachte.“

Raphael erkannte die beabsichtigte Beleidigung und zog scharf den Atem ein. „Gehen Sie nicht zu weit, Gabriela.“

„Sonst?“ Beth zog es vor, die zweifellos bewusste Verwendung des Namens zu ignorieren.

„Sonst muss ich Ihnen beweisen, dass ich kein emotionsloser Roboter bin.“

Beth sah ihn an und wünschte sich nicht zum ersten Mal an diesem Tag, seine durchdringenden Augen wären nicht hinter dieser Sonnenbrille verborgen.

„Soll mich das jetzt einschüchtern?“, fragte sie leichthin.

Jetzt konnte sie seinen intensiven Blick beinahe durch die Brillengläser spüren. „Es gibt viel angenehmere Arten, sich eine ungehorsame Frau gefügig zu machen, als durch Angst.“

Ein Schauer durchlief sie. Das war keine Angst, das war Erregung …

Und genau hier lag auch der Grund, warum sie diesen Mann ständig herausfordern musste. Noch nie war sie sich eines Mannes körperlich so bewusst gewesen wie bei Raphael Cordoba. Dieses arrogante, gute Aussehen. Der muskulöse Körper unter den maßgeschneiderten Designeranzügen. Sogar schon sein Duft nach Sandelholz, Zitrone und Mann reichte aus, um alle ihre Sinne in Alarmbereitschaft zu versetzen. Kein angenehmes Gefühl für eine Frau, die sich im Umgang mit dem anderen Geschlecht bisher immer für kühl und beherrscht gehalten hatte.

„Sich eine ungehorsame Frau gefügig machen?“ Beth warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Gesprochen wie ein echter Neandertaler.“

„Ich versichere Ihnen, bisher hatte keine Frau einen Grund, sich über meine … Methoden zu beschweren.“

Da war sich Beth sicher. Der Mann war der Inbegriff der Verführung. Allerdings wollte sie nichts über die anderen Frauen in seinem Leben hören.

Wortlos drehte sie sich um und ging in die Richtung von Cesars Apartment.

Die ganze Zeit über war sie sich bewusst, dass Raphael ihr folgte.

Das Prickeln entlang ihrer Wirbelsäule sagte ihr auch, dass der durchdringende Blick aus diesen blauen Augen genau auf den Schwung ihrer Hüfte und ihren Po gerichtet war, während sie vor ihm herging …

2. KAPITEL

„Aber …“

„Ich denke, wir sollten Gab… Beth nach England zurückreisen lassen, wenn das ihr Wunsch ist“, unterbrach Cesar sanft seine Mutter. Diese hatte protestieren wollen, als Beth sie alle daran erinnerte, dass morgen ihr Flug nach England ging.

Seine Unterstützung überraschte Beth – sie war sich sicher gewesen, er würde ihrem Wunsch genauso ablehnend gegenüberstehen wie offensichtlich seine Eltern. Vielleicht hatte Grace doch einen guten Einfluss auf ihn.

Sie lächelte ihn dankbar an. „Danke, Cesar.“

Er nickte. „Raphael wird dich natürlich begleiten.“

Vielleicht war sie mit ihrer Dankbarkeit doch ein wenig voreilig gewesen. „Das glaube ich nicht …“

„Und natürlich fliegst du in meinem Privatjet.“

„Schluss jetzt damit!“ Allein beim Gedanken an den Bodyguard und einen Privatjet sträubten sich ihr die Haare. Verschlimmert wurde das Ganze nur noch durch Raphaels spöttisches Lächeln. Obwohl er an der Tür stand, um den Flur zu bewachen, lauschte er offensichtlich dem Gespräch. „Ich habe bereits ein Flugticket.“

„Carlos!“ Esther wandte sich hilfesuchend an ihren Mann.

„Vielleicht ist es besser, wenn du Cesars Angebot annimmst“, schlug Carlos Navarro vor.

„Tut mir leid, aber das möchte ich nicht.“ Beth sah ihn entschuldigend an. „Und ganz bestimmt werde ich nicht zulassen, dass Raphael mich begleitet.“

„Beth, sei doch vernünftig“, wurde sie leise, aber bestimmt von Grace unterbrochen, die ihr sanft über die Hand strich.

„Ich bin vernünftig.“ Beth wusste, dass sie zweifellos eher kindisch wirkte. „Nur die Menschen an diesem Tisch wissen, dass ihr mich alle für Gabriela haltet. Und Raphael.“ Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu, als sie sah, dass das spöttische Lächeln inzwischen einem Grinsen gewichen war.

„Wir wissen, dass du Gabriela bist.“ Esther lächelte sie warm an.

Beth musste schwer schlucken, als sie die bedingungslose Liebe in den Augen der älteren Frau erkannte. „Wie ihr ja wisst, habe ich Schwierigkeiten, das zu akzeptieren.“ Sie starrte auf den Tisch und vermied es, die anderen anzusehen. Sie wusste, was sie sehen würde: Hoffnung in den Augen von Carlos und Esther, Missbilligung in denen von Cesar, Verständnis bei Grace und Spott bei Raphael. „Bis Cesar nicht weitere Beweise vorlegen kann, bin ich immer noch Beth Blake. Und Beth Blake hat in England einen Job, zu dem sie zurückkehren muss.“

Cesar starrte finster vor sich hin. „Ich habe angenommen, dass du lediglich nach England zurückkehrst, um dein Haus dort zu verkaufen und zu kündigen, ehe du wieder hierher zurückkommst.“

„Wie kommst du denn auf diese Idee? Ich habe viele Jahre studiert und eine Arbeit gefunden, die mir gefällt. Warum sollte ich das aufgeben?“

„Vielleicht weil du Gabriela Navarro bist und es nicht nötig hast zu arbeiten?“

„Selbst wenn ihr zweifelsfrei beweisen könntet, dass ich Gabriela bin …“

„Das haben wir doch bereits getan.“

„Selbst dann weigere ich mich, hier herumzusitzen wie ein verwöhnter Pudel …“ Beth hörte ein unterdrücktes Lachen von der Tür her. Sie warf Raphael einen argwöhnischen Blick zu. Doch seine Miene verriet nichts über seine Gedanken. Stirnrunzelnd wandte sie sich wieder an Cesar. „Man hat mich nicht dazu erzogen, herumzusitzen und mir die Fußnägel zu lackieren …“

„Ein ‚verwöhnter Pudel‘ muss sich ja auch nicht die Fußnägel lackieren“, entgegnete Cesar hitzig.

„Das bringt uns nicht weiter“, schaltete sich Grace sanft ein.

Liebevoll sah er sie an. Das Lächeln verschwand jedoch aus seinem Gesicht, als er sich erneut an Beth wandte. „Außerdem wäre Grace bestimmt froh, wenn du hierbleibst und ihr bei den Vorbereitungen für die Hochzeit hilfst.“

„Raphael hat schon die gleiche Tour versucht“, erwiderte sie matt.

„Und?“

„Natürlich werde ich zur Hochzeit kommen, schließlich bin ich die Brautjungfer. Aber Esther wird Grace in der Zwischenzeit sicher gern bei den Vorbereitungen helfen.“ Beth wusste, dass Cesar darauf nichts entgegnen konnte. Seine Mutter war mit den Vorbereitungen für das große Fest ganz in ihrem Element.

„Wie wäre es mit einem Kompromiss – du nimmst einen Monat unbezahlten Urlaub und kommst hierher zurück …“

„Einen Monat?“, wiederholte Beth fassungslos. „Schon diese eine Woche, die ich nehmen musste, obwohl ich gerade erst in der Firma angefangen habe, hat nicht gerade Freudenstürme ausgelöst.“

Cesar presste die Lippen zusammen. „Vielleicht sollte ich den Verlag einfach kaufen. Dann wäre meine erste Anordnung als neuer Chef, dass du einen Monat Urlaub nimmst.“

Beth wünschte, er würde nur scherzen oder zumindest sarkastisch sein. Leider wusste sie nur zu gut, dass Cesar reicher war als manch kleines Land und absolut in der Lage, diese Ankündigung wahr zu machen.

Sie sah Grace ungläubig an. „Willst du wirklich diesen Größenwahnsinnigen heiraten?“

Grace lachte. „Definitiv. Und keine Angst, er ist gar nicht so schlimm, wenn man ihn erst einmal besser kennt.“

Von der Tür her erklang erneut ein unterdrücktes Lachen. Beth drehte sich zu Raphael um. „Vielleicht möchten Sie herkommen und etwas zu diesem Gespräch beitragen?“

Raphael blickte sie spöttisch an. „Ich bin doch nur ein Angestellter …“

„Ich denke, wir wissen beide, dass sie als langjähriger Freund von Cesar und Chef seines weltweiten Sicherheitsdienstes mehr sind als ‚nur‘ ein Angestellter. Außerdem sollen Sie ja offenbar mit mir nach England kommen, deshalb geht Sie dieses Gespräch genauso viel an wie mich.“

„Ja, setz dich zu uns, Raphael“, lud ihn Cesar ein.

Raphael hatte schon vor dem Mittagessen mit Cesar über Beths vehemente Ablehnung ihm gegenüber als ihrem Bodyguard gesprochen. Cesar hatte jedoch nichts darüber hören wollen. Es gab niemand anderen, dem er die Sicherheit seiner Schwester anvertrauen wollte. Ob es ihr nun also gefiel oder nicht, sie würden miteinander auskommen müssen.

„Ja, bitte trink einen Kaffee mit uns“, bat ihn nun auch Esther. „In den letzten Tagen war so viel los, dass ich mich noch gar nicht nach deiner Familie erkundigt habe.“

Raphael setzte sich neben sie. Sie übertrieb nicht – die letzten Tage waren nervenaufreibend gewesen. Zuerst hatte Esther einen Autounfall gehabt, bei dem sie zum Glück aber nur ein paar Schrammen und eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Kurz darauf erschien dann Grace mit Beth im Schlepptau. Der Schock über die wiedergefundene Tochter war allemal Grund genug, die Frage nach dem Wohlbefinden von Raphaels Familie zu vergessen. Zumal er sowieso nicht gern über sie sprach.

„Allen geht es gut, danke“, entgegnete er freundlich, aber knapp.

„Wohnt Ihre Familie in Buenos Aires?“, erkundigte sich Beth neugierig.

Raphael warf ihr einen kühlen Blick zu. „Nein.“

„Und wo …“

„Wir sollten lieber wieder über die Vorbereitungen für die Reise nach England sprechen“, wurde sie von Cesar unterbrochen.

Beth sah Raphael noch einen Moment lang fragend an. Sie spürte eine gewisse Zurückhaltung, was seine Familie betraf. Die Navarros schienen jedoch darüber genau Bescheid zu wissen. Allerdings würde man sie mit Sicherheit nicht einweihen. Raphaels abweisender Gesichtsausdruck sagte ihr, dass er das Thema nur allzu gern fallen ließ. „Ich habe meinen Standpunkt bereits mehr als deutlich gemacht“, wandte sie sich erneut Cesar zu.

„Aber den kann ich nicht akzeptieren“, entgegnete der Mann, der bald ihr Schwager sein würde und vielleicht sogar ihr Bruder war.

„Das wirst du aber müssen.“

„Beth, versuch dich einmal, in Cesar und seine Eltern hineinzuversetzen“, flüsterte Grace ihr leise zu. „Sie haben Gabriela schon einmal verloren.“

Da Beth keine Kinder hatte, konnte sie sich nur schwer vorstellen, was Esther und Carlos gefühlt haben mussten, als ihr kleines Mädchen entführt wurde. Ganz zu schweigen von den darauffolgenden zweiundzwanzig Jahren. Nicht zu wissen, ob die geliebte Tochter noch lebte …

Auch wenn Cesar und Raphael ihr offenbar nicht glaubten, sie mochte Esther und Carlos. Ganz bestimmt wollte sie ihnen nicht wehtun. Die beiden hatten schon genug gelitten.

„In Ordnung, ich werde im Privatjet zurückfliegen. Und Raphael kann mich begleiten – sagen Sie bloß nichts“, warnte sie ihn, als er spöttisch die Augenbrauen hochzog. „Aber ich werde nicht um Urlaub bitten, und wenn du es wagst, den Verlag zu kaufen, dann werde ich kündigen und woanders hingehen.“

„Und ich werde dann einfach diese neue Firma kaufen“, entgegnete Cesar ruhig.

„Du bist ein echter Kontrollfreak!“

„Und du bist so störrisch wie ein Maulesel!“

„Damit kennst du dich ja bestens aus!“

„Ich sehe jetzt, Grace, wie du auf den Gedanken kommen konntest, dass Cesar und Beth verwandt sein könnten“, sagte Raphael.

Grace lächelte. „Es ist ziemlich offensichtlich, oder?“

Beth war immer noch in das Gespräch mit Cesar vertieft. „Also, als deine zukünftige Schwägerin habe ich dem Privatjet zugestimmt, ebenso wie Raphaels Begleitung nach England. Jetzt musst du mir entgegenkommen und mir meine Karriere lassen, für die ich so hart gearbeitet habe.“

Raphael nickte anerkennend. Beth vertrat einen geschäftlichen Ansatz, dem Cesar nichts entgegensetzen konnte und würde. Das einzige Problem dabei war nur, dass Cesar bei Menschen, an denen ihm etwas lag, keine Kompromisse einging.

„Ich glaube, du hast mich nicht richtig verstanden. Raphael wird dich nicht nur nach England begleiten, sondern dort bei dir bleiben.“

„Was?“ Beth keuchte ungläubig auf. „Das ist nicht nur lächerlich, sondern auch völlig unmöglich!“

„Das ist mein Kompromissangebot.“ Cesar blieb völlig unbeeindruckt.

Beth drehte sich zu Raphael um. „Und Sie haben gar nichts dagegen?“

Er verengte die Augen. „Mein Platz ist dort, wo Cesar mich hinschickt.“

„Das ist ja wunderbar!“ Sie schüttelte entsetzt den Kopf. „Und wo wollen Sie überhaupt wohnen? Denn bei mir werden Sie ganz sicher nicht einziehen.“

Raphael betrachtete sie kühl. „Im Idealfall ist alles geregelt, bevor wir morgen aufbrechen.“

„Was geregelt?“

Raphael bemühte sich angesichts Beths misstrauischer Frage um einen betont nichtssagenden Gesichtsausdruck. „Verschiedenes.“

„Grace, tu etwas!“, bat sie ihre große Schwester um Beistand.

„Ich weiß, das alles ist schwierig für dich, aber …“, Grace suchte nach den richtigen Worten, „angesichts der Umstände …“ Sie blickte zu Esther und Carlos. „… denke ich, dass Cesar und Raphael recht haben.“

„Das ist unglaublich!“ Beth sprang vom Tisch auf. „Trefft ihr nur weiter selbstherrlich eure Vorkehrungen, Cesar und Raphael – ich werde jetzt packen“, stieß sie hervor. „Je früher ich von hier verschwinden kann, desto besser!“ Sie rannte aus dem Esszimmer.

„Sie meint das nicht so, Esther.“ Grace bemühte sich, ihre zukünftige Schwiegermutter zu beschwichtigen, die bei Beths Ausbruch blass geworden war. „Beth ist verstört und muss erst mit den ganzen Veränderungen zurechtkommen, die auf sie einstürmen.“

„Sie ist verwöhnt und stur.“ An Cesar Hals konnte man eine Ader pulsieren sehen. Irgendwo auf dem Flur wurde eine Tür zugeschlagen.

„Sie hat Angst“, korrigierte ihn Raphael sanft und stand auf. „Darf ich mit ihr sprechen?“

„Würdest du das tun?“ Grace sah ihn dankbar an. „Ich würde ja selbst gehen, aber Beth scheint zu glauben, dass ich …“

„Zum Feind übergelaufen bin“, beendete Esther traurig den Satz.

„Nicht zum Feind“, versicherte ihr Grace sofort. „Versucht auch einmal, die Sache von Beths Sicht aus zu betrachten. Sie hat schon zweimal ihre Eltern verloren, und es wird Zeit und Geduld brauchen“, sie warf Cesar einen bedeutsamen Blick zu, „bis sie akzeptieren kann, wer sie wirklich ist.“

Sosehr Raphael jedoch Beths Emotionen verstand, es wurde Zeit, dass sie auch einmal die Gefühle anderer in Betracht zog. „Entschuldigt mich bitte“, murmelte er und verließ das Zimmer.

Beth kämpfte mit den Tränen, als sie ihre Kleidung in den offenen Koffer auf dem Bett warf.

Wann genau hatte sich ihr Leben denn in einen solchen Albtraum verwandelt? Das war vor etwas mehr als einer Woche – als Grace Cesar Navarros Eltern kennengelernt hatte. Und Beth weigerte sich …

„Wenn Sie meine Schwester wären, hätte ich Sie übers Knie gelegt und Ihren kleinen verwöhnten Hintern versohlt.“

Beth wischte hastig die Tränenspuren weg, bevor sie sich zu Raphael umdrehte, der groß und breitschultrig in der Tür stand. „Dann habe ich ja Glück, dass ich nicht Ihre Schwester bin.“

Er warf ihr einen warnenden Blick zu. „Sie haben Esther gerade sehr wehgetan, und das ist für mich genauso unverzeihlich wie für Carlos und Cesar.“

„Das wollte ich nicht.“

„Und trotzdem haben Sie es getan.“

„Ich werde mich vor meiner Abreise bei ihr entschuldigen.“

Er seufzte. „Ich frage Sie noch einmal, warum kämpfen Sie gegen das Unvermeidliche an?“

Ihre dunklen Augen blitzten wütend. „Und ich sage Ihnen noch einmal – weil es für mich nicht unvermeidlich ist!“

Raphael schüttelte ungeduldig den Kopf. „Sie sind dumm, wenn Sie das wirklich glauben. Denken Sie, dass Cesar seine Schwester Gabriela noch einmal für einen einzigen Augenblick angreifbar machen wird? Dass die Navarros Ihnen überhaupt gestatten abzureisen …“

„Niemand ‚gestattet‘ mir irgendetwas! Ich muss niemanden um Erlaubnis fragen.“

„Aber Sie sind die Tochter, um die sie mehr als zwanzig Jahre lang getrauert haben. Sie jetzt gehen zu lassen, ist wie ein neuer Verlust.“

Beth seufzte tief auf. „Sie sind offenbar der Meinung, dass ich das alles akzeptieren sollte …“

„Ich denke, Sie sollten die Fakten akzeptieren“, korrigierte Raphael. „Und je früher, desto einfacher wird die Situation für Sie. Was ist denn nötig, um Sie zu überzeugen?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Vielleicht ein Grabstein mit der Inschrift ‚Elizabeth Lawrence, verstorben im Alter von zwei Jahren‘?“

Beth wurde blass. „Soll das heißen, es existiert ein solcher Grabstein?“

Sein Mund wurde schmal. „Vielleicht.“

Sie starrte ihn mehrere Sekunden lang wortlos an. „Sie kommen nicht nur als mein Bodyguard mit nach England, richtig?“, erkannte sie.

„Haben Sie das je geglaubt?“

Eine berechtigte Frage. Hatte sie geglaubt, dass Cesar aufgeben würde, Beweise für ihre Identität als Gabriela Navarro zu finden? Und dass er Raphaels Aufenthalt in England nicht dafür nutzen würde?

„Und falls Sie einen Beweis finden?“

Er zuckte die Schultern. „Dann sind Sie vielleicht endlich überzeugt.“

Würde sie das sein? War die echte Elizabeth Lawrence tatsächlich gestorben? Und falls ja, wo lag sie beerdigt?

Es war erst ein paar Tage her, dass Grace vermutet hatte, dass Beth die verschwundene Tochter der Navarros sein könnte, und die Bluttests das schließlich bestätigt hatten. Aber seitdem stellte Cesar auch seine eigenen Nachforschungen darüber an, wie man Gabriela vor zweiundzwanzig Jahren aus Argentinien nach England geschafft und ihr dort die Identität von Elizabeth Lawrence gegeben haben konnte.

„Es gibt viele Menschen, die gern in eine andere Familie hineingeboren worden wären“, sagte Raphael, als er die vielen Emotionen auf Beths ausdrucksvollem Gesicht erkannte. Darunter auch Betroffenheit.

„Sie auch?“

Er presste die Lippen zusammen. „Wir reden hier nicht über mich.“

„Nein?“

„Nein“, entgegnete er bestimmt. Seine Familie und der Grund für die Entfremdung von seinem Vater waren kein Thema, über das er sprechen wollte.

„Falls es solch ein Grab gibt, werden Sie es mir zuerst sagen oder sofort Cesar Bericht erstatten?“ Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu.

„Cesar ist mein Arbeitgeber.“

„Raphael, bitte!“

Er runzelte die Stirn. Leider war er ihrem flehenden Ausdruck gegenüber nicht so immun, wie er es gern gewollt hätte. „Warten wir einfach ab und entscheiden dann, in Ordnung?“

„Reden Sie nicht mit mir wie mit einem Kind.“

„Dann hören Sie doch auf, sich wie eins zu benehmen.“ Er war frustriert. Raphael hatte Beth nie als Kind gesehen.

Gut, sie war fast zehn Jahre jünger als er, und er hatte noch nie eine so unverblümte Frau kennengelernt, bis auf ihre Adoptivschwester Grace vielleicht. Allerdings gab es keinen Zweifel daran, dass Raphaels Reaktion auf ihre fraulichen Kurven und ihren verführerischen Mund durch und durch die eines Mannes war!

Sie runzelte die Stirn und drehte sich weg. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gern fertig packen.“

„Und wenn es mir doch etwas ausmacht?“

Beth wusste, dass Raphael dicht hinter ihr stand, denn seine Stimme war jetzt ganz nah. Sie konnte die Wärme seines Körpers spüren und sein herbes Aftershave riechen.

„Beth?“

Als sie sich erneut zu ihm umdrehte, blickte sie betont kühl. Er stand tatsächlich unmittelbar vor ihr.

„Ich habe dem Privatjet zugestimmt und auch Ihrer Begleitung. Ist das nicht genug?“

„Vielleicht für den Augenblick …“

Ihre dunklen Augen blitzten. „Was wollen Sie denn noch von mir?“

Ja, was wollte Raphael eigentlich von dieser Frau?

Er konnte nicht leugnen, dass er sie anziehend fand. Nur zu gern stellte er sich vor, wie er diese Lippen küssen und die verführerischen Kurven ihres Körpers erkunden würde.

Aber das hier war nicht mehr Beth Blake, das war Gabriela Navarro, die Schwester seines besten Freundes und Tochter des Ehepaares, das ihn vor langer Zeit aufgenommen hatte.

Deshalb konnte Raphael immer nur der Mann sein, der sie schweigend beschützte, damit ihr niemand jemals wieder etwas antun würde.

Er presste die Lippen zusammen. „Ich kann mich nicht erinnern, gesagt zu haben, dass ich irgendwas von Ihnen will oder brauche.“

Sie zuckte unter seinem harschen Ton zusammen. „Halten Sie sich bitte nicht zurück, Raphael, seien Sie ruhig offen.“

„Ich dachte, das wäre ich gewesen.“

Sie rollte mit den Augen. „Das war Sarkasmus.“

Er nickte. „Das ist mir bewusst. Ich habe auch festgestellt, dass Sie sich in Sarkasmus flüchten, wenn Sie das Gefühl haben, sich verteidigen zu müssen.“

„Warum sollte ich mich verteidigen müssen?“

„Das können nur Sie mir sagen.“

Beth blickte einige Sekunden lang schweigend zu ihm auf. „Nein, ich glaube, ich habe nichts weiter zu sagen. Und sicherlich müssen Sie sich noch um ‚Verschiedenes‘ kümmern?“

Er lächelte leicht. „Das stimmt.“

„Dann lassen Sie sich von mir nicht abhalten“, forderte sie ihn auf, als er keine Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen.

Raphael hielt ihrem fordernden Blick stand und focht einen inneren Kampf mit sich aus. Nur zu gern hätte er Beth in den Arm genommen und so lange geküsst, bis ihr der Sarkasmus verging.

Das Problem dabei war nur, dass es ihm womöglich zu gut gefallen würde. Und dann wäre Küssen nicht mehr genug …

Er nickte knapp und trat einen Schritt zurück. „Cesar wird Ihnen Bescheid geben, wann wir morgen aufbrechen.“

„Ja, da bin ich mir sicher“, antwortete sie trocken.

Er runzelte die Stirn. „Er sorgt sich nur um Ihre Sicherheit.“

„Und worüber machen Sie sich Sorgen, Raphael?“, fragte sie spöttisch.

Er presste die Lippen zusammen. „Cesar bezahlt mich nicht dafür, mir Sorgen zu machen, sondern um Lösungen zu finden.“

„Dann wird es wohl Zeit, mal ein paar zu präsentieren.“ Nach diesem abschließenden bissigen Kommentar kehrte ihm Beth den Rücken zu. Sie wusste, dass es sinnlos war, sich auf eine Konfrontation mit diesem Mann einzulassen. Raphael Cordoba war tatsächlich genauso ein Roboter, wie sie ihm vorgeworfen hatte.

Trotzdem war sie erleichtert, als sie hörte, wie er sich entfernte und leise die Tür hinter sich schloss.

Sie ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Die noch vor wenigen Minuten zur Schau getragene Selbstsicherheit war völlig verpufft. Wenn nicht bald Beweise gefunden wurden, dass sie keinesfalls Gabriela Navarro sein konnte, würde ihr Leben nie wieder so sein wie zuvor.

3. KAPITEL

„Haben Sie es bequem?“

Beth warf einen Blick zu Raphael, der vorn neben dem Chauffeur saß. Die Limousine hatte schon am Flughafen gewartet und sollte sie zu ihrem Haus in London bringen. Dieses Haus hatte sie früher mit ihrer ganzen Familie und danach mit Grace geteilt. Ihr war jedoch klar, dass Grace nach ihrer Hochzeit mit Cesar natürlich nicht mehr dort wohnen würde.

Das machte Beth nicht nur traurig, sondern hieß auch, dass das Haus in Zukunft viel zu groß für sie allein sein würde. Vielleicht sollte sie sich nach einer Mitbewohnerin umsehen …

„Gabriela?“

Beth biss die Zähne aufeinander, weil Raphael sie hartnäckig bei diesem Namen nannte. „Ja, es ist sehr bequem, danke“, versicherte sie ihm kühl. Dieser Umgangston herrschte seit dem Abschied von Grace und den Navarros am Vorabend zwischen ihnen.

Sie dachte an die tränenreiche Verabschiedung von Grace und Esther, die ruhige, aber warmherzige durch Carlos und an die Missbilligung in Cesars Blick …

Allerdings hatte sich inzwischen herausgestellt, dass Limousinen mit Chauffeuren und Privatjets durchaus ihre Vorteile hatten. Keine langen Wartezeiten am Flughafen, die Limousine hatte sie direkt bis ans Flugzeug gefahren. Nur Minuten später waren sie gestartet. Außerdem gab es im hinteren Teil ein Schlafzimmer, worüber Beth sehr froh gewesen war. So hatte sie nicht nur einen Großteil des Fluges über schlafen können, sondern auch einen Rückzugsort gehabt, wenn Raphaels düsteres Schweigen nicht mehr auszuhalten gewesen war. Nach ihrer Landung in London mussten sie nicht am Gepäckband warten, sondern ihre Koffer wurden direkt in eine weitere Limousine geladen, die schon bereitgestanden hatte.

Nur das Londoner Wetter ließ zu wünschen übrig. Es regnete heftig. Mürrisch hatte Raphael ihr den Schirm gehalten, damit sie trockenen Fußes vom Flugzeug in die Limousine gelangte. Danach war er vorn neben den Fahrer auf den Beifahrersitz geklettert. Die Botschaft war deutlich: Er war der Angestellte und Beth die jüngere Schwester seines Arbeitgebers.

Die Mühe hätte er sich sparen können – Beth wusste nur zu gut, dass sie für ihn nichts weiter war als Teil seines Jobs.

Störte sie das etwa?

Natürlich nicht. Raphael Cordoba war vielleicht geheimnisvoll, grüblerisch und verdammt sexy, aber er war auch unhöflich und arrogant. Außerdem missbilligte er ihr Verhalten. Je früher er nach Argentinien zurückkehrte, desto besser.

Oder machte sie sich womöglich etwas vor?

Zweifellos war er älter, welterfahrener und schlicht und ergreifend gefährlicher als die Männer, zu denen sich Beth in der Vergangenheit hingezogen gefühlt hatte. Allerdings fand sie grüblerische und geheimnisvolle Männer kein bisschen anziehend. Oder gar unhöfliche und arrogante. Und doch …

So gern sie es auch geleugnet hätte, er hatte sie seit ihrer ersten Begegnung fasziniert. Und als sie vor zwei Tagen mit ihm in ihrem Zimmer allein gewesen war, hatte es definitiv zwischen ihnen geknistert. So stark, dass ihr ein Schauer über den Rücken gelaufen war und ihre Brustwarzen sich aufgerichtet hatten.

Sexuelle Anziehungskraft.

Viel stärker als bei den Männern, mit denen sie bisher ausgegangen war. Und ganz anders.

Plötzlich schrillten Alarmglocken in Beths Kopf. „Wohin fahren wir?“ Das war nicht der Weg zu ihrem Haus.

Raphael drehte sich zu ihr um. „Ihr Haus konnte nicht rechtzeitig sicher genug gemacht werden. Deshalb fahren wir für ein paar Tage zu Cesars Anwesen in Hampshire, bis alles fertig ist.“

Beth starrte ihn an. „Fertig wofür?“

„Dass Sie dort wohnen können.“

„Meiner Meinung nach kann ich dort schon sehr gut wohnen.“ Sie runzelte die Stirn. „Was genau machen Sie dort? Und wie sind Ihre Sicherheitsleute überhaupt hineingekommen? Mit dem Schlüssel von Grace?“

„Ihre Schwester macht sich genauso viele Sorgen um Ihr Wohlbefinden wie der Rest der Familie“, erklärte Raphael, als er sah, wie sehr Graces Verrat Beth getroffen hatte.

„Was genau machen Sie dort?“, wiederholte sie leise.

„Wir installieren ein Alarmsystem. Sicherheitskameras für den Außenbereich – im Innenbereich hat Grace uns das nicht erlaubt. Alle Fenster werden verkabelt, und …“

„Schon gut.“ Beth winkte ab. Sie wollte nichts mehr über die Veränderungen hören, die ohne ihre Erlaubnis am Haus vorgenommen wurden. „Dieses Anwesen in Hampshire … Reden wir hier über das Haus, in dem Grace für Cesar gearbeitet und sich die ganze Zeit über wie eine Gefangene gefühlt hat?“

„Ja. Aber wie gesagt, wenn Sie möchten, können die Sicherheitskameras im Haus abgeschaltet werden.“

„Aber die Sensoren an den Fenstern nicht, richtig? Und auch nicht die Codes, die man braucht, um ins Haus zu gelangen? Und Sie können auch nicht die Sicherheitsleute wegschicken, die das Anwesen überwachen?“

Raphael presste die Kiefer aufeinander. „Nein.“

Beth schüttelte den Kopf. „Lassen Sie das Auto umkehren.“

„Beruhigen Sie sich, Gabriela …“

„Wenn Sie mich noch ein einziges Mal so nennen, dann …“

„Was dann?“ Raphael sah sie mit hochgezogenen Brauen an.

„Mein Name ist Beth.“ Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. In der Gegenwart dieses Mannes fiel ihr das in letzter Zeit jedoch immer schwerer. „Nennen Sie mich so, wenn Sie möchten, dass ich Ihnen antworte.“

„Ich habe nichts gefragt, sondern nur etwas festgestellt.“

Beths verengte die Augen. „Und ich stelle fest, dass ich nicht in einer Gefängnisfestung im Nirgendwo bleiben werde!“

Raphael unterdrückte ein Lächeln. Sie war sogar noch hübscher, wenn sie wütend war. Ihre Augen sprühten Funken. Die Wangen waren gerötet.

„Ich versichere Ihnen …“

„Sie brauchen mir gar nichts zu versichern. Da würde ich ja eher einer Schlange vertrauen!“ Frustriert und zornig starrte Beth ihn an.

„Sie verdrehen mir noch den Kopf mit Ihren Schmeicheleien“, erwiderte er trocken. Der Chauffeur neben ihm unterdrückte ein Kichern.

„Ich habe bisher noch nichts Schmeichelhaftes an Ihnen entdecken können.“ Sie schäumte immer noch vor Wut. „Bitten Sie jetzt den Fahrer …“

„Sein Name ist Edward“, wurde sie von Raphael belehrt. „Edward, ich möchte Ihnen Miss Navarro vorstellen.“

„Beth Blake“, korrigierte sie bestimmt und lächelte Edward im Rückspiegel zu.

„Miss“, antwortete dieser taktvoll.

„Würden Sie bitte wenden, Edward? Raphael sagt Ihnen, wie Sie zu meinem Haus kommen.“ Obwohl sie ihre Worte an den Chauffeur gerichtet hatte, sah sie Raphael dabei herausfordernd an.

Er ignorierte jedoch ihre Forderung und signalisierte Edward, dass er das auch tun sollte.

„Cesars Anwesen ist keine Festung und auch kein Gefängnis. Sie liegt auch nicht im Nirgendwo. Die nächste Stadt …“

„Ist zehn Komma zwei Kilometer entfernt, wie Cesar Grace auf eine ähnliche Feststellung hin erklärt hat“, entgegnete sie sarkastisch. „Wenn man das Leben in einer hektischen Großstadt wie London gewohnt ist, entspricht das durchaus der Definition von ‚Nirgendwo‘. Wie soll ich denn jeden Morgen zur Arbeit kommen? Bestimmt nicht in einer Limousine mit Chauffeur – nichts gegen Sie“, versicherte Beth dem Fahrer.

„Warum denn nicht?“

Beth warf Raphael einen gereizten Blick zu. „Ich bin Berufsanfängerin.“

„Und?“

„Nicht mal der Verlagschef kommt mit einer Limousine zur Arbeit!“

Raphael zuckte mit den Schultern. „Selbst schuld.“

„Könnten Sie sich bitte nur für einen Augenblick mal in die Welt von uns Normalsterblichen versetzen? Statt alles von diesem Elfenbeinturm aus zu betrachten, den Cesar schon viel zu lange bewohnt und aus dem meine Schwester ihn unbedingt herausholen will? In der richtigen Welt reisen wir nicht mit Privatjets und Limousinen, sondern mit Bussen und der U-Bahn. Vielleicht sogar ab und zu mal mit dem Taxi, wenn wir verschwenderisch sein wollen.“

Er nickte bedächtig. „Okay, ich sehe, warum die Limousine unter diesen Umständen ein wenig peinlich wirken könnte. Dass ich Ihre Einstellung verstehe, heißt aber noch nicht, dass ich Ihre Ansicht teile“, fügte er schnell hinzu, als sich ein triumphierendes Grinsen auf Beths Gesicht ausbreitete. „Cesar hat mir bezüglich Ihrer Sicherheit genaue Anweisungen gegeben.“

„Und wenn er Ihnen befehlen würde, sich von einer Brücke zu stürzen, würden Sie das auch tun?“

Raphael lächelte. „Höchstens um Sie vor dem Ertrinken zu retten.“

„Dann gibt es doch bestimmt ein bisschen Spielraum, oder?“

Seine Miene verhärtete sich. „Spielraum – ja, Platz für Dummheit – nein. Und es wäre der Gipfel der Dummheit, wenn ich Ihnen erlauben würde, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach London zu fahren.“

„Je früher Sie begreifen, dass Sie nicht in der Position sind, mir irgendetwas zu ‚erlauben‘, desto schneller finden wir ein Arrangement, das uns beiden gefällt.“

Raphael grinste selbstbewusst. „Unser derzeitiges Arrangement gefällt mir bereits sehr gut.“

Beth war noch nie zuvor so frustriert gewesen. „Sind Sie immer so dickköpfig?“

„Dann passen wir ja gut zusammen.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

Raphael schien darüber nachzudenken. „Wenn es um Sicherheitsfragen geht, bin ich immer so dickköpfig, ja“, gab er schließlich zu.

Beth wusste nur zu gut um ihre eigene Hartnäckigkeit und auch, wann sie geschlagen war. „Gut, dann komme ich für ein paar Tage mit nach Hampshire.“ Sie seufzte. „Aber zuerst muss ich bei mir zu Hause ein paar Sachen für die Arbeit holen. Meinetwegen können Sie mich dann auch morgen in der Limousine hinfahren. Aber auf keinen Fall begleiten Sie mich an meinen Arbeitsplatz. Abgemacht?“ Sie sah ihn herausfordernd an.

„Ich bin nicht Cesar …“

„Keine Angst, das weiß ich nur zu gut. Abgemacht?“, wiederholte sie bestimmt.

Er musterte sie einen Augenblick, ehe er nickte. „Abgemacht.“ Dann gab er dem Fahrer Beths Adresse.

Trotzdem hatte der Sieg für Beth einen schalen Beigeschmack. Hatte sie die Diskussion wirklich gewonnen, oder hatte Raphael ihre Bedenken bereits vorausgeahnt? War das hier sein Plan B?

„Grace hat mir erzählt, dass es im Westflügel einen Fitnessraum gibt.“

Raphael unterhielt sich gerade leise mit Rodney, Cesars Sicherheitschef in England, der in der Eingangshalle des Hauses auf sie gewartet hatte.

Auf der Fahrt von Beths Haus hierher war sie ungewöhnlich still gewesen. Als er sie nun betrachtete, wirkte ihr Gesicht sehr blass. „Über den Gästezimmern, an der Treppe oben rechts“, bestätigte er.

„Gibt es dort auch einen Sandsack?“

„Mit meinem Gesicht darauf?“

„Oder Cesars“, entgegnete sie trocken.

Raphael wusste nicht, warum er in Gegenwart dieser Frau entweder versucht war, zu lachen oder sie zu erwürgen. Diesmal gewann das Lachen die Oberhand. Grinsend bedeutete er Rodney, dass sie ihr Gespräch später fortsetzen würden. „Vielleicht lässt sich ja ein Foto von uns beiden daran befestigen?“

„Haben Sie das Chaos gesehen, das diese Männer in meinem Haus veranstaltet haben?“ Schon allein der Gedanke an die Armee von wildfremden Arbeitern im Haus ihrer Familie tat weh.

Raphael warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Wenn Sie ein paar Tage gewartet hätten, wie ich vorgeschlagen hatte, wäre alles wieder gewesen wie zuvor.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das bezweifle ich doch sehr.“

„Beth …“

„Raphael.“ Sie blickte ihm fest in die Augen.

„Ich verspreche Ihnen, Ihr Haus wird genauso aussehen wie vor Ihrer Abreise.“

„Abgesehen von der Tatsache, dass ich ohne Sicherheitscode nicht mehr hineinkomme. Und kein Fenster öffnen kann, weil sonst der Alarm losgeht. Und …“

„Jetzt klingen Sie schon wie Grace.“

„Vermutlich weil ich mich inzwischen schon wie Grace fühle, wenn es um Cesars Sicherheitsmaßnahmen geht.“ Sie atmete schwer vor Aufregung. „Passen Sie nur gut auf. Wenn es nach ihr geht, braucht Cesar bald all diese Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr, und Sie verlieren möglicherweise Ihren Job!“

„Dann suche ich mir einfach einen anderen“, entgegnete er schulterzuckend. „Ich meinte, dass Ihr Haus äußerlich wieder genauso sein wird wie zuvor. Diese Arbeiter sind Profis.“

„Ganz bestimmt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich gehe nach oben in den Fitnessraum, bevor ich es nicht mehr aushalte und Sie schlage statt den Sandsack.“

„Ich dachte, ich wäre sowieso das Ziel?“

Sie holte tief Luft. „Nein, im Moment ist es Cesar. Deshalb muss ich jetzt zügig ein wenig überschüssige Energie abbauen.“

„Es ist fast Zeit für das Abendessen …“

„Das stimmt“, bestätigte sie höflich. „Und mir ist gerade eingefallen, dass Cesars Köchin ja bei ihm in Argentinien ist und die gemeinsame Hochzeit vorbereitet. Falls Sie glauben, ich würde mich ums Abendessen kümmern, dann haben Sie Pech gehabt. Bei uns ist Grace die Köchin“, fügte sie zufrieden hinzu, als Raphaels Gesichtsausdruck sich bei ihrer Ankündigung merklich verdüsterte.

„Sie können nicht kochen?“

„Natürlich kann ich kochen, ich habe es nur nicht vor“, korrigierte sie ihn und entspannte sich zusehends. „Wie steht es mit Ihnen?“

„Gebackene Kartoffel und Steak, wenn ich muss …“

„Dann werden Sie wohl müssen. Zumindest bis Kevin Maddox einen Ersatz für Grace gefunden hat.“ Zwar war sie Cesars persönlichem Assistenten bisher noch nicht begegnet, doch Grace hatte ihr nur Gutes von ihm berichtet. Er war es gewesen, der sie als Cesars Köchin und Haushälterin eingestellt hatte.

„Machen Sie dann wenigstens den Salat?“

Ihre Augen blitzten schelmisch. „Das könnte ich tun.“

Er nickte. „Dann kümmern wir uns später zusammen um das Abendessen.“

Sie war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, mit diesem Mann überhaupt irgendwas gemeinsam zu tun. Es war auch nicht besonders klug, denn jedes Mal, wenn sie Zeit miteinander verbrachten, wurde sie sich mehr und mehr der körperlichen Anziehung zwischen ihnen bewusst.

„Dann gehe ich jetzt nach oben und suche mir im Ostflügel ein Zimmer aus. Können Sie bitte mein Gepäck nach oben bringen, damit ich mich umziehen kann, ehe ich in den Fitnessraum gehe?“

„Offenbar haben Sie sich vorgestern geirrt.“

Sie zog fragend die Brauen hoch. „Inwiefern?“

„Sie haben recht schnell gelernt, sich wie ein ‚verwöhnter Pudel‘ zu benehmen.“

Ihr stockte der Atem. Sie wusste nur zu gut, dass er sie mit dieser Bemerkung hatte treffen wollen. Und das war ihm auch gelungen. Denn sie wollte nicht Gabriela Navarro sein. Dieses verwöhnte, reiche Mädchen.

Sie hatte wirklich gehofft, durch die Rückkehr nach England etwas Abstand zu gewinnen. Stattdessen durfte sie nicht mal zurück nach Hause. Ihr früheres Leben gab es nun nicht mehr.

Sie holte tief Luft. „Das war sehr unhöflich von Ihnen.“

„Mir war nicht bewusst, dass sie Höflichkeit von mir erwarten.“

„Jeder möchte lieber höflich als grausam behandelt werden, Raphael.“

„Vielleicht ist mir nicht nach Höflichkeit zumute.“

„Weil ich Sie gebeten habe, mein Gepäck nach oben zu bringen?“

Nein, seine derzeitige Stimmung hatte nur wenig mit Beths eigentlich völlig verständlichem Wunsch zu tun. Ihm war nur gerade bewusst geworden, dass sie beide während der nächsten paar Tage allein in diesem Haus sein würden.

Beths verwirrter Gesichtsausdruck aufgrund seiner unerwarteten Aggression machte es ihm schwer, sich möglichst professionell zu verhalten. Vielleicht lag es daran, dass er sich in der Gegenwart dieser Frau alles andere als professionell fühlte. Wenn er sie schützen wollte, brauchte er emotionalen Abstand.

Er warf ihr einen kühlen Blick zu. „Ich werde jetzt erst einmal Ihr Gepäck nach oben bringen lassen.“

Sie sah ihn einige Sekunden lang forschend an und nickte dann. Ihre Augen wirkten in dem blassen Gesicht noch dunkler als sonst. „Danke.“

Er zog die Brauen hoch. „Und keine Bemerkung darüber, dass das eigentlich von Anfang an meine Antwort hätte sein sollen?“

„Nein.“

Er gestattete sich ein Lächeln. „Geht es Ihnen gut?“

Ein gequälter Ausdruck zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Nein, eigentlich nicht. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?“ Schnell drehte sie sich um und lief die Treppe hinauf.

Er sah ihr nach, bis sie im oberen Flur verschwand.

Sollte er ihr nachgehen und sich dafür entschuldigen, welche Unannehmlichkeiten die letzten Tage für sie gebracht hatten? Oder würde er damit alles nur noch schlimmer machen?

Allerdings wusste er nicht, ob die derzeitige Situation – sie und er allein miteinander und ständig streitend – überhaupt noch schlimmer werden konnte.

Aber Raphael hatte Cesar in Buenos Aires ein Versprechen gegeben – und auch Esther und Carlos. Die beiden waren sehr unglücklich darüber gewesen, dass ihre Tochter sie so bald wieder verlassen wollte, nachdem sie sie gerade erst wiedergefunden hatten.

Das Versprechen, Beth um jeden Preis zu beschützen.

Zu dem Zeitpunkt war ihm jedoch nicht klar gewesen, dass er sie möglicherweise erst einmal vor sich selbst schützen musste.

4. KAPITEL

„Beth?“ Raphael blieb in der offenen Schlafzimmertür stehen, als er sie bäuchlings auf dem Bett liegen und weinen sah. Mit wenigen, schnellen Schritten war er bei ihr.

Sie wurde sich seiner Gegenwart erst bewusst, als die Matratze neben ihr unter seinem Gewicht nachgab. Er legte ihr sanft die Hände auf die Schultern, drehte sie vorsichtig zu sich herum und zog sie an seine Brust.

Diese Sanftheit, seine beruhigende Wärme und der gleichmäßige Herzschlag an ihrer Wange ließen die Tränen nur umso heftiger fließen.

Die letzten Tage waren einfach schrecklich gewesen!

Die Reise nach Buenos Aires mit Grace. Die Ähnlichkeit mit den Navarros, insbesondere mit Esther. Und die Ergebnisse der Bluttests – das alles hatte Beth völlig aus der Bahn geworfen.

Ihre anschließende Rückkehr nach England, die Veränderungen an ihrem Haus, die Ankunft in Cesars Anwesen mit den hohen Mauern und den vielen Sicherheitskräften hatten die Wahrscheinlichkeit, dass sie doch Gabriela Navarro war, nur realer werden lassen, statt das Gegenteil zu bewirken.

Realer, als Beth verkraften konnte.

Gabriela Esther Carlotta Navarro. Esther nach ihrer Mutter, Carlotta im Andenken an Carlos’ Mutter …

Wie konnte Beth diese Person sein?

Es war unmöglich.

Und dennoch regte sich tief in Beth die Gewissheit, dass es tatsächlich so war.

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Glauben Sie auch, dass ich Gabriela bin?“

„Ja.“

Raphael ähnelte Cesar sehr – kein Wenn und Aber, sondern einfach nur Fakten. „Warum sind Sie sich da so sicher?“

Er holte tief Luft. „Sie können sich natürlich unmöglich daran erinnern, aber ich kannte Cesars Schwester als Kind.“

„Das war mir nicht bewusst.“

Sein Lächeln wirkte angespannt. „Das ist nur verständlich. Aber deshalb bin ich genauso überzeugt wie alle anderen, dass Sie Gabriela Navarro sind.“

„Wieso?“

„Da ist erst einmal die offensichtliche Ähnlichkeit mit Carlos und Esther. Und Sie sind genauso dickköpfig wie Cesar“, fügte er lächelnd hinzu. „Aber ich erkenne auch die viel jüngere Gabriela in Ihnen. Sie war hinreißend und süß, selbst mit zwei Jahren, und sehr entschlossen. Wenn sie etwas wollte, hat sie das durchgesetzt.“

Beth warf ihm einen kecken Blick zu. „Sie halten mich für hinreißend und süß?“

„Nicht zu vergessen, entschlossen“, erinnerte er sie leichthin.

„Aber wenn ich gar nicht Gabriela sein will“, gab sie zu bedenken und versuchte noch zu verarbeiten, dass Raphael offenbar dem kleinen Mädchen genauso viel brüderliche Zuneigung entgegengebracht hatte wie Cesar.

„Sind Sie deshalb so traurig?“

„Ja“, gab sie leise zu.

„Dann würde ich sagen, dass es wohl einzigartig ist, keine junge, schöne und sehr reiche Erbin sein zu wollen.“

Beth seufzte tief. „Jeder träumt doch davon, eines Tages reich genug zu sein, um sich keine Sorgen mehr ums Geld machen zu müssen. Aber nicht auf Kosten meiner Träume und Hoffnungen.“

„Was sind denn Ihre Träume und Hoffnungen?“

„Eine hervorragende Lektorin zu werden und vielleicht sogar das eine Buch zu entdecken und zu lektorieren, das die Welt im Sturm erobert“, sagte sie voller Begeisterung.

„Und als Gabriela Navarro könnten Sie das nicht?“

„Ganz sicher nicht.“

„Die Gabriela, die ich vor all den Jahren kannte, hätte sich durch nichts von ihren Wünschen abbringen lassen“, entgegnete Raphael leise.

„Cesar würde mir einfach nur einen Verlag kaufen“, murmelte sie.

Er lächelte. „Das ist Cesars Art und Weise, mit so etwas umzugehen. Das muss nicht automatisch auch für Sie gelten.“

„Nein“, gab sie zweifelnd zu.

„Atmen Sie tief durch, und gehen Sie die Probleme nacheinander an“, riet er ihr. „Eigentlich haben Sie das bisher auch getan. Sie sind zurück in England, so wie Sie es wollten. Morgen gehen Sie wieder an Ihre Arbeit, auch ganz nach Ihrem Wunsch“, erklärte er ihr, als sie ihn fragend anblickte. „Sie verfügen über einen freien Willen, sind volljährig und können Ihr Leben so führen, wie Sie es möchten.“

„Und Sie glauben, die Navarros und Cesar werden das akzeptieren?“

„Die Gabriela, die ich kannte, hätte dafür gesorgt, dass sie tun kann, was sie will.“

Raphael hatte recht. Sie musste nichts tun, was sie nicht wirklich wollte.

In diesem Augenblick wollte sie allerdings lediglich die Flecken beseitigen, die sie auf seinem weißen Hemd hinterlassen hatte. „Das hier tut mir leid.“

„Warum haben Frauen nie ein Taschentuch parat, wenn sie weinen?“ Sie spürte die Vibration seiner Stimme an ihrer Wange. „Hier, nehmen Sie das“, forderte er sie auf, als sie keine Anstalten machte, das blaue Seidentuch zu nehmen, das noch vor ein paar Sekunden in seiner Brusttasche gesteckt hatte. Es war genau auf seine Krawatte und die Farbe seiner Augen abgestimmt.

„Wir planen das Weinen ja nicht, es passiert einfach.“ Beth nahm das Tuch und tupfte damit ihr Gesicht ab. „Wie viele Frauen haben Ihretwegen denn schon geweint?“, murmelte sie, als sie das Tuch in ihre Hosentasche steckte, um es ihm später gewaschen zurückzugeben.

„Keine, soweit ich weiß.“

Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. „Warum fällt es mir schwer, das zu glauben?“

Er zog die Brauen hoch. „Keine Ahnung. Warum?“

Woher wusste sie, dass es Frauen gab, die um ihn geweint hatten? Diesen Mann, der so attraktiv und gefährlich war? Und obendrein unerreichbar …

Neben dem guten Aussehen und der selbstverständlichen Sinnlichkeit umgab Raphael Cordoba eine Zurückhaltung, die erkennen ließ, dass sein Herz noch nie von einer Frau berührt worden war. Das war wie eine unausgesprochene Warnung an alle, die sich trotzdem an ihn herantrauten.

„Nur so eine Vermutung.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es klang, als sprächen Sie aus Erfahrung über weinende Frauen und Taschentücher.“

„Ich habe sechs Schwestern …“

„Sechs Schwestern!“ Beth lehnte sich ungläubig ein wenig zurück, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Älter oder jünger?“

„Alle älter.“ Er verzog das Gesicht.

Sie schüttelte erstaunt den Kopf. „Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie das gewesen sein muss …“

„Die Kämpfe um das Badezimmer waren immer sehr unterhaltsam“, verriet er trocken.

Bis auf die wenigen Dinge, die er während der letzten paar Tage preisgegeben hatte, wusste sie praktisch nichts über ihn. Auch Grace hatte sie nicht fragen können, denn Beth wusste genau, welche Schlüsse ihre Schwester aus ihrem Interesse am Privatleben des geheimnisvollen Sicherheitschefs gezogen hätte.

„Sind Ihre Schwestern alle verheiratet?“

„Fünf von ihnen. Rosa ist … etwas langsamer als andere“, sagte er zögernd. „Bei ihrer Geburt gab es Komplikationen.“

Das bedeutete, dass Raphaels Eltern fünf Hochzeiten hatten ausrichten müssen. Und galt in Argentinien nicht auch noch der Brauch einer Mitgift? Außerdem unterstützten sie ihre sechste Tochter vermutlich finanziell. Vielleicht half ihnen Raphael sogar dabei. Das musste eine enorme finanzielle Belastung für die Familie sein. Was für ein scharfer Kontrast zu den reichen Navarros!

„Lebt sie noch bei Ihren Eltern?“

Sein Blick verhärtete sich. „Sie wohnt bei meiner ältesten Schwester Delores und ihrer Familie.“

„Aber niemand aus Ihrer Familie lebt in Buenos Aires?“, fragte sie neugierig weiter.

„Nein.“ Jetzt klang Raphael geradezu abweisend.

„Leben Ihre Eltern noch?“

„Mein Vater. Meine Mutter starb kurz nach meinem zehnten Geburtstag.“

„Das tut mir leid.“

Er zuckte mit den Schultern. „Mir auch.“

„Für Ihren Vater war es sicher nicht einfach, sieben Kinder allein aufzuziehen.“

„Er hat wieder geheiratet, als ich sechzehn war.“ Raphael presste die Kiefer zusammen.

Ein Zeichen dafür, dass er seine Stiefmutter nicht mochte? Vielleicht lebte Rosa deshalb bei ihrer Schwester.

Er hatte keine Ahnung, welche Gedanken Beth durch den Kopf schossen, aber was es auch war, es hatte ein Stirnrunzeln hervorgerufen. Nicht unähnlich seinem eigenen Stirnrunzeln, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er mit Beth im Arm auf dem Bett saß …

Trotz ihrer zur Schau getragenen harten Schale fühlte sie sich weich und sehr weiblich an. Ihre Brüste pressten sich gegen seinen muskulösen Oberkörper, und ihr seidiges blondes Haar duftete zart nach Zitrone. Der leicht blumige und sehr feminine Duft ihres Parfüms hatte seine Sinne erobert und gleichzeitig seine Schutzmauern durchbrochen.

Aber er wusste, dass die junge und absolut bezaubernde Beth Blake für ihn tabu war; Gabriela Navarro erst recht.

Abrupt ließ er sie los und stand auf. „Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen jetzt den Fitnessraum.“

Der plötzliche Themenwechsel verwirrte Beth, aber sie verbarg ihre Überraschung schnell und lächelte. „Möchten Sie mir Gesellschaft leisten?“

Er kniff die Augen zusammen. „Wie bitte?“

Sie stand auf und stand nun schlank und durchtrainiert in ihrem blauen Pullover und tiefsitzender Jeans vor ihm. „Von Grace weiß ich, dass Sie mit Cesar oft Übungskämpfe austragen.“

„Das stimmt.“

Sie lächelte erneut. „Ich habe einen schwarzen Gürtel in Karate.“

Raphael sog scharf den Atem ein. „Und Sie wollen mit mir einen solchen Übungskampf austragen?“

Sie zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Hat Ihr Zögern etwas damit zu tun, dass ich eine Frau bin?“

„Überhaupt nicht“, entgegnete er bestimmt, „sondern damit, dass ich mehrere Jahre in einer Spezialeinheit der Armee gedient habe.“

„Und?“

„Ich verfüge über … Fähigkeiten, die über Karate weit hinausgehen“, erklärte er grimmig.

„Gehört dazu auch, wie man jemanden mit bloßen Händen entwaffnet und tötet?“

„Ja, falls nötig“, gab er rau zu.

Nichts in Beths Miene verriet ihren innerlichen Schock. Instinktiv hatte sie bereits geahnt, dass Raphael sehr gefährlich sein konnte, denn ihn umgab immer eine raubtierartige Aura. „Und war es jemals nötig?“

„Ja.“ An seinem angespannten Kiefer pulsierte ein Nerv.

„Dann hoffen wir mal, dass es heute nicht nötig sein wird“, tat sie die Sache leichthin ab.

„Beth …“

„Ach bitte, Raphael, ein Kampf bringt doch viel mehr Spaß als ein Sandsack mit Cesars Foto darauf.“

Er holte tief Luft. „Nicht wenn Sie am Ende grün und blau sind.“

„Und wie wahrscheinlich wird das passieren?“

„Gar nicht, wenn ich es verhindern kann.“

„Ich vertraue darauf, dass Sie mir nicht wehtun werden.“

Er blinzelte. „Sie vertrauen mir?“

„Mir körperlich nicht wehzutun, ja.“ Auf emotionaler Ebene war sie sich da nicht so sicher …

Beth war durch die Ereignisse mit den Navarros sehr aufgewühlt, aber sie wusste ganz genau, wie sehr sie sich körperlich von Raphael angezogen fühlte. Und auch, was für ein riesiger Fehler es wäre, mehr als das zuzulassen.

Der auf düstere Weise gefährliche Raphael Cordoba spielte eindeutig außerhalb ihrer Liga.

Der Blick aus seinen durchdringenden blauen Augen ruhte einige Sekunden auf ihr. „In Ordnung.“ Er nickte abrupt. „Dann gehe ich mich umziehen, und wir treffen uns in zehn Minuten im Fitnessraum.“ Mit diesen Worten verließ er ihr Zimmer genauso rasch, wie er es betreten hatte.

Beth sah ihm nach und fragte sich, wie oft er wohl schon seine speziellen Kenntnisse hatte einsetzen müssen, sowohl beim Militär als auch während der letzten zehn Jahre als Cesars Sicherheitschef.

Wenig später trafen sie sich im Fitnessraum. Außerhalb ihrer Liga oder nicht, Beth hätte schon tot sein müssen, um von seiner Erscheinung nicht beeindruckt zu sein. Ein schwarzes Muskelshirt schmiegte sich an seinen durchtrainierten Oberkörper und ließ gleichermaßen muskulöse wie gebräunte Oberarme frei. Im Ausschnitt war dunkles Haar sichtbar. Dazu trug er eine weite schwarze Baumwollhose, die tief auf seinen schmalen Hüften saß. Seine Füße waren nackt. Er sah aus wie eine Bronzeskulptur.

„Bereit?“

Beth musste sich zwingen, den Blick von ihm abzuwenden. Sie schluckte und antwortete lässig: „Wirke ich nicht bereit?“

Oh doch, das tat sie. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, wofür. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie war ähnlich gekleidet wie er, mit einem enganliegenden Top und einer locker fallenden Hose – eigentlich genau die richtige Kleidung für einen Kampf, aber unter dem dünnen Stoff ihres weißen Tops zeichneten sich deutlich die Spitzen ihrer üppigen Brüste ab.

Raphael wusste, er würde Mühe haben, sich auf den Kampf zu konzentrieren.

„Cesar macht keine halben Sachen, oder?“ Beth sah sich anerkennend um. Es gab mehrere Hanteln, ein Laufband, ein Rudergerät und verschiedene andere Geräte, von denen sie nicht wusste, wozu sie dienten. In der Ecke befanden sich eine Sauna und eine Dusche. Die Mitte des Raumes wurde jedoch von einer blauen Kampfmatte dominiert.

„Nicht mal bei der Liebe“, bestätigte Raphael trocken.

Beth lächelte und schlüpfte aus ihren Flip-Flops. „Und er liebt meine Schwester sehr, nicht wahr?“

Er nickte. „Und sie ist auf jeden Fall Frau genug für seine Charakterstärke.“

Beths Lächeln verschwand, als sie bei Raphaels offensichtlicher Bewunderung für Grace plötzlich einen Stich verspürte. War das Eifersucht? Auf ihre eigene Schwester? Hoffentlich nicht. „Erkenne ich da eine kleine Schwärmerei für meine große Schwester?“, spöttelte sie, um ihr Unbehagen zu überspielen.

Er zog die Augenbraue hoch. „Schwärmerei ist etwas für Jugendliche.“

Sein leicht verächtlicher Ton legte nahe, dass er sie offenbar zu dieser Kategorie zählte. Kein schöner Gedanke, wenn Beth ihn nur ansehen musste, um wieder dieses Verlangen zu spüren.

„Vielleicht ist es ja eher Lust?“, parierte sie sauer.

Er presste die Lippen zusammen. „Das wäre ja wohl völlig unpassend in Bezug auf die zukünftige Ehefrau des Mannes, der mir so nahe steht wie ein Bruder.“

Beth warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das bedeutet ja nicht automatisch, dass Sie nicht innerlich so fühlen.“

„Ich begehre Ihre Schwester nicht!“ An seinem Hals zuckte ein Muskel.

„Sie protestieren mir eindeutig zu viel.“

Er warf ihr unter halbgeschlossenen Lidern einen fragenden Blick zu. War das Wut in ihren dunkelbraunen Augen oder Verachtung? Er war sich nicht sicher. „Versuchen Sie, mich zu provozieren?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich versuche nur herauszufinden, wie Sie zu meiner Schwester stehen und ob jemand Cesar warnen sollte, dass er einen Rivalen hat.“

„Sie vielleicht?“

„Nein, ich nicht.“ Sie seufzte ungeduldig auf. „Er ist viel zu arrogant. Ein kleiner gesunder Wettstreit würde seinem übergroßen Ego guttun.“

„Grace hat sich meine Bewunderung und meinen Respekt verdient, mehr nicht“, entgegnete er knapp.

„Schön für sie.“

Er warf ihr einen scharfen Blick zu, als er die leise gemurmelte Antwort hörte. Glaubte sie, dass er sie im Gegensatz dazu nicht bewunderte und respektierte? Wollte Beth denn seine Bewunderung und seinen Respekt? Das bezweifelte er doch stark, denn diesen Eindruck hatte sie ihm bisher nicht vermittelt.

„Wollen wir?“, fragte sie kurz und betrat die Matte.

Raphael verzog spöttisch den Mund, als er ihre rot lackierten Fußnägel sah.

„Lassen Sie sich davon nicht täuschen“, empfahl sie ihm, als sie seinen herablassenden Blick bemerkte. „Und halten Sie sich auch nicht zurück“, warnte sie ihn, als er ebenfalls die Matte betrat und sich ihr gegenüber in Kampfstellung aufbaute.

Kurz darauf bereute sie jedoch schon ihre Worte, als sie trotz ihres schwarzen Gürtels zum dritten Mal innerhalb von drei Minuten auf der Matte landete.

Sie stand auf und war noch entschlossener, ihn zu besiegen. Raphael schwitzte noch nicht einmal, wohingegen Beth inzwischen völlig außer Atem war. „Mehr haben Sie nicht drauf?“

Raphael erwiderte ihren Spott mit einem Lächeln. „Ich wärme mich gerade auf.“

Genau das hatte Beth befürchtet.

„Sie verraten sich“, erklärte er aufreizend ruhig.

Sie blinzelte. „Was?“

Er zuckte die braungebrannten Schultern. „Sie schauen leicht zu der Seite hin, auf die Sie mich werfen wollen, deshalb kann ich rechtzeitig mein Gleichgewicht entsprechend verlagern.“

Autor

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